Clive Cussler konnte achtzehn Mal hintereinander einen Bestseller auf der Liste der New York Times landen, seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand. Ansonsten fahndet er nach verschwundenen Flugzeugen und leitet Suchexpeditionen nach berühmten Schiffswracks. Cussler genießt Weltruf als Sammler von klassischen Automobilen. Er lebt in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.
Der Zeppelin hing bewegungslos in der tropischen Luft, ruhig und ausbalanciert wie ein Fisch in einem Aquarium. Es war ein müde aussehendes altes Luftschiff. Die früher silberne Haut hatte sich gerunzelt und war verblaßt, zahlreiche dunkle Flecken breiteten sich darauf aus. Die Gondel, die unter dem Rumpf hing, erinnerte an eine antiquierte Yacht, und die runden Glasfenster schienen vom Alter blind geworden zu sein. Nur die 200-PS-Wright-Whirlwind-Propeller wirkten verblüffend neu, offensichtlich hatte sie jemand sorgfältig renoviert und wieder in einen betriebsbereiten Zustand versetzt.
Siebenundvierzig Jahre lang hatte der Zeppelin des Typs ZMC 2, ganz schlicht nach seiner Bauweise Zeppelin Metal Clad Nummer 2 benannt, in einem Hangar an der öden Startbahn einer verlassenen Marinebasis in der Nähe von Key West, Florida, vor sich hingeträumt. Im Jahre 1988 wurde das Gelände dann von der Regierung an ein Finanz-Konsortium verkauft, dem der reiche Verleger Raymond LeBaron vorstand, der auf dem Grundstück ein Feriendorf bauen wollte.
Schon bei der ersten Besichtigungstour war LeBaron auf die verrotteten Überreste des ZMC 2 gestoßen und einer eigentümlichen Faszination verfallen. Er gab das Projekt an seine PR-Abteilung, ließ das Luftschiff wieder instand setzen, die Antriebsturbinen überholen und nannte seinen neuesten Besitz stolz Prosperteer, nach dem Wirtschaftsmagazin, mit dem er seine erste Million verdient hatte. Den Namen ließ er mit großen roten Lettern auf die Hülle der Maschine malen.
Eine Zeitlang sah LeBaron in seinem neuen Spielzeug das Hobby, das ihm schon seit langem für seine spärliche Freizeit gefehlt hatte. Er lernte, das Luftschiff zu steuern und mit seinen aerodynamischen Launen fertig zu werden. Es dauerte nicht lange, und die Prosperteer war über der Küste von Florida und den Bahamas ein vertrauter Anblick. Doch wie alle Unternehmer der Elite des Landes litt LeBaron an Rastlosigkeit und dem niemals erlahmenden Drang, nach neuen Projekten Ausschau zu halten. Kaum ein Jahr nach der Renovierung ließ sein Interesse an dem alten Zeppelin wieder nach. Bis er eines Abends in einer Hafenbar eine alte Wasserratte namens Buck Cäsar traf, die ein Bergungsunternehmen mit dem großspurigen Titel »Exotic Artifact Ventures, Inc.« leitete.
Nach langen, von vielen Gläsern eisgekühlten Rums begleiteten Geschichten von Schatzsuchen in der Karibik, von bis an den Rand mit Gold gefüllten spanischen Galeonen und Männern, die mit zwei Tauchfahrten Millionäre geworden waren, war selbst der wache Geist eines raffinierten Finanzgenies mit kühlem Geschäftssinn dem Goldfieber verfallen. Mit einem Handschlag wurden LeBaron und Buck Cäsar Partner.
So fand die Prosperteer eine neue Bestimmung. Der Zeppelin war die ideale Plattform, Wracks aus der Luft auszumachen.
Flugzeuge waren für die Luftbeobachtung viel zu schnell, während Helikopter mit ihren Rotoren die Wasseroberfläche so aufwirbelten, daß eine klare Sicht in die Tiefe unmöglich war. Das Luftschiff dagegen konnte bis zu zwei Tage am Himmel hängen und mit der Geschwindigkeit eines Spaziergängers kreuzen. Aus einer Höhe von weniger als hundert Metern ließen sich die geometrischen Linien eines von Menschenhand erschaffenen Objektes mit scharfem Auge noch fünfzig Meter unter der Wasseroberfläche bei klarer und ruhiger See erkennen.
Eine kleine Crew sonnengebräunter junger Männer erfüllte die Marinebasis bald mit neuem Leben, und eines Morgens war die Ausstattung der Prosperteer mit Metallsuchgeräten und einer Peil- und Radaranlage abgeschlossen. Ein großer Lastwagen diente als Reparaturwerkstatt, Bodenstation und Funkzentrale des Zeppelin-Unternehmens. Um diesen Lastwagen standen, nur in T-Shirts und Badehosen gekleidet, die jungen Männer, von denen keiner aufblickte, als eine große Cadillac-Limousine vorfuhr. Ein Chauffeur öffnete den Wagen, und LeBaron stieg aus dem Fond, begleitet von Buck Cäsar, der sich sofort mit einer Rolle Seekarten unter dem Arm an Bord der Gondel schwang. LeBaron, ein sportlicher, gesunder Fünfundsechzigjähriger, überragte mit seinen ein Meter neunzig jeden auf dem Platz. Das leicht ergraute Haar hatte er straff zurückgekämmt, und in seinen Augen lag der in die Ferne gerichtete, nachdenkliche Blick eines Mannes, dessen Gedanken sich mit den vor ihm liegenden Stunden beschäftigten.
