Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.
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Ada Bailey
All The Secrets Between Us
**Bist du bereit, dich deiner Vergangenheit zu stellen?**
Für Mila ist nach dem Tod ihrer Schwester nichts mehr wie zuvor. Über ihrem Leben scheint eine einzige Gewitterwolke zu hängen und so sehr sie sich auch bemüht, diese zu vertreiben, der Sturm in ihrem Herzen will einfach nicht verschwinden. Erst als der mysteriöse Arden in ihrer Heimatstadt Hills Ferry auftaucht, kann Mila langsam wieder frei atmen. Denn obwohl er sie immer wieder zur Weißglut bringt, verschaffen ihr seine tiefgrünen Augen auch ein seltenes Gefühl der Zuflucht. Doch Ardens Vergangenheit ist dunkler, als Mila ahnt, und könnte nicht nur die aufkeimenden Gefühle zwischen ihnen, sondern auch ihr gesamtes Leben für immer zerstören …
Für dich, du bist es wert.
Mila
Der Frühling in West Virginia war jedes Jahr ein Chaos aus Regenfällen, Wolken und Sonne. Es kam mir manchmal ein bisschen vor, als würde irgendein Wettergott gelangweilt herumsitzen und das Wetter täglich neu auswürfeln.
Ich streckte meine Hand aus der Hintertür unseres kleinen roten Holzhauses, das am Waldrand der Kleinstadt Hills Ferry stand, und spürte, wie kalte Tropfen auf meine Haut trafen.
Heute hat er sich also für Regen entschieden. Super.
Schnell spannte ich meinen sonnengelben Regenschirm und hielt ihn wie einen Schild über meine geglätteten schwarzen Haare. Wenn sie nass wurden, verliehen sie mir immer die dezente Optik eines Zwergpudels, nur dass ich dann nicht halb so niedlich aussah.
Meiner Schwester Marcy hatten die dunklen Naturwellen immer gestanden und ihr einen natürlichen Supermodellook verpasst. Ich hingegen musste sie immer glattföhnen, damit ich wie ein normaler Mensch aussah und man mich nicht zufällig mit Bigfoot verwechselte. Es gab einige Menschen in dieser Gegend, die schworen, dass sie Bigfoot schon gesehen hatten und ihn wahrscheinlich sogar jagten. Da wollte ich lieber nicht für Missverständnisse sorgen. Denn wenn ich bei 1000 Wege ins Gras zu beißen eins gelernt hatte, dann dass es einen immer treffen konnte. Aber genau genommen war es trotzdem wahrscheinlicher von einem Blitz getroffen zu werden.
Der Regen prasselte auf meinen Regenschirm, der momentan das Einzige war, was hier strahlte. Die Sonne versteckte sich hinter den grauen Regenwolken, die immer dunkler zu werden schienen. Alles um mich herum wirkte trist und grau. Die dichten Laub- und Nadelbäume am Straßenrand warfen schwarze Schatten und verliehen dieser sonst so schönen Gegend eine gruselige Stimmung. Nur das gelegentliche Zwitschern der Vögel erinnerte an den Frühling.
Je weiter ich die asphaltierte Straße in Richtung der Innenstadt entlanglief, desto kürzer wurden die Abstände zwischen den Häusern.
Als ich die hölzerne überdachte Brücke überquerte, die in die Innenstadt führte, wurde der Regen so stark, dass ich das verwitterte »Willkommen in Hills Ferry« Schild am Ende kaum erkannte.
Die rasant prasselnden Regentropfen wurden immer lauter.
Ein kühler Windzug schickte mir einen Schauer durch den ganzen Körper. Ich legte den nassen Schirm auf den Boden und knöpfte die Jeansjacke meiner Schwester zu, die ich jeden Tag trug, seitdem Marcy nicht mehr da war.
Bei dem bloßen Gedanken an sie stiegen mir wie jedes Mal die Tränen in die Augen. Meine Sicht verschwamm und ich konnte nicht genau ausmachen, ob es an meinen Tränen oder dem Regen lag. Vielleicht lag es an beidem.
Es fühlte sich ein bisschen so an, als würde der Himmel mit mir weinen, was mir ein bisschen Trost in diesen dunklen Minuten spendete.
Ich blinzelte und schloss meine Augen für einen Moment, um mich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
Der Regen traf auf den rauschenden Fluss, der unter der Brücke hindurchfloss. Die Blätter und Nadeln des Waldes um mich herum raschelten leise. Ich atmete und ich lebte.
Als ich meine Augen wieder aufschlug, fühlte ich, wie mir die Frühlingskälte in die Glieder fuhr und mich so dazu zwingen wollte weiterzulaufen.
Ich schob den Ärmel der Jeansjacke ein wenig hoch, um einen Blick auf meine Smartwatch zu werfen. Es war Viertel vor neun, was bedeutete, dass Lawrence gleich seine Schicht im Carsons beenden würde und ich ihn ablösen musste.
An jedem anderen Tag wäre es kein Problem gewesen zu spät zu kommen, aber heute musste Lawrence rechtzeitig beim Gericht sein. Immerhin ging es für ihn um das Sorgerecht seiner vierjährigen Tochter Ruby. Ich hoffte so, dass er gewann. Er war charmant und besaß diese typisch britische Freundlichkeit, was bei einem Engländer wohl kaum verwunderlich war. Außerdem gehörte er zu den Menschen, die sich für andere aufopferten. Er tat alles für Ruby, egal was es war.
