Inhaltsverzeichnis
Peter Stepanowitsch ging zuerst zu Kirillow. Dieser war wie gewöhnlich allein und war diesmal damit beschäftigt, mitten im Zimmer turnerische Freiübungen auszuführen; nämlich mit gespreizten Beinen dastehend, schwenkte er die Arme in einer besonderen Weise über dem Kopfe herum. Auf dem Fußboden lag ein Ball. Auf dem Tische stand der noch nicht weggeräumte, schon kalt gewordene Morgentee. Peter Stepanowitsch blieb ein Weilchen auf der Schwelle stehen.
»Sie sind ja sehr besorgt um Ihre Gesundheit,« sagte er laut und heiter, als er dann ins Zimmer trat. »Aber was ist das für ein prächtiger Ball! Hui, wie er springt! Dient der auch zur Leibesübung?«
Kirillow zog sich den Rock an.
»Ja, er ist auch zur Gesundheit da,« murmelte er trocken. »Setzen Sie sich!«
»Ich bin nur auf einen Augenblick gekommen. Aber hinsetzen will ich mich. Lassen wir nun die Gesundheit; ich bin hergekommen, um Sie an die Verabredung zu erinnern. Unser Termin rückt ›in gewissem Sinne‹ heran,« schloß er mit einer ungeschickten Begründung.
»Was für eine Verabredung?«
»Was ist das für eine Frage?« fuhr Peter Stepanowitsch auf. Er hatte ordentlich einen Schreck bekommen.
»Es besteht keine Verabredung und keine Verpflichtung; ich habe mich durch nichts gebunden; das ist von Ihrer Seite ein Irrtum.«
»Hören Sie mal, was reden Sie denn da?« rief Peter Stepanowitsch und sprang nun vollständig in die Höhe.
»Ich habe meinen freien Willen.«
»Welchen?«
»Den früheren.«
»Wie ist das zu verstehen? Das bedeutet doch, daß Sie wie früher denken?«
»Ja. Nur ist keine Verabredung da und ist nie eine dagewesen, und ich habe mich durch nichts gebunden. Es war lediglich mein Wille und ist auch jetzt mein Wille.«
Kirillow sprach in scharfem, mißmutigem Tone.
»Einverstanden, einverstanden; sagen wir ›Wille‹, wenn nur dieser Wille sich nicht geändert hat,« sagte Peter Stepanowitsch und setzte sich mit zufriedener Miene wieder hin. »Sie ärgern sich über Worte. Sie sind in der letzten Zeit sehr reizbar geworden; darum bin ich einmal herangekommen, um Sie zu besuchen. Übrigens war ich vollkommen davon überzeugt, daß Sie Ihren Entschluß nicht ändern würden.«
»Sie sind mir sehr widerwärtig; aber Sie können vollkommen überzeugt sein! Obgleich ich die Begriffe Veränderung und Nichtveränderung nicht gelten lasse.«
»Aber wissen Sie,« fuhr Peter Stepanowitsch von neuem auf, »wir müssen doch wieder vernünftig reden, um uns nicht mißzuverstehen. Die Sache verlangt Bestimmtheit, und Sie machen mich ganz wirr. Gestatten Sie, daß ich rede?«
»Reden Sie!« versetzte Kirillow kurz und blickte in eine Ecke.
»Sie haben sich schon lange vorgenommen, sich das Leben zu nehmen ... das heißt, Sie hatten eine solche Idee. Habe ich mich richtig ausgedrückt, ja? Ist da auch kein Irrtum?«
»Ich habe diese Idee auch jetzt noch.«
»Sehr schön. Beachten Sie dabei, daß Sie niemand dazu gezwungen hat.«
»Am Ende gar! Wie dumm Sie reden!«
»Mag sein, mag sein; ich habe mich sehr dumm ausgedrückt. Unzweifelhaft wäre es sehr dumm, jemanden dazu zu zwingen. Ich fahre fort: Sie waren Mitglied der Gesellschaft schon zur Zeit der alten Organisation und bekannten es gleich damals einem Mitgliede der Gesellschaft.«
»Bekannt habe ich nichts; ich habe es einfach gesagt.«
»Meinetwegen. Es wäre ja auch lächerlich, so etwas zu ›bekennen‹; es ist ja doch keine Beichte. Sie haben es einfach gesagt; sehr schön.«
»Nein, nicht sehr schön; denn Sie reden sehr unverständig. Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig, und Sie können meine Gedanken nicht begreifen. Ich will mir das Leben nehmen, weil das mein Gedanke ist, weil ich keine Todesfurcht will, weil ... weil Sie nichts davon zu wissen brauchen ... Was möchten Sie? Wollen Sie Tee trinken? Er ist kalt. Warten Sie, ich werde Ihnen ein anderes Glas bringen.«
Peter Stepanowitsch hatte wirklich schon nach der Teekanne gegriffen und suchte ein leeres Trinkgefäß. Kirillow ging zum Schranke und holte ein reines Glas.
»Ich habe eben bei Karmasinow gefrühstückt,« bemerkte der Gast; »dann habe ich zugehört, wie er redete, und geriet dabei in Schweiß; darauf lief ich hierher und geriet auch wieder in Schweiß; ich habe davon furchtbaren Durst bekommen.«
»Trinken Sie! Kalter Tee ist bekömmlich.«
Kirillow setzte sich wieder auf seinen Stuhl und bohrte sich wieder mit den Augen in der Ecke fest.
»In der Gesellschaft wurde der Gedanke ausgesprochen,« fuhr er in demselben Tone wie vorher fort, »ich könnte mich dadurch nützlich machen, daß ich mich tötete; wenn Sie hier irgend etwas angerichtet hätten und man nach den Schuldigen suchte, dann sollte ich mich erschießen und einen Brief hinterlassen, daß ich alles getan hätte, so daß auf Sie ein ganzes Jahr lang kein Verdacht fallen könnte.«
»Wenn auch nur für einige Tage; auch ein einzelner Tag ist kostbar.«
»Gut. In dieser Absicht wurde mir gesagt, wenn es mir recht wäre, möchte ich noch warten. Ich sagte, ich würde warten, bis mir von seiten der Gesellschaft der Zeitpunkt angegeben würde, weil es mir ganz egal war.«
»Ja, aber erinnern Sie sich, daß Sie sich verpflichtet haben, den Brief vor dem Tode nur in Gemeinschaft mit mir abzufassen und nach der Ankunft in Rußland zu meiner ... na, kurz, zu meiner Verfügung zu stehen, das heißt selbstverständlich nur für diesen einen Fall; in jeder andern Hinsicht sind Sie natürlich frei,« fügte Peter Stepanowitsch in beinah liebenswürdigem Tone hinzu.