Er beugte sich vor und sprach noch ein paar Worte mit einer attraktiven Frau, die sich aus dem Wagen beugte. Er küßte sie sanft auf die Wange, schloß die Wagentür und ging auf die Prosperteer zu. Der Chef der Bodenmannschaft, ein eifrig wirkender Mann mit einem weißen Kittel, trat zu ihm und schüttelte LeBarons Hand. »Die Treibstofftanks sind gefüllt, Mr. LeBaron. Alle Checks sind abgeschlossen.«
»Wie ist der Auftrieb?«
»Sie werden nur etwa fünfhundert Pfund für die morgendliche Feuchtigkeit nachjustieren müssen. «
LeBaron nickte nachdenklich. »Sie wird im Laufe des Tages unter der Sonne leichter werden. Wie sieht es mit den Wettervorhersagen aus?«
»Niedere vereinzelte Bewölkung während des ganzen Tages. Kaum Aussicht auf Regen. Sie haben einen Wind von fünf Meilen aus Südosten beim Weg aufs Meer. «
»Und Rückenwind bei der Rückkehr. Das ist gut.«
»Benutzen wir die gleiche Frequenz wie beim letzten Ausflug?«
»Ja, wir werden unsere Position und die Lage alle halbe Stunde durchgehen. Wir sprechen über den offenen Funkverkehr, sollten wir aber ein vielversprechendes Ziel ausgemacht haben, gehen wir zu unserem Code über. «
Der Chef der Bodenmannschaft nickte. »Verstanden. «
Ohne weitere Worte kletterte LeBaron die Leiter zur Gondel hinauf und schwang sich in den Pilotensitz. Neben ihm nahm sein Kopilot Joe Cavilla Platz, ein sechzigjähriger, schwermütig blickender Mann mit südländischen Gesichtszügen, der als Junge mit seiner Familie aus Brasilien nach Amerika gekommen war. Als Marineflieger hatte er bis zu ihrer Auflösung 1964 zur letzten Luftschiff-Einheit der Navy gehört. Eines Tages war er in LeBarons Hangar aufgetaucht und hatte sich mit seinen Zeppelin-Kenntnissen so lange nützlich gemacht, bis der Finanzmagnat ihn einstellte.
Der dritte im Bunde war Buck Cäsar, ein sonnengebräunter Abenteurer undefinierbaren Alters. Er saß bereits am Kartentisch und arbeitete den Kurs über dem Bahama-Kanal noch einmal durch.
Blauer Abgasdunst wirbelte aus den Turbinen, als LeBaron die Propeller anwarf. Mit geübten Griffen brachte die Bodenmannschaft das Luftschiff in die richtige Startposition und löste die Halteleinen. LeBaron gab mit der Hand das endgültige Zeichen für »Leinen los«. Wenige Minuten später schob sich der Zeppelin bereits mit zunehmender Geschwindigkeit in den Himmel über dem blau-grünen Wasser. Die Zurückbleibenden verfolgten ihn mit ihren Blicken, bis er an der dunstigen Horizontlinie verschwunden war. Dann wandte sich die Aufmerksamkeit kurz der undeutlich hinter den verspiegelten Fenstern der Limousine erkennbaren Frauengestalt zu.
Jessie LeBaron teilte durchaus die Freude ihres Mannes an abenteuerlichen Unternehmungen, aber sie war eine Gesellschaftsdame, die es vorzog, Wohltätigkeitsveranstaltungen oder Spendensammlungen für Politiker zu organisieren, anstatt ihre Zeit mit zweifelhaften Schatzsuchaktionen zu verschwenden. Stilvoll und charmant, mit einem Mund, der über ein Repertoire von einem Dutzend unterschiedlicher Arten zu lächeln verfügte, wirkte sie mit ihren fünfzig Jahren und sechs Monaten eher wie eine Frau von Mitte Dreißig. Jessies Formen waren etwas üppig, aber fest und sportlich. Ihre Haut war cremig glatt, und dem Haar hatte sie erlaubt, eine natürliche graumelierte Tönung anzunehmen. Ihre Augen schimmerten groß und dunkel und zeigten keine Anzeichen des leeres Ausdrucks, der typisch für Frauen ist, die eine Schönheitsoperation hinter sich haben.
Als sie den Zeppelin nicht mehr sehen konnte, befahl Jessie dem Chauffeur: »Angelo, bitte fahren Sie mich ins Hotel zurück. «
Die Bodenmannschaft sah zu, wie die große Cadillac-Limousine langsam wendete und zum Tor des ehemaligen Marinestützpunktes rollte. Jemand holte einen Volleyball vor. Schnell hatten sich zwei Mannschaften gebildet, ein Netz wurde aufgespannt. Das Spiel würde die lange Wartezeit vertreiben, bis die Männer wieder gebraucht wurden, um den Zeppelin sicher am Boden zu verankern.
Im Inneren des von einer Klimaanlage gekühlten Lastwagens nahmen der Funker und der Bodenchef die regelmäßigen Durchsagen des Zeppelins entgegen. LeBaron meldete sich mit fast penibler Regelmäßigkeit alle dreißig Minuten. Er beschrieb die genaue Position, meldete alle Veränderungen der Witterungsbedingungen und alle Schiffe, die man von Bord des Zeppelins ausmachen konnte.
Um vierzehn Uhr dreißig kam plötzlich keine Meldung mehr. Der Funker versuchte immer wieder, die Prosperteer zu erreichen, aber das Funkgerät schwieg. Es wurde fünf Uhr nachmittags, doch noch immer rührte sich nichts. Als eine weitere Stunde, in der sich nichts ereignete, verstrichen war, alarmierte der Chef der Bodenmannschaft die Küstenwache.
Was niemand wußte oder auch nur ahnen konnte: Raymond LeBaron und seine Freunde waren mit der Prosperteer in ein Geheimnis verwickelt, das weit über eine Schatzsuche hinausging.
