Im Norden Europas starb ein Mensch. Im südlichen Wendekreis, mitten auf einer tropischen Insel, wurde ein Tiger geboren. Ein Herz hörte auf, ein Herz begann zu schlagen.
Ein düsterer Himmel über dem Lager der gebärenden Tigerin. Schweres Grau. Feuchter Nebel, in warmen Schwaden zwischen den gewaltigen Bäumen. Es brauste in den Kronen der Mangobäume.
Im Urwald floß ein Strom im Bogen rings um den Schlupfwinkel des Tigers. Jetzt stürzte das Wasser vom Himmel herab, ein weißer schäumender Regenwasserfall. Windgepeitscht warfen sich die dichtbelaubten Sträucher, zwischen denen die tragende Tigerin sich gelagert hatte, zu Boden. Rosige Blüten des Hibiskus, die gelben vom Oleanderstrauch glitten nieder zur Erde.
Rasch wurde es dunkel mitten am Tage. Zart zeichnete sich der Umriß eines Waringinbaumes gegen den fliederfarbenen Himmel ab. Wasser auf Wasser rauschte herab, Gras und Erde durchtränkend. Bald aber wurde es wieder hell, schon verstummte das Regenrauschen, die Sonne brach machtvoll durch, der Wind säuselte durch die grüngoldenen, zitternden feingefiederten Wedel der graustämmigen Palmen, langsam bewegte er die breiten, atlasglänzenden, dicken Blätter der Bananen. Die Bambusgesträuche schwankten, dunkler, inniger färbte sich das Laub des gewaltigen Brotbaumes. Die Knospen der Pflanzen strotzten in der warmen Feuchtigkeit.
Die gewaltige Tigerin leckte mit der hornbesetzten, rauhen Zunge sich ihren Leib, wand sich auf ihrem Lager, schlug mit dem Schweife um sich; sie öffnete den Rachen zu einem Brüllen, aber statt des tiefen dröhnenden Tigerrufes kam nur dumpfes Stöhnen. Die Sonne brach sinkend durch die Zweige. Wie hergezaubert schwankten winzige schillernde Vögelchen, blau, rot, smaragdfarben, durch die Luft des Abends, und zackig geflügelte Schmetterlinge, viel größer als die edelsteinfarbenen Vögelchen, segelten in Schwärmen durch die Luft, die von feurigen Farbenpunkten sprühte.
Dumpf dröhnte der Boden. Eine Herde schwarzer, schwerer Wasserbüffel zog vorbei. Der Leitstier hielt die mächtigen Krummhörner tief zur Erde gesenkt, streifte die Gesträuche, schnaubte, schlug mit dem langen Schweif um sich. Die alte Tigerin horchte auf, ihre gelblichbraunen Augen inmitten des goldfarbenen, schwarzgeströmten Antlitzes funkelten, die weißen Schnurrhaare zitterten. Sie reckte den gewaltigen geschmeidigen Körper, krallte sich mit den Vorderpranken an einem Baumstamme fest, dehnte sich, gähnte laut, entblößte ihr in der Dämmerung noch hell blitzendes Gebiß.
Wolkenloser Abendhimmel nach den Regengüssen. Die Sonne erglänzte in kupfernem Schimmer, während sie sich zum Spiegel des hoch angeschwollenen Stromes niedersenkte. Die Brise wehte vom Lande her. Zages Pendeln lackgrüner Blätter. Weiße Kakadus kreischten, von einem Iltis verfolgt, verstummten. Stare plapperten noch in den Zweigen. Hyänenhafte dürre Hunde schlichen sich vom Dorfe her durch das Gebüsch, suchten mit den spitzen Schnauzen abgefallene Kokosnüsse, vom Hunger gepeinigt. Dann zogen auch sie zum Flusse, zur Tränke.
Die Tigerin, zum erstenmal gebärend, spürte nicht Hunger, nicht Durst. Sie hatte sich breit auf den Boden gelagert, die Augen geschlossen. Schwer atmend ruhte sie. Stille und Schweigen. Ruhige Nacht. Dunkel und die ersten Sterne. Der Fluß schwarz. Tiefes Rauschen. Es krampfte sich mit einem zuckenden Herzschlag das Innere des Tieres zusammen. Die Glieder hatte das Tigerweib an sich gerissen, heiße Feuchtigkeit strömte von ihr. Es löste sich der Krampf des Innern. Es stieg der Mond, die hellen Sterne flimmerten. In ihrem Glanz sah jetzt die Tigerin aus ihrem Leibe Blut strömen, ein winziges, ganz rundes Haupt mit spitzen Öhrchen drängte sich ihr zwischen den Hinterbacken hervor, ein dünner Hals folgte nach, eine magere Brust, fleischlose Pranken mit plumpen Tatzen, zum Schluß ein dünner geringelter Schweif. Durch eine dünne Ader war das junge Tier verbunden mit der Mutter. Sie leckte ihr erstes Junge mit ihrer starren hornigen Zunge. Sie berührte die noch geschlossene Höhle der zwei Augen, die Stelle an der Brust des Kindes, wo ein Herz pochte in schnellem Schlage. Ein Leben ward begonnen. Nahar lebt, ein ruhendes, kleines, eben erst atmendes Tier. Die Mutter faßt das miauende Wesen ins Maul, trägt es sacht nach vorn, unter ihre Brust, nahe den strotzenden Zitzen. Da wird es ruhig, regt sich nicht. Noch einmal drängt es die Mutter, sich zusammenzukrampfen, sich aufzulösen. Es öffnet sich in strömendem Blut noch einmal der Leib des riesigen Tieres. Tiefe Nacht. Frösche quaken, laut tönt das Trillern der Zikaden, das schrille Reiben der Zikadenflügel. Die hohen Halme des Alang-Alanggrases zittern, das gebärende Tier verbergend. Durch die Nacht jagt Kalong, der Vogel mit Fledermausflügeln; die Nachtvögel tönen dumpf auf den Wipfeln der wehenden Brotbäume, Affen schnattern, nimmermüde in weiten Sprüngen von den knackenden Ästen absetzend, von starken Männchen geführt, die pfeifen und kreischen. Kokosnüsse fallen krachend herab. Jetzt heben sich allmählich grauweiße Nachtwolken aus dem nahen Strom, umwittern aufsteigend den schwebenden Mond, verfangen sich zwischen den Zweigen am Ufer. Das Mondlicht verdämmert, erlischt. Hirsche, Antilopen, massige Bisons ziehen in Rudeln zur Tränke. Prasselnd bricht ein Nashorn durch. Ein Büffel stampft auf den Boden. Schwer weht warme Luft, von Feuchtigkeit gesättigt. Regen strömt von neuem. Die Mutter deckt die zwei neugeborenen Jungen mit ihrem ausgebreiteten Körper zu.
