Foto: © Léon Haffmans
Yasmine M’Barek, geboren 1999, arbeitet im Ressort X von Zeit Online mit dem Schwerpunkt deutsche Innenpolitik und Union. Daneben besucht sie die Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft. Das Medium Magazin wählte sie 2020 unter die »Top 30 bis 30«. M’Barek lebt in Berlin und arbeitet im ganzen Land.
Anne Dufourmantelle, Verteidigung des Geheimnisses, S. 27.
Laut Infratest Dimap, siehe: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/grosse-mehrheit-laut-umfrage-gegen-gendersprache-17355174.html
Felix Bohr, Lisa Duhm, Silke Fokken und Dietmar Pieper: »Ist das * jetzt Deutsch?«, in: Der Spiegel 10/2021.
Friedrich Merz, 17. März 2021, auf Twitter: https://twitter.com/_friedrichmerz/status/1383343760260567043
Alice Bota, 6. September 2021, auf Twitter: https://twitter.com/AliceBota/status/1434984172863512577
https://www.zeit.de/news/2021-05/24/ploss-will-das-gendern-bei-staatlichen-stellen-verbieten
Anna Schneider, 24. Mai 2021, auf Twitter: https://twitter.com/a_ nnaschneider/status/1396791511866609667
Teresa Bücker, 8. März 2020, auf Twitter: https://twitter.com/teresa buecker/status/1236751039501500416?lang=de
Markus Söder, 24. September 2021, auf Twitter: https://twitter.com/markus_soeder/status/1441450520284209153?lang=de
Siehe etwa: https://www.zeit.de/news/2021-09/10/soeder-csu-gegen-gender-strafzettel
Carolina Schwarz: »Schluss jetzt!«, siehe: https://taz.de/Debatte-ums-Gendern/!5746837/
https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/deutsche-fuehlen-verantwortung-aber-keine-schuld-15446803.html
Danke, Wikipedia! https://de.wikipedia.org/wiki/Whataboutism
https://www.inside-digital.de/news/strompreis-schock-2022-steigende-strompreise-trotz-eeg-senkung-erwartet
Lothar Nickels: »Geschichte der Anti-Atomkraft-Bewegung«, siehe: https://www.planet-wissen.de/technik/atomkraft/das_reaktorun glueck_von_tschernobyl/geschichte-der-anti-atomkraft-bewe gung-100.html
Siehe etwa: https://www.handelsblatt.com/politik/international/ bericht-zum-atomunfall-fukushima-war-menschliches-versagen/ 6836262.html?ticket=ST-379718-9ZOXg9HBce24fw6MVyxs-cas01.example.org
Kerstin Conz: »Ein schneller Ausstieg ist möglich«, siehe: https://www.zeit.de/wirtschaft/2011-03/atom-strom-gutachten
https://www.rnd.de/politik/atomkraft-nein-danke-der-weg-bis-zum-ausstieg-ist-lang-und-teuer-F4ZFMJVSX5BTPJ6TPTIN DRMMZA.html
https://www.top50-solar.de/de/preisvergleich/oekostrom/strom mix.html
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/76558/umfrage/ entwicklung-der-treibhausgas-emissionen-in-deutschland/
Martin Polansky: »Fukushima bringt die Wende«, siehe: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/energiewende-deutschland-101.html
Sebastian Kempkens und Marc Widmann: »Licht aus?«, siehe: https://www.zeit.de/2021/37/stromversorgung-windenergie-erneuerbare-energie-atom-kohle
Ebd.
Michel Friedman, Streiten? Unbedingt!, Berlin 2021, S. 6.
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/atomausstieg-entschaedigung-101.html
FAZ, 1999.
Übrigens, um kein neues Unwissen zu schüren: Dieses Kapitel baut auf den Erkenntnissen von Lukas Haffert auf, der eine hervorragende Abhandlung über die schwarze Null verfasst hat (Die schwarze Null, Berlin 2016).
Deutscher Bundestag 2014e.
https://www.cducsu.de/themen/wirtschaft-und-energie-haushalt-und-finanzen/haushalt-ist-menschenwerk
Nach Rainer Hank, Die Pleite-Republik, München 2012, S. 283.
Jagoda Marinić, Sheroes, S. 14.
Yasmine M’Barek: »Verbünden wir uns!«, in: Die Zeit Nr. 35/2020, v. 20. August 2020.
Siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/OK_Boomer
Rezo: »›OK, Boomer‹ ist okay, Boomer!«, siehe: https://www.zeit.de/kultur/2019-11/generationenkonflikt-ok-boomer-millenials-babyboomer-rezo/komplettansicht
Jagoda Marinić: »Schöner Polarisieren«, siehe: https://www.sued deutsche.de/politik/kolumne-jagoda-marinic-pandemie-debatten kultur-1.4991440?reduced=true
Zitiert aus: Katharina Meyer: »Warum die Hufeisentheorie nicht zeitgemäß ist«, siehe: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/huf eisentheorie-hufeisenschema-rechtsextremismus-afd-linke-thueringen-102.html
Marlene Ickert: »Da geht noch was!«, siehe: https://taz.de/Klima bewegung-und-Intersektionalitaet/!5714810/
Jesko zu Dohna: »Das Klima geht kaputt? Entspannen wir uns!«, siehe: https://www.berliner-zeitung.de/wochenende/das-klima-geht-kaputt-entspannen-wir-uns-li.153169?pid=true
Munroe Bergdorf am 12. Januar 2020 via Twitter. Aufgrund ausufernder Hassnachrichten musste sie ihren Account im Februar 2021 deaktivieren.
Katharina Herrmann, 30. Oktober 2021, auf Twitter: https://twitter.com/KulturGeschwtz/status/1454380284380684290
Marcus Heithecker, Claus Christian Malzahn, Daniel Wetzel: »Jeder zweite Deutsche will, dass Atomkraftwerke weiterlaufen«, siehe: https://www.welt.de/politik/deutschland/plus234739030/Umfrage-Jeder-zweite-Deutsche-will-dass-Atomkraftwerke-weiterlaufen.html
Hengameh Yaghoobifarah: »All cops are berufsunfähig«, siehe: https://taz.de/Abschaffung-der-Polizei/!5689584/
Amna Franzke: »Horst Seehofers Nebelkerze raucht und raucht«, siehe: https://www.zeit.de/campus/2020-09/rassismus-polizei-horst-seehofer-studie-ablenkung
https://twitter.com/azn_german/status/1454047402302771200? s=21
https://www.cnbc.com/2020/07/08/jk-rowling-cancel-culture.html
Zitiert aus einem Interview mit der Frankfurter Rundschau: https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/jagoda-marinic-mir-waere-es-wichtiger-ueber-die-femizide-zu-sprechen-ueber-die-rollenverteilung-in-den-familien-90882333.html
Diese Absätze erschienen bereits als Artikel in der Welt unter dem Titel: »Aber Hauptsache, wir canceln Autofahrer zu Tode«, siehe: https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus226921343/Fridays-for-Future-Aber-Hauptsache-wir-canceln-Autofahrer-zu-Tode.html?
Peter Weissenburger: »Davos, eurozentriert«, siehe: https://taz.de/Vanessa-Nakate-und-das-Foto-der-AP/!5656696/
Zu sehen auf dem YouTube-Kanal des Spiegels: https://www.you tube.com/watch?v=WS2A-3hYp8U
Friedrich Dürrenmatt, Die Physiker, Zürich 1962.
Im Podcast FREIHEIT DELUXE mit Jagoda Marinić vom 5. November 2021.
Bismarck hier und im Folgenden zitiert nach: Hans-Christof Kraus: »Realpolitiker mit Sinn für Staatskunst«, siehe: https://www.nzz.ch/international/deutschland-und-oesterreich/realpolitiker-mit-sinn-fuer-staatskunst-1.18513480
https://willy-brandt.de/willy-brandt/reden-zitate-und-stimmen/zitate/
Ebd.
Ebd.
Jörg Buteweg: »Tagesspiegel: Realpolitikerin Merkel«, siehe: https://www.badische-zeitung.de/tagesspiegel-realpolitikerin-merkel--190225298.html
Siehe: https://www.bbc.com/news/world-europe-50709422
https://www.kas.de/de/web/parteien-lateinamerika/veranstaltungs berichte/detail/-/content/identifizieren-fuehren-veraendern-politik-mittendrin-statt-nur-dabei-
Henrik Müller: »Demokratie braucht Populisten«, siehe: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/martin-schulz-demokratie-braucht-populismus-kolumne-a-1136314.html
Mario Sixtus, 24. Juli 2021, auf Twitter: https://twitter.com/sixtus/status/1418985070816288770
Markus Lanz, ZDF, Sendung vom 27. Oktober 2021.
