Das Buch

U.S.-Senator Jamey Wyckoff betraut den ehemaligen Regierungsagenten Paul Janson und die Scharfschützin Jessica Kincaid mit einer heiklen Mission: Sie sollen seinen Sohn Gregory aufspüren, dessen Freundin Lynell in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul tot aufgefunden wurde. Gregory musste fliehen, um einer Mordanklage zu entgehen. Doch Senator Wyckoff ist von der Unschuld seines Sohnes überzeugt. Er glaubt, dass Lynell ermordet wurde, weil sie bei einer kürzlich stattgefundenen internationalen Konferenz eine Unterredung belauscht hat, von der niemand etwas erfahren sollte.

Tatsächlich kommen Janson und Kincaid in Korea einer Verschwörung von ungeahntem Ausmaß auf die Spur. Wenn es ihnen nicht gelingt, die Pläne zu vereiteln, wird bald die ganze Welt im Chaos versinken …

Die Autoren

Robert Ludlum erreichte mit seinen Romanen, die in mehr als dreißig Sprachen übersetzt wurden, weltweit eine Auflage von über 280 Millionen Exemplaren. Robert Ludlum verstarb im März 2001. Die Romane aus seinem Nachlass erscheinen bei Heyne.

Ein ausführliches Werkverzeichnis finden Sie auf heyne.de/ludlum

Douglas Corleone ist der Autor zahlreicher international erfolgreicher Thriller. Er arbeitete als Strafverteidiger in New York City und lebt heute auf Hawaii.

Robert Ludlum

Douglas Corleone

Die Janson-Verschwörung

Roman

Aus dem Amerikanischen
von Norbert Jakober

WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN

Die Originalausgabe THE JANSON EQUATION erschien 2015 bei Grand Central Publishing, New York

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Zitat aus:

Demick B., »Im Land des Flüsterns«.
© 2010 Dt. Übersetzung von Gabriele Gockel und Marina Zybak –
Droemer Verlag. Ein Imprint der
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München


Vollständige deutsche Erstausgabe 10/2017

Copyright © 2016 by Myn Pyn, LLC

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Alexandra Klepper

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung eines Motivs von © shutterstock (Mieszko9, Ivan Cholakov)

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-13034-3
V002

www.heyne.de

Für Jack

Schaut man vom All auf die Erde, gibt es auf dem asiatischen Kontinent, wenn dort die Dunkelheit hereinbricht, einen schwarzen Fleck. Das ist Nordkorea.

Barbara Demick,

Im Land des Flüsterns.
Geschichten aus dem Alltag
in Nordkorea (2009)

Männer gesucht für gefährliche Reise. Geringer Lohn, bittere Kälte, lange Monate in vollkommener Dunkelheit. Sichere Rückkehr fraglich. Ehre und Anerkennung im Fall des Erfolges.

Ernest Shackleton,

Anzeige in der London Times
für seine Südpol-Expedition von 1914

Prolog

Dongchang Road, Neuer Stadtbezirk Pudong

Shanghai, Volksrepublik China

Aus der Lobby des Boutique-Hotels beobachtete Paul Janson verstohlen die drei uniformierten Wachmänner, die starr wie Statuen hinter dem Haupttor der Anlage auf der anderen Straßenseite standen. Es waren keine gewöhnlichen Wachen, sondern Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee, die, wie Janson inzwischen wusste, einen Regierungskomplex bewachten, in dem die Einheit 61398 untergebracht war, die für Chinas systematische Cyberspionage verantwortlich war. Ziel des organisierten Datendiebstahls waren Hunderte von Unternehmen und staatlichen Behörden in zwei Dutzend großen Industriestaaten, was den Betroffenen einen Schaden von Hunderten Milliarden Dollar bescherte.

Im Zentrum der Anlage stand das Hauptquartier der Cyberwar-Einheit 61398, ein etwa 12 000 Quadratmeter großes, zwölfstöckiges Gebäude, das Büroraum für gut zweitausend Mitarbeiter bot. Im Laufe der letzten sechs Monate hatte sich Jansons Interesse nach und nach auf eine bestimmte Person konzentriert, einen achtundzwanzigjährigen Mann, der unter dem Online-Namen Stiller Luchs auftrat.

Wie die Raubkatze, die im Norden und Westen Chinas, vor allem im tibetischen Hochland, verbreitet war.

