Inhaltsverzeichnis
Mein Gott, wie traurig ist es, in der Fremde zu sein, wenn die Nebel fallen über den Novembertag und sie Einem daheim die liebe Großmutter in die kalte Erde verscharren!
Ich wußte nicht, wie schlimm's mit ihr stund, sie hatten mirs nicht geschrieben. Sie wollten mich nicht heimholen aus meinen Arbeiten und Studien, helfen konnte ich ja doch nicht und der Zustand der Leidenden mochte sich noch monatelang so hinfristen.
Nun hat sichs plötzlich gewendet und sie ist todt. Friede ihrer Asche!
Wenn ich nur daheim wäre bei den Meinen!
Vom Thurme St. Sulpice schlägts halb Vier. Die Uhr geht hier in Frankreich um mehr als eine halbe Stunde verschieden. Nun mögen sie sich daheim zum Begräbniß rüsten.
Und ich, ihr einziger Enkel, gehe nicht hinter ihrem Sarge!
Allein ich will wenigstens auf einen Kirchhof gehen und die Zeit ihrer letzten Ehren dort verbringen im Gedächtniß an sie.
. . . . Der Nebel fällt, doch die Luft ist milde. Daheim über Alt-Baiern weht schon der Schnee und die guten Menschen, die meiner Großmutter auf dem letzten Gange das Geleite geben, hüllen sich fest in ihre Mäntel und decken ihre Gesichter vor Gestöber und Wind. Hier aber im Garten des Luxembourg sind die Bäume noch grün und die Kinder spielen und Bonnen und Wärterinnen laufen hinterdrein oder sitzen geruhig in ihren Shawl gewickelt auf einem Strohstuhl, ein Buch in der Hand.
Dort kommt so ein rechter Nestling hergerannt, er stolpert im Kies . . . den rothen Hund willst Du fangen? Nimm Dich in Acht! . . . Perdauz! da liegt er schon, gerade vor meinen Füßen.
Ich stelle ihn auf seine quatschen Beinchen; er lacht verdutzt und zeigt gleich wieder nach dem Hunde:
– Ah, le gros lou-lou!
Aber die Gouvernante ist auch schon da und streift ihm das Kleidchen zurecht und rückt ihm das Mützlein gerade, und schilt ihn und entschuldigt sich bei dem fremden Herrn.
Sie ist selber noch ein halbes Kind. Blonde Locken und graue Augen. Sie nimmt das Kleine bei der Hand und geht und sagt für sich ein ärgerlich Wort, was der Balg nicht versteht und ich auch nicht, wie sie meint.
– Dummer Jung'! hat sie gesagt.
Drolliger Laut der süßen Heimatssprache, du machst mich lächeln im Leide; sei gegrüßt! Was für Geschick hat Dich, Germaniens blondes Töchterlein, hieher verschlagen, zu dienen unter den Wälschen? Oder wie, war das, was just vor meine Schritte kollerte, deutscher Eltern Kind? Sie halten für sich zum Hausgebrauch eine deutsche Gouvernante und nehmen beim eigenen Bebe ihre französischen Conversationsstunden. Gott sei's geklagt . . .
Hier enden die schönen großen Bäume . . . dort ist das Boulevard Mont Parnasse. Dann links durch die kleine Straße und Du siehst die lange Mauer schon, über welche die hohen Kirchhofsbäume Dich melancholisch grüßen.
Das ist der Kirchhof Mont Parnasse; darinnen wird begraben, wer auf dem linken Seine-Ufer von Paris wohnt und stirbt. Hier liegen die Leute des lateinischen Quartiers, und wenn ich morgen stürbe, so trügen sie mich auch hier heraus. Das wäre mir leid, denn ich mag noch nicht sterben und am allerwenigsten hier in der Fremde.
Welch schönes Grabmal sie hiehergestellt haben, ganz nahe am Eingang des Friedhofs, dem Kommenden zur Linken; lebensgroß und lebenswahr, aus blendend weißem Stein gehauen, sitzt das Bild eines Mädchens und sieht Dich an. Halb träumerisch, halb sorglos sinnend, den Elbogen aufgestützt, das Knie übers andere geschlagen, zeigt sich unter dem modischen Gewande der zierliche Fuß in sorgloser Anmuth. Das dichte Haar, das runde Köpfchen . . . mich will bedünken, als glichen Deine Züge dem deutschen Mädchenangesicht im Garten des Luxembourg.
Doch Du warst wohlhabender Leute Kind; andere setzen solche Steine nicht und man siehts Dir auch an den Kleidern an. Und doch so früh schon sterben, armes reiches Kind!
Was ist Armuth? Was ist Reichthum? Was ist Glück?
Grübelt und sagt, was ihr wollt; auf einem Kirchhof lautet die Antwort: das Glück ist das Leben. Schauen und athmen, und wollen und wirken, und sich regen und sich mühen . . . leben!
Dort drüben schaufeln sie wieder ein frisches Grab. Die Uhr hebt aus zum Schlage. Das ist die Zeit.
– Ade, mein liebes gutes Großmütterlein!
Ich habe eine gute Weile an dem offenen Grabe gestanden und habe der alten Frau gedacht. Dann bin ich lange zwischen den Hügeln umhergezogen, Büsten und Immortellenkränze betrachtend, Inschriften lesend, mich gleichsam an Grabmälern ins rege thätige Leben, ins lebensfrische Empfinden zurücktastend.
Es wandelt sich freundlicher auf französischen Friedhöfen. Die vielen und großen Bäume haben traulichen Anblick, haben Schatten und Singvögel. Der »Leichenacker« sieht hier wie ein Baumgarten aus.
Freilich ist der Mont Parnasse nicht der schönste; mit dem Père-Lachaise, selbst mit dem Mont-Martre nicht zu vergleichen. Dürftiger ist die Mehrzahl der Monumente, spärlicher sind die Bäume und lange Strecken Wiesen, Feld und Gräber versengt und dörrt und bleicht die Sonne. Der südöstliche Theil des Mont-Parnasse hat gar ein trübseliges bekümmerndes Ansehen.
Ich ging hinüber durch das Gras, dann der Mauer entlang; dann kamen wieder Gräber. Kleine schmucklose, doch noch gepflegte Gräber; eingehegt in ein Viereck, mit uniformen Kreuzen besteckt. Nonnen liegen hier, barmherzige Schwestern, Pflegerinnen der Kranken.
Dicht seitab von diesem frommen Gehege, was hebt da für ein wüst Gewühl von Gräbern an und zieht sich über eine schattenlose verkümmerte Wiese und füllt den letzten großen dreieckigen Winkel des Todtenfeldes? Es ist, als wären die Leichenhügel hier wild gewachsen, als hätte man sie mit der Schaufel ohne Wahl und Acht in diese Ecke geworfen, die Kreuz und Quer und kunterbunt; kein Spruch und keine Blume; kein Gedächtniß, keine Pflege; nur herbstwaschenes, zertretenes, spärliches Gras und hurtig über einander genagelte, schwarz bestrichene trostlose Bretterchen, darauf mit weißlicher Tünche ein Ci-gît und ein Name gemalt ist, ein Name, der in den meisten Fällen nicht mehr lesbar. Hier sieht es aus, als hätte die Erde kein Grün und der Himmel keinen Thau und die Menschen keine Liebe mehr. Unheimliche Stätte, das müssen verdorbene Leute sein, die hier liegen.
