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Das Buch

Die internationale Politik ist auch heute noch männlich geprägt: Dominanz ist wichtiger als Vermittlung, Menschenrechte gelten weniger als Machtinteressen, Abrüstung und Klimagerechtigkeit werden als realitätsfremde Utopien verhöhnt und Gesundheit ist eines der Privilegien in reichen Ländern. Kristina Lunz, Mitbegründerin des »Centre for Feminist Foreign Policy«, ist eine couragierte Vorkämpferin für eine feministische, an Gerechtigkeit ausgerichtete Außenpolitik. Sie zeigt, wie eine friedliche, faire und sichere Welt entstehen kann.

Die Autorin

Kristina Lunz, geboren 1989, wurde nach einem Bachelor in Psychologie und einem ersten Masterabschluss in London Stipendiatin an der Universität Oxford, wo sie MSc Global Governance and Diplomacy studierte und sich für feministische Außenpolitik zu interessieren begann. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie u.a. für die Vereinten Nationen in Myanmar und für eine NGO in Kolumbien, bevor sie das »Centre for Feminist Foreign Policy« in Berlin mitbegründete und Beraterin für das Auswärtige Amt wurde. Kristina Lunz hat etliche aktivistische Kampagnen wie »Nein heißt Nein« und gegen den Sexismus in der BILD-Zeitung (mit-)initiiert und etliche Auszeichnungen sowie Fellowships in renommierten Institutionen erhalten.

KRISTINA LUNZ

DIE ZUKUNFT DER AUSSENPOLITIK IST FEMINISTISCH

Wie globale Krisen gelöst werden müssen

Verlagsqualität Ullsteinbuchverlage

ECON

Zwischen dem Schreiben und der Veröffentlichung vergeht etwas Zeit, während der sich die (politische) Welt weiterdreht. Das Buch thematisiert viele politische Entwicklungen. Daher kann es sein, dass zu dem Zeitpunkt, wenn Sie es in den Händen halten, sich manche Welten bereits etwas weitergedreht haben. Sehen Sie es mir nach. Wir leben in schnellen Zeiten.



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ISBN: 978-3-8437-2721-1


© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022

Redaktionsschluss: 8. Dezember 2021

© Illustrationen: Katie Turnbull

Umschlaggestaltung: Nes Kapucu

Umschlagfoto: F. Castro

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Sprotzel.tif

Tür aufgestoßen. Ich hoffe, es schreiten viele hindurch.

Für alle, denen ihre Expertise regelmäßig abgesprochen wird, da sie es wagen, unsere Gesellschaft neu – feministisch! – zu denken:

weg vom patriarchalen Status quo, hin zu einer gerechten Gesellschaft.

Sie sind die einzige Hoffnung, die wir haben.

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Sprotzel.tif

Ich kenne Kristina seit vielen Jahren – als Mitstreiterin, Kritikerin und Verbündete. Im Laufe der Jahre haben wir die Siege der feministischen Zivilgesellschaft gefeiert, zum Nach- und Umdenken anregende Gespräche geführt und darüber reflektiert, wie wir alle in unseren verschiedenen Funktionen – als Aktivist:innen, zivilgesellschaftliche Akteur:innen, feministische Expert:innen und Verbündete – systemische Veränderungen bewirken können. Ich habe Kristina auch herausgefordert und mit ihr debattiert; sie als Person, Feministin und Führungspersönlichkeit wachsen sehen. Nun fühle ich mich geehrt und freue mich, dieses Vorwort zu ihrem Buch schreiben zu dürfen – zum ersten von vielen, die ohne Zweifel noch folgen werden. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Buch Sie dazu bringen wird, den Status quo der Sicherheits- und Außenpolitik zu hinterfragen und sie humaner, effektiver und inklusiver neu zu denken. Es veranschaulicht die Zusammenhänge und Feinheiten der dringlichsten Themen unserer Zeit – Klimakrise, Pandemien, zunehmende Ungleichheiten auf allen gesellschaftlichen Ebenen – und unterstreicht, was feministische Zivilgesellschaft schon lange wusste: Kein Frieden ohne Feminismus; keine politische Entscheidung sollte ohne diejenigen getroffen werden, die sie betrifft – nothing about us without us.

Kristina ist eine bemerkenswert mutige Denkerin in der Außenpolitik. Sie ist hartnäckig, hart arbeitend, reflektiert, empathisch, zielstrebig und akzeptiert kein ungerechtfertigtes Nein als Antwort. Entscheidend ist, dass Kristina sich der Schultern, auf denen sie steht, und der Arbeit ihrer Vorgänger:innen bewusst ist. Sie weiß, dass es nicht Einzelpersonen sind, sondern soziale Bewegungen, die die Geschichte verändern und history zu herstory machen. Kristina und das Centre for Feminist Foreign Policy, heute eine international renommierte Organisation, die sie von Grund auf neu mitaufgebaut hat, hinterfragen die Gegenwart der Außenpolitik – eine Politik, die für die wenigsten funktioniert und die am stärksten Betroffenen marginalisiert. Sie bieten gleichzeitig nachhaltige intersektionale feministische Lösungen für eine bessere Zukunft: eine Zukunft, die von und für alle geschaffen wird. Kurzum, Kristina weiß, dass die Zukunft der Außenpolitik feministisch ist!

Madeleine Rees,

Generalsekretärin der Women’s International League for Peace and Freedom

Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Als ich 2014 Schwedens feministische Außenpolitik als damalige Außenministerin verkündete und Schweden damit zum ersten Land der Welt machte, das eine feministische Außenpolitik einführte und verfolgte, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass viele Länder, darunter Mexiko und Kanada, diesem Beispiel folgen würden. Heute stehen wir auf den Schultern aller bahnbrechenden Aktivist:innen, die den Weg für eine neue nachhaltige und auf menschliche Sicherheit ausgerichtete Vision der Außenpolitik geebnet haben: Feministische Außenpolitik. Offen gesagt können wir nicht über Außenpolitik sprechen, ohne über feministische Außenpolitik zu sprechen.

