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© Katy Birchall 2021

Titel der englisch Originalausgabe: »The Secret Bridesmaid«, Hodder & Stoughton LTd, London 2021

© Piper Verlag GmbH, München 2022

Illustrationen: Designed by photographeeasia / Freepik, Designed by rawpixel.com / Freepik

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

 

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Für Lauren G und Lauren F,
die mir das Selbstvertrauen gaben,
dieses Buch zu schreiben

Einladung zur Hochzeit von

Harrison Oliver Hodges und Michelle Emily Ace

 

 

Notizen

Harrison bekommt maximal vor der Zeremonie und Mut-Whisky vor seiner Rede.

Betrunken

a)macht er sich gerne aus dem Staub

b) tanzt wie ein Roboter

c) lässt die Schuhe an den Schnürsenkeln um den Kopf kreisen

 

Michelle bekommt maximal Glas Champagner vor der Zeremonie und Mut-Gin-Tonic vor ihrer Rede.

Betrunken

a) beginnt sie zu lallen

b) rappt spontan los

c) ruft ihren Boss an und gibt sich als Kermit der Frosch aus

 

Dem Vikar einen Zettel mit den Namen des Brautpaars auf den Tisch legen. Bei der Probe zeigte er sich hocherfreut über die Hochzeit von und .

 

Die Großmutter des Bräutigams höflich darauf hinweisen, dass sie nicht jedes Mal über den flachen Hintern des Trauzeugen lästern soll, wenn er an ihr vorbeigeht.

 

Onkel Adrian von Tante Sascha fernhalten. Seit sie ihm bei der letzten Hochzeit mit einer Bratpfanne eine übergezogen hat, verstehen sie sich nicht mehr sonderlich gut.

 

Noch einmal überprüfen, ob die Alpakas wirklich Schleifen für das Brautfoto tragen und .

 

»Was macht er da?«, jammert Michelle. »Er macht alles kaputt!«

Ich werfe einen Blick auf die Tanzfläche. Harrison verteilt gerade mit einer Hand die dritte Flasche Whisky auf dem Boden, während er mit der anderen Hand ein Plastikfeuerzeug schwenkt. Seine Schuhe sind bereits vorhin bei »Don’t Stop Me Now« an den Schnürsenkeln um seinen Kopf gekreist.

» , !«, hat er vor wenigen Augenblicken über das Mikrofon verkündet.

Normalerweise folgt solchen Ankündigungen eine Reihe von abgefahrenen Dance-Moves, in diesem Fall scheint Harrison die Tanzfläche allerdings in Flammen setzen zu wollen.

Die Gäste sind begeistert von der bizarren Wende der Hochzeitsfeierlichkeiten. Die Braut weniger.

Die größte Überraschung ist allerdings die vierundachtzigjährige Großmutter des Bräutigams, die in der ersten Reihe steht und ihn lautstark anfeuert: »Ja, lass es krachen, Harrison! Gib alles!«

Jetzt ist schnelles Handeln gefragt.

Ich wende mich wieder an Michelle und sehe ihr fest in die feuchten Augen. »Alles wird gut, Michelle. Ich will, dass du zwei Dinge für mich tust. Erstens musst du dich daran erinnern, dass du an Harrison vor allem seine Spontanität, seinen Abenteuersinn und seine Risikobereitschaft liebst.«

Ihr Blick springt panisch zu ihrem frisch angetrauten Ehemann, der gemeinsam mit den Gästen »Feuer! Feuer!« skandiert und dabei noch mehr Whisky auf der Tanzfläche verteilt.

»Zweitens gehst du rüber an die Bar und bestellst zehn flambierte Sambuca. Der Barkeeper soll sie auf dem Tresen aufreihen, aber sie erst auf mein Zeichen hin anzünden. Verstanden? Und jetzt lauf! Los!«

Sie hebt den Rock ihres elfenbeinfarbenen Spitzenkleids und hastet im Slalom an den Tischen vorbei in Richtung Bar, wobei sie beinahe ihre Großtante umstößt, die sich gerade über die exquisite Crème brûlée hermacht und von den Mätzchen des Bräutigams nichts mitbekommt.