Der für Fußgänger bestimmte Teil des massiven Eisentors wurde geöffnet, und der Mann, den Janson als »Stiller Luchs« kannte, trat hindurch, nickte einem Wachmann zu und ging zu einem der Fahrradständer vor der Anlage. Aus seiner Jacke fischte er einen kleinen Schlüssel, öffnete das Fahrradschloss und schob sein Rad einige Meter, bevor er sich auf den Sattel schwang und losfuhr. Während er langsam davonradelte, schritt Janson durch die Drehtür des Hotels und tauchte in das Meer der Fußgänger ein.

Nach sechs Monaten in Shanghai sehnte er sich nach Einsamkeit. Die Großstadt mit ihren rund siebzehn Millionen Einwohnern und ihren atemberaubenden Wolkenkratzern beeindruckte ihn immer wieder, doch der ständige Verkehr mit seiner Geräuschkulisse – dem Dröhnen der Hupen, dem Brummen der Motoren, dem Kreischen der Bremsen – ließ ihn wehmütig an vergangene Einsätze in Afrika denken.

Während er unter dem tief hängenden grauen Himmel den Gehsteig entlangging, befand sich Janson in einem Zustand höchster Wachsamkeit, auch wenn seine Gedanken für kurze Momente zu dem bevorstehenden Urlaub auf der Hawaii-Insel Maui schweiften, die er zusammen mit Jessie besuchen wollte. Sein Fokus sprang wie der Strahl einer Taschenlampe von einem Gesicht zum nächsten, auf der Suche nach etwas Vertrautem, etwas Auffälligem, einem Blick, der sich allzu schnell von ihm abwandte.

Er selbst hatte sein Aussehen geschickt verändert, sodass er auf den Straßen Shanghais kaum auffiel. Sein grau meliertes Haar war schwarz gefärbt und um einiges länger als gewohnt. Seine grauen, westlich geformten Augen waren hinter einer Ray-Ban-Sonnenbrille verborgen, die rosafarbene Gesichtshaut mit Schminke angepasst. Erstaunlicherweise gelang es dem Amerikaner selbst hier in China, absolut unauffällig zu bleiben.

Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie der Luchs in die Qixia Road einbog und sich der Baustelle näherte. Der Hacker trat nun ungewöhnlich kräftig in die Pedale, und Janson wünschte sich, er würde langsamer fahren, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.

Während Janson selbst auf der Dongtai Road in Richtung Lujiazui Park eilte, bereute er, dass er seine Partnerin Jessica Kincaid nicht gebeten hatte hierzubleiben, bis die Mission abgeschlossen war. In diesem Moment hätte sie von einer Aussichtsplattform im Weltfinanzzentrum durch das Zielfernrohr ihres Scharfschützengewehrs das Geschehen beobachten können und ihn über seinen Ohrhörer warnen können, falls sie etwas Auffälliges bemerkte. Doch nun musste er ohne zusätzliches Auge aus der Luftperspektive auskommen. Jessie hatte ihre Aufgabe erledigt und sich die Extrazeit auf Hawaii verdient.

Schließlich verdankte er es ihr, dass er vor einigen Wochen mit dem Luchs hatte Kontakt aufnehmen können. Er hatte den Chinesen monatelang sowohl online als auch in natura beobachtet, bis er endlich beschloss, dass es Zeit war, den geldgierigen, ehrgeizigen Mann zu rekrutieren. Doch wie sollte er sich ihm nähern?

Jessica Kincaids Charme hatte ihm schließlich die Tür geöffnet. Nachdem sie dem Luchs zu einem protzigen Nachtclub gefolgt waren, ging Jessie auf ihn zu. Nach ein paar Drinks und einem kurzen Flirt führte sie ihn nach draußen, ans Westufer des Huangpu-Flusses, wo Janson auf ihn wartete, um dem achtundzwanzigjährigen Hacker das Geschäft seines Lebens anzubieten. Für detaillierte Informationen über die Aktivitäten der Cyberspionage-Einheit würde er eine neue Identität und genug Geld erhalten, um China und die Volksbefreiungsarmee ein für alle Mal hinter sich zu lassen.

Heute würden sie das Geschäft zeitgleich über zwei getrennte tote Briefkästen abwickeln, und Janson würde Shanghai mit handfesten Beweisen verlassen, dass die Volksrepublik China weltweit Wirtschaftsgeheimnisse stahl.

