Antje Linker-Wenzel
PORTRÄTZEICHNEN GANZ EINFACH
Die Kunst ausdrucksstarker Gesichter
Antje Linker-Wenzel
PORTRÄT ZEICHNEN
ganz einfach
Die Kunst
ausdrucksstarker Gesichter
1ANNA VON KLEVE
2WARUM DIESES BUCH?
3NEHMEN SIE DAS MATERIAL, DAS SIE HABEN!
4GUTE PORTRÄTS – SCHLECHTE PORTRÄTS
5GANZ WICHTIG: AUFWÄRMEN
Tante Lotte mit dem Stock
Klecksgesichter
Radiergesichter
Auf dem Kopf zeichnen
Mit der »anderen« Hand
Blindzeichnen
Drahtbiege-Gesichter
Gesichter erfinden
6QUICK WINS
7HINGUCKEN
8FOTO ODER MODELL
9KONTRASTE, KONTRASTE!
Vier Start-Varianten
Mit der Außenkontur starten
Mit den Augen beginnen
Mit dem Kopfumriss beginnen
... oder ganz anders
10PUNKT, PUNKT, KOMMA, STRICH
Augen
Nase
Mund
Ohren
Spezialfall Profil
Licht und Schatten
Zähne – bitte nicht
... oder doch?
Es wird haarig
Älter, jünger
11KLEIDUNG UND ACCESSOIRES...
Brillen
Schmuck
12ÄHNLICHKEIT
13BILDGESTALTUNG
Unser Modell
Der Bildausschnitt
Der Hintergrund
Einfarbig
Strukturen
Bezug zum Porträt und fiktiver Raum
Zufall
Akzente setzen
Wohin mit den Händen?
Wann höre ich auf?
14BILDBETRACHTUNGEN
15NOCH MEHR ZEICHENSPASS
Abstrakte Porträts
Collagen
Verzerrte Perspektive
Porträts aus der Imagination
Hat das ein Kind gezeichnet?
Unterwegs
16HILFE, ES WIRD NIX!
17PORTRÄTS TO GO
18MEIN MATERIAL
Fineliner
Tusche, Tinte, Feder, Füller
Aquarellfarben
Deckfarben
Pinsel
Buntstifte und Wachsmaler
Grafit und Kohle
Kugelschreiber
Fixierspray und Haarspray
Weißer Gelstift, Deckweiß
Papier
Skizzenbuch
Brauche ich das alles?
19GUTES GELINGEN
21BILDQUELLEN
22BEZUGSQUELLEN
ÜBER DIE AUTORIN
HERZLICHEN DANK
IMPRESSUM
Als der englische König Heinrich VIII. 1539 wieder mal auf Brautschau war, schickte er seinen Hofmaler Hans Holbein an den Niederrhein, um von zwei in Frage kommenden Kandidatinnen Porträts anzufertigen. Es handelte sich um die Schwestern Anna und Amalia von Kleve. Heinrich wollte die Katze nicht im Sack kaufen und die Fotografie gab es noch nicht. (Heute würde er sich vielleicht auf Tinder umschauen.) Die Wahl des Königs fiel auf Grund optischer Prioritäten auf Anna, die daraufhin – ausgestattet mit einer Mitgift von 100.000 Gulden – nach England bestellt wurde.
Doch groß war die Enttäuschung. Weder sprach Anna englisch, noch war sie in irgendeiner Form interessant. Und so gut wie auf dem Gemälde sah sie schon gar nicht aus. Das schöne Geld, einfach in den Wind geschossen! Hans Holbein als langjähriger Maler der königlichen Familie war gefeuert.*
Abgesehen davon, dass die Situation für Anna sicherlich unangenehm und Hans Holbeins Jobverlust bitter war, gefällt mir diese Geschichte wahnsinnig gut, denn sie bringt auf den Punkt, um was es mir beim Porträtzeichnen geht:
Vielleicht hat Holbein in Anna von Kleve etwas gesehen, dass Heinrich VIII. verborgen blieb? Oder wollte er seinen Chef hinters Licht führen? In jedem Fall besaß er die Gabe, mit seinem Porträt zu verzaubern. Er legte seine persönliche Sicht in sein Bild. Darin sehe ich Aufgabe und Unvermeidbarkeit zugleich. Ob wir wollen oder nicht – es scheint auch etwas von unserer eigenen Persönlichkeit durch in unserem Werk. Bildausschnitt, Pose, Komposition, Farbwahl, Größe – all das beeinflusst der Künstler, die Künstlerin. Ein anderer Maler hätte ein völlig anderes Werk geschaffen.
