Dr. phil. Thomas Wollschläger studierte Mittlere und Neuere Geschichte, Alte Geschichte und Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Gießen sowie an der Sheffield Hallam University (UK). Schwerpunkt seiner Arbeit war die Beschäftigung mit dem Verhältnis von Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit. Berufliche Stationen als wiss. Bibliothekar umfassen die Deutsche Nationalbibliothek und die Universitätsbibliothek in Landau.
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Impressum
3., umfangreich ergänzte Auflage
© 2022 Thomas Wollschläger
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783755769668
Von seinen Zeitgenossen wird Hoffmann ausnahmslos als äußerst fähig beschrieben. Erich Ludendorff, über zwei Jahre lang sein direkter Vorgesetzter, bezeichnete ihn als „geistreichen, vorwärtsstrebenden Offizier“, den er sehr geschätzt habe und der sich in der gemeinsamen Zeit wie auch danach glänzend bewährt habe1. Dieses – 1919 niedergeschriebene – Urteil ist insofern gewichtig, als Ludendorff und Hoffmann in der Nachkriegszeit in teils heftige Auseinandersetzungen über die Anerkennung der Verdienste des jeweils anderen gerieten. In seinen späteren Werken fühlte sich Ludendorff daher bemüßigt, darauf hinzuweisen, er sei Hoffmann in seinen „Kriegserinnerungen“ mehr als gerecht geworden. Darüber hinaus hob Ludendorff jetzt hervor, dass er „seinen [Hoffmanns, T.W.] fast krankhaften Ehrgeiz, der sich fortschreitend mehr entwickelte, sehr schnell erkannt“ habe; Hoffmann habe ihn, Ludendorff, gegen Ende des Krieges sogar ausgesprochen gehasst2. Von derartigen Beobachtungen hatte Ludendorff allerdings 15 Jahre zuvor noch nicht berichtet, sondern nur von einer während der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk aufgetretenen „Trübung“ des Verhältnisses zu Hoffmann, wobei man sich später überdies gemeinsam ausgesprochen habe3.
Leopold von Bayern, der auf Ludendorff folgende Vorgesetzte Hoffmanns, bezeichnete Hoffmann als einen „Offizier von gediegenem Wissen, scharfem Verstande, von großer Energie und Verantwortungsfreudigkeit und vor allem von erstaunlicher Arbeitskraft“. Aus Leopolds Memoiren geht recht klar hervor, dass er Max Hoffmann ein großes Vertrauen entgegenbrachte und ohne zu zögern mit den verantwortungsvollsten Aufgaben betraute4. Recht selten fielen Kommentare zu Max Hoffmann in der zahlreichen Memoirenliteratur der Nachkriegszeit so knapp aus wie derjenige von General Hermann von François, der bei Tannenberg einer der Armeekorpskommandeure gewesen war. Er schrieb lapidar, dass er Hoffmann (bis dahin) nicht gekannt habe und dass er unter den Generalstabsoffizieren als willensstarker Mann und „der fähigste Kopf im Oberkommando“ gegolten hätte5.
Deutlich ausführlicher fällt die Charakterisierung Hoffmanns durch Richard Kühlmann, Staatssekretär im Auswärtigen Amt und Verhandlungsführer der Reichsregierung in Brest-Litowsk, aus. Kühlmann beschreibt Hoffmann als „gescheiten, bayrischen [sic!] Realist“, mit dem er sich von Anfang an persönlich sehr gut verstanden habe6. Versteht man „bayrisch“ nicht als Irrtum (Hoffmanns Geburtsort Homberg lag schließlich in Nordhessen, und auch seine bisherige Karriere hatte ihn nicht nach Bayern geführt), sondern als Charakterbeschreibung, könnte man diese Bezeichnung gegebenenfalls als „bodenständig, offen“ interpretieren. Wiewohl Hoffmann in den Verhandlungen einen durchaus anderen Stil als Kühlmann zeigte und zumindest teilweise andere Strategien vertrat, bescheinigte ihm Kühlmann dennoch eine loyale und verständnisvolle Unterstützung seiner diplomatischen Mission. Immerhin erwähnte auch Kühlmann einen gewissen Ehrgeiz, der Hoffmann nach einer größeren militärisch-politischen Rolle streben ließ, als er letztlich nach Kriegsende erreichte7.