Zehn Tage später befand sich der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika auf dem Weg zum Golfplatz. Er starrte aus dem Fenster seiner kugelsicheren Limousine und klopfte gedankenverloren mit den Fingern einen Takt auf seine Knie. Die vorbeifliegende Landschaft von Potomac, Maryland, mit ihren pittoresken alten Gestüten nahm er kaum zur Kenntnis. Seine Gedanken beschäftigten sich wie so oft in den letzten Wochen mit jenen erstaunlichen Ereignissen, die ihn sozusagen über Nacht ins Weiße Haus befördert hatten.
Er war Vizepräsident, als man ihn ohne lange Vorbereitung für das höchste Amt der Nation vereidigt hatte. Sein Vorgänger war plötzlich zum Rücktritt gezwungen worden, weil man den Verdacht hegte, daß er an einer geistigen Erkrankung litt. Gnädigerweise hatten die Medien dem Volk eine erschöpfende Untersuchung der Hintergründe erspart. Natürlich gab es die üblichen Interviews mit Insidern, die Kongreßführer gaben ihre Kommentare, berühmte Psychiater wurden in die Talkshows eingeladen, aber nirgendwo tauchte ein Beigeschmack von Intrige oder Verrat auf. Der ehemalige Präsident verließ Washington und zog sich auf seine Ranch in New Mexico zurück. Die Öffentlichkeit brachte ihm noch immer große Sympathie entgegen, und das, was wirklich passiert war, blieb das Geheimnis einiger weniger Eingeweihter.
Das neue Oberhaupt der Exekutive war ein energischer Mann, über einen Meter achtzig groß und fast hundert Kilo schwer. Feste Züge und ein breiter Unterkiefer prägten sein Gesicht. Die dichten Augenbrauen waren fast immer nachdenklich gerunzelt, doch der Blick seiner scharfen grauen Augen konnte auch täuschend milde sein. Das silberne Haar trug er glatt nach hinten gebürstet und gescheitelt, so daß er fast die brave Biederkeit eines Bankiers aus Kansas ausstrahlte.
In den Augen der Öffentlichkeit wirkte er weder charmant noch aufregend, aber er galt als rechtschaffen und zuverlässig. Obwohl er ein professioneller Politiker war, hielt er an der etwas naiven Betrachtungsweise fest, daß die Regierungsmitglieder ein riesiges Team waren, mit ihm als Trainer, der die Mannschaftsaufstellung überwachte und seine besten Leute ins Spiel schickte. Er umgab sich mit hochbegabten Männern und Frauen, die sich bemühten, die Arbeit mit dem Kongreß so harmonisch wie möglich zu gestalten; er wollte keine Bande von hartgesottenen Parteigängern, die um jeden Preis ihre persönliche Machtbasis vergrößern würden, in seiner Nähe haben.
Der Präsident wachte erst wieder aus seiner Gedankenverlorenheit auf, als ihm der Chef der Sicherheitsmannschaft den Schlag öffnete und bestätigte, daß sie den Golfplatz gesichert und mit der üblichen Zahl von Agenten und Leibwächtern bestückt hatten. Der Platz gehörte zum Country Club des Kongresses, und seine Sicherheit wurde täglich überprüft, denn hier trafen sich die wichtigsten Männer des Landes zum Golfspiel. Der Präsident erinnerte sich wehmütig, daß er sein Spiel kaum verbessert hatte, seit er im ovalen Büro des Weißen Hauses saß.
Vor dem Klubhaus erwartete sie bereits die vertraute Gestalt des Caddy Reggie Salazar, eines drahtigen, kleinen Burschen, dem man seine ungewöhnlich kräftigen Muskeln kaum ansah. Reggie stammte aus Mexiko, war noch schwarz über die Grenze gekommen, aber dann, 1985, wurde die Verfolgung der illegalen Einwanderer eingestellt. Irgendwie hatte er sich zum besten Caddy des Landes gemausert, was ihm schließlich diesen Job bei einem der prominentesten amerikanischen Golfklubs eintrug. Sein Geschick bei der Auswahl der Schläger war ebenso legendär wie seine volkstümliche Philosophie über Gewinn und Verlust und die Menschen im allgemeinen. Besonders letztere hatte es dem Präsidenten angetan. Seit sie sich bei einem Kongreß-Wettbewerb vor fünf Jahren zum ersten Mal begegnet waren, hatte sich zwischen den beiden fast so etwas wie eine Freundschaft entwickelt.
Salazar kleidete sich noch immer wie ein Feldarbeiter – Jeans, Lederweste, GI-Stiefel und auf dem Kopf ein Rancher-Hut. Die Kleidung war sein Markenzeichen. »Saludos, Mr. Präsident«, begrüßte er das Staatsoberhaupt. »Wollen Sie heute laufen, oder sollen wir das Cart nehmen?«
Der Präsident schüttelte Salazars ausgestreckte Hand. »Ein bißchen Übung für die Füße kann nicht schaden, gehen wir erst und nehmen das Cart später.«
Die ersten Löcher bereiteten keine Schwierigkeiten, und sie kamen schnell voran. Wortlos nahm der Präsident von Salazar die Schläger entgegen. Nach einem besonders gelungenen Schlag blieb er stehen und brach sein Schweigen. »Na, Reggie, was rätst du mir, wie ich mit dem Capitol umspringen soll?«
»Zu viele schwarze Ameisen«, erwiderte Salazar mit breitem Grinsen.