Die Zeit verging ohne Anfang und Ende.
Auf der Halbinsel nahe dem Dorfe lauschte versteckt unter den Bäumen, inmitten des hohen Alang-Alanggrases, das Tierlager mit den ruhenden Tieren. Dumpfes Gleiten des Wassers zur Nacht, ewiges Atmen, ewig ziehender Zug. Schwerer strömte der warme Regen der Tropen, wusch sie alle, beruhigte sie, schläferte sie ein mitten in der herrlich quellenden Wildnis.
So lebte Nahar auf, zur Glückseligkeit Tier, gekleidet in den bunt gespannten Mantel einer herrlichen Kreatur, in flammend gestreiftes Fell. Der Regen verstummte. Gewaltig in Glanz brach durch die ziehenden Wolken der Mond von neuem.
Von einem Tiger geworfen, atmete Nahar Tigerdunst ein. Selig in ihrer müden Wonne saugte sie in sich den ersten Schlaf der Tiere. Über sich fühlte sie die Mutter, einen guten, großen Gott.
Guter, großer Gott der wiedergeborenen Kreatur. Ziehen, Rauschen, Hauchen ganz weich: so blies das Muttertier den jungen Tiger an, um ihn zu trocknen von der triefenden Feuchte der glücklichen Geburt. Die Mutter war glücklich: Nahe zum Greifen, nahe zum Kosen hatte sie vor sich die bis jetzt unsichtbare Last. In ihr aufgerichtetes, hell umbuschtes Ohr schmeichelte sich die Stimme der Jungen, die bis jetzt stumm in der Brunnentiefe ihres Leibes gelebt hatten.
Auf ihren gewaltigen, breit gehämmerten Pranken ruhten jetzt, gewichtlos wie abgefallene Knospen, die Köpfe der Geschwister. Inden Winkel des gebeugten Schenkels faßte die Mutter das Kind. In ihrem Knie kniete es, das hilflose. An ihre Augen wurde es gehoben, das blinde. Mit rauher Zunge, scharrend wie Stroh, berührte die Mutter die Tochter, um sie ganz zu fassen, zu fühlen im Kern ihres Herzens. Wieder betastete sie das Kind mit der Spitze der Zunge, dann mit der ganzen Fläche, die mit Stacheln aus starrem Horn, mit beißenden Kämmen besetzt war. So schlichtete sie das zerwühlte Fell, ordnete mit langem Ziehen des Kammes die kurzen Härchen der Jungen das Rückgrat entlang, vom mageren Hals bis zum dürren, unruhigen Schweif. Der noch geschlossenen Höhle der Augen, dem Spalt des zahnlosen Mundes spürte die Tigermutter nach, stark und sanft: tief atmend kostete sie den letzten Duft des eigenen Leibes, des eigenen Blutes. Noch einmal durchrann die Mutter die Wonne des Tragens. Es verzitterte das Beben der ersten Geburt.
Die Kinder, ganz erschöpft, lagen vor ihr wie tot.
Nacht, gegen Morgen.
Nahar und das Brudertier, von Blindheit umgeben, verschränkten ineinander die winzigen Glieder, flochten ineinander die Ringe, die ihren Leib umspannten, goldflaumig und schwarz. Nahars Kopf hatte sich tief eingelagert in die warmen Flanken des Bruders, Nahars Kopf wurde gehoben und gesenkt mit den Atemzügen des Bruders.
Kühler Regenwind öffnete das dichte Gezweig der Weide.
Wie durch das Tor schritt mit schwebendem Gang das Vatertier, Jagdbeute schleppte es nach, raschelte durch Traum und Schlaf.
In Dunkelheit erwachte Nahar. Der salzige Geruch des frischen Fleisches weckte sie mit bebender Freude, hoch horchte sie hin nach dem Fallen der Blutstropfen, die niedertropften in das regengeschützte Versteck. Über ihre emporgewölbte kleine Stirn streifte ein zertrümmerter Knochen, Körnchen von blutigem, fettem Mark glitten über des Tieres Lefzen, die jetzt ins Leere saugten und feuchte Luft erhaschten statt Speise.
Noch lagerte die Mutter in dem warmen Winkel der Geburt, noch träufelte das Blut der Eröffnung um ihren gewaltigen Hinterleib, als sie Nahar sacht emporhob in die Höhlung ihres gekrümmten Bauches. Die Kinder zu sättigen, erfaßte sie mit der aufgerollten Zunge eine ihrer starrenden Zitzen und drückte ihre milchspendende Brust Nahar in den zahnlosen, mit hohen Kiefern schnappenden Mund.
Selig sog das Junge die heiß sprudelnde Süßigkeit, in schwarzem, warmem Frieden breitete es sich rings um den Euter, den breiten, runden Heimatherd, es atmete und trank in tiefen Zügen, bewußtlos von Wonne wie ein Baum: neue Nahrung, Regen ohne Ende floß ihm zu.