Denn der Aermste hat doch ein weinendes Kind und der Schlimmste hat Vater und Mutter. Und wer keine Hand bezahlen kann, hat doch selber zwei und geht ein Stündlein des Feierabends hinaus, um Scherben und Kehricht zu fegen von der liebsten Blutsfreunde Ruhestatt, und er steckt ein Reislein in den geglätteten Staub und sagt:
– Ich denke Dein!
Und es sind der Gräber doch so viele, so schauerlich viele. Und doch keine ordnende Hand darauf als die des Windes, der da weht und die herbstlichen Blätter kreiselnd übereinander wirft, hiehin ein Häuflein und dorthin eines, nicht allzuhoch, nicht allzu säuberlich . . . und keine Thräne, als die des Nebels, der da fällt, zerfahren, verflüchtigt, feuchtes Nichts.
Gestorben, verdorben! sagt ein altes Lied . . . . verdorben zu Paris!
Hinter der Kirchhofsmauer gehen heitere Leute vorbei. Sie singen und sie pfeifen; das klingt so seltsam herüber in die menschenleere Stille. Es ist der alte Gassenhauer, der seit Jahresfrist in Jedermanns Munde:
J'ai un pied qui remue
Et l'autre qui ne va guère...
Drollige Weise, drollige Worte, was wollt ihr hier?
Wie sich die Gräser neigen, wie sie zittern; bei dem thörichten Sang, der alle Welt bewegt, rührt und bewegt sichs auch noch unter den Schollen tief? ^
Wen beherbergt ihr denn? . . . Laßt mich die Namen lesen von den schadhaften Kreuzlein.
Lauter weibliche Namen!
Da fällts mir auf einmal zu Sinn. Jetzt weiß ich, was für Leute hier schlafen. Ein Nachbarsmann erzählte ja neulich davon.
Was in Lüsten gelebt hat und im Elend verstorben ist, das scharrt man hier über einander in diesen wüsten Winkel des Mont-Parnasse. Des Thürhüters verlaufen Töchterlein, des Höckerweibes entwichen Kind und die große Masse verwahrloster Mädchen, die des schönen Frankreichs Provinzen jede alljährlich nach der großen Hauptstadt sendet. Jäher Glanz dauert nicht und Schande muß sterben. Jüngst noch das Glas in der Hand und den Fuß in der Luft und im lachenden Mund ein Lied . . . und heute siech und lahm und auf den hüstelnden Lippen keine Schminke; jüngst noch die Königin des Festes und der Freude, um deren kleinste Gunst Thoren und Weise zierlichste Phrasen und allerlei Gold verschwendeten . . . und heute eine Nummer und ein eisern Bettgestell im Hospital, vor welchem katzenjammernde Mediciner ein brutales Gespräch verführen; jüngst noch hoch zu Roß, forcirter Galop im Bois de Boulogne . . . wie die Herzogin drüben so neidisch blickt, wie die blauen Schleier wehen im Sonnenschein, wie die Gerte knallt, wie die Bügel klingen des tummelnden, glänzenden, emsigen Gefolges . . . und heute zwei schlendernde Bräunchen und ein schwarzer Karren, die den gewohnten Weg gleichgiltig im rieselnden Nebel trotten, den Weg hieher, auf dem sie Niemand begleitet.
Du großes, einziges, unvergleichliches Paris, was verdirbst, verzehrst, verbrauchst du an Menschenglück und Menschenleben!
. . . Wie kommt es, daß ich den Mann nicht bemerkt, der da mitten zwischen den Hügeln steht? Er ist doch wahrlich groß genug. Er wendet mir den Rücken zu, so daß ich sein Gesicht nicht sehen kann. 's ist ihm wol auch nicht darum zu thun. Hinter mächtigen Schultern, das Haupt nach vorne gebeugt, steht er da, in der rechten Hand einen starken Stock wie ein Ziegenhainer, mit dem er unablässig wie gedankenlos Löcher bohrt in das kleine schlechte Grab vor ihm.
So ein Stock ist eine Seltenheit hierzulande; das ist wol kein Franzose.
Auch der runde rothbraune Schlapphut ist hier nicht üblich, außer bei der arbeitenden Classe . . . und der Mann hat dazu einen guten feinen Rock an und modische Beinkleider. Der Mann ist kein Franzose.
Wie ich vorüber will, rückt er ein wenig zur Seite; er scheint auf dem linken Fuß etwas steif, daher wol der Stock.
Auf dem Grabe das windschiefe Kreuzlein trägt in leicht hingeklexten ungleichen Lettern die frische Inschrift:
Ci-gît
Marguerite Froehlich.
Darunter auf der senkrechten Latte steht der Todestag, aber sie ist bis an das Querholz ins Erdreich gedrückt, so daß nur noch Freund Hain's Pluszeichen und die Ziffer 13 zu sehen.
– Est-ce par hasard que vous l'avez connu, Monsieur? fragte mich nun der Mann mit dem Ziegenhainer, als er bemerkte, daß ich die Inschrift gelesen.
Und er fragte mit einem Tone, als wollte er sagen: Wenn Du Dich nicht gleich von hinnen trollst, so kommen wir übel an einander! décidément der Mann war kein Franzose.
Ich sah ihm ruhig ins Gesicht. Zwei kühne graue Augen über starken regelmäßigen Zügen, kurzer blonder Schnurr- und Knebelbart, lichtbraunes knappgeschornes Haar, buschige Brauen und in der linken Wange eine vernarbte sternförmige Fleischwunde wie von einem Messerstiche, noch auffallend roth. Der linke Nasenflügel stand etwas höher als der rechte, ohne daß diese Unregelmäßigkeit einen unfreundlichen oder unschönen Eindruck machte. Genauer zugesehen merkte man, daß eine feine Narbe zwischen den Brauen durch quer über die Nase bis in die Lippen ging. Hundert gegen Eins! Der Mann ist kein Franzose.
Drum gab ich ihm auf seine Frage die Antwort deutsch und sagte:
– Nein, Herr, ich bin zum erstenmal auf dem Mont-Parnasse und ohne persönliche Bekanntschaft.
Er sah mich lächelnd an. Wer lächelt nicht, wenn er unversehens in seiner Muttersprache angeredet wird? Er reichte mir über das Grab herüber die Hand und sprach:
– Grüß Gott, Landsmann! Sind Sie schon lange in Babylon?
– An drei Vierteljahr. Und Sie?
– Länger, viel länger!
Und mit der Hand unter den Hut über Stirne und Augen fahrend, setzte er nach einer Pause hinzu:
– Verdammt lang!
Ich hatte derweil meine Karte hervorgeholt und gab sie ihm. Er steckte sie in den Sack und sagte:
– Ich heiße Curt v. K . . . . . . .
Es war der bekannte Name eines alten weitverbreiteten freiherrlichen Geschlechts. Ein Träger dieses Namens bekleidet noch heute die erste Hofcharge in einem unserer kleineren noch nicht mediatisirten Fürstenhöfe.