* (Für alle, die sich jetzt Sorgen um Annas Kopf machen, schließlich hat Heinrich VIII. einen Ruf, wie er mit ungeliebten Ehefrauen umging: Der König heiratete Anna zwar zähneknirschend, annullierte die Ehe aber schleunigst. Anna blieb bis zu ihrem Lebensende in England, ausgestattet mit Geld und diversen Wohnsitzen. Sie überlebte Heinrich und alle seine Frauen.)
Vor einigen Jahren packte mich aus heiterem Himmel die Idee, Porträts zu zeichnen. Ich hatte mich lange mit verschiedenen anderen Themen und Techniken beschäftigt – Stillleben, Landschaften, Abstraktion in Bleistift, Acryl, Öl, Buntstift ... Warum nicht auch Porträts? Ganz wichtig war mir dabei vor allem die Ähnlichkeit. Hallo, sonst ist es ja wohl kein richtiges Porträt?!
Ich fing mit einem Selbstporträt nach meinem Spiegelbild an, mit Bleistift. Schön großes Format, ich glaube es war DIN A3. Mit dem Fokus auf die Ähnlichkeit und der unhandlichen Papiergröße wurde es zu einer frustrierenden Geschichte. Ich verkrampfte immer mehr und heraus kam irgendeine fade aussehende Frau mit ernstem Blick.
Es war ein langer Weg, bis ich Spaß am Porträtieren fand und glücklich mit meinen Bildern war. (Beides ist wichtig, kann aber auch unabhängig voneinander laufen.) Ich habe mich von anderen Künstler:innen inspirieren lassen, Kurse besucht, experimentiert und vor allem häufig und viel gezeichnet. Und mit dem Tun kamen die Erfolgserlebnisse. Mittlerweile unterrichte ich Porträtzeichnen.
Was mir leider während meiner Suche nach Tipps und Techniken selten begegnete, waren Bücher zu dem Thema, die mich ansprachen. Sie waren meist anatomisch korrekt – ja, aber irgendwie steif. Ich jedoch suchte nach dem lockeren, expressiven Ausdruck, der gleichzeitig die Persönlichkeit der porträtierten Person wiedergibt. Perfektion und Fotorealismus langweilten mich – ich wollte lebendige Porträts. Und ich merke in meinen Kursen, das begeistert auch meine Kursteilnehmenden.
Deshalb dieses Buch, (beinahe) ohne klassischdidaktische Anleitungen. Es ist für alle, die einfach loslegen wollen und denen das Wissen reicht, dass Augen, Nase und Mund untereinander im Gesicht sitzen und die Ohren seitlich angebracht sind. Ich liefere keine fertigen Rezepte und 1:1 Anleitungen, sondern möchte Sie zum Experimentieren anregen. Dabei geht es um Fragen wie: Wo fange ich an? Wie werden meine Zeichnungen locker? Wie erziele ich Ähnlichkeit? Sie können das Buch von vorn nach hinten lesen und die Übungen dazu machen. Oder Sie verwenden es als Nachschlagwerk, Inspirationsquelle und Bildband.
Picken Sie sich gern heraus, was für Sie nützlich ist. Verarbeiten Sie verschiedene Medien wie zum Beispiel Aquarell, Buntstift und Tusche in einem Bild. Ist Ihnen nicht danach, nehmen Sie etwas anderes. Gönnen Sie sich alle Freiheiten, denn hier gibt es keine Rezepte, nur Anregungen. Dieses Buch ist für alle, die glauben, nicht zeichnen zu können.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß dabei!
Einige Porträts sind mit Nummern versehen. Sie beziehen sich auf das Bildquellenverzeichnis.
Sie haben nur einen Kugelschreiber? Kein Problem ...