Freudenvolle Wollust des Seins. Der große Mond, weiß in der Mitte des Himmels, durchbrach das dämmernde Regengewölk. Matt schimmerte er durch Nahars Augenrund, das noch mit dünnem Gehäuse verschlossen war. Zart wallendes Licht.
Der Wind, sehr feucht vom Regen, begann zu fauchen, zu zittern in der Krone des Baumes, unter dem vier Tiere ruhten.
Aus der Fülle des Traumes, von dem Teppich ihres Bettes, von dem schützenden Dach, vom warmen Heimatherd sang Nahar eintönigen Gesang. Ohne Mühe entquoll es schnurrend ihrer Brust, dehnte alles aus in ruhevollem Laut, in tief summendem Schwirren, hügelan gehoben mit der atmenden Brust, hügelab verseufzend in Stille.
Den Kopf hob Nahar fort von dem warmen Hügel der Mutterbrust. Es fühlte sich leben, das selig umdunkelte Tier. Mit winziger Zunge leckte es sich selbst die eckige Schulter, das magere Gebein seiner Brust, der dünn behaarten.
Die Mutter regte sich, aus dem gewaltigen Schlund kam dröhnendes Gähnen. In den weitaufgerissenen Rachen der Mutter tappte Nahar ihre ersten Schritte: sie klammerte sich an das Gesicht der Alten, verbarg sich ganz in der Grotte des Maules, frierend in der Nacht. Aber schon glitt sie hinab, den Quellen der Brüste nach.
In großer Beseligung preßte sie sich in das Gewühl des strotzenden Fleisches, sie lagerte sich in der milchtropfenden gesegneten Nähe: gesättigt, genährt an freudevollen Düften, sich selbst nahe, alle Glieder näher an sich heranschlingend, in stillstarker Umarmung schlummerte sie ein.
Wehender Monsun der ozeanischen Gestade. Der Mond war grau umhüllt. Graues Schimmern durch Nahars Augenlider.
Groß öffneten sich die Mutteraugen. Goldenes Funkeln, blendender Blitz in graues Gewölk. So wanderten die Augen um den Schlaf der Jungen, schützende Gestirne.
Regen rauschte von neuem, umstreichelte die engverschlungenen Zweige des Baumes. Das Vatertier schritt draußen im Regen, leise zwischen kriechendem Gebüsch. Der Vater zerriß die seilartig gestrafften Schlingpflanzen, sein mächtiges Haupt, aufspürend den Waldgang der jagdbaren Tiere, folgte nicht der lockenden Spur. Um das Lager des Weibes und der schlafenden Jungen wanderte er, in niedrig federnden langen Schritten, immer den gleichen Weg, ein treuer Wächter, der niemals schläft.
Auch die Mutter schlief nicht: an dem Abhang ihres Leibes, alle Glieder gelöst, ruhte ihre Brut. Ruhig war sie selbst, nur ihr Schweif schlug nervig die Steine des Gebärlagers, die von dem dunstigen Hauch der vereinigten Tiere sanft erwärmt waren. Er erschütterte die letzten Ausläufer der Zweige des schützenden Heimatbaumes: bebend erschüttert, weinte der Baum warme Tränen nieder auf die paradiesischen Tiere.
Noch sah es nicht, das kindheitsblinde Tier: wie mit der blauen Flügeldecke eines in der Sonne ruhenden Insektes war das matte Rund seines Auges verdeckt, mit Dämmerung war es sanft ummantelt. Mit unsicherem Schritt tappte Nahar weiter den Weg der ersten Wanderung: auf dem Körper der Mutter schweifte sie wie in die Ferne. Unter ihren tastenden Füßen spannten sich zu ragenden Blöcken die Glieder der Mutter. Mit tiefem Seufzer des Erschreckens versank Nahar im Tal, zwischen den heißen Bergen der starrenden Brüste wand sie sich mühsam hindurch, in den auseinandergewälzten Falten des Halses verstrickte sie sich spielend. Die Sonne stieg.
Süßer, brennender Duft. Sommerwind.
Blau alle Welt, für das halbblinde Tier verzaubert in die Dämmerung eines halb erwachten Tages. Als wäre Nahar verfolgt, so flüchtete sie in das meerrauschende Ohr der Mutter. Als wäre sie gejagt, gehetzt, so schmiegte sie sich auf den gewölbten Bug der mütterlichen Stirn.
In blauer Dämmerung schimmerte ein kleines Tier ihr gegenüber, so wie sie war es geschmiegt an ein Ohr der schlafenden Mutter, mit seinen Krallen umschlang es die ihren, seine Brust pochte nahe an der ihren; es spielte mit dem Schweif in Ringeln wie sie selbst: das vertraute Wesen, ihresgleichen, ein Spiegelbild, der zweite Tiger, der Bruder.
Der silbern klingende Ruf, der rauh summende Ton, war er ihrer eigenen Kehle entsponnen oder der anderen?
Am Grunde der hohen Mutterbrüste lagen die jungen Tiere, Kopf an Kopf, Zunge in Zunge verspielt, so hauchten sie einander an im ersten Erkennen. Geschwistertiere. Milch quoll ihnen beiden.
Landschaft um sie: der blau umschattete Berg. Schwarz war versunken das Tal, von breiten Streifen wallend getigert.
Tiermutter, schweigend ruhende, die mit großen Augen niederfunkelt auf ihre Kinder. Golden gesänftigt. Summen raunte aus allen, schwebender Dreiklang.
Von den ungeheuren Pranken der Mutter waren die Kinder wie mit Mauern umschlossen. In guter Heimat, am atmenden Herd, wie ein einziger Hauch wiegten sich beide auf der weiten Ebene, sie rührten sich nicht.
Ruhe und Nacht, Blut und Luft, Nahrung und Schlaf, Summen und Schweigen.
Der neue Morgen entbrannte. Viele Stimmen tönten im Chor. Draußen, jenseits des rauschenden Heimatbaumes. Die große Sonne. In weißen Säulen strömender Glanz dröhnte durch den erwachenden Tag.