Je länger ich unter dieser Brücke stand, desto dunkler schien der Himmel zu werden. Der Regen fiel wie eine Wand aus Wasser vor mir herunter und vernebelte mir die Sicht. Ich trat ans Ende der Brücke und lugte unter dem schützenden Dach hervor in den Himmel.
»Verdammt M, reiß dich zusammen. Du bist nicht aus Zucker und Lawrence braucht dich jetzt!«, überredete ich mich selbst, in den Regen zu treten und den Weg ins Bistro wieder aufzunehmen.
Gerade als ich den ersten Fuß auf die Straße setzen wollte, durchschlug ein lautes Grummeln den Himmel und ließ mich zusammenfahren. Donner.
Ein Gewitter konnte ich gerade so gar nicht gebrauchen.
Meine Hände begannen zu schwitzen, als der erste Blitz über mir entlangzuckte und ein tiefes Grollen hinter sich herzog. Ich zitterte und mein Herz pochte, als würde es gleich versuchen aus meiner Brust zu springen.
Wie sehr ich es hasste, dass mich Gewitter so aus der Fassung brachten. Ich war kein Kind mehr und wusste, dass es wahrscheinlicher war, von einem umfallenden Getränkeautomaten erschlagen als von einem Blitz getroffen zu werden. Und doch stand ich hier wie versteinert.
Es war direkt über mir und sorgte dafür, dass ich das Gefühl hatte, auf dieser Brücke eingeschlossen zu sein.
Mir war klar, dass man sich dann am besten verkrümeln sollte und hier herumzulaufen keine gute Idee war. Aber das konnte ich nicht. Also ging ich meine Optionen durch: Früher hätte ich meinen Dad angerufen, damit er mich abholte, doch seit der Sache mit Marcy war er ein anderer Mensch geworden. Er ertränkte sein schlechtes Gewissen und seine Trauer in Whiskey, weshalb ich nicht wollte, dass er sich in seinen Jeep setzte.
Also überlegte ich weiter. Lawrence stand unter Zeitdruck und Mrs Marshall, unsere Köchin hatte Frühschicht gehabt und lag wahrscheinlich schon wieder im Bett. Damit waren auch sie raus.
Ich zog mein Smartphone aus der Jackentasche und wählte die vertraute Nummer des Carsons. Das Freizeichen tönte ein paar Mal, bis der Anrufbeantworter ansprang und ich mich mit meiner eigenen Stimme freudig begrüßte.
»Hallihallo, das ist der offizielle Anrufbeantworter des Carsons Bistro. Leider sind wir gerade total in der Arbeit versunken und können nicht ans Telefon gehen. Schreiben Sie uns gern eine Mail mit ihrem Anliegen an BandB@Carsons.com oder versuchen Sie es einfach später noch mal. Liebe Grüße und haben Sie einen schönen Tag!«
»Verdammt Ber«, fluchte ich. Meine beste Freundin Beryll war meine letzte Hoffnung gewesen. Sie nahm eigentlich immer ab, wenn sie bei uns als Kellnerin arbeitete, weil sie es liebte, mit den Kunden am Telefon zu flirten.
Für einen kurzen Moment hatte ich gehofft, dass sie mich abholen konnte, bis mir einfiel, dass sie wahrscheinlich gerade unseren neuen Kellner einarbeitete. Ich hatte ihn noch nicht kennengelernt, aber Mrs Marshall war nach dem Bewerbungsgespräch letzte Woche ganz aus dem Häuschen gewesen. Aber diese Reaktion hätte wohl jeder bei ihr auslösen können, wenn man bedachte, dass wir aktuell unter einem ziemlichen Personalmangel litten.
Nun musste ich es wohl oder übel zu Fuß versuchen. Das war die einzige Chance, die ich hatte, wenn ich wollte, dass der gute Lawrence es noch rechtzeitig zu seinem Gerichtstermin schaffte.
Ich faltete meinen Regenschirm zusammen und schob ihn an die Seite der Brücke. Es wäre dumm ihn mitzunehmen, wenn ich nicht von einem Blitz getroffen werden wollte.
Ein letztes Mal holte ich tief Luft und versuchte mich so gut es ging zu entspannen. Das gehörte nicht unbedingt zu meinen leichtesten Übungen.
Für die meisten Menschen in meinem Leben stellten Blitz und Donner kein Problem dar, aber mir machten sie Angst. Sie lähmten mich.
Aber jetzt hatte ich keine Zeit, um mich lähmen zu lassen. Ich musste ins Carsons.
Du kannst das, Mila. Wirklich. Das sind nur elektrisch aufgeladene Wassertropfen in einer Wolke voll warmer Luft.
Mein Versuch mich zu beruhigen war nicht von Erfolg gekrönt, was mit großer Wahrscheinlichkeit an der Kombination aus Elektrizität und Wasser lag.
Also versuchte ich es mit der herkömmlichen Methode und erpresste mich selbst.
Wenn du jetzt nicht losläufst, wirst du der Grund dafür sein, dass Ruby bei ihrem manipulativen Miststück von Mutter bleibt. Du wirst Lawrence damit das Herz brechen.