Ich mache auf dem Absatz kehrt, eile zum und reiße ihm das Mikro aus der Hand, sodass seine Anfeuerungsrufe abrupt verstummen. Er wirkt zutiefst beleidigt, bis ich ihm einen für diese Situationen eigens einstudierten, überaus missbilligenden Blick zuwerfe.

»Sorry«, flüstert er. »Es hat mich mitgerissen.«

»Ja, das sehe ich, Arnold«, zische ich. »

Er zuckt zusammen und verzieht sich unauffällig.

Der Bräutigam hat mittlerweile auch die letzte Whiskyflasche geleert. Er streckt das Feuerzeug in die Höhe und drückt. Doch nichts passiert. Er ist zu betrunken, und das Feuerzeug ist zu feucht und glitschig. Er versucht es immer wieder mit konzentriert gerunzelter Stirn. Das ist Moment!

»Ladys und Gentlemen!«, rufe ich ins Mikrofon. Sämtliche Köpfe drehen sich in meine Richtung. »Ich bitte um Applaus für die Braut! Michelle wartet an der Bar auf ihren Ehemann und die Hochzeitsgesellschaft!« Ich deute in Richtung Tresen. Alle drehen sich zu Michelle, die ihren Gästen fröhlich zuwinkt.

»Lass es krachen, Michelle!« Ich strahle sie an. Die Gäste jubeln.

Während sich alle in Michelles Richtung bewegen, steht Harrison noch immer auf der Tanzfläche. »Moment! Was wollte ich eigentlich?« Verwirrt betrachtet er den Whisky-See zu seinen Füßen. »Ach ja, jetzt weiß ich es wieder!«

»Vergesst den Bräutigam nicht, Leute!«, rufe ich eilig. Eine Handvoll Gäste reißt Harrison aus seinen Gedanken und nimmt ihn mit zu seiner Frau.

Ich senke das Mikro und wende mich an Arnold. »Legen Sie ›Livin’ La Vida Loca‹ von Ricky Martin auf. Und keine Ausrutscher mehr, das ist die letzte Warnung.«

Nachdem ich die Caterer höflich ersucht habe, die Tanzfläche vom Whisky zu befreien, lehne ich mich gegen eine Stuhllehne und beobachte aus der Ferne, wie Michelle und Harrison anstoßen, ihre Drinks kippen und ihre Mütter dazu auffordern, es ihnen gleichzutun.

Als die Brautmutter das leere Glas auf die Bar knallt, grölen die Gäste vor Begeisterung.

»Gut gemacht!«, meint eine Stimme am Nebentisch. »Die Sache wäre beinahe eskaliert. Ich bin beeindruckt, wie Sie alles wieder hinbekommen haben.«

Ich schenke der Großtante der Braut ein Lächeln. Sie hat ihren Nachtisch mittlerweile aufgegessen und mustert mich neugierig. Offenbar hat sie alles ganz genau mitbekommen.

»Das war nicht der Rede wert«, versichere ich ihr.

»Michelle kann von Glück reden, eine so fantastische Brautjungfer zu haben. Ihr scheint euch sehr nahezustehen. Woher kennt ihr euch noch mal?«

»Aus der Grundschule. Wir sind jetzt seit sechsundzwanzig Jahren befreundet. Ich hätte mir das hier auf keinen Fall entgehen lassen«, antworte ich und muss grinsen, als Harrison Michelle hochhebt und durch die Luft wirbelt. Ich deute mit dem Kopf auf die leere Dessertschale. »Die Crème brûlée war köstlich, nicht wahr?«

Nicht alles, was ich gerade gesagt habe, entsprach der Wahrheit.

Ich kenne Michelle erst seit sieben Monaten, zwei Wochen und drei Tagen. Und sie bezahlt mich dafür, dass ich hier bin.

Die Crème brûlée war allerdings wirklich köstlich.