Eines der Opfer der Cyberwar-Einheit 61398 war die Edgerton-Gertz Corporation, ein amerikanischer Biotechnologie-Konzern, der seit sechs Jahren regelmäßig von Cyberdiebstahl heimgesucht wurde und dadurch Milliardenverluste hinnehmen musste. Edgerton-Gertz war Jansons Klient und der Grund, warum er nach Shanghai gekommen war. Der Generaldirektor des Unternehmens, Jeremy Beck, war von einem hochrangigen Angehörigen des amerikanischen Außenministeriums an Jansons Firma Catspaw Associates verwiesen worden, die Sicherheitsberatung für Unternehmen anbot. Immerhin hatte Janson jahrelang als Geheimagent für das State Department gearbeitet, genauer gesagt, für Consular Operations, eine Organisation, in der er regelmäßig mit »sanktioniertem Töten« beauftragt worden war. Seither waren Jahre vergangen, doch die Erinnerung daran begleitete ihn nach wie vor. Nicht zuletzt deshalb hatte er die Phoenix Foundation gegründet, eine Stiftung mit dem Ziel, ehemaligen Feldagenten, deren Leben aus der Bahn geraten und deren Psyche zerstört war, zu helfen, wieder Tritt zu fassen.

Janson warf einen Blick auf seine Uhr und schätzte, dass sich der Luchs nun der Baustelle näherte, auf der bald ein weiteres Hochhaus entstehen und Shanghais ohnehin schon einschüchternde Skyline bereichern würde. Hier, außer Sichtweite der gut gekleideten Passanten, würde der junge chinesische Hacker in einem markierten Versteck Geld und Papiere finden, um aus China flüchten zu können. Was der Luchs nicht wusste, war, dass in der Rückseite seines neuen südkoreanischen Passes ein GPS-Tracker verborgen war, der es Janson ermöglichte, den Mann zu verfolgen, falls er seinen Teil der Abmachung nicht erfüllte.

Janson bog nach links in die Century Avenue ein, eine von Touristen bevölkerte Straße mit Viersternehotels, Restaurants, Bars und Museen. Während er sich mit der Menge treiben ließ, die am Lujiazui Park vorbeiströmte, regte sich in Janson plötzlich ein vertrautes Gefühl. Sein in vielen Einsätzen geschärfter Instinkt meldete ein Alarmsignal. Wurde er beobachtet? Wenn ja, von wem? Von der silberhaarigen Chinesin, die allein auf einer Bank saß? Von dem nordeuropäischen Touristen mit rasiermesserscharfen Gesichtszügen, durchdringenden blauen Augen und langen blonden Haaren, der ihm gerade entgegenkam? Vielleicht von dem Mann und der Frau aus dem Nahen Osten, die in einem Café im Freien ihren Tee tranken?

Oder ist das nur Einbildung?

Fuhr das Taxi schräg hinter ihm nicht ungewöhnlich langsam? Und dieser Polizist auf seinem Segway-Roller – hatte Janson ihn nicht heute schon einmal vor seinem Hotel stehen sehen?

Bevor er Gelegenheit hatte, den Fragen nachzugehen, erkannte er auf der anderen Straßenseite die Einmündung in die Gasse, in der er seinen toten Briefkasten vorfinden sollte.

Janson steckte die Hände in die Taschen, beschleunigte seine Schritte und überquerte an der nächsten Kreuzung die Straße mitten in der Menge. Mit gesenktem Kopf beobachtete er den träge dahinfließenden Verkehr und die Gesichter der Passanten. An der gegenüberliegenden Ecke hob er den Blick zu den zahllosen Fenstern auf der anderen Straßenseite. In jedem von ihnen konnte ein Scharfschütze lauern, der sein Zielfernrohr auf die Gasse oder direkt auf Janson gerichtet hatte. Er suchte jedes einzelne Fenster für einen Sekundenbruchteil nach einem verräterischen Aufblitzen ab, einer kaum merklichen Bewegung eines Vorhangs oder der hervorlugenden Mündung eines Gewehrs.

Janson tauchte rasch in die lange, schmale Gasse ein, in der es nach Sesamöl roch. Aus einer Hintertür trat ein älterer Mann mit einer schmutzigen weißen Schürze und einer Zigarette im Mund, in jeder Hand einen prall gefüllten schwarzen Müllsack. Er warf Janson einen flüchtigen Blick zu, dann drehte er sich um und warf die Säcke in einen offenen königsblauen Container. Er drückte die Zigarette an der mit Graffiti übersäten braunen Klinkerwand aus, öffnete die Tür und verschwand im Haus.

