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Alfred Bekker, A.F. Morland, Pete Hackett | Meister des Horrors – Das zweite Buch

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Alfred Bekker: MURPHY UND DER KÖPFER

Alfred Bekker: Das Horror-Haus

Die Hexenmühle

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1877

Gegenwart

1877

Gegenwart

1877

Gegenwart

Vor hundert Jahren

Der Erstgeborene gehört dem Satan

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Alfred Bekker, A.F. Morland, Pete Hackett

Meister des Horrors – Das zweite Buch

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Vier Horror-Geschichten der Spitzenklasse!

Umfang: 300 Seiten

Grauenhafte Kreaturen der Finsternis, Widergänger aus dem Totenreich und übernatürliche Bedrohungen – darum geht es in den Horror-Geschichten dieses Buches.

Dieses Buch enthält folgende Horror-Geschichten:

Alfred Bekker: Murphy und der Köpfer

Alfred Bekker: Das Horror-Haus

A.F. Morland: Die Hexenmühle

Pete Hackett: Der Erstgeborene gehört dem Satan

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Ein CassiopeiaPress E-Book

© by Author , Titelbild Firuz Askin

© der Digitalausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

www.postmaster@alfredbekker.de

Alfred Bekker: MURPHY UND DER KÖPFER

Der Text wurde in alter Rechtschreibung belassen.

Alle Rechte vorbehalten

© 2003 by Author

© Digitalausgabe 2014  AlfredBekker/CassiopeiaPress, www.AlfredBekker.de

Postmaster@AlfredBekker.de

Ein CassiopeiaPress E-Book

Titelbild: Steve Mayer

––––––––

Mein persönliches Unglück begann damit, daß ich diesen Typ namens Murphy kennenlernte. Ich traf ihn im Drugstore, wollte mir gerade mein Chili bestellen. Dieser Murphy hatte auch Chili bestellt und schwitzte ganz erbärmlich. Und ich dachte noch: Muß so ein Fettkloß dermaßen viel Chili essen?

Ein großer korpulenter Mann war er. Mit roten Haaren.

Schon das hätte mich mißtrauisch machen sollen. Rote Haare haben eigentlich nur Iren. Und Iren mag ich nicht. Die meisten Leute hier in David's Grove, Illinois, haben eine Menge Vorurteile gegen irgend jemanden. Und ich mag eben keine Iren. Aber das ist Amerika: Jeder darf seine Meinung frei vertreten. Nebenbei bemerkt gibt es in David's Grove nicht einen einzigen Iren.

Dieser Murphy zählte nicht.

Der war auf der Durchreise oder sowas.

Und wohl auch kein richtiger Ire, sondern nur ein Typ mit rotstichigen Haaren und einem irren Blick. Ein Bekloppter, so dachte ich auf den ersten Blick.

Er sagte mir direkt ins Gesicht: "In dir ist das Böse!"

"Ey Scheiße, bist du von den Zeugen Jehovas oder was? Ich sitze hier und esse mein Chili und du Fettsack quatscht mich an!"

Murphy setzte sich auch noch meinen Tisch.

Er hatte seltsame Bemalungen an seinen Händen. Symbole.

Sahen aus wie igendwelche magischen Zeichen, wie man sie in Horror-Filmen sieht. Tätowierungen waren es wohl nicht.

Vielleicht glaubte ich auch nur nicht, daß dieser Fettsack in der Lage war, die damit zusammenhängenden Schmerzen auszuhalten.

Könnte man ja mal ausprobieren, dachte ich.

Ich kicherte.

Er blickte immer noch drein wie der Tiefsinn persönlich.

"Ich weiß, das Ende ist nahe und ich bin ein Scheiß-Sünder! Ich habe kein Herz für Behinderte und ich arbeite für eine Bank, die mit ihre Zinsen rechtschaffende Farmer um ihren Besitz..."

Ich brach ab.

Er holte ein Briefchen mit einem grauen Pulver hervor, ließ es auf den Tisch rieseln. Schlecht gewordenes Kokain, dachte ich. Hier in in St.David's gab es keine Kokaindealer.

Ich kannte das nur aus dem Fernsehen. Vielleicht war es auch nur gewöhnlicher Pfeffer, was der Typ da auf den Tisch rieseln ließ.

Etwas eigenartig war es schon.

Ich konnte es nicht erklären.

Diesen Mann umgab eine eigenartige Aura. Ja, Aura, ein anderes Wort fällt mir dazu nicht ein. Ich starrte ihn an, verfolgte jede seiner Bewegungen. Während mir mein Chili ins Gesicht dampfte und ich inzwischen genauso erbärmlich zu schwitzen anfing wie mein Gegenüber. Warum hast du nur gestattet, daß er sich hier hin setzt? fragte ich mich.

Warum hast du ihm nicht deutlicher gesagt, daß er sich verpissen soll. Schließlich ist das deine Mittagspause.

Deine einzige Pause am Tag und du verbringst sie mit einem Spinner. Seine Worte hallten in meinem Inneren wider. "Das Böse ist in dir!" hatte er gesagt.

Scheiße, er hat recht, dachte ich.

Und kicherte.

Das Kichern erstarb.

Murphy murmelte ein paar eigenartige Worte, die einer fremden Sprache zu entstammen schienen. Das Pulver entzündete sich, flämmte richtig auf. Und im nächsten Moment erstarb es. Ein Pentagramm war in das Holz des Tisches hineingerußt worden. "Ich wußte es", sagte Murphy.

"Geiler Trick!"

"Das Böse ist wirklich in dir. Es wird immer stärker werden. Ich wußte es schon, bevor ich hier her nach St. David's kam. Irgendwo mußte hier der Ursprung starker Energien sein."

Ich grinste krampfhaft.

"Wartet das UFO schon, um dich abzuholen? Wahrscheinlich irgendwo hinter dem Logan Peak, damit man es von der Stadt aus nicht sieht."

Er faßte meine Hand.

So fest, daß es schmerzte.

"Mein Name ist Murphy. Und ich kann dir vielleicht helfen."

"Danke, kein Bedarf..."

"Die üble Kraft wird stärker und stärker werden, bis sie dich ganz beherrscht, Billy..."

"Hey, ich habe dir meinen Namen nie gesagt!"

"Warte nicht bis der Dämon dich beherrscht..."

"Laß mich los!"

"...und die Kraft der Dämmerung von deinem Geist Besitz ergreift!"

"Mach dir mal lieber Sorgen um deinen eigenen Geist, Fettbacke. Aber der Trick mit dem Pulver, der war echt geil!"

"Belästigt dich der Kerl, Billy?" drang plötzlich eine autoritätsgewohnte Stimme durch den Raum.

Es war der County-Sheriff, der wohl nichts anderes wollte, als in diesem Drugstore zu essen.

Murphy ließ mich los.

Ich zog mir das Jackett glatt und lockerte den Schlips.

Ich glaube, ich bin der einzige Mensch in St. David's, der einen Schlips trägt, von meinem Boss in der Bank mal abgesehen.

"Schon besser", sagte der Sheriff.

"Wir werden uns wiedersehen", kündigte Murphy an.

"Du kannst mich mal!"

Murphy ging hinaus ins Freie, vorbei an dem Sheriff, vorbei an ein paar anderen Typen, die im Store herumlungerten und sich alles angesehen hatten. Er hatte sogar sein Chili stehen gelassen.

Für eine Weile sah ich Murphy nicht wieder.

Ich vergaß ihn sogar fast.