Ich bin dankbar, dass die Zivilgesellschaft die feministische außenpolitische Agenda beharrlich weiter vorantreibt und ausbaut. Kristinas Buch und die Arbeit des Centre for Feminist Foreign Policy tun genau das – sie beschreiben eine kühne Vision für eine nachhaltige Zukunft, die menschliche Sicherheit in den Mittelpunkt stellt. Kristina hinterfragt den Status quo der Außenpolitik und Sicherheit und erforscht die Herausforderungen und Chancen, die an der Schnittstelle zwischen Diplomatie und Aktivismus liegen. Sie porträtiert Vordenkerinnen der Außenpolitik und regt Leser:innen dazu an, eine Außenpolitik im Dienste der Betroffenen zu fordern. In diesem Buch veranschaulicht sie, was eine feministische Außenpolitik beinhaltet, erklärt, warum sie der effektivste Weg ist, den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen, und betont die Notwendigkeit für alle Länder, eine feministische Außenpolitik zu verfolgen.

Margot Wallström,

ehemalige Außenministerin Schwedens

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MARGOT WALLSTRÖM:
»AKTIVISMUS UND DIPLOMATIE, ALSO MUT UND GEDULD, ERGÄNZEN EINANDER.«

Margot Wallström, die ehemalige schwedische Außenministerin, ist davon überzeugt, dass aktivistischer Mut in der Politik nicht fehlen darf. Nur durch Mut und Kompromissbereitschaft könne man als Diplomatin glaubwürdig und zielgerichtet strukturelle Änderungen in der Außenpolitik bewirken. Als erste UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten (2010–2012) erlebte Margot, wie gravierend sich Krieg auf Frauen und Mädchen auswirkt. Diese Erfahrung erfüllte sie mit Schwermut. Gleichzeitig gaben ihr die Begegnungen mit Überlebenden und vor allem deren Entschiedenheit, gesellschaftlichen Wandel zu bewirken, Hoffnung.

Als Außenministerin Schwedens entschied Margot sich dazu, eine innovative Form der Außenpolitik zu schaffen, die die Rechte von Frauen und Gleichberechtigung erstmals in den Mittelpunkt stellte: Feministische Außenpolitik. Schweden stellte diese Priorisierung unter Beweis, als es 2017 bis 2018 einen UN-Sicherheitsratssitz einnahm. In jeder Sitzung, im Kontext jeder Resolution und in jedem Briefing stellte Schweden die Frage: »Wo sind die Frauen?« Dadurch trug das Land unter Margots feministischer Führung dazu bei, eine politische Kultur zu schaffen, in der Frauen endlich mitgedacht werden.

Sehr einprägsam war es für Margot, als Frauen aus Mali bei einer Reise des kompletten Sicherheitsrats in das afrikanische Land der schwedischen Delegation für ebendiese Arbeit dankten – ohne die Beharrlichkeit Schwedens wäre ein entsprechender Passus zur Partizipation von Frauen nicht in eine Sicherheitsratsresolution zum Konflikt in Mali aufgenommen worden. Nur so sei es den Frauen möglich gewesen, den Präsidenten ihres Landes zu treffen. Dies werde es beim nächsten Mal erschweren, Frauen bei weiteren Treffen erneut auszuschließen, und beweise ein erstes Umdenken über die Rolle von Frauen. Margot sagt, es seien Momente wie diese und auch zu sehen, dass andere Regierungen und zivilgesellschaftliche Organisationen wie auch das CFFP feministische Arbeit weiterentwickeln, die sie am stärksten mit Stolz erfüllen.

Ein Buch, das Margot beeindruckt, ist Say Nothing, eine wahre Geschichte über den Nordirland-Konflikt, von Patrick Radden Keefe.

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TONI HAASTRUP:
»ZU HAUSE WAR NIE
EIN ORT FÜR MICH.«

So beschreibt die in Nigeria geborene, in den USA ausgebildete und aktuell in Großbritannien lebende Akademikerin Toni Haastrup, wie ihre Faszination für internationale Beziehungen entstand. Toni hat es sich zur Aufgabe gemacht, internationale Beziehungen in ihrer traditionellen Konzeption radikal zu hinterfragen und stattdessen aus einer postkolonialen Perspektive zu betrachten. Postkolonialismus negiert die Prämisse, dass internationale Beziehungen vom Staat aus zu denken sind, und konzentriert sich in der Analyse auf Machtzusammenhänge.

Denn bei internationalen Beziehungen geht es immer um Macht, vor allem um relative Macht: »Staat A hat Macht, wenn Staat A mehr Macht als Staat B hat.« Daraus ergibt sich die Frage, auf welcher Grundlage der Machtzuwachs von Nationen wie Russland oder China, die traditionell nicht dem globalen Norden zuzuordnen sind, kritisiert wird: Sind es wirklich die fragwürdigen Menschenrechtspraktiken? Oder aber die bloße Tatsache, dass ein Machtgewinn Chinas oder Russlands einen Machtverlust der historischen Kolonialmächte bedeutet?

Toni hebt hervor, dass Feminismus nicht immer mit der Idee des Nationalstaates vereinbar ist. Der Nationalstaat entstand vor allem aus zwei Gründen: Kontrolle und Expansion. Die Geschichte des Nationalstaats zeigt: Dieses Konstrukt verstärkte die Tendenz, Menschen auszuschließen. Sklaven, Frauen und all diejenigen, die »anders« waren, sollten – durch das Wahlrecht zum Beispiel – kontrolliert werden. Außerdem schuf der Nationalstaat die Legitimation, das eigene Gebiet durch koloniale Eroberungen zu erweitern. Für Toni ist Feminismus genau diesen Prinzipien – Kolonialismus, Militarismus, Unterdrückung – entgegengesetzt.