Zumeist wird Max Hoffmann recht stereotyp „preußisch“ charakterisiert. In einem Nachruf der Vossischen Zeitung nach dem Tod Hoffmanns im Jahre 1927 bezeichnete ihn das Blatt als einen „Typ des preußischen Generalstäblers Schlieffenscher Schule“ und ordnete ihm neben dem Attribut, stets die Nerven behalten zu haben, auch Tüchtigkeit und Willenskraft zu8. Ottokar Czernin, Vertreter der österreichischen Verbündeten und dennoch Hoffmanns erbitterter Gegner bei den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk, attestierte Hoffmann „viel preußische Brutalität“, neben Sachkenntnis, Energie, großer Geschicklichkeit und Ruhe. Czernin hatte den Eindruck, dass Hoffmann diese Eigenschaften ganz gut miteinander verbinden konnte9. Weitere Einstufungen als „typisch preußisch“ finden sich in der Sekundärliteratur und stützen sich häufig auf Fotos von Hoffmann. So schrieb Barbara Tuchman, Hoffmann habe einen mächtigen runden Schädel und „einen so preußisch kurzen Haarschnitt“ gehabt, dass er wie ein Kahlkopf gewirkt habe; seine Miene würde Humor und Unbeugsamkeit verraten. An positiven Eigenschaften fielen nach ihrem Fazit Findigkeit, Schnelligkeit im Denken und Urteil ab; insgesamt sei er ein „liebenswürdiger, glücklicher und schlauer Mensch, der vor niemandem Achtung hatte“ gewesen. Als eher negative Eigenschaften bleiben bei Tuchman verzeichnet, dass Hoffmann ein starker Esser und Trinker, dazu ein schlechter Reiter und schlechter Fechter gewesen sei10. Nicht ganz so extrem, aber dennoch ähnlich, fiel die Charakterisierung von Dennis Showalter aus, welcher schreibt, dass Hoffmann auf den Fotos wie „eine Karikatur des typisch preußischen Offiziers“ ausgesehen habe: ein strenges Gesicht, auf den fassförmigen Körper gepfropfter, fast kahlgeschorener Kopf ohne sichtbaren Nacken. Auch für Showalter war offenbar der Hinweis wichtig, dass an Hoffmann sein Desinteresse an körperlicher Fitness bemerkenswert gewesen sei. Neben seinem „immensen Appetit“ und seiner Exzentrizität hob Showalter als positive Eigenschaften Hoffmans brillanten Verstand, scharfen Geist und seine enorme Sachkenntnis auf verschiedenen Gebieten hervor11.
Abgesehen von einer gewissen Fragwürdigkeit, sowohl überhaupt charakterliche Eigenschaften aus Bilddokumenten herauszulesen als auch insbesondere „preußische“ Attribute mit optischen Merkmalen zu verknüpfen, scheinen diese scheinbar „offensichtlich“ aus den Fotos herauszulesenden Eigenschaften nicht einmal mit der tatsächlichen physischen Erscheinung Max Hoffmanns viel gemein zu haben. Eindrucksvolles Zeitdokument ist hierzu die Schilderung des nationalkonservativen Historikers Karl Alexander von Müller, welcher im Jahre 1919 einer Veranstaltung beiwohnte, in der Max Hoffmann als Redner auftrat. Müller hinterließ folgende Beschreibung:
„Der baumlange, schlanke Hüne, der hier lässig elegant wie ein junger Leutnant am Teetisch saß, schien alles eher als ein martialischer Bramarbas. Er hatte zwar sehr kriegerische, buschige Augenbrauen, die er im Gespräch, wie um auf sie aufmerksam zu machen, gern streichelte, aber die Hand, die das tat, war ungewöhnlich schmal und zart, und das schöngeschnittene, überlegen klare Gesicht spielte oft in einem entzückenden, fast kindlichen Lächeln. Ein ausgesprochener Südwestdeutscher [sic!], umgänglich, er sprach gern und gut, mit anmutig geistreichem Witz, hörte aber ebenso gut zu, mit charakteristisch weit vorgebeugtem Oberkörper, blitzschnell auffassend“12.
Kritik im eigentlichen Sinne fehlt in Müllers Charakterisierung. Er merkte jedoch an, dass Hoffmann so gar nicht dem Bild eines legendären Feldherrn entsprach, wie es etwa in der Presse geschaffen worden sei, und dass sich Hoffmann wohl weniger zu einer mythentauglichen Identifikationsfigur eignen würde. Dazu sei Hoffmann „zu skeptisch, zu urban anspruchslos, zu wenig feierlich, zu feinfacettiert“. Zudem attestierte ihm Müller erheblich maßvollere Äußerungen als manch anderem, obwohl es sich um eine, wie Müller schrieb, „rechtsgerichtete“ Veranstaltung handelte, auf welcher Hoffmann hier sprach, und vom Charakter her eine gewisse Mischung aus Verwegenheit und Melancholie13.
Auch hierbei mag interessant sein, dass der gebürtige Münchner Müller den ihm bis dato persönlich unbekannten Hoffmann als „Südwestdeutschen“ bezeichnete, wo dieser doch ein Hesse war. Dies ähnelt frappierend der oben erwähnten Unstimmigkeit in der Beschreibung Kühlmanns, wo Hoffmann als „bayrisch“ bezeichnet wird. Schließt man auch hier einen tatsächlichen Irrtum aus, so könnte dies ein Indiz dafür sein, dass entweder Müller mit dieser Einordnung bestimmte Charaktereigenschaften meinte, die er in Hoffmann wiederzuerkennen glaubte, so wie vielleicht Kühlmann im Sinne von „bayrisch“. Oder aber es spricht diese Auffälligkeit in beiden Fällen für die Fähigkeit Hoffmanns, sich gegenüber Dritten sich in vielfältiger Weise präsentieren zu können und – sofern seine Präsenz als angenehm empfunden wurde, was bei Kühlmann und Müller offensichtlich der Fall war – als alles Mögliche, jedoch nicht „typisch preußisch“ gelten zu können. Letzteres wurde Hoffmann dagegen vor allem von Kontrahenten attestiert oder, wie geschildert, am ehesten in Teilen der Sekundärliteratur.