Nur aß ich jetzt nicht mehr im Drugstore, sondern in Bewley's Cafe. Und Chili mochte ich auch nicht mehr.

*

"Haben Sie schon gehört?" fragte mich Mrs. Cross, als sie an meinen Bankschalter trat. "Loretta ist verschwunden."

"Welche Loretta?" fragte ich.

"Wir haben doch nur eine Loretta hier im Ort. Loretta Grayson."

"Oh."

Es war keine besonders intelligente Antwort, das gebe ich zu, aber mir fiel halt nicht besseres ein. "Wie möchten Sie ihre fünfzig? So wie immer?"

"Wie immer", nickte sie. Manchmal hatte ich das Gefühl, daß sie nur in die Bank kam, um mit jemandem zu reden.

Deswegen hob sie ihre Rente in Fünfzig-Dollar-Raten ab. Wenn man so darüber nachdachte, dann war es schon ziemlich traurig.

Sie fing wieder an, von Loretta zu reden, obwohl ich gehofft hate, daß sie damit aufhören würde. Aber die Sache schien Mrs. Cross ziemlich zu beschäftigen.

"Was denken Sie darüber?"

"Ich weiß nicht."

"Man hört jetzt soviel von diesem Wahnsinnigen. Sie wissen schon..."

"Hm."

"Ich meine den, der seinen Opfern den Kopf abhackt..."

Die Sache hatte groß in der Zeitung gestanden. Fünf Leichen, alle geköpft. Die Köpfe hatte man nie gefunden.

"Sie haben sie doch ganz gut gekannt, oder?"

"Wen?"

"Loretta! Oh, Gott, jetzt rede ich schon in der Vergangenheit von ihr!"

Ich sagte: "Machen Sie sich keine Sorgen um Loretta."

"Meinen Sie?"

"Ja."

"Ganz bestimmt?"

"Ja. Ich habe sie heute morgen noch gesehen."

*

Ich war ziemlich müde, als ich nach Hause kam. Das Haus hatte ich geerbt. Für mich allein war es viel zu groß, aber streng genommen lebte ich auch gar nicht allein. Das Haus war immer voller Freunde.

Immer.

Ich atmete tief durch, als ich die abblätternde Fassade sah. Mein Gott, das Haus brauchte mal wieder einen Anstrich.

Vielleicht im nächsten Frühjahr.

Vielleicht...

Ich schloß die Tür auf.

"Hallo?" rief ich. Dann legte ich den Schalter um. Der Strom ging an. Das Licht auch.

"Loretta?" fragte ich. Sie hatte die Augen geschlossen. Sie sah so friedlich aus, wenn sie die Augen geschlossen hatte. Ich ging zum Tisch, wo ich meine Apparatur aufgebaut hatte und legte einen Hebel um.

Etwas surrte.

Und es stank ein bißchen verschmort.

Loretta machte die Augen auf.

"Schön, daß du wieder da bist?"

"War anstrengend heute in der Bank."

"Hat dir Mister Bascomp wieder zugesetzt?"

"Dieser Mann ist die personifizierte Nervensäge!"

"Mach dir nichts draus, Billy."

"Tu ich nicht."

"Irgendwann liegt Mister Bascomp unter der Erde und du bist Direktor!"

Ich zuckte die Achseln und machte ein ziemlich skeptisches Gesicht.

"Der ist ziemlich zäh."

"Du doch auch, oder?"

"Naja, geht so!"

Dann zischte es und ich fluchte vor mich hin. Weißer Qualm stieg auf. In meiner Apparatur gab es einen Kurzen. Loretta schloß die Augen. Sie schloß die Augen, als würde sie sagen wollen: "Welcher erwachsene Mann verbringt seine Zeit schon damit, solche Apparaturen zu bauen?" Aber sie sagte es nicht. Und sie sagte auch nicht, daß ich mit dem Zeug auf dem Tisch vermutlich irgendwann mir selbst das Dach überm Kopf anzünden würde...

Sie sagte nichts.

War auch am besten so. Aber das war das Gute an ihr. Sie wußte einfach, wann sie den Mund halten mußte.

Von vielen kann man das nicht sagen.

*

Am nächsten Tag stand etwas von einer Leiche in der Zeitung.

Sie war ganz in der Nähe in einem Maisfeld gefunden worden.

Und sie hatte keinen Kopf.

Die ganze Gegend sprach darüber.

Auch Dorothy, die in Bewleys Cafe arbeitete, wo ich jetzt immer in der Mittagspause hinging. Da ich meine Pause erst machte, als die Mittagszeit schon längst vorbei war, hatte sie Zeit, sich zu mir zu setzen.

Wir waren die einzigen in dem Laden.

"Ich frage mich, was er mit den ganzen Köpfen macht", sagte sie.

"Wer?"

"Na, der Verrückte!"

"Woher weißt du, daß es ein Mann ist?"

Sie zuckte die Achseln. "Habe ich einfach so angenommen.

Übrigens habe ich gehört, daß die Tote Loretta Grayson sein soll."

"Ach, ja? Wie will man das sagen - ohne Kopf?"

"Ihre Sachen gehörten Loretta."

"Naja..."

"Furchtbar sowas."

"Schlimm."

"Willst du noch einen Kaffee, Billy?"

Ich hob die Schultern. "Sicher." Ich war irgendwie müde.

Ein bleiernes Gefühl hatte sich in mir breitgemacht. Es ging von meinem Kopf aus, begann irgendwo hinter der Stirn und es dauerte gar nicht lange, dann war es bis in die Zehenspitzen vorgedrungen.

"Ich würde dich gerne mal besuchen, Billy."

"Heute besser nicht."

"Wieso nicht?"

"Heute paßt es schlecht."

"Vielleicht komme ich einfach mal vorbei ja?"

"Ich weiß nicht..."

*

Als ich wieder zu Hause war, war mir klar, daß ich Loretta nicht wieder hinkriegen würde. Ich experimentierte noch etwas mit den Drähten herum, die ich an ihrem Kopf angebracht hatte. Über feine elektrische Impulse ließen sich die Augenlider und der Mund öffnen und schließen. Sie schien dann so lebendig, auch wenn ihre Gesichtszüge manchmal etwas maskenhaft wirkten. Ich vermied daher, sie grellem Licht auszusetzen. Man muß die Dinge nicht so genau sehen. Muß man wirklich nicht. Sie war da. Loretta. Einfach da. Eine Gefährtin. Sie konnte auch den Mund halten. Habe ich das schon erwähnt? Ich weiß nicht...

Traurigkeit erfaßte mich.

"Was ist los, Billy?"

"Ich weiß es nicht."

"Warum ist da immer dieser weiße Qualm?"

Ich schluckte. "Ich krieg' das schon hin, Loretta."

Eine Lüge.

Als der weiße Qualm erneut aufstieg, schaltete ich die Apparatur ab. Schade, dachte ich. Du wirst mir fehlen.

"Was?"

"Nichts."

Der bleiche, tote Mund verstummte.

Ich ging zum Kühlschrank, fragte mich, was ich verkehrt gemacht hatte und nahm mir eine Dose Budweiser. Das Bier war warm. Scheiße. Ich hatte nicht daran gedacht, daß ich den Stecker herausgezogen hatte, um die Steckdose für meine Apparatur nutzen zu können. Ich schlürfte die warme Brühe, machte den Fernseher an, hörte aber nicht richtig zu.

Beim nächsten Mal mache ich es besser, dachte ich. In Gedanken ging ich die gesamte Schaltung nocheinmal durch.