– Sind Sie derselbe Curt v. K . . . . . . ., fragte ich weiter, der im Jahre 53 in Göttingen war?
– Ja wol! sagte er darauf und warf sich lächelnd in die Brust. Wo studirten Sie?
Wir nannten uns die Namen der Universitäten und die Farben, die wir getragen; darauf gab er mir nochmals die Hand, fester, zutraulicher, und nun geschah ein Fragen hinüber und herüber, nach diesem und nach jenem, ob er noch lebe und was aus ihm geworden und wo er sein Wesen habe . . . wie es eben geschieht, wenn zwei weiland Corpsstudenten sich von ungefähr in der Fremde finden.
Die heitere Vergangenheit warf einen plötzlichen Strahl auf sein Gemüth und blendete, daß es ein Weilchen die Gegenwart nicht sah. Aber auf einmal brach er das Gespräch ab, und sich zum Gehen wendend, lud er mich ein, ihn zu begleiten.
Er hatte schon den linken Arm in meinen Arm gelegt, da kehrt' es ihm wie unwillkürlich das Haupt zurück und, den Stock abermals in die Schollen des schlechten Grabes bohrend, sprach er halb leise hinab:
– Gedulde Dich eben noch kurze Frist . . . der Friede sei mit Dir!
Wir gingen schweigend neben einander her; ich wollte sein stilles Denken, ich durfte seinen Schmerz nicht stören.
Als wir die Schwelle des Kirchhofs hinter uns hatten, begann er selbst von freien Stücken und sagte so vor sich hin, als redete er halb mit sich und halb nur mit mir:
– Es geht mich eigentlich nicht näher an. Als das Gretchen starb, war sie mir weder verwandt noch befreundet; nichts Liebes und nichts Gutes . . . ein Stückchen Vergangenheit allenfalls. Aber wie wir schon einmal sind, die Treue steckt im deutschen Blut. Und mir ists, als wär's eben selbstverständlich, treu sein, treu den Anderen, wie auch sich selbst und seiner Erinnerung; treu sein bis ans Ende und übers End' hinaus! Was ist dabei!
– Und sie war eine Deutsche? fragte ich, da er schwieg.
Nein! erwiderte er barsch und hart.
Und später erst fügte er freundlicher hinzu:
– Wie mans eben nimmt!
Der Nebel fiel immer dichter und es dunkelte, als wir zwischen den Baumreihen der Avenue de l'Observatoire hingingen. Da hielt er auf einmal einen Moment inne und begann:
– Wie hurtig doch das Leben verfließt! Mir will der Tag nicht aus dem Sinne, da ich die Grete zum erstenmal gesehen. Und ist doch schon lange her. Das war auch damals, als Sie zum erstenmal von mir gehört . . . anno 53; du liebe Zeit! Sie werden sich des Lärms erinnern, den ich mit den Sachsen hatte. Der hochweise Rath schickte mich in Folge dessen über die Höhe und ich bezog in Gottes Namen Heidelberg. Es war in den Pfingstferien, da fuhren wir hinüber nach Straßburg, so ihrer sechs oder sieben. Die Sonne schien so wunderwarm, wir waren durstig und guter Dinge und wollten über Land, denn ich habs innerhalb Straßburg nimmer lang aushalten können. Das mühsame Verwälschen deutscher Art bringt mich immer auf. Wie wir so die Kinderspielgasse – »rue du jeu des enfants« haben sie aus dem schönen Namen gemacht . . . 's ist zum Teufelholen! – wie wir die Kinderspielgaß' hinaufwandern mit frohem Sang und lautem Jubiliren, sitzt da auf einem Schwellenstein ein kleines Mädel und hält die Schürze vors Gesicht und flennt und schluchzt, daß Gott erbarm'.
»Was weinst Du denn so sehr, Du winziges Jüngferchen?« sagte Einer von uns, der vor dem Kinde – die Grete mochte damals gerade dreizehn Jahre haben – der vor ihr stehen geblieben war und sich niederbeugend an ihrer Schürze zupfte.
Sie sah einen Augenblick auf wie verdutzt, dann, als sie Keinen erkannte, versteckte sie das Gesicht wieder hinter dem blauen Kattun und plärrte drauf los wie von Gott verlassen. Die Anderen stellten sich um sie herum und johlten sie mit dem alten Liede an:
Mädchen warum weinest Du, weinest Du, weinest Du,
Mädchen warum weinest Du, weinest Du . . . so sehr?
Da fing das Kind auf einmal unter Thränen an zu lachen, schämte sich und stand auf und griff nach der Thürklinke.
Ich, der gleich den Anderen allen von guter Laune wie besessen war, faßte die Kleine an der Hand, strich ihr traulich über Scheitel und lange Zöpfe und bat gar einschmeichelnd, sie sollte mir ihr Herzleid erzählen.
Unter Schluchzen kams heraus und im richtigsten Allemannisch, daß sie seit Ostern hinüber ins Badische gethan worden wäre, in ein Kloster, um allerhand Gutes und Nützliches zu lernen. Nun sei sie auf die Pfingstfeiertage nach Hause gebeten worden; da habe sie sich so gar sehr darauf gefreut, den Vater wiederzusehen und die Tante mit den Geschwistern. Aber alle Freude ist zu Wasser geworden, denn nun wäre des langen lieben Tages kein Ende von hänseln und foppen, »weil sie alleweil so dütsch schwätzet«. Und die Tante gar – dabei brach die Kleine wieder in helle Thränen aus – die Tante sagt, sie wäre ganz zur Schwäbin worden und sie möchte sie nimmer sehen, so lange sie gelbe Füße hätte, denn die Schwaben und die Gänse hätten gelbe Füße.
Darauf setzte sich das Kind sofort auf die Schwelle nieder, zog die Beine zurück und deckte den Rock über die Schuhe und schluchzte dazu:
»Ich hab' keine gelbe Füße kriegt, ich will keine gelbe Füß' kriegen!«
Wir schlugen eine helle Lache auf und schwuren hoch und theuer, daß wir allesammt gelbe Gänsefüße hätten.
Da öffnete sich die Hausthüre und wir sahen einen schönen alten Mann, der die grüne Sammtmütze vom grauen Haupte und die Pfeife aus dem Munde nahm, uns zu begrüßen, und nach kleiner Weile die Herren Studenten einlud, ihm innerhalb seiner vier Wände Bescheid zu thun.
Wir tranken deutsch, wir sprachen deutsch und fingen bereits an, uns auf gut deutsch zu streiten. Da wies der Alte auf die Bilder an seinen Wänden; die waren französisch, das ist wahr. Hier Kleber, der ernste Marschall, und dort der glühende Barbaroux, dem Maire von Straßburg die Marseillaise vortragend. Ich aber stand auf und griff nach den Büchern, die zuvörderst auf seinem Bettschränkchen standen; die waren deutsch . . . das Gesangbuch und die lutherische Bibel . . . die legte ich vor ihn hin. Da stützte er das Haupt in die Hand und schwieg. Die Weiber aber riefen aus ihrer Fensternische herüber:
»Wir sind eben doch Franzosen, und die besten Franzosen noch dazu; wie könnten wir wieder »dütsch« werden!«
»Da habt Ihrs,« sagte der Alte, »laßt umfragen im ganzen Elsaß, ob die Leut' »dütsch« werden wollen und paßt auf, was herauskommt.«
Das Kaiserreich war damals noch kein Jahr alt und wir waren auch noch jung und im Vaterland sahs abscheulich und unappetitlich genug aus, und wir antworteten derb und trocken:
»Man hat Euch seinerzeit nicht gefragt, ob Ihr französisch werden wolltet, man wird Euch einmal auch nicht fragen, ob Ihr wieder deutsch werden wollt.«
Die Wendung des Gesprächs war uns Allen leid, besonders seit sich die Frauenzimmer drein gemischt; wir nahmen Urlaub und baten den Alten, uns auf den Ausflug, den wir vorhatten, Gretchen mitzugeben, das wieder angefangen zu weinen, als vom Deutschwerden geredet worden. Zum Zeichen, daß Keiner Groll bewahre, gab der Hausvater zu. Und wir zogen hinaus vor die Stadt zum Rheine hinab und setzten uns in einen Kahn.
Das vermaledeite Thema hatte uns die gute Laune verschlagen. Wir wollten nicht trinken, wir wollten nicht einmal reden. Da fingen wir an zu singen, ein Lied ums andere. Und wie beim Tact der Ruderstangen übers Murmeln des Stromes hin die lieben Weisen erklangen, die uns Allen im Herzen geschrieben stehen, da ward uns traurig zu Sinne, denn wir dachten des Vaterlandes und seines großen Unglücks.
Da kam das kleine Gretchen zu mir; sie drückte sich schmeichlerisch an mich und fragte mich, warum ich so still und so traurig wäre.
Ich küßte das Kind und steckte ihm die losgewordenen Zöpfe zurecht.
Es fing derweil selber zu singen an und warf dazu die Wiesenblumen, die es am Ufer gepflückt, eine um die andere in den gleitenden Fluß, so daß des Kahnes Spur hinter uns mit lichten Blümlein geziert war.
Was sie sang?
Deutsche Weise, ein Lied ums andere, gar wohlbekannte Volkslieder, denn wenn sie schon theilweise französisch reden lernen im Elsaß, so wirds doch noch eine Weile währen, bis sie französisch singen lernen.
Wir stiegen ans Land und fanden die frohe Laune wieder, wenn auch der alte Uebermuth nicht wiederzufinden war. Es wurde nicht getollt und keinerlei Unfug getrieben.
Und als wir im Mondenglanz uns stromaufwärts ziehen ließen, nahm ich das Kind zwischen meine Knie und erzählte ihm viel und lange von der Heimat, Ruhm und Größe, wie schön und lieb das Land, wie treu und gewaltig, wie kühn und weise, wie streitbar und kunstverständig sein Volk, wie ihm keines zu gleichen sei von allen Völkern des Erdkreises, ihm, dem vielgeprüften, dem blonden Volk der denkenden Menschen.
Curt schwieg.
Unter den Arkaden des Odeon war es so dunkel.
Ich sagte:
– Ich wollte, Sie hätten noch weiter erzählt.
– Ein andermal! war seine Antwort. Reden wir jetzt lieber von etwas anderem.
– Wie lange haben Sie studirt?
Er lachte.
– Zehn Jahre
– Oho!
– Zehn volle Jahre. Das liegt so in der Familie. Die K . . . . . . .'s studiren allesammt zwei Lustren, wenn sie überhaupt studiren. Unser wohledler Samen hat sich vermehret wie nach patriarchalischer Verheißung. So kommts, daß der Einzelne – die Majoratsherren weggezählt – nicht übermäßig mit Glücksgütern gesegnet ist. Aber wir haben ein Familien-Stipendium aus der guten alten Zeit, das jedem männlichen K . . . . . . ., so lange er auf Hochschulen studirt, per Semester tausend Gulden gibt; nur darf sein Studium nicht länger als zehn Jahre dauern. Na, zweitausend Gulden jährlich sind ein guter Wechsel, und ist Einer klug und geht über Gießen und Marburg nicht hinaus, so kann er nach seinem zwanzigsten Semester ein Vermögen von zehntausend Gulden im Trockenen haben. Ich habe nie an übermäßiger Klugheit gelitten und zum Ueberfluß studirte ich die letzten Semester schon hier in Lutetia Parisiorum.
– Was haben Sie denn studirt?
– Zuerst war ich Montanist und wars freudig. Da brach zu Freiburg ein Schacht mit mir ein. Zwei gingen total drauf; ich brach blos zweimal das Bein. Es thut nicht mehr weh, aber ich durfte nicht mehr ans Grubenfahren denken. Ich studirte nun Jura. Da schlug mir in einer Neujahrsnacht ein betrunkner Knote sein Messer ins Gesicht. Ich wollte das Thier erwürgen, aber man bändigte und tröstete mich mit der Justiz. Die Justiz sprach den Bengel frei und steckte mich vier Wochen in den Carcer. So kriegt' ich auch die Rechtsgelahrtheit satt.
– Und dann?
– Und dann? Dann studirte ich die Menschen und ihre Sitten und Charaktere; 's ist eine Wissenschaft wie jede andere und wird Einem auch oft genug verleidet.
– Und was treiben Sie nun?
– Was ich nun treibe? sagte er lachend. Ich wills Ihnen bald zeigen. Aber dann müssen Sie vorerst meine Einladung zu Tisch annehmen. Schlichte Hausmannskost und gutes Glas Beaune – ja?
Ich schlug ein. Wir waren schon vor den letzten Worten an der Thüre eines Kaffeehauses stehen geblieben, welches mitten im lateinischen Quartier, nahe am Boulevard Sebastopol liegt. Er bat mich einzutreten, und als ich dem Aelteren den Vorrang bot, wies er ihn lachend ab, denn er wäre hier zu Hause.
Von diesen besseren Etablissements sieht so ziemlich eines aus wie's andere. Lange Spiegel an den Wänden, weißgetünchtes Holzgetäfel mit schmalen Goldleisten, weiße Marmorplatten zu Tischen, auf den Sitzen rother Plüsch. An den Fenstern wie an den Wänden liest man »Bock de Munic«, »Bock de Mayence«, und innen in der Tiefe, hinter einem zierlichen Kathederchen sitzt ein junges Mädchen, das sich in der Regel durch nichts als ihre sorgfältige Frisur auszeichnet.
Das Dämchen hier thut deßgleichen, hat sogar röthliches Haar und trägt es mit bewußtem Stolz, und wenn es auch ein wenig schielt, es sieht doch recht freundlich drein.
Es heißt Euphrasie und sagt zu meinem Begleiter mit sittigem Neigen des schweren Hauptes:
– Bonsoir, Monsieur le Baron.