»Zu viele Ameisen?«
»All diese Burschen in den schwarzen Anzügen, die sich gegenseitig verrückt machen. Sie produzieren nur Papierberge. Also, wenn es nach mir ginge, ich würde ein Gesetz erlassen, daß sich der Kongreß nur noch jedes zweite Jahr treffen kann. Da würde er nicht mehr so viel Arbeit machen. «
Der Präsident lachte. »Ich kann mir gut vorstellen, daß diese Idee den Applaus von gut zweihundert Millionen Wählern finden würde.«
Sie setzten das Spiel fort, während ihnen diskret zwei Sicherheitsbeamte auf einem Golf-Cart folgten. Ein Dutzend andere Agenten waren ringsum zwischen den Bäumen verteilt. Mit seinem heutigen Spiel zufrieden, entschloß sich der Präsident zu einer kleinen Pause. Er nahm ein Cart, um zurück zum Klubhaus zu fahren. »Ich brauche ein Bier, bevor wir weitermachen. Trinken Sie eins mit, Reggie?«
»Nein danke, Sir. Ich reinige inzwischen die Schläger.«
Der Präsident reichte ihm den Putter. »Alles klar, aber ich muß darauf bestehen, daß Sie mir nachher bei einem Drink Gesellschaft leisten, wenn das Spiel so gut weiterläuft. «
Salazar strahlte wie ein Leuchtturm. »Es ist mir eine Ehre, Mr. Präsident.« Dann machte er sich mit seinem kleinen Wagen davon.
Zwanzig Minuten später, nach einem Anruf vom Stabschef des Weißen Hauses und einer Flasche Coors, verließ der Präsident das Klubhaus wieder und fand Salazar auf dem Cart sitzend, den Hut tief in die Stirn gezogen, die Hände jetzt in schwarzen Arbeitshandschuhen.
»Na, dann wollen wir mal sehen, ob heute mein großer Tag für Gold ist«, meinte der Präsident. Salazar nickte und reichte ihm schweigend den nächsten Schläger. Der Präsident schüttelte leicht den Kopf. Zum ersten Mal seit Jahren schien ihm Reggies Wahl nicht ganz überlegt zu sein. Und in der Tat verfehlte er das Green um mehr als zwanzig Meter. »Wirklich, Reggie, das ist Ihnen zum ersten Mal passiert, noch nie haben Sie mir den falschen Schläger gegeben.«
Der Caddy antwortete nicht. Er winkte den Präsident in das Cart und rollte in die Richtung des Greens. Auf halbem Weg griff er hinter sich und plazierte ein kleines Päckchen auf dem Armaturenbrett direkt vor dem Präsidenten.
»Na, haben Sie sich einen kleinen Imbiß mitgebracht?« fragte der Präsident gut gelaunt.
»Nein, Sir, das ist eine Bombe.«
Die Augenbrauen des Präsidenten zuckten irritiert hoch. »Das ist kein guter Scherz, Reggie ...«
Er unterbrach sich plötzlich, als der Mann neben ihm leicht den Kopf hob. Aus den tiefen Schatten des breiten Hutrandes starrten ihn die indigoblauen Augen eines völlig Fremden an.
»Bitte halten Sie die Arme ruhig, wo Sie sie jetzt haben«, sagte der Fremde in freundlichem Gesprächston. »Ich weiß über die Handzeichen Bescheid, die Ihnen Ihre Sicherheitsbeamten beigebracht haben, um sich lautlos verständigen zu können, falls Sie Ihr Leben bedroht sehen.«
Der Präsident saß wie vom Blitz getroffen, ungläubig, aber zugleich mehr neugierig als verängstigt. Einen Augenblick lang traute er sich nicht, etwas zu erwidern, weil er einfach nicht die richtigen Worte fand. Sein Blick hing an dem kleinen Päckchen vor ihm.
»Ein irrsinniges Unternehmen«, meinte er schließlich. »Sie werden daran nicht lange Ihre Freude haben.«
»Das ist kein Attentat. Es wird Ihnen nichts geschehen, wenn Sie meine Anweisungen genau befolgen. Können Sie das akzeptieren?«
»Sie haben Nerven, Mister.«
Der Fremde ignorierte den Einwand und redete im Tonfall eines Lehrers weiter, der seiner Klasse gutes Benehmen beibringen will. »Es handelt sich um eine Splitterbombe, die alles zerfetzt, was sich im Umkreis von zehn Metern befindet. Sollten Sie versuchen, Ihre Leibwächter zu alarmieren, werde ich das Geschoß durch eine elektronische Zündung an meinem Handgelenk aktivieren. Bitte setzen Sie Ihr Golfspiel fort, als wäre nichts Besonderes vorgefallen.«
Dem Präsident blieb nicht viel anderes übrig. Schließlich siegte auch seine Neugier, denn er wollte um jeden Preis herausfinden, was hinter diesem ungewöhnlichen Angriff stecken konnte. Während das Cart weiterrollte, versuchte er unauffällig den Mann neben sich zu mustern. Die Gestalt wirkte zerbrechlich, die Hüften waren schmal; der Mann ähnelte auf den ersten Blick Reggie Salazar unglaublich, doch er war mindestens zehn Zentimeter größer. Das Gesicht, oder besser das, was davon zu sehen war, machte einen irgendwie skandinavischen Eindruck. Die Stimme klang kultiviert, die Schulterhaltung und das kühle Benehmen deuteten auf jemanden hin, der es gewohnt war, Autorität auszuüben, doch es lag nichts Böses oder Hinterhältiges im Benehmen des Mannes.