Wenn wir also an die Transformationskraft Feministischer Außenpolitik glauben, kann Feministische Außenpolitik immer nur ein Ideal sein, nach dem wir als Feminist:innen streben. Denn eine wirklich Feministische Außenpolitik würde unsere gesellschaftspolitischen Systeme über die bloße Inklusion von Frauen in das bestehende System hinaus revolutionieren. Sie schafft neue gesellschaftliche Strukturen. Demnach kann eine Feministische Außenpolitik niemals existieren, denn nachdem sie ihren Zweck der Transformation erfüllt hat, ist die Idee des Nationalstaats und damit sie selbst als Feministische Außenpolitik obsolet, so Toni – die wohlgemerkt eine große Verfechterin Feministischer Außenpolitik ist.

Zu Tonis Lieblingsautor:innen zählen Toni Morrison und John Irving.

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VALERIE HUDSON:
»ES WAR EINE LANGE
VERRÜCKTE REISE.«

Das sagt die Politikwissenschaftlerin, Autorin und Dozentin Valerie Hudson über ihre Entwicklung zur Feministin und die Findung ihres Forschungsschwerpunkts: den Zusammenhang zwischen der Sicherheit von Staaten und der Unterdrückung von Frauen. Die Reise begann damit, dass Valerie in ihrem Studium eine Wissenschaft, eine Politik und Geschichte kennenlernte, die frauenlos war. Diese Unsichtbarkeit von Frauen gepaart mit einer Reihe von Erfahrungen, etwa Valeries Arbeit in der Army bei den Special Forces, machten ihr klar: Wir betrachten die Welt aus den Augen von Männern und mithilfe der Definitionen, die sie aufgestellt haben. Dabei übersehen wir die Expertise und Erfahrungen von Frauen und ignorieren, dass die Stabilität des Nationalstaates und der Grad an Gleichberechtigung der Geschlechter im Land zusammenhängen. Aber es mangelte an Daten – bislang hatte niemand die weltweite Situation und Sicherheit von Frauen umfassend analysiert. Deshalb begann Valerie das WomanStats Project, eine Datenbank, die heute Informationen über die Sicherheit von Frauen in 176 Ländern erfasst. Valerie stellte unter anderem fest, dass der aussagekräftigste Faktor für die Gewaltbereitschaft eines Staates im Innen und Außen das Niveau an Gleichberechtigung der Geschlechter innerhalb des Landes ist. Es ist ein signifikant wichtigerer Faktor, um die staatliche Sicherheit vorauszusagen, als das Bruttoinlandsprodukt oder die Staatsform. Doch es ist schwer, quantitative Daten zu sammeln, da Staaten meist schlichtweg keine Statistik zu Frauenleben erfassen. So gibt es heute immer noch circa 30 Nationen, die Vergewaltigungen nicht dokumentieren.

In ihrem neuesten Buch The First Political Order – How Sex Shapes Governance and National Security Worldwide stellt Valerie dar, wie diese Geschlechterungleichheiten entstanden. Die umfangreiche Forschung und Datensammlung dafür wurden vom US-amerikanischen Verteidigungsministerium mit 1,3 Millionen US-Dollar finanziert. Die erste »politische Ordnung«, die universell die Grundlage jeder Gesellschaft bildet, sei – so Valerie – vom Verhältnis zwischen den Geschlechtern bestimmt. In vielen Gesellschaften werde dieses Verhältnis als Hierarchie angesehen und zeige sich in der Unterdrückung der Frau durch Kontrolle und Ausbeutung. Diese Mechanismen würden anschließend auf alle weiteren Individuen und Gruppen, die z. B. aufgrund ihrer Hautfarbe oder Religion als »anders« gelten, übertragen.

Valeries Lieblingsbuch ist Parity of the Sexes von Sylviane Agacinski.

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NINA BERNARDING:
»GENDERN IST EIN
ORDNEN VON MACHT.«

»Wenn man in einem Land wie Deutschland lebt, das so privilegiert ist, hat man eine Verantwortung den Ländern gegenüber, die diese Privilegien nicht teilen.« – Ursprünglich beschäftigte sich Nina mit Entwicklungspolitik. Doch die dort vorherrschende Haltung, man müsse trotz offensichtlicher Ungerechtigkeiten unpolitisch sein, führte dazu, dass Nina sich auf Sicherheitspolitik konzentrierte. Immer wieder stellte sie fest, dass es nach kriegerischen Konflikten nicht darum geht, ein Fundament für eine fairere, gleichberechtigtere Gesellschaft zu schaffen, sondern um eine Wiederherstellung des Status quo unter Führung kriegsbeteiligter Parteien. Nina wollte sich die vermeintliche Neutralität in diesem Umfeld nicht länger vorgaukeln lassen und entschied sich, gemeinsam mit mir das CFFP aufzubauen.

Nina setzt sich vor allem mit Abrüstung, Rüstungskontrolle und den internationalen Angriffen auf Frauen- und LGBTQI*-Rechte auseinander. Waffenhandel zum Beispiel stützt diejenigen, die für die patriarchalen Verhältnisse des Status quo verantwortlich sind – also die »Mächtigen« –, in ihrer Macht. Dabei wird ein Konfliktlösungsansatz propagiert, der die Stärke des Best-Ausgerüsteten anstelle der Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt. Wenn diese Realität nicht angesprochen wird, so Nina, können wir keine Friedenspolitik mit gleichberechtigten Prozessen betreiben. Deshalb läuft alles auf die Frage hinaus, wer Politik für wen macht.

Der Einsatz von Waffen führt zu geschlechtsspezifischer Gewalt mit globalpolitischen Folgen: Etwa ein Drittel aller Femizide wird mittels Feuerwaffen begangen, und so wie Frauen im Kleinen behandelt werden, werden andere Länder im Großen behandelt. Als Opfer infolge von Waffenexporten haben sie oft kaum Einfluss auf die Prozesse des Waffenhandels. So entsteht ein Ungleichgewicht zwischen einer Zivilgesellschaft, die erst Belege dafür erbringen muss, dass Waffen zu geschlechtsspezifischer Gewalt führen, während die Waffenlobby weiterhin Profit macht und diese Beweislast nicht trägt.