Lawrence’ Ex-Freundin Lenora gehörte nicht zu der Sorte Mensch, die man als sympathisch oder aufgeschlossen bezeichnete. Sie war arrogant und hatte ihn, seit er seinen Job bei der Bank of America quittiert hatte, mehr als nur einmal mit seinem ehemaligen Vorgesetzten betrogen. Nun war sie wieder schwanger und bekam das, worauf sie aus war. Unterhalt. Das Geld war auch der einzige Grund, weshalb sie das Sorgerecht für Ruby wollte. Das hatte sie Lawrence mehr als einmal deutlich gesagt. Also versuchte er es mit allen Mitteln zu verhindern und wenn ich das jetzt nicht packte, wäre es meine Schuld, wenn er verlor.
Du musst nur einen Fuß vor den anderen setzen. Immer wieder.
Also gut, jetzt oder nie. Ich sog allen Mut, den ich aufbringen konnte, in mich ein, bevor ich losrannte. Ein kurzer Blick in den Himmel genügte, um die gleißenden Blitze über mir zu beobachten. Das Unwetter wurde stärker und trotzdem ignorierte ich das flaue Gefühl in meinem Magen.
Meine Schuhe platschten durch die Pfützen auf dem Asphalt, während ich »Du tust das für Lawrence. Lawrence ist dein Freund« immer wieder vor mich hin säuselte, als wäre es mein Mantra. In Sekundenschnelle weichten meine blassgelben Vans durch und auch der Saum meiner Jeans blieb nicht trocken. Der Regen, der aus den grollenden grauen Wolken fiel, tat währenddessen sein Übriges und durchnässte den Rest.
Mit umklammerten Armen lief ich den üblichen Weg in Richtung der Stadt. Als plötzlich helle Lichter an mir vorbei strahlten, wurde meine Anspannung noch größer. Ein lautes Grollen folgte. Das Bild eines hinter mir einschlagenden Blitzes schlich sich wie ein böses Omen in meine Gedanken. Das Geräusch kam näher und ich erwischte mich dabei, noch schneller zu laufen.
Ich spürte jeden einzelnen Tropfen, der durch meine Jacke an meine Haut drang. Der Regen war überraschend warm, aber angenehm wurde er dabei trotzdem nicht.
»Pong Pong«, ertönte ein lautes Hupen und holte mich aus meinen Gedanken. Ich sprang von der Straße ins nasse Gras und blieb automatisch stehen.
Ein neuer violetter Geländewagen hielt neben mir und fuhr die Fensterscheiben runter. Fast augenblicklich trafen mich die tiefgrünen Augen des Fahrers.
»Wollen Sie mitfahren? Ich fahre in die Stadt, nach Hills Ferry. Wie es der Zufall so will, habe ich noch Platz für eine Person«, fragte er grinsend. Der Fremde strich sich mit einer Hand durch seine dunklen Haare, während die andere lässig auf dem Lenkrad lag.
»Ich steige nicht bei Fremden ins Auto«, antwortete ich automatisch und begann weiter in die Richtung der Stadt zu laufen.
Meine Schwester hatte immer gemeint, ich wäre zu steif und langweilig, aber ich hielt mich einfach nur für verantwortungsbewusst. Wer wusste, was dieser Kerl wirklich wollte. Vielleicht hatte er vor mich zu entführen und umzubringen. Als er nun begann im Schritttempo neben mir herzufahren, sorgte das jedenfalls nicht dafür, dass ich mich sicherer fühlte. Also beschleunigte ich wieder fast wie von selbst.
»Lobenswert, gut. Dann stelle ich mich kurz vor. Ich bin Arden, Arden Kingsley. Ich bin dreiundzwanzig, komme aus England und bin sowas wie ein britischer Gentleman. Außerdem ziehe ich gerade her.«
»Ich wusste gar nicht, dass britische Gentlemen so aufdringlich und zwielichtig sind«, antwortete ich mit nach vorne gerichtetem Blick.
»Autsch, also als zwielichtig hat mich noch niemand bezeichnet. Das kratzt jetzt etwas an meinem Ego.«
Dass ich statt ihm zu antworten einfach weiter geradeaus lief, schien ihn zu wurmen. Hätte ich keinen Zeitdruck gehabt und wäre mir Arden an einem anderen Ort begegnet, hätte ich ihn wahrscheinlich anziehend oder zumindest interessant gefunden. Er passte optisch total in mein Schema. Sein charakterlicher erster Eindruck war allerdings alles andere als gut. Er kam arrogant rüber und hatte mir eine Spur zu viel von einem Womanizer.
»Ich will doch einfach nur meine Hilfe anbieten, weil du klatschnass bist und es gefährlich ist bei einem Gewitter draußen herumzulaufen. Außerdem, wenn wir ehrlich sind, dann sehe ich weder wie ein Axtmörder noch wie ein Entführer aus«, versuchte er erneut ein Gespräch anzufangen. Dass er dabei auf sein Gesicht deutete, ließ mich mit den Augen rollen.
Sein Ausdruck hatte etwas Arrogantes. Arden schien genau zu wissen, wie attraktiv ihn seine scharfen Wangenknochen und das schiefe Lächeln machten. Zwar hatte er nichts von einem Entführer, sympathischer wurde er dadurch trotzdem nicht.
»Vielleicht solltest du dann aufhören, dich wie ein potenzieller Entführer zu verhalten. Neben mir herzufahren und mich anzustarren, ist nicht besonders vertrauenserweckend«, stellte ich gereizt von seiner arroganten Vorstellung klar.
In dem Moment als Arden lachte, durchschnitt ein Blitz die Luft und ließ mich zusammenfahren. Dies blieb meinem Gegenüber nicht unbemerkt. Das Grinsen auf seinen Lippen wurde schelmisch.