»Ich habe das verrückte Gefühl«, sagte der Präsident ruhig, »daß Sie das alles hier aufführen, um mir etwas mitzuteilen. «
»Gar nicht so dumm. Sie haben eine erstaunliche Auffassungsgabe. Aber ich habe von einem Mann in Ihrer Position nichts anderes erwartet.«
»Wer, zum Teufel, sind Sie?«
»Für unsere Unterhaltung genügt es, wenn Sie mich Joe nennen. Sobald wir den Unterstand dort drüben erreicht haben, erfahren Sie, worum es geht. Dort gibt es einen kleinen Ruheraum.«
Er langte hinter sich und reichte dem Präsident eine Aktenmappe. »Bitte gehen Sie in dem Ruheraum auf die Toilette, und lesen Sie das. Sie haben nicht mehr als acht Minuten Zeit, sonst werden Ihre Leibwächter unruhig. Was dann passieren würde, brauche ich Ihnen ja nicht noch einmal zu erklären. «
Der elektrische Wagen rollte langsam vor der Hütte aus. Wortlos verschwand der Präsident in den kleinen Ruheraum und begab sich auf die Toilette. Er begann mit dem Studium der Aktenmappe. Als er exakt acht Minuten später wieder bei Joe auftauchte, zeigte sein Gesicht nur noch größere Verwirrung. »Was für einen Wahnsinn wollen Sie mir da andrehen?« fuhr er den Fremden an.
»Das ist kein Wahnsinn.«
»Ich kann nicht verstehen, warum Sie sich ein solch verrücktes Unternehmen einfallen lassen, nur um mich zu zwingen, meine Zeit mit der Lektüre von alberner Science-fiction zu verschwenden.«
»Das ist keine Science-fiction.«
»Dann muß Sie jemand auf den Arm genommen haben. «
»Die Jersey Colony existiert«, erklärte Joe geduldig.
»Ja, und Atlantis gibt es auch.«
Joe lächelte nachsichtig. »Sie sind gerade in einem sehr exklusiven Klub aufgenommen worden. Nur ein Präsident vor Ihnen hat jemals etwas von diesem Projekt erfahren. Ich schlage vor, Sie setzen Ihr Spiel fort, während ich Ihnen unterwegs die Sache etwas erläutere. Ich kann Ihnen jetzt natürlich nur ein sehr grobes Bild zeichnen, denn wir haben nicht sehr viel Zeit. Es ist außerdem besser für Sie, wenn Sie einige der Details nicht kennen.«
»Erst noch eine Frage, die müssen Sie mir schon gestatten.«
»In Ordnung.«
»Wo ist Reggie Salazar?«
»Er schläft fest und sicher hinter seinem Umkleideraum.«
»Wenn das eine Lüge ist, holt Sie der Teufel persönlich.«
Nach dem nächsten Loch steuerte Joe einen besonders umständlichen Kurs mit dem Karren, den er so langsam fahren ließ, wie es möglich war, ohne aufzufallen. »Also, dann... 1963, weniger als zwei Monate vor seinem Tod, traf Präsident Kennedy sich mit einer Gruppe von neun Männern in seinem Haus in Hyannis Port, die ihm ein streng geheimes Projekt vorschlugen, das dem aufblühenden Weltraumprogramm einen anderen Akzent geben sollte. Es handelte sich um ein ausgewähltes Team brillanter junger Wissenschaftler, Manager, Ingenieure und Politiker, die alle in ihren Arbeitsgebieten bereits ungewöhnliche Erfolge vorweisen konnten. Kennedy war von der Idee so angetan, daß er sofort eine Regierungsstelle ins Leben rief, die zur Tarnung das Einsammeln von Steuergeldern betrieb, durch die das Projekt mit dem Codenamen Jersey Colony gestützt wurde. Abgesichert wurde die Finanzierung von weitsichtigen Geschäftsleuten, die für jeden Dollar Steuergelder einen eigenen Dollar beisteuerten. Die notwendigen Forschungseinrichtungen entstanden über das Land verteilt in bereits vorhandenen Gebäuden, meist nutzten wir alte Lagerhäuser. Auf der einen Seite sparten wir so Millionen von Baugeldern ein, auf der anderen Seite verhinderten wir, daß man wegen der Errichtung eines großen neuen Forschungszentrums neugierig wurde. «
»Wie haben Sie die Operation geheimhalten können?« fragte der Präsident. »Es muß doch Lecks gegeben haben.«
Joe zuckte mit den Achseln. »Eine einfache Technik. Jedes einzelne Forschungsteam hatte sein eigenes Projekt. Sie arbeiteten an verschiedenen Orten. Der alte Trick: die eine Hand wußte nicht, was die andere tat. Aufträge für die Hardware wurden an viele kleine Fabriken vergeben. Es war im Grunde ganz einfach. Schwierig war nur, das Ganze unter den Augen der NASA zu koordinieren, ohne daß jemand den Plan dahinter erkannte. Deshalb haben wir Vertrauensleute in die Sicherheitsdienste von Cape Canaveral und Houston eingeschleust, auch beim Pentagon, um jede Untersuchung im Keim ersticken zu können.«
»Wollen Sie damit sagen, das Verteidigungsministerium hatte keine Ahnung von dieser Sache?«
Joe lächelte. »Das war nun wirklich einfach. Ein Mitglied des Harten Kerns ist ein hoher Stabsoffizier, dessen Name Sie nicht zu interessieren braucht. Er hatte keine Schwierigkeiten, in den labyrinthischen Archiven des Pentagons ein weiteres geheimes Militärprojekt zu verstecken. « Joe hielt an, damit der Präsident den nächsten Ball spielen konnte. Als er sich wieder in das Cart setzte, war er noch immer nicht ganz überzeugt. »Scheint mir unmöglich, daß man die NASA so an der Nase herumführen konnte.«