Ich sah dabei zu Loretta hinüber.

Zu ihrem Kopf.

Irgendein Schleim tropfte unten aus der Öffnung am Hals, die ich eigentlich mit einer Polyester-Dichtung verstopft hatte.

*

Es war fünf Uhr nachmittags, als Dorothy kam.

"Hi."

"Hi..."

"Ich dachte, ich komme mal vorbei."

"Tja..."

"Komme ich ungelegen?"

"Nein, aber..."

Ich hielt sie zurück, als sie an ihm vorbeigehen wollte.

Sie sah mich an. "Hast du Besuch?"

"Quatsch."

"Was ist dann los?"

"Ich muß eben was wegräumen, Dorothy. Dann kannst du reinkommen, okay?"

"Irgendwie riecht das komisch bei dir da drinnen..."

"Ich habe gebastelt. Mit Polyester... Warte hier, ja?"

"Okay", seufzte sie.

Ich wußte nicht, wohin ich Lorettas Kopf so schnell hintun sollte. Ich packte ihn schließlich in den Mülleimer. Die Klappe ging nicht richtig zu. Ich mußte ihn ziemlich quetschen.

Die Apparatur ließ ich so stehen, wie sie aufgebaut war.

Es hätte zuviel Arbeit gemacht, alles von neuem zu verkabeln. Nur die Blutflecken wischte ich weg. Und diesen Schleim, der aus Lorettas Kopf herausgequollen war. Aber viel war davon nicht vorhanden.

Ich bin immer sehr reinlich.

Ich holte ich die Axt.

Der Puls schlug mir bis zum Hals.

Dorothy...

Sie hat ein schönes Gesicht, dachte ich. Und einen schlanken, langgezogenen Hals.

"Du kannst reinkommen, Dorothy!"

*

Wenn ein Hals nicht so stark mit Muskelsträngen bepackt ist, ist es immer etwas leichter. Meistens reicht dann ein einziger Axthieb. Bei Dorothy war es so.

Danach muß es schnell gehen. Sonst bluten sie aus wie ein geschächtetes Lamm.

Ich machte mich ans Werk. Den Körper konnte ich nicht gebrauchen, sondern nur den Kopf. Ihm galt meine ganze Sorgfalt. Ihm neues Leben einzuhauchen war mein Ziel.

Ich dachte an Murphy.

Ich dachte an seine Worte.

"Das Böse ist in dir!"

Ich fragte mich selbst manchmal, was für eine Kraft es war, die mich dazu trieb, es immer wieder zu tun. Mir war bewußt, daß es nicht aufhören würde. Nicht bevor mich jemand stoppte. Ich konnte nichts dagegen tun.

Es ist genau, wie dieser Fettsack gesagt hat, nicht wahr?

Ich wandte mich der praktischen Seite der Angelegenheit zu. Immer ein gutes Mittel, um Gedanken zu vertreiben.

Gedanken, die mir unangehnem sind. Gedanken, die einem nur den Schlaf rauben.

Ich nahm den Schädel, legte ihn auf den Tisch, strich die Haare zur Seite. Dorothys schönes Haar, das so angenehm duftete. Jetzt war der Geruch von dem des Blutes überdeckt.

Ich wollte etwas Polyester-Masse holen, um den Kopf von unten abzudichten. Ohne geht es nicht.

Da sah ich einen Schatten am Fenster.

Ein Gesicht.

Fett und bärtig.

Und mit roten Haaren.

Ich stieß unwillkürlich einen Schrei hervor.

Kurz und ächzend.

"Murphy!"

Aus Versehen stieß ich den Tisch an, der Kopf kam ins rollen, das Blut spritzte. Dorothys Schädel knallte auf den Boden. Ich dachte an die Risse im Schädelknochen, die ich abdichten mußte. Mist. Das schöne Haar würde ich nicht retten können. Ich hatte zwar ein paar Perücken zur Auswahl, aber trotzdem...

Schon das würde ich diesem Rothaarigen nicht vergessen können.

Ich nahm die Axt, rannte zur Tür.

Brauchte sie aber nicht mehr zu öffnen, denn sie flog gerade zur Seite.

Murphy hatte sie mit einem wuchtige Tritt geöffnet.Mit einer so kraftvollen Bewegung, wie ich sie dem Fettsack gar nicht zugetraut hatte.

Ich faßte die Axt mit beiden Händen, ließ sie durch die Luft wirbeln. Genau in Halshöhe meines Gegenübers. Aber dieser Murphy duckte sich mit erstaunlicher Behendigkeit unter meinem Schlag hinweg. Zu spät erkannte ich, daß er etwas in der Hand hielt. Eine Klinge. Einen Dolch.

Die Spitze fuhr in meinen Oberkörper hinein. Bis zum Heft trieb Murphy die Klinge zwischen meinen Rippen hindurch.

Ich sackte zusammen, schlug der Länge nach hin.

Es muss ein tödlicher Stich gewesen sein. Ich hatte das Gefühl, mich von meinem Körper zu lösen, ihn aus der Vogelperspektive zu sehen. Wie eine von der Materie ungebundene Seele betrachtete ich die Szenerie und schien dabei irgendwo an der Decke zu schweben.

Die Blutlache war immens.

Murphy beugte sich über mich, kniete nieder.

"Dies ist ein geweihter Dolch des ORDENS VOM WEISSEN LICHT, der dich getötet hat, Billy!"

Ich wollte antworten.

Aber kein Mund stand mir dazu noch zur Verfügung.

Eisiger Schrecken überkam mich bei der Erkenntnis, daß ich wirklich und wahrhaftig tot war.

"Du brauchst nichts zu sagen, Billy!" sagte Murphy. "Ich weiß, daß du mir jetzt bei meinem Werk zusiehst. Und ich weiß, daß du es verstehen wirst, was ich tat..."

Er berührte die Stirn des Toten.

Des Toten, der ich gewesen war.

Dann murmelte er eine Art Beschwörungsformel.

"Ktagonaet kretemboran helgun..."

Etwas Dunkles quoll aus der Nase des Toten heraus. Ein stöhnender, schmerzerfüllter Laut ertönte. Erst klang es wütend, dann wimmernd. Wie Rauch sah dieses herausquellende Etwas aus. Es verflüchtigte sich schließlich innerhalb von Augenblicken.

WAR DAS DIE KRAFT DES BÖSEN IN MIR? fragte mein Bewußtsein. Ein Gedanke, keine Worte.

Murphy erhob sich, blickte suchend empor.

"Ja", sagte er. "Ein Dämon der Dämmerung... Aber seine Seele hat sich verflüchtigt. So wie es auch mit der deinen in Kürze geschehen wird..."

Mein Astralbewußtsein blickte auf den toten Körper, der einst ich gewesen war.

Und in den Gesichtszügen des Erstochenen sah ich jetztetwas, das mich überraschte.

Fast ein Lächeln.

Ein Ausdruck des tiefempfundenen Friedens. 

Alfred Bekker: Das Horror-Haus

Horror-Roman

© by Alfred Bekker

www.AlfredBekker.de

www.Postmaster@AlfredBekker.de

––––––––

Er schwebte in einen Zustand zwischen Existenz und Nicht-Existenz. Sein Körper war tot, moderte unter dem heißen Sand einer fernen Welt vor sich hin. Einer Welt, an deren Himmel zwei Monde standen.

Sein Körper zerfiel, aber sein Geist war noch lebendig.

Erfüllt von blanker Verzweiflung.

Verzweiflung über die eigene Kraftlosigkeit.