Eine Mischung aus eher unkonventionellen Charakterzügen mit „preußischen Tugenden“ versuchte schließlich Hoffmanns Biograph und Herausgeber Karl Friedrich Nowak darzustellen. Nowak hob in seiner biographischen Einleitung zur Gesamtausgabe von Max Hoffmanns Werken zwei Aspekte wiederholt hervor, nämlich Hoffmanns sehr große Statur14 und einen jugendlichen Eindruck, den Hoffmann zeitlebens gemacht habe. Als Charaktereigenschaften formulierte Nowak, Hoffmann habe „die besten Eigenschaften des tadellosen preußischen Offiziers mit leichteren, nicht unbedingt norddeutschen Umgangsformen und klare Kenntnisse mit einer nie verblüfften Bereitschaft zu ihrer Anwendung“ verbunden. Dazu sei eine bezeichnend unbekümmerte Art gekommen, eine hohe Lernfähigkeit mit dem Blick für das Wesentliche, und er sei jemand gewesen, „dem Liebenswürdigkeit neben größter Schlagfertigkeit oder vielmehr eine durch Witz, selbst durch Gedankenanmut entwaffnende, im Formulieren blitzschnelle Überlegenheit zu eigen“ war15. Von Nowak stammen auch sehr plastische Bemerkungen über Hoffmanns „schreckenerregenden Appetit“ und seine Trinkfestigkeit, die – wie erwähnt – in manche Sekundärliteratur teilweise genauso (und vielleicht zu prominent) Eingang gefunden haben wie entsprechende Ausführungen zu Eitelkeiten im Erscheinungsbild, wie etwa das kurzgeschorene Haar, ein „Bismarckschädel“, buschige Augenbrauen und schmale Hände16.
Einigkeit herrscht in allen Beurteilungen, sowohl zeitgenössischer wie auch historiographischer Art, offensichtlich über die intellektuellen Fähigkeiten Max Hoffmanns: Lernfähigkeit und schnelle Auffassungsgabe, umfassendes Wissen und strategisches Denken, Leistungsfähigkeit und rhetorisch-konversationelles Geschick. Dazu kam ein anscheinend größeres Portfolio an unkonventionellen Eigenschaften. Inwieweit Hoffmann diese Eigenschaften pflegte und im Rahmen seiner militärischen Karriere entwickelte beziehungsweise einsetzte, wird im Folgenden zu berücksichtigen sein. In jedem Fall weisen diese einleitenden Beurteilungen auf eine doch interessante, vielschichtige Persönlichkeit hin, die offenbar wenig teilweise vorgebrachten Stereotypen entspricht.
Die Ausbildungsdaten Max Hoffmanns unterscheiden sich zunächst wenig von denjenigen vergleichbarer Offizierslaufbahnen im Kaiserreich. Carl Adolf Maximilian Hoffmann kam am 25. Januar 1869 in Homberg (Efze) als Sohn des Hessen-Nassauischen Amtsrichters Julius Friedrich Hoffmann17 und seiner Frau Friederike Charlotte Alwine du Buisson zur Welt und wurde daselbst am 21. Februar evangelisch getauft. Nach dem Besuch des Gymnasiums im thüringischen Nordhausen und dort abgelegtem Abitur trat der 18-jährige Max Hoffmann am 1. April 1887 in das 4. Thüringische Infanterieregiment Nr. 72 in Torgau ein18. Von dort wurde er, nach dem obligatorischen sechsmonatigen Truppendienst, vom 1. Oktober 1887 bis zum 5. Juli 1888 als Portepeefähnrich zur Königlich Preußischen Kriegsschule in Neisse abgeordnet. Sein Offiziersexamen bestand er glänzend, er erhielt am 16. August 1888 eine kaiserliche „Belobigung“ und wurde zum Secondeleutnant (Leutnant) befördert. Das genaue Datum seiner Beförderung zum Premierleutnant (Oberleutnant) ist nicht überliefert, muss aber vor 1895 gelegen haben, denn bereits als Premierleutnant studierte Hoffmann von 1895 bis 1898 an der Preußischen Kriegsakademie in Berlin.
Erst an dieser Stelle trat die erste erwähnenswerte Zäsur in der Biographie Hoffmanns ein. Ende 1898 trat er eine sechsmonatige Studienreise nach Russland an. Zum ersten Mal, so sein Biograph Nowak, habe Hoffmann hier „gründlich und zäh“ gelernt, nämlich die russische Sprache, wobei er sein russisches Dolmetscherexamen schon mit Bestehen der Kriegsakademie abgelegt hatte19. Wie Hoffmann später selbst schrieb, fiel ihm das Erlernen von Fremdsprachen nicht schwer (er sprach außerdem bereits fließend englisch und französisch) und er hätte mit mehr Fleiß dieses Talent bedeutend ausbauen können20. Der genaue Grund, weswegen Hoffmann ausgerechnet auf Russland verfallen war, ist nicht bekannt. Möglicherweise spielte es eine Rolle, dass zur damaligen Zeit (1896 – 1900) General der Artillerie Karl von Villaume als Kommandeur der Kriegsakademie fungierte, der selbst von 1887 bis 1893 Militärattaché am Zarenhof in St. Petersburg gewesen war. Die Verbindung zum Thema Russland sollte jedenfalls Max Hoffmann von da an zeitlebens begleiten und auch seinen weiteren Karriereverlauf bestimmen.