»Auch dort gehört einer der wichtigsten Direktoren zum Harten Kern. Von Anfang an war sein Traum gewesen, eine feste Mondstation einzurichten, anstatt die Kräfte mit mehreren bemannten Landeaktionen zu verschwenden. Aber er begriff auch, daß die NASA sich nicht leisten konnte, zwei komplizierte und teure Programme gleichzeitig durchzuziehen, deshalb stieß er zu den Gründern der Jersey Colony. Bei diesem Projekt konnte er wenigstens sicher sein, daß ihm weder die Exekutive oder der Kongreß noch das Militär dreinredeten.«
»Ich muß also als Tatsache akzeptieren, daß die Vereinigten Staaten bereits fest auf dem Mond sitzen. «
Joe nickte entschieden. »Ja, Mr. Präsident, so ist es.« Er ließ den Karren wieder anrollen. »Es würde Wochen dauern, Ihnen alle Probleme, alle Rückschläge und Tragödien zu berichten, mit denen wir zu kämpfen hatten. Allein die Konstruktion der Versorgungseinrichtungen für die Station war eine wissenschaftlich-technische Meisterleistung. Dann mußten wir das ganze Material von einer privaten Raketen-Firma, die vom Harten Kern gesponsert wurde, als Satelliten in den Orbit schießen lassen.«
»Und das alles immer unter den Augen der NASA-Experten?«
»Wir haben unsere Raketen als großformatige Nachrichtensatelliten getarnt, in jedem haben wir eine kleine Kapsel mit einem Astronauten untergebracht. Ich kann leider jetzt nicht auf die Einzelheiten eingehen, so interessant es auch wäre, Ihnen darzustellen, wie diese Männer unter extremen Bedingungen und mit völliger Funkstille unter Verwendung im Orbit zurückgelassener Space Labs und noch kreisender Raketenstufen eine Raumstation errichteten, auf der dann das eigentliche Mondfahrzeug zusammengebaut wurde. Allein die Arbeit an der Konstruktion des leichten, solarbetriebenen Spezialmotors, der mit Wasserstoff angetrieben wird, hat zehn Jahre gedauert. Als der Transporter dann fertig war, zog er alles Material, das wir im Orbit auftreiben konnten, darunter befand sich sogar ein altes sowjetisches Labor, zum Mond. Aus diesen Materialien wurde dann die Jersey Colony konstruiert. Fehlschläge konnten wir uns von Anfang an nicht leisten. Es war der erste wirkliche Pionier-Treck von der Erde in eine andere Welt – der vielleicht wichtigste evolutionäre Schritt, seit der erste Fisch vor dreihundert Millionen Jahren an Land ging. Bei Gott, wir haben es geschafft. Während wir uns hier unterhalten, leben und arbeiten zehn Menschen da oben zweihundertvierzigtausend Meilen entfernt in einer fremden, lebensfeindlichen Umgebung.«
Der Präsident starrte ihn fast ehrfürchtig an. »Jesus«, stöhnte er. »Ich kann das alles nicht auf einmal verdauen.«
»Entschuldigen Sie, daß ich Sie so überfallen habe«, versicherte Joe schnell. »Aber es geht nicht anders.«
»Wo befindet sich die Jersey Colony denn nun genau?«
»Nachdem wir die NASA-Unterlagen der bemannten Mond-Missionen ausgewertet hatten, entschieden wir uns für eine Höhlenregion in der südlichen Hemisphäre auf der der Sonne abgewandten Seite. An Gas-Geysiren konnten wir erkennen, daß dort ausreichende Hohlräume für den Schutz unserer Station existieren mußten.«
»Und Sie sagen, dort oben sind zehn Menschen?«
»Ja. «
»Was ist mit der Ablösung, der Versorgung?«
»Keine Ablösung, Selbstversorgung.«
»Mein, Gott, dann müßte die Mannschaft, die den Mondtransporter vor sechs Jahren gebaut hat, ja seitdem ununterbrochen im Weltraum sein. «
»Das stimmt«, bestätigte Joe. »Einer starb, und wir haben noch sieben Männer hinaufgeschickt, als die Mondbasis erst einmal in Betrieb war.«
»Was ist mit ihren Familien?«
»Alles Junggesellen. Alle wußten, was sie erwartet, und sie haben sich freiwillig auf das Risiko eingelassen. «
»Und ich bin erst der zweite Präsident, der von diesem Projekt erfährt?«
»Das ist korrekt.«
»Dem Kopf der Exekutive diese Informationen vorzuenthalten, ist eine Beleidigung seines Amtes.«
Joes dunkelblaue Augen funkelten in einer Weise, die der Präsident nur als Anflug von Verachtung deuten konnte. »Präsidenten sind eben nur Politiker. Wählerstimmen sind ihnen wichtiger als alle Schätze der Nation. Nixon hätte die Jersey Colony mißbraucht, um von seinem Watergate-Skandal abzulenken. Carter hätte es genauso gemacht, als die Geiselaffäre im Iran ihn immer unbeliebter machte. Reagan hätte das Projekt wahrscheinlich benutzt, um sein Image gegenüber den Russen aufzupolieren. Aber noch viel schlimmer ist der Gedanke, was der Kongreß mit solchen Projekten anstellt. Unsere Kolonie wäre in irgendeinem politischen Kuhhandel verschachert worden. Irgend jemand wäre bestimmt auf die Idee gekommen, daß man die Gelder dafür besser in die Verteidigung oder die Unterstützung der ärmsten Bevölkerungsschichten investiert. Ich liebe mein Land, Mr. Präsident, und betrachte mich als einen guten Patrioten, aber ich habe schon lange kein Vertrauen mehr zu unserer Regierung.«
»Aber die Steuergelder des amerikanischen Volkes haben Sie genommen?«
»Die Nation erhält dieses Geld mit Zins und Zinseszins zurück, wenn wir ihr die wissenschaftliche Ausbeute unserer Station zur Verfügung stellen. Und vergessen Sie nicht, die Hälfte des Geldes wurde von Privatleuten aufgebracht, und, das möchte ich hinzufügen, ohne daß diese Leute unmittelbar von dem Projekt profitiert hätten. Die Vertragsfirmen der NASA und des Pentagon können so etwas mit Sicherheit nicht von sich behaupten.«