Für die Zukunft wünscht sich Nina: Lasst uns die Notwendigkeit einer Feministischen Außenpolitik weniger als eine Frage, sondern vielmehr als einen Imperativ verstehen. Aus diesem Schwung entsteht Energie, die vor allem der Umsetzung der Feministischen Außenpolitik zukommen kann.

Ninas Lieblingsbücher sind Freedom is a Constant Struggle von Angela Davis und Das achte Leben von Nino Haratischwili.

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CHANDRA MOHANTY:
»MEINE LOYALITÄT GALT
NIE EINER INSTITUTION.«

Die Professorin und Autorin Chandra Mohanty bezeichnet sich als »Scholar Activist« – Wissenschaftlerin und Aktivistin zugleich. Sie kritisiert damit den Umstand, dass Wissen in primär akademischen und institutionellen Kontexten entsteht sowie wirkt und allzu oft getrennt von den Leben und Kämpfen seiner Subjekte verstanden wird. Aktivismus schafft Chandra zufolge eine andere Art des Wissens, die ebendiese Kämpfe, Machtbeziehungen und Realitäten des alltäglichen Lebens der betroffenen Individuen in den Vordergrund stellt. Aktivismus aktiviert bestimmte kritische Denk- und Wissensformen über Gerechtigkeit.

Für Chandra ist Feminismus (insbesondere antikolonialistischer und antirassistischer Feminismus) essenziell, da er Geschlecht und Sexualität bei der Frage, wie wir Staaten, Gesellschaften und soziale Beziehungen verstehen, in den Mittelpunkt stellt. Weiterhin sorgt Feminismus dafür, den Einfluss politischer Entscheidungen auf die am stärksten marginalisierten Gruppen in den Blick zu nehmen. In manchen Staaten werden Menschen beispielsweise durch Wahlrechtsentzug und Masseninhaftierung kategorisiert, marginalisiert und ihrer gesellschaftlichen Existenz beraubt.

Chandra betont die Notwendigkeit eines transnationalen Feminismus, der das Lokale mit dem Globalen über Staatsgrenzen hinaus verbindet. Staatsgrenzen sind das Produkt von Kolonialismus und Imperialismus. Sie hat sehr oft zu hören bekommen, eine Dekolonialisierung habe bereits stattgefunden – Länder hätten sich von kolonialer Herrschaft befreit und seien nun selbstbestimmt. Dieses Verständnis des Kolonialismus greift zu kurz, so Chandra. Denn Kolonialismus sei immer noch verwurzelt in den grundlegenden Strukturen unserer Gesellschaft, den Psychen und der Geschichte, die wir lehren und lernen. Zentral für eine Feministische Außenpolitik ist für Chandra, die Geschichte des Kolonialismus und Kapitalismus mit der geschlechts- und hautfarbenspezifischen Marginalisierung von Menschen zu verbinden. Gerechtigkeit sei stets vom Standpunkt der am stärksten marginalisierten Gruppen aus zu denken.

Es gibt viele Einflüsse, die prägend für Chandras aktivistische Forschung waren: zunächst ihr Aufwachsen in Indien und ihre eigene Erfahrung eines kolonialistischen Bildungssystems in Nigeria. Weiterhin vor allem die Gemeinschaft feministischer Aktivist:innen, die sie in ihren Zwanzigern mitaufbaute.

Zu Chandras Lieblingsautor:innen zählen Toni Morrison, Arundhati Roy, Angela Davis, Silvia Federici, Louise Erdrich, Leslie Feinberg und Cherríe Moraga.

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SANAM NARAGHI ANDERLINI:
»WER KÄMPFT FÜR DIE MENSCHENRECHTE?
ES SIND DIE FRAUEN.«

»Wenn das Land, in dem du aufwächst, implodiert, verstehst du, dass es Wendepunkte gibt, an denen sich die Geschichte entweder zum Negativen wendet oder transformiert werden kann.«

Sanam Anderlini machte es sich zur Aufgabe, diese Momente der Transformation mitzugestalten, und wirkte an zahlreichen Friedensprozessen mit. Sie wurde in die Elite des Iran hineingeboren, zog im Zuge der iranischen Revolution 1979 nach Großbritannien und pendelt nun zwischen dort und den USA – wo sie als Gründerin und Direktorin des International Civil Society Action Network arbeitet – und London, wo sie die Direktorin des London School of Economics Centre for Women, Peace and Security ist.

Ihre Motivation schöpft sie aus den Lebensgeschichten von Frauen, deren Erfahrungen und Umgang damit ihren eigenen gleichen: trotz großen persönlichem Verlusts im Krieg im Moment nach dem Konflikt sich für Menschlichkeit und Empathie zu entscheiden und Frieden zu schaffen statt nach Rache zu streben.38 Sanam wird oft mit der Frage konfrontiert: Sind Frauen die friedlicheren Menschen? Darauf antwortet sie, dass Empathie nicht vom biologischen Geschlecht abhängt, sondern der Lebenserfahrung: Denn wer unterdrückt wird, muss um des Überlebens und der Unversehrtheit willen die Unterdrückenden und Mächtigen verstehen und deren Handlungen vorwegnehmen. Dabei denkt sie insbesondere an Friedensarbeiter:innen, weil sie die Menschlichkeit anderer suchen, sogar die der Unterdrücker. Sie versuchen, deren Menschlichkeit zu begreifen, um einen Weg der Transformation und des gemeinsamen Friedens zu finden.

Feminismus ist für Sanam untrennbar mit Antimilitarismus verbunden. Sie unterscheidet zwischen einem Feminismus, der Frauen in bestehende Strukturen integrieren möchte, und einem Feminismus, der diese Strukturen fundamental infrage stellt. Sanam beobachtet im Westen eine Spaltung zwischen den Generationen. Beim Kampf der »Hillary-Clinton-Generation« um die Chancengleichheit der Geschlechter in einem patriarchalen und militaristischen System sei das antimilitaristische, den Status quo hinterfragende Element des Feminismus zu oft verloren gegangen. Die Jüngeren dagegen akzeptierten keine patriarchalen, zerstörerischen Strukturen innerhalb ihres Feminismus.