Nun ertönts von allen Tischen. Hier rufen die Deutschen: »Guten Abend, Baron!« dort wiederholen die Franzosen den Gruß des Comptoirfräuleins. Lauter freudiges Durcheinander; dazu klappern die Biergläser auf den Steinen, und der Eine schreit: »une choppe!« und wo ihrer Mehrere sitzen: »un mooss!«
Mit diesen technischen Ausdrücken hat das Biertrinken den Sprachschatz der modernen Franzosen bereichert, wie schon ihre Altvordern von den unseren das Wort trinquer für unser Zusammentrinken entlehnt haben. –
Curt bat mich Platz zu nehmen und verschwand.
Ich musterte die bunte lustige Gesellschaft.
Unter den Deutschen waren mir mehrere bekannt: Gelehrte, die in der kaiserlichen Bibliothek arbeiteten, Journalisten, Lehrer an öffentlichen Anstalten, Mediciner, Künstler.
Es ging laut her bei ihnen und sie riefen bald wieder nach dem »Baron«.
Da kam er auch schon. Unter dem linken Arme eine blanke Serviette, in der rechten Hand einen vollen Schoppen. Den stellte er heiter vor mich hin und sprach:
– Prosit, Landsmann; noch ein Weilchen Geduld, bis die Suppe kommt.
Und sich an meinem Erstaunen weidend, fuhr er fort:
– Nun, sehen Sie, daß ich hier zu Hause bin, d. h. nicht einmal so eigentlich in meinem Hause, denn ich bin nur der Pächter dieser Brasserie. Aber das Geschäft nährt seinen Mann und ist ein redliches und gutes Geschäft, und ich treibe es nicht ohne Vorliebe, nicht ohne Geschick. Mein Onkel, der Obersthofmarschall Serenissimi, meint freilich, ich wäre hierzulande verbummelt und verdorben, allein –
– Monsieur le baron, monsieur le baron! riefen die Ungeduldigen von allen Seiten, und er brach die Unterhaltung ab.
Die Malzeit nahm ich im häuslichen Kreise des »studirten« Wirths. Ich saß zwischen ihm und der zierlichen Euphrasie, gegenüber zwei deutschen Freunden; der eine war ein Professor am Collège St. Barbe, der andere ein junger Arzt.
Weiter unten saß Alles, was im Hause diente, in seinem Rang entsprechender Reihenfolge.
Einfache Kost und unvermischter Wein, heitere Gesichter und ernstes Gespräch.
An vertrauliches Zwiegespräch konnte freilich erst später gedacht werden. Die Berufsgeschäfte des Hauses machten sich immer mehr geltend.
Ich griff, mir die Zeit zu kürzen, nach einem Buche, welches neben dem Wirthschaftsjournal Euphrasie's lag.
– C'est le bréviaire du baron, sagte sie lachend, je ne m'y connais pas.
Es waren die Parerga und Paralipomena.
Nachdem die Gäste sich endlich verlaufen hatten, nahm der Baron einen Stuhl und einen Schoppen und setzte sich an meine Seite.
Die kleine Euphrasie schloß ihr Buch und versperrte ihre Kasse; dann gab sie mir freundlich die Hand, fragte, ob ich morgen wieder kommen würde und empfahl sich.
Als das Knistern ihres seidenen Kleides, das sich langsam die enge schlanke Wendeltreppe hinaufzwängte, sich verlor, ward es ganz stille. Nur zuweilen erklang vom Oberstock herab der festere Stoß nach einer Billardkugel oder der lautere Fluch eines Studenten.
Und der Baron sprach gar bald wieder von der alten Zeit und den alten Bekannten und von Gretchen Fröhlich, und wie es gewachsen und wunderhübsch geworden sei.
Ich wies nach dem Letzten der Gäste, welcher noch im Erdgeschoß verblieben. Ein struppiges schwarzes Haupt, das sich in einer Fensternische mit dem Journal pour rire zu beschäftigen schien.
Curt charakterisirte ihn mit einer gemüthlichen Handbewegung als einen Unerheblichen, der kein Wort Deutsch verstände und erzählte weiter.
Es war eine sonderbare traurige Geschichte, die er mir erzählte in unzusammenhängenden Umrissen, von nöthigen Fragen unterbrochen, die doch nicht genügten, um mich über die Einzelheiten ins Klare zu setzen.
Und doch war der Eindruck, den ich mit nach Hause nahm, so schwer, daß ihn meine Seele nicht abschütteln konnte, und noch auf dem Heimwege beschloß ich, die Wirthschaft des neugewonnenen Freundes recht oft zu besuchen und seiner Geschichte auf den Grund zu kommen und ihm in seinem Vorhaben behilflich zu sein.
Als ich dem Concierge klingelte, merkte ich erst, daß das schwarze Haupt des letzten Gastes dem meinigen gefolgt.
Während ich mir Mühe gab, den Schlaf unseres Thürhüters zu brechen, begrüßte er mich.
Nun erkannte ich ihn auch. Das war Monsieur Sève, mein Stubennachbar, bachelier ès lettres, bachelier ès sciences, Studirender der Medicin. Er hat auf seinem Zimmer einen Todtenkopf, darin er seinen Tabak aufbewahrt, und die Erzählungen Marivaux', darin er studirt. Sonst ist wenig gelehrter Hausrath bei ihm zu finden.
Er ist auch nicht sehr ordentlich und nicht sehr hübsch. Die drolligen Augen liegen so tief und
»Die Nas' ist böser Warzen voll,
Das kommt vom vielen Alcohol.«
Wir haben nämlich ein Lied auf ihn gemacht, doch ist er ein guter Jung' und ein echter Franzose, der sichs nicht ausreden läßt, daß Polen eine Seeküste hat und daß man in Aachen französisch spricht. Ich bin überzeugt, der Mann macht Carriere.
Er ists auch überzeugt, und sein Vater ists erst recht, und das ist das wichtigste.
Einmal sagte Monsieur Sève triumphirend zu mir:
– Vous ne le trouverez pas chez nous, l'amour allemand, l'amour à la Werthère.
Und doch, auch dieses Männerherz empfindet.
Er blieb nur meinethalben so lange in dem Kaffeehause sitzen, argwöhnend, ich möchte die neue Freundschaft des Wirths und die neuere seiner Demoiselle du Comptoir mißbrauchen, denn während wir die Treppe hinaufstiegen, sagte er bitter zu mir:
– Elle est charmante, la petite Euphrasie... n'est-ce pas Monsieur? - mais, fügte er nach einer Pause lauernden Scharfblicks hinzu, mais elle n'est pas constante. Ah ma foi non! Prenez garde!
Ich schloß mich in mein Zimmer ein; aber ich konnte keinen Schlaf finden. Ich trat auf meinen Balcon und sah lange hinab, wie in dem Baumgarten tief zu meinen Füßen in den uralten Steinen des musée des thermes die Mondstrahlen Versteckens spielten.
Der Nebel war ganz verschwunden, in mächtigen Glanz getaucht lag das weite schlummernde Paris, aus dem wie eine riesige versteinerte Kreuzspinne sich die Notredame erhob.
Ich dachte an Manches, was dieser Tag an meiner Seele vorübergeführt, und zuletzt malte ich im Geiste mir die Züge Gretchen Fröhlich's und anderer Menschen, die ich nie gekannt.
Ich ward recht traurig.
