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Illustration: Yamina Sehad und Autor
© Hans Jürgen Heringer 2022
Druck und Endverarbeitung (print on demand):
Books on Demand GmbH (BoD) GmbH
In de Tarpen 42
22848 Norderstedt
ISBN: 9783755725473
ABeCedaria
Die A. (Plural Abecedariä) ist eine «Schulanfängerin, ABC-Schützin», auch ein «Gedicht, dessen jede Zeile mit einem Buchstaben in der Reihenfolge des Alphabets beginnt». Der Bruder der A. stand bereits im Urduden unter Abecedarius. Aber das waren noch andere Zeiten. Da ging es um die Anfänger im ABC. Auch die Anfängerbücher hießen Abecedarien.
Im Gegensatz zu A. steht der Abc-Schütze im Duden, wenngleich ungegendert. Auch er ein Schulanfänger bei der kindlichen Einschulung. Und auch bei ihm stellen sich gleich Fragen: Wieso schießt er? Ja, mit dem Schützen schießt die Sprachphantasie ins Kraut. Grimm verwirft die Idee, dass die Kinder vormals mit Pfeil und Bogen auf «vorgemahlte» Buchstaben geschossen hätten. Er verweist darauf, dass Schütze überhaupt für heranwachsende Schüler verwendet worden sei. Da bliebe natürlich immer noch die Frage: Wie kam es dazu? Das lateinische tiro bedeute Rekrut oder Anfänger, sei aber zugleich auch eine Verbform: tiro = ich schieße. Also ein Abc-tiro wird zum Abc-Schießer. Na ja, da ziehen wir doch das nur halb durchsichtige A. vor.
Für die Zukunft gäbe es einen gewissen Zwiespalt für A. Einerseits Latein, ein Fremdwort also, andererseits korrekt gegendert. Wonach wird sich das entscheiden?
abern v
Formal haben wir es mit einer Konversion zu tun. So wird in der Wortbildung der Wechsel der syntaktischen Kategorie bezeichnet. Hier wird die Konjunktion aber zum Verb der schwachen Konjugation: ich aber, du aberst, du abertest, du hast geabert.
Damit ist der Zusammenhang der zugehörigen kommunikativen Technik klar: die häufige Verwendung der Konjunktion aber. Hyperslogan des A.s lautet: «Ja, aber». Hierin in nuce das Linke des A.s, man stimmt anscheinend zu, konterkariert auf der Rückseite aber. Eine Rollenverteilung dieser Art kann zu einer Kommunikationsfalle werden. Auf jeden Fall birgt sie die Gefahr, partnerschaftliche Kommunikation zu zerstören. Aberer sind den Laingisten (s. dort) verwandt.
Heute eigentlich [nichts] zu abern?
kannst du aber zu|mit Recht abern, dass
hätte da nie etwas zu abern gehabt
Nörgler aberten da immer wieder
Abschäumerin n die
Ursprünglich war die A. eine unterbezahlte Küchenhilfe, deren einzige Aufgabe es war abzuschäumen, also Abschaum zu entfernen.
Alles fing recht harmlos an. Mancherlei Stoff entwickelt beim Kochen Schaum, so etwa Fleisch unschönen Eiweißschaum, der mit dem Schaumlöffel entfernt wird.
Das Kochgut wird eben abgeschäumt. Was weggeworfen wird, ist der Abschaum. Er schaut nicht gut aus, so ´ne trübe Brühe, er schmeckt schlecht. Nun aber die schlimme Übertragung. Abschaum ist auf jeden Fall eine menschenverachtende Bezeichnung, am häufigsten gebraucht in der Formel der Abschaum der Menschheit.
Na, da möge die A. doch bei ihren Leisten bleiben.
Afterbrand n der
«Nachbranntwein». Mein Freund wohnt im Schwarzwald, in einem richtig alten Schwarzwaldhaus. Er brennt und verkauft in kleinen Mengen diverse Wässer. Sie verstehen. Das Brennen läuft in drei Phasen ab: Vorlauf, Mittellauf und Nachlauf. Das Vorlaufprodukt ist gemeinhin pfui. Mittellauf = edel und Nachlauf so lala. Es geht natürlich nicht um Schwarzbrennerei. Die alteingesessene Familie hat ein altes Brennrecht.