»Touché, aber dann kann ich dich beruhigen. Du bist einfach nicht mein Typ.«
Seine Worte versetzten mir einen Stich. Ich weiß, dass sie mich nicht hätten kränken dürfen, aber das taten sie. Wer hörte schon gerne von einer attraktiven Person, dass man nicht ihr Typ war? Ich meine, was wollte er mir damit sagen? Dass er zu gut für mich wäre oder ich nicht attraktiv genug aussah? Unabhängig davon, dass die Situation so strange war wie diese, sagte man das doch zu niemandem.
Ein Knall riss mich aus meinen Gedanken zurück ins Hier und Jetzt. Seinem Gesicht nach zu urteilen war ihm das nicht entgangen.
»Aber so wie’s aussieht hat da jemand Angst vor Gewittern.«
»Wow, gut geraten, Prinz Obvious, und was bringt dir diese Info jetzt? Ich werde mich trotzdem nicht von dir retten lassen und in die Stadt laufen«, blaffte ich, weil ich zugeben musste, dass es mich unangenehm traf, wie ihm jetzt auch noch meine Schwäche aufgefallen war.
Aber statt etwas darauf zu antworten, brachte er den Wagen ruckartig zum Stehen und sah mich überrascht an. Automatisch blieb auch ich stehen.
Arden starrte mich einen Moment ungläubig an. Meine Hände kribbelten und ich spürte die Spannung, die um mich herum in der Luft zu liegen schien. Der Regen, der auf die Motorhaube prasselte, und die dunklen Wolken, aus denen es verheißungsvoll grummelte, sorgten nicht gerade dafür, dass ich mich wohler fühlte. Für einen Augenblick sagte niemand etwas, bis der aufheulende Motor von Ardens Pick-up die Wortlosigkeit zerriss.
»Na dann. Es freut mich auch, dich kennengelernt zu haben.« Er fuhr das Seitenfenster wieder hoch und drückte aufs Gas.
Wenige Sekunden später kam ich dann in den Genuss seiner Rücklichter. Überraschenderweise ärgerte ich mich einen Moment lang, dass ich das Angebot nicht angenommen hatte, weil ich so noch rechtzeitig ins Carsons gekommen wäre. Auf der anderen Seite war ich aber auch stolz, dass ich nicht eingeknickt war.
So oder so war es jetzt wie es war. Also tat ich es wie zuvor auch schon. Ich nahm mein Herz in die Hand und rannte durch den Regen zurück in die Stadt.
Arden
»Waitin’ on a Sunny Day« dudelte es ironischerweise aus dem Autoradio, während der Platzregen auf die Windschutzscheibe meines Pick-ups hämmerte und mich zwang langsam zu fahren.
Links und rechts von mir ragten hohe Nadelbäume in den Himmel und sorgten für herbstliche Stimmung im späten Frühling.
Manchmal fragte ich mich, wo die Zeit hinlief, wenn sie an mir wie ein D-Zug vorbeirauschte.
Es waren zwei Wochen vergangen, seit ich mein Leben aufgegeben und mich für einen Neustart entschieden hatte, und trotzdem fühlte es sich an, als wäre es erst gestern passiert.
Bei dem Gedanken daran, wie es gewesen war, als ich mal so etwas wie eine Familie oder Freunde gehabt hatte, spürte ich, wie sich Wut in mir ausbreitete: Wut auf mich selbst, weil ich es so grandios verbockt hatte.
Manchmal fühlte es sich an, als hätte ich die scheiß Apokalypse ausgelöst. Und wieder einmal wurde mir klar, dass diese Schuld, die wie Gehwegplatten auf meinen Schultern lastete, für immer ein Teil von mir sein würde. Das Einzige, was ich tun konnte, um mir nicht selbst die Kraft zum Leben zu rauben, war neu anzufangen und zu vergessen.
Man sagt, dass Zeit alle Wunden heilte, aber das war eine Lüge. Zeit gab uns nur die Möglichkeit, unsere Wunden zu vergessen oder zu ignorieren. Irgendwann würde auch ich es schaffen und ein normales Leben führen. Vielleicht würde ich sogar aufhören können, mich selbst zu verurteilen.
Auch wenn ich momentan noch Probleme damit hatte, es mir zuzugestehen glücklich zu sein, war das mein Ziel.
Gerade als ich die fröhliche Musik im Radio aufdrehen und mich zu einem Lächeln zwingen wollte, fiel mir eine Frau am Straßenrand ins Auge. Sie lief völlig durchnässt vom strömenden Regen des Gewitters in Richtung Hills Ferry. Sie hatte die Arme fest umschlungen, als würde sie frieren.
Ich drosselte mein Tempo noch weiter und ließ das Seitenfenster meines Pick-ups herunter, weil ich Mitleid mit ihr hatte. Niemand sollte bei so einem Unwetter alleine draußen herumlaufen müssen.
»Wollen Sie mitfahren? Ich fahre in die Stadt, nach Hills Ferry. Wie es der Zufall so will, habe ich noch Platz für eine Person«, fragte ich und schenkte ihr ein Lächeln.
Erschrocken sah sie mir direkt in die Augen. Ihre Augen waren so warm und dunkel wie heiße Schokolade. Mir fiel direkt auf, wie hübsch sie war und wie ängstlich sie aussah.
Die Fremde strich sich ihre langen, nassen und leicht welligen schwarzen Haare hinters Ohr. Wie ein Spiegel fuhr ich mir mit einer Hand durch meine Haare, während die andere auf dem ledernden Lenkrad ruhte.
