Über das Buch

Sie ist die wohl berühmteste fiktive Metropole der Gegenwart: Gotham City. Seit mehr als 80 Jahren Wirkungsstätte Batmans ist sie ikonische Schaubühne der Popkultur, Schlachtfeld zwischen Gut und Böse und Sinnbild für den gesellschaftlichen Ausnahmezustand. Dank der enormen Popularität der Batman-Filme gilt Gotham heute weltweit als Zeichen für die politische Krise in Permanenz, für die Herrschaft des Verbrechens, für unvorstellbares Staatsversagen, aber auch für unkonventionelle Maßnahmen, um Krisen zu bewältigen, für den Triumph eines republikanischen Heroismus.
Daniel Damler unternimmt den Versuch, die Besonderheiten des Gothamschen Notstands herauszuarbeiten und sie in historischer Perspektive rechtlich und politisch einzuordnen. Da es sich bei Gotham vornehmlich um ein visuelles Phänomen handelt, gerät die Filmarchitektur in den Blick. Der szenografischen Ausstattung kommt eine Schlüsselrolle zu bei der Verankerung im kollektiven Bewusstsein. Die Superhelden-Infrastruktur (Batcave, Wayne Manor) und andere kanonische Orte der Saga sind das visuelle Signet des Ausnahmezustands und konstituieren wirkungsmächtige Erinnerungsräume.

Vita

Daniel Damler ist Privatdozent an der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen mit der Lehrbefugnis für Europäische Rechtsgeschichte, Rechtstheorie und Bürgerliches Recht sowie assoziierter Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt am Main.

Inhalt

Weltstadt des Untergangs – Seit 1939

I.Custos civitatis – Hollywoods Batman

1.Tim Burton

2.Joel Schumacher

3.Christopher Nolan

4.Zack Snyder

II.Gothams Geist der Gesetze

1.Ex sensu ius oritur

2.Ex necessitate ius oritur

III.Das dunkle Babylon der Postmoderne

1.Politischer Caligarismus

2.Archaische Urbanität

3.Mimesis des Verfalls

IV.Topographie des Terrors

1.Kontrollverlust

2.Inversion

3.Zerstörung

V.Republikanischer Heroismus – Kapital und Virtù

1.Das Landhaus

2.Die Höhle

3.Der Turm

Schwieriger Abschied – Die Wiedererweckung des Politischen

Dank

Quellen- und Literaturverzeichnis

Daniel Damler

Gotham City

Architekturen des Ausnahmezustands

Campus Verlag Frankfurt /
New York

Weltstadt des Untergangs – Seit 1939

Die Welt schaut auf diese Stadt. Die ganze Welt, die Welt im buchstäblichen Sinn. Ein steinernes Ungetüm altorientalischen Zuschnitts. Eine moderne Hure Babylon, die »hat mit dem Zorneswein ihrer Unzucht getränkt alle Völker« (Apoc. 14, 8).

Wer sich für existentielle Welt- und Staatskrisen im 21. Jahrhundert interessiert, kommt an der Batman-Saga nicht vorbei. Ihr Schauplatz – die fiktive Millionen-Metropole Gotham – ist auf der ganzen Erde, auf allen Kontinenten zu einem Sinnbild für ein Gemeinwesen geworden, das die Kontrolle über die öffentliche Sicherheit und Ordnung verloren hat oder zu verlieren droht. Gotham steht für den Ausnahmezustand in Permanenz, für die Herrschaft des Verbrechens, für unvorstellbares Staatsversagen, aber auch für den Triumph eines republikanischen Heroismus, wie ihn der prominenteste Bürger der Stadt, Bruce Wayne alias Batman, praktiziert.

Batman machte Karriere zunächst als Comicfigur, später als Filmstar. Der »dunkle Ritter« erblickte das Licht der Welt in dunklen, in sehr dunklen Zeiten, im Mai 1939, wenige Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Beflügelt vom Erfolg Supermans, der 1938 in »Action Comics« Nr. 1 sein Debüt gegeben hatte, erschufen Bob Kane (Robert Kahn) und Bill Finger, beide Kinder jüdischer Einwanderer, in »Detective Comics« Nr. 27 (»The Case of the Chemical Syndicate«) einen kostümierten Superdetektiv, der seit inzwischen mehr als acht Jahrzehnte den dunklen Mächten Gothams das Fürchten lehrt.1 In besagter Erstausgabe vom Mai 1939 erfährt der Leser noch nicht allzu viel über Herkunft und Motive des maskierten Helden. Immerhin wird das Geheimnis seiner Identität gelüftet: Es stellt sich heraus, dass ein gewisser Bruce Wayne, Freund des ermittelnden Kommissars (»Commissioner«) Gordon, ein Doppelleben führt und des Nachts in Gestalt einer Fledermaus »einen einsamen Kampf gegen die bösen Kräfte der Gesellschaft« (»a lone battle against the evil forces of society«) austrägt.2

Einige Ausgaben später, in »Detective Comics« Nr. 33, erschienen im November 1939, kommt die ganze Wahrheit ans Licht. Der Leser wird Zeuge eines abscheulichen Raubüberfalls auf die Familie Wayne. Auf dem Heimweg nach einem gemeinsamen Kinobesuch muss der kleine Bruce mitansehen, wie zuerst sein Vater Thomas Wayne und anschließend auch seine Mutter von einem Ganoven kaltblütig erschossen wird, der es auf die Halskette der vornehmen Dame abgesehen hat.3 Der Junge – Erbe eines großen Vermögens – schwört im Bett bei Kerzenschein, für den Rest seines Lebens Rache zu nehmen an allen Kriminellen dieser Welt. In den folgenden Jahren trainiert er seinen Körper bis zur Vollendung (»trains his body to physical perfection«) und eignet sich in einem Labor naturwissenschaftliche Kenntnisse an (»he becomes a master scientist«). Endlich fühlt er sich zum Kampf gerüstet. Wie er es geschworen hat, will er nun Schrecken in die Herzen der Verbrecher tragen (»so my disguise must be able to strike terror into their hearts«). Just als er darüber nachsinnt, wie es ihm gelingen könne, diesen Schrecken zu erzeugen und sich in eine »Kreatur der Nacht« zu verwandeln, fliegt eine Fledermaus durch das offene Fenster. »A bat! That’s it! It’s an omen … I shall become a bat!« ruft der breitschultrige junge Mann – »und so ward sie geboren diese unheimliche Figur der Nacht.«4

So trivial die Geschichte vom kleinen, um die kindliche Unschuld beraubten Bruce auch erscheinen mag – sie füllt in dem Novemberheft gerade einmal eine Doppelseite – so nachhaltig war ihre Wirkung. In allen nur denkbaren Medien tausendfach wiederholt und aktualisiert, gehört die Zerstörung der Wayne-Familie inzwischen zu den großen Ursprungsmythen unserer Zeit.