Kapitel 1

Mein Name ist Sophie Breeze, und ich bin professionelle Brautjungfer.

Ja, so etwas gibt es wirklich.

Moment, ich erkläre es Ihnen:

Die Idee nahm vor etwas mehr als zwei Jahren Gestalt an, als ich meiner Cousine Cara als Brautjungfer zur Seite stand. Cara ist Wirtschaftsanwältin in einer Kanzlei in London. Sie ist überaus intelligent, arbeitet hart und begegnet Stress mit trockenem Humor. Bloß die Hochzeitsvorbereitungen trieben sie unbemerkt an den Rand eines Nervenzusammenbruchs, weil sie nicht die Zeit fand, alles zu organisieren. Drei Monate vor dem großen Tag rief sie mich um drei Uhr morgens an.

»Sophie? Sophie, bist du da?«

»Ja, klar.« Ich gähnte laut. »Wie spät ist es? Ist was passiert? Geht es dir gut?«

»Nein, mir geht es gut«, wimmerte sie. Es klang, als würde sie weinen.

Ich richtete mich auf. So hatte ich sie noch nie gehört. Wir waren praktisch zusammen aufgewachsen, und sie hatte nie geweint. Nicht als kleines Mädchen, nachdem sie vom Rad gefallen und in einen Brombeerstrauch samt darunter wachsender Brennnessel gestürzt war. Nicht als Teenager, als sie nicht nach Cambridge durfte, obwohl sie ihr Leben lang davon geträumt hatte. Nicht als Erwachsene, nachdem sie herausgefunden hatte, dass ihr Versager-Ex Geoff sie betrogen hatte. Ja, nicht einmal, als sie aus Versehen einen extrascharfen Jalapeño gegessen hatte und so tun musste, als wäre er gar nicht scharf, weil sie ihrem Vorgesetzten gegenübersaß.

»Cara, was ist los?« Ich versuchte, nicht in Panik zu geraten, während ich das Licht anmachte. »Ist etwas mit Mike? Hatte er einen Unfall?«

»Nein, Mike geht es gut.« Sie schniefte. »Er liegt oben und schläft seelenruhig. Der Mistkerl.«

»O Gott, habt ihr euch gestritten?«

»Nein, nein. Ach, Sophie. Es ist die Hochzeeeiiiit!«

»Die Hochzeit?«

» Die Hochzeit. Es sind nur noch ! Und ich habe noch nichts organisiert! Das wird eine Katastrophe! Es tut mir leid, dass ich dich mitten in der Nacht anrufe, aber ich konnte nicht schlafen, und du bist die Einzige, die mir jetzt noch helfen kann.«

Ich stieß ein erleichtertes Seufzen aus, sank in die Kissen zurück und rieb mir lächelnd den Schlaf aus den Augen. Es war nicht das erste Mal, dass ich einen derartigen Anruf von einer Braut oder einem Bräutigam erhielt. Ich war schon oft Brautjungfer gewesen, und es gibt immer einen Moment der Panik, wenn scheinbar nichts richtig klappt und das Datum mit einem Mal sehr viel näher scheint als noch vor einem Tag.

Und es ist durchaus nachvollziehbar. Immerhin sollen die Braut und der Bräutigam eine Feier für die Leute organisieren, die ihnen auf dieser Welt am allermeisten bedeuten. Da bekommt es jeder mit der Angst zu tun. Ich verstehe das nur zu gut. Glücklicherweise hatte ich damals bei Caras Anruf bereits genug Erfahrung, um mit solchen Panikattacken umzugehen.