Nach seiner Rückkehr aus Russland 1899 wurde Hoffmann für zwei Jahre in die 1. Abteilung (die „Russische Abteilung“) beim Oberquartiermeister III im Großen Generalstab21 abkommandiert, was der üblichen zweijährigen Dienstzeit auf Probe im Generalstab entsprach. Der Dienst in dieser Abteilung war offenbar die logische Konsequenz seiner zuvor absolvierten Russland-Studien. Die Probezeit absolvierte Hoffmann erfolgreich und wurde daher zum März 1901 unter Beförderung zum Hauptmann endgültig in den Generalstab versetzt. In die folgende Zeit beim Großen Generalstab fielen auch der Dienst beim 5. Armeekorps in Posen sowie eine einjährige Verwendung als Kompanieführer22. Anfang 1904 folgte ein weiterer bedeutender Schritt für den sich langsam zum Russland-Experten entwickelnden Hoffmann. Mit Ausbruch des Russisch-Japanischen Krieges im Februar 1904 wurde Hoffmann der japanischen Armee als Militärbeobachter zugeteilt und trat damit eine anderthalbjährige Reise nach Ostasien an, bei der er umfangreiche Erkenntnisse nicht nur über die japanische, sondern vor allem auch über die russische Armee, ihre Kriegführung und Kommandeure sammeln. Diese Zeit als Militärbeobachter soll weiter unten noch ausführlicher betrachtet werden.
Aus Asien zurückgekehrt, diente Hoffmann wieder in der Russland-Abteilung des Großen Generalstabs. Zwischenzeitlich wurde er im Jahre 1907 zum Major befördert. Im Herbst 1911 verließ Hoffmann schließlich den großen Generalstab, um zwei Jahre lang als Lehrer an der Preußischen Kriegsakademie zu wirken23. 1913 wurde Hoffmann Oberstleutnant und später Bataillonskommandeur im 4. Badischen Infanterieregiment „Prinz Wilhelm“ im elsässischen Mülhausen (Mulhouse), wo er nach Kriegsausbruch 1914 auch den Mobilmachungsbefehl erhielt. Dieser führte Hoffmann ab dem 3. August 1914 in den Stab des Oberkommandos der 8. Armee in Ostpreußen, wobei er nach seiner Aussage bereits „seit zwei Jahren“ im Falle einer Mobilmachung zur Verwendung als erster Generalstabsoffizier in einem Oberkommando auf dem östlichen Kriegsschauplatz vorgesehen gewesen war24. Damit hatte Max Hoffmann für die verbleibende Kriegsdauer und darüber hinaus seine dauerhafte Frontzuteilung erhalten, die auch seinen Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen entsprach.
Die veröffentlichten Notizen Max Hoffmanns dazu setzen am 10. März 1904 ein, nachdem er sich schon wochenlang an Bord des Postdampfers „Hamburg“ (der die Linie Hamburg – Yokohama bediente) aufgehalten und mittlerweile Ceylon passiert hatte. Die internationale Militärmission war Ende April in Tokio zusammengetroffen, von wo aus sie am 30. April zu ihrem Einsatz aufbrach. Neben Hoffmann selbst gehörten noch ein weiterer deutscher Offizier der Beobachtergruppe an, dazu drei englische, je zwei französische und amerikanische Offiziere sowie jeweils ein Offizier für Österreich-Ungarn, Italien, Schweden und die Schweiz. Die Mitglieder der Beobachtergruppe sollten später fast allesamt bedeutende militärische Persönlichkeiten werden. Dies waren etwa der Italiener Enrico Caviglia (später Kriegsminister), der Brite Ian Hamilton (später Oberbefehlshaber der Alliierten bei der Dardanellen-Expedition) sowie die US-Amerikaner John Pershing (später Armee-Oberbefehlshaber) und Payton March (später Chef des Generalstabs); mit letzterem freundete sich Hoffmann ganz speziell an. Der Gruppe waren zwei japanische Offiziere als ständige Begleiter zugeteilt25. Gleich nach seiner Ankunft in Japan Anfang April 1904 hatte Hoffmann versucht, sich den neuen Erfordernissen anzupassen und zu seinen schon vielfältigen sprachlichen Kenntnissen auch die des Japanischen zu ergänzen, weswegen er sich einen Japanischlehrer zwecks täglichen Unterrichts nahm26.
Hoffmanns Ausführungen bieten ein sehr vielfältiges Bild; mal muten sie wie eine nüchterne Beschreibung militärischer Ereignisse und Anlagen an, mal wie ein launiger Reisebericht über Land und Leute, und manche Stellen wirken gar wie philosophisch-melancholisches Nachsinnen. Nach der ersten Gefechtsbeobachtung im Juli 1904 berichtete er, dass er (und möglicherweise weitere seiner Beobachterkollegen) verwundete russische Gefangene versorgten. Bereits hierbei konstatierte Hoffmann, dass der Krieg „ein hartes Geschäft“ und „keine Vergnügungsreise“ sei27; eine ähnliche Einschätzung wiederholte er im Januar 1905, nachdem ein verwundeter russischer Unteroffizier in seinen Armen gestorben war:
„Wer nie gewusst, was Sehnsucht heißt, hätte dieses armen Unteroffiziers Auge sehen müssen […] Er hielt eine kleine, schlechte Photographie in der Hand. Nach Wochen passierte ich die Stelle wieder. Nur flüchtig begraben, wie alle die tausende, reckte er mir die Hand mit der Photographie entgegen. Ich möchte ein Zola oder Tolstoi sein, um schildern zu können, an was mich diese erhobene Leichenhand erinnert hat“, und:
„Es erscheint einem so vieles nichtig, wenn man Tausende von tags zuvor noch blühenden, gesunden Männern zerfetzt, verstümmelt, tot auf dem Feld liegen sieht, die Russen meist mit dem erstaunten Fragen in dem starren Gesicht: Warum bin ich hier eigentlich gestorben? Was geht mich dieses Land, diese fremde Gegend an, deren Namen ich nie gehört, bis zu dem Moment, wo mir der Zar gebot, dafür zu fechten? Ich glaube, für eine unverständliche Idee stirbt es sich schwer. Ich möchte wohl für eine gute Sache an der Spitze meines siegreichen Regiments oder Bataillons fallen – ich denke mir das einen schönen Tod, aber so wie die vielen, die ich vom Yalu bis hierher gesehen habe, nicht“28.