Der Präsident wußte, daß es keinen Zweck hatte, mit diesem Mann zu streiten. Er schlug einen weiteren Ball, und diesmal war es ein ausgezeichneter Schlag. »Wenn Sie den Präsidenten unseres Landes so mißtrauten«, meinte er bitter, »warum, um alles in der Welt, erzählen Sie ausgerechnet mir das alles?«
»Wir haben ein Problem.« Joe nahm ein Foto aus der Aktenmappe, die er dem Präsidenten vorher zur Einsicht gegeben hatte. »Durch unsere Verbindungen zur Air Force habe ich mir dieses Foto von einem Beobachtungsflug über Kuba verschafft. «
Der Präsident verzichtete darauf, nach den Einzelheiten der Verbindungen zur Air Force zu fragen. »Was soll ich darauf sehen?«
»Bitte studieren Sie genau die Gegend oberhalb der kubanischen Nordküste gegenüber den Florida Keys.«
Der Präsident zog eine Brille aus der Jackentasche und starrte lange auf das Foto. »Sieht mir aus wie ein Goodyear-Zeppelin.«
»Nein, das ist die Prosperteer, ein altes Luftschiff, das Raymond LeBaron gehört.«
»Ich habe gehört, daß es vor etwa zwei Wochen in der Karibik verschwunden sein soll.«
»Genau vor zehn Tagen, mit Raymond LeBaron und zwei Besatzungsmitgliedern an Bord.«
»Dann muß dieses Foto aufgenommen worden sein, bevor er verschwand. «
»Nein, der Film ist erst vor acht Stunden belichtet worden.«
»Dann lebt LeBaron noch.«
»Das hoffe ich zwar«, meinte Joe mit bedauerndem Schulterzucken, »aber es ist bisher nicht möglich gewesen, die Prosperteer über Funk zu erreichen.«
»Was hat LeBaron denn mit der Jersey Colony zu tun?«
»Er gehört zum Harten Kern.«
Sie saßen inzwischen wieder im Wagen, und der Präsident beugte sich zu Joe hinüber. »Und Sie, Joe, sind auch einer von den ersten neun Männern, die dieses Projekt ersonnen haben?«
Joe antwortete nicht. Das war nicht nötig. Der Präsident sah den Augen seines Gesprächspartners an, daß er ins Schwarze getroffen hatte. Befriedigt lehnte der Präsident sich wieder zurück. »Okay, was ist jetzt das Problem?«
»In zehn Tagen rollen die Sowjets ihre neueste Trägerrakete aus der Scheune und jagen sie in den Weltraum. Auf der Spitze wird sie ein Mondfahrzeug tragen, das sechsmal so groß ist wie unsere während des Apollo-Programms. Sie werden die Details aus den Berichten des CIA kennen. «
»Ja, man hat mich über die sowjetische Mond-Mission genau unterrichtet«, bestätigte der Präsident.
»Dann werden Sie wissen, daß in den letzten beiden Jahren drei russische unbemannte Sonden den Mond umkreist haben, um nach Landeplätzen zu suchen und ihn genauestens zu vermessen. Die letzte ist auf dem Mond abgestürzt. Die zweite hatte einen Maschinenschaden, und ihr Treibstoff explodierte. Aber die erste Sonde führte den Flug erfolgreich durch, zumindestens am Anfang. Sie umkreiste den Mond zwölfmal. Dann ging etwas schief. Nach der Rückkehr in den irdischen Orbit, kurz bevor die Sonde den Wiedereintritt in die Atmosphäre beginnen sollte, riß die Verbindung zur Bodenstation ab. Achtzehn Monate lang haben die Sowjets dann versucht, das Raumfahrzeug wieder unter Kontrolle zu bekommen und zu landen. Ob es ihnen gelungen ist, das Datenmaterial an Bord zu sichern, wissen wir nicht. Aber schließlich haben sie es geschafft, die Landestufe zu zünden. Nur ist die Mondsonde, Selenos 4, nicht in Sibirien gelandet, sondern in die Karibik gestürzt.«
»Und was hat das mit LeBaron zu tun?«
»Er war auf der Suche nach der sowjetischen Mondsonde.«
Zweifel erschienen auf dem Gesicht des Präsidenten. »Nach meinen CIA-Berichten haben die Russen die Raumkapsel aus dem offenen Meer jenseits von Kuba geborgen.«
»Ein Ablenkungsmanöver. Sie haben eine gute Show abgezogen, als sie dort etwas an Bord hievten. Aber in Wirklichkeit haben sie die Sonde niemals gefunden.«
»Und Ihre Leute glauben, sie wissen, wo die Sonde liegt?«
»Ja, wir haben sie ziemlich sicher ausgemacht. «
»Warum wollen Sie den Russen denn ein paar Bilder von der Mondoberfläche abjagen? Es gibt Tausende von solchen Vermessungsfotos, die für jeden zugänglich sind.«
»All diese Fotos sind aufgenommen worden, bevor wir unsere Jersey Colony eingerichtet haben. Die neuen russischen Fotos werden diese Station jedoch mit Sicherheit zeigen.«
»Was kann dann schon passieren?«
»Ich befürchte«, sagte Joe mit fester Stimme, »wenn der Kreml unsere Station entdeckt, wird die erste russische Mond-Mission darin bestehen, die Colony anzugreifen und zu erobern, damit sie für russische Zwecke eingesetzt werden kann. «
»Das nehme ich Ihnen nicht ab. Der Kreml würde niemals sein ganzes Weltraumprogramm durch eine solche Aktion gefährden. Wir könnten schließlich Vergeltungsmaßnahmen einleiten.«
»Sie vergessen, Mr. Präsident, daß unser Mondprojekt im geheimen blüht. Niemand wird den Russen vorwerfen können, etwas gestohlen zu haben, was es offiziell überhaupt nicht gibt.«
»Das sind nur wilde Vermutungen«, entgegnete der Präsident scharf.