»Ich steige nicht bei Fremden ins Auto.« Ihre Stimme klang samtweich, aber bestimmt. Sie wusste, was sie wollte, eine Eigenschaft, die ich bei Menschen schätzte, auch wenn ich es unklug fand, in solch einem starken Gewitter draußen herum zu laufen.
»Lobenswert, gut. Dann stelle ich mich kurz vor. Ich bin Arden, dreiundzwanzig, komme ursprünglich England und bin so was wie ein britischer Gentleman. Außerdem ziehe ich gerade her.« Ich versuchte mich so charmant wie ich konnte zu verhalten, was nicht leicht war, wenn man gerade log, dass sich die Balken bogen. Charmant sein gehörte schon lange nicht mehr zu meinen Stärken, aber ich wollte ihr ein besseres Gefühl geben, denn es war offensichtlich, dass sie Angst hatte.
»Ich wusste gar nicht, dass britische Gentlemen so aufdringlich und zwielichtig sind.«
Sie wandte sich von mir ab und starrte die verregnete Straße entlang, als wäre es eine Qual für sie, mich anzusehen.
»Autsch, also als zwielichtig hat mich noch niemand bezeichnet. Das kratzt jetzt etwas an meinem Ego«, versuchte ich erneut die Stimmung aufzulockern, doch sie antwortete nicht.
»Ich will doch einfach nur meine Hilfe anbieten, weil du klatschnass bist und es gefährlich ist, während eines Gewitters draußen herumzulaufen. Außerdem, wenn wir ehrlich sind, dann sehe ich weder wie ein Axtmörder noch wie ein Entführer aus.«
Doch statt zu lachen oder auch nur ein wenig über meine übertriebene Darstellung zu lächeln, rollte sie abwertend mit den Augen, als würde sie sich für etwas Besseres halten. Ich kannte solche Mädchen, ich hatte Tage und Nächte mit ihnen verbracht.
»Vielleicht solltest du dann aufhören, dich wie ein potenzieller Entführer zu verhalten. Neben mir herzufahren und mich anzustarren, ist nicht besonders vertrauenserweckend«, stellte sie zickig klar.
Obwohl ich mit jedem Wort, das ihre liebliche Stimme von sich gab, weniger Lust hatte ihr zu helfen, musste ich darüber lachen, wie absurd diese Situation war. Natürlich hatte sie recht. Zugegeben, mir war gar nicht aufgefallen, dass ich im Schritttempo neben ihr hergefahren war. Kein Wunder, dass sie misstrauisch war und versuchte, ihre Unsicherheit mit zickigen Bemerkungen zu überdecken. Gerade als ich versuchte, mein unpassendes Lachen zu beenden, um ihr zu sagen, dass sie recht hatte, zuckte ein Blitz über uns hinweg. Die Fremde zuckte zusammen.
Mir wurde klar, dass es etwas gab, vor dem sie in dieser Situation noch mehr Angst hatte, als vor einem seltsamen jungen Mann, der versucht hatte, sie in sein Auto zu bekommen.
»Touché. Aber da kann ich dich beruhigen. Du bist nicht mein Typ«, versuchte ich sie zu beruhigen, auch wenn es definitiv eine Lüge war. Ich fand sie ziemlich attraktiv, aber sie hielt mich schon genug für einen Psychopathen, weshalb ich es für keine gute Idee hielt, ihr das auch noch zu sagen. Immerhin kannten wir uns nicht.
Als sie bei einem weiteren Blitz zusammenzuckte, konfrontierte ich sie grinsend mit meiner Beobachtung. Vielleicht lockerte das ja die Stimmung.
»So wie’s aussieht hat da jemand Angst vor Gewittern.«
Ertappt sah sie in meine Richtung.
»Wow, gut geraten, Prinz Obvious, und was bringt dir diese Info jetzt? Ich werde mich trotzdem nicht von dir retten lassen und in die Stadt laufen.«
Ihre Worte durchzuckten mich wie die Blitze den Himmel.
Was hatte sie da gerade gesagt?
Für eine Sekunde schossen die Bilder dunkler Erinnerungen durch meinen Kopf und ließen meine Stimmung schlagartig kippen. Meine Hände krampften sich um das Lenkrad. Gut, wenn sie nicht gerettet werden wollte, würde ich es nicht weiter versuchen. Im Retten war ich bisher sowieso jedes einzelne Mal in meinem Leben gescheitert.
»Na dann. Es freut mich auch, dich kennengelernt zu haben«, presste ich heraus und fuhr das Seitenfenster wieder hoch, bereit, sie mit ihrer Angst allein zu lassen, um nicht länger mit meiner allein sein zu müssen. Denn eins war klar, ich musste unter Leute. Sofort.
Ich drückte das Gaspedal durch, bis ich auf Widerstand traf und der Motor meines Wagens eine Sekunde lang aufheulte, als hätte er Schmerzen.
Meine Augen richtete ich starr auf die Straße, ohne einen Blick in den Rückspiegel zu werfen.
Bäume, Pfeiler und Brückengeländer rauschten an meinen Fenstern vorbei, während die Kleinstadt vor mir immer weiter zu wachsen schien.
Ich hatte mir Hills Ferry nicht als neuen Zufluchtsort ausgesucht, weil es so malerisch schön oder wie eine Insel von Wasser umgeben war, obwohl beides zutraf. Nein, ich hatte es mir ausgesucht, weil es weit weg von meinem Leben und ich hier unbekannt war.