Bitte nicht gleich ekeln bei A. Und nicht wundern, dass dieses Wort nicht so recht Karriere machen konnte, dass es kaum einer kennt. Auf jeden Fall kannte das Deutsche die Präposition after = nach, hinter – ganz wie das Englische und passend für das heutige Nomen. Die Afterrede war die üble Nachrede. Der Aftermieter war eine Art Nachmieter. Dem lag die Idee einer Mieterhierarchie zugrunde. Es war einfach der Untermieter. Die Idee meines Freundes Schorschl ist nun, auch den Nachlauf besser zu vermarkten und dazu ein attraktives Label zu finden.
Für ihn wäre es der Goldene Schuss, wenn A. in den Duden aufgenommen würde. Aufpassen muss man hier wie immer mit der Rechtschreibung: Der Branntwein, aber der A. Heaven knows why.
agumentieren v
Das Verb a. ist ein sog. Bastard. In schludriger Aussprache (als Beiprodukt schludriger Argumentation) wurde das r nicht mehr recht artikuliert. So entstand a., das nun semantisch remotiviert wurde: Das Anfangs-a wurde abgetrennt, als das griech. Präfix a- aufgefasst und somit als verneinend gedeutet. Dadurch war der griechisch-lateinische Bastard entstanden, der seine eigene Bedeutung gewann.
In seiner Bedeutung ist a. verwandt einer besonderen Argumentationsform, die zwar verbreitet, logisch aber unsauber ist: dem argumentum ad hominem oder ad personam. Dabei wird die argumentierende Person abqualifiziert, etwa «Du als Mann, darüber weißt du nichts.» Beim A. läuft die Fehlargumentation aber so, dass auf eine andere Person oder eine andere Instanz verwiesen wird. «Die X hat es gesagt, die weiß da Bescheid.» Somit ist a. auch verwandt mit degumentieren (s. dort).
anfingern v itr
Eine übliche Rollenverteilung, besonders geübt in Partnerschaften und Ehen. Es geht darum: Wer ist schuld und wer hat angefangen?
Das A. ist natürlich unklar verteilt, ein Teil des Rollenspiels. Auch von außen ist hier nicht einzugreifen und sollte auch nicht eingegriffen werden.
wer hat denn angefingert!
fingerst immer wieder an
hattest [...] da [...] schon wieder angefingert
Es ist eine Lebensweisheit, mit der hier gespielt wird:
Wer war schuld? Wer immer etwas tut und wer immer was damit zu tun hat, der kann schuld sein.
Wichtig für uns, – dass wir es nicht selber waren. Wir brauchen die Übertragung: Du warst schuld!
Auch darum wäre der Eingreifversuch dumm. Schließlich endet das Spiel sowieso pari. Frei nach der Lebensweisheit:
Du bist fein raus,
Hast du den Sündenbock im Haus.
aniling adj
Eigenschaft einer Person, die wenigstens biling ist, deren eine Sprache aber eine Tiersprache ist. A. kann natürlich nicht jeder werden. Es gibt bisher keine einschlägigen Sprachschulen. Aber es gibt a.e Spezialisten, die Übersetzerdienste leisten. Das Herr-Frauchen bekommt dann ein Gesprächsprotokoll, das passt oft wie die Faust aufs Auge.
Kommunikation mit Tieren scheint vor allem zu funktionieren bei Tieren, die einem nahe stehen. Mit Hund und Katze reden wir ja alle. Mit Ihrem Wellensittich?
Aber die Tiere verstehen ist etwas anderes.
Da braucht es eben die a.e Spezialistin.
Tiere unter sich kommunizieren natürlich, allzeits bekannt über die Bienensprache und jetzt die Wale. Aber vielleicht ist Sprache da etwas übertrieben. Und Arten überspringende Kommunikation ist vielleicht nicht so ganz symmetrisch, weil Tiere eben viel klüger und per se a. sind. Und dazu noch polyglott – wie die Hunde.
Anpasse n die
Mit A. werden Personen beiderlei Geschlechts bezeichnet. Sie werden charakterisiert als solche, die ihr Mäntelchen nach dem Wind drehen. Je nach Situation und Handlungsziel passen sie ihre Meinung an und wechseln das Lager.