Für Sanam geht es um den Kampf für transformative Gleichberechtigung. Ihr Ziel ist nicht, dass alle Geschlechter die gleiche Chance haben, als Soldat:innen zu kämpfen und zu sterben oder zu töten, sondern, dass niemand die Schrecken des Krieges erleben muss.

Zu Sanams Lieblingsautorinnen zählt Isabel Allende, und zu ihren Lieblingsbüchern gehört Daughter of Persia, das ihre Tante Sattareh Farman Farmaian schrieb.

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CYNTHIA ENLOE:
»WO SIND DIE FRAUEN?«

Diese Frage beschäftigt Cynthia Enloe seit Jahrzehnten. Cynthia ist Politikwissenschaftlerin, Dozentin, Autorin zahlreicher Bücher und stellt die Welt der hergebrachten vergleichenden Politikwissenschaften radikal auf den Kopf. Die 1938 Geborene setzt den analytischen Fokus dort, wo bislang zu wenige hingeschaut haben: auf die Geschichten und Visionen von Frauen und ihr Agieren in der Politik. Berühmt wurde sie insbesondere für ihre Arbeit zu Feminismus und Militarismus.

Laut Cynthia ist Außenpolitik deutlich vielschichtiger, als es uns die Mehrheit der Politkommentator:innen glauben lassen will. Sie ist nicht nur von Machtkämpfen geprägt, sondern auch durch versteckte Widersprüchlichkeiten, wie etwa durch die Machtdemonstration eines Staates nach außen, die sich aus Unsicherheit und Verletzlichkeit im Inneren speist. Oft werden die internen und geschlechtsspezifischen Unsicherheiten und Schwachstellen eines Staates übersehen.

In der Vergangenheit waren Frauen stets ein Objekt staatlicher Politik, das es zu kontrollieren galt. Feministische Wissenschaftler:innen legen, so Cynthia, die Abhängigkeiten zwischen Patriarchat, Macht, Kontrolle, Unterdrückung und Politikgestaltung offen. Ihr zufolge ist es unmöglich, über Staaten zu sprechen, ohne über das Patriarchat zu sprechen. Sie bedingen einander. Sie warnt: Wenn wir uns über die Funktionsweise des Patriarchats nicht im Klaren sind, wird es unmöglich sein, die Ziele und Handlungen eines Staates verlässlich zu analysieren.

Cynthia möchte ebenfalls die Erkenntnis vermitteln, dass Frauen in all ihrer Diversität und Komplexität schon immer in allen Machtsphären aktiv waren. Wir haben ihre Geschichte(n) bloß bisher nicht gehört, weil unsere Lehrbücher nur eine einseitig von Männern gelenkte Weltgeschichte darstellen. Männer schreiben Geschichte über Männer. Daher haben die meisten von uns noch nichts von der internationalen Organisation von Frauen zur Beendigung des transatlantischen Sklavenhandels oder der globalen Strategie von Frauen, das Wahlrecht zu erlangen, gehört. Wir wissen wenig über Aktivistinnen in der Karibik, im Nahen Osten, in Afrika und in Asien, die sich organisierten, um die Kolonialherrschaft so zu beenden, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern verbessert würde. Für Cynthia ist klar: Die Fragen, die wir stellen, sind ebenso wichtig wie Antworten, die wir erhalten.

Ihr bekanntestes Buch ist Bananas, Beaches and Bases – Making Feminist Sense of International Politics. Ihr absolutes Lieblingsbuch ist Three Guineas von Virginia Woolf.

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JENNIFER CASSIDY:
»ALTE WEIßE HERREN LEHRTEN AUSSCHLIEßLICH ÜBER ALTE WEIßE HERREN, UND DAS MACHTE MICH WÜTEND.«

Jennifer Cassidy, Dozentin für Politikwissenschaften an der Universität Oxford und eine der gefragtesten Politkommentatorinnen in Großbritannien, konzentriert sich in ihrer Forschung neben digitaler Diplomatie vor allem auf Diplomatie und Gender. Sie erlebte in ihrem Studium – ebenfalls an der Universität Oxford –, dass Frauen kategorisch aus der Lehre von Diplomatie und Internationalen Beziehungen ausgeschlossen wurden: Alte weiße Männer unterrichteten über alte weiße Männer, ohne die Erfahrungen und Expertise von Frauen zu berücksichtigen.

Im Rahmen ihrer Tätigkeiten als diplomatische Attachée bei Irlands Ständiger Vertretung bei den Vereinten Nationen, beim Europäischen Auswärtigen Dienst für das Königreich Kambodscha sowie beim irischen Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und Handel erlebte sie, wie sich anhaltende Geschlechterstereotype in Internationalen Beziehungen ausdrücken. Die UN-Generalversammlung organisiert ihre Arbeit zu verschiedenen Themenbereichen in Ausschüssen, sogenannten Komitees. An einem Tag arbeitete Jennifer im UN-Ausschuss für Menschenrechte und sah sich umgeben von Frauen. Sie dachte zuerst, der Eindruck in ihrem Studium sei falsch gewesen und in der Welt der Diplomatie gäbe es doch Gleichberechtigung. Als sie später an diesem Tag auch im Ausschuss für Sicherheit arbeitete, stellte sie allerdings fest, dass dort vornehmlich Männer vertreten waren. Im Bereich der internationalen Politik, schlussfolgerte Jennifer, würden Frauen weiterhin mit den sogenannten weichen Themen wie Entwicklungszusammenarbeit und Frieden assoziiert, während Männer über Krieg und Sicherheit entschieden. Dabei würden eben nicht nur Frieden, sondern auch Krieg, Sicherheit, Wirtschaft, kurz alle Themenbereiche Frauen mindestens genauso stark betreffen. Deshalb müssten sie auch überall, nicht nur in vereinzelten, als »Frauenthemen« abgestempelten Bereichen mitentscheiden. Jennifer betont: Es geht nicht nur darum, wie viele Frauen, sondern auch wo diese Frauen vertreten sind.