Byung-Chul Han, Infokratie, Berlin 2021.
Fjodor Dostojewskij, Die Brüder Karamasow, Zürich 2003, S. 45. Übersetzung von Swetlana Geier.
Saskia Littmann: »Was es Rentnern bringt, weiterzuarbeiten«, siehe: https://www.wiwo.de/my/technologie/blick-hinter-die-zahlen/blick-hinter-die-zahlen-72-erwerbstaetige-rentner-was-es-rent nern-bringt-weiterzuarbeiten/27414846.html
https://www.zeit.de/campus/2021-09/ria-schroeder-fdp-politik-bildung-chancengleichheit-bundestag
https://www.tagesschau.de/inland/ampelkoalition-reax-101.html
Für Noah, Angela, Samir und Léon
»Im Grunde bin ich der Meinung, dass ein Schriftsteller seiner inneren Wachstumskurve folgen und auf das Beste hoffen sollte.«
DORIS LESSING
»Die Vorstellung einer heiligen, okkulten Wahrheit, zu der nur eine Initiation den Zugang eröffnet, verstellt den Blick auf die Dimension ihrer Entstehung und ihres Werdens. Was verschleiert ist, wird in einer starren Unzeitlichkeit begriffen. Es ist für alle Ewigkeit verborgen. Nun gibt es aber auch im Geheimen ein Werden.« Anne Dufourmantelle[1]
Liebe Leser,
wie verändert sich eine Gesellschaft? Wie schaffen wir es, uns tiefgreifend neu zu formieren, ohne dass wir als Gemeinschaft auseinanderbrechen und alles im Chaos endet? Das sind die drängenden Frage unserer Zeit. Genau weiß das wahrscheinlich niemand. Ich glaube, es hilft bereits, zu erkennen, was dabei kontraproduktiv ist. Dann ist man bereits einige Schritte weiter. Und dazu kann ich Ihnen einiges sagen. Lassen Sie uns also damit anfangen, zu überlegen, was eine Gesellschaft hindert, sich zu verändern.
Hat meine Anrede Sie bereits stutzig gemacht? Richtig gelesen, ich favorisiere das generische Maskulinum. Das heißt, ich benutze generell die männliche Form, wenn ich spreche und schreibe, eine generelle Anrede, die alle Menschen mit einschließt. Zum Beispiel würde ich auch sagen: »Liebe Zuschauer …« Eigentlich ist dies die üblichste Form aller Ansprachen, mit der die meisten von uns – ob die sogenannte Generation Z (also die ab 1996 geborenen) oder die Boomer – sozialisiert wurden. In der Schule, beim Kinderarzt, beim Beantragen eines Reisepasses oder im Radio – immer galt die männliche Pluralform als allumfassend.
Sprache ist stetig im Wandel. Begrifflichkeiten werden überprüft und gegebenenfalls geändert. Auch Anreden und ihre Wirkung – also wen man ansprechen möchte und wie die Ansprache verstanden wird – werden hinterfragt. So auch beim sogenannten Gendern. Jetzt stellt sich die spannende Frage, weshalb ich diesen Einstieg gewählt habe. An der Frage des Genderns zeigt sich ziemlich exemplarisch, wie wir gesellschaftliche Debatten führen: nämlich ohne dass wir einen Konsens anpeilen, obwohl es alle betrifft. Ein gutes Beispiel dafür also, wie Debatten nicht funktionieren. Meine Präferenz, mit dem generischen Maskulinum zu gendern, ist weder gut noch schlecht. Es ist schlicht eine Option. Zusätzlich momentan aber auch ein durchaus politischer Standpunkt: weil ich so schreibe und spreche, obwohl ich mit der akademischen Tiefe der Genderdebatte vertraut bin. Dabei meine ich, wie bereits erwähnt, damit alle Menschen. Das mag das generische Maskulinum nicht sofort suggerieren, aber allein, dass wir darüber nachdenken, dass das generische Maskulinum nicht alle miteinschließen könnte, ist ja schon eine Folge der Debatte und somit politisch.
Die Debatte darum, ob und wie man gendert, hat groteske Ausmaße angenommen und dazu geführt, dass sich wildfremde Menschen auf der Straße anpöbeln oder Bücher nicht mehr gekauft werden, wenn darin nicht gegendert wird oder vielleicht noch eher gerade, wenn darin gegendert wird.
