Cover

Table of Contents

Titel

Impressum

Widmung

Es sollte ein ganz normaler Tag werden!

„Ich bin scheinbar ganz allein auf der Welt!

Dann muss es noch andere Deiner Art geben, dann bist Du vielleicht doch nicht allein!“

Bis zu diesem Tag!

„Was ist passiert?“

„Seid wachsam, aber leise!“

Und dann begann ich meine Befragung.

Jahrelang ging alles gut!

16. November 2036:

„Was ist das für ein Licht?“, dachte ich.

Stichwortverzeichnis:

Über den Autor

Mehr Spannung von F. A. Cuisinier bei DeBehr

 

 

F. A. Cuisinier

 

 

Extermado

Der Überlebende der Endzeit

Postapokalyptischer Roman

 

 

 

DeBehr

 

 

 

 

Copyright by: F. A. Cuisinier

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2022

ISBN: 9783957539397

Umschlaggrafik Copyright by AdobeStock by Val Thoermer, by warmtail

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Übersetzungen und Worterklärungen finden Sie im Stichwort-Verzeichnis am Ende des Buches.

 

 

 

Für

Gisela

 

Es sollte ein ganz normaler Tag werden!

Ich stand etwas früher auf als sonst, weil mir der Rücken wehtat. Die 56 km lange Fahrradtour vom Vortag zeigte Wirkung.

Ich wunderte mich, dass meine Frau noch im Bett lag und dachte: „Sie wird wieder bis spät in die Nacht hinein Krimis geguckt haben!“

Ich schlich mich sehr leise aus dem Schlafzimmer. Der Hund kam mir schwanzwedelnd entgegen, weil er raus wollte und wohl auch Hunger hatte. Ich ließ ihn am hinteren Gartentor hinaus in den Wald. Solange er draußen war, machte ich meine Morgen-Gymnastik, so wie sonst. Als er wiederkam, gab ich ihm sein Futter, so wie sonst. Aber es war auffällig ruhig draußen. Dann ab ins Bad, Morgen-Rituale absolvieren, so wie sonst. Da die Sonne schien und es warm war, freute ich mich auf den Kaffee auf der Terrasse. Dort setzte ich mich in meinen Lieblingssessel, in dem ich morgens immer gerne dem Gezwitscher der Singvögel lauschte, was mir fast jeden Tag, ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Es würde ein schöner Herbsttag werden, davon war ich überzeugt. Aber trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte! Es waren auch keine Vogelstimmen zu hören! Aufstehen, zweite Tasse Kaffee machen, so wie sonst.

Da ich in einer Gegend wohnte, in der es viele Einfamilienhäuser gab, was nach sich zog, dass kaum ein Tag verging, an welchem nicht irgendein Nachbar meinte, sein Haus dringend reparieren, verschönern oder, mit was auch immer, lautstark säubern zu müssen, war fast jeden Tag Lärm zu hören. Sie hämmerten, sägten, schleiften, flexten, warfen Altes aus dem 1. Stock in Container und riefen sich ständig etwas zu, als ob es unmöglich wäre, etwas zu bauen, ohne mit Geschrei die halbe Nachbarschaft aufzuwecken. Natürlich war Punkt 7 Uhr der Beginn des Lärmens. Ich hatte oft den Eindruck, die Handwerker und Bastler stehen vor 7 Uhr neben der Maschine und zählen den Countdown herunter, damit sie auf keinen Fall den Freigabe-Zeitpunkt verpassen, ab dem es erlaubt ist, Krach zu machen! So war es eigentlich immer. Aber an dem Tag nicht!

Nach einer weiteren Stunde war meine Frau immer noch nicht aufgestanden. Als ich sie vorsichtig wecken wollte, um sie nicht zu erschrecken, rührte sie sich nicht.

„Die schläft aber heute fest, ist wohl sehr früh geworden!“, dachte ich.

„Schatz! Es ist bereits 10.30 Uhr. Soll ich Dir schon mal einen Kaffee machen?“, flüsterte ich.

Keine Reaktion. Ich rüttelte zärtlich ihren Körper, aber sie rührte sich immer noch nicht.

„Schatz?“

Vielleicht tat sie so, als schliefe sie noch fest, um mich dann plötzlich mit einem „Uaah!“ zu erschrecken. Aber es kam wieder keine Reaktion! Ich griff unter die Bettdecke – ihr Körper war eiskalt!

Jetzt machte sich Angst und Bestürzung in mir breit!