Der Ort des Geschehens war damals noch New York oder schlicht unbenannt; erst seit Heft »Batman No. 4«, Winter 1940/41, ist von »Gotham City« die Rede. Angeblich kam Bill Finger die Idee zu diesem Namen beim Durchblättern des New Yorker Telefonbuchs, als ihm die Anzeige eines Juweliers ins Auge fiel: »Gotham Jewelers«.5 Das Synonym für die Stadt am Hudson geht auf einen Einfall Washington Irvings zurück, der in der von ihm herausgegebenen Satirezeitschrift »Salmagundi« Manhattan auf Gotham taufte und damit der Stadt einen Spitznamen verpasste, den sie nie wieder los wurde. So geschehen im Jahr 1807.6 Das Wort selbst ist allerdings viel älter. »Gotham« bedeutet eigentlich »Goats‹ Town«, also Ziegenstadt. Noch heute existiert ein Dorf gleichen Namens im englischen Nottinghamshire, unweit des Sherwood Forest, wo weiland Robin Hood – der mittelalterliche Superheld – die Witwen und Waisen gerächt haben soll.7 Im Mittelalter bezeichnete »Gotham« eine Gemeinde mit verrückten und beschränkten Einwohnern, über die allerlei Witze im Umlauf waren,8 so wie in Deutschland die Ostfriesen und in Spanien die »Leperos« aus der andalusischen Kleinstadt Lepe den Spott ihrer Landsleute auf sich ziehen. Wir dürfen unterstellen, dass Irving mit seiner Satire Ähnliches im Schilde führte.

Andere Bezeichnungen wie »Civic City«, »Capital City«, »Coast City« – allesamt recht farblos und technokratisch – hatte man verworfen. »New York« wiederum wäre zu konkret gewesen und hätte Nicht-New Yorkern womöglich den Zugang zu der Geschichte erschwert. »Wir wollten es nicht New York nennen, so dass sich jedermann in jeder Stadt damit identifizieren konnte«, gab später Bill Finger zu Protokoll.9 Ihr Ziel haben Finger und Kane längst erreicht. Heute ist Gotham City tatsächlich die Projektionsfläche für »anybody in any city«, Inbegriff eines postmodernen Lebensgefühls, Weltstadt überdies gleich in mehrfacher Hinsicht.

Tun wir für einen Moment so, als ob Gotham City wirklich existierte. Dann würde die moderne Stadtsoziologie und Urbanistik wahrscheinlich sowohl von einer »globalen Stadt« (global city) als auch von einer Megastadt (oder Megalopolis) sprechen. Die Begriffe bezeichnen unterschiedliche Stadttypen mit Eigenschaften, die sich allerdings nicht ausschließen. Global cities sind Knotenpunkte eines transnationalen Städtesystem, in denen die Unternehmensleitungen weltweit agierender Konzerne, Banken und anderer Finanzdienstleister residieren samt der ihnen zuarbeitenden Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte und Unternehmensberater. New York City, London und Tokio gelten seit der gleichnamigen Studie von Saskia Sassen aus dem Jahr 1991 als Inbegriff »globaler Städte«.10

Im Unterschied dazu findet das Etikett megacity Verwendung, wenn es sich um eine sehr bevölkerungsreiche Stadt, um einen gigantischen urbanen Ballungsraum handelt. Ausschlaggebend ist die schiere Größe und Einwohnerzahl. Gab es um 1900 weltweit nur zwölf Städte mit mehr als einer Million Einwohner, waren es 2018 dreiunddreißig mit mehr als zehn Millionen.11 Ein Ende des Wachstums ist nicht abzusehen, vor allem nicht in den sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern. Glaubt man den Voraussagen, sollen zu Beginn des 22. Jahrhunderts ein Viertel der Weltbevölkerung in den 101 größten Städten leben, etwa in Lagos und Kingshasa (jeweils 85 Millionen) oder in Mumbai und Dhaka (50-70 Millionen).12 Eine global city kann also – bei entsprechender Größe – zugleich eine Megastadt sein (wie im Fall von New York City, London und Tokio), und Gotham mit seinen mehr als 12 (oder 20) Millionen Einwohnern wäre eine solche.

Für globale Städte wie für Megastädte ist charakteristisch, dass sie buchstäblich und im übertragenden Sinn ihrem regionalen und nationalen Umfeld entwachsen. In global cities findet eine Entkoppelung von der ökonomischen Entwicklung des übrigen Landes statt, das zum bloßen »Hinterland« degradiert wird. Einst blühende und mächtige Industriemetropolen wie Liverpool, Manchester, Detroit und Osaka befinden sich schon seit geraumer Zeit im Niedergang und haben längst den Anschluss an London, Tokio und New York verloren.13 Und wenn – wie in den megacities – der Großteil eines Staatsvolkes in einem einzigen urbanen Zentrum lebt, stellt sich die Frage, ob überhaupt noch von einem »Staat« die Rede sein kann, jedenfalls wenn wir darunter den Flächenstaat verstehen, den Hauptakteur der frühneuzeitlichen und frühmodernen Staatswerdung in Europa.