Zuallererst gilt: »Cara, ich will jetzt erst mal, dass du tief ein- und ausatmest.«

»Aber die Arbeit macht mich zurzeit total fertig, und ich habe mir noch nicht einmal die Menüvorschläge des Caterers angesehen. Außerdem habe ich der Floristin möglicherweise gesagt, dass Lilien in Ordnung sind, und du weißt ja, was Mikes Mum von Lilien hält. Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe. Und wir müssen unbedingt einen auftreiben, aber inzwischen hat vermutlich ohnehin niemand mehr Zeit und …«

»Tief ein- und ausatmen«, unterbrach ich sie sanft. »Mach es mir nach. Tief einatmen. Tief ausatmen. Tief einatmen. Tief ausatmen. Genau so. Und noch einmal. Du machst das toll.«

Nächster Schritt: . »Atme einfach weiter. Wunderbar! Und jetzt hör mir zu, Cara: Solche Gedanken sind vollkommen normal. Jeder erlebt den Moment der Verzweiflung, je näher die Hochzeit rückt. Es kann sich überwältigend anfühlen. Als hätte man nie mehr Zeit, um alles auf die Reihe zu bekommen.«

Danach folgt die »Ich verstehe vollkommen, dass drei Monate sich nicht sehr lange anhören, aber die meisten Dinge, über die du dir Sorgen machst, können innerhalb weniger Minuten geklärt werden. Maximal in ein paar Stunden. Und du hast noch Zeit. Das ist mehr als genug.«

Dabei geht es vor allem darum, sachlich zu bleiben und dem Gegenüber das wiederzugeben. »Wir machen jetzt Folgendes: Wir erstellen eine Liste mit den Dingen, die noch erledigt werden müssen, dann wird es übersichtlicher. Deine Gedanken fahren gerade Achterbahn, und das Chaos macht dir Angst. Sobald du alles aufgeschrieben hast, fühlst du dich besser.«

»Was denkst du von mir – eine Liste habe ich natürlich«, erwiderte sie fast beleidigt. »Es ist nur noch kein einziger Punkt abgehakt. Aber die Liste, die steht.«

»Perfekt. Schick sie mir doch gleich mal, wenn du magst. Oder morgen früh.«

Nun wird es Zeit, die »Du steckst da nicht allein drin, Cara. Wozu gibt es deiner Meinung nach Brautjungfern und die Freunde des Bräutigams? Wir sind da, um euch zu helfen. Egal womit. Scheu dich nicht, uns zu fragen oder Aufgaben zu delegieren. Wie wär’s, wenn ich morgen auf einen Kaffee zu dir ins Büro komme und wir die Liste durchgehen? Dann können wir gemeinsam überlegen, wer was erledigen kann.«

»Das würdest du tun?«

»Klar! Kannst du deine Mittagspause erübrigen?«

»Ich glaube schon.«

»Ich werde da sein. Ich kenne einige s aus der Nähe, die ich schon auf anderen Hochzeiten gehört habe, und wir können gleich morgen Anfragen rausschicken. Außerdem hast du mehr als genug Zeit, um die Bestellung bei der Floristin zu ändern. Wenn du willst, erledige ich das für dich.«

Und am Ende steht eine : »Ehrlich, Cara, es wird der schönste Tag deines Lebens, ganz egal, was passiert. Einfach deshalb, weil alle da sein werden, um zu feiern, dass Mike und du den Bund der Ehe schließt. Alles andere ist unwichtig.«

»Ja, wahrscheinlich. Der Druck, dass alles perfekt läuft, ist nur wahnsinnig groß.«

Das Wesentliche ist, das . »Es wird perfekt! Sogar wenn der scheiße ist, weil wir keinen anderen mehr bekommen haben und wir am Ende Onkel Fred bitten müssen, den Brauttanz mit seiner verfluchten irischen Flöte zu begleiten.«

Sie kicherte los. »O mein Gott, erinnerst du dich daran, wie er sie zu Weihnachten bekommen hat?«

»Wie könnte ich das je vergessen! Ich werde es Mum niemals verzeihen. Eine Flöte als nettes Souvenir aus Dublin!«

»Es war schrecklich. Ich glaube nicht, dass sich meine Ohren je wieder vollständig erholen werden.«

»Das war doch die Zeit, als Granny plötzlich taub wurde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Zufall war. Nach dem zweiten Weihnachtsfest, bei dem er für uns alles spielen wollte, hat Dad die Flöte auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen.«

»Und ich gerate wegen so unwichtiger Details wie Lilien als Blumenschmuck in Panik, obwohl ich mich eigentlich auf die Suche nach der irischen Flöte machen sollte, damit Onkel Fred während der Abgabe der Unterschriften ein Solo zum Besten geben kann!«, kicherte Cara und seufzte tief. »Danke, Sophie. Das Lachen hat gutgetan. Und du hast wie immer recht. Alles wird gut. Ich war einfach einen Moment lang überwältigt.«

»Das wäre doch jeder! Du musst mir nicht danken. Morgen bringen wir die Sache auf die Schiene. Es wird perfekt, du wirst schon sehen. Und jetzt schlaf ein bisschen.«

»Du bist wirklich die Beste. Hey, weißt du, was, Sophie?«, meinte sie gähnend. »Du solltest das beruflich machen!«

»Was? Mich mitten in der Nacht anrufen lassen?«

»Nein! Den Brautjungfernjob. Du warst schon auf einer Million Hochzeiten und weißt, worauf es ankommt. Außerdem liebst du diese Dinge und wärst mit Leidenschaft dabei. Ehrlich, mir tut jede Braut leid, der du nicht als Brautjungfer zur Seite stehst. Du könntest es zu einem Vollzeitjob ausbauen. Als professionelle Brautjungfer.«

»Was? So etwas gibt es doch gar nicht!«

»Aber es wäre möglich.«

Ich schnaubte. »Okay, na klar, Cara. Ich werde demnächst professionelle Brautjungfer.«

»Warum denn nicht? Es wäre wie das, was du jetzt machst, nur dass du nicht Manager betreust, sondern als persönliche Assistentin der Braut fungierst.«

»Schlafmangel führt offenbar doch zu Gedächtnisverlust. So etwas gibt es bereits! Schon mal was von Hochzeitsplanerinnen gehört?«

»Ja, schon klar, aber viele Leute brauchen keine Hochzeitsplanerin, weil sie selbst etwas auf die Beine stellen möchten. Ich würde keine Hochzeitsplanerin engagieren, obwohl ich dringend Hilfe brauche! Eine professionelle Brautjungfer würde die Braut hingegen lediglich unterstützen und ihr bei der Planung helfen, damit sie auf dem Weg zur Hochzeit nicht den Verstand verliert. Das ist viel entspannter. Du solltest unbedingt darüber nachdenken.«

»Okay, du verrücktes Huhn. Aber jetzt schlaf erst mal. Bitte.«

»Gute Nacht, Sophie. Und

Ich legte auf, kuschelte mich in meine Kissen und freute mich auf ein paar Stunden Schlaf, bevor ich wieder ins Büro musste. Doch am nächsten Tag ging mir die Idee nicht mehr aus dem Kopf. Eine professionelle Brautjungfer? Das war total absurd.

Oder?

 

Am Montagmorgen nach Michelles und Harrisons Hochzeit schlendere ich in mein Büro (okay, es ist nicht wirklich ein , nur eine kleine, fensterlose Kammer ähnlich einem Wandschrank in meiner Wohnung in Südlondon, in die ich einen Schreibtisch gestellt habe, aber egal) und mache meinen Laptop an. Ich habe 534 neue Mails bekommen, seit ich gestern Abend zum letzten Mal online war.

Das ist nicht ungewöhnlich. Ich halte nicht nur Kontakt zur Braut und zum Bräutigam der jeweiligen Hochzeit, sondern auch zu verschiedenen Familienmitgliedern, Zulieferern und Locations.

Trotzdem brauche ich zuerst einen Becher Kaffee.

Ich gehe von meinem Büro (okay, na gut, von meinem ) in die Küche und mache den Wasserkocher an. Während ich darauf warte, dass das Wasser zu blubbern beginnt, streiche ich die pinkfarbene Bluse glatt, die ich heute zur Arbeit trage. Obwohl ich mein eigener Boss bin, beginnt mein Tag genau wie damals, als ich noch als persönliche Assistentin in der City gearbeitet habe. Ich stehe um sechs Uhr auf, dusche, lege Make-up auf und wähle ein bürotaugliches Outfit aus.

Cara macht sich deshalb ständig über mich lustig – »Warum sitzt du nicht im Schlafanzug im Homeoffice, wie normale Menschen?« –, aber immerhin weiß ich nie, ob ich nicht im nächsten Moment zu einer Notfallsitzung ausrücken muss. Neulich wollte ich zum Beispiel gerade ein idyllisches Cottage auf dem Land für einen Junggesellinnenabschied buchen, als ich einen verzweifelten Anruf von einer Braut erhielt. Ich sollte zu ihr kommen und mit ihrem Vater sprechen, mit dem sie sich gerade wegen der Gästeliste in die Haare geraten war. Ich musste sofort los, bevor die Situation eskalierte. Ich habe erlebt, wie ganze Familien an der Erstellung der Gästeliste zerbrachen, und in solch einem Fall ist es essenziell, vor Ort zu sein, bevor jemand etwas sagt, das er später bereut.

Glücklicherweise schaffte ich es rechtzeitig, konnte die Situation entschärfen und einen Kompromiss erzielen. Nick und Sarah – die Nachbarn des Brautvaters – wurden eingeladen, obwohl die Braut die beiden nicht kannte, dafür würde ihr Vater auf eine Einladung seines gesamten Wein-Clubs verzichten. Dessen Mitglieder wurden stattdessen zu dem Grillfest am Sonntag nach der Hochzeit eingeladen.

Vater und Braut verstehen sich wieder und reden sogar miteinander.

Was vielleicht nicht der Fall wäre, wenn ich fünf Minuten später eingetroffen wäre, weil ich mich vorher noch umziehen musste.

Cara ist die Einzige, die weiß, was ich wirklich beruflich mache. Abgesehen von meinen Eltern und meinen Klienten natürlich. Alle anderen glauben, ich würde als persönliche Assistentin in einer Finanzkanzlei in der City arbeiten. Ich kann nicht riskieren, dass jemand meine wahre Identität errät, denn damit würde ich eines meiner wesentlichen Verkaufsargumente verlieren: Niemand braucht zu wissen, dass ich dafür bezahlt werde, an der Hochzeit teilzunehmen. Das ist seltsamerweise ein wesentlicher Punkt für viele Bräute und deren Familien. Sie wollen nicht den Eindruck erwecken, dass sie ihren großen Tag nicht alleine organisieren konnten.

Ein wesentlicher Teil meines Jobs besteht darin, so viel wie möglich über die Braut in Erfahrung zu bringen, um die Gäste und – oft – auch die anderen Brautjungfern davon zu überzeugen, dass wir beste Freundinnen sind und es einen guten Grund gibt, warum sie bis jetzt noch nichts von mir gehört haben. Weil ich zum Beispiel die letzten fünf Jahre im Regenwald von Guatemala gelebt habe. Oder weil ich im Zeugenschutzprogramm bin.

Ja, ich weiß. Manchmal muss man eben kreativ sein.

Das Wasser kocht, und ich mache Kaffee, während ich darüber nachdenke, was heute alles zu tun ist. Unter anderem muss ich das Streichquartett anrufen, das auf der Hochzeit am kommenden Wochenende spielt, und sie bitten, Kanye Wests »Gold Digger« von der Setlist zu streichen (ehrlich, Jungs, was habt ihr euch bloß dabei gedacht?). Ich rühre gerade Milch in meinen Kaffee, als ich die Post durch den Briefschlitz fallen höre, und nehme meinen Becher mit zur Tür, um sie zu holen und alles in mein Büro zu bringen. Ich lasse die Briefe auf meinen Schreibtisch und mich selbst auf den Stuhl fallen und will gerade mit der Beantwortung der Mails beginnen, als einer der Briefe meine Aufmerksamkeit erregt.

Es ist ein teuer aussehender, dicker, cremefarbener Umschlag, auf dem in eleganter Handschrift mein Name steht.