Bei dem Versuch, meinen Nachbarn, einen Rettungssanitäter, zu Hilfe zu holen, lief ich auf die Straße. Dort lag ein anderer Nachbar auf dem Bürgersteig. Zehn Meter weiter der nächste neben seinem Auto! Dessen Fahrertür war offen, die Warnfunktion piepte. Beide waren offensichtlich tot, da ihre gebrochenen Augen in den Himmel starrten. Mein Nachbar machte nicht auf, obwohl sein Auto vor der Garage stand. Ich lief in seinen Garten. Er lag, ebenfalls tot, auf der Terrasse. Drinnen auch seine Lebensgefährtin in der Küche.

Was war hier los?

Ich rief die 112 an – es wurde nicht abgenommen. Bei der 110 ging ebenfalls keiner ran.

„Das gibt’s doch gar nicht! Verdammt, sie stirbt mir noch, wenn ich …!

Vielleicht ist sie schon …!

Sie war so kalt!“

Ich rannte wieder in unser Haus, rüttelte meine Frau und rief immer wieder ihren Namen.

„Das ist der schlimmste Albtraum, den ich je hatte!“

Aber es war kein Traum, wie ich auf grausame Weise feststellen musste, meine Frau rührte sich immer noch nicht, war eiskalt, steif und hatte keinen Puls mehr. Ich holte ihren Taschenspiegel und hielt ihn ihr vor den Mund. Kein noch so geringer Atem beschlug ihn. Sie war tatsächlich von mir gegangen!

Erst jetzt realisierte ich, dass etwas Furchtbares passiert sein musste, denn sie war ja nicht die einzige Tote.

„Was ist hier bloß geschehen?“

Weinend brach ich über dem leblosen Körper meiner Frau zusammen.

Ich kann nicht genau sagen, wie lange ich dort schluchzend gelegen habe, irgendwann rappelte ich mich auf.

„Wieso liegen hier so viele Tote? Ich muss die Kinder informieren!“

Meine Kinder gingen auch nicht ans Telefon, weder mein Sohn, der im Ort wohnte noch die Tochter in München. Ich versuchte es auf dem Handy der beiden – nichts, keine Reaktion.

Ich setzte mich ins Auto, um Hilfe zu holen. In den Straßen lagen überall Tote. An der Kreuzung waren zwei Autos zusammengestoßen. Kein schwerer Unfall, aber die Fahrer saßen drinnen, den Kopf auf dem Lenkrad.

Ich drehte um, holte die Hausschlüssel meines Sohnes und fuhr zu ihnen. Er, seine Frau und die zwei Enkelkinder, lagen tot in der Wohnung. Sie waren unverletzt, lagen nur so da, als ob sie schliefen. Wieder überwältigte mich der unfassbare Schmerz! Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, kauerte nur weinend auf dem Fußboden. Ich weiß nicht, wie lange ich so dagesessen bin. Nach einer gefühlten Ewigkeit zwang ich mich dazu, aufzustehen und verließ die Wohnung.

Zwei Stunden irrte ich zitternd mit dem Auto umher.

Ich fand keinen Menschen mehr lebend vor. Überall Autos, die ineinander gefahren waren und Tote, die wahllos verstreut auf den Straßen, Bürgersteigen und Plätzen lagen!

Ich war allein. Ganz allein!

Völlig konsterniert, am ganzen Körper zitternd und weinend fuhr ich nach Hause.

Mit schweißnassen Händen nahm ich mir eine Flasche Whisky, setzte sie an die Lippen, stürzte einen großen Schluck auf Ex runter und weinte.

Verdammt, was mach’ ich denn jetzt?

Nach geraumer Zeit, in der ich völlig neben mir stand, fing mein Verstand wieder halbwegs an zu funktionieren.

„Also wenn mein Hund und ich überlebt haben, was auch immer, dann wird es auch andere Tiere und Menschen geben, die noch am Leben sind!“, dachte ich bei mir.

„Aber wo suche ich die?“

Ich schnappte mir das Telefon, wählte die Nummern von Freunden und Bekannten, die im Ort wohnten und die in ganz Deutschland verstreut waren – niemand hob ab. Auch im Rathaus, der Apotheke und beim Landratsamt bekam ich keine Verbindung, obwohl der Ruf ganz normal rausging. Ich versuchte es bei meinen zahlreichen französischen Freunden – es kam kein Gespräch zustande!