Die Einheit der Nation, die Einheit des Staates ist dann unter Umständen nur eine fadenscheinige Fiktion, so dass über kurz oder lang auch die gesamte konstitutionelle Statik ins Rutschen gerät. Ran Hirschl hat jüngst kritisiert, dass Megastädte trotz ihrer immensen faktischen Bedeutung verfassungsrechtlich gar nicht existierten und unverändert der antiquierten »westfälischen Souveränitätsordnung« (»… subjugated by a Westphalian sovereigntist order«) unterworfen seien.14 Zu einem Bruch mit der europäischen Völkerrechts- und Verfassungstradition muss es nicht kommen – Nationalstaaten sind sehr widerstandsfähige, stabile Gebilde – doch im Bereich des Möglichen liegt eine solche Entwicklung allemal.

Gotham City präsentiert sich auch insoweit als eine sehr moderne, eine prophetisch moderne Stadt. Indem sich ihre Schöpfer, Finger und Kane, weigerten, Batmans Wirkungsstätte einfach nach der berühmten US-amerikanischen Metropole am Hudson zu benennen, haben sie in die Geschichte einen Faden des Zweifels hineingewoben, einen Faden des Zweifels am staatsrechtlichen Status der Stadt. Gewiss, nach gängiger Lesart gehört Gotham zu den Vereinigten Staaten, aber ganz sicher kann man sich eben nicht sein. In den Abendteuern des Dunklen Ritters spielt der amerikanische Staat jedenfalls – anders als die städtischen Institutionen – keine oder nur eine untergeordnete Rolle.

Eine Dereliktion und offizielle staatsrechtliche Entwidmung Gothams erfolgte in der von Jordan B. Gorfinkel gestalteten serienübergreifenden Storyline »No Man’s Land« aus dem Jahr 1999. Nach einem verheerenden Erdbeben erklärt die US-Regierung gegen den Willen der Stadtverwaltung Gotham zum Niemandsland, lässt einen Teil der Bevölkerung evakuieren und die Brücken zerstören, damit niemand mehr hinaus- oder hineingelangen kann. Diejenigen, die – wie viele Mittellose, Kriminelle und der harte Kern des Police Departments – in der verstoßenden Stadt verbleiben, kämpfen in den Häuserschluchten auf der Seite Batmans oder gegen ihn um die Vorherrschaft.15

In Christopher Nolans dritten Batmanfilm (2012) ruft des Terroristen Bane Drohung mit der Atombombe zwar das amerikanische Militär auf den Plan und ein finster dreinblickender General verlangt sofort den Präsidenten zu sprechen, aber ein US-General würde wohl genauso finster dreinblicken und ebenfalls auf eine Intervention drängen,16 hätten Terroristen außerhalb des amerikanischen Staatsgebietes, etwa auf Kuba oder in Guatemala, einen Nuklearschlag in Aussicht gestellt, Souveränität hin oder her. Ausrichten können die hohen Herren in Washington und ihre Soldaten im Übrigen ohnehin nichts. Bane lässt die Brücken sprengen und sperrt die amerikanische Militärmacht aus, die mit ihrem Latein sehr schnell am Ende ist. Nein, die Bewohner Gothams müssen sich (wieder einmal) selber retten, müssen die Sache in die eigenen Hände nehmen, sonst ist alles verloren. Als der Präsident in einer schwülstigen Ansprache versichert, er habe Gotham nicht aufgegeben (»People of Gotham, we have not abandoned you!«) und Commissioner Gordon mit der Frage konfrontiert wird, wie man diese präsidialen Worte zu verstehen habe, erwidert er kühl: »Das bedeutet, dass wir auf uns gestellt sind« (»It means we’re on our own«).17

Man agiert wenn nicht gar wie ein De-jure-, so doch zumindest wie ein De-facto-Stadtstaat. Als solcher wäre Gotham alles andere als ein weltgeschichtliches Novum. Herausragende politische Mächte des Altertums waren (freilich je nach Definition) Stadtstaaten: Ur, Babylon, Athen und (zu Anfang) Rom.18 Vergleichbares gilt für außereuropäische Kulturen, beispielsweise für Tenochtitlan in Mittelamerika.

Auch in anderen Werken der Phantastik, der Comic- und Science-fiction-Literatur gehören unabhängige oder quasi-unabhängige Megastädte zum etablierten Repertoire. Das Cyperpunk-Genre und bereits dessen Vorläufer, Philip K. Dicks 1968 erschienener dystopische Roman »Do Androids Dream of Electric Sheep?«, kennen zahlreiche Metropolen inmitten eines verwahrlosten, kontaminierten und »entstaatlichten« Umlandes. In Ridley Scotts Film »Blade Runner« von 1982 (der auf Dicks Roman basiert) ist es das überbevölkerte, gestaltlose Los Angeles des Jahres 2019, das in einem politischen und rechtlichen Vakuum zu existieren scheint. Das Sagen hat die übermächtige, auf die Produktion von Replikanten spezialisierte Tyrell Corporation.

Die Entwickler von Computer(rollen)spielen wie »Cyberpunk 2077« (2020/21) nehmen den Gedanken gerne auf und beglücken ihre Kundschaft mit Riesenstädten wie »Night City«, beheimatet im Freistaat Nordkalifornien, dessen Recht und Gesetz die Einwohner konsequent ignorieren. Ähnlich verhält es sich mit der »Mega-City One« aus der Comicserie »Judge Dredd« (seit 1977/2000), nach dem Nuklearkrieg von 2070 eine der wenigen unzerstörten Weltregionen, eine Konurbation, die weite Teil der US-amerikanischen Ostküste bedeckt und ebenfalls ein Eigenleben führt. Man sieht: Das amorphe extraterritoriale Gotham ist beileibe kein Unikat, aber immerhin so etwas wie der Archetypus.

Die Insellage verstärkt die Isolation. Die Analogie zu New York hatte es von Anfang an nahegelegt, Gotham als Insel zu begreifen, da sich New York bekanntlich über mehrere Inseln (Staten Island, Long Island mit Brooklyn und Queens) und eine Halbinsel (Manhattan) erstreckt. Doch wohl erst die von Eliot R. Brown 1999 ersonnene Karte hat die geographische Eigentümlichkeit des Schauplatzes der Welt vor Augen geführt.19 Andere Zeichner haben die Karte in der Folge hier und dort ein wenig modifiziert, aber ihre Grundstruktur ist inzwischen kanonisch und so etabliert, dass sie sogar in den Kinofilmen – wie in »The Dark Knight Rises« (Abb. 1) – in Gestalt eines Faltplans Verwendung findet: Zu erkennen sind drei untereinander über Brücken und Tunnel verbundene, eher horizontal denn vertikal ausgerichtete Hauptinseln und einige Nebeninseln.