Da weckte mich abermals Monsieur Sève aus meinem Sinnen. Monsieur Sève ist nämlich zum Ueberfluß auch musikalisch. Ja, er bläst den pied qui remue auf dem Cornet à piston und zwar mit großer Fertigkeit und noch größerer Passion. Aber heute scheint er melancholisch zu sein. Mühsam quälte er seinem Blechinstrumente eine andere Weise ab. Und welche Weise!
Ich kenne dich wohl. In jüngster Zeit hat die Viardot sie hier wieder zu neuen Ehren gebracht. Ich kannte dich lang und schon daheim. Und wer denn kennte dich nicht, des Orpheus wundervolle Klage:
»Ach, ich habe sie verloren!«
Einmal verliert sie Jeder, seine Eurydice, und wen der Herr lieb hat und züchtigt, der verliert sie vielleicht auch öfters. Der Eine verliert sie so, der Andere so, à la Werther, à la Sève, à la Baron, à la . . . u. s. w., ein Jeder nach seinem Geschmack und Geschick und Verdienst. Aber der Grund ist selten mehr denn eine Kleinigkeit, ein Etwas, kaum größer als ein Nichts, so flüchtig wie ein Wenden des Hauptes, so leicht wie ein Augenblick, ein ganz klein Bischen zu viel Liebe, oder sagen wir lieber, um Niemand zu kränken, vor allen die Frauen nicht: ein ganz klein Bischen zu viel Liebe zur unrechten Zeit. Wie weise doch die Alten waren!
Die wilden Thiere hatte er gebändigt, die leblosen Steine gar zum Folgen gezwungen, die lichten Götter des Himmels seinem schönen Flehen gehorsam gemacht, ja selbst der Hölle finsteren Herrn in Rührung überwunden. O der Qual und Müh' und Arbeit! Und Alles um ein lächelnd Weib! Sein ist sie, er führt sie an der Hand, aber der Wundergewaltige, der Alles bezwang, die kleine Wimper des ungeduldigen Auges, ist sie denn gewaltiger denn er?
Die Wimper zuckt und ach, er hat sie schon verloren.
Dann nennen wir ihn wol einen Thoren; die Alten aber bewunderten, beklagten, vergötterten den Orpheus. Die Alten waren so weise! –
Seit jener Nacht ist mancher Tag ins Land gegangen. Seitdem bin ich der Geschichte Margarethens auf den Grund gekommen, ich kenne die Menschen, ich kenne die Häuser, ich kenne den kleinsten Umstand. Freilich hats Mühe genug gekostet, aber nun weiß ich auch Alles.
Wenn Ihr wollt, so will ich Euch die Geschichte erzählen in meiner Weise. Aber Ihr müßt mir geduldig zuhören und freundlich sein.
Und warum auch nicht?
Die Nacht ist ja so stille und der Mond scheint so schön! Und drüben in seiner Kammer sitzt noch immer Monsieur Sève und tutet Mond und Nacht an.
Er hat sich jetzt durch Fleiß und Beharrlichkeit in die liebe Melodie gefunden und fehlerlos und verständnißvoll bläst er in die vier Wände des Himmel sein:
Chè farò senza Eurydice?
So hört!
Inhaltsverzeichnis
Im Anfange des Jahres 1863 gab Monsieur Samuel Klopffechter einen glänzenden Ball zu Ehren seiner einzigen Tochter Marie, die er sehr lieb hatte.
Monsieur Klopffechter wohnte in der Rue de Rivoli, genüber dem Tuileriengarten in prachtvollen Räumen, an deren Einrichtung und Ausschmückung sich Geschmack und Kunstverständniß seiner Gattin in so merkwürdiger Weise bethätigt hatten, daß diese Wohnung noch jetzt für eine der zierlichsten und heimlichsten in ganz Paris gilt. Leider war diese herzensgute kluge Frau bald nach ihrer Uebersiedlung an einem Nervenschlage gestorben. Da hatte der Witwer sein Herz und seine Wohnung verschlossen. Die Vorhänge blieben herabgelassen, die Bilder und Kostbarkeiten und Möbel kamen unter Staubdecken und Ueberzüge.
Samuel lebte nur seinen Geschäften und der Erziehung seiner beiden Kinder und beeilte sich nicht, einen Schmerz zu überwinden, welchen er einen ewigen nannte.
Also wuchs unter gedämpftem Lichte ein schönheitstrahlendes Mägdelein heran, und als Papa Klopffechter sich dieser Wahrnehmung trotz aller Vorkehrungen nicht mehr entschlagen und der Kalender und die Welt nichts mehr dagegen einwenden konnte, ließ er die Jalousien öffnen, die Ueberzüge abnehmen, schmückte sich mit seinem schönsten Lächeln und führte sein Töchterchen in die Welt und die Welt in sein Haus.
Monsieur Klopffechter war kein schöner Mann und konnte wol auch in jüngeren Jahren nie für einen solchen gegolten haben. Er sah meist recht vergnügt, nie aber harmlos und ebenso mißtrauisch als unerbittlich aus; seine Nase war krumm, sein Mund geradlinig. Dabei pflegte er die Gewohnheit, mit den Nüstern zu zwickern, als wüßte er überall seinen Theil auszuschnobern, und nach jedem fünften Worte sich die linke Hälfte der Oberlippe abzulecken.
Er hatte die Augen eines Bagnoprofoßen und den Wanst eines Eunuchen, Hände wie ein Knecht und Füße wie ein Sklave.
Trotzdem hatte er seine Häßlichkeit niemals zu beklagen, seiner Persönlichkeit Leibesschönheit zu wünschen noch nicht Ursache gefunden. Er war Philosoph, keck und – reich.
Daß Klopffechter ein Deutscher hebräischer Confession war, brauche ich nach Nennung seines Namens kaum ausdrücklich zu versichern. Um aber seinem Porträt den entscheidendsten Zug zu geben, sage ich: er war aus Frankfurt am Main. Dorthin waren seine Eltern aus Oesterreich in der milden Zeit des Dalbergischen Regiments gezogen und dort zu Ansehen und Reichthum gediehen.
Ueber seinen mißrathenen Namen vermochte der Mann sich weit weniger zu beruhigen, als über Gestalt und Gesicht. Die oben genannten drei Haupteigenschaften hatten ihm im Lauf der Zeiten nicht nur nach und nach eine Menge Trostgründe unter der Form von einheimischen Bühnenkünstlerinnen und Ladenjungfern, englischen Gouvernanten und anderen importirten Luxusartikeln weiblichen Geschlechts in die Arme geführt, sie hatten auch dafür gesorgt, daß ihr Besitzer sich im Besitze einer lebenslänglichen Herzensneigung glücklich wissen konnte, als ihn in reiferer Jugend dies Bedürfniß überkam.
Aber auch dies ernste, schönste, stärkste Bedürfniß seines ganzen Lebens konnte nicht befriedigt werden ohne jenes bittere Gefühl, welches Klopffechter mit seinem Namen empfangen hatte, zu bestärken, zu steigern, zu übertreiben.