Wenn Journalisten gendern, dann bekommen sie Nachrichten, in denen ihnen vorgeworfen wird, dass der Journalismus ja gar nicht mehr neutral sei. Linksgrün sei nun überpräsent, einen Text mit Gendergaga könne man ja gar nicht mehr lesen. Wenn ich nicht gendere, fragen mich Menschen, weshalb ich das mache, ob ich bewusst diskriminiere oder es nur vergessen hätte. Falls ersteres der Fall sei, dann seien sie von mir enttäuscht.
Ich nehme das keineswegs persönlich, denn es ist eine durchaus berechtigte Frage, ob man diskriminiert oder nicht. Viel interessanter daran ist, dass deutlich wird, vor welchen Problemen der Journalismus steht. Intern beschäftigt die Debatte, ob man nun gendern soll oder nicht, ganze Redaktionskonferenzen. Journalisten fragen sich, welche pädagogische Aufgabe sie gegenüber den Lesern haben. Oder haben sie überhaupt keine? Eine Kettenreaktion.
Dabei interessiert das Gendern, das scheinbar unseren Bekanntenkreis in Gut und Böse teilt, den kleinen Mann – hier wortwörtlich – gar nicht sonderlich. »Ich hab doch nichts dagegen, mein Gott, wieso ist immer alles gleich so fürchterlich« – so begann eine Konversation im Zug (natürlich im ICE, denn alle zu Selbstüberschätzung neigenden Journalisten reichern ihre Thesen mit Anekdoten aus dem echten Leben an, das sich nun mal zu einem großen Teil in Zoom-Calls, Taxen und Zügen abspielt). Ich entschuldige mich bereits jetzt für die Unannehmlichkeiten, denn dies wird nicht die letzte Anekdote auf Reisen gewesen sein, die sie in diesem Buch von mir hören werden.
Der Mann im Zug war mittelalt, seine Kleidung hatte einen großen Wollanteil, und seine Ledertasche war sicherlich ein Weihnachtsgeschenk. Er las die Frankfurter Allgemeine Zeitung (die auch für ihre interne Diskussion rund ums Gendern bekannt ist – man möchte ja keine Leser umerziehen oder sich der linksgrünen Trendwende anbiedern). Ihm gegenüber saß ich, die erkennbar migrantische Person, zusammen brausten wir in der 1. Klasse eines Intercity-Express in Richtung Berlin – die Aggressionen der Zugteilung in Hamm hatten wir bereits hinter uns. Unser Gespräch startete, weil der Mann mich ganz direkt fragte, was denn ich von diesem Gendern halten würde. So narzisstisch, wie man als Schreiber nun oft ist, dachte ich sofort kurz darüber nach, was in Gottes Namen mich in seinen Augen für diese Ansprache qualifizierte. Werde ich hier marginalisiert, brauchte er die Bestätigung einer jungen Frau, dass seine Weltanschauung doch nicht menschenfeindlich sei, oder war er einfach dringend auf der Suche nach jemandem zum Reden?
»Um ehrlich zu sein, ich gendere persönlich nicht, falls Sie das wissen wollen.«
»Da scheinen Sie ja zu den vernünftigen Personen Ihrer Generation zu gehören.«
»Nein, das denke ich nicht.«
»Na gut, dann nicht.«
Stille. Wo kommt nur dieser Drang her, Menschen anhand ihrer Sprache in Vernunft und Unvernunft einzuteilen? Wir waren uns im Grunde einig, trotzdem war ich auf Hundertachtzig. Wieso zur Hölle generalisierte dieser Herr eine ganze Generation?
»Würde es Sie denn stören«, fragte ich, »wenn ich gendern würde? Was hätten Sie gesagt, wenn ich so geantwortet hätte?«
»Nun ja, dass Sie Leute umerziehen wollen, die damit nie ein Problem hatten. Ich meine, haben wir keine anderen Probleme?«
Er schaut mich verblüfft an.
»Sie anscheinend nicht.«
»Bitte?«
»Da Sie sich ja so sehr am Gendern des Gegenübers zu stören scheinen, haben Sie das Problem.«
»Aber ich habe mit dieser Diskussion doch nicht angefangen! Haben die Leute wirklich nichts anderes zu tun? Ich war auch schon auf Demos.«
Himmel!