Janson zählte seine Schritte und zog ein altes Blackberry ohne Akku aus der Hosentasche. Einige Augenblicke sah er auf das tote Display, ehe ihm das Gerät scheinbar versehentlich entglitt. Als es auf den Boden prallte, bugsierte er es mit dem Fuß zur Hauswand. Er bückte sich, um das Handy aufzuheben, und lächelte angesichts des eigenwilligen Verstecks, das der Luchs gewählt hatte: eine ausgenommene, gefriergetrocknete Ratte, die aussah, als wäre sie von einem Auto überfahren worden.

Irgendwie passend, dachte er.

Rasch hob Janson die Ratte auf und riss vorsichtig das Klettband auf, mit dem der Bauch verschlossen war. Im Inneren fanden seine Finger einen kleinen schwarzen USB-Stick. Er schloss das Klettband über der Bauchhöhle und legte die Ratte wieder hin. Das nutzlose Blackberry steckte er in die Hosentasche und ging weiter die Gasse entlang, die in eine schmale Straße hinter dem Jin Mao Tower mündete.

Janson bog nach links ab, dann noch einmal links, und kehrte in die Dongtai Road zurück, wo er sich ins Getümmel Richtung Century Avenue mischte.

Als er die Straßenecke erreichte, übertönte ein lauter Knall den Verkehrslärm. Einige Fußgänger drehten sich kurz in die Richtung, aus der das Donnern gekommen war, das manche für die Fehlzündung eines Autos zu halten schienen. Kaum jemand blieb stehen, die Verkehrslawine rollte unaufhaltsam weiter.

Janson hingegen hatte instinktiv gespürt, worum es sich handelte: um den Knall einer Achtunddreißiger. Augenblicke später krachte es ein zweites Mal – eindeutig aus der Richtung der leeren Baustelle, auf der Janson seinen toten Briefkasten eingerichtet hatte.

Er bog nach links in die Century Avenue ein und tauchte mit hämmerndem Puls in der Menge unter. Lautlos sagte er sich sein altes Mantra vor – klar wie Wasser, kalt wie Eis – und überlegte, wie er nun vorgehen sollte. Der Luchs war offensichtlich in eine Falle getappt und ermordet worden; das bedeutete, Janson konnte nicht in sein Hotel zurückkehren.

Zeit für Plan B.

Der bestand darin, ein Taxi zu nehmen und unverzüglich zum Pudong International Airport zu fahren.

Während er zum Taxistand drängte, warf er einen Blick auf die Uhr und stellte sich vor, sich im Fadenkreuz eines Scharfschützen der Volksbefreiungsarmee zu befinden. Falls der Schütze nur noch auf den richtigen Moment wartete, würde Janson wahrscheinlich in wenigen Sekunden tot sein.

Der Schweiß rann ihm über die Stirn, sein Magen krampfte sich zusammen.

Klar wie Wasser, kalt wie Eis.

Nach wenigen Augenblicken gelang es ihm, seine Atmung zu beruhigen, dennoch überkam ihn zum ersten Mal in den sechs Monaten, die er sich in Shanghai aufhielt, das beklemmende Gefühl, vielleicht nicht lebend aus der Stadt herauszukommen.

Janson sprang in ein Taxi und rief dem Fahrer auf Chinesisch zu, wohin er wollte. Im nächsten Moment überlegte er es sich anders, duckte sich tief in den Sitz und wies den Mann an, erst einmal rechts abzubiegen, und danach links in die Fushan Road.

Janson wählte eine Route, von der er wusste, dass der Verkehr nicht zu stark sein würde, und der Fahrer folgte den Anweisungen wortlos.

Nachdem sie fünfzehn Minuten durch das Labyrinth der Shanghaier Straßen gekurvt waren, während Janson den Rückspiegel nicht aus den Augen gelassen hatte, war er sich einigermaßen sicher, dass ihm niemand folgte.

Er dankte dem Fahrer auf Chinesisch für seine gute Arbeit, richtete sich auf dem rissigen Vinylsitz auf und wies den Mann an, ihn zum Flughafen zu bringen.

Sein Puls beruhigte sich, doch wirklich sicher würde er sich erst fühlen, wenn das Flugzeug in der Luft war.

Erster Teil

DER SOHN DES SENATORS