Er hätte es leicht wie Andere machen und sich mit nachgeäfften adeligen Passionen, welche ihm seine Mittel erlaubten, über Bürgerrechte trösten können, die ihm versagt blieben. Er hätte sich als ein Bruchtheil eines Volks in Völkern betrachten und seine Heimat so weit wie seine Wechselbriefe reichen lassen können.
Er hätte sich glücklich fühlen können als Mitglied jener immer mehr bei lösendem Zwang aus dessen Nachwirkungen sich formenden zweiten Aristokratie des Geldes, welche an allen Hauptstädten Europas der ärmeren und nur scheinbar älteren weiland privilegirten Kaste Concurrenz macht. Er aber meinte, er könnte Besseres und Gescheiteres treiben, und daß er denn doch nicht konnte, wie er wollte, verbitterte ihm das Leben. Verhältnisse, mit denen diese sich versöhnt, die Jenen gar ans Herz gewachsen waren, Klopffechter empfand sie nur in ihrer häßlichen Komik und fügte sich nur widerwillig in ihre scheinbaren oder wirklichen Vorzüge.
Eine practisch tüchtige, weit aussehende Begabung wie die seinige wollte wirken, wo und wie es ihr gefiel, nicht in eng gegebenen Schranken.
Er empfand ein lebhaftes Vaterlandsgefühl und hatte doch kein Vaterland.
Es drängte ihn, sich als Bürger unter Mitbürgern zu bethätigen, und er war und blieb – Klopffechter.
O über diesen Namen; er empfand ihn wie ein Brandmal – aber er trug ihn wie eine Krone.
Als einst an den Ahn die moderne Nothwendigkeit, sich von anderen Mitmenschen durch einen Familiennamen zu unterscheiden, in Gestalt einer staatlichen Verordnung und eines Josephinischen Polizei-Commissärs herangetreten war, da hatte es sich gefügt, daß dieser letztere auf den Ahn, ich weiß nicht, mit wie viel Recht oder Unrecht, einen gar boshaften Eigensinn wirken lassen, und von diesem Eigensinne gegen alle Gewohnheit weder durch Geld noch gute Worte abzubringen gewesen war. Nicht Levy und nicht Hecht, der Ahn, welcher ein berühmter Rabbi und großer Schriftgelehrter war, mußte Klopffechter heißen, und Klopffechter hießen alle seine Nachkommen und vom Ahnherrn auf die Enkel ging mit dem Namen auch dieses Namens Stolz und Groll.
Wenn Samuel gute Freunde riethen, seinen Namen ins Französische oder Ungarische frei zu übersetzen, pflegte er barsch zu antworten, daß er's Gott sei Dank nicht nöthig hätte, seine Kleider, geschweige gar seine Haut und noch weniger seinen Namen färben zu lassen.
Als er aber seinerzeit vor dem Mädchen gestanden, das er sich zum Weib erwählt, hatte er es doch mit zweien von den wenigen Thränen seines Lebens fragen gemußt, ob es so einen abscheulichen Namen durch ihr ganzes Erdenwallen und dereinst auf ihrem Grabsteine tragen wollte.
Das Mädchen war ihm um den Hals gefallen und hatte gesagt, daß es auf der weiten Welt keinen besseren, keinen wünschenswertheren Namen gäbe.
Diese Antwort wäre wol im Stande gewesen, Klopffechter mit seinen gesellschaftlichen Unterscheidungszeichen zu versöhnen, allein dabei war noch ein anderer Umstand, der ihn nur umsomehr verbitterte.
Seine Braut war eine Christin, ein armes, aber gutes Frankfurter Bürgerskind, und sie zu ehelichen war nach den Gesetzen der sogenannten freien Stadt ebensowenig möglich, als es, wenn möglich, den beiderseitigen Anverwandten Freude gemacht hätte. Samuel aber trug auf den festen Schultern einen gar harten Kopf, sein Bräutchen war just auch nicht von den Weichmüthigen, und nach vielem bürgerlichen und familiären Aerger und Gram saßen Herr und Frau Klopffechter junior in wohlversorgter Häuslichkeit zu Lyon, wo der Gatte sich mit viel Geschick und Glück am Seidengeschäfte betheiligte.
Nach wenigen Jahren genoß er alle Freuden des Vaters, alle Rechte des Menschen, alle Pflichten des französischen Bürgers. Er lobte Gott und das Jahr 1789 und schimpfte auf seine Heimat, daß es ein Graus war. Die Leute, welche ihn umwohnten, zerdrückten mit ihren weichlichen wälschen Zungen den ihnen ewig unaussprechlichen Namen in einen sonderbaren, nichtssagenden, unkenntlichen Lautklumpen zusammen, und wenn der Träger desselben ihn unter ein Schriftstück setzte, oder wenn er ihm auf einem früher unterfertigten wieder vor Augen kam, sah er ihn immer ein Weilchen mit malitiösem Lächeln an, als wollte er sagen:
– Gelt, Alter, ich habe dirs eben doch abgewonnen und bin der Stärkere von uns Beiden.
Im Jahre Achtundvierzig kaufte sich Samuel die Grundrechte deutscher Nation und hing sie in einem goldenen Rahmen über seinem Betet auf. Der Gedanke, welcher ihn damals anwandelte, nach Frankfurt zurückzusiedeln, ward ihm aber bald wieder verleidet.
So blieb er in Lyon und ward immer wohlhabender und fühlte sich immer zufriedener. Der rothe Knopf der Ehrenlegion ließ nicht lange auf sich warten.
Als der große Bürgerkrieg in Amerika losbrach, verdiente Klopffechter gelegentlich der Lieferungen für die Südstaaten große Summen. Er zog sich von den Geschäften zurück, ließ sich in Paris nieder, machte ein angenehmes Haus und verdaute sein Frühstück auf der Börse.
Da, auf der Sonnenhöhe seines Daseins, traf ihn das Unglück. Seine blühende Gattin riß der Tod jählings von seiner Seite, und nun verschloß sich der Witwer in seine glänzenden Gemächer und seinen finsteren Schmerz, nur mehr der Erinnerung an die Geschiedene und der Pflege seiner heranwachsenden Tochter lebend.
Als Marie achtzehn Jahre alt geworden, legte Klopffechter seine Trauerkleider ab, knüpfte die früheren Verbindungen mit der Gesellschaft wieder an und öffnete seinen Salon.
Er war ein guter Wirth und es fehlte nicht an den verschiedenartigsten Gästen, die er alle mit gleicher Liebenswürdigkeit empfing und mit dem gleichen zufriedenen Selbstbewußtsein. Er war überall. Er schüttelte hier Einem die Hand, ließ sich dort in ein nichtssagendes Gespräch ein, fragte einen Diener, ob Mademoiselle Marie ihre Toilette noch immer nicht beendet hätte, gab einem anderen den Auftrag, Fräulein Marguerite möchte sich doch beeilen; dann mischte er sich leutseligst in einen Schwarm junger Mädchen, an deren Scherzen und Schäkern er sich gütlich that oder wies einem Kunstkenner die Schätze seiner Wohnung.