Er wußte, daß seine Kräfte schwinden würden. Daß auch sein Bewußtsein sich früher oder später in Nichts auflösen würde. Auch wenn er sich noch so sehr dagegen wehrte. Er klammerte sich auf eine Art und Weise an das Leben, wie man es bei einer besonderen Untergattung im Reich der Toten immer wieder beobachten konnte.

Die Rede ist von den Ermordeten.

Es war der Haß, der sein Bewußtsein vor Auflösung bewahrte. Es zwang, sich nicht zu verflüchtigen, sondern zumindest auf astraler Ebene eine Einheit zu bilden.

Hin und wieder kehrte er auf die Erde zurück. Überwandt dabei Raum und Zeit. Einen Abgrund der Unendlichkeit, erfüllt vom Mahlstrom der Sterne.

Und Kälte. Und dem Nichts. Dem absoluten Nichts.

Aber es waren nicht mehr als schwache mentale Signale, die die Erde erreichten. Signale, die zwar die Abgründe von Zeit, Raum und allen anderen denkbaren Dimensionen spielend leicht zu überwinden vermochten, aber zu schwach waren, um wirklich manifest werden zu können.

Abgesehen von Spuren.

Spuren, die besonders Begabte flüchtig wahrzunehmen vermochten.

Bestenfalls.

Sein Name war Jay Darrington.

Man hatte ihn den Magier genannt.

*

Wir waren auf der Flucht.

Es war kalt und dunkel.

Der Geruch von feuchtem Moder stieg einem penetrant in die Nase und das Gefühl der Furcht kroch mir den Rücken hinauf und ließ mich frösteln. Meine Hände tasteten über die kalten, etwas feuchten Wände dieses Tunnels, der geradewegs in die Unendlichkeit zu führen schien.

Ins Nichts.

Ich spürte, wie mir das Herz bis zum Hals schlug. Das unangenehme Gefühl, gefangen zu sein, mischte sich mit der Ahnung, an einer Grenze zu stehen.

Eine Grenze in ein mysteriöses Schattenreich...

Namenloses Grauen lag hinter uns, aber das was vor uns lag war sicher nicht beruhigender...

Schauder hatte mich erfaßt.

"Ich frage mich, was am Ende dieses Tunnels liegt", hörte ich Mike Blane sagen, meinen Lebensgefährten. Man nannte ihn den Dämonenjäger. Offiziell agierte er als Privatdetektiv. Er umfaßte den Mana-Kristall, mit dessen Hilfe er magische Energien zu orten vermochte.

Das Amulett leuchtete.

Ein untrügliches Zeichen.

"Ich habe keine Ahnung", flüsterte ich.

Mike hatte eine kleine Taschenlampe dabei, die neben dem Mana-Kristall unsere einzige Lichtquelle war.

Der Schein der Lampe fiel kurz auf das Gesicht der dritten Person, die mit Mike und mir hier unten in diesem düsteren, verliesartigen Tunnel war. Es war eine Frau mit bleichem Gesicht und rotgeränderten Augen. Ich kannte sie nicht und im nächsten Moment war sie auch wieder nichts weiter als ein schattenhafter Umriß. Aus ihren Augen hatte die nackte Furcht geleuchtet.

"Hey, was ist das?" hörte ich Mike. "Das gibt's doch nicht..."

"Was ist los?"

Plötzlich war es völlig dunkel. Das Licht war weg und ich fühlte mich wie eine Blinde.

"Mike?"

Keine Antwort.

Ich aktivierte meine magischen Sinne.

Ohne Erfolg.

Nichts als Dunkelheit lag vor mir und ein kühler Hauch wehte zu mir herüber. Ich fühlte kalten Schweiß auf der Stirn und im nächsten Moment hörte ich den gellenden, furchtbaren Schrei einer Frauenstimme, der mir durch Mike und Bein ging.

Ich schloß die Augen, obwohl das in diesem Augenblick keinen Unterschied machte.

*

"Nein!"

Ich fühlte den Griff kräftiger Hände um die Schultern, die mich festhielten und schüttelten.

Dann drang erneut ein furchtbarer Schrei an meine Ohren und ich brauchte einige Sekunden, um zu registrieren, daß ich selbst es war, die da schrie.

Ich öffnete die Augen und versuchte mich dem Griff dieser unsichtbaren Hände zu entwinden.

Vergeblich.

Dann sah ich, wie sich vor mir, aus dem Halbdunkel eine Gestalt herausschälte. Es war ein Mann.

Ich schluckte, rang nach Atem und wurde dann langsam etwas ruhiger.

"Jane!" sagte die Gestalt. "Jane!"

Der Klang dieser Stimme war mir vertraut und beruhigte mich tatsächlich ein wenig.

Jemand schüttelte mich.

Es war niemand anderes als mein Lebensgefährte Mike Blane. Ich befand mich in seiner Londoner Wohnung.

In Sicherheit.

"Du hast geträumt, Darling! Du hast nur geträumt!" hörte ich ihn sagen und langsam begriff ich, daß er recht hatte. Ich saß aufrecht in meinem Bett, während von draußen das Mondlicht hereinfiel und alles in ein fahles, gespenstisches Licht tauchte.

Die angsteinflößenden Traumbilder standen mir noch immer lebhaft vor Augen. Ein leichtes Zittern durchfuhr meinen ganzen Körper.

"Es ist vorbei!" hörte ich Mike mit beschwörender Stimme sagen. "Hörst du mich, Jane? Es ist vorbei!"

"Ich weiß!" flüsterte ich.

Mike musterte mich. In seinen Augen spiegelte sich der Mond.

"Es war einer jener Träume, die mit deiner Begabung als Schamanin zu tun haben, nicht wahr?"

Es war keine wirkliche Frage, was da über Mikes Lippen kam, sondern bereits eine halbe Feststellung.

"Ich weiß nicht", sagte ich. "Vielleicht war es einfach nur ein Alptraum."

"Dann hätte er dich kaum derart mitgenommen."

Ich atmete tief durch und erhob mich. Zunächst ging ich zum Fenster, blickte hinaus und wandte mich dann ein paar Schritte seitwärts, um den Lichtschalter zu betätigen.

Ich kniff die Augen zusammen, als das Licht anging und mir grell in die Augen schien.

Es schmerzte ein wenig, aber es war gut so, denn nun hatte ich das Gefühl, endgültig der furchtbaren Schattenwelt meines Alptraums entronnen zu sein.

"Habe ich sehr laut geschrieen?" fragte ich.

Mike nickte.

"Ja."

"Tut mir leid, aber es war alles so..." Ich zögerte und suchte nach dem richtigen Wort. "...so real!" vollendete ich schließlich. "Ich hatte das Gefühl, daß es wirklich geschah!"

Mike hatte sich jetzt ebenfalls erhoben. Sie sah mich und fragte: "Willst du mir erzählen, was in deinem Traum geschehen ist?"

"Du denkst, daß es eine Bedeutung hat, nicht wahr?"

"Ja, Jane."

"Es war wenig konkret. Wir waren in einem sehr dunklen, unendlich langen Tunnel..."

"Wer noch, außer dir?"

"Du und eine Frau, die ich nicht kannte. Aber es ist seltsam."

Mikes Augenbrauen gingen hoch und er sah mich fragend an. "Was war seltsam?" wollte er wissen. Anscheinend wollte er um jeden Preis verhindern, daß eine Einzelheit dieses Traums verloren ging und in Vergessenheit geriet, bevor ich sie ihm erzählt hatte.

Ich atmete tief durch. "Sie kam mir irgendwie bekannt vor und doch wußte ich nicht, wer sie war. Es war eine junge Frau, aber sie sah nicht sehr gut aus.

Sie wirkte unendlich müde und krank und hatte rotgeränderte Augen. Und sie schien große Angst zu haben..."

"Was passierte?"

"Das Licht ging aus. Und dann hast du mich geweckt."

"Hm", machte Mike. Ich ließ mich derweil in einen Sessel fallen. Langsam wurde ich wieder ich selbst. Die Gegenstände dieses Zimmers, Mike... Alles war vertraut.

Ich gähnte.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, bislang noch überhaupt nicht geschlafen zu haben.

"Ich sollte mich jetzt wieder hinlegen", meinte ich schließlich.

Mike wirkte äußerst nachdenklich. Sein Gesicht war sehr ernst.

"Jane...", begann er und wenn er das in diesem Tonfall sagte, dann wußte ich, daß er mir etwas unangenehmes sagen wollte, aber nicht so recht wußte, wie er das anfangen sollte.

"Mach dir keine Gedanken, Mike! Es war nur ein Traum. Ganz bestimmt."

Mike wirkte in sich gekehrt. "Ein dunkler Tunnel, das Licht geht aus... Und ein bleiches Frauengesicht mit rotgeränderten Augen..."

Er sah mich an und in seinen Zügen stand echte Besorgnis. Auf einmal steckte mir ein dicker Kloß im Hals. Mike brauchte mir nicht zu sagen, was er dachte, ich wußte es auch so. Die Symbolik des Traums lag auf der Hand. Es war gut möglich, daß es sich um eine Todesahnung handelte...

"Was macht dein Mana-Kristall?" fragte ich. "Irgendein Anzeichen für Magie?"

Mike berührte leicht das wie ein Auge geformte Amulett, das ihm um den Hals hing. Er schüttelte den Kopf.

"Nein."

"Keine Reaktion?"

"Keine Reaktion."

"Dann ist dieser Traum vielleicht gar nicht so ernst zu nehmen, Mike."

"Wollen wir's hoffen!"

*

Am nächsten Morgen fühlte ich mich unausgeschlafen und zerschlagen.

Mike hatte mir einen starken schwarzen Kaffee gemacht, der mich halbwegs wieder auf die Beine brachte.

"Manchmal verwünsche ich die Gabe, mit der du geboren bist, Darling", sagte er dann plötzlich in die Stille hinein.

"Mike! Keiner von uns weiß, ob dieser Traum wirklich etwas zu bedeuten hat - oder ob es sich um einen ganz gewöhnlichen Alptraum handelt, der jeden von Zeit zu Zeit mal heimsucht. Du glaubst, daß dieser Traum meinen Tod ankündigt, nicht wahr?"

Mike atmete tief durch. Er sah mich dabei nicht an und nickte dann.

"Ja", flüsterte er.

Mike Blane war als sogenannter Dämonenjäger natürlich auch ein Experte auf dem Gebiet des Übersinnlichen und des Okkultismus.

Seine Wohnung war angefüllt mit rätselhaften Artefakten aus aller Welt.

Darüber hinaus hatte er ein schier gigantisches Privatarchiv auf diesem Gebiet in all den Jahren zusammengetragen, das seltene Ausgaben längst vergessener Schriften ebenso enthielt wie Artikel aus der Presse.

Ich sah auf die Uhr an meinem Handgelenk. Mike und ich waren spät dran.

An diesem Morgen hatten wir einen Termin bei unserem gemeinsamen Freund Rob Berringer, seines Zeichens Chief Inspector bei Scotland Yard.

Es kam durchaus öfter vor, daß er mich auf Grund meiner immer mehr erwachenden weißmagischen Kräfte um Rat fragte. Dasselbe galt natürlich für Mike, der ihm schon oft bei Fällen mit übernatürlichem Hintergrund geholfen hatte.

"Wir müssen los", sagte Mike.

"Ja, ich weiß."

Ich trank den Kaffee aus und erhob mich. Aber bevor wir uns zum Yard aufmachten, nahm ich noch Mikes Hände.

"Mach dir keine Sorgen", sagte ich und versuchte dabei soviel Überzeugungskraft wie möglich in meine Worte zu legen. "Ich meine, was diese Träume angeht..."

"Das sagt sich so leicht...", entgegnete Mike.

Ich versuchte ein Lächeln.

"Unabhängig davon, was dieser Traum nun bedeuten mag, ich werde mein Leben so weiterleben wie bisher. Ich habe keine Lust dazustehen, wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange."

Ich wollte los, aber Mike hielt mich fest.

Er sah mir in die Augen und ich hatte in diesem Moment das Gefühl, vor dem Blick dieser Augen nichts verbergen zu können.

"Sei ehrlich zu mir", flüsterte Mike.

"Das bin ich. Und das weißt du!"

"Du hast diesen Traum heute nicht zum erstenmal gehabt, nicht wahr?"

Ich schluckte.

"Nein", kam es halblaut und mit belegter Stimme über meine Lippen.

Dieser düstere Todestraum verfolgte mich schon eine ganze Weile wie ein finsterer Begleiter meiner Nächte. "Manchmal fürchte ich mich schon davor, einzuschlafen..."

"Ich weiß", nickte Mike verständnisvoll.

"Aber zwischenzeitlich glaubte ich schon, es sei vorbei... Offensichtlich habe ich mich getäuscht."

Wenig später saßen wir in meinem Wagen und quälten uns durch die Rush Hour Londons. Wir waren spät dran und deswegen besonders ungeduldig.

Als ich die langen Korridore des großen Komplexes durchschritt, in dem Scotland Yard seine Büros hatte, war ich entfernt an die Szenerie meines Traums erinnert...

Ich fühlte, wie sich mir eine Gänsehaut über die Oberarme legte, obwohl hier gut geheizt wurde.

Als wir das Büro Rob Berringers betraten, war dieser gerade am Telefonieren. Mit nervösen Handzeichen begrüßte er uns und wies uns an, uns zu setzen.

Einen Augenblick später hatte er dann den Hörer auf die Gabel geknallt. In seinen Augen blitzte es, als er ein launiges "Guten Morgen", zwischen den Lippen hindurchquetschte.

"Habt ihr beide heute schon Nachrichten gehört? Oder vielleicht Zeitung gelesen?" knurrte er dann.

Mike und ich wechselten einen kurzen Blick.

Wir brauchten kein Wort zu wechseln, denn inzwischen kannten wir uns gut genug, um zu wissen, was der andere in dieser Sekunde dachte.

Ich schielte auf die Zeitung, die bei Rob auf dem Schreibtisch herumlag und versuchte, die Schlagzeilen auf dem Kopf zu lesen. VERSCHWAND

TV-TEAM IM DIMENSIONSTUNNEL? konnte ich da unter anderem lesen.

Rob sah meinen Blick, der am Bild eines bärtigen, langhaarigen Mannes hängen blieb und drehte mir das Blatt herum.

"Das ist Jay Darrington - oder besser: das war er. Ist euch der Name ein Begriff?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Nein", mußte ich zugeben.

"Jay Darrington war Parapsychologe und Anführer einer obskuren Hippie-Sekte, die sich KINDER VON NGOLU nannte und sich in Small Junction, New Mexico in einem alten Haus niederließ. Darrington ist allerdings Brite.

Seine Sekte trieb zunächst in Cornwall ihr Unwesen, bis ihm das UK zu heiß wurde und er die Sektenzentrale in die USA verlegte. Das hat leider den Nachteil, daß ich nicht mehr an ihn herankomme..."

"Verstehe", sagte ich.

Rob Berringer fuhr fort: "Darrington glaubte, daß man mit Drogen das Bewußtsein erweitern könne, aber für die meisten, die das praktizierten, endete es wohl darin, daß sie den Verstand verloren und völlig auf den Hund kamen. Die Opfer - von Mitgliedern zu sprechen ist schon fast vermessen -

waren schließlich nicht nur seelisch von ihrem Sektenchef abhängig, sondern auch körperlich, weil sie nur durch ihn an ihre Drogenration kommen konnten."

"Es ist immer dasselbe", meinte Mike. "Eigentlich sollte man denken, daß es genug abschreckende Beispiele gibt, als das noch irgend jemand auf so etwas hereinfallen würde..."

Rob Berringer zuckte die Achseln und fuhr dann fort:

"Außerdem war die Sekte dafür bekannt, obskure Psi- Experimente anzustellen. Darrington befaßte sich auch noch mit schwarzer Magie und ließ fast kein Gebiet des Ungewöhnlichen und Unerklärlichen aus. Er behauptete, seine Befehle direkt von Ngolu, einem Wesen aus einer anderen Dimension zu empfangen und dessen Werkzeug zu sein... Naja! Der springende Punkt ist ein anderer."

"Welcher?" fragte Mike, eine Spur vorwitziger, als Rob Berringer das leiden konnte.

"Vor sechs Jahren verschwand Darrington spurlos", erklärte Stone. "Über die Jahre verschwanden auch immer wieder Sektenmitglieder. Die KINDER

VON NGOLU verließen das ursprüngliche Domizil der Sekte und gründeten in der Nähe ein neues Zentrum.

Das alte Gebäude sei nun ein Ort, an dem die Verschwundenen - nun als Auserwählte bezeichnet - als Geistwesen lebten. Und seitdem soll es dort spuken. Über die Jahre hinweg hat es dort immer mal wieder rätselhafte Vorfälle gegeben... Aber der Merkwürdigste ereignete sich gestern."

Rob Berringer machte ein bedeutungsvolles Gesicht und wandte den Blick kurz zwischen mir und Mike hin und her. Unsere erwartungsvolle Aufmerksamkeit schien er geradezu ein bißchen zu genießen.

"Das verschwundene TV-Team", schloß ich.

Rob nickte.

"So ist es. Das Kamerateam eines regionalen Senders hat im Umkreis der Sekte recherchiert und sich natürlich auch dieses mysteriösen Spukhauses angenommen. Mike Hogan, der Chef des Teams, plante eine längere Dokumentation, aber hielt es wohl für einen gelungenen Gag, zwischendurch mit einer Live-Schaltung an den Sender zu gehen. Das ganze war in eine Unterhaltungssendung eingeflochten und solle eigentlich nur eine Art Gag sein... Ich will euch mal die Bilder zeigen, die es heute im Frühstücksfernsehen darüber zu sehen gab!"

Berringer deutete mit dem ausgestreckten Arm auf einen Videorecorder, den er in einer Ecke seines etwas chaotisch wirkenden Büros aufgestellt hatte.

Er kramte etwas umständlich die Fernbedienung unter einem Aktenstapel hervor, der dabei fast zu Boden rutschte und schaltete den Rekorder ein.

Mike Hogan meldete sich aus dem Keller des mysteriösen Spukhauses. Es war nicht viel zu sehen, weil die Beleuchtung schlecht war.

"Keine Ahnung, was hier ist", meinte der Reporter mit einem Grinsen.

"Aber wir lassen uns einfach mal überraschen! Viel sehen können wir hier nicht. Es ist eine Art Tunnel oder Gang... Ich hätte nicht gedacht, daß dieses Haus einen derart weitläufigen Keller hat! Aber da sieht man mal wieder, wie sehr man sich täuschen kann..."

Wenig später fiel dann die Kamera aus. Weder Hogan, noch sein Kameramann, die sich weiterhin über Mikrofone bei ihrem Sender meldeten, hatten dafür eine Erklärung.

Auch die Tonverbindung schien nach und nach schlechter zu werden.

Rauschen mischte sich in die Stimme des Reporters, dessen Witze schon nicht mehr ganz so unbefangen klangen. "Man sollte den Hersteller dieser Kamera verklagen!" meinte er. Und wenig später: "Dieser Gang scheint überhaupt kein Ende zu haben..."

"Meine Uhr geht nicht mehr!" meinte der Kameramann, der nun keine Aufgabe mehr hatte, außer seine Kamera zu tragen, mit der offensichtlich etwas nicht stimmte.

"Was hast du denn für eine Uhr, Jack?"

"Eine billige Digitaluhr aus dem Kaufhaus - aber daß sie so schnell ihren Geist aufgibt hätte ich nicht gedacht, Mike!"

"Scheint, als wäre hier ein starker Sender oder ein Magnetfeld. Schau mal, unser Recorder spielt verrückt..."

"Aber Hochspannungsleitungen oder so etwas gibt's doch hier draußen gar nicht..."

Dann brach zum ersten Mal der Kontakt ab. Ab und zu waren noch Bruchstücke einzelner Wörter zu hören, aber mehr nicht. Für wenige Sekunden wurde der Empfang dann noch einmal besser und in diesen Augenblicken hatte Hogan gerade noch Gelegenheit, zu sagen, daß er nicht wisse, wo sie sich befänden.

Furcht klang jetzt aus der Stimme des Fernsehreporters.

Dann brach der Kontakt endgültig ab.

Rob Berringer schaltete den Recorder aus. "Diese Bilder sind von gestern Abend. Das Haus ist von der Polizei durchsucht worden, aber von dem Kamerateam hat sich keinerlei Spur gefunden." Er atmete tief durch. "Eine Sache habe ich euch noch nicht gesagt. Mike Hogan ist ein persönlicher Freund. Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Aber ich kann hier nicht weg..."

"Wenn ich recht verstehe, sollen wir so schnell wie möglich über den großen Teich jetten und der Sache auf den Grund gehen", meinte Mike.

Rob Berringer nickte.

"Ja, kann man so sagen. Ich habe mit dem Sender gesprochen. Er würde dafür aufkommen, wenn ich einen geeigneten Privatermittler fände..."

Mein Blick war von etwas ganz bestimmtem wie gefangen.

Fast wie in Trance nahm ich die Zeitung von Rob Berringers Schreibtisch herunter und sah mir das Bild von Jay Darrington noch einmal an.

Die Augen lagen tief und entfalteten selbst auf dieser unscharfen Schwarzweiß-Fotographie immer noch etwas, das man nur als eine Art inneres Leuchten bezeichnen konnte. Guru, Magier, Parapsychologe und Befehlsempfänger eines Wesens, das in einer fremden Dimension beheimatet war. Vielleicht war Jay Darrington ein Verrückter gewesen, aber seine Persönlichkeit mußte auch eine schillernde Seite gehabt haben, sonst hätte er unter seinen Anhängern nicht dieses Maß an Faszination erzeugen können.

Aber der Grund, weshalb ich mir dieses Bild noch einmal ansah - ansehen mußte! - war ein anderer.

Im Hintergrund waren einige der Anhänger des selbsternannten Magiers zu sehen. Die Gesichter hatten eine künstlich wirkende Seeligkeit an sich und schienen seltsam entrückt. Sie waren weiß gekleidet und langhaarig. Entfernt erinnerten sie an Engel.

Eines der Gesichter erkannte ich und die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag vor den Kopf.

Ich schluckte und hatte das Gefühl, als ob sich eine kalte, glitschige Hand auf meinen Rücken legte.

"Nein", flüsterte ich, während namenlose Todesangst meine Seele in ihren eisigen Griff zu nehmen begann.

"Was ist los mit dir, Jane?" drang Robs Stimme durch diesen Nebel aus Furcht und Entsetzen in mein Bewußtsein und riß mich für den Moment aus dieser düsteren Stimmung wieder heraus.

"Es ist nichts", sagte ich.

Aber das war eine Lüge.

Ich konnte einfach noch nicht darüber sprechen.

Nicht in Robs Gegenwart.

Allenfalls Mike konnte ich mich anvertrauen.

Der Schrecken saß tief.

Eisige Schauder erfaßten mich.

Die Frau, deren Gesicht ich unter den Anhängern des Magiers gesehen hatte, war niemand anderes, als jene Frau, der ich in meinem Alptraum begegnet war...

Sie war auf dem Bild zwar jünger, aber ich war mir absolut sicher.

Es war das erste Mal, daß dieser Traum, der vielleicht eine Todesahnung war, eine Entsprechung in der Wirklichkeit fand. Und das machte mir Angst...

*

Mike buchte für uns einen Flug für den nächsten Morgen. Vorher war auf die Schnelle nichts zu bekommen.

Ich gedachte, unseren Aufenthalt auf der anderen Seite des Atlantiks so gut es ging vorzubereiten. Ich mußte alles in Erfahrung bringen, was über Jay Darrington und seine eigenartige Sekte in Erfahrung zu bringen gab. Das Pressearchiv der Times war dazu der geeignete Ort. Ich kannte dort eine Journalistin sehr gut, so daß man mir Zugang gewährte.

So verbrachte ich den Großteil des Tages unten, in den sogenannten Katakomben - dem Archiv des renommierten Londoner Blattes und versuchte alles zu sammeln, was es über Jay Darrington und seine merkwürdige Sekte gab.

Ich fand sogar ein Interview mit ihm, das er einer amerikanischen Tageszeitung gegeben hatte.

Darrington erläuterte darin seine seltsamen Vorstellungen. Immer wieder kam er auf den Punkt zu sprechen, der ihm der wichtigste zu sein schien.

Er behauptete, nicht im eigenen Auftrag zu handeln, sondern seine Befehle auf telepathischem Weg direkt von jenem Wesen aus einer anderen Dimension zu empfangen, das er mit dem kaum aussprechbaren Namen Ngolu bezeichnete.

Auf kritische Fragen des Interviewers ging Darrington kaum ein oder versuchte sie mit einigen seiner wohlformulierten Glaubenssätze hinwegzuwischen. So etwa, wenn er zu Vorwürfen befragt wurde, die von Gehirnwäsche und anderen fragwürdigen Praktiken sprachen.

Ich fand dann auch einige Zeitungsartikel, die sich mit einer Mordserie befaßten, die sich in der Gegend um Small Junction ereignete, kurz nachdem die Sekte sich dort niedergelassen hatte. Den Opfern waren seltsame, fremdartige Schriftzeichen auf die Stirn gemalt worden - Symbole, die auch bei den KINDERN VON NGOLU als magische Zeichen in Gebrauch waren.

Natürlich kam der Verdacht auf, daß irgendein Zusammenhang mit Darringtons Sekte bestand und schließlich verhaftete man einen offenbar Geisteskranken als Täter.

Der Mann hieß Ridley Donovan und war ein ehemaliges Mitglied der Sekte, was einem nur zu denken geben konnte.

Gleichgültig, ob es nun die Gehirnwäsche der Sekte oder ein Drogenexperiment gewesen war, das Donovan den Verstand gekostet hatte: Der Fall belegte eindrucksvoll, wie gefährlich sowohl das eine als auch das andere sein konnte.

Donovan selbst jedenfalls behauptete, ebenso wie Darrington seine Befehle direkt von Ngolu zu bekommen.

Ngolu...

Ein dumpfer, düsterer Klang, der irgendeine Saite in mir zum Klingen brachte, von der ich bisher noch nichts geahnt hatte..

Hatte ich den Namen möglicherweise doch schon einmal gehört? Möglich war es. Vielleicht war Darrington mal in den Nachrichten erwähnt worden oder in einer Illustrierten.

Als ich zu Mikes Wohnung zurückkehrte, fühlte ich mich müde und abgeschlagen.

Die Sache mit der Frau, die ich auf dem Bild mit Darrington wiederzuerkennen geglaubt hatte, saß mir noch in den Knochen und sorgte dafür, daß ich weiche Knie hatte. Die Zeitung hatte ich mir mitgenommen und trug sie zusammengefaltet in meiner Handtasche.

Bislang hatte ich nicht gewagt, mir das Bild noch einmal anzuschauen. Der Schock saß einfach noch zu tief.

Ich berichtete Mike, was ich über die Darrington-Sekte herausgefunden hatte.

Dann schwieg ich.

"Du denkst an das Gesicht aus deinem Traum, nicht wahr, Jane?"

Ich nickte.

"Wir werden herausbekommen, was es damit auf sich hat, Jane.

Versprochen."

"Ja", flüsterte ich.

*

"Möchten Sie eine Tasse Kaffee?" weckte mich die Stimme einer Stewardeß aus dem Halbschlaf,

Wir waren bereits irgendwo in der Mitte zwischen London und New York, und ich hatte die Zeit etwas genutzt, um mich auszuruhen. Kaum zwei Stunden hatte ich in dieser Nacht geschlafen, aber diesmal hatte es nichts mit Alpträumen zu tun.

"Haben Sie auch einen Expresso?" fragte ich die Stewardeß, aber sie bedauerte.

"Leider nein. Wir sind keine italienische Fluglinie."

Das war sicher charmant gemeint, aber ich war einfach zu müde, um das im Augenblick witzig finden zu können.

"Dann machen Sie mir bitte den stärksten Kaffee, den Sie hier je gebraut haben!"

"Einen, der Tote wiedererwecken kann!" ergänzte Mike grinsend, wofür ich ihn böse ansah. "Ich weiß gar nicht, was du hast", meinte er daraufhin.

"Okkultismus und Geister sind doch dein Spezialgebiet, Jane!"

"Ha, ha!"

"Allerdings hätte ich erwartet, daß deine Schamanenkräfte einen Espresso bei Bedarf auch mal bei der Totenerweckung ersetzen können!"

Er sah mich an und sein Grinsen war geradezu unverschämt. Sein Blick musterte mich unverhohlen und dann schüttelte er tadelnd den Kopf.

"Irgendwie siehst du heute nicht besonders fit aus", stellte er dann fest.

"Danke!" erwiderte ich etwas kratzbürstig. "So etwas hört jede Dame gerne!"

"Tja, meinen Charme kennst du ja!"

"Allerdings!"

Ich mußte lächeln.

Die Flachserei mit Mike tat mir ganz gut.

Immerhin lenkte sie mich von den düsteren Gedanken ab, die seit dem ersten Auftauchen des Alptraums auf mir lasteten wie ein finsterer Fluch.

Als die Stewardeß den Kaffee brachte und ich den ersten Schluck genommen hatte, kehrten meine Lebensgeister langsam wieder zurück.

"Der einzige Grund dafür, daß du heute aussiehst wie das blühende Leben und ich nicht ist der, daß du heute Nacht gemütlich im Bett gelegen hast, während ich deine Sammlung magischer Schriften durchforstet habe, damit wir etwas besser auf unseren Auftrag vorbereitet sind."

Mike Blane versuchte so zu tun, als würde ihn das nicht beeindrucken, aber mich konnte er nicht täuschen.

"Ich hoffe, es ist wenigstens etwas dabei herausgekommen!" meinte er.

Ich zuckte die Achseln.

"Ein Archäologe namens Roy Sellers..."

"Ja?"

"Er hat einst einige altpersische Inschriften übersetzt, in denen von einem dämonischen Wesen mit dem Namen Ngolu die Rede ist. Ich fand ein Buch darüber."

Mike zuckte die Achseln. "Könnte diese Namensgleichheit nicht reiner Zufall sein?"

"Sicher."

"Außerdem ist Ngolu ganz sicher kein altpersischer Name." Da Mike Blane ein Wiedergeborener war, der in allen nur erdenklichen Zeiten gelebt hatte und sich an diese Leben zu erinnern vermochte, konnte ich in diesem Punkt auf seine Kenntnisse vertrauen.

Wenn nötig hätte er mir vermutlich meine Worte simultan ins Altpersische übersetzen können.

Ich sagte: "Ich habe Sellers' Übersetzungen gelesen. Da ist unter anderem davon die Rede, daß Ngolus Reich über einen langen, dunklen Tunnel durch das Nichts zu erreichen sei..."

Ich sprach nicht weiter. Meine Stimme bekam einen belegten Klang und hörte sich auf einmal wie die einer Fremden an. Ich schluckte. Ein langer, dunkler Tunnel. Wie in meinem Traum.

"Was ist los?" fragte Mike und aus seinem Tonfall war jetzt jede auch noch so kleine Ahnung von Flapsigkeit verschwunden. Er war wirklich besorgt.

"Mein Gott, du bist ja bleich wie die Wand geworden. Ist dir nicht gut?"

"Es geht schon", murmelte ich.

"Jane..."

"Wirklich!"

"Soll ich die Stewardeß rufen?"

"Nein."

"Bis jetzt hast du das Fliegen doch immer gut vertragen."

Ich sah ihn an und lächelte matt. "Es ist nichts, Mike. Wirklich!"

Er zuckte die Achseln. "Du mußt es ja wissen", sagte er dann wenig überzeugt.

"Ich bin einfach nur müde, Mike!"

Ich schloß die Augen und atmete tief durch. Es gefiel mir immer weniger, welchen Verlauf die Ereignisse nahmen. Und langsam machte sich die Erkenntnis in mir breit, daß ich mich mehr und mehr in einem unsichtbaren Netz verstrickte - ganz gleich, was ich auch tat.

Auf einmal war mir kalt.

*

Von New York aus ging es mit einem Inlandflug weiter nach Santa Fé in New Mexico. Dort liehen wir uns einen Land Rover und besorgten uns eine gute Karte, um nicht an Small Junction vorbeizufahren, denn eine Großstadt war das nun wirklich nicht.

Früher mal hatte eine Eisenbahnlinie Small Junction mit dem Rest der Welt verbunden, aber das war lange vorbei. Schon in den vierziger Jahren war die Strecke unwirtschaftlich geworden und man hatte sie eingestellt.

Jetzt war Small Junction eine Ansammlung von Häusern, die sich einer Perlenkette gleich an der Main Street aufreihten. Dazu gehörten dann auch noch einige verstreute Siedlungen und Farmen. Das Klima war heiß und trocken und bedeutete eine ziemlich gravierende Umstellung. Uns beiden machte das arg zu schaffen.

Es gab immerhin ein Hotel in Small Junction und dort hatte Mike ein Zimmer für uns reserviert.

Es war ein kleines Hotel. Ein typischer amerikanischer Holzbau, dessen Fassade allerdings in den letzten Jahren wohl nicht gestrichen worden war.

Wir stellten den Geländewagen auf dem Parkplatz ab und stiegen aus.

"Zu fragen, wie viele Sterne dieses Hotel hat, ist wohl nicht angebracht", meinte Mike und streckte sich. Er hatte auf dem letzten Teil der Strecke von Santa Fé am Steuer gesessen.

"Seien wir froh, daß wir nicht im Zelt übernachten müssen", erwiderte ich.

Wir passierten den Eingang. Die Tür knarrte, als wir eintraten. Hinter dem Tresen der Rezeption saß ein Mann in den Sechzigern. Er trug eine dicke Brille und hatte ein gutmütiges Gesicht.

Als er uns sah, stand er auf und musterte uns eingehend.

"Sie sind sicher die Leute aus London", meinte er.

"Erraten", sagte ich und reichte ihm die Hand. "Jane Morris ist mein Name.

Und dies ist Mr. Mike Blane."

"Angenehm", brummte der Mann mit der Brille. "Ich bin Wally McKay und mir gehört dieses Hotel hier. Leider kann ich mir keine Angestellten leisten und deswegen müssen meine Frau und ich die ganze Arbeit allein machen." McKay wandte sich um und ging einen Schritt seitwärts, so daß er das Schlüsselbrett erreichen konnte. Zwei Schlüssel nahm er ab und legte sie anschließend auf den Tresen. "Das sind Ihre Zimmer!" erklärte er dazu.

"Wieso zwei Zimmer?" fragte ich und sah überrascht in Richtung Mike.

Wally McKay fragte: "Sind Sie beide verheiratet?"

"Nein", sagte ich wahrheitsgemäß.

"Na sehen Sie! Ich habe was dagegen, wenn die Sitten immer mehr verfallen und jeder mit jedem herummacht. Die ganze Welt mag das für normal halten, aber hier gibt's das nicht. Basta! Sie können ja gerne woanders übernachten!"

"Sie wissen genau, daß hier die Zimmer ziemlich knapp sind!"

"Ma'am, dies ist ein freies Land. Und bei mir bekommen Sie nur zwei Einzelzimmer. Basta!"

Es hatte wohl keinen Sinn, dagegen anreden zu wollen.

Wally McKay hatte so etwas wie seine eigenen Grundsätze.

Daß der Rest der Welt sich weitergedreht hatte, kümmerte ihn dabei herzlich wenig.

Also gaben wir nach.

Wir hätten ohnehin den Kürzeren gezogen, da wir mehr oder weniger auf ihn angewiesen waren.

Das wußte er.

Und nutzte es aus.

Ob das allerdings den guten Sitten entsprach, darüber schien sich Wally McKay weitaus weniger Gedanken zu machen.

Er sagte: "Wenn Sie geweckt werden wollen, dann sagen Sie mir bitte wann. Aber ich schätze, daß wird nicht nötig sein..."

Ich sah ihn überrascht an. "Wie kommen Sie darauf?"

"Weil Sie zu spät dran sind, Miss Morris! Deshalb."

"Zu spät?" echote ich. Ich verzichtete darauf ihn zu korrigieren und darauf zu bestehen, 'Mrs.' Morris genannt zu werden, denn ich ahnte, daß das die Lage nur noch mehr verkompliziert hätte.

Schließlich waren McKays Grundsätze eisenhart.

Wally McKay lachte.

"Ja. Die meisten anderen Sensationsgeier waren nämlich längst hier, haben ihre Bilder gemacht und sind sofort wieder abgereist. Die meisten von ihnen haben nicht einmal übernachtet. Ich darf doch annehmen, daß sie auch wegen dem Geisterhaus hier sind..."

"Also..."