Um ihre Erfahrungen im Studium und in der Arbeitswelt zusammenzubringen und den Einfluss von Diplomatinnen zu würdigen, veröffentlichte Jennifer den weltweit ersten Sammelband zu Gender and Diplomacy. Darin zeigt sie auf, dass Diplomatie weiterhin von Geschlechterstereotypen durchdrungen ist, erforschte die Arbeit weiblicher Diplomatinnen und wirkte so der androzentristischen Lehre entgegen, die sie als Studentin erlebt hatte.

Zu ihren Lieblingsautor:innen zählen Hannah Arendt und Maya Angelou.

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BEATRICE FIHN:
»ES IST ABSURD, DASS GEWALT UND WAFFEN ALS GARANT (INTER)NATIONALER SICHERHEIT GELTEN.«

Die Juristin Beatrice Fihn ist Direktorin der International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN). Mit ihrer Organisation mobilisiert sie seit Jahren erfolgreich die Zivilgesellschaft, sich für Demilitarisierung einzubringen. Für ihre Arbeit zum Atomwaffenverbotsvertrag, der im Januar 2021 in Kraft trat, erhielt ICAN 2017 den Friedensnobelpreis. Der Vertrag verbietet den ratifizierenden Staaten per internationalem Recht, Atomwaffen zu besitzen und einzusetzen.

Immer wieder hört Beatrice, dass die Relevanz des Vertrags zweifelhaft sei, da die aktuellen neun Atomwaffenmächte – USA, Frankreich, Großbritannien, Russland, China, Israel, Nordkorea, Indien, Pakistan – dem Abkommen nicht beitreten würden. Diese Argumentation lehnt sie entschieden ab und betont, dass normativer Wandel entscheidend sei: Durch den Atomwaffenverbotsvertrag werde ein neues Narrativ geschaffen, das das traditionelle Denken über staatliche Sicherheit fundamental hinterfragt und menschliche Sicherheit in den Vordergrund stellt. Sie findet es nicht ausgeschlossen, dass die Atommächte dem Abkommen langfristig beitreten. Schließlich sind viele dieser Länder Demokratien, wo der Wille des Volkes zählt. Und Gesellschaften auf der ganzen Welt sprechen sich immer mehr gegen Nuklearwaffen aus. Strukturen ändern sich dann nachhaltig, wenn die Zivilgesellschaft Druck aufbaut und konsequent Demilitarisierung einfordert.

Als Beispiel nennt Beatrice die WPS Agenda, die zur Zeit ihrer Entstehung um die Jahrtausendwende oft belächelt wurde. Schritt für Schritt griff diese jedoch in gesellschaftliche und institutionelle Strukturen ein und wurde wirksam. Indem ICAN der Nobelpreis zuerkannt wurde, sei ein wichtiges Zeichen gesetzt worden: Dies verdeutliche, dass sich der oft ermüdende Kampf der Zivilgesellschaft für Demilitarisierung, der die langfristigen Erfolge selten unmittelbar sichtbar macht, lohnt. Die erfolgreiche Arbeit der Zivilgesellschaft hin zu völkerrechtlichen Verboten von Landminen und Streumunition zeigt: Es verschiebt sich das Verständnis, was Recht und was Unrecht ist. Als Nächstes, so Beatrice, wären nun vollautonome Waffensysteme wie beispielsweise entsprechende Drohnen an der Reihe.

Zu Beatrices Lieblingsbüchern zählen Read and Riot. A Pussy Riot Guide to Activism von Nadya Tolokonnikowa und The Rise: Creativity, the Gift of Failure, and the Search for Mastery von Sarah Lewis.

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J. ANN TICKNER:
»ES IST VÖLLIG EGAL, WAS DIE JUNGS MACHEN; WIR MACHEN OHNEHIN VIEL INTERESSANTERE SACHEN.«

Die scharfsinnige amerikanische Politikwissenschaftlerin und Autorin J. Ann Tickner ist dafür bekannt, traditionelle Theorien der Internationalen Beziehungen nicht nur infrage zu stellen, sondern auch feministisch neu zu formulieren. Dabei wurde Ann erst relativ spät zur Feministin. Als sie in den 1970er-Jahren Internationale Beziehungen studierte, waren Lehre und Forschung sowie die vermittelte Geschichte und Politik in rein männlicher Hand. Dies schien damals aber so normal, dass es Ann nicht als Problem auffiel. Erst als Professorin merkte sie, dass ihre Studentinnen sich kaum mit dem Lehrmaterial identifizieren konnten, weil weibliche Perspektiven fehlten. Das ging so weit, dass manche Studentinnen den von ihr erteilten Kurs abgeben wollten. Ann beschloss, sich des Problems anzunehmen.

Sie reformulierte unter anderem ein klassisches Modell der Internationalen Beziehungen, Hans Morgenthaus Prinzipien des Politischen Realismus, aus einer feministischen Perspektive. Ann betont, dass Morgenthau mit seiner Theorie nicht zwangsläufig falschlag. Es ging ihr nicht darum, ihn schlicht zu widerlegen. Vielmehr erzählte er eben nicht die ganze Geschichte und zeigte nicht das Gesamtbild globaler Machtbeziehungen, denn Morgenthau bezog sich ausschließlich auf Männer. Anns Verdienst war also eine Erweiterung seiner Theorie. Einige männliche Professoren weigerten sich dennoch, feministische Theorien in ihren Kursen zu thematisieren. Sie argumentierten, sie könnten diesen Feminismus nicht verstehen und ihn deshalb nicht lehren. Ann kann das nicht nachvollziehen: »Ich bin schließlich keine Realistin und muss trotzdem Politischen Realismus lehren.«

Anns stärkste Kritik an dem traditionellen Verständnis von Internationalen Beziehungen ist, dass die Theorie realitätsfern sei: Eine kleine elitäre Gruppe von Wissenschaftler:innen entwickelt abstrakte Theorien fern von der Lebenswirklichkeit der Zivilgesellschaft und relevanten Akteur:innen.