Da ich nicht der Typ Mann bin, der leicht in Panik gerät, nahm ich mir einen DINA4-Block und einen Bleistift und notierte wahllos, was mir gerade einfiel:

„Es ist ziemlich unlogisch, dass ausgerechnet mein Hund und ich am Leben geblieben sind! Aber was ist mit anderen Tieren?“

Ich stand auf, lief in den Garten und lauschte, ob ich Vögel hörte.

Es war ein so emotionaler Moment, verschiedene Singvögel mit ihrem Gesang zu hören, dass ich laut schluchzend ins Gras fiel und meinen Gefühlen freien Lauf ließ.

Nach etlichen Minuten hatte ich mich wieder gefangen und machte mit meiner Erkundung weiter. Bienen und Hummeln summten und flogen fleißig von Blüte zu Blüte, nicht müde werdend, für ihr Volk Nahrung heranzuschaffen. Sie hatten noch ein Volk, ich vielleicht nicht mehr!

„Also, die Tiere scheinen überlebt zu haben! Was folgt daraus?“, schrieb ich auf.

Vielleicht war es ein Virus, das die Menschen dahingerafft hat! Ich habe zwar noch nie gehört, dass einer so schnell tötet, aber ausgeschlossen ist das ja deshalb nicht! Allerdings – warum mich nicht? Weil ich geschlafen habe? Ich war bestimmt nicht der Einzige, der noch im Bett lag, als das Virus oder was immer so todbringend war, zugeschlagen hat, meine Frau lag ja auch noch im Bett, direkt neben mir! Es kann nicht sein, dass ich der einzige Mensch bin, der noch übrig ist! Aber dann hätte ich doch in den letzten fünf Stunden irgendein Lebenszeichen eines Menschen vernehmen müssen. Wenn es jemanden gibt, der in der gleichen Situation ist wie ich, der telefoniert sich bestimmt die Finger wund, um einen Menschen zu erreichen! Ich muss es weiter versuchen! Vielleicht dort, wo die Menschen aufgrund der Zeitverschiebung sowieso noch schlafen! O. k., wen kenne ich in Amerika oder Asien? – Mist, niemanden! Die Polizei! – In den Regionen der Erde, die gerade Nacht haben, gibt es Dienste, z. B. die Polizei, die auch nachts Bereitschaft haben.“

Ich suchte hektisch die Nummern im Internet, eine in New York, das NYPD, das Polizei-Department. In San Francisco, Los Angeles, Vancouver, Ottawa, Rio de Janeiro, Caracas. Bangkok dasselbe, dort schläft bestimmt nur jeder Zweite! Weiter mit Singapur, Tokio, Seoul.

Dabei fiel mir ein:

„Sollten tatsächlich alle anderen Menschen tot sein, wird bald das Stromnetz zusammenbrechen, dann kann ich nichts mehr im Internet nachsehen!“

Fieberhaft sammelte ich Telefonnummern von Polizei, Rotem Kreuz und Feuerwehren aus der ganzen Welt.

Dann begann ich zu telefonieren. Vorsichtshalber stellte ich mir die Flasche Whisky neben das Telefon.

Nach weiteren 45 Minuten war mir klar:

 

„Ich bin scheinbar ganz allein auf der Welt!

Möglich, dass irgendwo jemand überlebt hat wie ich, aber wenn ich auf der ganzen Welt niemanden ans Telefon bekomme, sieht es düster aus! Aber wieso ich?“

Fieberhaft schrieb ich stichpunktartig alles auf, was mir in den Sinn kam:

„Wenn sich der Strom abschaltet, da gibt es bestimmt eine automatische Abschalt-Einrichtung in den Elektrizitätswerken, kann ich nichts mehr nachsehen, nicht versuchen zu telefonieren, das Handy wird sich abschalten, weil die Verbindung zwischen Servern und Satelliten unterbrochen wird!“

Mit zittrigen Fingern schrieb ich eine SMS nach der anderen, an alle in meinem elektronischen Adressbuch. Ich bekam keine Antwort, selbst von den Personen nicht, von denen ich wusste, dass sie ständig online sind.

„Wenn sich der Strom automatisch abschaltet, dann wird das bei Kernkraftwerken auch passieren. Was geschieht dann? Fahren die dann selbstständig herunter oder fliegen die in die Luft? – Scheiße!“

Mein Hund Belle kam zu mir. Sie spürte instinktiv, dass ich traurig und nervös und alles anders war als normal. Ich streichelte sie ausgiebig und sagte:

„Ja, mein Freund, es scheint so, als wären alle von uns gegangen!“

Wieder wurde ich von einem Weinkrampf geschüttelt.