Abb. 1

Quelle: Christopher Nolan, The Dark Knight Rises, © Warner Bros. Entertainment Inc., 2012.

Ein Eiland also wie Platons Atlantis und Mores Utopia, mit der für Inseln charakteristischen, »insularen« Selbstbezogenheit.20 Freilich ist Utopia, wie es die Frontispize der Ausgaben von 1516 und 1518 abbilden (letzteres von Ambrosius Holbein (1494-1519) gestaltet, Hans Holbein d.J. Bruder),21 vor allem Insel und weniger Stadt, wenngleich die für die Zeit recht hohen, mehrstöckigen Häuser auffallen, eine »Skyline«, die dem Gemeinwesen (mit 54 Städten) einen fast modernen urbanen Flair verleiht (Abb. 2).

Gotham hingegen ist weniger Insel und vor allem Stadt, ein geschlossener Siedlungsraum, der sich die drei Inseln vollständig einverleibt hat und sich zudem in unmittelbarer Küsten- und Flussnähe (Gotham River) befindet. Trotzdem ist die Insellage für den Charakter der Stadt und ihrer politischen Ordnung nicht irrelevant. Wir erwähnten bereits, dass das Zerstören der Brücken, die Inseln und Festland verbinden, ein gängiges Mittel ist – in »No Man’s Land« ebenso wie in »The Dark Knight Rises« – um Gotham gänzlich zu isolieren und auf die Weise deutlich zu machen, dass die Bürgerschaft sich nur selbst helfen kann.

Abb. 2

Quelle: Thomas Morus, Utopia, 1518 (Ambrosius Holbein).

Für globale Städte ist außerdem die Zugehörigkeit zu transnationalen Wirtschaftsräumen kennzeichnend (»transnational economic spaces«).22 In dem Maße, in dem sie sich vom Hinterland entkoppeln und abschließen, in dem Maße bauen sie Beziehungen zu Ihresgleichen auf, zu Städten von vergleichbarer Größe, Wirtschaftskraft und Autonomie. So werden sie Teil eines informellen Städtebündnisses, das eines Tages vielleicht die Nationalstaaten und die Völkergemeinschaft als Hauptakteure der Weltpolitik ersetzt, Heimat einer heimatlosen Elite und Resonanzraum weltumspannender hyperkapitalistischer Aktivitäten. Der Film »The Dark Knight« (2008) deutet an, dass auch die Stadt Batmans dieser »Superliga« angehört, denn die Handlung spielt – soweit nicht in Gotham – in Hongkong, wo das Unternehmen des Geschäftsmanns und Großkriminellen Yinglain Lau ansässig ist, der Gothams Unterwelt (illegale) Finanzdienstleistungen anbietet.

Mit ihren Skylines, ihren atemberaubenden Stahl- und Glastürmen unterscheiden sich globale Städte schon äußerlich von den herkömmlichen National- und Provinzstädten. In letzteren beherrschen noch die Bauten des öffentlichen Sektors (im weitesten Sinne) – Gotteshäuser, Königspaläste, Regierungssitze, Parlamentsgebäude – das Stadtbild. Hingegen finanzieren in den globalen Städten Immobilienfonds und Konzerne die identitätsstiftende Architektur, geplant und ausgeführt von kosmopolitischen »Stararchitekten« und großen internationalen Architekturbüros, die genauso kapitalistisch ausgerichtet und organisiert sind wie ihre Auftraggeber.23

In den globalen Städten haben diese Büros oft ihren Hauptsitz und ebenso die wichtigsten Unternehmen der Medien- und Unterhaltungsbranche, riesige Konglomerate, bestehend aus Filmstudios, Plattenlabels, Buchverlagen und Fernsehkanälen, die in den letzten Jahrzehnten durch Fusionen und Zukäufe entstanden sind. Die Konzentrationsprozesse führen nach und nach auch zu einer Globalisierung der Inhalte, Werte, Aussagen und ästhetischen Ausdrucksformen. Die Medienkonzerne und die in den global cities ansässigen Eliten haben ein Interesse an einer Vereinheitlichung oder zumindest Harmonisierung der (Pop-) Kultur, weil sie weltweit akzeptierte Produkte – gleich ob Filme, Fernsehserien, Lieder oder Bücher – erfolgreicher und schneller vermarkten können.

»The decisions made in those headquarter cities, which are at the top of the global hierarchy, have enormous consequences for people everywhere«, schrieb der amerikanische Soziologe Mark Abrahamson schon zu Beginn des 21. Jahrhunderts, »the cultural industries are significant sociologically because of the important part they play in establishing people’s beliefs and aspirations as well as setting popular styles. The various mediums of this industry are unsurpassed in providing models and symbolic forms for people to use in interpreting the significance of public and private events in their lives and in deciphering the meaning of their social relationships.«24

Damit ist bereits eine weitere – für unser Vorhaben besonders wichtige – globale Dimension Gothams angesprochen: Gotham als weltweit bekanntes und gegenwärtiges Sinnbild für gutes (und schlechtes) Regieren, Richten und Strafen in Extremsituationen. Rund um den Globus wird jährlich am dritten Samstag im September der Batman Day begangen. Zum 80. Geburtstag der Comic-Reihe im Jahr 2019 war in New York, Tokyo, Johannesburg, Melbourne, Rom, London und in vielen weiteren Städten das Bat Signal an den Fassaden prominenter Gebäude zu sehen (in Berlin am Potsdamer Platz).