Das Vatertier, in friedlichem Kehllaut, lagerte sich wieder zu den anderen.
Im aufdampfenden Hitzewind lehnte sich das Gebüsch zurück, die Zweige rollten auf. Matt rinnendes Licht. Ferner, weiß glückseliger Schimmer über die blaue Dämmerung der kindheitsblinden Tiere.
Regengrüne Mangobäume, schillernd in der blassen Glut des hochragenden Gestirnes in der Stunde der glückseligen Jugend. Alle Tiere atmeten in Ruhe. Keine Wanderung. Kein Leiden. Sättigung. Sein. Hoher Berg mit Nahrung. Paradies der Speisung, Garten der unerschöpflichen Sättigung. Ruhe im Flimmern der Sonne. Schlaf im Abendrauschen des Regens. Paradies der Tiere.
Noch sah es nicht deutlich, das kindheitsblinde Tier. Noch war es getaucht in blauen Morgentraum. Dem feuchten Hauch der mütterlich entgegengebrachten Brüste entglitt es, über die lau gewärmten Blätter des Lagers lief es dahin, geleitet vom Schimmer, herangelockt von einem fernen Strahl. Die Sonne stieg. Aber unsichtbar, unerreichbar, nicht zu fassen verrann vor ihren Augen das Licht. Scharfe Halme rissen mit Stacheln an Nahars Hals. Die Glieder hielt sie geklammert um hin- und widerschwingende Äste.
Kalter Sturm brach plötzlich von oben, brausender Morgenwind schaukelte die Zweige und das gewichtlose Tier. Donner dröhnte dumpf. Es gurgelte der nahe, gewaltige Strom. Vögel kreischten wild. Des Spiegeltieres silbern klingender Laut hauchte kaum noch zu ihr aus der Ferne. In kalte Flut versank Nahar, tauchte in eisiges Wasser, mit Not rettete sie sich, sie zitterte in Angst. Hilflos klebte sie in einer Höhlung der Erde, um sich selbst geringelt, damit sie sich labe an der kärglichen Wärme des eigenen Körpers, an den Blättern züngelte sie, um sich wäßrige Nahrung zu saugen. Nun schrie sie kläglich zurück nach der Mutter.
Vögel flatterten auf in rieselndem Rauschen, schwerer Regen prasselte nieder, über den mageren Hals goß es, schnell erkaltete alles auf der Haut. Je weiter sie wanderte, desto fremder die Welt. Schnellende Zweige, Schläge und Peitschen, Niederkrachen durch tückisch schwankendes Unterholz. Luftwurzeln über sumpfigem Gelände, Lianen und stachliges Gezweig. Rettungslos die Welt, von allen Seiten versperrt.
Das Tier allein. Langhin wimmerte die Stimme in Verzweiflung. Aber jetzt sauste ein Ungeheures durch die Luft, schon warf es sich nieder, krachte im splitternden, regensprühenden Gezweig. Und jetzt, im gesegneten Augenblick, erglühte es vor Nahar im blitzenden Licht, hoch rauschte auf der Vorhang der matt gespannten Lider, zum erstenmal sah Nahar: über sich den großen, rettenden Gott, den ungeheuren Pfeil des Leibes noch federnd vom Sprung.
Es kreiste der Mutter ruhiges Haupt mächtig über ihr, ein Himmel, schwarz und fahl gestreift, ein Funkeln, goldiggrün aus Urgrundtiefe: die Tieraugen, runde Sterne, wandelten über ihr.
Wie ein weithin gelagerter Berg kniete die Mutter vor dem Kind. Schon raffte sie es auf, bettete es in ihrem Munde. Zwischen die weißen Lefzen mit den starren Schnurrhaaren war es gepreßt, die breite Zunge der Mutter rollte sich als ein wärmendes Lager unter ihr, ihr Atem strich Zug um Zug über sie hin. Jetzt wurde sie durch Nässe und Fremde zurückgetragen. In sausendem Fluge schwebte sie in der Luft, in gleitender Senkung landete sie unter dem regentriefenden Baum in einem trockenen Winkel. In herrlichster Wiederbegegnung sah sie das Spiegeltier, in ruhender Besänftigung hörte sie es sich entgegensingen.
Morgen war es, in der Ferne noch stürmender Regen in donnerndem Guß, am Ende des Himmels das fliehende Gewitter. Das violette Gewölk zog dahin, die Sonne kam wieder, das wärmende Licht.
Nahar aber, die von der Mutter gerettet, von der Mutter doppelt besonnt dalag, sie, die dem Bruder zugesellt, mit den anderen sich vereinte, sie war zur Freude als Tier unter Tiere gebreitet, versöhnt war sie im Zuhause des fest gegründeten Lagers.
Die Sonne brach jetzt strahlend mitten durch weißkochende Luft.
Wipfelbäume ragten in fast schwarzem Grün, zart geteilte Blätter, tausendfach verzweigt, breite Flächen, geglättet im Glänze. Licht spannte sich aus, überschwenglich hingeschüttet, kaum zu fassen, blendende Glut, gierig getrunken, grün siedendes Metall um Himmel, Pflanzen, Tiere, Stein.
Die Mutter, der schützende, rettende Gott, sonnte sich, die sanfte, riesenhafte Gestalt.
Goldleuchtendes Braun, durch schwarze Streifen gegittert, schwarze Ketten, in vielen Reihen gewunden um das herrlich funkelnde Fell, das feuerfarbene: so wand sie sich träg in der brütenden Hitze. Unter dem weißlichen Flaus des noch schleppenden Bauches strotzten ihr sechs Euter. Freudige Rosenfarbe, am Gipfel mit Milch durchträufelt, am Grunde von fahlem Teppich dicht umstanden.