Überhaupt bewertete Hoffmann aus der damaligen Beobachtersicht den Wert der militärischen Erkenntnisse vergleichsweise gering. Nachdem die russische Festung Port Arthur am 2. Januar 1905 kapituliert hatte, konnten die Militärbeobachter den ganzen Januar hindurch die Festungsanlagen in Augenschein nehmen. Trotz detaillierter Beschreibungen, die Hoffmann von diesen Befestigungen, Forts, Anlagen und Bewaffnungen liefert, hielt er im Februar die Eintragung fest, dass die letzte Zeit „vier vollständig verlorene Lebensmonate“ gewesen seien, „denn gelernt hat man hier doch nichts, weder militärisch noch sonst, nur geistig verdummt ist man und hat die Nerven verloren aus Ärger“29. Nach der Schlacht von Mukden im Februar und der Seeschlacht von Tsushima im Mai 1905 blieben weitere militärische Ereignisse aus, so dass Hoffmann nebst den anderen Militärbeobachtern beinahe sehnsüchtig auf das Ende der Friedensverhandlungen wartete, um den „zum Verrücktwerden langweiligen“ Aufenthalt in Asien beenden zu können30. Immerhin meinte Hoffmann in seinen damaligen abschließenden Bemerkungen vom September 1905 festhalten zu müssen, dass aus seiner Sicht zum einen Russland unklug gewesen sei, sich auf diesen Krieg einzulassen. Zum anderen sei allerdings auch Japan klug genug gewesen, sich – trotz der zuletzt sehr vorteilhaften militärischen Lage – auf den nicht gerade maximal zu Japans Gunsten ausgehenden Friedensschluss einzulassen, um weitere Kriegskosten zu vermeiden und die erreichten Ziele zu konsolidieren31.
Die eigentlichen Erkenntnisse, die Max Hoffmann aus seiner Zeit als Kriegsbeobachter gewonnen hatte, formulierte er später in seinem Werk Der Krieg der versäumten Gelegenheiten. In der Rückschau führte er aus, dass bald nach Beginn des Weltkriegs klar ersichtlich gewesen sei, dass die russische Armee aus dem russisch-japanischen Krieg sehr viel gelernt hatte. Eine gewisse Unentschlossenheit, mangelnde Angriffsbemühungen, schlechter Umgang mit Reserven seien Fehler gegenüber den Japanern gewesen, die im russischen Vorgehen gegen Ostpreußen nicht mehr wiederholt wurden32. Auch hätten insbesondere einige befähigte Befehlshaber noch weitergehende Lehren gezogen. So hätte General Rennenkampf – einer der russischen Armeekommandeure in den Operationen an der Ostfront 1914/15 – aus den Feldzugserfahrungen 1904/05 ein neues Reglement für die Infanterie geschaffen, dass lediglich nicht rechtzeitig für die ganze Armee eingeführt wurde33. Eine sehr konkrete Maßnahme, die Hoffmann bereits in den Jahren vor dem Weltkrieg als notwendig ansah, war die Verbesserung der Aufklärungslage bezüglich der russischen Aufmarschpläne gegen Deutschland, welche Hoffmann während seiner Tätigkeit für den Großen Generalstab projektieren sollte. Aus den später gewonnenen Erkenntnissen des Nachrichtenwesens der letzten Vorkriegsjahre ergab sich dann schon vor Kriegsausbruch die strategische Aufstellung von zwei russischen Armeen gegen Ostpreußen und Masuren, wie jene dann zu Beginn des Krieges auch tatsächlich in Aktion treten sollten34.
Die Schlacht von Tannenberg gehört neben der Marneschlacht und der Schlacht von Verdun zu den bekanntesten Schlachten des Ersten Weltkriegs. Sie war zwar insgesamt nicht die bedeutendste oder verlustreichste Schlacht, jedoch vor allem in ihrer Nachwirkung eine der nachhaltigsten des ganzen Krieges. Sowohl für Max Hoffmann als auch für eine Reihe anderer Offiziere bildete sie den Dreh- und Angelpunkt ihrer weiteren Karriere.
Der Schlachtverlauf
Entgegen der Erwartungen des Schlieffen-Plans, der deutscherseits einen raschen Sieg im Westen und daran anschließend eine Verlegung von Truppen nach Osten und einen dortigen Feldzug vorsah, stießen starke russische Truppen bereits Anfang August 1914 nach Ostpreußen vor. Zwischen der russischen 1. Armee (General Rennenkampf) und der in Ostpreußen stationierten deutschen 8. Armee kam es am 19. August 1914 zur Schlacht bei Gumbinnen, in der die deutschen Truppen zwar nicht geschlagen wurden, aber doch in erhebliche Bedrängnis gerieten. Zum selben Zeitpunkt stand im Süden Ostpreußens die 2. Russische Armee (General Samsonow), die die Operationen der 1. Armee decken und Ausweichbewegungen der deutschen Armee verhindern sollte. Der deutsche Kommandeur, Generaloberst von Prittwitz, ließ die Schlacht abbrechen und befahl den Rückzug hinter die Weichsel.