Die Miete für die Wohnung, in die ich zog, hatte ich bereits für sechs Monate im Voraus gezahlt. Sie lag über einem kleinen Café, in dem ich mich schon wie ein normaler Mensch jeden Morgen Kaffee trinken sah.
Langsam fuhr ich in die Stadt herein, während meine Augen die Backsteinfassaden der Läden nach dem Schild des Cafés absuchten. Da war es:
Flora’s Flowers, Luigi’s … Carson’s Bistro
Ich lenkte den Wagen auf einen der freien Parkplätze am Straßenrand vor dem Carsons und stellte den Motor ab. Ein kurzer Blick auf die zum Sitzen zu schmale Rückbank des Pick-ups verriet mir, dass sich meine schwarze Reisetasche nicht einen Zentimeter verrutscht war, seit ich New York den Rücken gekehrt hatte. Darin war beinahe alles, was ich noch besaß, was so wenig war, dass es ein Witz hätte sein können. Mein neues Leben passte in diese Tasche, jetzt musste ich es nur noch auspacken.
Ich griff nach der Tasche und zog sie mit einem Ruck zu mir nach vorn. Den Griff fest umschlossen stieg ich aus und schloss den Pick-up ab, obwohl diese Kleinstadt zu den sichersten des Landes gehörte. So war das wohl, wenn man wie ich aus New York kam.
Zielstrebig überquerte ich den Bürgersteig zu dem Laden mit den fast bodentiefen schwarzen Fenstern und der gläsernen Tür, die einen sofort dazu einluden, das moderne Interieur zu bestaunen. Die schwarze Markise vor dem Laden bot ein paar Fußgängern Schutz vor dem Inferno am Himmel.
Als ich die Tür aufdrückte und mir leise Achtzigerjahre-Hits entgegenschallten, fühlte ich die lange Autofahrt von mir abfallen. Ich war die ganze Nacht unterwegs gewesen und bekam nun das erste Mal die Möglichkeit abzuschalten.
Ich suchte mir einen Fenstertisch und ließ die Reisetasche neben mir auf den Boden fallen. Es waren einige Gäste hier und die Bedienung schien ganz schön im Stress zu sein. Ihre schulterlangen pinken Haare wirbelten bei jeder ihrer Bewegungen.
Ich hatte mir das Carsons klassischer vorgestellt. So wie es aussah, hätte es genauso gut ein New Yorker Szeneladen sein können.
Der Tresen bestand aus rustikalem Holz und war umgeben von schwarzen Eisenregalen, in denen Gläser, Teller und Flaschen standen. Überall im Laden hingen nackte Glühbirnen, die warmes Licht spendeten und wie eine Menge Zimmerpflanzen für Gemütlichkeit sorgten.
Alles in mir schrie nach einem Kaffee, weshalb ich beschloss, erst zu frühstücken, bevor ich mein neues Domizil bezog.
Als könnte sie hellsehen, kam die pinkhaarige Kellnerin mit einem breiten Lächeln auf mich zu. Sie trug eine Carsons-Schürze über ihrem Jeansoverall, aus deren Tasche sie einen Notizblock zückte.
»Konnten Sie schon einen Blick auf die Karte werfen?«, fragte sie super freundlich, was mir ein Lächeln auf die Lippen zwang.
»Nein, aber Sie haben bestimmt einen einfachen Kaffee, schwarz und Bagels, oder?«, fragte ich.
Die Kellnerin begann zu lachen.
»Wir sind für unsere Bagels bekannt. Was für einen hätten Sie gern?«
»Ach wirklich?«, fragte ich überrascht.
»Na ja gut, genau genommen sind wir für all unser Essen bekannt. Aber ich bilde mir ein, tolle Bagels zu schmieren«, antwortete die Kellnerin.
»Na, dann überraschen Sie mich. Ich nehme jeden Bagel, den Sie mir schmieren.«
»Wird gemacht. Kaffee kommt gleich.«
Ehe ich etwas Weiteres anmerken konnte, war sie schon wieder hinter dem monströsen Tresen verschwunden.
Erst jetzt nahm ich die moderne Speisekarte aus schwarzem Kartonpapier in die Hand und sah sie durch. Von Frühstück über Cocktails bis hin zu deftigen Burgern, bei dessen Beschreibung mir schon allein das Wasser im Mund zusammenlief, bot das Carsons eigentlich von allem etwas an. Alles bis auf Kuchen. Ein Umstand, der mich überraschte, wenn man sich in Erinnerung rief, dass Nachspeisen in sämtlichen Bistros, die ich kannte, zum Standardsortiment gehörten.
Während ich wartete, strich mein Blick durch den Laden, um jeden Ziegelstein und jedes Blatt in Erinnerung zu behalten. Dies war mein Anfang und von nun an würde alles besser werden, versuchte ich mich zu motivieren, auch wenn ich eher das Gefühl hatte, mich selbst zu belügen.
Aber diese Lüge sollte meine Wahrheit werden.
Die Kellnerin von eben, auf deren Namensschildchen »Beryll« stand, brachte mir schon wenige Minuten später meinen Kaffee und einen Sesam-Bagel, der mit weißem Käse und einer Nusscreme bestrichen war.
Skeptisch musterte ich mein Frühstück, was ihr nicht entging.
»Das ist Ziegenkäse mit Haselnusscreme, süß trifft salzig. So mag unsere Chefin ihn selbst am liebsten«, erklärte sie aufgeregt. Diese außergewöhnliche Konstellation hatte ich nicht auf der Karte entdeckt.