Natürlich macht es Spaß, sich eine breite Palette an neuen Stiften, Farben und Pinseln zuzulegen. Aber bevor Sie das tun, werfen Sie erst mal einen Blick in Ihre Schubladen (oder die Ihrer Kinder). Irgendwas findet sich immer. Für den Anfang reichen Bleistift, Radiergummi, farbige Stifte, ein schwarzer Filzstift und ein Tuschkasten plus Pinsel, einfaches Kopierpapier und ein Block mit stärkerem Papier ab 120 g/qm. Porträtieren lässt sich mit einfachen Mitteln, man braucht keine teure Ausrüstung. Spaß bringt es auch, ein bisschen zu experimentieren. Vielleicht mit Tusche, Wachsmalern, Aquarellfarben, Kohle ...
Zu viel Material kann überfordern, dagegen führt Verknappung oft zu kreativen Schüben. Einkaufen gehen können Sie immer noch. Vielleicht möchten Sie später ins DIN A5-Format wechseln oder lieber großformatig zeichnen. Vielleicht mögen Sie keine Buntstifte, dafür Tusche und Kugelschreiber. Alles reine Geschmackssache und Geschmack kann sich verändern. Dann probieren Sie eben eine neue Technik aus – das macht Ihre Bilder abwechslungsreich und erweitert Ihre Fähigkeiten.
Mehr zu meinem Lieblingsmaterial finden Sie im Kapitel »Mein Material«, wo ich auch gleich ein paar Grundtechniken demonstriere.
Wer beurteilt eigentlich, ob ein Porträt gut ist? Ich hoffe doch, das sind Sie! Huch, sagen Sie jetzt vielleicht, das kann ich doch gar nicht. Oder: Meine Porträts sehen immer doof aus. Na, na, na!
Sicherlich haben Sie in Ihrem Leben schon unzählige Porträts gesehen. Sie umgeben uns fast automatisch, zum Beispiel in Zeitschriften, Zeitungen, in der Werbung und in der Kunst, in den sozialen Medien und in unserer Fotosammlung (Stichwort Selfie!). Sie sind fotografiert, gezeichnet, gemalt, collagiert. Unbewusst und spontan entscheiden wir, welche uns gefallen und welche nicht. Manchmal mögen wir die aufwendig inszenierten genauso wie wir an Schnappschüssen hängen können, die vielleicht nicht hundertprozentig perfekt sind, mit denen wir aber schöne Erinnerungen verbinden. Alles hat seine Berechtigung. Manchmal ändert sich sogar unser Geschmack.
Und deshalb hier schon die erste Empfehlung, wenn Sie mit dem Porträtzeichnen beginnen: Seien Sie geduldig und würdigen Sie Ihre ersten Schritte. Haben Sie Ihre Zeichnungen lieb und bewerten Sie sie nicht zu krass, vor allem, wenn Sie es noch nie vorher versucht haben. Die Binsenweisheit »Jeder: hat mal klein angefangen« ist richtig. Die ersten zaghaften Versuche der von uns bewunderten Künstler:innen findet man eher nicht in den Museen dieser Welt.
Entspannen Sie sich also. Sie müssen Ihre Zeichnungen niemandem zeigen. Zeichnen Sie nicht für ein Publikum, sondern für sich, weil Sie Freude daran haben. Akzeptieren Sie, dass nicht gleich alles gelingt und man nicht gleich jede neue Technik beherrschen kann. Bei jedem anderen Handwerk können wir das doch auch. Und Zeichnen ist nichts anderes als im wahrsten Sinne ein Handwerk.
Machen Sie sich bewusst, Sie schaffen etwas Einzigartiges. In einer Welt voller Fotos bekommen Zeichnungen eine ganz andere Wertigkeit. So, wie Sie eine Person darstellen, können nur Sie es. Ihr Bild trägt Ihre Handschrift, gibt Ihre Persönlichkeit wieder. Sie bilden nicht bloß ab, Sie interpretieren. Und Sie entscheiden, wie Ihr Bild aussieht.
Aber was ist denn nun mit der Ähnlichkeit?! Das kann dauern, kommt aber ganz sicher – wenn Sie dranbleiben! Vielleicht tröstet Sie, dass der Brockhaus in seiner Definition eines Porträts die Ähnlichkeit gar nicht erwähnt. Ha! Er spricht einfach von einem Bildnis, einer künstlerisch umgesetzten Darstellung eines Menschen (in der Ausgabe von 1992, 19. Auflage). Und das sind Ihre Porträtzeichnungen doch allemal.
Klecksgesichter