Der Hund drückte sich an mich und tröstete mich auf diese Weise.

„Scheiße, was mach’ ich denn jetzt?“

„Also hier kannst Du nicht bleiben! Wenn der Winter kommt und weder Strom noch Heizungen funktionieren, frierst Du Dir hier den Arsch ab! Du musst weg. Wohin? In den Süden, Südfrankreich, da kenn’ ich mich aus, dort ist es warm. Aber auf der Autobahn kannst Du nicht fahren! Wenn der Todeszeitpunkt überall zur gleichen Zeit kam, und momentan sieht es danach aus, dann sind die verstopft und Du kommst nicht weiter und musst umdrehen. Also Landstraße, da kann man schnell mal was umfahren! Ich muss das Wohnmobil holen!

Aber jetzt erst mal einen Plan machen, so planlos wie bisher kannst Du nicht weiter vorgehen!

O. k., hol einen Block A 5!“

Ich bereitete alles vor:

Block, Bleistift, Whisky.

Dann ging ich ins Schlafzimmer und sagte zu meiner Frau:

„Es tut mir leid, Schatz, alle sind tot! Ich muss Dich hier alleine lassen!“

Ich deckte sie zu, ließ aber ihren Kopf frei, warum weiß ich nicht! Ich küsste sie ein letztes Mal – auf die Stirn.

Danach öffnete ich den Schlafzimmerschrank mit allen Schubladen und entnahm, was ich glaubte, dringend zu brauchen:

Kleidung Sommer, Kleidung Winter, Socken, Unterhosen, Gürtel. Dann die Reise-Apotheke. Anschließend schloss ich das Schlafzimmer von außen ab. Die Rollläden waren ja noch unten. Warum ich abschloss, weiß ich nicht!

„Ich muss „einkaufen“ gehen für meine Reise. Apotheke, ich gehe einfach alle Schubladen durch und gucke, für was die Medikamente sind und ob ich die brauchen kann! Verbandsmaterial nicht vergessen!

Ich schrieb wie besessen, für jedes Thema einen Zettel:

„Baumarkt wegen Autobatterien, Ladegerät, Überbrückungskabel, Werkzeug, Batterien aller Art, Schlauch, um Diesel aus Autos abzuzapfen für das Wohnmobil.

Supermarkt wegen Vorräten für die ersten Tage, den Rest besorge ich mir in Frankreich.

Buchladen! Ich kann zwar Französisch, aber besser lese ich doch in Deutsch. Reiseführer Provence, Do-it-yourself-Buch, Überlebens-Buch, Auto-Reparatur-Buch, Buch über Generatoren, um Strom zu erzeugen, Diesel wird es reichlich geben! In jedem zweiten Auto kann ich was abzapfen. Schlauch im Baumarkt darf ich nicht vergessen! Ach, hab ich schon notiert! – Weiter im Buchladen: Wie mache ich Gemüse, Beeren und Obst ein? Ein Arztbuch, um mich selbst zu behandeln, wenn ich krank werde! Weltliteratur – die Besten der Besten! Das wird schwer, im wahrsten Sinne des Wortes. Ist wohl besser, ich hole erst das Wohnmobil und fahre dann die Läden ab, von denen ich was brauche. Dann kann ich vor Ort das gleich einladen und verstauen.

Scheiße! Wenn der Strom ausfällt, kann ich das Wohnmobil nicht mehr aufladen, ich muss es so schnell wie möglich holen! O. k., was brauche ich noch dringend? Das fällt mir bestimmt unterwegs ein, auf geht’s!“

Schnell lief ich zu unserem Stadt-Auto und fuhr die elf Kilometer zu dem Bauern, bei dem ich mein Wohnmobil immer untergestellt habe. Auch dort war niemand. Glücklicherweise war das Tor der großen Halle offen. Ich räumte ein paar Sachen weg, die im Wege lagen, schloss das Wohnmobil auf und startete den Motor. Wie ein Uhrwerk sprang er an und ich konnte rausfahren.