Die Oberste Heeresleitung löste daraufhin am 22. August Prittwitz als Armeeoberbefehlshaber ab und setzte den aus der Pensionierung reaktivierten Generaloberst Paul von Hindenburg mit Generalmajor Erich Ludendorff als neuem Chef des Stabes an seine Stelle. Die neue Armeeführung folgte den Erkenntnissen der militärischen Aufklärung und wandte den Großteil der deutschen Kräfte gegen die russische 2. Armee im Süden. Die beiden russischen Armeen nämlich wirkten praktisch kaum zusammen; die russische Armeeführung interpretierte überdies den deutschen Rückzug falsch. Die deutschen Streitkräfte konnten gegenüber der 2. Russischen Armee in geeignete Stellungen vorrücken, begannen am 25. August ihren Angriff und hatten bereits am 31. August die Armee Samsonows soweit eingekesselt und von Rückzug und Versorgung abgeschnitten, dass diese kapitulierte. Samsonow beging Selbstmord; rund 95.000 Russen wurden zu Kriegsgefangenen. Die im Verlaufe der Ereignisse als Schlacht bei Tannenberg bezeichnete Operation ermöglichte es den Deutschen, anschließend die 1. Russische Armee unter Rennenkampf separat anzugreifen und Anfang September 1914 in der Schlacht an den Masurischen Seen zu besiegen. Durch diese Operation und die nachfolgende Winterschlacht im Februar 1915 war die russische Bedrohung für Ostpreußen abgewendet und die deutsche Ostfront stabilisiert.
Der Entscheidungsverlauf zum Auftakt der Tannenberg-Operation
Der eigentliche Vorlauf zur Schlacht bei Tannenberg hatte im Verlauf des 20. August mit der Rückzugsentscheidung des Generalobersten Maximilian von Prittwitz begonnen. Prittwitz‘ Entscheidung wurde von seinem Stab nur bedingt geteilt35. Zwar war sein Stabschef und Stellvertreter, Generalmajor von Waldersee, ebenfalls seiner Meinung, jedoch protestierten die beiden wichtigsten Stabsoffiziere in der Leitung der 8. Armee, der Generalquartiermeister und der Erste Generalstabsoffizier, vehement gegen Prittwitz‘ Rückzugsplan. Als Generalquartiermeister mit der Aufgabe, als Waldersees Stellvertreter für operative Aufgaben zu dienen, fungierte Oberst (später Generalmajor) Paul Grünert, ein Kavallerieoffizier. Erster Generalstabsoffizier (G1) und damit verantwortlich für Aufklärung, Planung, Organisation und Auswertung war Oberstleutnant Max Hoffmann. Sowohl Grünert als auch Hoffmann argumentierten, dass ein solcher Rückzug erstens unnötig und zweitens in der vorgeschlagenen Weise – aufgrund der russischen Bewegungsrichtung – unmöglich sei36. Prittwitz ließ jedoch nicht mit sich argumentieren und befahl, auch gegen den energischen Protest des Generalleutnants Hermann von François, dessen I. Korps die Hauptlast der Kämpfe bei Gumbinnen trug, den Rückzug37.
Als die Nachrichten von Prittwitz‘ Entscheidung die Oberste Heeresleitung (OHL) und ihren damaligen Chef, Generaloberst Helmuth von Moltke, erreichte, führte dies – wenn auch nicht unmittelbar, so doch im Zuge des Informationsaustauschs zwischen der OHL und dem Osten im Laufe des Folgetages – zu Prittwitz‘ Ablösung. Ob nun Moltke aufgrund von wirklichem Vertrauensverlust in Prittwitz handelte, anstelle eines offenbar überforderten Befehlshabers Ost eine neue Armeeführung einzusetzen gedachte oder bewusst unter Umgehung von Prittwitz ein Bild zusammenstellte und dann agierte, sei dahingestellt38 und ist für unseren Zusammenhang auch weniger bedeutsam. Jedenfalls blieb es bei der am 22. August von der OHL getroffenen Entscheidung, Prittwitz und dessen Stabschef Waldersee zur Disposition zu stellen, auch wenn es sicher scheint, dass sich Prittwitz letztlich auf fortgesetzten Druck seiner Untergebenen doch noch dazu durchgerungen hatte, seine Rückzugsbefehle wieder halbwegs zurückzunehmen39. Am Nachmittag des 22. August erfuhren die Stabsoffiziere der 8. Armee offiziell von der Ablösung ihrer bisherigen Chefs und dass am Folgetag die neue Führungsspitze mit Hindenburg und Ludendorff in Marienburg in Ostpreußen eintreffen würde.