Was Umsatz und Zuschauerzahlen anbelangt, gibt es nur wenige Produktionen, die es mit den Batman-Filmen aufnehmen können. Insbesondere die Dark Knight-Trilogie unter der Regie von Cristopher Nolan war außerordentlich erfolgreich. Sowohl der zweite (2008) als auch der dritte Teil (2012) spielten jeweils mehr als ein Milliarde US-Dollar ein.25 Betrug der internationale (nicht US-amerikanische) Anteil am Gesamtumsatz 2008 noch 46,8 %, lag er 2012 bereits bei 58,5 %.26 In 56 »Märkten«, von Ägypten bis Australien, von China bis Kolumbien, von Indonesien bis Nigeria: Überall hatte der Dunkle Ritter seinen Auftritt.27 Da die Filme fortwährend im Fernsehen wiederholt werden und darüber hinaus über Speichermedien und Archive zugänglich sind, hat man wohl davon auszugehen, dass die Batman-Saga zumindest in ihren Grundzügen einem Milliardenpublikum bekannt ist.

Das ursprüngliche Medium, der Comicstrip, dürfte heute (anders als in der Mitte des 20. Jahrhunderts) nur noch vergleichsweise wenig zum Erfolg und zur Bekanntheit beitragen. Ungeachtet dessen werden Batmancomics weiterhin publiziert und gelesen, wiederum nicht nur in den Vereinigten Staaten oder in Westeuropa, sondern auch in Asien und Lateinamerika. Neben einfachen Übersetzungen existieren Geschichten mit nationalen oder regionalen Batmans, die in Aussehen und Verhalten landestypische Besonderheiten aufweisen, um die Leser in anderen Teilen der Welt stärker anzusprechen und eine Identifikation zu ermöglichen.

Dieses Phänomen hat Grant Morrison in der Reihe »Batman Incorporated« (2010-2013) auf originelle Weise selbst zum Gegenstand einer Bildergeschichte gemacht.28 Wir sehen Bruce Wayne in Anzug und Krawatte, wie er im obersten Stockwerk des Wayne Towers dem Vorstand von Wayne Enterprises (oder der Wayne Foundation) seine neue Strategie einer dezidiert globalen Verbrechensbekämpfung erläutert (»Ich bin zurück und greife die nächste Ebene strategisch an. Wir werden fortan nicht nur in Gotham helfen, sondern die Welt verändern«).29 Auf der Weltkarte im Hintergrund sind mit einem gelben Batman-Logo die Orte gekennzeichnet, an denen regionale Batman-Doppelgänger operieren, wie Waynes Ansprache zu entnehmen: »Wir wissen von mindestens 20 tapferen Männern und Frauen in aller Welt, die Batman inspiriert hat. Mit Batmans Unterstützung will ich ein Netzwerk internationaler Verbrechensbekämpfung aufbauen und diese finanzieren. Von London bis Hong Kong, von Buenos Aires bis Moskau … Wir schaffen ein omnipräsentes internationales Verbrechensbekämpfungs-Franchise.«30

Grant Morrisons Rahmenhandlung ist unter verschiedenen Gesichtspunkten bemerkenswert. Zum einen stellt sie Batmans Mission als eine an modernen wirtschaftlichen, korporativen Praktiken orientierte Unternehmung dar und gibt dem Ganzen dadurch eine ironische Wendung;31 schließlich ist der reale Batman ebenfalls eine Marke und ein (sehr wertvolles) Wirtschaftsgut, das »gehandelt«, »lizensiert«, »vermarktet« wird. Und DC Comics, Inc., die Kapitalgesellschaft, die über Batmans Schicksal wacht, gehört als Tochtergesellschaft von DC Entertainment Inc. zu Warner Bros. Entertainment Inc., die als Teil von Warner Media, LLC (derzeit noch) von AT&T, Inc. kontrolliert wird.

Zum anderen trägt »Batman Incorporated« dem Bedürfnis nach einer Diversifizierung der Batman-Figur Rechnung, die ein universelles Prinzip und keine Pax Americana, keine spezifisch amerikanische Gerechtigkeits- und Friedensordnung, verkörpern soll. Die Protagonisten des von Bruce Wayne aus der Taufe gehobenen Verbrechensbekämpfungs-Franchise wie Batwing – der »afrikanische Batman« – oder der argentinische El Gaucho haben ihr eigenes Profil und ihren eigenen Kopf, ja El Gaucho weigert sich sogar, dem »Netzwerk internationaler Verbrechensbekämpfung« formell beizutreten (»Und was ›Batman Incorporated‹ angeht, bin ich dankbar und geschmeichelt, dass Du den ganzen Weg hierherkamst, aber El Gaucho ist sein eigener Herr, kein Angestellter«).32

Von der Globalisierung und zugleich Regionalisierung sind auch andere Ikonen der amerikanischen Pop-Kultur betroffen, zum Beispiel Spider-Man.33 Bereits 2004 veröffentlichte die »Gotham (!) Entertainment Group« mit Sitz in Bangalore, Indien, eine auf den indischen Markt zugeschnittene Version des Spinnenmannes – »einer der ersten Versuche, einen durch und durch amerikanischen Superhelden kulturell zu übersetzen und in einen Helden mit indischem Hintergrund zu verwandeln.«34 Sharad Devarajan, CEO der »Gotham Entertainment Group«, hob die ambitionierten Ziele seines Vorhabens hervor:

»Anders als traditionelle Übersetzungen amerikanischer Comics wird Spider-Man India die allererste ›Transkreation‹ werden, in der wir (Inder und indischstämmige US-Amerikaner) den Ursprung einer westlichen Marke (property) wie Spider-Man neu erfinden.«35

Man sollte solche Bemühungen um kulturelle »Transkreation« und das Vermeiden von US- oder eurozentristischen Perspektiven nicht vorschnell als durchsichtige Vermarktungsstrategie abtun. Derartige kreative Hybride können unter Umstände ein kritisches Bewusstsein fördern und produktive öffentliche Debatten anregen36 – wie im Fall des Nightrunner, des französischen Statthalters von Batman Incorporated. Der von David Hine konzipierte Superheld erhitzte die Gemüter konservativer Kolumnisten, weil ihrer Meinung nach ein 25jähriger Franzose algerischer Herkunft und noch dazu muslimischen Glaubens unmöglich einen Kreuzzug gegen das Böse anführen kann.37

