Das Buch

Die autobiografischen Geschichten in Calypso kreisen um das solare Zentrum, das in jedem Leben eine kritische Masse darstellt – die Familie. In den Ferien und an Feiertagen kommt der Sedaris-Clan zusammen, im elterlichen Strandhaus, später in David Sedaris’ eigener Zuflucht mit Meerblick, und flickt am generationsübergreifenden Quilt aus gescheiterten Beziehungen, tragischen Toden, späten Einsichten – und hartnäckiger Liebe zu den Freunden, die man sich nicht aussuchen kann: der Familie.

DerAutor

David Sedaris, geboren 1956 in Johnson City, New York, aufgewachsen in Raleigh, North Carolina, lebt in England. Er schreibt u. a. für den New Yorker und BBC Radio 4. Mit seinen Büchern Naked, Fuselfieber, Ich ein Tag sprechen hübsch und Schöner wird’s nicht wurde er zum Bestsellerautor. Zuletzt erschienen im Blessing Verlag Das Leben ist kein Streichelzoo. Fiese Fabeln (2011) und Sprechen wir über Eulen – und Diabetes (2013) sowie 2017 seine vielbeachteten Tagebücher Wer’s findet, dem gehört’s.

DAV I D  S E DA R I S

C A L Y P S O

Aus dem Amerikanischen

von Georg Deggerich

B L E S S I N G

Originaltitel: Calypso

Originalverlag: Little, Brown and Company, Hachette Book Group, New York

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Copyright © 2018 by David Sedaris

Copyright © 2018 by Karl Blessing Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung und -illustration: Geviert, Grafik & Typografie, München, nach einem Entwurf von Peter Mendelsund

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-23405-8
V001

www.blessing-verlag.de

Für Joan Lacey

INHALT

IN BESTER GESELLSCHAFT

JETZT SIND WIR ZU FÜNFT

KLEINER KERL

SCHRITT FÜR SCHRITT

EIN GETEILTES HAUS

DAS PERFEKTE ENSEMBLE

LEVIATHAN

IHR ENGLISCH IST SO GUT

CALYPSO

EIN BESCHEIDENER ANTRAG

GANZ ZU SCHWEIGEN

UNGEZÄHMT

DIE DAVONGEKOMMENEN

SORRY!

FAULER ZAUBER

EIN PAAR GRÜNDE, WARUM ICH IN LETZTER ZEIT DEPRIMIERT BIN

WARUM LACHST DU NICHT?

HIER STEHE ICH

DIE GEISTERWELT

UND WO DU SCHON MAL DRIN BIST, SIEH DOCH GLEICH NACH MEINER PROSTATA

DAS COMEY-MEMO

IN BESTER GESELLSCHAFT

Obwohl eine ganze Branche einem das Gegenteil erzählt, bietet das mittlere Lebensalter nur wenige echte Freuden. Der einzige Lichtblick, der mir einfällt, ist, dass man mit etwas Glück ein Gästezimmer hinzugewinnt. Manche kommen automatisch in den Genuss, wenn ihre Kinder das Haus verlassen, andere, so wie ich, kaufen sich irgendwann ein größeres Haus. »Folgt mir«, sage ich jetzt und führe unsere Gäste zu einem Raum, der nicht auf die Schnelle für sie hergerichtet wurde. Er dient nicht gleichzeitig als Arbeitszimmer oder Webkammer, sondern hat nur einen einzigen Zweck. Ich habe das Zimmer mit einem Bett statt mit einer Ausklappcouch ausgestattet, und an der Wand befindet sich, genau wie im Hotel, ein Gepäckständer. Das Beste ist aber das eigene Bad.

»Wenn ihr lieber duscht statt badet, kann ich euch oben im zweiten Gästezimmer unterbringen«, sage ich. »Da gibt es auch einen Gepäckständer.« Ich höre die Worte, als kämen sie aus dem Mund einer Sprechpuppe, und erbebe mit der Zufriedenheit eines Mannes in den besten Jahren. Ja doch, mein Haar ist grau und ausgedünnt. Ja doch, das Ventil in meinem Penis ist undicht, und nach dem Pinkeln gehen immer ein paar Tropfen in die Hose. Aber ich habe zwei Gästezimmer.