Ewig funkelten der Mutter braungoldene Augen über den Kindern. Weißes Haar an den Wangen, lichtes Gewölk um die Kiefer, ein Nebelhof um den Mond des großen Gesichtes. Langschwankende Haare umzitterten der Mutter blaß gedehnte Lippen, es glimmerte hart das wollüstig in Ruhe knirschende Gebiß.
Tiefer beugte sich dem geretteten Kind das Haupt der Alten, ein sinkendes Gewölbe. Niedergebreiteter Gott.
Die Pranken, vier ungeheure Säulen, rankte die Mutter um den zarten, rippenstarrenden Leib der Jungen. Sich selbst vergaßen Mutter und Kind. Lange ruhten sie, aneinandergelehnt, in glücklichem Tierblick eins ins andere gespiegelt.
Im Mittag zitterte der tropische Hain. Vögel, schwirrend in schwarzgoldenem Flug, zwitscherten ihren kreischenden Laut. Durch das Dunkel des Gezweigs rann das Licht, die blendend hinabgegossene Sonne. Glimmernde Feuerflecken flackerten auf dem feuerfarben gestreiften Fell, vom Winde flüchtig verscheucht, hingezaubert um das Haupt der gelagerten Tiere. Schnell trocknete Nahars Haut, die von dem feuchten Rachen der Mutter wie von Tränen dunkel benetzt war, schnell vergingen Angst und Schrecken der blinden Zeit, ihr, die jetzt in Glut strahlte.
Kindertag des Tieres: auf dem Rücken zu liegen in Trägheit, den weiß umflaumten Bauch hinspielen lassen, von Wärme hold umströmt, die Endlosigkeit des Daseins vor sich. So schlief sie ein. Rot durchleuchtete die zischende Sonne Nahars Schlaf, die festgeschlossenen, dünnen Lider des Auges.
Jetzt hörte sie in der Ferne des Vatertieres dröhnendes Rollen, still atmete neben ihr die Mutter, über ihr, eine leichte Last, so schlief der Bruder, des holden Spiegeltieres Gestalt, den Kopf auf die plumpen dicken Tigertatzen gestützt. Im Sommer waren beide geboren. Mit zärtlicher Zunge langte Nahar nach dem Bruder. Sie fühlte seine Brust, die kärglich bewachsene, den Leib mit dem zarten Geschlecht.
Auf ihren Armen trug sie das weichgegliederte Knochenspiel, als wäre es ihr Kind.
Sommerlich gewitternde Nacht, umrauscht von neuen Güssen. Der Himmel, die düstere, niedrige Decke, war gepeitscht von Blitzen. Sie schwangen sich in Kreisen, donnerdröhnend, wie das ungeheure Vatertier, das zur Nacht den Urwald im schwarzen Regen durchstreifte. Näher zuckten sie heran, stürmisch vom Gipfel herabzustürzen. Über die Kuppel der schützenden Weide schüttete der finstere Himmel in Flammenströmen, in Feuerhörnern blau blendendes Licht. Aber in der Ferne, am Saume des Waldes wanderte er unermüdet, der Vater, der ewige Wächter, rings um den Frieden seiner schlafenden Kinder: ohne Schlaf, in leisem Verrauschen, mit tastendem Schritt, in ruhigem Ruf.
Nachts kam der Vater zurück: schwere Beute schleppte er im ungeheuren, blitzenden Rachen, auf die Jungen träufelte als düsterer Regen Blut herab, Geifer und Schweiß. Weiß flimmerte seine schmale Lippe, in der lichten Kehlgrube zuckte sein Puls. Über den aufatmenden Kindern donnerte dumpf sein Herz. Krachend zertrümmerten seine Zähne, die wild zuhackenden Hauer, die runden Schenkelknochen eines Hirsches. Neben das Junge hin fielen Fleischstücke, noch rauchend von Leben, Eingeweide, glatte rosige Schlangen, ringelten sich um die Füße der Tiere, feucht und warm. Die jungen Tiger zerrten Fleisch an sich und sättigten sich scheu.
In lautlos gebeugtem Knie ruhte der Vater, der gewaltige Bau, der selbst die Mutter noch übertürmte. Fernhin blickte er, während er an seine Brust in unzerreißbarer Umarmung geklammert hielt den blutig nackten Rücken seiner Beute.
Licht schimmerte das Haar um seine Wangen, die vom Fraß noch zitterten, ein Nebelhof, wallend um den weißen Mond seines großen Gesichtes. Bevor er sich einsenkte in Ruhe und Schlaf, kreiste sein Blick über die Kinder. An Nahar beugte er sich tief herab. Plötzlich warf er sich mit knurrendem Laut auf den Rücken, faßte das Kind zwischen seine weichen Pranken, spielend schleuderte er es hoch, fing es im Spiele wieder auf in der flaumigen Bucht seines Bauches. Bald rollte er schwer zur Seite, gesättigt, am Eingang des Schlafs. In den Zotteln seines Felles ließ er sein Kind.
Morgens verließ er das Lager. Goldleuchtend und schwarz schwirrte sein Abglanz durch den windgebogenen Bambus ins dichte Gespinst der Gebüsche.
In der Wolke seines Dunstes, im Mund noch den Duft seines Schweißes, witterte Nahar das Blut der Jagd. Lüstern erwachte sie, in warmer Erregung schwebte das junge Tier noch lange.
Auch die Mutter war erwacht. In einem hohen Bogen streckte sie gähnend ihren Leib, und wie sie die Vorderpranken in die Rinde eines Baumes einkrallte, erbebte der Baum, erbebte der festgegründete Boden des Heimatgeländes. Langsam hob sich ihr Kopf, witterte hin nach dem milchig tropfenden Morgen, lautlos zog sie dahin unter dem sausenden Wind.
