Inhalt

Prolog: Deepwater Horizon – ein Menetekel

Das Drama der Deepwater Horizon

Die Bedeutung des Tiefseeöls für die Ölversorgung

Die künftige Verfügbarkeit von Öl: Peak Oil ist jetzt!

Peak Oil markiert das Ende von Business as usual

Epilog

Abkürzungen

Literatur

Jörg Schindler

Öldämmerung

Deepwater Horizon und das Ende des Ölzeitalters

ClimatePartner°

Dieses Buch wurde klimaneutral hergestellt. CO2-Emissionen vermeiden, reduzieren, kompensieren – nach diesem Grundsatz handelt der oekom verlag. Unvermeidbare Emissionen kompensiert der Verlag durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt. Mehr Informationen finden Sie unter www.oekom.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2011 oekom verlag, München

Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH, Waltherstraße 29, 80337 München

Lektorat: Claudia Mantel-Rehbach

Gestaltung: Heike Tiller, München

Umschlaggestaltung + Umschlagillustration: Torge Stoffers, Leipzig

Der Innenteil dieses Buches wurde auf 100%igem Recyclingpapier gedruckt, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel.

Alle Rechte vorbehalten.

eISBN: 978-3-86581-384-8

Das Drama der Deepwater Horizon

Der Untergang der Deepwater Horizon

Rekapitulieren wir die Ereignisse bis zum Untergang der Plattform Deepwater Horizon. Gehen wir einmal zurück zum 19. April 2010 und vergegenwärtigen wir uns die Ausgangslage einen Tag vor der Katastrophe.

Die Deepwater Horizon ist von BP geleast, um die Macondo-Öllagerstätte im Golf von Mexiko zu erschließen, ein Vorkommen, dessen förderbarer Inhalt auf etwa 50 Millionen Barrel Rohöl geschätzt wird. Die unternehmerische Verantwortung für die Bohrung liegt bei BP. BP ist mit einem Anteil von 65 Prozent Führer eines Konsortiums, an dem auch das texanische Unternehmen Anadarko mit 25 und das japanische Handelshaus Mitsui mit zehn Prozent beteiligt sind.

Die Plattform Deepwater Horizon gehört dem Unternehmen Transocean mit Firmensitz in der Schweiz. Transocean ist Eigentümerin und Betreiberin zahlreicher Bohrplattformen, die an Ölgesellschaften überall auf der Welt für deren Projekte verleast werden. Die Deepwater Horizon, Baujahr 2001, ist eine Plattform zum Niederbringen von Explorationsbohrungen in der Tiefsee. Die Aufgabe dieses Typs von Bohrplattformen ist es, eine vermutete Lagerstät te zu erschließen und die Erschließungsbohrung so weit vor zubereiten, dass anschließend eine für die Förderung von Öl geeignete Plattform an ihrer Stelle die Arbeit aufnehmen kann.

Transocean und weitere spezialisierte Dienstleistungsunternehmen wie Halliburton arbeiten im Unterauftrag von BP. Die Plattform mit einer Besatzung von etwa 170 Mann befindet sich etwa 85 Kilometer südlich von Venice, Louisiana, im Golf von Mexiko. Das Meer ist dort ungefähr 1.500 Meter tief. Mit der Bohrung wurde im Februar 2010 begonnen, sie hat nun, Mitte April, 5.500 Meter unter dem Meeresboden das Ölfeld erreicht. Die Öllagerstätte wurde mit einer Verrohrung bis zum Meeresboden verbunden und dort mit weiteren Einrichtungen und Armaturen zum Verschließen der Quelle und zum Anschluss von Steigleitungen zum Transport des Öls an die Meeresoberfläche versehen. Damit ist die Ölquelle eingerichtet, nun sind noch die abschließenden Arbeiten zur Versiegelung der Quelle am Meeresboden vorzunehmen, damit die Plattform ihre Aufgabe beenden und wieder abgezogen werden kann. Die Arbeiten sind gegenüber der ursprünglichen Planung bereits 43 Tage in Verzug, entsprechend sind auch die budgetierten Kosten schon deutlich überschritten, da jeder Tag etwa eine Million US-Dollar kostet. Die Projektverantwortlichen bei BP stehen unter Druck und machen ihrerseits Druck auf die Subunternehmer.

Am 20. April gerät die Quelle außer Kontrolle, es gibt einen Blowout: Ein Gemisch aus Bohrschlamm, Rohöl und Gas schießt durch die Steigleitung ungebremst nach oben zur Plattform. Das ausströmende Gas explodiert auf der Plattform, diese gerät in Brand. Elf Arbeiter sterben, 17 werden verletzt und können mit der übrigen Besatzung bei der Evakuierung der Bohrinsel gerettet werden. Die Plattform brennt trotz Löschversuchen zwei Tage lang und versinkt schließlich am 22. April immer noch brennend im Meer. Sie liegt jetzt in einiger Entfernung vom Bohrloch auf dem Meeresgrund. Öl und Gas treten in großen Mengen aus dem Bohrloch aus.

Der Unfall: Was war passiert?

Was war genau passiert? Die Quelle hatte bereits seit einiger Zeit Probleme gemacht, denn das Öl im Reservoir stand unter sehr hohem Druck. Es hatte immer wieder unerwartete Druckschwankungen im Bohrloch gegeben und auch schon mehrere Gasaustritte, die zu gefährlichen Situationen geführt haben. Das Ölserviceunternehmen Halliburton hatte den Auftrag, die Verrohrung am Bohrloch mit einem Zementmantel zu befestigen und gegenüber dem umgebenden Erdreich abzuschließen. Dies ist auch geschehen, doch mit dem Auftraggeber BP gab es Streit über die genaue Ausführung der Arbeiten. Halliburton hatte ursprünglich eine aufwendigere Zementierung geplant, sich dann aber den Wünschen von BP gebeugt. Als die Arbeiten von Halliburton beendet waren, musste der Zement erst aushärten, um das Bohrloch endgültig versiegeln zu können. Um festzustellen, ob die Zementierung wirklich den Anforderungen genügt, sind Tests notwendig, die im Wesentlichen auf Druckmessungen im Bohrloch beruhen. Diese Druckmessungen lieferten widersprüchliche Signale und wurden wohl auch teilweise nicht beachtet oder nicht ernst genommen. Auf Anordnung von BP wurde dann zu einem Zeitpunkt mit den Arbeiten zur Versiegelung der Quelle begonnen, als noch zweifelhaft war, ob die Zementierung schon genügend ausgehärtet oder überhaupt ausreichend war. Während der Bohrung und bis zum Aushärten der Zementierung wird das unter hohem Druck am Bohrloch anstehende Öl durch den in das Bohrloch eingepressten Bohrschlamm am Austreten in die Bohrung gehindert. Der Bohrschlamm besteht aus sehr schweren Materialien, die durch ihre Masse den notwendigen Gegendruck erzeugen. Um die Quelle endgültig zu versiegeln, muss nach der Zementierung der Bohrschlamm entfernt und durch Seewasser ersetzt werden. Bei dieser Operation ereignete sich das Unglück, weil die fehlerhafte Zementierung und der jetzt durch das Seewasser in der Bohrung aufgebrachte und gegenüber dem Bohrschlamm verminderte Druck dem Druck des Öls in der Quelle nicht standhalten konnte: Es kam zu einem sogenannten Blow out, Öl und Gas strömten mit hohem Druck aus der Quelle.

Dies alles hätte noch immer nicht zu einer Katastrophe führen müssen. Denn für derartige Fälle wird während der Bohrarbeiten über dem Bohrloch ein Blowout Preventer (BOP) installiert. Einen solchen Blowout Preventer kann man sich als riesige Glocke vorstellen, die das Bohrloch auf dem Meeresgrund umschließt und nach oben eine mit Ventilen gesicherte Öffnung hat, durch die das Steigrohr der Bohrung zur Plattform führt. Der bei der Deepwater Horizon eingesetzte BOP ist 15 Meter hoch und 145 Tonnen schwer. Aufgabe des BOP ist es, im Falle eines Blowouts die Ventile zum Steigrohr zu schließen und damit das Öl zu stoppen. Die Auslösung sollte automatisch erfolgen, kann aber auch manuell betätigt werden. Doch die Automatik hat im entscheidenden Augenblick nicht funktioniert. Die manuelle Auslösung des BOP, die erst sieben Minuten nach dem Blowout erfolgte, funktionierte ebenfalls nicht, Öl und Gas schossen ungehindert durch das Steigrohr nach oben zur Plattform. So nahm das Unglück seinen Lauf.

Im Nachhinein sind an dem eingesetzten BOP schwere Mängel festgestellt worden. Unter anderem war ein Teil der Batterien leer, die für die automatische Auslösung notwendig sind. Zudem war der BOP an einigen Stellen beschädigt. Die Konstruktion des BOP war ungenügend, da die eingebauten Scheren zum Trennen der Verrohrung für den Notfall zu schwach ausgelegt waren.

Einige dieser Mängel waren, wie eine Untersuchung des amerikanischen Kongresses zutage förderte, BP bereits Stunden vor der Explosion bekannt. Und die grundsätzlichen Mängel waren schon viel länger bekannt. Ein inzwischen öffentlich gewordener Bericht aus dem Jahr 2001 äußerte bereits damals grundsätzliche Zweifel am Design. In dem Bericht wird festgestellt, dass 260 denkbare und untersuchte Fehler und Störungen das Funktionieren des BOP verhindern können. Offensichtlich ist der fragliche BOP auch nie getestet worden.

Nach der Explosion der Plattform zerbrach die Rohrverbindung zwischen Bohrloch und Plattform und sank auf den Meeresboden. Das Öl begann jetzt ungehindert am Meeresboden auszuströmen.

Der Oil Spill

Mit dem Untergang der Plattform beginnt der zweite Akt des Dramas. Ende April wird bekannt, dass aus der Quelle Öl austritt und das Meer verschmutzt. Um welche Menge es sich handelt, bleibt lange Zeit unklar. Was tun gegen das ausströmende Öl? Es droht die Küste von Louisiana mit den sensitiven Biotopen im Delta des Mississippis zu verschmutzen und dauerhaft zu schädigen. Um das Öl zu zersetzen und in kleine Tröpfchen aufzulösen, die dann von Bakterien leichter und schneller abgebaut werden können, bringt BP große Mengen einer umstrittenen Chemikalie zum Einsatz – sowohl nahe der Quelle am Meeresboden als auch auf dem Ölteppich auf der Wasseroberfläche. Wegen der negativen Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen im Meer kommt es um den Einsatz dieser Chemikalie zum Streit zwischen BP und der amerikanischen Umweltbehörde, doch BP bleibt dabei, sie zu verwenden. Der Einsatz der Chemikalie am Bohrloch bewirkt zudem, dass das meiste Öl in Form von großen »Wol ken« im tiefen kalten Wasser verbleibt und somit nicht an die Oberfläche steigt und nicht sichtbar wird. Die genauen schädlichen Wirkungen der verwendeten Chemikalie auf die Biotope sind noch weitgehend unbekannt, da der Stoff bislang noch nie in solchen Mengen eingesetzt wurde.

Die amerikanische Küstenwache wird eingeschaltet. Ende April erreichen die ersten Ölteppiche die Küsten. Schwimmende Barrieren werden an den Ufern installiert, mit zweifelhaftem Erfolg. Fischer mit ihren Booten werden angeheuert, die das Öl auf hoher See abschöpfen sollen. Für große Gebiete wird ein Fischfangverbot verhängt. Strände werden für die Öffentlichkeit gesperrt, der Tourismus kommt in den betroffenen Gebieten zum Erliegen. Gleichzeitig wird die Presse in ihrer Arbeit behindert, damit möglichst wenig Bilder das Ausmaß der Katastrophe sichtbar machen.

Anfänglich von BP verbreitete Zahlen zur Menge des ausströmenden Öls gehen von etwa 1.000 Barrel und etwas später von 5.000 Barrel pro Tag aus. Im Laufe der Wochen und Monate müssen diese Werte ständig nach oben korrigiert werden. BP hat ein offensichtliches Interesse daran, die Zahlen niedrig zu halten – auch weil die Höhe der wegen des Unfalls fälligen Schadenersatzzahlung an die Regierung sich nach der Menge des ausgetretenen Öls richtet. Es gibt Querelen zwischen BP, der amerikanischen Regierung und dem amerikanischen Kongress um die richtigen Daten, den Zugang zu den Daten, die Interpretation der Daten, auch um das Konzept zur Schadensbegrenzung und zum Verschließen des offenen Bohrlochs. Schließlich wird von der amerikanischen Regierung eine unabhängige Expertenkommission eingesetzt, die eine verlässliche Schätzung abgeben soll. Sie kommt Anfang Juni zu dem Ergebnis, dass jeden Tag bis zu 40.000 Barrel Rohöl in das Meer geflossen sein könnten, bevor es gelang, einen Teil des Öls aufzufangen. (Allerdings sollte sich später erweisen, dass diese Schätzungen immer noch zu niedrig waren.) Das volle Ausmaß der Umweltkatastrophe wird langsam offenbar.

Das lecke Bohrloch muss verschlossen werden – aber wie?

Es zeigt sich jetzt, dass BP keinerlei Vorkehrungen für den eingetretenen Notfall getroffen hat. Aus Sicht von BP war das ja auch nicht nötig, da das Unternehmen in einer Analyse für das Genehmigungsverfahren behauptet hat, ein solcher Unfall könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden (er sei »virtually impossible «). Entsprechend hilflos sind anfänglich die Reaktionen.

Zuerst versucht BP, den Blowout Preventer wieder funktionstüchtig zu machen. Dazu werden ferngesteuerte fahrbare Unterwasser-Roboter (Remotely Operated Vehicles – ROVs) am Meeresgrund eingesetzt. Diese ROVs sollen beschädigte Leitungen entfernen und die Absperrventile aktivieren. Doch der Versuch misslingt.

Wer bestimmt den Gang der weiteren Arbeiten zur Schadensbegrenzung im Golf vor Ort? Es gibt ein heftiges Kompetenzgerangel zwischen BP und der Regierung, nachdem die ersten Versuche, das Loch zu schließen, keinen Erfolg hatten. Die Regierung installiert mit dem schon pensionierten Coast Guard Admiral Thad Allen einen National Incident Commander, der die weiteren Aktionen koordiniert. Außerdem setzt die Regierung eine Expertengruppe ein, in der unabhängige Wissenschaftler, aber – besonders schmerzlich für BP – auch Fachleute von konkurrierenden Unternehmen wie ExxonMobil und Shell vertreten sind. Schließlich setzt sich die Regierung immer mehr durch: BP leitet zwar weiterhin die Operationen, da das Equipment, das Personal und die Expertise vor Ort nicht ersetzbar sind. Alle Maßnahmen müssen jedoch mit der Regierung (faktisch mit Admiral Allen und dem Expertenteam) abgestimmt und vorher genehmigt werden.

Parallel zu den Versuchen, den Blowout Preventer zu aktivieren, werden vorsorglich Alternativen erörtert und vorbereitet. Ein möglicher Weg, das Loch zu schließen, ist das Niederbringen von Entlastungsbohrungen. Zwei unabhängige Bohrungen werden Mitte Mai auf Geheiß der amerikanischen Regierung begonnen. Sie sollen tief unter dem Meeresboden die ursprüngliche Bohrung am Eingang zur Öllagerstätte treffen, sodass die Quelle dort unten dauerhaft verschlossen werden kann. Das Problem dabei ist, dass es mehrere Monate – bis Ende August – dauern würde, bevor diese Bohrungen ihr Ziel erreichen würden. Außerdem sind auch diese Entlastungsbohrungen, wie schon die erste Bohrung, mit großen Risiken verbunden, und es ist fraglich, ob sie erfolgreich sein würden. Deshalb sollten es vorsorglich zwei Bohrungen sein.

Eine weitere mögliche Lösung des Problems ist der Einsatz einer großen »Glocke«, die über das Bohrloch gestülpt und mit einer Rohrleitung verbunden werden soll. Mit dieser Glocke soll das ausströmende Öl aufgefangen und über die Rohrleitung abgepumpt werden. Eine derartige Glocke existiert aber bisher nicht, sie muss erst konstruiert und gebaut werden.

Alle Versuche, den defekten Blowout Preventer zu aktivieren, bleiben erfolglos. Nun wird der Einsatz der Glocke vorbereitet. Anfang Mai ist die Glocke schließlich fertig gestellt, eine zwölf Meter hohe und 125 Tonnen schwere Konstruktion. Sie wird auf dem Bohrloch abgesetzt und über Leitungen mit dem Serviceschiff Deepwater Enterprise verbunden, auf dem das aufgefangene Rohöl und Methangas prozessiert und auf Tanker gepumpt werden soll. Der erste Versuch, das Öl abzupumpen, scheitert. Bei den tiefen Temperaturen und dem hohen Druck haben sich aus dem ausströmenden Gas Eiskristalle aus Methanhydrat gebildet, die die Glocke ausfüllen und dann verstopfen. Dieser Effekt der Methanhydratbildung ist auch in Erdgaspipelines ein bekanntes Phänomen. Wie erst später bekannt wird, kommt es bei diesem Versuch zu einer dramatischen Situation, in der ein weiterer schwerer Unfall nur knapp vermieden werden kann: Das Eis in der Glocke führt dazu, dass die Glocke plötzlich Auftrieb bekommt, mit großer Geschwindigkeit nach oben schießt und beinahe eines der Seviceschiffe von unten rammt. (Rückblickend meinten einige Beobachter, der Versuch mit der Glocke sei vielleicht nur deshalb unternommen worden, weil man die Menge des ausströmenden Öls anfänglich so drastisch unterschätzt habe. Mit den sehr viel größeren tatsächlich austretenden Ölmengen ist die Glocke nicht fertig geworden. Aber es gab auch noch andere nicht vorhergesehene Komplikationen.)