Ein maskulines Synonym ist der Zwecker.
A.n [... und] Handlangerinnen [und] Profiteure
nicht nur irregeleitete . . . A. sondern jahrelang . . .
Apprat n das
Das Nomen A. verdankt seinen Ursprung einem schludrig ausgesprochenen Apparat. Aus dieser Tatsache entspringt auch die besondere Bedeutung. Ein A. ist ein besonders großer Gegenstand, oft eine Art Werkzeug im weitesten Sinne. Dabei ist aber wichtig, dass Größe hier nicht absolut gedacht ist, sondern besonders groß für diese Art Gegenstand.
So ist das A. natürlich wesentlich kleiner, wenn es sich um Fußbälle handelt, als wenn es um Boote ginge.
Dieses A. auf zwei Rädern beschleunigt in schlanken 4,8 secs von null auf 100.
... zwar nicht so hoch, aber ein A. in ihrem Ausmaß.
Ein Mords-A. von Mann, groß, breite Schultern.
Eine kleine . . . bestimmt mit nem dicken A.
Armateur n der
A.e sind die Drahtzieher des internationalen Waffenhandels. Man sollte sich nicht denken, dass A.e klandestin arbeiten. Das soll es auch geben, aber die großen Mengen von allerlei Waffen werden von Staaten an Staaten, auch an staatenartige Gebilde geliefert.
Zum Schein wird oft erklärt, dies geschehe nach strengen, dem Pazifismus verpflichteten Regeln.
Die Interessen und Nutznießer des Handels bleiben dagegen mehr oder weniger im Dunkel.
Arp n das
Ein A. ist ein ephemeres Neuwort, das alsbald nach seiner kreativen Erschaffung sang- und klanglos schwindet. Von daher auch öfter Eintags-A. genannt.
Im berühmten Werk Opas Null von Hans Arp, der dieser Erscheinung seinen Namen gab, finden sich die Ur-A.s.
Weit vorausblickend die/der/das Derdiedas. Dann aber speziesübergreifend der Ghettofisch und die Kakasie.
Zeitgemäß war wohl der Herr Vonvon.
Es steht zu befürchten, dass das A. selbst ein A. sein könnte. Doch käme es in den Duden, würde es unsterblich.
Arschsack n der
Das Wort klingt recht vulgär, zumindest im Deutschen.
Es handelt sich um eine Übernahme aus dem franz. cul de sac, das im Franz. ganz normal verwendet wird. Das bedeutet so viel wie Sackgasse, in erster Linie von Straßen gesagt.
Aber auch da wurde es schon übertragen verwendet und kam so ins Deutsche. Mit A. spricht man von Situationen, aus denen man keinen Ausweg findet, die man aber selbst herbeigeführt und zu verantworten hat.
Sie findet überhaupt keinen Ausweg aus dem A.
Wo gäbe es einen Weg aus dem A.?
Ich würde keiner unterstellen, dass sie sehenden Auges in diesen A. marschiert.
Letztlich taumelte ich wieder in den alten A.
Blecker n der
B. blecken wie Blitze durch den Kopf. Sie sind natürlich hell, worauf das Wort etymologisch zurückgeht.
Problematisch ist, dass der bleckenden Person nicht immer klar ist oder klar wird, ob es sich bei dem B. um eine Art Nervenreizung handelt oder ob er eine Art Geistesblitz ist. Kommt die bleckende Person zu der Überzeugung, dass es sich um letzteres handelt, steht sie je nach intellektueller Veranlagung immer noch vor der Frage, wie originell der B. ist.
Darum ist aus Gründen der Objektivität immer Vorsicht geboten, wenn jemand B. für sich reklamiert.
blicklesen v itr
B. ist eine weitgehend natürliche Fähigkeit des Menschen, die allerdings kulturell überlagert wird. So wird es auch nicht wie das Buchstaben Lesen gelehrt (außer etwa in therapeutischen Schnellkursen).
Blicke sind Ereignisse in der Zeit. Es gibt sehr schnelle, kurze und unauffällige, die im B. kommunikativ verwertet werden. B. ist eine weitgehend einseitige kommunikative Tätigkeit. Wie wir ausschauen, dafür können wir in gewissem Sinne nichts. Wie wir schauen, dazu können wir doch einiges tun. Wir können so oder so kucken und wir können unser Gesicht verziehen.