Im Spiel begegneten sich Bruder und Schwester. Anschleichend, durch die Trümmerstätte gebleichter Knochen und gedörrter Sehnen gedeckt, wie zwei Schlangen glitten sie, goldflaumig und schwarz im stillen Morgen. Schon bissen sie zu, verfingen sich mit ihren kaum sprießenden Zähnen. Dem Vatertier gleich, warf sich Nahar auf den Rücken, auf ihren Gliedern trug sie den leichten Körper des Bruders, schaukelte ihn, schnellte ihn fort, setzte ihm nach, umgirrte ihn im spiraligen Lauf. Hoch wogte die Sonne.
Schon kam er ihr nahe, fauchte sie an mit zornigen Nüstern, faßte ihren Rücken, kämmte ihn bis zum Schweif mit seinem spitzigen Gebiß. Nahar entfloh, im Sprung warf sie sich an einen niedrigen Zweig des Heimatbaumes, wippend lugte sie von oben herab, senkte sich, umfaßte den Bruder mit den Vorderpranken, um seinen Kopf hin und her zu wiegen, den wehrlos Gefangenen unentrinnbar zu umarmen.
Zwischen ihren Armen leuchtete das widergespiegelte Ich.
Selig erkannte sie sich im spielenden Bruder. Keine Erinnerung verdunkelte ihren glücklichen Tag.
Vögel flatterten vom zitternden Zweig, in purpurnem Fluge durchzuckten sie den Morgen. Pfauen, blau schattend, mit riesig funkelndem Spiegel, huschten rauschend rings um die Tiere, die kämpften und spielten im Jubel der Kindheit.
Mit Leben bis in die letzte Ader gefüllt, spielten sie Tod. Flach, wie mit durchschnittenen Sehnen, lagen sie da.
Keine Regung, kein Hauch.
Nahar, geblendet in der Mittagssonne, gebadet in der flimmernden Hitze, nackt im bunten Fell. Des Bruders rauh keuchender Atem floß herab an ihrer goldschwarzen Hüfte, die seine kühlen, dunklen Nüstern berührten. Aber jetzt, aufstampfend in der blühenden Kraft ihrer Jugend, setzte sie in herrlichem Tiersprung ab von der Erde. Hoch gespannt, zwitschernd in silbernem Laut, warf sie sich in die schwirrende Luft, überflog jauchzend den langgestreckten Körper des Bruders. Im Schatten des Heimatbaumes landete sie, auf kühlem Totengebein lagerte sie.
Ruhig hinatmend, funkelte sie in großem Feuer der Augen.
Zur glücklichen Wiederkehr drängte sich die Mutter durch das buntfarbige windgeschüttelte Gebüsch. Wie Gesang, im Jagen verklingend, raste um sie, die ruhig stehende, der Kehllaut der gurrenden Kinder, die bald näherkamen, um mit freudigem Schnauben sie zu umwittern. Zwischen die winzigen, gold und schwarz geströmten Körper bohrte die Mutter, selig über ihre Wiederkehr, ihre großen, feuchten Nüstern. Sie rieb die Geschwister ab mit den Barthaaren, die ihr dicht die schmalen weißen Lippen umkränzten.
Zwischen die ragenden Säulen ihrer vier Glieder nahm sie die Jungen, sie baute sie ein in den Untergrund ihres königlich strahlenden Lebens, bot ihnen die Brust, die sie gierig schmatzend, eifrig einsogen, in gleichmäßig pochendem Zuge, gleichzuckend in dreifach einklingendem Takt mit ihrem Herzen, dem mütterlich strahlenden.
Im stehenden Glänze der hochragenden Sonne sanken sie zu dritt, gesättigt.
Trockener Laut flüsterte aus dem Busch: blitzschnell wandte die alte Tigerin ihr Haupt hin, schon schlug sie zu mit lässig massiger Pranke, in der Umklammerung ihrer schillernden Krallen drehte sich eine graue Ratte, in wütenden Schlägen ringelte sich, ein ohnmächtig sich windender Erdwurm, der dünne Rattenschweif um die ehern getriebenen Tigerklauen. Aus weißgezähntem spitzigem Maule jammerte an der Erde ein hochklagender Laut. In ihrer furchtbaren Angst, von Blut bespritzt, drängte die Ratte den Kopf vor, im Kreise rasten zwei schwarzglimmernde Augen, rings umgittert von den geschlossenen Krallen, gedeckt von der Kuppel der riesigen Tigerpranke.
Jetzt wandte sich das Auge der Mutter zum Kind: lockend löste die Alte die Tatze von der Ratte. Nahar erbebte: sich ganz auf das graue Tier zu stürzen, es zu zermalmen; Wonne weitete ihr die Mundwinkel aus, lebendig das graue Tier darin zu verschlingen, aus ihren Tatzen schlüpften Krallen: noch waren sie eingeankert in den toten Boden, zielsichernd starrte sie: sich ganz zu klammern in den Leib der fliehenden Ratte.
Hoch hob sich die Tatze der Mutter, erlöst entglitt das kleine Tier, befreit war es von der Gefangenschaft, kaum geritzt war der graue Samt des Felles, unzerbrochen die Knöchelchen, so fein. So fein zog die Ratte ihr Körperchen dahin, immer noch im Schatten der unbewegten Königstiere, in eilig trippelndem Lauf. Aber wie es auch raste, wie flink es die Gräser durchschnitt und als graugezückter Schatten dahinhuschte, dem grauen Schatten setzte Nahar nach, die junge Tigerin, feuerfunkelnd in lautlosem Sprung. In eiligster Flucht jagte sie; schon hatte sie es, schon krallte sie das Tier, versank in die atemlose Wonne der unentrinnbar ergriffenen Welt, der gegriffenen Beute. Mit den Pranken sie fest zu umarmen, wie vorhin den spielenden Bruder. Aber nicht spielenden Bruderlaut entließ sie jetzt aus der zitternden Kehle, sondern dumpfes Vaterdröhnen und Wut der beseligten Jagd.
Das Maul, die Zunge, der Bauch, eben noch mit Milch getränkt, mit Frieden gesättigt, dorrten jetzt, gepeinigt vom Durste nach Blut.