„Mach’ s gut, kleines Auto, ich brauche Dich nicht mehr! Hast mir gute Dienste geleistet!“

Nächste Anlaufstelle war die Tankstelle. Mir war während der Fahrt eingefallen, dass die Zapfsäulen auch nur mit Strom funktionieren, es war also Eile geboten. Volltanken, Reservekanister ebenfalls. Alles lief wie früher, alles war normal, nur ohne Menschen. Die lagen in den Straßen, hier in der Tankstelle neben ihren Autos. Angesichts des Damokles-Schwertes „bald kein Strom mehr“, hatte ich keinen Blick für die vielen Toten, die ich heute schon gesehen hatte, nur Eile, noch alles zu kriegen, was ich in den letzten Jahren meines Lebens noch brauchen würde!

Aber hatte ich noch Jahre? Was, wenn das wirklich ein Virus war und ich nur langsamer sterbe als die anderen?

Ich wischte die negativen Gedanken weg, um keine Zeit zu vergeuden.

„Ich muss mich jetzt um mein Überleben kümmern, nichts ist momentan wichtiger!

Brauche ich was fürs Auto? Öl, Bremsflüssigkeit, Waschwasser, aber die kann ich im Baumarkt holen.“

Die Zettel, auf denen ich mir meine „Einkäufe" notiert hatte, warf ich brav in den Mülleimer. Das war zwar, angesichts der Geschehnisse, völlig unnötig, aber ich konnte nicht anders!

Nächster Stopp Baumarkt. Der war geschlossen!

„Häh, wieso das denn? – Ja klar, der öffnet nicht vor acht Uhr! Das Virus muss vor acht Uhr zugeschlagen haben, da sind alle Geschäfte noch zu! Ich brauche ein Brecheisen, mit dem ich die Türen aufbrechen oder die Glasscheiben zerschlagen kann!“

Ich schnappte mir einen der Einkaufswagen für schwere Teile, rollte zum Eingang und schob den Wagen mit Anlauf in die Scheibe, die in tausend Stücke zersprang.

Geistesgegenwärtig hatte ich mich vorher rumgedreht, um keine Glasstücke ins Gesicht zu bekommen. Einige flogen mir auf Jacke und Hose, ohne Schaden anzurichten! Als Erstes holte ich das Brecheisen.

Innen hatte ich lange zu tun. Ich ging durch die Reihen und schaute mir alle Produkte genau an.

„O. k., in Frankreich gibt es zwar auch Baumärkte, aber die Bedienungsanleitungen lese ich lieber in Deutsch. Nach zwei Stunden war ich sicher, nichts Wichtiges vergessen zu haben.

Dann Supermarkt. Mit einem Einkaufswagen Tür einschlagen. Drei Dosen Fertiggerichte – Erbsensuppe, Bratheringe und Ravioli. Ein 3-kg-Brot, gemahlenen Kaffee.

„Was gibt es nur bei uns oder besser gesagt: Was würde ich in Frankreich an Lebensmitteln vermissen? Wurst. In Dosen, lange haltbar.“

Schnell hatte ich, sage und schreibe, fünfzig Dosen Wurst in den Einkaufswagen getan und mich anschließend dafür gemaßregelt, dass die ja auch ein ziemliches Gewicht haben würden. Also zwanzig wieder zurück, brav ins Regal – als ob ein anderer sich darüber aufregen würde, dass die Wurstdosen am falschen Platz standen!

Weiter:

Grundversorgung Whisky, zwei Flaschen. Ostpreußischer Honiglikör – gibt es nur bei uns! Zehn Flaschen! Zwei Six-Packs Bier, Wein ist noch im Keller. Zettel wegwerfen – Mülleimer.

Nächster Halt: Apotheke. Alter Schwede, das dauert! Alles eingepackt, von Schnupfenmitteln über Medikamente für Grippe, Fußpilz, Durchfall, Ohrenschmerzen, Ibuprofen, Desinfektionsmittel, Magentabletten, was gegen Verstopfung, fünf Packungen Aspirin und ein paar Mittel, von denen ich glaubte, sie zu brauchen.

Endlich im Buchladen. Vor der Tür wieder Tote – grauenhaft! Jetzt merkte ich, dass der Anblick mir zunehmend an die Nieren ging. Schnell Tür aufbrechen, rein, die Regale abchecken. Einkaufswagen vollmachen. Meine Buchhändlerin lag neben der Kasse, hatte wohl gerade den kommenden Verkaufstag vorbereitet. Furchtbar, es wird immer schlimmer, ich muss nach Hause. Nach Hause? Das gibt es nicht mehr! Ich muss mich schnellstens neu orientieren!