Gold, Marmor, Glas, Malerei und Getäfel, Holz und Gewebe mancher Art fügten sich hier zu einem Ganzen von fürstlicher Pracht, welches in reiner künstlerischer Schönheit sich gebildet. Hier wurde das Auge nirgends durch aufdringliche Schaustellung des Reichthums, das Gemüth nicht durch unheimliche Pracht, die Harmonie nirgends durch kleinliches, wenn nur kostspieliges Beiwerk gestört, wie das in den Wohnungen üppiger Pariser so häufig.
Das Verweilen in diesen Räumen war so anregend als das Durchwandeln derselben erquickend. Wie Formen und Farben der Möbel und Wände der einzelnen Gemächer einander folgten, ergänzten, entsprachen, war zu bewundern ein Genuß.
Am höchsten schätzte der Besitzer ein nach einer kleineren Seitenstraße gelegenes geräumiges Zimmer, in welchem etwa vierzig bis fünfzig Gemälde neuerer Meister zu sehen waren.
Von Deutschen waren Rahl, Knaus, Riedel, Schleich, die Achenbach, Heilbutt und Böcklin vertreten.
In diesem stillen reichgeschmückten Gelaß hatte Frau Klopffechter ihre besten Stunden verlebt; hier hatte sie tagelang sitzen und schauen mögen, mit ihrem Eheherrn rathend, ihr Töchterchen unterweisend, sich in ihre Bücher vertiefend oder auch nur ihre Kunstschätze betrachtend, ihren Gedanken nachhängend, sich der Heimat erinnernd und der Fremde, welche sie an Samuel's treuer Hand durchfahren.
Hier, ihrem Lieblingsbilde, der sonnebeladenen römischen Campagna gegenüber, im vergoldeten Lehnstuhle, dem alten Prunkstücke eines venezianischen Palastes, hier hatte sie auch den letzten Abend mit den Ihrigen verbracht, in heiterer Laune, in ununterbrochenem Gespräche, bis es sie schläferte und sie hinüberging, um lächelnd einzuschlummern und nicht wieder zu erwachen. –
Gegenüber dem Lieblingsbilde, der sonnebeladenen Campagne, im alten vergoldeten Lehnstuhl, sitzt heute ein junger, schmächtiger, geschmeidiger Mann mit kleinen raschen Augen. Die scharfe große Nase, dem Schnabel eines Raubvogels vergleichbar, biegt sich über den dunklen militärisch gedrehten Schnurrbart. Die derbere Rechte dreht am spitzen Knebelbart, die Linke trommelt auf der Armlehne den Generalmarsch der Ungeduld oder der Langweile.
– Oh, oh! sagt er jetzt, rüttelt sich fester in den alten Dogenstuhl hinein, so daß die kleinen Füße nicht mehr den Boden berühren und hin- und herzuläuten anfangen.
– Aber Anatole, das ist ja schrecklich langweilig! fährt er auf gut Pariserisch fort.
Und der Angeredete, welcher zwischen den Vorhängen der Thüre steht, – wendet sich bittend um und ruft besänftigend:
– Gedulde Dich noch ein Weilchen, Fortunato, es geht nicht anders.
– Meinethalben, wenn Dirs Vergnügen macht! erwidert gähnend Fortunat und Anatole verschwindet.
– Jetzt fangen sie gar an zum Clavier zu singen – auf einem Ball! O, diese Deutschen! Aber das singt überall!
Er legt den Kopf ins Genick, so daß der Strahl eines Wachskerzenbouquets, welches neben einer verschlossenen Thüre angebracht ist, ihm gerade ins Gesicht fällt.
Er hat ein hübsches offenherziges Aussehen, aber auch verbrannt von der Sonne.
Der dreißigiährige Herr ist viel gereist und dabei gar viel zu Fuß, unter Sack und Pack; Algerien, der taurische Chersones und die Lombardei, – China und Mexico haben ihn gesehen.
Das letztere Land ist ihm übel bekommen, von dort haben sie ihn bald wieder nach Paris geschickt; er trägt das Kreuz am rothen Bande wahrlich nicht unverdient.
– Immer singen, ja wol! fuhr er, die Augen auf die Decke heftend, fort, als wäre Anatole noch im Zimmer. Das erinnert mich an die gefangenen Tiroler Jäger, die sangen noch als – ach, die armen Teufel, die braven Kerle!
Aber man merkts, daß man in einem deutschen Hause ist, fuhr er unwillig mit einem derben Handschlage auf die Stuhllehne fort. Es riecht hier ordentlich nach Sentimentalität; sie liegt in den Möbeln, sie hängt an den Wänden, sie fällt vom Gesims auf Einen herab und steckt Einen an. Zum Teufel ihre Tiroler und ihre Juden! Was thut das mir? Ich will in meinen Cercle, mein Spielchen machen, Anatole. He? – Anatole? Ja so, der ist im Tanzsaal! Richtig, sie tanzen. Im Grunde ists im Cercle auch langweilig, na und wie! das ewige Spielen! – Es ist nicht die Beschäftigung, es sind die Menschen.
Ich habe keinen Freund mehr in der Welt. Anatole ist auch nicht von meinem Schlag. Was ich lieb gehabt von Herzen, die trauten Jugendgenossen, die wackeren Kerle, mit denen ich in der Wüste gewohnt und den Löwen gejagt, die besten aus der algerischen Schule, wo sind sie hin? In den Gräben von Sebastopol, auf den Feldern Italiens sind sie liegen geblieben und von all dem stolzen, muthigen, lieben Leben ist nichts mehr zu finden als ihre Spitznamen und die erblassende Erinnerung an etliche gelungene Streiche. Ehrgeiz, Corpsgeist, Rauflust, es sind lauter schöne Dinge, aber die alten Cameraden sind nicht mehr da; und ich habe sie lieb gehabt meine alten Cameraden.
Und doch, es lebe der Ruhm, es lebe die Armee, es lebe Frankreich! Zu allen Teufeln mit den schwarzen Gedanken. Ich glaube, ich bin wie Anatole reif zum Heiraten. Wo steckt denn der Biedermann?
Er unterbrach sich selbst und stand auf, um in den Saal zu gehen; da hörte er plötzlich etwas hinter sich zur Erde fallen. Er wendete sich um und sah nichts.
Es mußte hinter der verschlossenen Thüre neben dem Lichterbouquet. es mußte im andern Zimmer gewesen sein. Welcher Unsichtbare läßt da drinnen einen empirischen Gegenstand realster Härte fallen, wenn hier draußen der Letzte der alten algerischen Schule in melancholische Träumereien sich verliert? Sehen wir einmal zu!
Eben machte Fortunat eine Bewegung nach der Thüre hin, da kam ein hochstämmiger Mann aus dem Salon. Er trug nicht gerade den modernsten Frack in dieser Gesellschaft; sein kurzes Haar war wie sein Kleid eigenhändig vom Eigenthümer gebürstet worden, aber er sah doch nicht übel aus und hielt sich gar kräftig und stramm, obwol er auf dem einen Bein ein klein wenig hinkte.
Curt musterte das Zimmer wie ein alter Bekannter, heftete seinen Blick erst auf die Thüre des Nebenzimmers, dann auf Fortunato, der sich den Anschein gab, die Bilder zu bewundern.