Davon abgesehen bezeugen die »Transkreationen« ebenso wie die unbearbeiteten Importe freilich vor allem die fortschreitende Homogenisierung der populären Kultur und Lebensstile. Globale Erzählungen treten zunehmend neben die nationale Erzählungen oder ersetzen sie sogar. Daran werden wir uns gewöhnen müssen, auch wenn wir anerkennen, dass fremde Ideen und Vorstellungen nicht einfach »übernommen«, »rezipiert«, vielmehr immer sogleich modifiziert, umgedeutet, angepasst werden.38

Da die Superhelden-Comics und -Filme auch Normativitätswissen39 speichern und vermitteln, leisten sie einen Beitrag zur Globalisierung solcher Wissensbestände und verdienen die uneingeschränkte Aufmerksamkeit derer, die für Staat, Recht und Politik Verantwortung tragen, zumal das Genre die ganz großen Fragen im Blick hat, Staatskrisen, Ausnahmezustand, nukleare Bedrohung, Terroranschläge, Revolten und Revolutionen. Es sind Kernthemen der Staatstheorie und politischen Philosophie, die man hier verhandelt, Souveränität und Gewaltmonopol, Legitimtät und Legalität, Volksherrschaft und Diktatur. Die Erosion des nationalen bildungsbürgerlichen Normativitätswissen lässt sich nicht dadurch aufhalten, dass wir sie leugnen und unverdrossen die Relevanz juristischer Texte und Autoren predigen, die längst ihre Relevanz verloren haben.

Wer Normen und Wissen über Normen und Recht in anderen als den überkommenen Quellengattungen und Medien (Gesetzestexte, wissenschaftliche Abhandlungen, Gerichtsakten usw.) erkunden möchte, muss den Eigenheiten und der Eigendynamik des Unvertrauten Rechnung tragen und gegebenenfalls neue Wege beschreiten. Kinofilme des 21. Jahrhundert vermitteln ihre Inhalte, ihre normativen Botschaften offenkundig nicht auf gleiche Weise wie juristische Lehrbücher des 19. Jahrhunderts: Bilder sind dem gesprochenen und geschriebenen Wort mindestens ebenbürtig; und die materielle Kultur – Gebäude, Gebrauchsgegenstände, Werke der bildenden Kunst – begleitet sinnstiftend alle Handlungen und zwischenmenschlichen Kontakte.

Schon die vormodernen »Staatsromane« bedienten sich der Architektur als komplementäres Ausdrucksmittel, wenngleich sie (abgesehen von den erwähnten Titelkupfern) nur Beschreibungen urbaner Räume und keine Bilder enthalten. Die Orientierung im Raum ist für den Menschen überlebenswichtig, folglich unser Denken – auch das abstrakte – auf die lebensweltliche Umgebung ausgerichtet und »das menschliche Gedächtnis … topologisch, ortsbezogen strukturiert.«40 Wir denken mit den Räumen, in denen wir leben.41 Wenn Platon im »Kritias« Staatsideal und »konstruktiv präzisierende Stadtbeschreibung« zueinander in Beziehung setzt, indem er für Atlantis einen kreisförmigen Grundriss »als Ausdruck einer zentralen gottgegebenen Königsherrschaft« wählte (Wasser- und Landringe umschließen das Poseidon-Kleito-Heiligtum und die Königsburg im Zentrum des Inselreichs),42 ist das keine geniale Eingebung, keine revolutionäre Tat, vielmehr eine schlechthin natürliche, anthropologisch naheliegende Verknüpfung. Tommaso Campanellas »Sonnenstaat« (civitas solis) von 1623 hat eine ähnliche Gestalt: eine Stadt, »in sieben riesige Kreise oder Ringe eingeteilt, die nach den sieben Planeten benannt sind«,43 und in der Mitte ein gigantischer Tempel von der sechsfachen Größe des Florentiner Doms,44 Sitz der Priesterherrscher und Sinnbild für ihr totalitäres Regiment. Der orbis pictus, ein enzyklopädisches Bildprogramm auf den Wänden der Palästen, ergänzt in der Tradition der ars memoriae die »sprechende«, vielsagende Architektur.45

So erklärt sich der seltsame Aufbau und Zuschnitt unserer Studie, die architektur-, film-, politik-, staats- und rechtswissenschaftliche Einsichten zusammenführen möchte. Wir werden eine aus den Fugen geratene Welt vornehmlich durch das Prisma fiktiver, szenografischer Architektur betrachten und wollen so die Sinne schärfen für die in unserer Zeit lebendigen Vorstellungen von dem, was eine substantielle Staatskrise auszeichnet und was sie hervorbringt, und von den Mitteln, mit deren Hilfe wir sie einzuhegen hoffen.

Der Leser hält – das sei als Warnung vorangestellt – kein Kompendium für Batman-Liebhaber in den Händen, das sein Wissen über Gotham City durch kostbare Archivfunde, Autobiographien oder Interviews vermehrt. Da es uns allein auf die massenmediale Wirkung ankommt, beschränken wir uns auf die Kinofilme (seit 1989) und lassen schweren Herzens die Batman-Comics – oft vielseitiger, raffinierter, verwegener als die Filme – unberücksichtigt, was nicht ausschließt, dass wir auf die eine oder andere Publikation hinweisen, schon weil die Drehbuchautoren die Comics als Vorlage für ihre Geschichten nutzten. Man mag sich immerhin damit trösten, dass schon jetzt nicht wenige brauchbare Gesamtdarstellungen existieren,46 offizielle oder inoffizielle Chroniken und Übersichtswerke, die Anfänger und Fortgeschrittene über Batman, seine Verbündeten, seine Feinde, seine Herkunft und die vielen Facetten seines achtzigjährigen Daseins unterrichten.47

Ferner darf niemand erwarten, dass unsere kleine Schrift alle denkbare ethischen, rechtlichen, politischen Implikationen der Batman-Saga anspricht oder gar erschöpfend erörtert. Viele Wege führen nach Gotham, und wir maßen uns nicht an, jeden zu kennen. Auch gerieten wir schnell auf Abwege und würden das Ziel aus den Augen verlieren, wenn wir Vollständigkeit anstrebten. Tröstlich ist wiederum, dass es an Beiträgen, die das Weltphänomen Batman aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln analysieren, keinen Mangel gibt. An dem Dialog haben sich über die Jahre hinweg Philosophen ebenso beteiligt wie Literatur-, Medien- und Politikwissenschaftler,48 nicht zu vergessen die Comic- und Filmkritik im anspruchsvollen Feuilleton.49