An dieser Stelle setzte im Nachhinein eine gewisse Diskussion ein, wem das Verdienst gebührte, den Stopp des Rückzugs der 8. Armee angeordnet und damit die Voraussetzung für die Operationen der Folgetage geschaffen habe. Ludendorff schrieb im Jahre 1919, dass er noch am Abend des 22. August 1914 von Koblenz aus „nach dem Osten befohlen [hat], dass der Rückmarsch der Hauptteile der 8. Armee für den 23. einzustellen sei“40. Dieser Aussage Ludendorffs widersprach Max Hoffmann später, indem er ausführt:
„Die Anordnungen, die von dem neuen Oberkommando bzw. der Obersten Heeresleitung ausgingen, betrafen in erster Linie die Heranführungen von Verstärkungen. (…) Zweitens erging ein Befehl, dass die der 8. Armee unterstehenden Armeekorps bis zu dem am 23. August erfolgenden Eintreffen des neuen Oberbefehlshabers auf dem östlichen Kriegsschauplatz selbstständig handeln sollten. Das I. Reservekorps und das XVII. Armeekorps ordneten daraufhin für den nächsten Tag einen Ruhetag an. (…) Drittens erhielt das Oberkommando den Befehl des am 23. August 2 Uhr mittags in Marienburg eintreffenden Oberbefehlshabers, sich dorthin zu verlegen“41, sowie, in einer Zusammenfassung:
„Der einzige Befehl, den General Ludendorff vor Eintreffen im Osten erließ, war die Ausschaltung des bisherigen Oberkommandos und die Genehmigung eines Ruhetages für das XVII. Armeekorps und das I. Reservekorps“42.
Hoffmann beschreibt weiter, dass Ludendorff nach seinem Eintreffen praktisch nur noch die vom Armeestab – also in der Hauptsache Grünert und Hoffmann selbst – getroffenen bzw. vorbereiteten Entscheidungen bestätigen musste:
„Nach erfolgter Meldung entließ General Ludendorff sämtliche Herren zu ihrer dienstlichen Tätigkeit und befahl nur dem I. Generalstabsoffizier [also Max Hoffmann selbst; T.W.] ihm Vortrag über die Lage zu halten. Ich tat dies und fand ihn höchlichst erstaunt, dass alle Anordnungen und Befehle, die zur Zeit für die beabsichtigte Angriffsschlacht gegen die russische Warschauer Armee gegeben werden können, schon gegeben waren. Ebenso herrschte bei Besprechung der Möglichkeiten, die Schlacht durchzuführen (…) zwischen General Ludendorff und mir das vollkommenste Einverständnis“.
Oder, kurz und knapp formuliert: „Als das neue Oberkommando in Marienburg eintraf, hatte es besondere neue Anordnungen nicht zu treffen, sondern kommandierte einfach ‚ohne Tritt Marsch‘“43. Dies wird an sich auch von Ludendorff bestätigt, wenn er ausführt:
„Am 23. August, gegen 2 Uhr nachmittags, waren wir in Marienburg, wo das Oberkommando uns erwartete. Die Lage hatte sich geändert. Der Entschluss, hinter die Weichsel zu gehen, war aufgegeben. Es sollte zunächst die Passarge gehalten werden. General Grünert, Oberquartiermeister der 8. Armee, und Oberstleutnant Hoffmann hatten dahin gewirkt“44.
Es ist durchaus möglich, dass sich Ludendorff damals (bei der Niederschrift dieser Erinnerungen, also 1919) gar nicht im Widerspruch mit irgendeiner Auffassung Hoffmanns gesehen hatte. Schließlich waren ja Prittwitz und Waldersee im wesentlichen Zusammenhang mit einem Rückzugsbefehl abgesetzt worden; schon die Tatsache, dass Ludendorff und Hindenburg nun an deren Stelle gesetzt worden und auf dem Weg nach Ostpreußen waren, konnte ja praktisch bedeuten: Ab jetzt gelten die gegenteiligen Befehle. Sämtliche, vom „kopflosen“ Vor-Ort-Oberkommando der 8. Armee getroffenen Entscheidungen mussten sich so fast zwangsläufig in die neue Strategie des neuen Duos einfügen; aus Ludendorffs Sicht machte Hoffmann genau das, was er Offizieren wie ihm zubilligte, nämlich „innerhalb des ihnen anvertrauten Geschäftsbereiches ihre Kräfte zu entfalten, so auch ihm“45. Erst später, nachdem Hoffmann explizit und mit Einzelheiten Ludendorffs Rolle zurückgenommen hatte sowie die Frage eines „Siegers von Tannenberg“ sehr öffentlichkeitswirksam diskutiert wurde, fühlte sich Ludendorff offensichtlich bemüßigt, seine Anteile an dem Sieg beziehungsweise den seiner Meinung nach entscheidenden Befehlen, die den Sieg implizierten, dagegenzustellen und diejenigen Hoffmanns zu minimieren, und erklärte:
„Bald nach der Schlacht hat er nun versucht, andere davon zu überzeugen, dass vor meinem Eintreffen im Osten von ihm Befehle gegeben worden wären, die auf ein Tannenberg hinzielten, was aber (…) nicht zutrifft“46.
Hier wiederum sind Ludendorffs Angaben nicht korrekt beziehungsweise recht entstellend, denn die entsprechenden Äußerungen Hoffmanns stammen erst aus deutlich späterer Zeit, insonderheit nach Kriegsende. In jedem Fall muss man Ludendorff zumessen, die operative Gesamtlage richtig eingeschätzt zu haben, die Kräfteverhältnisse und ihre Einsetzbarkeit zum richtigen Zeitpunkt im Blick gehabt zu haben und eine improvisierte Schlacht entscheidungsfreudig gelenkt zu haben47.