»Befreien Demobesuche jetzt von der Teilnahme an gesellschaftlichen Diskussionen?«
»Ich meine ja nur, es gibt doch anständige Dinge, für die man sich einsetzen kann.«
»Sie werten jetzt eine politische Debatte ab, die Ihnen von niemandem aufgezwungen worden ist?«
»Oh doch, die FAZ gendert zumindest nicht, aber die Öffentlichen machen das ja mittlerweile, man kann dem ja nicht entfliehen.«
»Gott segne das reiche Angebot der Medien.«
Er schnaufte.
»Sie sind arrogant.«
»Und Sie verrennen sich.«
Bis Berlin gab es dann nur noch ein paar abgeneigte Blicke, Irritierung und Genervtheit über 37 Minuten Verspätung. Quintessenz: Der Diskurs fällt doch oft genau darauf zurück – auf die Ergötzung des Individuums, die Verabsolutierung der eigenen Meinung. Sowohl von meiner als auch seiner Seite in diesem Fall, so ehrlich muss man sein.
Woher kommt diese Kompromisslosigkeit? Sie zieht sich neuerdings durch alle Debatten in Deutschland wie eine rote Schnur. »Jeder nach seiner Façon?« Längst nicht mehr. Die eigene Meinung konstituiert die Welt, wie sie zu sein hat.
Wenn es nach den Zahlen geht, ist die Sache klar: Rund 65 Prozent der Deutschen wollen nicht gendern. Bei den Anhängern der Grünen sind es knapp 50 Prozent. Innerhalb der SPD sind 57 Prozent dagegen, in der Union gar 68 Prozent. Viel größer wird die Ablehnung bei den Linken mit 72 Prozent, darauf folgen die FDP mit 77 und die AfD mit 83 Prozent. Und besonders spannend: Die Zahlen sind seit der letzten Erhebung vor einem Jahr, nach all den Debatten und Forderungen, nicht etwa gesunken, sondern gestiegen.[2] Wieso ist das Gendern dann überhaupt so ein großes Thema, wo es doch offensichtlich keinen Konsens gibt? Die Diskussion ist längst über die sachliche Analyse hinweg – ob man selbst gendert oder nicht, ist ein Politikum, eine Einstellung, die keineswegs leicht zu entfärben ist.
Man kann auf verschiedene Arten Gendern. Man kann zum Beispiel auch das generische Femininum verwenden. Dann würde es »Liebe Leserinnen« heißen, womit alle Geschlechter angesprochen sein sollen, genau wie bei »Liebe Leser«. Man kann auch ganz explizit Männer und Frauen benennen: »Liebe Leser und liebe Leserinnen«. Aber wie gesagt, das sind dann ganz konkret zwei Geschlechter, was jene Menschen ausschließen würde, die sich keinem der binären Geschlechter zuordnen. Binär sind Mann und Frau. Um auch nichtbinären Menschen gerecht zu werden, könnte man jetzt mit einem Sternchen oder Binnen-I gendern. Außerdem gibt es noch den Doppelpunkt und den Unterstrich, also zum Beispiel so: »Liebe Leser_innen« oder »Liebe Leser:innen« – meistens verbunden mit einer hörbaren Sprechpause. Das soll dann alle existierenden Geschlechter explizit mitmeinen.
Übrigens, und das wird später auch noch mal wichtig: Das Wissen darüber zu haben, was genau was bedeutet und meint und wie diese Begrifflichkeiten korrekt verwendet werden, ist ein höchst akademisches Privileg und zugleich das größte Laster dieser Debatte. Um so inklusiv sprechen und den Gedankengang dahinter nachvollziehen zu können, bedarf es einer hohen Schuldbildung, verbunden mit der Möglichkeit, an der Debatte auch auf sprachlicher Ebene teilnehmen zu können.
Mit welchen Begriffen wir von etwas sprechen, ist politisiert. Aus emanzipatorischer und intersektionaler Sicht ist das einzige Gendern, das nicht diskriminiert, das mit Sternchen. Intersektional ist ein Sammelbegriff, der Überschneidungen oder Gleichzeitigkeiten von Diskriminierungen bezeichnet. Mit einer abgewandelten Sprache möchte man darauf aufmerksam machen – uns intersektionaler denken lassen. Daran ist sicher nichts verkehrt, sollte man doch eigentlich davon ausgehen können, dass Menschen zumeist keine Intention verfolgen, sich gegenseitig zu disrespektieren.
Das klingt für viele vermutlich einleuchtend, manche würden gar sagen: Wer könnte jetzt nicht mehr vom Gendern überzeugt sein?