Um nicht diejenigen von vornherein auszuschließen, die nicht alle Filme gesehen haben oder die sich an die Handlung nicht mehr erinnern, beginnen wir mit einer Inhaltsangabe unserer Hauptquellen, die den Gang der Geschehnisse zusammenfasst und die dramatis personae benennt (I.). Daran schließt sich an eine methodische Vorbemerkung über das Entstehen von Einstellungen, Ansichten, Weltbildern im Vorfeld politischer Programmatik und juristischer Theoriebildung (II.1) sowie ein notstandsrechtliches Breviarium, das an das komplizierte Verhältnis des Rechts zur Staatskrise erinnert (II.2). Das dritte Kapitel ist Gothams chronischen Leiden gewidmet, den strukturellen ästhetisch-psychischen Defiziten, die Institutionen und Bürgerschaft in ihrer Abwehrbereitschaft und -fähigkeit bedrohlich schwächen (III.). Mit den akuten Störungen, den eigentlichen Katastrophen, Plagen, Heimsuchungen, Verhängnissen, die Batman als Schutzmacht Gothams auf den Plan rufen, befassen wir uns in typologischer Absicht im vierten Teil und skizzieren die Topoi kollektiver Phobien, die nicht nur die Bürger Gothams um den Schlaf bringen und der Entmündigung, der demokratischen Selbstaufgabe den Weg ebnen (IV.). Wie die Rettung beschaffen ist, die Batman der Stadt anbietet, in welcher Tradition er steht und wie er die Mittel einsetzt, die ihm zu Gebote stehen, davon handelt das letzte Kapitel (V.).

I.Custos civitatis – Hollywoods Batman

Die 1980er Jahre bedeuten in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur in der Geschichte der Verbrecher jagenden Fledermaus. Zum einen betritt 1986 in dem wegweisenden, viel bewunderten Comic »The Dark Knight Rises« von Frank Miller ein gealterter, verbitterter Bruce Wayne die Bühne, der nach einem langen inneren Exil den Kampf gegen das Verbrechen in einem von brutaler Bandenkriminalität heimgesuchten Gotham wieder aufnimmt.50 Realer Hintergrund der düsteren Vision Millers waren die Gewaltexzesse auf den Straßen New Yorks unter der Reagan- und Bush-Administration (ausführlich dazu III.3). Zum anderen feierte 1989, rechtzeitig zu Batmans 50. Geburtstag, erstmals ein mit großem Budget realisierter, sehr erfolgreicher Hollywood-Film Premiere, der Gothams kostümierten Helden in eine neue Sphäre katapultierte.51 Von hier an datiert der moderne »Batmanismus«. Seither kehrt die Fledermaus in regelmäßigen Abständen auf die Leinwand zurück, fast immer unter großer Anteilnahme der Weltöffentlichkeit. Über die Handlungen der Filme wollen wir uns im Folgenden einen Überblick verschaffen.

1.Tim Burton

Die Regie des Jubiläumsfilms führte der damals erst 30jährige Tim Burton, der seit einigen Jahren als Nachwuchs-Trickzeichner bei Disney arbeitete.52 Der Film hätte ebenso gut »Joker« heißen können, denn die gefallene Unterweltgröße Jack Napier, gespielt von Jack Nicholson, steht im Mittelpunkt der dramatischen Ereignisse, die fast zur Vernichtung Gothams geführt hätten. Besagter Jack Napier stürzt in der Chemiefabrik »Axis Chemicals« in einen Kessel mit Säure, als er – von den eigenen Leuten in eine Falle gelockt – sich dem Zugriff der Polizei und Batmans entziehen will. Völlig entstellt, von einem Arzt notdürftig operiert, verliert Napier den Verstand und treibt fortan als »Joker« sein Unwesen. Nachdem er sich Gothams Unterwelt gefügig gemacht hat, beginnt der Joker, die Stadt zu terrorisieren, indem er mit dem Toxin »Smylex« kontaminierte Kosmetikartikel in den Verkehr bringt, die bei den Konsumenten einen unkontrollierbaren Lachanfall auslösen und ihre Gesichter für immer in jokergleiche Fratzen verwandeln.

Nebenbei hat der Joker ein Auge auf die hübsche Fotografin Vicky Vale geworfen, die sich aber zu Bruce Wayne hingezogen fühlt. Er lockt sie in das Flu(e)gelheim Kunstmuseum, in dessen Restaurant angeblich Wayne sie zum Abendessen erwartet. Doch statt Wayne erscheint der Joker, der auf dem Weg zum Museumsrestaurant in einer berühmten Filmsequenz alle Gemälde, Plastiken und Skulpturen zerstört und verunstaltet, nachdem er Besucher und Personal – ausgenommen Vale – außer Gefecht gesetzt hat. Jokers Werben um die Zuneigung der Fotografin ist allerdings nicht erfolgreich, da Batman sie aus den Fängen des Wahnsinnigen befreien kann.

Jetzt holt der Joker zum großen Gegenschlag aus. Über alle Fernsehkanäle lässt er die Ankündigung verbreiten, aus Anlass des 200. Jahrestags der Gründung Gothams zwanzig Millionen Dollar zu verschenken. An dem vorgesehenen Termin drängen sich die Bürger der Stadt erwartungsvoll in den Straßen. In einem bizarren Karnevalsumzug erscheint der Joker mit seinen Männern. Wie ein König thront er auf einer gigantischen Geburtstagstorte, während es Dollarscheine auf die gierige Menge regnet. Plötzlich beginnen die riesigen bunten Ballons, die über dem Umzug schweben, Giftgas zu versprühen. Nun erkennen die Menschen die Falle und geraten in Panik. Der in seinem luxuriösen Anwesen Wayne Manor weilende Bruce, der inzwischen Jack Napier als den Mörder seiner Eltern identifiziert hat, durschaut rechtzeitig den Hinterhalt und eilt als Batman der Stadt zur Hilfe. Mit seinem Fluggerät zieht er die Ballons aus dem Verkehr, kann aber nicht verhindern, dass der Joker seine Geliebte Vicky Vale in Gothams Kathedrale entführt. Es folgt ein dramatischer Kampf zwischen Joker und Batman auf dem Glockenturm in luftigen Höhen, den der Mörder von Thomas und Martha Wayne mit dem Leben bezahlt.