Wenn man in Europa lebt, lockt man damit Gäste an, jede Menge Gäste. Die Leute zahlen ein Vermögen für ihren Flug aus den USA. Bei ihrer Ankunft sind sie pleite und erschöpft und würden vermutlich auch in unserem Auto schlafen, wenn wir sie darum bäten. In der Normandie hatten wir ein Haus auf dem Land und quartierten unsere Gäste auf dem Dachboden ein, der gleichzeitig Hughs Studio war und nach Ölfarben und verwesenden Mäusen roch. Er hatte einen rustikalen Spitzgiebel, aber keine Heizung, sodass es entweder zu kalt oder zu heiß war. Das Haus hatte nur ein Bad, eingezwängt zwischen Küche und unserem Schlafzimmer. Gäste mussten also auf die Privatsphäre verzichten, die man gelegentlich auf der Toilette braucht, sodass ich Hugh zweimal am Tag mit vor die Tür nahm und laut rief, als sei dies ganz normal: »Wir vertreten uns genau zwanzig Minuten lang die Beine. Braucht jemand irgendetwas vom Straßenrand?«

Ein anderes Problem in der Normandie war, dass unsere Gäste bloß im Haus herumsitzen konnten. In unserem Dorf gab es kein einziges Geschäft, und der Fußweg ins nächste Dorf war wenig angenehm. Was nicht heißen soll, dass unsere Besucher sich nicht amüsierten – man musste nur der richtige Typ dafür sein, ein Frischluftfanatiker mit genügend eigenem Antrieb. In West Sussex, wo wir zurzeit wohnen, ist es mit dem Besuch etwas leichter. Im Umkreis von fünfzehn Kilometern gibt es eine idyllische Kleinstadt mit einem Schloss und eine genauso malerische Stadt mit siebenunddreißig Antiquitätenläden. In den kalksteingesprenkelten Hügeln kann man wandern und Rad fahren. Mit dem Wagen sind es fünfzehn Minuten zum Strand, und der nächste Pub ist bequem zu Fuß zu erreichen.

Unsere Gäste reisen gewöhnlich von London mit dem Zug an, und bevor wir sie am Bahnhof abholen, erinnere ich Hugh daran, dass wir für die Dauer ihres Aufenthalts das perfekte Paar abgeben werden. Wenn ich am Küchentisch sitze und er hinter mir steht, muss er eine Hand auf meine Schulter legen, genau an der Stelle, wo ein Papagei säße, wenn ich statt des idealen Partners ein Pirat wäre. Wenn ich eine Geschichte erzähle, die er schon so oft gehört hat, dass er sie stumm mitsprechen könnte, muss er so tun, als höre er sie zum ersten Mal, und er muss mindestens so viel, wenn nicht gar noch mehr Begeisterung zeigen wie unsere Gäste. Für mich gilt das auch, und ich muss Entzücken heucheln, wenn er etwas kocht, das ich nicht ausstehen kann, zum Beispiel Fisch mit lauter winzigen Gräten. Vor einigen Jahren habe ich es in der Normandie einmal gründlich vermasselt, als seine Freundin Sue über Nacht blieb und er etwas auftischte, das aussah wie eine Haarbürste. Und zwar derart vermasselt, dass ich hinterher ernsthaft überlegte, sie umbringen zu lassen. »Sie weiß zu viel«, sagte ich zu Hugh. »Diese Frau stellt eine Gefahr dar, und wir müssen sie aus dem Weg schaffen.«

Seine Freundin Jane hat auch ein paar unschöne Dinge gesehen, und obwohl ich sie und Sue mag und beide seit zwanzig Jahren kenne, fallen sie doch unter die Kategorie von Hughs Gästen. Das bedeutet, dass ich zwar meine Rolle spiele, aber nicht für ihre Unterhaltung zuständig bin. Natürlich biete ich hin und wieder einen Drink an. Ich erscheine zu den Mahlzeiten, aber ansonsten kann ich kommen und gehen, wie es mir gerade passt, und auch schon mal mitten im Satz aufstehen. Mein Vater hat das sein Leben lang gemacht. Man redet mit ihm, und er verschwindet einfach, nicht, weil er wütend wäre, sondern weil das Gespräch für ihn beendet ist. Ich war etwa sechs, als mir das zum ersten Mal auffiel. Man sollte meinen, es hätte mich gekränkt, aber stattdessen sah ich nur auf seinen entschwindenden Rücken und dachte: Und damit kommt man durch? Einfach so? Yippie!

Letztes Jahr zu Weihnachten waren drei meiner Schwestern zu Besuch, wobei Gretchen und Amy die beiden Gästezimmer bekamen. Also überließen wir Lisa unser Schlafzimmer und zogen nach nebenan in den umgebauten Stall, in dem ich mein Arbeitszimmer habe. Eine Sache, die Hugh während ihres Aufenthalts auffiel, war, dass mit Ausnahme von Amy und mir niemand in meiner Familie je gute Nacht sagt. Die Leute gehen einfach aus dem Zimmer – manchmal mitten beim Essen – und tauchen erst am nächsten Morgen wieder auf. Meine Schwestern waren meine Gäste, aber weil sie zu dritt waren und sich miteinander unterhalten konnten, musste ich mich nicht die ganze Zeit um sie kümmern. Nicht, dass ich mich nicht mit ihnen abgegeben hätte. In unterschiedlichsten Konstellationen gingen wir wandern oder fuhren mit dem Rad herum. Aber ansonsten saßen sie im Wohnzimmer und plauderten oder versammelten sich in der Küche, um Hugh beim Kochen zuzusehen. Ich gesellte mich eine Weile dazu und sagte dann, ich hätte zu tun. Was nichts anderes bedeutete, als nach nebenan in den Stall zu gehen, den Computer anzuschalten und einem spontanen Einfall folgend zu googeln, was Russell Crowe denn gerade so machte.

Einer der Gründe, warum ich die drei eingeladen und ihnen sogar die Flugtickets bezahlt hatte, war das Gefühl, es könnte das letzte Mal sein. Bis auf meinen Bruder Paul, der keinen Pass hat, aber schwört, ein Elektriker auf dem Bau habe ihm versichert, man könne einen am Flughafen kaufen, sind wir inzwischen alle über fünfzig. Von schlimmeren Krankheiten sind wir bislang verschont geblieben, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis uns das Glück verlässt und einer von uns Krebs bekommt. Und dann wird es einen nach dem anderen treffen, wie Figuren in der Schießbude.

Ich hatte die Tage bis zu ihrer Ankunft gezählt, warum war ich also nicht nebenan und saß mit Hugh in unserer Küche aus dem sechzehnten Jahrhundert mit dem Steinboden und dem knisternden Kaminfeuer? Vielleicht machte ich mir Sorgen, meine Familie würde mir auf die Nerven gehen, wenn ich mich zwischendurch nicht entfernte, oder noch wahrscheinlicher, ich würde ihnen auf die Nerven gehen, und unsere gemeinsame Woche würde nicht so harmonisch verlaufen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Also verzog ich mich in mein Arbeitszimmer und schlug irgendwie die Zeit tot. Dann ging ich zurück ins Haus und hörte Dinge, bei denen ich wünschte, nie fortgegangen zu sein. Es war so, als würde man eine Stunde zu spät ins Kino kommen und sich fragen: Wie ist das Känguru nur an den Nunchaku gekommen?

Eine der Geschichten, deren Anfang ich verpasste hatte, drehte sich um Tabletten, die meine Schwester Gretchen seit eineinhalb Jahren nahm. Sie sagte nicht, warum der Arzt sie ihr verschrieben hatte, sondern nur, dass sie deswegen nachts schlafwandelte und im Schlaf aß. Ich selbst hatte es letztes Jahr an Thanksgiving, das wir in einem Haus auf Hawaii verbracht hatten, miterlebt. Wir hatten um sieben zu Abend gegessen, und gegen Mitternacht, etwa eine Stunde nachdem sie schlafen gegangen war, kam Gretchen aus ihrem Zimmer. Hugh und ich sahen von unseren Büchern auf und beobachteten, wie sie in die Küche ging. Dort nahm sie den Truthahn aus dem Kühlschrank und fing an, Fleischstücke mit den Fingern abzuzupfen. »Warum holst du dir keinen Teller?«, fragte ich, worauf sie mich ansah, nicht verächtlich, sondern ausdruckslos, als habe sie nur den Wind vor der Tür gehört. Dann streckte sie ihre Hand in das Tier und holte etwas von der Füllung heraus. Wählerisch pickte sie daran herum, bis sie beschloss, sie hätte genug, und in ihr Zimmer zurückging, ohne sich um die Schweinerei in der Küche zu kümmern.

»Was war das heute Nacht?«, fragte ich sie am nächsten Morgen.

Gretchens Gesicht stellte sich auf schlechte Nachrichten ein. »Was war was heute Nacht?«

Ich erzählte ihr, was passiert war, und sie sagte: »Verdammt. Ich habe mich schon gefragt, woher die braunen Flecken auf meinem Kopfkissen kommen.«

Nach der zur Hälfte verpassten Geschichte zu urteilen war Thanksgiving noch eine vergleichsweise harmlose Nacht für Gretchen gewesen. Einige Wochen nach der Episode mit dem Truthahn war sie in North Carolina morgens in die Küche gekommen und hatte auf der Anrichte ein offenes Marmeladenglas mit lauter Krümeln darin entdeckt. Zuerst hatte sie gedacht, es handele sich um Kekskrümel. Doch dann hatte sie den umgekippten Karton gesehen und bemerkt, dass sie einen der Futterriegel gegessen hatte, die sie normalerweise zerbröselt und an ihre Zierschildkröten verfüttert. Die Riegel sind etwa zehn Zentimeter lang und bestehen aus toten Fliegen, die wie Holz-Briketts zusammengepresst werden. »Nicht nur das«, sagte sie. »Nachdem ich damit fertig war, habe ich noch sämtliche Blüten von meinem Weihnachtsstern gegessen.« Sie schüttelte den Kopf. »Er stand auf der Anrichte neben dem Karton mit dem Schildkrötenfutter, und es waren bloß noch die Stängel übrig.«

Ich ging zurück in mein Arbeitszimmer, überzeugter denn je, dies wäre unser letztes gemeinsames Weihnachten. Ich meine, Fliegen! Wenn man sich schon im Schlaf über das Futter der Haustiere hermacht, sollte man sicherheitshalber seine Schildkröten gegen einen Hamster oder ein Kaninchen eintauschen, irgendein Tier, das ungefährlich ist und sich vegetarisch ernährt. Und wenn man einmal dabei ist, sollte man die Zimmerpflanzen gleich mit entsorgen – als Erstes den Kaktus – und die Reinigungsmittel unter Verschluss aufbewahren.

Später am Abend räkelten sich meine Schwestern wie Katzen vor dem Holzofen im Wohnzimmer. »Früher habe ich im Spiegel immer mein Gesicht betrachtet«, sagte Gretchen und blies eine Wolke Zigarettenqualm in die Luft. »Heute überprüfe ich, ob meine Nippel auf gleicher Höhe sind.«

O mein Gott, dachte ich. Wann hat das angefangen? Das letzte Mal, dass wir an Weihnachten alle zusammensaßen, war 1994 gewesen. Damals waren wir bei Gretchen in Raleigh, und sie hatte als Erstes am Morgen ihren Ochsenfrosch gefüttert, der ungefähr so groß wie ihr Bügeleisen war und Pappy hieß. Er schwamm in einem trüben, beheizten 120-Liter-Aquarium, das im Wohnzimmer auf dem Boden stand, gleich neben der Kasserolle, in der drei Molche hausten. Dieses Weihnachten war alles andere als normal gewesen, da unsere Mutter drei Jahre zuvor gestorben war. Es schien eine gute Idee, mit der Tradition zu brechen und etwas ganz anderes auszuprobieren. Deshalb das Haus meiner Schwester mit seinem Hauch von Sumpf statt unseres Elternhauses, in dem wir groß geworden waren und um das sich zu viele Geschichten rankten. Gretchens hüftlanges Haar ist seit jenem Weihnachten silbern geworden, und wenn sie schlafwandelt, humpelt sie ein bisschen.

An unserem ersten gemeinsamen Tag in Sussex zwängten wir uns alle in den Volvo und fuhren zu der Stadt mit den siebenunddreißig Antiquitätenläden. Hugh fuhr, und ich kroch nach hinten auf die Ladefläche und dachte glücklich: Da wären wir wieder, meine Schwestern und ich im Kombi, genau wie damals, als wir noch jung waren. Wer hätte 1966 daran gedacht, dass wir einmal gemeinsam im Wagen durch Südengland fahren würden, ohne dass sich auch nur für einen von uns seine Zukunftspläne erfüllt hatten? Amy war nicht Polizistin geworden, wie sie immer gehofft hatte. Lisa war keine Krankenschwester geworden. Niemand hatte ein Haus voller Diener oder einen zahmen Nasenaffen, aber wir hatten uns dennoch ganz tapfer geschlagen, oder?

In einem der Antiquitätenläden, die wir an diesem Nachmittag besuchten, entdeckten wir eine Richterperücke. Sie war widerlich und hatte alle Farben einer dreckigen Unterhose, was Amy und Gretchen nicht daran hinderte, sie aufzusetzen.

»Nein, danke«, sagte Lisa, als man ihr das Teil reichte. »Ich möchte nicht eure sämtlichen Bazillen auf meinem Kopf haben.«

Ihre Bazillen, dachte ich.

Um vier Uhr nachmittags ging die Sonne unter, und als wir uns auf den Heimweg machten, war es bereits dunkel. Ich nickte auf der Ladefläche kurz ein, und als ich aufwachte, redete Lisa gerade über ihre Gebärmutter, insbesondere die Sorge, ihre Gebärmutterschleimhaut könne zu dick sein.

»Wie in aller Welt kommst du denn da drauf?«, fragte Amy.

Lisa nannte den Namen einer Freundin und sagte, was Cynthia passiert sei, könne auch sie treffen. »Oder jede von uns«, sagte sie.

»Und was heißt das?«, fragte Gretchen.

»Dann müssen wir eine Ausschabung machen lassen«, erklärte Lisa.

Ich hob meinen Kopf über die Rückbank. »Woraus besteht die Gebärmutterschleimhaut überhaupt?« Ich stellte mir etwas Süßes und Gallertartiges vor. »So wie das Zeug, aus dem Trauben sind?«

»Das wäre Traubenfleisch«, sagte Amy. »Trauben bestehen aus Traube.«

»Tatsächlich eine gute Frage«, sagte Lisa. »Woraus besteht die Gebärmutterschleimhaut? Blutgefäße? Nerven?«

»Was für eine Familie«, sagte Hugh. »Kaum zu glauben, worüber ihr euch so unterhaltet.«

Später erinnerte ich ihn an den Besuch seiner Schwester Anne in der Normandie. Ich war eines Nachmittags von einer Fahrradtour zurückgekommen und hatte beim Betreten des Wohnzimmers gehört, wie sie zu ihrer Mutter Joan, die ebenfalls zu Besuch war, sagte: »Findest du nicht auch, dass sich ein Leguan großartig anfühlt?«

Am gleichen Abend, nach meinem Bad, hatte ich mitbekommen, wie sie ihre Mutter fragte: »Kann man dazu nicht auch Kamelbutter nehmen?«

»Kann man«, sagte Mrs. Hamrick, »aber ich würde es nicht empfehlen.«

Ich wollte schon nachfragen – »Wozu kann man Kamelbutter nehmen?« –, beschloss dann aber, dass mir das Geheimnis lieber war. Das geht mir oft so mit Besuchern. Ich werde mein Leben lang darüber rätseln, was Kristin, die bei mir zu Gast war, meinte, als ich eines Abends in den Hof trat und sie sagen hörte: »Zwergziegen wären ganz hübsch.« Oder, noch seltsamer, als Hughs Vater Sam uns in Begleitung eines alten Freundes aus dem Außenministerium einmal in Frankreich besuchte. Die beiden hatten über ihre gemeinsam in Kamerun verbrachte Zeit Ende der Sechzigerjahre gesprochen, und als ich in die Küche kam, hörte ich Mr. Hamrick sagen: »Also, war der Kerl nun ein Pygmäe oder bloß ein falscher Pygmäe?«

Ich drehte mich um und dachte auf dem Weg in mein Arbeitszimmer, ich frage später nach. Dann starb Hughs Vater, genau wie sein alter Freund aus dem Außenministerium. Vermutlich könnte ich den Begriff »falscher Pygmäe« googeln, aber es wäre nicht dasselbe. Ich hatte meine Chance, es herauszufinden, und ich habe sie vertan.

Hugh bedauert zutiefst, dass sein Vater das Haus in Sussex nicht mehr gesehen hat. Das Gebäude wäre so ganz nach Sams Geschmack gewesen: eine Ruine, die gerade so viel renoviert wurde, dass sie immer noch ziemlich mitgenommen aussieht. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die Elektrik jetzt sicher ist, und wir haben eine Heizung. Aber Mrs. Hamrick kommt uns besuchen, und manchmal sitzen sie und Hugh in der Küche und reden über Sam. Man hört es nicht an aufgeschnappten Gesprächsfetzen, sondern an ihren Stimmen, die auch fünf Jahre nach seinem Tod immer noch zerbrechlich und ehrfürchtig klingen, voller Verlust und Sehnsucht. Genauso war es bei mir und meinen Schwestern, wenn wir von unserer Mutter redeten. Inzwischen, zweiundzwanzig Jahre später, endet fast jedes Gespräch über sie mit dem Satz: »Begreift ihr, wie jung sie noch war?« Bald werden wir selbst zweiundsechzig sein, das Alter, in dem sie an Krebs erkrankte und starb. Und dann werden wir älter sein, was sich falsch und irgendwie widernatürlich anfühlt.

Ich hatte schon lange Zeit vorher beschlossen, dass es dazu nicht kommen und ich auch mit zweiundsechzig sterben würde. Als ich dann Mitte fünfzig wurde, dachte ich, vielleicht sollte ich nicht so streng sein. Nachdem ich nun endlich zwei vorzeigbare Gästezimmer habe, kommt es mir dumm vor, nicht wenigstens etwas ausgiebiger davon zu profitieren.

Wenn unser Besuch abreist, fühle ich mich wie ein Schauspieler, der den Zuschauern beim Verlassen des Theaters zusieht, und bei meinen Schwestern war das nicht anders. Nachdem die Show vorbei war, konnten Hugh und ich wieder in unsere Alltagsrollen zurückfallen. Wir sind kein unausstehliches Paar, aber wir kennen die Sorte Auseinandersetzung, die sich an einer verlegten Socke entzündet und unversehens über alles und jedes geht. »Ich kann dich seit 2002 nicht mehr ausstehen«, zischte er kürzlich, als wir uns am Flughafen darüber stritten, in welcher Schlange der Sicherheitskontrolle es am schnellsten voranginge.

Ich war darüber weniger gekränkt als vielmehr verwundert. »Was war 2002?«, fragte ich.

Im Flugzeug entschuldigte er sich, und als ich den Zwischenfall einige Wochen später beim Essen ansprach, behauptete er, sich nicht daran erinnern zu können. Das ist eine von Hughs vielen herausragenden Eigenschaften: Er klammert sich nicht an Dinge. Eine andere ist seine große Zuvorkommenheit gegenüber alten Leuten, einer Gruppe, zu der ich in nicht allzu ferner Zukunft gehören werde. Es sind nur diese verdammten mittleren Jahre, die ich irgendwie durchstehen muss.

Das Geheimnis besteht natürlich darin, immer etwas zu tun zu haben. Wenn unsere Gäste fort sind, putze ich das Bad und ziehe die Betten ab. Waren es meine Gäste – beispielsweise meine Schwestern –, setze ich mich auf die Kante der Matratze, drücke die Bettlaken an meine Brust und ziehe den Geruch ein, bevor ich wieder aufstehe und auf wackligen Beinen in die Waschküche laufe, die ich mir immer gewünscht habe.