Bluttropfen zitterten auf den nickenden Gräsern, die Nahar mit ihren dunkel glühenden Augen erfaßte, während an ihrer Brust die Ratte unter unzerreißbarer Umarmung sich krümmte.
Still blickte die Mutter, ein unbewegter Berg.
An die schnell pochende Kehle der Ratte schmeichelten sich Nahars Zähne, glätteten sich an dem gleitenden samtenen Fell.
Still jubelnd, im Blutzauber beseligt, biß sie zu nach der grau zuckenden Frucht, riß die Zähne mit Mühe nur los, fühlte noch Leben in der Beute, schlug zum zweitenmal tiefer, löste sich ab im bebenden Schweigen, unter winkenden Zweigen. Und nun, im äußersten Krampf der Lust, zum Rasen erregt, die kleine Brust zum Bersten geschwellt, stumm warf sie sich hinein in die Tiefe des Körpers, um der Ratte die Lunge, das Herz zu zerfleischen: Leben zu töten. Blut und Luft in wonnevollem Wirbel wogten auf, Blut und Luft ihr ins Auge, das rot umblitzte, Blut und Luft ihr ins nackte, kühl aufgerichtete Ohr, Rauschen und Toben wie stürmendes Meer. Über der sterbenden Ratte, in allen Gliedern gelöst, ruhte schwer das blutselige Tier. Durch Nahars eng geschlossene Lippen bohrte sich der Blutquell, eine neue, herrlich streichelnde Zunge, von außen zwang sich nach innen die Wollust. Die sterbend zuckenden Muskeln schlugen ihr Herz, ihren Bauch, ihr aufbebendes Geschlecht.
Wie ein Liebesweib ruhte sie auf dem zerfleischten Tier. Weithin blickte sie, zwei Welten in einer zu genießen.
Aber schon erkaltete die Ratte, grau erstarrte ihr Fleisch, zu eisigem Schleim verhärtete sich das Blut.
Unter große Blätter, in den Schatten saftquellender Farne, über die Stiegen bunt gespannter Winden, jenseits von Mutter und Bruder, jenseits des feuchtschattenden Heimatbaumes, in eine eigene Höhle, sich selbst zur dunklen Freude, sich selbst zu letzter Sättigung schleppte Nahar ihre Beute. Mit den Krallen grub sie ein Loch in die Erde, die Ratte hier zu lagern, sich selbst darauf zu türmen. Dumpf knurrte sie, kochend in tiefster Lust.
Noch zitterte der tropische Hain, durch das Dunkel der weichgefiederten Farne brach Licht, des Nachmittags blendend hinabgegossene Sonne. Glimmernde Feuerflecken auf dem grell getigerten Fell: so ruhte sie auf dem Grabe des getöteten Tieres, ein Liebesweib auf blutigem Lager.
Schnell trocknete die Haut, die von Blut und Geifer der Ratte dunkel benetzt war. Die Nacht brach ein. Schwarz lag in der Schwärze des Bodens der Leichnam, lau erwärmt von ihr selbst. Wie ein Stück Erde ließ Nahar das Aas hinter sich, als sie im Trommeln des schweren Regens zur Mutter zurückglitt und zum schlafenden Bruder.
Nahar erwachte des Nachts: die Mutter drohte mit böse dröhnendem Laut: der Vater umschlich sie, er brach durch das spritzende Geäst, grollend wich er zurück, vertrieben von der schwer zuschlagenden Pranke der Mutter. Es zitterten die Jungen, nahe schmiegten sie sich aneinander. Wie die Mutter sich herumwarf, um von der anderen Seite den Mann abzuwehren, warf sie die Kinder zu Boden. Die Kinder rollten dahin, auf den Berg der toten Gebeine retteten sie sich.
Stürmisch mit einem Satz zerriß der Vater das Gebüsch, mit grimmig jubelndem Laut warf er sich von rückwärts über die Mutter, in süß zitterndem Ruf verklang sein Zorn, als das Weib sich unter ihn schmiegte, regungslos, wie ein Kind zwischen den Säulen seiner Pranken gegliedert.
Über ihr gesenktes Haupt hing tief herab sein ungeheures Antlitz. Mit kosender Zunge streichelte er die Mutter; ganz wie ein Mantel über sie gebreitet, stieß er dumpfe Schreie aus, preßte sich in sie hinein. Vereinigt waren beide Eltern zu einem bebenden Koloß. Es schwoll das Röhren ihrer stampfenden Wollust auf zum Erbeben der Erde.
Die Mutter, zur Seite gewichen, die geifernde Zunge gebleckt, ihr Inneres um die Umarmung des Mannes geschlungen, leblos schwebte sie hin, in leiser verdröhnendem Orgelton, in auszitternder Lust. Der Vater neben ihr, ein stürzender Strom. Sein kreisendes Haupt umfaßte die dämmrige Höhle, den Körper des Kindes erreichte die Spitze seines züngelnden Maules, vom Geschmack der Liebkosung erschauerte Nahar im Innern des Innern. Wie sie da lagen, ein Bogen von einem Bogen umspannt, das zitternde Muttergebirge vom schweren Himmelsgewölbe überdonnert, so lebten sie, an den Grenzen ihrer Leiber die Jungen, die tief atmende Brut im nächtlichen Regendunkel vereinigt.
Aus dumpf durchschauerter Nacht brach feuerfarben der Morgen.
In gleichem Schritt, in ruhigem Wiegen wandelten die Eltern den Gang zum Fluß, der um das Lager kreiste, zur Tränke des Wildes. Die Jungen blieben zurück, sie verließen die krachende Schädelstätte, den Haufen gedörrten Gebeines, in die Grube der Eltern legten sie sich, von neuem umgaukelte sie der Schlaf. Es rauschte der Heimatbaum, das dichtverschlungene Geäst.