Tim Burton hat seine Vorliebe für den expressionistischen Film der 1920er Jahre nie verleugnet (dazu III.1). So enthält der 1989er »Batman« unzählige Anspielungen und Hinweise auf deutsche Filmklassiker, namentlich auf Fritz Langs »Metropolis«, Vorbild unter anderem für das Design der Maschinenräume von »Axis Chemicals« und die Schlussszene auf den Dächern der Kathedrale (bis in die Einzelheiten dem Kampf zwischen Rotwang, Freder und Maria in und auf der Kathedrale von Metropolis nachempfunden). Schon für sich genommen ist der Umstand, dass Burton sich dem gängigen Realismus verweigerte und Studioaufnahmen in einer architektonischen Kunstwelt den Vorzug gab, eine Verbeugung vor dem cineastischen Konstruktivismus der 20er Jahre. In den Hallen und auf dem Gelände der Pinewood-Studios südlich von London erschufen Burton und sein Produktionsdesigner Anton Furst die beklemmende Vision eines wuchernden, baurechtlich unregulierten Molochs – das größte Außenset seit dem Monumentalfilm »Cleopatra« von 1963.53

Noch konsequenter setzte Burton die Grundsätze des Neo-Expressionismus (und der Postmoderne) in seinem zweiten Batman-Film »Batman Returns« (1992) um. Der Sitz des Kaufhausmoguls Max Shreck, verschlagener Großunternehmer und Gegenspieler Batmans, gleicht aus der Vogelperspektive Fritz Langs Turm von Babel, und der Name des Bösewichts verweist auf Maximilian Schreck, Hauptdarsteller in Murnaus »Nosferatu. Eine Symphonie des Grauens« von 1922. Der eigentliche Star des Films ist jedoch ein anderer Schurke: Oswald Cobblepot, »der Pinguin«, gespielt von Danny DeVito. Ihm war das Schicksal nicht hold, denn eigentlich stammt er, wie er selbst erst im Verlaufe des Films erfährt, von reichen und angesehenen Eltern ab, die ihn aber noch als Baby samt Kinderwagen in die Kanalisation warfen, als sie seines missgestalteten, an einen Pinguin erinnernden Körpers ansichtig wurden. Wider Erwarten überlebt der Junge und errichtet untertage und im Pinguin-Haus des örtlichen Zoos (»Arctic World«) – eine Art überdimensioniertes Schwimmbad – sein eigenes Reich.

Max Shreck kann den Pinguin dazu überreden, bei der Bürgermeisterwahl gegen den Amtsinhaber zu kandidieren, der seinen kriminellen Vorhaben im Wege steht. Kernelement der Cobblepot’schen Wahlkampfstrategie ist die Verunsicherung der Bevölkerung durch Plünderungen und Terroranschläge während der Weihnachtszeit. Immer wieder tauchen wie aus dem Nichts als Clowns und Akrobaten verkleidete Mitglieder des Zirkusensembles »Red Triangle« auf (deren heimlicher Boss der Pinguin ist) und verbreiten auf Gothams Weihnachtsmarkt Angst und Schrecken. So soll der Bevölkerung die Unfähigkeit und Untätigkeit des gegenwärtigen Bürgermeisters nachdrücklich vor Augen geführt werden.

Letztlich scheitern Shrecks und Cobbelpots politische Pläne, und jener zieht sich in den Zoo zurück. Jetzt jeder Rücksichtnahme enthoben beschließt der Pinguin, alle erstgeborenen Kinder Gothams zu entführen und zu ermorden, ein Vorhaben, das Batman verhindern kann. Darüber erbost greift der Pinguin zum äußersten Mittel, mobilisiert seine treuesten Begleiter, die echten Pinguine, die ihn aufgezogen haben, und schickt sie, bewaffnet mit Raketen, in die Stadt, um diese auszulöschen. In einem turbulenten Finale gelingt es Batman, die Pinguinarmee so zu manipulieren, dass sie ihre Raketen auf den Zoo abfeuern und dadurch Cobblepots Schreckensregime ein Ende bereiten. Und auch der intrigante Max Shreck verliert in dem Show-down sein Leben.

2.Joel Schumacher

Da Tim Burton für weitere Batman-Abendteuer nicht mehr zur Verfügung stand, übernahm Joel Schuhmacher die Regie. Immerhin blieb Burton dem ersten Filmprojekt noch als Produzent erhalten, und überdies ist eine gewisse inhaltliche und stilistische Kontinuität nicht zu übersehen. Trotzdem gelten Schumachers Batman-Adaptionen im Allgemeinen als weniger gelungen als ihre Vorgänger, was für die Handlung und schauspielerische Leistung sicherlich zutrifft, nicht aber ohne weiteres für die Filmarchitektur.

Die Handlung von »Batman Forever« (1995) weist insoweit eine Übereinstimmung mit dem letzten Burton-Film auf, als Batman es abermals mit zwei Feinden zu tun hat, die Gotham bedrohen. Diesmal ist es der ehemalige Staatsanwalt Harvey Dent, dessen linke Gesichtshälfte bei einem Anschlag entstellt wurde und der dafür Batman zur Verantwortung ziehen will, und Edward Nygma, ein ebenso hochbegabter wie psychisch labiler Wissenschaftler, der als Angestellter von Wayne Enterprises ein Gerät zur Manipulation von Gehirnwellen erfunden hat. Als Bruche Wayne die Vermarktung des Apparats wegen ethischer Bedenken ablehnt, ist Nygma tödlich beleidigt und verwandelt sich in den stets grün gekleideten »Riddler«, der einen Pakt mit Two-Face schließt.