Der Spiegel schrieb in einer viel diskutierten Titelgeschichte über das Gendern: »Mit gewachsenem Selbstbewusstsein beanspruchen (marginalisierte) Gruppen das Recht, sich über den Sprachgebrauch sichtbar zu machen und ihren Platz in der Gesellschaft zu definieren. […] Das Ziel ist in allen Varianten vermutlich das gleiche: Wo bisher Diskriminierung war oder gewesen sein könnte, sollen jetzt Identität und Anerkennung wachsen.«[3]
Ich mag nun die steile These aufstellen, dass zur Zeit das Gegenteil der Fall ist. Der Diskurs ist mittlerweile polemisiert und undurchsichtig. Das Einzige, was bis jetzt klar ist: Es gibt nur für und wider. Bestimmt wird das durch die beiden an der Debatte beteiligten »Lager«. Man ist entweder ein linksgrüner Moralist, oder jemand, der den privilegierten Sprachfetischismus der liberal-konservativen Bubble auslebt. Damit ist letztlich gemeint, dass es nur ein richtiges oder falsches Benutzen von Gender gibt, und die Wahl, die man selbst trifft, einen automatisch einer politischen Kategorie zuteilt. Subjektive Perspektiven spielen schon längst keine Rolle mehr.
Mittlerweile ist das längst keine Nischendiskussion mehr, die Frage nach Inklusion durch Sprache ist überall angekommen. An Universitäten soll gegendert werden. Konservative befürchten, ihre Bachelorarbeit werde schlechter bewertet, wenn sie das generische Maskulinum verwenden. Apple wird gendern. Der Staat solle das Gendern gesetzlich verbieten.
Schaut man sich zum Beispiel auf sozialen Medien wie Twitter oder Facebook um, dann echauffieren sich die Konservativen allerorten über das »Gendergaga« (wobei die Nutzung dieses Ausdrucks eine gewisse Ironie birgt, regen sich Konservative doch gerne über die Verrohung der deutschen Sprache – etwa durch das Gendern – auf, schöpfen und reproduzieren aber selbst ein so grässliches Wort) – Friedrich Merz landet damit mal schnell in den Tagesnachrichten,[4] oder Journalisten stellen belustigt fest, dass in der Wahlarena ja niemand nach dem Gendern fragt,[5] es im Prinzip also das Volk gar nicht zu interessieren scheine.
Christoph Ploß wurde mit seiner Forderung, dem Staat das Gendern zu untersagen[6] über Nacht zum Youngstar der CDU: »Endlich einer, der sich mal traut, etwas zu sagen« so die Antworten, oder: »Ja, die Gendergagalobby sollte mal mit der Wirklichkeit konfrontiert werden, den kleinen Mann interessiert es nicht«. Daraufhin gab es wiederum von der anderen Seite hämische Kommentare: Wieso, fragte man, fordern Konservative, eine Formulierung zu verbieten, mit der Begründung, dass niemand einem anderen vorschreiben könne, wie richtig gesprochen werde? Man fordert Verbote, um Verbote zu verhindern? Paradox.
»Es ist ein Unterschied«, bemerkte dazu Anna Schneider von der Welt, »ob man gendern generell verbieten will (fände ich falsch, ist jedermanns eigene Entscheidung) oder ob man an den Staat und seine Institutionen den Anspruch stellt, ideologiefrei zu bleiben.«[7]
Ja, das Gendern hat sich zu einer identitätspolitischen Scheindebatte entwickelt. Daran sind sowohl Gegner als auch Befürworter Schuld. Auch, wenn ich kein Freund des Schuldbegriffs bin.
Nun ist der Versuch einer gesellschaftlichen Veränderung im Sinne der Gemeinschaft eine selbstlose Intention. Etwas zu tun, das für alle gut sein soll, kann man zunächst einfach mal menschlich nennen – wie zum Beispiel die solidarische Aufnahme aller Geflüchteten. Denn per se – da könnten wir uns außerhalb rechtsradikaler, antidemokratischer Räume einig sein – ist es doch ein völlig logischer Gedanke, jenen zu helfen, die in Gefahr sind. Doch die Ausführung solcher menschlichen Vorhaben wird immer auch ein Minus mit sich bringen. Auf der eigenen oder anderen Seite. Um auf unser geliebtes Gendern zurückzukommen: Wenn ich mich dafür entscheide, mich im öffentlichen Raum fürs Gendern einzusetzen, wähle ich aus, wie ich das tue. Kompromissbereit, absolut, plakativ, dosiert. Alle Wege haben ihre Daseinsberechtigung.