Hierzu eine kleine Übersicht, wie wir kucken können und wie das gelesen werden könnte.
Wichtig ist, das B. selbst wieder zu verstehen. Wir lernen den kommunikativen Effekt unserer Blicke nur über die Reaktionen der Partner kennen. So können wir entsprechend blicknotieren und blickschreiben.
branlieren v itr
Das Verb b. ist in der deutschen Literatur bisher einmal belegt. Wir können also belegt behaupten, dass es sich um einen hapax legomenon handelt. Wahrscheinlich klang da eine französische Liebestechnik mit.
Der alte Goethe
war bekanntlich gar nicht spröde.
Hat sich doch etwas geniert
und deshalb nur branliert.
Britsch n das
Das B. ist ein vielverzweckliches (s. dort) Werkzeug. Es ist ungemein vielseitig und erledigt mancherlei selbsttätig und automatisch. Legt man das B. zum Beispiel in den Besteckkasten, so schleift es über Nacht alle Messer. Abflüsse, vor allem verstopfte, reinigt das B. aus der Ferne.
Das Geniale am B. ist, es ist superökologisch. Es braucht keinen Stromanschluss und kein Internet für die Führung. Das Patent des Entwicklers ist nach wie vor geheim, so dass auch weiterhin nicht bekannt ist, woher das B. seine Energie bezieht. Ja, es ist nicht einmal bekannt, mit welcher Art Energie es arbeitet. Bei diesen atemberaubenden Fähigkeiten wundert es nicht, dass am Markt kein einziges Exemplar erhältlich ist. So nährt sich auch das Gerücht, dass das B. ein mediales Konstrukt ist.
B-Leuchter n der
Das Nomen B. ist eine der Personenbezeichnungen auf -er, die bisher selten gegendert werden. Das hängt natürlich mit einer starken Tendenz der Genderererinnen zusammen. Das Wort B. sollte das depravierende Armleuchter (das übrigens auch kaum gegendert wird) ersetzen.
Es sollte aber dennoch ganz ähnlich verwendet werden und wird auch so verwendet. Allerdings wird B. nicht in direkter Anrede oder gar zur direkten Beschimpfung gebraucht, sondern eher in beschreibenden, sich objektiv gerierenden Texten:
werden hier als [...] B. [... und . . .] bezeichnet
heißt es [sind] alles B.
hier werden Gefühle grandiosen B.n verpasst
schöner zu leben|Leben mit meinem kleinen B.
Dädä n das
Das D. ist eine bösartige Variante des DADA. Während im DADA junge kreative Dichter mit und gegen alte Formen und Normen spielten, geht es im D. mehr zurück und inhaltlich gegen bestimmte demokratische Überzeugungen und ganze Bevölkerungsgruppen. Während der DADA mitten im ersten Weltkrieg dessen Ideologen auf die Schippe nahm – wohlgemerkt per Ironie und Übertreibung – geht es im D. eher umgekehrt. Während Dadaisten mit Verlachern destruieren wollten, zeigen Dädäisten ihre Zähne zu anderen Zwecken. Sie sind bissig und möchten gern beißen. Aber gottseidank gehören viele von ihnen schon zu den älteren Zahnlosen. Diese alten Altvorderen tragen auch schon mal ein klapperndes Gebiss. Daran sind sie dann öfter gut zu erkennen.
Der dädäistische Zentralrat hat auf seine Fahnen geschrieben:
Vereinigung aller übernationalen Nationalisten
Befreiung von Arbeit und Reichtum für alle
Einrichtung von mindestens einem Heldengedenkpfad in allen Städten mit mehr als 1k Einwohner
Einer ihrer Slogans lautet: «Rausländer aus!» Wir wollen eine reine vergangene Zukunft, wie sie nie war.
dämonstrieren v itr
Es gibt kaum ein Wort, das mehr schillert in seiner Bedeutung als d. So kann selbst ein Wörterbuch keine klare Bedeutung angeben und muss sich auf Hinweise beschränken. Die Hinweise basieren auf den Ingredienzien: