Die Autoren

Benjamin Derin – Foto © Carsten Koall

Benjamin Derin ist Rechtsanwalt in Berlin und insbesondere in den Bereichen Strafverteidigung und Verfassungsrecht tätig. Er ist langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Tobias Singelnstein und beschäftigt sich dort v.a. mit Forschung zu Polizei, Strafrecht und Gesellschaft. Er ist Redakteur der Zeitschrift "CILIP - Bürgerrechte und Polizei" und Autor diverser Fachpublikationen und allgemeiner Veröffentlichungen zu den Themen Grundrechte, Polizei und Strafverfahren.

Tobias Singelnstein – Foto © Carsten Koall

Prof. Dr. Tobias Singelnstein ist Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Uni Bochum und u.a. Leiter der Studie "Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen". Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Kriminologie (u.a. soziale Kontrolle und Gesellschaft, Polizei und Justiz, Sicherheitsforschung) sowie im Strafrecht. Er führt verschiedene Forschungsprojekte durch und leitet seit 2018 den weiterbildenden Masterstudiengang "Kriminologie, Kriminalistik und Polizeiwissenschaft". Er ist Mitherausgeber von Fachzeitschriften und Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung. 2020 wurde er als Mitglied für das Fach Kriminologie in das Fachkollegium Rechtswissenschaft der DFG gewählt.

Benjamin Derin und Tobias Singelnstein

Die Polizei: Helfer, Gegner, Staatsgewalt

Inspektion einer mächtigen Organisation

Ullstein

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ISBN: 978-3-8437-2718-1

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Einleitung

Im Ranking der vertrauenswürdigsten Institutionen in Deutschland landete die Polizei 2021 wie gewohnt weit vorne, nur knapp hinter den Ärzt:innen und sogar vor dem Bundesverfassungsgericht. Bei aktuellen Umfragen geben rund 80 Prozent der Befragten hierzulande an, großes oder sehr großes Vertrauen in die Polizei zu haben. Und auf die Frage nach dem Berufswunsch antworten viele Kinder nach wie vor: Polizist:in. Sie verkleiden sich an Fasching mit der blauen Uniform, und das Polizeiauto gehört zum Standardrepertoire im Kinderzimmer. Das freundliche Gesicht in Uniform gilt vielerorts als »Freund und Helfer«, die deutsche Polizei als eine der besten und zugleich demokratischsten der Welt.

Gleichzeitig demonstrierten im Juni 2020 Zehntausende unter dem Motto »Black Lives Matter« in deutschen Städten gegen Polizeigewalt und Rassismus. Hunderte skandieren auf Demonstrationen Parolen wie »Ganz Berlin hasst die Polizei«. Polizist:innen monieren sinkenden Respekt.

Und immer wieder kommt ein weniger freundliches Gesicht der Organisation zum Vorschein: Im März 2021 wird ein 19-Jähriger in Delmenhorst von zwei Zivilbeamten verfolgt, weil er auf einer Parkbank einen Joint geraucht haben soll. Sie bringen ihn zu Boden, setzen Pfefferspray ein und legen ihm Handschellen an. Er schreit vor Schmerz, während ein Polizist auf ihm kniet. Er warnt, dass er schwer Luft bekomme. Schließlich wird er in den Polizeiwagen geschleift und auf die Wache gebracht, wo er kollabiert. Tags darauf stirbt er im Krankenhaus. Im November 2021 kommt ein neues Sachverständigengutachten zu dem Schluss, dass der 2005 in einer Dessauer Gewahrsamszelle bei einem Brand ums Leben gekommene Oury Jalloh, der sich den Behörden zufolge trotz Fixierung selbst angezündet haben soll, mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Benzin übergossen und angezündet wurde. Die Kampagne »Death in Custody« hat in Deutschland seit 1990 insgesamt 203 Todesfälle von Schwarzen Menschen und anderen von Rassismus betroffenen Personen in Polizeigewahrsam oder durch polizeiliche Gewalt dokumentiert. Der Menschenrechtskommissar des Europarats und die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz haben sich besorgt über rassistisches Verhalten oder Racial Profiling in deutschen Polizeibehörden gezeigt und Handlungsbedarf angemahnt. 2017 wurde das »Nordkreuz«-Netzwerk aufgedeckt, in dem sich unter anderem Polizisten und Soldaten zusammengetan und Waffen und Munition gehortet haben, um nach dem von ihnen erwarteten Zusammenbruch des Staates am »Tag X« politische Gegner:innen zu töten. Nach Erkenntnissen des Bundesinnenministeriums besteht die Gruppe auch heute noch fort. Im Juni 2021 wird das SEK Frankfurt aufgelöst, nachdem dort rechte Chat-Gruppen bekannt geworden waren – wie seit 2020 schon in zahlreichen anderen Polizeieinheiten. Ende 2021 sorgen Berichte aus Köln für Entsetzen, wonach dortige Polizeibeamt:innen systematisch willkürliche Gewalt gegen Bürger:innen angewendet und verabredet haben sollen, sich dafür gegenseitig zu decken (»Dabei nehmen wir auf jeden Fall jemanden fest und machen jemanden kaputt«). Die Polizei als brutale Staatsgewalt.

Wie lassen sich diese Bilder miteinander vereinbaren? Wie kann erklärt werden, dass beide Sichtweisen in der Gesellschaft existieren und lautstark vorgetragen werden? Schließen sie sich aus? Wer hat recht: konservative »Hardliner« oder »Polizeihasser«? Tatsächlich beschreiben all diese Beispiele Aspekte derselben Organisation und geben Teile derselben Realität wieder – nur aus unterschiedlichen Perspektiven. Dass die Polizei beides in sich vereint, ist nicht leicht zu akzeptieren. Schließlich wollen wir wissen, woran wir bei dieser Organisation, der wir so viel Macht zugestehen, sind. Steht sie für Sicherheit und Menschenrechte oder für Gewalt und Überwachung? Handelt es sich um die »Prügelknaben« der Nation oder eine rechte Schlägertruppe? Ist sie überhaupt noch »unsere« Polizei (oder wessen sonst)? Die Verunsicherung ist entsprechend groß. Denn wem kann man vertrauen, wenn man der Polizei nicht mehr vertrauen kann?

Mancherorts wird mit harscher Abwehr auf Kritik an der Polizei reagiert: Sie sei ungerechtfertigt, Probleme allenfalls Einzelfälle, verschuldet durch schwarze Schafe, Eskalationen doch meist von anderen provoziert. Polizeigewerkschaften und manche Politiker:innen werden nicht müde, immer wieder zu betonen, dass es keine Polizeigewalt gebe und kein Problem mit Rassismus. Doch das stimmt nicht. Die Probleme sind da, und sie sind ziemlich grundsätzlicher Natur.

Andere Menschen sind empört darüber, dass die offensichtlichen Schattenseiten der Polizei wegdiskutiert werden, manche sehen in ihr gar eine Institution ausschließlich im Dienste der Herrschenden zur Unterdrückung von Armen, Migrant:innen und politischen Gegner:innen. Neben den hohen Vertrauenswerten steht auch eine andere Wahrheit: 80 Prozent der Befragten meinen, dass die Polizei ein Problem mit Rassismus hat, fast drei Viertel sehen ein Gewaltproblem. Die Mehrheit der Bevölkerung ist in Umfragen für die Einrichtung unabhängiger Beschwerdestellen zur Aufklärung polizeilichen Fehlverhaltens und hält eine Studie zu Rassismus in der Polizei für notwendig.

Der zunehmend kritische Fokus und die kontroversen Diskussionen sorgen in der Organisation für Irritation. Die negativen Schlagzeilen passen nicht zu ihrem Selbstbild als professionelle Polizei, die in den vergangenen Jahren eine massive Verjüngung und Akademisierung durchgemacht hat, inzwischen auch um personelle Diversifizierung bemüht ist und sich selbst schon mal als größte Menschenrechtsorganisation des Landes bezeichnet.1 Wie konnte dieses Unverständnis zwischen Polizei und Gesellschaft entstehen? Und wohin wird sich die Organisation in den kommenden Jahren entwickeln? Um diese Fragen zu beantworten, gilt es etwas tiefer einzutauchen.

Das Verhältnis von Polizei und Gesellschaft lässt sich nur ergründen, wenn wir auch ihre Funktion und Geschichte, ihr Innenleben und ihre Entwicklung in der jüngeren Vergangenheit in den Blick nehmen. Auf dieser Grundlage untersuchen wir Probleme wie Gewalt, Rassismus und Fehlerkultur, die Polizei und Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren in Atem gehalten haben.

Dabei stoßen wir nicht nur auf eine ungeahnt selektive polizeiliche Praxis, Ungleichheiten, die System haben, eine Organisation, die (k)ein Spiegel der Gesellschaft ist, und eine alles prägende Cop Culture. Wir erleben auch eine Institution, die einem starken Wandel unterworfen und auf der Suche nach ihrer Rolle ist. Denn mit dem Aufstieg eines neuen gesellschaftlichen Verständnisses von und Bedürfnisses nach Sicherheit und Prävention gewinnt auch die Polizei an Bedeutung. Sie bekommt mehr Aufgaben und verfügt heute über ein in der Geschichte der Bundesrepublik nie da gewesenes Repertoire an Eingriffs- und Überwachungsbefugnissen. Dabei entwickelt sich die Polizei von einer dienenden Teilgewalt im rechtsstaatlichen Gefüge zu einer eigenständigen und selbstbewussten Akteurin, die Einfluss auf Politik und gesellschaftliche Diskurse nimmt. Bedrohlich wird diese Entwicklung dort, wo Verselbstständigungstendenzen zunehmen, in deren Folge sich die Polizei externer Kontrolle zu entziehen versucht und sich dabei schleichend aus ihrer demokratischen Einhegung im Rahmen der Gewaltenteilung zu lösen droht. Und schließlich werfen wir die Frage auf, was eine Polizei aus Sicht der Gesellschaft eigentlich tun sollte und wie Antworten auf die diskutierten Entwicklungen und Probleme aussehen könnten. Ist vielleicht eine ganz andere Polizei möglich, oder gar ein Zusammenleben ohne Polizei denkbar?

Die derzeitige öffentliche Debatte wird der Komplexität der Organisation Polizei und ihrer gesellschaftlichen Rolle in vielerlei Hinsicht nicht gerecht. Und doch liegt die Antwort auch nicht einfach irgendwo in der Mitte. Dieses Buch ist kein Appell, »beide Seiten zu verstehen«, und nimmt keine vermittelnde Position ein. Ziel ist es, die Polizei in all ihren Widersprüchen zu betrachten. Dabei ergibt sich das Bild einer fundamental ambivalenten Organisation. Und es wird sichtbar, dass die Gesellschaft ihren Auftrag, sich Gedanken darüber zu machen, was für eine Polizei sie eigentlich möchte, (zu) lange Zeit vernachlässigt hat.