»Und Sie veräppeln mich nicht?«, fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen.
Kichernd schüttelte sie den Kopf.
»Tue ich nicht. Mila schwört darauf«, versicherte sie mir.
»Dann ist Mila Carson Ihre Chefin«, stellte ich fest, bevor ich mich dazu überwand, einen ersten Bissen zu nehmen.
Beryll nickte.
»Ja. Eigentlich gehört das Carsons ihrem Vater, aber der ist seit dem Unfall von Milas Schwester in keinem guten Zustand. Deshalb organisiert sie jetzt alles. Das Bistro, die Wohnung, das …«
»Moment, die Wohnung?«, unterbrach ich sie kauend.
»Über dem Carsons ist eine Wohnung frei. Sie ist allerdings seit Kurzem wieder vermietet. Den Mieter hat aber noch keiner kennengelernt. Mila meinte, er hätte keine Fragen gestellt und einfach ein halbes Jahr im Voraus bezahlt. Wer hat so viel Geld auf einmal? Wir vermuten, dass er vielleicht krumme Geschäfte macht. Vielleicht ein Dealer oder so. Na ja, so oder so ein Glücksfall für den Laden. Finanziell sah es nicht so gut aus, seitdem wir keine Desserts mehr verkaufen«, tratschte Beryll fröhlich.
Gerade als ich sie darüber aufklären wollte, dass ich der ominöse neue Mieter war, zerriss das Türglöckchen die Atmosphäre.
Ich war froh, dass ich bereits zu Ende gekaut hatte, denn sonst hätte ich mich in diesem Moment wahrscheinlich verschluckt.
Mein Blick traf den der durchnässten jungen Frau, die gerade das Carsons betreten hatte. Lange schwarze Haare, schokoladige Augen … Ja, das war definitiv die Frau von vorhin. Welche Ironie, dass wir uns gerade hier wieder trafen.
»Duuu«, rief sie durch den ganzen Raum, als würde sie mich gleich eigenhändig vor die Tür setzen wollen.
»Ja, ich«, antwortete ich knapp, während ich nach meiner Kaffeetasse griff und genüsslich einen großen Schluck der dampfenden Flüssigkeit nahm, während sie aussah, als würde sie gleich erfrieren.
Ihr Blick verfinsterte sich, als sie zu mir herüberkam und sich mit verschränken Armen vor mir aufbäumte, als wäre sie größer als die ein Meter fünfundsechzig, auf die ich sie schätzte.
»Beryll, räum sein Geschirr ab. Der Kunde ist fertig«, wies sie die Kellnerin an. Bei ihrem Tonfall dämmerte mir, dass sie vielleicht Mila Carson sein könnte. Die Blicke der Angestellten und Gäste ruhten auf uns und alle Gespräche waren verstummt, was die junge Frau vor mir nicht beachtete.
»Bin ich nicht. Sehen Sie, da ist noch etwas in meiner Tasse.« Ich hielt ihr die Tasse hin und schwenkte das braune Gold, sodass sich der Geruch nach heißem Kaffee um uns herum ausbreitete.
»Wir bedienen hier keine arroganten Arschlöcher«, sagte sie sauer, auch wenn ich nicht wusste, wann genau sie herausgefunden hatte, dass ich ein Arschloch war.
»Ich denke, dass Ihre Kollegin Ihnen da widersprechen würde.« Ich achtete peinlich genau darauf, dass mein Tonfall so freundlich wie möglich klang. Dass sie ihre Hände zu Fäusten ballte, zeigte mir, dass ich sie damit provozierte.
Was hatte diese Frau nur gefrühstückt, dass sie sich wie eine Irre aufführte? Einen Clown sicher nicht. Eher einen Dämonenfürsten.
Jeder andere Mensch hätte über die seltsame Situation gelacht, aber sie schien einfach keinen Humor zu besitzen. Aus irgendeinem Grund regte sie meine Anwesenheit tierisch auf.
Die junge Frau stützte sich mit beiden Armen auf dem Tisch ab, an dem ich frühstückte, und lehnte sich zu mir herüber.
»Hören Sie, ich werde das jetzt ganz sachlich ausdrücken. Sie werden aufessen, ihre Sachen nehmen, gehen und nie wieder mit mir sprechen. Haben Sie das verstanden?«, herrschte sie mich an.
Ich konnte absolut nichts gegen das Grinsen tun, was sich in diesem Moment auf meinen Lippen breit machte.
»Was?«, fragte sie sauer.
»Sie tropfen in meinen Kaffee.«
In dem Moment indem ich sie darauf aufmerksam machte, löste sich ein Tropfen, glitt an einer ihrer schwarzen Strähnen hinunter, um demonstrativ mit einem leisen »Plopp« in meiner Tasse zu landen.
In einer Comic Serie wäre ihr jetzt Dampf aus den Ohren geschossen, in der Realität veränderte sich nur ihre Gesichtsfarbe von hellem Braun in ein kräftiges Wutrot.
»Raus hier«, hauchte sie.
»Ich fürchte, dass das mit dem nie wieder miteinander sprechen schwierig wird, weil ich nämlich die Wohnung über dem Carsons gemietet habe. Sie sind doch Mila Carson, oder?«
Die Wut in ihrem Gesicht verwandelte sich augenblicklich in Überraschung und verriet mir, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. Damit hatte sie augenscheinlich nicht gerechnet.