Wenn man nun ein Befürworter des Genderns ist, ist man leider auch verantwortlich für die Durchsetzung bzw. für den Umgang mit den Problemen, die die eigene Forderung mit sich bringt. Die Vermittlung und Etablierung eines neuen Ansatzes in der ganzen Gesellschaft ist eine große Aufgabe – die an ihren Vertretern hängt, ganz sachlich gesagt. Alle Positionen haben sich mit ihren Konsequenzen zu beschäftigen. Sollte man ein Vorhaben verfolgen, das trotz eines allgemeinen Anspruchs und der Intention, für alle gut zu sein, von der Mehrheit nicht so aufgefasst wird, sollte es Gegner haben, wird der Einsatz dafür etwas kosten. Dann muss man sich reinhängen und überzeugen. Die Journalistin Teresa Bücker jedoch schrieb letztes Jahr auf Twitter: »Wenn man auf gendergerechte Sprache kontert ›Haben wir nichts Wichtigeres zu tun?‹, dann könnte man auch sagen: Dann brauchen wir uns auch nicht aufregen und können uns schnell an diese kleine Änderung gewöhnen.«[8]
So macht man es sich schlicht zu einfach. Dies würde nun mal einen generellen Konsens voraussetzen, der augenscheinlich nicht vorliegt. Kurz gesagt: Da diejenigen, die das Gendern mit Sternchen etablieren wollen, momentan in der Unterzahl sind, müssen sie Überzeugungsarbeit leisten. Ganz nach Marx, der davon überzeugt war, dass eine Idee zur materiellen Gewalt werden kann, sobald sie von der Masse ergriffen wird. Was beim Gendern augenscheinlich nicht der Fall ist. Doch statt zu überzeugen, wird häufig nur auf die anderen geschimpft.
Schnell oder einfach ist hier übrigens gar nichts. Diese Begriffe sollten wir uns mit Blick auf große gesellschaftliche Veränderungen bereits jetzt aus dem Kopf streichen. Denn unsere Debatten laufen nicht rein demokratisch, sachlich oder gar logisch ab. Meistens kommt es im Laufe des Diskurses zu Nebenwirkungen. Beim Gendern ist das ganz auffällig: Das Sternchen manifestiert jetzt die politische Gesinnung. Natürlich ist das völliger Quatsch, gendern doch mitunter etwa auch Liberale oder Konservative. Vielleicht gendern auch einige inzwischen nicht mehr, weil es bereits so politisiert ist. Wie wahnsinnig diese ganze Debatte ist, zeigte vor allem der konservative Wahlkampf 2021. Söder twitterte zwei Tage vor der Wahl: »Dem Umerziehungsgeist, den die linken Parteien beim Gendern zeigen, dürfen wir nicht nachgeben. Wir stellen uns gegen solche Absurditäten. Wir lassen uns nicht vorschreiben, wie wir zu schreiben und zu denken haben!«[9] Außerdem warnte er die bayerischen Universitäten Mitte September, dass er »kein Gender-Gesetz und keine Gender-Strafzettel«[10] akzeptieren werde (an einigen Universitäten waren Punktabzüge bekannt geworden, wenn auf das Gendern verzichtet wurde).
Sehr viele Menschen in Deutschland sehen im Gendern vielleicht keine so große Gefahr. Der politisierte Twitter-Wähler aber schon. Söder wurde gefeiert, User auf TikTok kommentieren Dinge wie »Gott sei dank gibt es noch normale Menschen und Probleme«. Der Ursprungsgedanke der Linken, der der Ausgangspunkt der Debatte gewesen war, endet somit im populistischen Loch. Dabei, wie gesagt, ist der Ansatz ja ein durchaus berechtigter. Die drastische Konsequenz der Forderung lautet nur leider: Freiheit wird zu Unfreiheit der Masse.
Die Härte, mit der solche Veränderungen eingefordert werden, haben einen großen Nachteil: Die Angegriffenen, die im System die Deutungshoheit innehaben, leiden kaum unter den Attacken, auch nicht zwingend jene, die Veränderung fordern. In erster Linie trifft es die, deren Situation eigentlich verbessert werden soll. Dann scheint die Argumentation, wie sie zum Beispiel von der taz[11]