Ich lud alle Bücher ein, fuhr das Wohnmobil vor unser Haus und schloss es direkt an den Strom an. Banges Warten – klappt das, gibt es noch Strom?

Ja, ich hatte Glück, die Batterien wurden aufgeladen!

Alles, was ich nicht zwingend zum Überleben brauchte, räumte ich aus und warf es in die Garage. Dann alles neu sortieren und einräumen. Als Erstes meine Klamotten und Schuhe. Dann wieder Bücher aus dem Wohnzimmerschrank. Urkunden, Papiere, wer weiß, ob ich die noch mal brauche! Dann die bange Frage:

„Soll ich die 19 Fotoalben mit den Bildern meines Lebens mitnehmen?“

„Nein, die wiegen alleine 20 Kilo! Du kämpfst hier um Dein Überleben, nicht um Deine Vergangenheit! Oder doch mitnehmen? Wenn ich irgendwo ein Haus gefunden habe, wo ich den Rest meines sowieso nicht mehr allzu langen Lebens verbringen kann, wäre es schön, in ihnen zu blättern, die Fotos im PC werden bald weg sein, wenn es keinen Strom mehr gibt! Nimm sie mit! Und Deine Gemälde aus den Zimmern und die aus dem Keller, die dort seit vielen Jahren, gut eingepackt lagern auch! Schmeiß’ dafür was anderes raus! – Keller, da findet sich bestimmt noch das eine oder andere wichtige Teil – zum Überleben! Z. B. meine ganze Angel-Ausrüstung, die muss auf jeden Fall mit, da kann ich immer mal wieder was fangen und damit frischen Fisch auf den Teller bringen!“

Mit dem Keller und meinen Bildern war ich um 20 Uhr fertig. Langsam wurde es dunkel. Jetzt das Büro. Meine Bücher, die ich mit viel Herzblut geschrieben habe. Die lasse ich auf keinen Fall zurück! Der Computer – ohne Strom wertlos! Aber vielleicht finde ich eine Möglichkeit, Strom mit einem Generator zu erzeugen, dann kann ich zwar nicht ins Internet, weil weder Server noch Browser mehr lange funktionieren werden, aber wenigstens für die Familien-Fotos. Wieder musste ich weinen.

„Scheiße!“

Um 22 Uhr war ich mir sicher, nichts vergessen zu haben! Ich machte noch einen Kontrollgang ins Wohnmobil, ob der Strom immer noch die Batterien auflud. Alles lief. Schnell noch Wasser tanken für die mobile Toilette während der Fahrt. Ölkontrolle, Waschwasser auffüllen, Reifendruck, fertig!

„Morgen früh lade ich mein Fahrrad noch auf, dann kann es losgehen. Das Fahrrad wiegt 19 kg, zu schwer, sonst bist Du überladen, das kannst Du wahrscheinlich an jeder Ecke irgendwo finden und benutzen! Wohnmobil-Kühlschrank anschalten, damit der morgen früh kalt ist und ich die Lebensmittel kühl halten kann. Soll ich was einfrieren? Ja, Brot.“

Also zurück ins Haus, Brot schneiden und in Zweier-Päckchen einfrieren. Noch geht der Strom! Eiswürfel machen für die Drinks.

Das Bad! Alles was ich zur Körperpflege brauche, konnte ich zwar auch in Frankreich besorgen, aber bis dahin, während der Reise brauchte ich ja auch was. Schnell einladen.

Endlich hatte ich alles gemacht, was gemacht werden musste. Whisky trinken, heulen.

In Gedanken ging ich die Zeit durch, in der ich in diesem Haus zusammen mit meiner Frau gewohnt hatte. Erinnerte mich an all die schönen Zeiten, die wir hier miteinander verbracht hatten, die Spiele-/Fernseh-/Grill-Abende, die Gartenarbeit, die wir gemeinsam hier erledigt haben und die uns jeden Tag die Möglichkeit gaben, uns an den schönen Blumen, Fliederbüschen, Forsythien, Rosen und dem wunderbaren Lavendel zu erfreuen. Ich zündete eine große Kerze an und setzte mich auf die Terrasse. Es war totenstill!

Als ich merkte, dass ich aufhören musste zu trinken, weil ich sonst am nächsten Morgen nicht hätte Auto fahren können, ging ich noch mal ins Schlafzimmer und verabschiedete mich endgültig von meiner Frau. Ich bedankte mich für die langen, schönen Jahre und weinte bitterlich.