Mila verließ, ohne ein weiteres Wort an mich zu verschwenden, den Besucherbereich und verschwand in einem Raum hinter dem Tresen, den ich für die Küche hielt.
Als sie auch nach einigen Minuten nicht zurückkam, hörten die anderen Gäste auf mich zu mustern und verfielen zurück in ihre Gespräche. Ohne zu wissen, was ich jetzt tun sollte, begann ich aus dem Fenster zu starren und die Menschen, die immer wieder vorbeikamen, zu beobachten. Es war nicht klug gewesen, meine Vermieterin so zu verärgern, das wusste ich selbst. Andererseits hatte ich gar nicht gewusst, dass sie meine Vermieterin war, als ich damit anfing.
Mich beruhigte nur, dass ihre hübsche Schale täuschte und sich eine wahre Zicke dahinter verbarg. Ich hatte seit fünf Jahren keine Frau mehr an mich herangelassen und war nicht nach Hills Ferry gekommen, um das zu ändern.
Schweigend nahm ich den letzten lauwarmen Schluck aus meiner Tasse und schwenkte meinen Blick nach draußen.
Es regnete noch immer wie aus Kübeln, auch wenn die Blitze mittlerweile verstummt waren. Das römische Zifferblatt des Kirchturms auf der anderen Straßenseite zeigte an, dass es erst kurz vor zehn war und doch war der Himmel so dunkel, als wäre der Tag gerade dabei zu Ende zu gehen. Das tiefe Bedürfnis, mir eine Decke über den Kopf zu ziehen und das Bett den ganzen Tag nicht mehr zu verlassen, stellte sich ein und sorgte dafür, dass ich fünfzehn Dollar aus meiner Jackentasche kramte, auf den Tisch legte und aufstand.
Mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen bedachte ich Beryll, die im Gegensatz zu ihrer Chefin sehr sympathisch zu sein schien. Stumm nickte ich in die Richtung meines Tisches und hoffte, dass sie sich über die acht Dollar Trinkgeld freute.
Ohne ihre Reaktion abzuwarten, stellte ich mich an den unbesetzten Tresen und räusperte mich laut.
Die Tür zur Küche schwang auf und Mila betrat den Raum. Als sie sah, dass ich derjenige war, der nach Aufmerksamkeit verlangte, verfinsterte sich ihr Blick wieder.
Ohne genau drüber nachzudenken, wie ich das Gespräch am gefahrlosesten begann, redete ich los.
»Da wir ja noch nicht dazu gekommen sind, uns einander richtig vorzustellen, fange ich einfach mal an. Ich bin Arden Kingsley, ihr neuer Mieter. Wären Sie so freundlich, mir meine Wohnung zu zeigen?«
Statt mir wieder irgendetwas Unhöfliches entgegen zu pfeffern, begann Mila furchtbar unecht zu lächeln.
»Natürlich, folgen Sie mir«, presste sie hervor, ohne die Lippen zu öffnen.
Ich wusste nicht, mit wem sie in der Küche gesprochen hatte, aber offenbar war ihr klar geworden, dass es besser war, nicht die Hand zu beißen, die ihre Miete sechs Monate im Voraus bezahlt hatte.
Am Ende des Ladens befand sich eine unscheinbare Holztür, die in einen winzigen Flur führte, in dem sich eine Treppe ins Obergeschoss und eine weitere Haustür befanden, durch die man das Gebäude verlassen konnte, ohne durch das Carsons zu müssen. Dies würde wahrscheinlich der Ausgang werden, den ich nahm, wenn ich der übellaunigen Chefin des Bistros entgehen wollte.
Ich folgte Mila die knarzenden Stufen hinauf, die direkt vor einer überraschend modern aussehenden Metalltür mit Türspion endeten. Wenn man Einkäufe hochtrug, wurde man buchstäblich dazu gezwungen, alles auf der Treppe abzustellen, um die Tür aufschließen zu können.
Memo an mich: nichts einkaufen, das breiter war als eine Stufe.
Mit einem Ruck schob sie die schwer aussehende Tür auf, die den Blick auf einen großen offenen Loft freigab.
Verblüfft schob ich mich an Mila vorbei in die Wohnung, die aus einem großen quadratischen Raum zu bestehen schien.
Der Boden war aus breiten, dunklen Holzdielen, die sich durch das gesamte Zimmer zogen und vor hohen, weiß gestrichenen Ziegelsteinwänden endeten. Es gab einige große Fenster, die mit ihren schwarzen Rahmen und Streben geradezu industriell wirkten.
Links neben der Eingangstür führte eine kleine Wendeltreppe nach oben in einen weiteren offenen Raum, der wahrscheinlich früher mal eine Zwischendecke gewesen war. Das Einzige, was einen vor dem Herabstürzen bewahrte, war ein schmales schwarzes Geländer, das ehrlich gesagt nicht besonders stabil anmutete.
Ich ließ meine Reisetasche auf den Boden fallen und bewegte mich dann langsam durch den Raum. Meine Schritte hallten über das Parkett der leeren Wohnung. Leer war hier das Stichwort.
Ich warf einen Blick über meine Schulter und sah, dass Mila in der Tür stehen geblieben war und die Arme verschränkte. Ihre Augen fixierten mich kühl.
»Stand im Internet nicht, dass sie möbliert vermietet wird? Ich sehe keine Möbel.«
Nun trat meine junge Vermieterin an mich heran und löste ihre Arme aus der abwehrenden Haltung. Sie deutete in die Richtung der Treppe.