Große Vögel, in blau schimmerndem Glanz zwischen regenschwarz quellenden Blättern, Flügelfedern mit Gold bestreut im dämmernden Wald: Pfauen nickten vorbei, schüttelten die Kronen, die grauen winzigen Fächer, nahe am Lager der träumend versunkenen Tiger.
Im Halbschlaf hörte Nahar, wie sie vorübertrippelten, wie sie ihren rauhen Laut hingurrten. Schon erwachte sie, erhob sich, um ihnen zu folgen, die winkten und nickten mit den schlangengleich schillernden Hälsen, mit ihren fächerförmigen Krönchen.
Mitten unter den Schwarm schlich es lautlos, das winzige Tier, durch Blätter gedeckt. Noch war Nahar umdunstet vom Duft des eigenen Leibes im Schlaf, süß schmeckte ihr Mund, noch gefüllt vom gestrigen Blut und vom nächtlichen Kuß. Der rauhe Liebesruf der balzenden Vögel umraunte sie von allen Seiten. Sie beugte den Kopf unter rosenfarbene Zweige, das Flügelschlagen der Pfauen scheuchte Blüte auf Blüte, die Enden der munter wippenden Pfauenfächer streiften ihr den lauernden Nacken, aber noch hielt sie sich, noch rührte sie sich nicht; nichts rührte sie: ruhige Wonne, die Jagdbeute in Scharen unzählig um sich zu fühlen, in ihrer Mitte zu schreiten, unsichtbar die Waldwiese im Kreise zu durchgleiten.
Am Saume des blaudämmernden Hains wimmelte das Rudel von Pfauen, gespreizt schleppten sie ihren prangenden Spiegel, versprühend ein goldenes Gewölk. Ohne Grenzen war die Welt gefüllt mit Nahars Speise.
Im Spiel faßte sie zu, packte die Klaue eines Vogels, wie sie war, mit Schuppen gedeckt, mit Nägeln gepanzert. Mitten in dem mißtönenden Schrei riß sie den Pfau an sich, erwürgte ihn schnell. Laut schrien die erschrockenen Prachtvögel, Nahar hörte es nicht. Sie sank nieder an der großen Beute. Zartes Geriesel der Federn, tönende Tropfen von Blut auf dem Boden. Mit langhin spielender Zunge schlürfte sie die Tropfen ein, die noch an ihrem Fell klebten. In Verwirrung flatterten kreischend die Pfauen empor, in niedrig zuckendem Fluge.
Ungesättigt warf sich Nahar mitten in den buntfarbigen Knäuel, so leicht war ihr Sprung, so zart ihre Last, daß ein Vogel sie einen Flügelschlag weit mit sich emporführte hoch in die Luft des tropischen Haines, die durchblühte, von Insekten glitzernd durchschwirrte. Den Kopf auf das zitternde Polster des Flügels gelehnt, eingebissen in die heiße Höhle seiner Achsel, so glitt der Tiger mit dem Pfau durch krachende Zweige zurück auf den strotzenden dunklen Boden.
Stürmisch wogte das Gefieder, Wind erhob sich, rauschende Kühlung wehte von oben auf das junge Tigertier, das im Grunde geballt dalag. Des Vogels kleine Hirnschale knackte Nahar, seinen weggekrampften Hals zerbiß sie, durch das feuchte Federgewimmel strömte ihr Blut in den Mund, heißer als das Rattenblut, ein glühender Quell. Noch wehte der Wind der verzweifelten Schläge des Fittichs, da rissen Nahars Zähne lange Furchen in den Leib, durch die Furchen vergrub sie ihr Haupt, mitten in den aufgerissenen Tierleib tauchte sie unter und versank geblendet.
Ohne Besinnung, ohne Bewegung, unbeseelt, selig.
Sie erwachte, gestärkt zum Wandern, zum unermüdlichen Gang. Große hochstämmige Wälder durchlief sie. Auf Wiesen, auf festgestampftem Gras weideten Herden von Rindern. Schwer schritten sie bis ans sausende Ufer des Stromes, von weitem schimmerte die blaue Ader des Flusses durch das gelbe Bambusdickicht der Wildnis.
Am Wasser ruhte Nahar neben dem Bruder. Nebeneinander gingen sie zurück zur Heimathöhle, Sand knisterte warm unter dem gleichen Takt der weich schwebenden Pranken, feuchte Niederung nahm die Geschwister auf, sumpfiger Boden, graugrünes Gelände, fließende Erde.
Die Mutter rief aus dem Schatten des Heimatbaumes. Tief tönte ihr Knurren an die Steine des Lagers. Heiser schütterte der Mutterschrei, durch den Berg der hohen toten Gebeine gebrüllt. Vor den Augen der Kinder tauchte sie aus dem wallenden Gras, ein Koloß, goldglänzend, mit schwarzen Streifen umkettet. Auch sie war zurückgekehrt von glücklicher Jagd. Unter ihr dunkelte eine zerrissene Antilope. Die Mutter breitete das Fleisch flach auf die Steine der Höhle, mit den Hinterpranken umfaßte sie die Geschwister. Die Tiere fraßen in Ruhe. Je tiefer die Sättigung, desto näher ihre Häupter, bis zur Berührung. Bis zur Vereinigung.
Die Zunge der Mutter, breit, mit Stacheln besetzt, wanderte zwischen den Kindern umher, umhauchte sie beide mit Frieden. Nun fielen alle in Schlaf.
Ratten und Pfauen jagte Nahar nicht mehr: ohne Furcht lauerte sie Gewaltigem auf.
Ein schwarzer Schatten schwankte gewaltig vor ihr durch das grüne Gebüsch. Schwerhufig brach ein Wildbüffel starrenden, glänzenden Auges mit breit vorgebeugter Brust durch das Gewirr, das um seine Keulen wogte. Blaugezackte Blüten schwebten herab neben seinem dünnbehaarten Fell, das in tiefer Schwärze spiegelte. Den Kopf hob er, in eckigen Quadern schwarz ragend.