Ann ist überzeugt: Es findet ein langsames, aber stetes Umdenken statt. Sie hebt hervor, welche Fortschritte bereits erzielt wurden, zum Beispiel, dass Macht auch im Kontext von Klasse, Hautfarbe und Geschlecht verstanden wird.

Zu den Büchern, die Ann gerade liest, zählen Isabel Wilkersons Caste: The Origins of Our Discontents und The Water Defenders: How Ordinary People Saved a Country from Corporate Greed von Robin Broad und John Cavanagh.

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BONNIE JENKINS:
»ES IST UNSERE AUFGABE, IMMER UND IMMER WIEDER DEN STATUS QUO ZU HINTERFRAGEN.«

Bonnie Jenkins ist eine der qualifiziertesten Sicherheitsexpertinnen in den USA: Sie hat zwei Masterabschlüsse, zusätzlich einen Abschluss als Juristin sowie einen Doktortitel in Internationalen Beziehungen, diente in der US Air Force und wirkte unter anderem als Botschafterin des US-Außenministeriums zu internationaler Sicherheit und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Im Juli 2021 wurde sie vom US-amerikanischen Senat als Unterstaatssekretärin für Rüstungskontrolle und internationale Sicherheitsangelegenheiten bestätigt. Damit ist sie die erste Schwarze Person überhaupt auf dieser Staatssekretär:innen-Ebene.

2017 gründete sie die Organisation Women of Color Advancing Peace and Security (WCAPS). Vor WCAPS gab es keine Plattform, die die Perspektive und Stimme von People of Colour, insbesondere von Schwarzen Frauen und Women of Colour, organisiert zum Ausdruck brachte. Dank Bonnies unermüdlichem Einsatz haben Women of Colour nun eine starke politische Vertretung.

Bereits vor ihrer Arbeit zum Thema Rüstungskontrolle und Diversität beschäftigte Bonnie vor allem die Frage, wie sie ihrer Gemeinschaft und der Gesellschaft mit ihren Fähigkeiten dienen, Dinge bewegen und verbessern kann. Sie wuchs in der Bronx in New York auf und besuchte eine Schule an der wohlhabenden Upper East Side. Schon früh gewöhnte sie sich daran, oft die einzige Schwarze Person und Frau im Raum zu sein. Eher zufällig entdeckte sie während eines ihrer Praktika in Washington, D. C., ihre Leidenschaft für das Thema Rüstungskontrolle. Nach und nach fiel ihr auf, wie wenig diverse Stimmen es in diesem Berufsfeld gab. Eine Frau in einem Raum voller Männer reicht nicht aus, um Entscheidungen langfristig und nachhaltig zu beeinflussen, ist Bonnie überzeugt. Es braucht mehr Stimmen, mehr Frauen, mehr People of Colour, mehr Diversität.

Bonnie zufolge hat vor allem der Diskurs um Feministische Außenpolitik einen inklusiven Raum geschaffen, in dem kritisch und aus verschiedenen Perspektiven der Status quo hinterfragt werden kann. Was bedeutet es aber genau, sich feministisch mit Sicherheit und Abrüstung auseinanderzusetzen? Frieden und nicht Gewalt müsste dafür in den Mittelpunkt gestellt werden, so Bonnie. Ihr ist es wichtig, dass intersektional, zukunftsgerichtet und im Sinne langfristiger Nachhaltigkeit gedacht wird und Diplomatie den höchsten Stellenwert bekommt.

Eines der Bücher, das sie gerade liest, ist Badges without Borders – How Global Counterinsurgency Transformed American Policing von Stuart Schrader.

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SAMANTHA POWER:
»ICH MÖCHTE DIPLOMATISCHEN FORTSCHRITT SCHAFFEN.«

Samantha Power will das schaffen, »indem ich Dinge aufrüttle und gelebte menschliche Erfahrungen der Betroffenen in die politische Blase einbringe«.

Samantha Power, ehemalige US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen zwischen 2013 und 2017, Juraprofessorin, mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Autorin und seit 2021 Leiterin der US Agency for International Development (USAID), ist überzeugt: Aktivismus und Diplomatie sind untrennbar miteinander verbunden. Ihrer Erfahrung nach reflektiert Diplomatie nicht die Bedürfnisse derjenigen, die sie betrifft: Diplomat:innen halten zu oft die immer gleichen Reden, ohne diejenigen anzuhören, über deren Schicksal sie sprechen und entscheiden.

Als US-Botschafterin im UN-Sicherheitsrat setzte Samantha sich deshalb dafür ein, dass die Stimmen derjenigen, die am meisten von den Entscheidungen des Sicherheitsrats betroffen sind, auch genau dort gehört wurden: zum Beispiel die Berichte der Ärzt:innen, die in Syrien Opfer chemischer Waffenangriffe behandelten. Ohne die O-Töne und Erfahrungen der Betroffenen und vor Ort Wirkenden wäre niemals eine solche Dringlichkeit zum Handeln entstanden.

Samantha Power setzte sich – unter anderem in ihrem Buch A Problem from Hell. America in the Age of Genocide – intensiv mit dem Thema Genozid auseinander und zählt zu den Expert:innen auf dem Gebiet. Was bewegt Menschen dazu, derartige Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen? Samantha zufolge wirken dabei verschiedene Dinge zusammen: wahrgenommene Bedrohung, vermeintliche Werte und systematische Dehumanisierung. Menschen werden aus dem eigenen moralischen Universum verbannt: Erst werden Zugehörigkeit und Bedrohung definiert, Hierarchien geschaffen und eben durch »Werte« wie Schutz und Selbstverteidigung gerechtfertigt. So werden dann im nächsten Schritt die »Bedrohenden« – die Nichtzugehörigen, die anderen – aus dieser Moral der »Bedrohten« ausgeschlossen und folglich Verbrechen an ihnen legitimiert. Sie betont, wie wichtig es deshalb ist, immer wieder zu hinterfragen, wie Nationen, Gruppen und Individuen ihre Eigeninteressen definieren und rechtfertigen.