»Ich habe mich nicht verpflichtet; ich habe mich nur einverstanden erklärt, weil mir doch alles egal ist.«
»Nun schön, schön; ich beabsichtige durchaus nicht, Ihr Ehrgefühl zu verletzen, aber ...«
»Um Ehrgefühl handelt es sich nicht.«
»Aber erinnern Sie sich, daß für Sie hundertundzwanzig Taler zur Reise zusammengebracht wurden, und Sie somit Geld genommen haben.«
»Durchaus nicht!« rief Kirillow hitzig. »Diese Bedingung war nicht an das Geld geknüpft. Dafür nimmt man kein Geld.«
»Mitunter doch.«
»Sie lügen. Ich habe in einem Briefe aus Petersburg die Sache klargestellt, und in Petersburg habe ich Ihnen die hundertzwanzig Taler zurückgezahlt, in Ihre eigene Hand ... und sie sind dorthin zurückgesandt worden, vorausgesetzt, daß Sie sie nicht für sich behalten haben.«
»Gut, gut, ich will über nichts streiten; sie sind zurückgesandt. Die Hauptsache ist, daß Sie noch ebenso denken wie früher.«
»Das tue ich. Sobald Sie kommen und sagen: ›Es ist Zeit‹, werde ich alles ausführen. Wie steht's? Wird es bald soweit sein?«
»In wenigen Tagen ... Aber vergessen Sie nicht: den Brief fassen wir zusammen ab, gleich in derselben Nacht.«
»Meinetwegen auch bei Tage. Sie sagten, ich solle die Proklamationen auf mich nehmen?«
»Und sonst noch etwas.«
»Ich nehme nicht alles auf mich.«
»Was wollen Sie denn nicht auf sich nehmen?« fuhr Peter Stepanowitsch wieder auf.
»Was ich nicht will; das genügt. Ich mag nicht mehr darüber reden.«
Peter Stepanowitsch bezwang sich und änderte das Gesprächsthema.
»Ich will noch von etwas anderem reden,« schickte er voraus. »Werden Sie heute abend bei den Unsrigen sein? Wirginski begeht seinen Namenstag; unter diesem Vorwande werden sie sich versammeln.«
»Ich habe keine Lust.«
»Tun Sie uns den Gefallen und kommen Sie hin! Es ist nötig. Wir müssen durch die Zahl und durch die Gesichter Eindruck machen ... Und Sie haben ein Gesicht ... na, kurz, Sie haben ein bedeutsames Gesicht.«
»Finden Sie?« erwiderte Kirillow lachend. »Gut, ich werde kommen; aber nicht wegen des Gesichtes. Wann?«
»Oh, möglichst früh, um halb sieben. Und wissen Sie, Sie können hereinkommen und sich hinsetzen und brauchen mit niemandem zu reden, mögen auch noch so viele da sein. Nur, wissen Sie, vergessen Sie nicht, Papier und Bleistift mitzunehmen.«
»Wozu das?«
»Ihnen ist ja alles ganz egal, und dies ist eine besondere Bitte von mir. Sie brauchen nur dazusitzen und mit keinem Menschen zu sprechen und nur zuzuhören und manchmal zu tun, als ob Sie sich Notizen machten; na, zeichnen Sie meinetwegen auch etwas!«
»Was ist das für dummes Zeug! Wozu?«
»Na, wenn Ihnen doch alles egal ist; Sie sagen ja selbst immer, es sei Ihnen alles egal.«
»Ich muß doch wissen wozu.«
»Na, dann will ich es sagen. Ein Mitglied der Gesellschaft, ein Revisor, hat heimlich seinen Wohnsitz in Moskau genommen, und ich habe hier diesem und jenem gesagt, vielleicht werde uns der Revisor besuchen; da werden sie nun denken, Sie seien der Revisor, und, da Sie schon drei Wochen hier sind, sich um so mehr wundern.«
»Spiegelfechtereien. Sie haben gar keinen Revisor in Moskau.«
»Na, meinetwegen nicht, hol's der Teufel; was kümmert das Sie, und wie kann Sie das stören? Sie sind ja selbst ein Mitglied der Gesellschaft.«
»Sagen Sie ihnen, ich sei der Revisor; ich werde dasitzen und schweigen; aber Papier und Bleistift will ich nicht vornehmen.«
»Aber warum denn nicht?«
»Ich will es nicht.«
Peter Stepanowitsch ärgerte sich wütend; sein Gesicht wurde sogar ganz grünlich; aber auch diesmal bezwang er sich, stand auf und nahm seinen Hut.
»Ist ›dieser Mensch‹ bei Ihnen?« fragte er auf einmal halblaut.
»Ja.«
»Das ist gut. Ich werde ihn bald fortschaffen; seien Sie unbesorgt!«
»Ich bin auch unbesorgt. Er übernachtet hier nur. Die alte Frau ist im Krankenhause; ihre Schwiegertochter ist gestorben; ich bin seit zwei Tagen allein. Ich habe ihm eine Stelle im Zaun gezeigt, wo sich ein Brett herausnehmen läßt; da kriecht er durch; niemand sieht ihn.«
»Ich werde ihn bald wegnehmen.«
»Er hat mir gesagt, er habe viele Stellen, wo er nächtigen könne.«
»Er lügt; er wird gesucht; aber hier fällt einstweilen niemandem etwas auf. Lassen Sie sich denn mit ihm in Gespräche ein?«
»Ja, ich rede mit ihm die ganze Nacht. Er schimpft sehr auf Sie. Ich habe ihm in der Nacht aus der Offenbarung St. Johannis vorgelesen und ihm Tee gegeben. Er hat aufmerksam zugehört, sehr aufmerksam sogar, die ganze Nacht.«
»Aber zum Teufel, da bekehren Sie ihn am Ende gar noch zum Christentum?«
»Er ist auch so schon christlichen Glaubens. Aber seien Sie unbesorgt: er wird morden. Wen wollen Sie denn ermorden lassen?«
»Nein, das ist nicht meine Absicht mit ihm; ich habe mit ihm etwas anderes vor ... Weiß Schatow von Fedka?«
»Ich rede nicht mit Schatow und sehe ihn nicht.«
»Er ist wohl böse auf Sie?«
»Nein, wir sind nicht böse aufeinander; wir gehen uns nur aus dem Wege. Wir haben in Amerika zu lange zusammen gelegen.«
»Ich werde gleich zu ihm hingehen.«
»Wie Sie wollen.«
»Ich werde vielleicht auch mit Stawrogin von dort zu Ihnen herkommen, so gegen zehn Uhr.«
»Tun Sie das!«
»Ich muß mit ihm über eine wichtige Angelegenheit reden ... Wissen Sie, schenken Sie mir Ihren Ball; wozu brauchen Sie ihn jetzt? Ich möchte ihn ebenfalls zu Leibesübungen haben. Ich will ihn Ihnen bezahlen, wenn's Ihnen recht ist.«
»Nehmen Sie ihn so!«
Peter Stepanowitsch steckte den Ball in die hintere Rocktasche.
»Aber gegen Stawrogin werde ich Ihnen nichts geben,« murmelte Kirillow, während er den Besucher hinausließ.
Dieser blickte ihn erstaunt an, antwortete aber nichts darauf.
Kirillows letzte Worte befremdeten Peter Stepanowitsch außerordentlich; er war über ihren Sinn noch nicht ganz ins klare gekommen, bemühte sich aber schon auf der Treppe zu Schatow, seine unzufriedene Miene in eine freundliche umzuwandeln. Schatow war zu Hause und nicht recht wohl. Er lag auf dem Bette, war aber angekleidet.
»Na so ein Malheur!« rief Peter Stepanowitsch von der Schwelle aus. »Sind Sie ernstlich krank?«
Der freundliche Ausdruck war mit einem Schlage von seinem Gesichte verschwunden; etwas Boshaftes funkelte in seinen Augen.
»Durchaus nicht,« rief Schatow in nervöser Erregung und sprang auf. »Ich bin gar nicht krank; nur der Kopf tut mir ein bißchen weh ...«
Er war ganz fassungslos; das plötzliche Erscheinen dieses Gastes versetzte ihn geradezu in Schrecken.