Den Ruhm für den Erfolg bei Tannenberg erntete allerdings weitgehend ein anderer, und auch das erst mit gewisser Verzögerung. Zunächst fielen die Belobigungen moderat, aber auch von den Beteiligten gefühlt angemessen aus. Hoffmann schrieb am 9. September an seine Frau:
„Für meinen bescheidenen Anteil an der Schlacht ist mir das Eiserne Kreuz verliehen worden. Ich hätte nie geglaubt, dass man dieses schönste militärische Ehrenzeichen auch an der Telefonstrippe verdienen kann. Ich habe aber eingesehen, dass auch dort einer sitzen muss, der die Nerven behält und mit rücksichtsloser Grobheit und dem Willen zum Siege Schwierigkeiten, Paniken und derartige Fiktionen überwindet“48.
Auch Ludendorff erhielt wie Hoffmann vorerst (nur) das EK II und gibt an, sehr stolz darauf gewesen zu sein49. Nur langsam wurde im Laufe jener Tage selbst den Beteiligten klar, wie erfolgreich sie eigentlich gewesen waren: „Der Erfolg unserer Schlacht ist enorm, größer als wir annehmen konnten“, konstatierte Hoffmann am 31. August. Am 4. September meinte er: „Wie groß unser Erfolg bei Tannenberg war, haben wir natürlich auch erst nach und nach übersehen. 92.000 Gefangene sind jetzt abtransportiert, es ist einer der größten Siege, die die Geschichte kennt, und erfochten mit einer Unterlegenheit“; schließlich am 15. September: „Unsere zweite große Schlacht – genannt an den masurischen Seen – ist zu Ende. Resultat lässt sich noch nicht ganz übersehen … So muss es kommen – wir haben bis jetzt mit unserer Unterlegenheit ca. 15 russische Armeekorps geschlagen“50. Hiermit meinte Hoffmann die auf Tannenberg folgende Operation gegen die 1. russische Armee unter Rennenkampf. Dass ab Mitte September der ganz große Ruhm und die praktisch uneingeschränkte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit von Hindenburg eingenommen wurde (siehe den letzten Unterabschnitt dieses Kapitels), störte die Beteiligten wie Hoffmann – und Ludendorff – zu diesem Zeitpunkt anscheinend nicht besonders. Jedenfalls zogen auch sie unbestreitbaren Nutzen für ihre militärische Karriere. So wurde Ludendorff Ende 1914 zum Generalleutnant befördert, Max Hoffmann etwas später im August 1916 zum Oberst, und dies war für beide erst der Anfang ihrer Laufbahn während des Krieges.
Erkenntnisse und Entscheidungen während der Tannenberg-Operation
Nach den ersten Operationen der neuen Armeeführung brachte offensichtlich der 25. August die erforderlichen Umstände mit sich, um die Schlacht in für die deutsche Seite entscheidende Bahnen zu lenken. Nach der Überzeugung von Max Hoffmann war es in erster Linie abgefangenen russischen Funksprüchen zu verdanken, dass sich die Deutschen unerwartet in der Lage sahen, die wesentlichen Operationsabsichten der beiden russischen Armeen zu kennen und die eigenen Operationen anhand dessen optimal ausrichten zu können. Der erste dieser Funksprüche besagte, dass die 1. russische Armee (unter Rennenkampf, im Norden) sich so bewegte, dass sie keinesfalls mit den Operationen der 2. russischen Armee (unter Samsonow, weiter südlich) zusammenkommen und damit auch nicht die deutsche 8. Armee gefährden würden51. Daraufhin fiel im deutschen Hauptquartier die endgültige Entscheidung für einen Angriff gegen die Armee Samsonows, und entsprechende Schritte wurden in die Wege geleitet.
Im Verlauf des Tages wurde ein weiterer Funkspruch abgefangen, der Marschbefehle der Armee Samsonows enthielt und deutlich machte, dass Samsonow beziehungsweise auch das russische Oberkommando die deutschen Operationen falsch einschätzten, nämlich als allgemeine Rückzugsbewegung, und offenbar nicht mit einer offensiven Ausrichtung der deutschen Operationen rechneten52. Hoffmann beschrieb recht plastisch, wie er mit diesen Nachrichten seinen Befehlshabern hinterherfuhr und gemeinsam die Situation besprochen wurde. Die gewonnenen Erkenntnisse und die erarbeitete Einschätzung, dass neben der für die 8. Armee günstigen Vorgehensweise Samsonows die Armee Rennenkampfs mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht in das Geschehen eingreifen würde, wurden an die Armeeführer verteilt und die Operationsbefehle optimiert53. Nachdem die Operationen bis zum 27. August sehr erfolgreich verliefen, war eine Einkesselung der russischen Truppen endgültig möglich geworden. Hoffmann schrieb dazu an seine Frau: „Wir hatten allerdings einen Verbündeten, von dem ich aber erst nach dem Feldzug erzählen kann, wir wussten alles, was der andere vorhatte“54. Damit meinte er klar die abgefangenen Funksprüche, wie er später klarstellte:
„Der deutschen Führung wurde das Geschäft sehr erleichtert durch das Auffangen der russischen Funksprüche. Unbegreiflicherweise sandten die Russen ihre Gefechtsbefehle durch die Funkstation in Klarschrift in die Welt, ohne daran zu denken, dass unsere Stationen … alle diese Befehle mitlasen und dem Oberkommando weitergaben“55.
Auch Ludendorff bestätigte später die Tatsache, dass die abgefangenen Funksprüche „ein klares Bild über die gegnerischen Maßnahmen in den nächsten Tagen“ gegeben hatten56. Sicherlich wäre es leichtsinnig gewesen, allein und ausschließlich auf abgefangene Funksprüche des Gegners zu vertrauen; immerhin war es möglicherweise eher die Funkabwehr575859