Ich wollte am Morgen ohne Rückblick in ein neues Leben starten, so schwer mir das auch fallen würde!

Dann machte ich mir auf der Couch mein Bett und löschte das Licht. Ob es morgens noch brennen würde?

Lange konnte ich nicht einschlafen, ich zitterte immer noch! Aber um 1 Uhr nachts zeigte dann der Whisky seine Wirkung und ich schlief endlich ein.

Von Albträumen geschüttelt wachte ich mehrmals auf und konnte dann nicht mehr richtig einschlafen. Aber ich döste immer wieder weg. Um 7 Uhr schlief ich doch noch mal ein. Da ich die Rollläden ganz heruntergelassen hatte, wachte ich erst um 10 Uhr mit Kopfschmerzen auf.

„Zwei Aspirin und einen Kaffee, dann wird’s gehen!“

Aber die Kaffee-Maschine ging nicht mehr, auch der Strom war komplett weg! Ich rannte schnell raus und überprüfte den Ladestand des Wohnmobils. Alles in Ordnung, beide Batterien waren voll aufgeladen!

Obwohl ich keinen Hunger hatte, zwang ich mich dazu, eine Kleinigkeit zu essen. Dann lud ich alle Lebensmittel in mein neues Zuhause und verabschiedete mich von meinem alten, schönen Leben. Wieder ging es nicht ohne Weinen. Bevor ich losfuhr, konnte ich mich aber doch nicht davor zurückhalten, mich noch mal von meiner toten Frau zu verabschieden. Wieder flossen viele Tränen.

Danach setzte ich mich ein letztes Mal auf die Terrasse, ging in Gedanken noch einmal alles durch, ob ich nichts vergessen hatte. Ich ließ den Hund noch mal raus und wartete, bis er sein Geschäft im Wald erledigt hatte. Dann lud ich ihn, sein Futter, Leine, Halsband und die Futternäpfe ein und startete das Wohnmobil.

Richtung Frankreich, der Sonne und vielleicht noch ein paar Jahren Leben entgegen. Wenn ich dazu überhaupt noch Lust haben würde.

„Wir werden sehen!“

Auf dem Weg zur Autobahn musste ich anhalten. Erneut schüttelte mich ein Weinkrampf.

„Scheiße!“

Die Autobahn war dicht. Von der Brücke aus waren mehrere ineinander verkeilte Autos zu sehen. Ein paar Menschen lagen auf der Fahrbahn.

Ich wählte die Bundesstraße. Glücklicherweise kannte ich die Strecke von meiner jahrelangen Außendienst-Tätigkeit. Viele verunfallte Autos mussten umfahren werden, überall lagen Leichen. Nirgendwo rührte sich was. Ein paar Hunde liefen am Rande eines Parks entlang, schleiften ihre Leinen hinter sich her. Ich hielt an. Vielleicht waren dort ja noch Menschen. Aber ich fand nichts!

Plötzlich schoss es mir durch den Kopf:

„Mann, Du brauchst Schutzmasken und Schutzkleidung. Die vielen Toten überall werden vielleicht Seuchen auslösen, von dem Gestank der leblosen Körper ganz zu schweigen.“

Also umdrehen, zwei Straßen weiter zum Krankenhaus fahren. Vor dem Haupteingang dasselbe wie überall – Tote über Tote!

Ich rannte wahllos in die Klinik und schaute in jeden Raum kurz rein, um Schutzkleidung zu finden. Die Türen, die verschlossen waren, rammte ich mit einem schweren Reinigungswagen ein. So fand ich dann Vorratsräume und Apotheke. Dort war alles, was ich brauchte. Und zusätzlich Einmal-Spritzen, Kanülen, Morphium, Desinfektionsmittel, große Pflaster aller Art, Stethoskop, um mich selber abzuhören, was zum Abbinden, Mittel gegen Brechreiz, Beutel mit Kochsalzlösung. Und vier Blutkonserven mit meiner Blutgruppe!

„Die kommen in den Kühlschrank, den kann ich mit Gas lange am Leben erhalten! – Oh, Scheiße! In Frankreich gibt es zwar überall Gasflaschen, aber dafür brauche ich einen Adapter, die Flaschen haben einen anderen Zugang als bei uns!“

Also, wo ist der nächste Baumarkt? Mit dem Wohnmobil dorthin. Gasflaschen sind im Freigelände. Gleich eine volle im Einkaufswagen mitgenommen.