»Ich komme gerade in einer Angelegenheit, bei der man nicht krank sein darf,« begann Peter Stepanowitsch eilig und gewissermaßen gebieterisch. »Gestatten Sie, daß ich mich setze,« (er setzte sich), »und setzen Sie sich auch wieder auf Ihr Bett; so ist es recht! Heute werden sich, angeblich um Wirginskis Namenstag zu feiern, die Unsrigen bei diesem versammeln; Leute von anderer Couleur werden nicht da sein; dagegen sind Maßregeln getroffen. Ich werde mit Nikolai Stawrogin hingehen. Sie würde ich natürlich nicht hinschleppen, da ich Ihre jetzige Denkweise kenne, ... das heißt, um Sie da nicht zu quälen, nicht etwa aus Besorgnis, Sie könnten eine Denunziation einreichen. Es hat sich aber doch als notwendig herausgestellt, daß Sie hinkommen. Sie werden dortge rade diejenigen Persönlichkeiten vorfinden, mit denen wir eine endgültige Entscheidung darüber treffen werden, auf welche Weise Sie aus der Gesellschaft ausscheiden können, und wem Sie das, was sich in Ihren Händen befindet, zu übergeben haben. Wir wollen das unauffällig tun; ich werde Sie in eine Ecke führen; es werden viele Menschen da sein, und es brauchen es nicht alle zu wissen. Offen gestanden, ich habe um Ihretwegen meine Zunge gehörig anstrengen müssen; aber jetzt sind, wie es scheint, auch die andern einverstanden, natürlich unter der Bedingung, daß Sie die Druckerei und alle Papiere abgeben. Dann mögen Sie hingehen, wohin es Ihnen beliebt.«
Schatow hörte mit finsterer, grimmiger Miene zu. Die nervöse Angst von vorhin war vollständig geschwunden.
»Ich erkenne keine Verpflichtung an, irgend jemandem Rechenschaft zu geben,« erwiderte er in entschiedenem Tone. »Niemand kann mich freilassen.«
»Ganz so steht es denn doch nicht. Es ist Ihnen vieles anvertraut worden. Sie hatten nicht das Recht, mit der Gesellschaft geradezu zu brechen. Und schließlich haben Sie das auch niemals klar ausgesprochen, so daß Sie die Gesellschaft in eine zweideutige Situation gebracht haben.«
»Als ich hierher kam, habe ich es in einem Briefe klar ausgesprochen.«
»Nein, nicht klar,« widersprach ihm Peter Stepanowitsch in aller Ruhe. »Ich schickte Ihnen zum Beispiel die ›Glänzende Persönlichkeit‹, um sie hier zu drucken und die Abzüge hier bei Ihnen aufzubewahren, bis sie Ihnen abverlangt würden, desgleichen zwei Proklamationen. Sie schickten mir alles mit einem zweideutigen Briefe zurück, der nichts klar besagte.«
»Ich habe es offen und deutlich abgelehnt, die Sachen zu drucken.«
»Abgelehnt ja, aber nicht offen und deutlich. Sie schrieben: ›Ich kann nicht‹; aber Sie gaben nicht an, warum Sie es nicht könnten. ›Ich kann nicht‹ bedeutet nicht ›Ich will nicht‹. Man konnte denken, Sie könnten es einfach aus materiellen Gründen nicht. So hat man es denn auch aufgefaßt und gemeint, Sie seien doch willens, Ihre Verbindung mit der Gesellschaft fortzusetzen, und man könne Ihnen somit wieder etwas anvertrauen, sich folglich Ihnen gegenüber kompromittieren. Hier sagen allerdings einige, Sie wollten uns einfach täuschen, um, sobald Ihnen etwas Wichtiges mitgeteilt würde, zu denunzieren. Ich habe Sie aus allen Kräften verteidigt und Ihre schriftliche zweizeilige Antwort als Beleg zu Ihren Gunsten vorgezeigt. Aber ich mußte, als ich sie jetzt durchlas, selbst zugeben, daß diese zwei Zeilen nicht klar sind und einen Irrtum hervorrufen können.«
»Und diesen Brief haben Sie so sorgfältig aufgehoben?«
»Da ist nichts dabei, daß ich ihn aufgehoben habe. Ich habe ihn auch jetzt noch.«
»Na, zum Teufel, meinetwegen!« rief Schatow wütend. »Mögen Ihre Dummköpfe meinetwegen glauben, daß ich sie denunziert habe, was schert es mich! Ich möchte wissen, was Sie mir tun können!«
»Man würde Sie notieren und Sie beim ersten Erfolg der Revolution aufhängen.«
»Also sobald Sie die Oberhand erlangt und Rußland in Ihre Gewalt gebracht haben werden?«
»Lachen Sie nicht! Ich wiederhole, ich haben Sie verteidigt. Na, so oder so, jedenfalls rate ich Ihnen, heute zu erscheinen. Was hat es für Zweck, aus falschem Stolz unnütze Worte zu machen? Ist es nicht besser, freundschaftlich auseinanderzugehen? Jedenfalls müssen Sie ja die Druckerpresse und die Lettern und die alten Papiere abliefern, und darüber wollen wir eben reden.«
»Ich werde kommen,« brummte Schatow und ließ nachdenklich den Kopf herunterhängen.
Peter Stepanowitsch betrachtete ihn von seinem Platze aus mit einem schrägen Blicke.
»Wird Stawrogin da sein?« fragte Schatow plötzlich, indem er den Kopf in die Höhe hob.
»Ganz sicher.«
»He-he!«
Wieder schwiegen sie etwa eine Minute lang. Schatow lächelte verächtlich und gereizt.
»Und diese Ihre unwürdige ›Glänzende Persönlichkeit‹, die ich hier nicht drucken wollte, ist sie nun gedruckt?«
»Allerdings.«
»Gimnasistow behauptet, Herzen hätte Ihnen das Gedicht selbst ins Album geschrieben; ist das wahr?«
»Ja, Herzen hat es mir selbst eingeschrieben.«
Sie schwiegen wieder etwa drei Minuten lang. Endlich stand Schatow vom Bette auf.
»Gehen Sie von mir weg; ich mag nicht mit Ihnen zusammen sein.«
»Das will ich tun,« sagte Peter Stepanowitsch höchst vergnügt und erhob sich sofort. »Nur noch ein Wort: Kirillow wohnt jetzt, wie es scheint, in seinem Seitengebäude mutterseelenallein, ohne eine Dienerin?«
»Ja, ganz allein. Gehen Sie weg; ich kann nicht mit Ihnen in ein und demselben Zimmer sein.«
»Na, du bist ja jetzt gut!« dachte Peter Stepanowitsch munter, als er auf die Straße hinaustrat; »und du wirst auch heute abend gut sein. Gerade so habe ich dich jetzt nötig; besser kann ich es mir gar nicht wünschen! Der russische Gott hilft selbst!«
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Wahrscheinlich besorgte er an diesem Tage bei seinen vielen Laufereien noch eine ganze Menge von Geschäften und erledigte sie offenbar erfolgreich; das zeigte der selbstzufriedene Ausdruck seines Gesichtes, als er am Abend Punkt sechs Uhr bei Nikolai Wsewolodowitsch erschien. Aber zu diesem wurde er nicht sogleich hereingelassen, weil sich gerade Mawriki Nikolajewitsch bei Nikolai Wsewolodowitsch im Arbeitszimmer befand. Diese Nachricht machte ihn sofort besorgt. Er setzte sich dicht an die Tür des Arbeitszimmers, um zu warten, bis der Besucher weggehen würde. Daß gesprochen wurde, war zu hören; aber die Worte ließen sich nicht verstehen. Der Besuch dauerte nicht lange; bald wurde ein Geräusch vernehmbar; eine sehr laute, scharfe Stimme ertönte; darauf öffnete sich die Tür, und Mawriki Nikolajewitsch trat mit ganz blassem Gesichte heraus. Er bemerkte Peter Stepanowitsch nicht und ging schnell an ihm vorbei. Peter Stepanowitsch lief sofort in das Arbeitszimmer hinein.
Ich kann nicht umhin über diese kurze Begegnung der beiden »Nebenbuhler« ausführlich zu berichten, eine Begegnung, die unter den obwaltenden Umständen anscheinend unmöglich war, aber doch tatsächlich stattfand.
Das begab sich folgendermaßen. Nikolai Wsewolodowitsch schlummerte nach dem Mittagessen in seinem Arbeitszimmer auf der Chaiselongue, als ihm Alexei Jegorowitsch die Ankunft des unerwarteten Besuchers meldete. Als er bei der Meldung den Namen hörte, sprang er erstaunt auf und wollte es nicht glauben. Aber bald glänzte ein Lächeln auf seinen Lippen auf, ein Lächeln hochmütigen Triumphes und gleichzeitig einer mißtrauischen Verwunderung. Den eintretenden Mawriki Nikolajewitsch schien dieses eigenartige Lächeln stutzig zu machen; wenigstens blieb er auf einmal mitten im Zimmer stehen, wie wenn er unschlüssig wäre, ob er weitergehen oder umkehren solle. Der Wirt veränderte aber im selben Augenblicke sein Gesicht und kam ihm mit dem Ausdruck ernster Verwunderung entgegen. Dieser nahm die hingestreckte Hand nicht an, zog sich linkisch einen Stuhl heran und setzte sich, ohne ein Wort zu sagen und ohne eine Aufforderung abzuwarten, noch vor dem Wirte hin. Nikolai Wsewolodowitsch setzte sich ihm schräg gegenüber auf die Chaiselongue, blickte Mawriki Nikolajewitsch aufmerksam an, schwieg und wartete.
»Wenn Sie können, so heiraten Sie Lisaweta Nikolajewna!« sagte Mawriki Nikolajewitsch auf einmal, und, was das merkwürdigste war, an dem Tone, in dem er das sagte, ließ sich nicht erkennen, was es eigentlich war, eine Bitte, eine Empfehlung, ein Zugeständnis oder ein Befehl.
Nikolai Wsewolodowitsch fuhr fort zu schweigen; aber der Gast hatte offenbar bereits alles gesagt, weswegen er gekommen war, und blickte in Erwartung einer Antwort seinem Gegenüber ins Gesicht.
»Wenn ich mich nicht irre (übrigens ist die Sache ja sehr sicher), so ist Lisaweta Nikolajewna bereits mit Ihnen verlobt,« erwiderte Stawrogin endlich.
»Sie ist in aller Form mit mir verlobt,« bestätigte Mawriki Nikolajewitsch mit fester, deutlicher Stimme.
»Haben Sie ... sich entzweit? ... Verzeihen Sie die Frage, Mawriki Nikolajewitsch!«
»Nein. Sie ›liebt und achtet‹ mich; das sind ihre eigenen Worte. Und ihre Worte sind absolut zuverlässig.«
»Daran ist kein Zweifel.«
»Aber wissen Sie: wenn sie in der Kirche schon am Lesepult unter der Brautkrone dastehen wird und Sie sie rufen, dann wird sie mich und alle im Stich lassen und zu Ihnen hingehen.«
»Von der Trauung weg?«
»Ja, und auch nach der Trauung.«
»Irren Sie sich auch nicht?«
»Nein. Unter dem ununterbrochenen, aufrichtigen, starken Hasse, den sie gegen Sie empfindet, leuchtet alle Augenblicke die Liebe und ... der Wahnsinn hervor ... die aufrichtigste, maßlose Liebe und ... der Wahnsinn! Umgekehrt leuchtet aus der Liebe, die sie ebenso aufrichtig zu mir fühlt, jeden Augenblick der größte Haß hervor! Ich hätte mir früher all diese Metamorphosen niemals vorstellen können.«
»Aber ich wundere mich darüber, wie Sie herkommen konnten, um über Lisaweta Nikolajewnas Hand zu verfügen. Haben Sie ein Recht dazu? Oder hat sie Ihnen eine Vollmacht erteilt?«
Mawriki Nikolajewitsch machte ein finsteres Gesicht und senkte einen Augenblick den Kopf.
»Das sind ja von Ihrer Seite nur Worte,« sagte er dann plötzlich, »rachsüchige, triumphierende Worte; ich bin überzeugt, Sie verstehen auch das, was ich unausgesprochen lasse; und ist denn hier wirklich der Ort für kleinliche Prahlerei? Ist Ihnen diese Genugtuung noch nicht ausreichend? Soll ich denn wirklich alles ausführlich und haarklein darlegen? Nun gut, ich werde es tun, wenn Ihnen an meiner Demütigung soviel gelegen ist: ein Recht habe ich nicht; eine Vollmacht ist ein Ding der Unmöglichkeit; Lisaweta Nikolajewna weiß von nichts, sondern ihr Bräutigam hat den letzten Rest von Verstand verloren und ist reif für das Irrenhaus, und um allem die Krone aufzusetzen, kommt er selbst her, um Ihnen davon Meldung abzustatten. Auf der ganzen Welt können nur Sie allein sie glücklich und nur ich allein sie unglücklich machen. Sie machen sie mir streitig, Sie verfolgen sie; aber, ich weiß nicht warum, Sie heiraten sie nicht. Wenn der Grund dafür ein Liebeszank ist, der im Auslande stattgefunden hat, und wenn, um ihn zu beenden, ich zum Opfer gebracht werden muß, so bringen Sie mich zum Opfer! Sie ist sehr unglücklich, und ich kann das nicht ertragen. Meine Worte sind keine Erlaubnis, keine Vorschrift und enthalten daher auch nichts, was für Ihr Selbstgefühl verletzend sein könnte. Wenn es in Ihrer Absicht läge, meinen Platz am Kirchenpult einzunehmen, so hätten Sie das ohne jede Erlaubnis von meiner Seite tun können, und ich hätte dann keinen Anlaß gehabt, mit diesem verdrehten Anliegen zu Ihnen zu kommen. Um so mehr, da auch unsere Hochzeit nach meinem jetzigen Schritte schon unmöglich geworden ist. Ich kann sie doch nicht zum Altare führen, wenn ich ein gemeiner Mensch bin! Und das, was ich jetzt tue, indem ich sie Ihnen, vielleicht ihrem unversöhnlichsten Feinde, übergebe, ist eine solche Gemeinheit, daß ich sie selbstverständlich nicht überstehen werde.«
»Sie werden sich erschießen, wenn wir getraut werden?«
»Nein, erst weit später. Wozu soll ich ihr Hochzeitskleid mit meinem Blute beflecken? Vielleicht werde ich mich überhaupt nicht erschießen, weder jetzt noch später.«
»Durch diese letzte Bemerkung wollen Sie mich wohl beruhigen?«
»Sie beruhigen? Was macht es Ihnen denn aus, ob etwas Blut mehr vergossen wird?« Er war blaß geworden, und seine Augen fingen an zu funkeln. Es folgte ein Stillschweigen, das wohl eine Minute lang dauerte.
»Verzeihen Sie mir die Fragen, die ich Ihnen vorlegte,« begann Stawrogin von neuem. »Einige derselben Ihnen vorzulegen war ich nicht berechtigt; aber zu einer andern Frage habe ich, wie ich meine, ein volles Recht: sagen Sie mir: durch welche Tatsachen sind Sie veranlaßt worden, auf meine Gefühle gegen Lisaweta Nikolawjewna zu schließen? Ich meine auf einen solchen Grad dieser Gefühle, daß die Überzeugung von deren Vorhandensein Ihnen erlaubte, zu mir zu kommen ... und einen solchen Vorschlag zu riskieren?«
»Wie?« rief Mawriki Nikolajewitsch und zuckte dabei sogar ein wenig zusammen; »haben Sie sich denn nicht um sie beworben? Bewerben Sie sich nicht um sie, und wollen Sie sich nicht um sie bewerben?«
»Über meine Gefühle gegen diese oder jene Frau kann ich überhaupt nicht laut zu einem Dritten sprechen, wer es auch sein mag, sondern nur zu der betreffenden Frau. Verzeihen Sie, das ist nun einmal eine Eigentümlichkeit meines Organismus. Aber dafür will ich Ihnen im übrigen die volle Wahrheit sagen: ich bin verheiratet, und es ist mir daher nicht mehr möglich, mich zu verheiraten oder mich zu ›bewerben‹.«
Mawriki Nikolajewitsch war dermaßen erstaunt, daß er gegen die Rückenlehne des Sessels zurückschwankte und seinem Gegenüber eine Zeitlang ins Gesicht sah ohne sich zu rühren.
»Denken Sie sich, das habe ich wirklich in keiner Weise gedacht,« murmelte er. »Sie sagten damals, an jenem Vormittag, Sie seien nicht verheiratet ... und daher glaubte ich, daß es nicht der Fall sei.«
Er war furchtbar blaß geworden; auf einmal schlug er aus voller Kraft mit der Faust auf den Tisch.
»Wenn Sie nach diesem Bekenntnis nicht von Lisaweta Nikolajewna ablassen und sie absichtlich unglücklich machen, so werde ich Sie mit dem Stocke totschlagen, wie einen Hund am Zaun!«
Er sprang auf und verließ schnell das Zimmer. Als Peter Stepanowitsch hereingelaufen kam, fand er Stawrogin in einer ganz unerwarteten Gemütsverfassung.
»Ah, Sie sind da!« rief dieser, laut lachend. Er lachte anscheinend nur über Peter Stepanowitschs Figur, der mit allen Zeichen neugieriger Aufregung hereingelaufen kam.
»Haben Sie an der Tür gehorcht? Warten Sie mal, warum sind Sie doch gekommen? Ich habe Ihnen ja etwas versprochen ... Ach ja, ich erinnere mich: wir wollten zu den ›Unsrigen‹! Gehen wir; ich freue mich sehr darauf, und Sie hätten nichts ersinnen können, was mir jetzt gelegener käme.«
Er griff nach seinem Hute, und beide verließen ohne Verzug das Haus.
»Sie lachen schon im voraus darüber, daß Sie die ›Unsrigen‹ zu sehen bekommen werden?« fragte Peter Stepanowitsch, lustig umherscherwenzelnd, indem er bald neben seinem Gefährten auf dem schmalen Ziegeltrottoir zu gehen suchte, bald sogar auf den Straßendamm geradezu in den Schmutz lief, weil sein Gefährte es gar nicht gewahr wurde, daß er allein gerade in der Mitte des Trottoirs ging und es somit mit seiner eigenen Person allein einnahm.
»Ich lache durchaus nicht,« antwortete Stawrogin laut und fröhlich. »Ich bin im Gegenteil davon überzeugt, daß ich bei Ihnen dort sehr ernste Leute finden werde.«
»›Ingrimmige Dummköpfe‹, wie Sie sich einmal auszudrücken beliebten.«
»Es gibt nichts Amüsanteres als so einen ingrimmigen Dummkopf.«
»Ah, damit zielen Sie auf Mawriki Nikolajewitsch! Ich bin überzeugt, daß er soeben zu Ihnen gekommen war, um Ihnen seine Braut abzutreten, wie? Dazu habe ich ihn direkt aufgehetzt, wie Sie sich vorstellen können. Und wenn er sie Ihnen nicht abtritt, dann nehmen wir sie ihm einfach weg, nicht wahr?«
Peter Stepanowitsch wußte natürlich, was er riskierte, wenn er sich auf solche Wendungen einließ; aber da er selbst sehr aufgeregt war, so wollte er lieber nötigenfalls alles riskieren, als länger in Ungewißheit bleiben. Nikolai Wsewolodowitsch lachte nur.
»Spekulieren Sie immer noch darauf, mir zu helfen?« fragte er.
»Sobald Sie rufen werden. Wissen Sie aber, daß es einen sehr guten Weg gibt?«
»Ich kenne Ihren Weg.«
»Nein doch, das ist vorläufig noch ein Geheimnis. Aber vergessen Sie nicht, daß das Geheimnis Geld kostet!«
»Ich weiß, wieviel es kostet,« brummte Stawrogin vor sich hin, beherrschte sich aber und sprach nicht weiter.
»Wieviel? Was sagten Sie?« fragte Peter Stepanowitsch aufgeregt.
»Ich sagte: Gehen Sie zum Teufel mit Ihrem Geheimnisse! Sagen Sie mir lieber, wen ich da jetzt treffen werde. Ich weiß, daß wir zur Feier eines Namenstages gehen; aber wer ist denn eigentlich da?«
»Oh, ein äußerst bunter Mischmasch! Selbst Kirillow wird da sein.«
»Lauter Komiteemitglieder?«
»Donnerwetter, haben Sie es aber eilig! Hier hat sich noch kein einziges Komitee gebildet.«
»Wie haben Sie es denn dann fertigbekommen, so viele Proklamationen zu verbreiten?«
»Dort, wohin wir gehen, sind nur vier Komiteemitglieder. Die übrigen bespionieren einander vorläufig um die Wette und erstatten mir Bericht. Es sind Leute, von denen man sich viel versprechen kann. Das ist lauter Material, das man organisieren muß; dann allerdings muß man sich davonmachen. Übrigens haben Sie ja selbst das Statut verfaßt; da brauche ich Ihnen nichts weiter auseinanderzusetzen.«
»Wie ist es? Die Sache geht wohl schwer? Hapert es?«
»Wie es geht? So leicht, wie man es sich nur denken kann. Ich werde Sie zum Lachen bringen: das erste, was gewaltig wirkt, das sind die Ämter. Die sind das stärkste Zugmittel. Ich ersinne absichtlich Titel und Obliegenheiten: ich habe Sekretäre, geheime Kundschafter, Kassierer, Vorsitzende, Registratoren und Gehilfen all dieser Chargen; das gefällt sehr und ist sehr gut aufgenommen worden. Dann folgt natürlich als zweites kräftiges Moment die Sentimentalität. Wissen Sie, der Sozialismus verdankt seine Verbreitung bei uns vorzugsweise der Sentimentalität. Aber das Malheur ist, daß sich auch Unterleutnants finden, die zu beißen anfangen; da kann man leicht hereinfallen. Darauf folgen die reinen Schurken; na, die sind ein ganz braves Völkchen und manchmal sehr nützlich; nur muß man auf sie viel Zeit verwenden; sie verlangen eine unaufhörliche Überwachung. Na, und dann schließlich das Hauptmoment, der alles bindende Zement, das ist die Scheu vor einer eigenen Meinung. Sehen Sie, das ist etwas, was stark wirkt! Und wer hat das durch seine Arbeit herbeigeführt? Welcher ›liebe Mensch‹ hat es durch seine Bemühungen dahin gebracht, daß kein einziger eigener Gedanke in jemandes Kopfe übriggeblieben ist? Selbständiges Denken betrachten sie geradezu als eine Schande.«
»Wenn es so dürftige Menschen sind, warum geben Sie sich dann mit ihnen soviel Mühe?«
»Aber wenn sie doch so einfach daliegen und einen gleichsam mit aufgesperrtem Munde dazu einladen, wie sollte man sie da nicht in die Tasche stecken! Es klingt, als ob Sie an die Möglichkeit des Gelingens nicht ernsthaft glaubten? Oder vielmehr, der Glaube ist schon da, es fehlt jedoch am rechten Wollen. Aber gerade mit solchen Leuten ist ein Gelingen möglich. Ich sage Ihnen, meine Kerle gehen durch Wasser und Feuer; ich brauche ihnen nur zuzurufen, sie seien nicht fortschrittlich genug. Die Dummköpfe werfen mir vor, ich hätte sie alle hier mit dem Zentralkomitee und den ›zahllosen Verzweigungen‹ hinters Licht geführt. Auch Sie selbst haben mich einmal deswegen gescholten; aber wie kann da von Täuschung die Rede sein: das Zentralkomitee sind Sie und ich, und Verzweigungen wird es so viele geben, als man nur will.«
»Und alles, was Sie hier haben, ist solcher Pöbel!«
»Es ist Material. Auch die sind zu brauchen.«
»Und Sie spekulieren immer noch auf mich?«
»Sie sind der Chef, Sie sind die bewegende Kraft; ich werde Ihnen nur zur Seite stehen, etwa als Sekretär. Wissen Sie, wir werden in einen Nachen steigen, dessen Ruder von Ahornholz, dessen Segel von Seide sind, und am Steuer sitzt ein schönes Mädchen, die liebe Lisaweta Nikolajewna ... oder wie das da in jenem Liede heißt ...«
»Da ist er stecken geblieben!« lachte Stawrogin. »Nein, da will ich Ihnen lieber noch ein gutes Mittel angeben. Sie zählen an den Fingern die wirksamen Umstände auf, durch die die Komitees gebildet und zusammengehalten werden. All dieses Beamtenwesen und diese Sentimentalität, das ist wohl ein guter Kleister; aber es gibt noch einen besseren Kunstgriff: bereden Sie vier Komiteemitglieder, das fünfte zu ermorden, unter dem Vorgeben, dieses sei ein Denunziant, und sofort werden Sie sie mittels des vergossenen Blutes wie mit einem Strick zusammenknoten. Sie werden Ihre Sklaven werden und nicht wagen, sich zu empören oder Rechenschaft zu fordern. Ha-ha-ha!«
»Aber«, dachte Peter Stepanowitsch für sich, »aber für diese Worte sollst du mir büßen, und noch heute abend. Du erlaubst dir denn doch schon gar zu viel!«
So oder fast so mochte Peter Stepanowitsch denken. Übrigens näherten sie sich schon dem Hause Wirginskis.
»Sie haben mich da gewiß für ein Mitglied ausgegeben, das aus dem Auslande kommt und mit der Internationale in Verbindung steht, für einen Revisor?« fragte Stawrogin.
»Nein, für einen Revisor nicht; den Revisor sollen nicht Sie, sondern ein anderer spielen; Sie werden ein zu den Gründern gehöriges, aus dem Auslande eingetroffenes Mitglied sein, dem gewisse höchst wichtige Geheimnisse bekannt sind; das ist Ihre Rolle. Sie werden natürlich reden?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Sie sind jetzt verpflichtet zu reden.«
Stawrogin blieb vor Verwunderung mitten auf der Straße stehen, nicht weit von einer Laterne. Peter Stepanowitsch hielt seinen Blick dreist und ruhig aus. Stawrogin spuckte aus und ging weiter.
»Aber Sie selbst, werden Sie reden?« fragte er auf einmal Peter Stepanowitsch.
»Nein, ich werde Ihnen zuhören.«
»Hol Sie der Teufel! Sie bringen mich wirklich auf eine Idee!«
»Auf was für eine?« fragte Peter Stepanowitsch hastig.
»Ich werde da reden, meinetwegen; aber dafür werde ich Sie nachher durchprügeln, und wissen Sie, gehörig durchprügeln.«
»Apropos, ich habe vorhin von Ihnen zu Karmasinow gesagt, Sie hätten über ihn geäußert, man müsse ihn durchpeitschen, aber nicht einfach, um ihm eine Unehre anzutun, sondern wie man einen Bauer durchpeitscht, schmerzhaft.«
»Aber ich habe das ja nie gesagt, ha-ha!«
»Das tut nichts. Se non è vero ...«
»Nun, ich danke Ihnen, ich danke Ihnen aufrichtig.«
»Noch eins; wissen Sie, was Karmasinow sagte? In der Hauptsache sei unsere Lehre eine Verneinung der Ehre, und mit dem offen verkündeten Recht auf Ehrlosigkeit könne man den Russen am leichtesten anlocken und mit sich ziehen.«
»Ein vorzüglicher Gedanke! Ein goldener Gedanke!« rief Stawrogin. »Da hat er den Nagel auf den Kopf getroffen! Das Recht auf Ehrlosigkeit, – ja, dann werden alle zu uns gelaufen kommen, und kein einziger wird auf der anderen Seite bleiben! Aber hören Sie mal, Werchowenski, gehören Sie auch nicht zur Geheimpolizei, was?«
»Aber wem solche Fragen im Kopfe herumgehen, der spricht sie doch nicht aus.«
»Ich verstehe; aber wir sind ja unter uns.«
»Nein, vorläufig gehöre ich noch nicht zur Geheimpolizei. Aber nun genug; wir sind am Ziele. Machen Sie Ihr Gesicht zurecht, Stawrogin; ich tue das auch immer, wenn ich zu ihnen hineingehe. Recht viel finsteren Ernst; weiter ist nichts nötig; es ist kein Kunststück.«
Inhaltsverzeichnis
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An diesem Tage sahen viele Peter Stepanowitsch; diejenigen, die ihn gesehen hatten, erinnerten sich, daß er sich in höchst aufgeregtem Zustande befunden hatte. Um zwei Uhr nachmittags kam er zu Gaganow gelaufen, der erst am Tage zuvor vom Lande angekommen war, und in dessen Hause sich eine große Menge von Besuchern zusammenfand, die viel und heftig über die soeben stattgefundenen Ereignisse debattierten. Peter Stepanowitsch redete am meisten von allen und brachte die andern dazu, ihm zuzuhören. Man hatte ihn bei uns immer für einen »geschwätzigen, ein bißchen verdrehten Studenten« gehalten; aber jetzt sprach er über Julija Michailowna, und bei dem allgemeinen Wirrwarr war das ein fesselndes Thema. In seiner Eigenschaft als ihr intimer Vertrauter in der letzten Zeit, teilte er über sie viele ganz neue und überraschende Einzelheiten mit; unabsichtlich (und natürlich unvorsichtigerweise) berichtete er mehrere private Äußerungen dieser Dame über einige in der Stadt allgemein bekannte Persönlichkeiten, wodurch deren Ehrgefühl verletzt wurde. Es kam bei ihm alles unklar und verworren heraus wie bei einem nicht allzu klugen Menschen, der sich als ehrlicher Mensch in die peinliche Notwendigkeit versetzt sieht, mit einem Male einen ganzen Berg von Zweifeln aufzuklären, und in seiner Einfalt und Ungeschicklichkeit selbst nicht weiß, womit er anfangen und aufhören soll. Ziemlich unvorsichtig ließ er sich auch die Bemerkung entschlüpfen, daß Julija Michailowna um Stawrogins ganzes Geheimnis gewußt habe, und daß sie es gewesen sei, die die ganze Intrige geleitet hätte. Sie habe auch ihn, Peter Stepanowitsch, da er selbst in diese unglückliche Lisa verliebt gewesen sei, mit hineingezogen und ihn dabei dermaßen »eingewickelt«, daß er sie »beinahe« in einem Wagen zu Stawrogin hingebracht habe. »Ja, ja, Sie haben gut lachen, meine Herren; wenn ich nur gewußt hätte, wie die Sache enden würde, ja, wenn ich das nur gewußt hätte!« schloß er. Auf verschiedene dringende Fragen nach Stawrogin erklärte er geradezu, die Katastrophe mit Lebjadkin sei seiner Meinung nach ein reiner Zufall, und Lebjadkin selbst sei an allem dadurch schuld, daß er Geld gezeigt habe. Diesen Punkt setzte er besonders gut auseinander. Einer der Zuhörer bemerkte ihm, er gebe sich vergebens soviel Mühe sich zu verstellen; er habe in Julija Michailownas Hause gegessen, getrunken, ja beinahe geschlafen, und jetzt sei er der erste, der sie anschwärze; dieses Verhalten sei ganz und gar nicht so schön, wie er meine. Aber Peter Stepanowitsch verteidigte sich sofort:
»Ich habe dort nicht etwa deshalb gegessen und getrunken, weil ich kein Geld gehabt hätte, und ich kann nichts dafür, daß man mich einlud. Gestatten Sie, daß ich selbst beurteile, inwieweit ich dafür dankbar zu sein habe.«
Im allgemeinen hinterließ er einen günstigen Eindruck: »Er ist ja ein alberner Patron und gewiß ein hohler Geselle; aber was kann er für Julija Michailownas Dummheiten? Im Gegenteil sieht man ja, daß er sie zurückzuhalten gesucht hat.«
Gegen zwei Uhr nachmittags verbreitete sich die Nachricht, daß Stawrogin, über den soviel geredet wurde, plötzlich mit dem Mittagszuge nach Petersburg gefahren sei. Das erregte großes Aufsehen; viele runzelten die Stirn. Peter Stepanowitsch war dermaßen überrascht, daß, wie man erzählt, sein Gesicht sich ganz verzerrte und er sonderbarerweise ausrief: »Wie hat man ihn denn weglassen können?« Er lief sogleich von Gaganow fort. Indessen sah man ihn noch in zwei oder drei anderen Häusern.
Um die Dämmerstunde fand er die Möglichkeit, auch zu Julija Michailowna durchzudringen, wiewohl nur mit der größten Mühe, da sie ihn entschieden nicht empfangen wollte. Erst drei Wochen später er fuhr ich von diesem Zusammensein, und zwar aus ihrem eigenen Munde, vor ihrer Abreise nach Petersburg. Sie teilte mir keine Einzelheiten darüber mit, bemerkte aber, noch nachträglich zitternd, er habe sie damals in ein maßloses Erstaunen versetzt. Ich nehme an, daß er sie einfach durch die Drohung erschreckt hat, sie als Helfershelferin zu denunzieren, falls sie sich beikommen ließe zu »reden«. Die Notwendigkeit, sie einzuschüchtern, hing eng mit seinen damaligen Plänen zusammen, die ihr selbstverständlich unbekannt waren, und erst später, nach fünf Tagen, erriet sie, warum er ihrer Verschwiegenheit so sehr gemißtraut und neue Ausbrüche ihres Unwillens so sehr gefürchtet hatte.
Zwischen sieben und acht Uhr abends, als es bereits ganz dunkel geworden war, versammelten sich am Rande der Stadt in der Fomin-Gasse, in einem kleinen, schief gewordenen Häuschen, in der Wohnung des Fähnrichs Erkel die »Unsrigen« vollzählig als Fünferkomitee. Obwohl Peter Stepanowitsch diese Versammlung selbst angesetzt hatte, verspätete er sich doch in unverzeihlicher Weise, und die Mitglieder mußten eine Stunde lang auf ihn warten. Dieser Fähnrich Erkel war jener selbe von auswärts gekommene junge Offizier, der an dem Abende bei Wirginski die ganze Zeit über mit dem Bleistifte in der Hand und mit dem Notizbuche vor sich dagesessen hatte. Er war erst vor kurzem in die Stadt gekommen, hatte sich ganz allein in einer stillen Gasse bei zwei Schwestern, alten Kleinbürgerinnen, eingemietet und mußte bald wieder abreisen; bei ihm zusammenzukommen konnte am wenigsten Aufmerksamkeit erregen. Dieser sonderbare junge Mensch zeichnete sich durch eine ganz ungewöhnliche Schweigsamkeit aus: er konnte zehn Abende hintereinander in lärmender Gesellschaft und bei den interessantesten Gesprächen dasitzen, ohne selbst ein Wort zu sagen, wobei er aber mit der größten Aufmerksamkeit seine kindlichen Augen auf die Redenden richtete und zuhörte. Er hatte ein sehr hübsches und sogar ein sehr kluges Gesicht. Zum Fünferkomitee gehörte er nicht; die »Unsrigen« nahmen an, daß er irgendwelche besonderen Aufträge rein exekutiver Art habe. Jetzt ist bekannt, daß er keinerlei Aufträge hatte, ja schwerlich selbst seine Lage begriff. Er beugte sich nur vor Peter Stepanowitsch, den er erst vor kurzem kennen gelernt hatte. Wäre er mit einem vorzeitig sittlich verdorbenen Menschen zusammengekommen und hätte ihn dieser unter irgendeinem sozialistisch und romantisch klingenden Vorwande dazu angeregt, eine Räuberbande zu bilden, und ihm als Probestück befohlen, den ersten besten Bauer totzuschlagen und auszuplündern, so wäre er unfehlbar hingegangen und hätte das gehorsam ausgeführt. Er hatte irgendwo eine kranke Mutter wohnen, der er die Hälfte seines kärglichen Gehaltes schickte; – und wie mochte sie diesen armen Blondkopf küssen und für ihn zittern und für ihn beten! Ich habe über ihn so ausführlich gesprochen, weil er mir sehr leid tut.