Samantha sagt, dass Frauen ähnliche Erfahrungen machten, was verbindend wirke. Sie selbst organisierte etwa Treffen mit Botschafterinnen der Vereinten Nationen oder wöchentliche Zusammenkünfte mit Kolleginnen in einer »Mittwochsgruppe« während ihrer Zeit im Weißen Haus. Was das bringt? Sich einander zu ermutigen, zu unterstützen und daran zu erinnern, dass es eben nicht die Frauen sind, die sich anzupassen haben, sondern vielmehr das System, das verändert werden muss.

Eines der Bücher, die Samantha Power schätzt, ist Daniel Kahnemans psychologische Studie Schnelles Denken, langsames Denken und Lindsey Hilsums bewegende Erzählung der Lebensgeschichte der Kriegsreporterin Marie Colvin, In Extremis.

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MADELEINE REES:
»DIE SAMTHANDSCHUHE HABE ICH SCHON LANGE ABGELEGT.«

Madeleine Rees, führende Menschenrechtsanwältin und Generalsekretärin der Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF), fordert dazu auf, laut, kritisch und radikal utopisch zu denken. Madeleine begann ihre Karriere als Anwältin im Bereich Antidiskriminierungsrecht, brachte Fälle vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und den Europäischen Gerichtshof. Während ihrer anschließenden Tätigkeit als Gender-Expertin und Büroleiterin in Bosnien und Herzegowina für das Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen (OHCHR) wurde sie zur Whistleblowerin: Madeleine deckte in den späten 1990ern gemeinsam mit der amerikanischen Polizeiermittlerin Kathryn Bolkovac auf, dass die Vereinten Nationen systematisch Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Menschenhandel und sexueller Ausbeutung durch die International Police Task Force und Angehörige der UN-Mission in Bosnien vertuschten. Sie war entsetzt und angewidert, dass die Vereinten Nationen nicht diejenigen beschützten, mit deren Schutz sie beauftragt worden waren. Für ihren Mut wurde Madeleine jedoch nicht belohnt, sondern versetzt und schließlich unrechtmäßig entlassen. Der Film Whistleblower – In gefährlicher Mission erzählt ebendiese Geschichte.

Madeleine kritisiert die Vereinten Nationen auch, weil diese staatliche und militärische statt menschlicher Sicherheit ins Zentrum ihrer Arbeit stellen. Das spiegelt sich auch darin, dass der Sicherheitsrat eben nicht Sicherheits- und Friedensrat oder schlicht Friedensrat heißt, kritisiert Madeleine. Eines der Hauptprobleme in der (inter)nationalen Sicherheitspolitik ist ihr zufolge, dass die falschen Fragen gestellt werden: »Wie können wir Waffen regulieren?« statt »Wie können wir Waffen eliminieren und menschliche Sicherheit priorisieren?« Die wahrscheinlichsten und relevantesten Bedrohungen für die Menschheit – wie etwa die Pandemie und Klimakrise – seien jedoch nicht militärischer Natur.

Immer wieder, so Madeleine, stünden Aktivist:innen vor der Frage: Wie kritisch dürfen wir uns in elitären Institutionen wie den Vereinten Nationen äußern, wenn wir diese einerseits fundamental hinterfragen möchten und andererseits genau dort – in den Sphären der Macht – gehört werden wollen? Ist es besser, radikal utopische Ideen abzuschwächen, um weiterhin innerhalb des Systems wirken zu können, oder radikal zu bleiben? Madeleine sagt, sie habe die Samthandschuhe ausgezogen: Oft seien wir zu nett. Dabei sei es an uns, den zivilgesellschaftlichen Akteur:innen, Machtverhältnisse zu kritisieren und Missstände anzuprangern. Wenn nicht wir, wer dann?

DANKE

Das Buch würde es ohne sehr viele, ganz wundervolle Menschen nicht geben. Allen voran natürlich nicht ohne die Vorreiter:innen, Vordenker:innen und visionären Frauen, auf deren Schultern ich stehe.

Das Buch würde es aber auch ganz sicher nicht ohne die beiden Frauen geben, die mir hands-on halfen, es auf diese Welt zu bringen: meine Lektorinnen Silvie Horch (von Econ – oh, wie toll das komplette Econ/Ullstein-Team ist!) und Heike Wolter. Was ich alles von beiden gelernt habe! Ganz viel Dankbarkeit.

Viele der im Buch erwähnten Forschung sowie Zahlen und Fakten hat mein Berliner Team beim Centre for Feminist Foreign Policy beigesteuert und nicht nur das, sondern allzeit warmherzige Unterstützung während des kompletten Schreibprozesses: Danke Nina Bernarding, Damjan Denkovski, Anna Provan, Sheena Anderson, Annika Droege, Annika Kreitlow und Antonia Baskakov.

Das Buch vereint so viel Expert:innenwissen, auf das ich immer wieder zurückgreifen durfte. Danke für Eure und Ihre großzügige Unterstützung und Geduld: Louise Arimatsu, Heidi Meinzolt, Leonie Bremer, Juri Schnöller, Emilia Roig, Alice Grindhammer, Aron Haschemi, Tiaji Sio, Laura Hatzler, Jutta von Falkenhausen, Thomas Grischko, Gotelind Alber, Janika Lohse, Lea Börgerding, Kaan Sahin, Nicola Popovic, Elvira Rosert, Aleksandra Dier, Annette Ludwig und Madeleine Rees.

Danke Nes Kapacu für das tolle Cover und noch mehr für deine Geduld.

Und ganz riesigen Dank für Liebe und Unterstützung, emotional, aber auch bei der Titel- und Coverfindung: Beggy, Nina, Kaan, Alice, Waldemar, Bianca, Yara, Jeannette, Lisa, Sophia, Jutta und Mama. Love you.