Joes Blick wurde hart. »Keinesfalls. Unsere Astronauten waren die ersten, die den Mond besiedelt haben. Er gehört den Vereinigten Staaten, und wir werden jeden Angreifer zurückschlagen.«
»Wir leben nicht mehr im 14. Jahrhundert«, erklärte der Präsident schockiert. »Wir können nicht einfach zu den Waffen greifen und die Sowjets oder irgend jemanden sonst vom Mond verjagen. Außerdem haben die Vereinten Nationen entschieden, daß kein Land Ansprüche auf den Mond oder die Planeten geltend machen kann.«
»Glauben Sie, daß der Kreml sich für UN-Beschlüsse interessieren würde, wenn er an unserer Stelle wäre? Ich glaube das nicht.« Joe griff nach einem Schläger und reichte ihn dem Präsidenten. »Ihr letztes Loch, Mr. Präsident.«
Betroffen setzte der Präsident zum Schlag an und plazierte wieder einen hervorragenden Ball. »Ich kann Sie aufhalten«, erklärte er kalt.
»Wie denn? Die NASA hat keine Raumfahrzeuge bereit, mit denen sie einen Trupp Marines auf den Mond schießen kann. Dank der Kurzsichtigkeit Ihrer Vorgänger hat sie ihre Ressourcen dafür verschwendet, eine bemannte Raumstation im Erd-Orbit einzurichten.«
»Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie Sie auf dem Mond einen Krieg anfangen, der auf die Erde übergreifen kann.«
»Ihnen sind die Hände gebunden.«
»Sie können sich irren, was die Russen angeht.«
»Hoffen wir das«, meinte Joe. »Aber ich vermute, daß die Russen bereits Raymond LeBaron umgebracht haben.«
»Haben Sie mich deshalb ins Vertrauen gezogen?«
»Wenn es zum Schlimmsten kommt, sind Sie wenigstens auf die Tatsachen vorbereitet, und Sie können sich eine Strategie überlegen, wie Sie mit der Situation fertig werden.«
»Nehmen wir einmal an, ich lasse Sie jetzt von meinen Leibwächtern verhaften, als potentiellen Attentäter, und dann lasse ich die Jersey Colony hochgehen, was geschieht dann?«
»Wenn Sie mich verhaften lassen, stirbt Reggie Salazar.« Joes Blick war eiskalt. »Wenn Sie das Projekt verraten, werden wir dafür sorgen, daß Ihnen alles, was an Betrug, Lügen, Hinterhältigkeiten und Schmiergeldern nötig war, um die Colony einzurichten, ja, und auch die Menschenleben, die wir opfern mußten, zur Last gelegt wird. Sie werden die politische Verantwortung dafür zu tragen haben, angefangen von dem Tag, als Sie als Senator vereidigt wurden. Wer wird Ihnen schon glauben, daß Sie bis jetzt nichts davon gewußt haben? Nixons Abgang aus dem Weißen Haus wird ein Vergnügungsspaziergang gewesen sein angesichts dessen, was Sie dann erwartet.« «
»Sie wollen mich erpressen?« Bisher hatte es der Präsident geschafft, seinen Ärger unter Kontrolle zu halten. Aber jetzt packte ihn die kalte Wut. »Salazars Leben wäre ein kleines Opfer im Vergleich zu dem, was mir die Integrität des Präsidentenamtes bedeutet. «
»In zwei Wochen können Sie der ganzen Welt die Existenz der Jersey Colony bekanntgeben. Mit Trompetengeschmetter und großen Pressekonferenzen können Sie den Helden der Nation spielen. Nur zwei Wochen, und Sie können die größte wissenschaftliche Errungenschaft unseres Jahrhunderts auf Ihrem Konto verbuchen.«
»Nach diesen langen Jahren, warum gerade jetzt?«
»Weil wir für diesen Zeitpunkt die Rückkehr der ersten Mannschaft einer Weltraumkolonie angesetzt haben. Die Männer werden der Erde die Ergebnisse von zwei Jahrzehnten Weltraumforschung präsentieren – die erste Phase des Projektes ist abgeschlossen. Der Traum des Harten Kerns ist Wirklickeit geworden. Die Jersey Colony gehört jetzt dem amerikanischen Volk.«
Der Präsident reichte nachdenklich seinen Schläger zurück. Dann fragte er: »Wer sind Sie?«
»Bemühen Sie Ihr Gedächtnis. Wir haben uns vor vielen Jahren einmal gekannt.«
»Wie kann ich Kontakt zu Ihnen aufnehmen?«
»Ich werde ein weiteres Treffen arrangieren, sobald ich es für nötig halte.« Joe steckte den Golfschläger zurück in die Hülle und schwang sich aus dem Wagen. Er wollte sich zu Fuß auf einem kleinen Pfad Richtung Klubhaus davonmachen, aber er blieb noch einmal stehen und kam zurück.
»Ich habe gelogen, Mr. Präsident. Das ist keine Bombe, sonden ein Geschenk vom Harten Kern – eine Schachtel mit neuen Golfbällen.«
Der Präsident starrte ihn mit verzweifeltem Blick an. »Zur Hölle mit Ihnen, Joe.«
»Oh, und da ist noch etwas... meine Glückwünsche.«
»Glückwünsche?«
Joe reichte dem Präsidenten eine Tabelle. »Ich habe Ihre Schläge notiert. Das war ein großartiges Spiel.«