Die »Unsrigen« befanden sich in großer Aufregung. Die Ereignisse der vorhergehenden Nacht waren ihnen überraschend gekommen und schienen sie ängstlich gemacht zu haben. Der einfache, wiewohl systematisch organisierte Skandal, an dessen Vorbereitung sie sich bisher so eifrig beteiligt hatten, hatte sich in einer für sie unerwarteten Weise entwickelt. Die nächtliche Feuersbrunst, die Ermordung der beiden Lebjadkins, die Gewalttätigkeit der Menge gegen Lisa, all das waren Überraschungen, die in ihrem Programm nicht vorgesehen gewesen waren. Mit Heftigkeit beschuldigten sie die Hand, die sie leitete, des Despotismus und der Unaufrichtigkeit. Kurz, während sie auf Peter Stepanowitsch warteten, hetzten sie einander dergestalt auf, daß sie wieder beschlossen, ihn noch einmal energisch um eine unumwundene Erklärung zu ersuchen und, wenn er wieder ausweichen sollte, wie das schon dagewesen war, sogar das Fünferkomitee aufzulösen, aber mit der Absicht, an seiner Statt eine neue geheime Gesellschaft »der Propaganda der Idee« zu gründen, und zwar auf eigene Hand und auf den Prinzipien der Gleichberechtigung und der Demokratie. Liputin, Schigalew und der Kenner des Volkes unterstützten diesen Gedanken ganz besonders; Ljamschin verhielt sich schweigsam, wiewohl er eine zustimmende Miene machte. Wirginski schwankte und wünschte zunächst Peter Stepanowitsch zu hören. Man entschied sich dafür, Peter Stepanowitsch zu hören; aber dieser kam immer noch nicht; durch eine derartige Rücksichtslosigkeit wurde die Erbitterung noch gesteigert. Erkel schwieg vollständig und beschränkte sich darauf, Tee zu reichen, den er von seinen Wirtinnen eigenhändig in Gläsern auf einem Präsentierbrett holte; einen Samowar hatte er nicht hereingebracht, auch ließ er die Magd nicht ins Zimmer.
Peter Stepanowitsch erschien erst um halb neun. Mit schnellen Schritten ging er zu dem runden Sofatisch, an dem die Gesellschaft Platz genommen hatte; er behielt seine Mütze in der Hand und lehnte den Tee ab. Seine Miene war ärgerlich, streng und hochmütig. Wahrscheinlich hatte er sofort an den Gesichtern gemerkt, daß sie »rebellierten«.
»Ehe ich den Mund auftue, packen Sie Ihren Kram aus; Sie haben etwas vor,« bemerkte er mit einem boshaften Lächeln, indem er seinen Blick über die Gesichter schweifen ließ.
Liputin begann »im Namen aller« und erklärte mit einer Stimme, die im Gefühl der erlittenen Kränkung zitterte, wenn das so weitergehe, könne man sich selbst die Stirn zerschlagen. Oh, sie fürchteten sich ganz und gar nicht davor, sich die Stirn zu zerschlagen, und seien sogar dazu bereit, aber einzig und allein für die gemeinsame Sache (allgemeine Bewegung und Zustimmung). Aber deshalb müsse man auch ihnen gegenüber aufrichtig sein, damit sie immer im voraus unterrichtet seien; was solle sonst daraus werden? (wieder Bewegung, einige Kehllaute). »Ein solches Verfahren ist demütigend und gefährlich. Wir sagen das durchaus nicht, weil wir Furcht hätten; aber wenn nur ein einziger handelt und alle übrigen weiter nichts als Steine im Brett sind, dann kann es kommen, daß der eine einen Fehler macht und alle dadurch zugrunde gehen.« (Zurufe: »Ja, ja!« Allgemeine Zustimmung.)
»Hol's der Teufel, was wollen Sie denn eigentlich?«
»Welche Beziehung zur gemeinsamen Sache«, fuhr Liputin fort, der vor Wut kochte, »haben die Intrigen dieses Herrn Stawrogin? Mag er auch auf irgendwelche geheime Weise zur Zentrale gehören, falls überhaupt diese phantastische Zentrale wirklich existiert; indes das wollen wir gar nicht wissen. Aber inzwischen ist ein Mord begangen, die Polizei ist in Bewegung gekommen, und man wird dem Faden nachgehen bis zum Knäuel.«
»Sie werden mit Stawrogin zugrunde gehen, und wir ebenfalls,« fügte der Kenner des Volkes hinzu.
»Und ohne allen Nutzen für die gemeinsame Sache,« schloß Wirginski in trübem Tone.
»Was ist das für Unsinn! Der Mord ist ein zufälliges Ereignis; Fedka hat ihn begangen, um zu rauben.«
»Hm! Es ist doch ein sonderbares Zusammentreffen,« sagte Liputin, sich zusammenkrümmend.
»Na, man kann sogar sagen, daß gerade Sie die Schuld an dem Morde tragen.«
»Wieso? Was soll das heißen?«
»Erstens haben Sie, Liputin, sich selbst an dieser Intrige beteiligt, und zweitens, was die Hauptsache ist, war Ihnen befohlen worden, Lebjadkin wegzuschaffen, und es war Ihnen zu diesem Zwecke Geld gegeben worden; aber was taten Sie? Hätten Sie ihn weggeschafft, dann wäre nichts passiert.«
»Aber haben denn nicht Sie selbst den Gedanken ausgesprochen, daß es gut wäre, wenn man ihn das Gedicht vorlesen ließe?«
»Ein Gedanke ist kein Befehl. Der Befehl lautete, Sie sollten ihn wegschaffen.«
»Der Befehl! Ein recht sonderbarer Ausdruck! ... Vielmehr haben Sie mir ausdrücklich befohlen, die Wegschaffung zu verschieben.«
»Sie irren sich und reden töricht und eigenwillig. Der Mord aber ist Fedkas Tat, und er hat sie ganz allein begangen, um zu rauben. Sie haben auf das Gerede der Menschen hingehört und es geglaubt. Sie haben es mit der Angst bekommen. Stawrogin ist nicht so dumm; und der Beweis dafür ist, daß er heute um zwölf Uhr mittags nach einem Gespräche mit dem Vizegouverneur weggefahren ist; wenn irgend etwas gegen ihn vorläge, hätte man ihn nicht am hellen, lichten Tage nach Petersburg fahren lassen.«
»Wir behaupten ja auch gar nicht, daß Herr Stawrogin den Mord selbst begangen hat,« erwiderte Liputin giftig und ohne sich zu genieren. »Möglicherweise hat er nicht einmal etwas davon gewußt, ebensowenig wie ich; und das ist Ihnen selbst sehr wohl bekannt, daß ich nichts davon gewußt habe, obgleich ich wie ein Hammel von selbst in den Kochkessel hineingestiegen bin.«
»Wen beschuldigen Sie denn?« fragte Peter Stepanowitsch, ihn finster anblickend.
»Eben diejenigen, die für nötig gehalten haben die Stadt anzuzünden.«
»Das Schlimmste ist, daß Sie sich so gewundener Ausdrücke bedienen. Wollen Sie übrigens dies hier gefälligst lesen und es den andern zeigen: nur so zur Kenntnisnahme.«
Er zog Lebjadkins anonymen Brief an Lembke aus der Tasche und übergab ihn Liputin. Dieser las ihn durch, wunderte sich offenbar sehr und gab ihn sei nem Nachbar; der Brief machte schnell die Runde.
»Ist das wirklich Lebjadkins Handschrift?« bemerkte Schigalew.
»Ja, es ist seine Handschrift,« erklärten Liputin und Tolkatschenko (das heißt der Kenner des Volkes).