„Wo sind die Adapter fürs Ausland?“

Bange Suche – halbe Stunde Zeit vergangen. Dann endlich gefunden! Passende Adapter für Frankreich, Spanien, Italien.

„Gut! Jetzt aber weg hier!“

Im Wohnmobil vertreibt man sich eigentlich die Reisezeit mit Musik. Dazu konnte ich mich einfach nicht aufraffen. Mir war nicht nach Musik, mir war’s zum Heulen!

„Jetzt reiß’ Dich mal zusammen, Du Weichei! Wo fährst Du überhaupt hin? Du musst Dir genau überlegen, welcher Ort der richtige für Dein restliches Leben ist!

Am liebsten Aix-en-Provence. Was ich an dieser Stadt liebe, ist ihre jugendliche Frische, ihre, trotz aller Geschäftigkeit, die eine Stadt mit 150 000 Einwohnern so mit sich bringt, gemütliche Atmosphäre, die vor allem durch die vielen Studenten verbreitet wird. Aber dort werden jetzt vermutlich hunderte Leichen rumliegen, die Seuchengefahr wird riesig sein! Nein, ich muss mir was anderes suchen! Eine kleine Villa am Meer, da kann ich baden gehen, eine Wasserversorgung wird es ja bald auch nicht mehr geben! Die Kläranlagen werden ja nicht mehr gewartet. Dann kommt nur noch verseuchtes Wasser aus den Hähnen! Ich brauche aber Süßwasser zum Trinken und Kochen. Und um das Salz des Meerwassers abzuwaschen! Also muss die Villa auch an einem Fluss liegen! Brauche ich überhaupt das Meer? Baden kann ich besser in einem sauberen See oder einem klaren Gebirgsfluss. Dort ist es im Winter aber zu kalt! Ein See im Hinterland der Provence vielleicht?“

Solche Gedanken gingen mir während der Fahrt im Kopf herum. Und die waren ja auch wichtig. Schließlich musste ich mich spätestens in Avignon entschieden haben, wo es hingehen sollte!

„Im Hinterland ist die Versorgung mit lebenswichtigen Dingen aber nicht so gut! Eine Stadt sollte schon in der Nähe sein. Dort gibt es Supermärkte, die noch jahrelang Produkte haben werden, die haltbar sind, z. B. Honig, der wird so gut wie nie schlecht, wenn es Bio ist! Hartweizen-Nudeln, Reis, Linsen, Bohnen, Erbsen, die sind alle getrocknet und lange haltbar! Dort kann ich mir dann alles holen, was lange Ablaufdaten hat. Werkzeug und kleine Maschinen kriege ich in den Baumärkten, Autozubehör, wenn mal was kaputt geht. Das gibt es alles nur in größeren Städten! O. k., also wohin?

Am Meer sollte es schon sein, dort kann ich mit Angel und Netzen, Boot und Harpune Fische fangen, die mir die lebensnotwendigen Omega-3-Fettsäuren liefern! Sehr wichtig!

Da ich ja unbegrenzten Zugang haben werde auf Autos aller Art, die, meistens betankt, irgendwo rumstehen, kann ich auch aus dem Hinterland ans Meer fahren.

Im Hinterland werde ich aber irgendwann nicht mehr sicher sein! Wenn Wölfe und Bären aus dem Nationalpark Mercantour, der ja nur 60 km von Nizza entfernt ist, merken, dass sie plötzlich keine lebenden Menschen mehr riechen, sondern tote und keine mehr akustisch wahrnehmen, dann werden die immer weiter in Richtung Städte vorrücken, wo sich für sie leckere Sachen erbeuten lassen, z. B. Vieh, das nicht bewacht wird, Honig und Obst aus den verlassenen Gärten, streunende Hunde und Katzen, die leicht zu erbeuten sein werden. Lebensmittel aus den Orten. Dann kann ich mich in der Nähe einer Stadt gut verbarrikadieren, z. B. in einer Villa, vielleicht so 15 bis 20 Meter hoch über dem Meer, mit stabiler Mauer drum herum, so gebaut, weil die Besitzer sicher sein wollten. Ja, das wäre wohl am besten!

In der Nähe ein See oder sauberer Fluss. Aber selbst wenn der momentan nicht so sauber ist – das wird bald von ganz alleine kommen, so ohne Menschen und Umweltverschmutzung!

An der nächsten Möglichkeit halte ich mal an! Ach was, ich kann ja hier mitten auf der Straße anhalten, kommt ja keiner – leider!“