Wenn jemand eine Hochzeitseinladung auf den ersten Blick erkennen kann, dann bin ich das.

Es ist nur so, dass ich von allen Paaren, mit denen ich privat befreundet bin und bei denen eine Hochzeit wahrscheinlich wäre, bereits Einladungen erhalten habe. Ich kenne niemanden sonst, der bald heiraten wird. Ich greife neugierig nach dem Umschlag und bewundere den exquisiten Stil und das elegante Wachssiegel an der Rückseite. Mein Herz macht einen kleinen Sprung, so schön ist diese Einladung.

Erregt mich der Anblick dieser teuren Einladung etwa?

»Ich brauche endlich mal wieder ein Date«, erkläre ich laut, auch wenn mich niemand hören kann.

Ich öffne den Umschlag und ziehe die in Gold gefasste Einladung heraus. Als ich die Namen des glücklichen Brautpaars lese, verpuffen sämtliche Glücksgefühle, die ich beim Aufwachen noch gespürt haben mag.

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: Junggesellinnenabschied Juni 2022

Hi Sophie,

danke für Ihre Anfrage zu unserem Junggesellinnen-Special am 4. Juni 2022 für 20 Personen.

Es steht euch eine vergnügliche Fahrt auf dem Kanal mit unserem eigenen Partyboot bevor. Jede der Freundinnen bekommt eine Flasche Prosecco gratis … und die Braut gleich zwei!

Möchten Sie auch das Stripper-Paket dazu buchen?

Herzliche Grüße

Tina

 

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: AW: Junggesellinnenabschied Juni 2022

Hi Tina,

super, danke für die Rückmeldung.

Was genau ist das Stripper-Paket?

Herzliche Grüße

Sophie

 

: AW: AW: Junggesellinnenabschied Juni 2022

Hi Sophie,

Sie, die Braut und alle Freundinnen werden unser Junggesellinnen-Special inkl. Stripper-Paket lieben!

Gegen einen kleinen Aufpreis steht euch eine vergnügliche Fahrt auf dem Kanal mit unserem eigenen Partyboot bevor. Jede der Freundinnen bekommt eine Flasche Prosecco gratis … und die Braut gleich zwei!

Und dazu einen Stripper!

Möchten Sie das Upgrade buchen?

Herzliche Grüße

Tina

 

: AW: AW: AW: Junggesellinnenabschied Juni 2022

Hi Tina,

wow. Danke für die zusätzliche Info.

Können wir den Stripper aussuchen?

Herzliche Grüße

Sophie

 

: AW: AW: AW: AW: Junggesellinnenabschied Juni 2022

Hi Sophie,

natürlich! Ich sende Ihnen zeitnah Fotos der zur Auswahl stehenden Stripper, und Sie können den heißesten für Ihr Junggesellinnen-Special inkl. Stripper-Paket aussuchen*!

*Leider können wir nicht garantieren, dass der gewünschte Stripper auch an dem gewählten Tag auf dem Boot auftreten wird.

Herzliche Grüße

Tina

 

: AW: AW: AW: AW: AW: Junggesellinnenabschied Juni 2022

Hi Tina,

ich bespreche das Angebot mit der Braut und melde mich wieder.

Herzliche Grüße

Sophie

 

: AW: AW: AW: AW: AW: AW: Junggesellinnenabschied Juni 2022

Hi Sophie,

denken Sie doch bitte auch an unser Junggesellinnen-Special inkl. Stripper-Premium-Paket!

Gegen einen kleinen Aufpreis steht euch eine vergnügliche Fahrt auf dem Kanal mit unserem eigenen Partyboot bevor. Jede der Freundinnen bekommt eine Flasche Prosecco gratis … und die Braut gleich zwei!

Und dazu einen Stripper … der Zirkuskunststücke vorführt*!

*Wir können nicht garantieren, dass der gewünschte Stripper auch an dem gewählten Tag auf dem Boot auftreten wird.

Herzliche Grüße

Tina