Impressum

Volker Ebersbach

Francisco Pizarro

 

ISBN 978-3-96521-616-7 (E-Book)

 

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

 

Das Buch erschien 1984 im Verlag Neues Leben Berlin.

 

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I. Späte Pläne

Das größte Geschehnis nach der Erschaffung der Welt, und wenn wir absehen von Geburt und Tod Dessen, Der sie schuf, ist die Entdeckung der indischen Länder.

Der Chronist Francisco López de Gómara in einem Brief an Kaiser Karl V.

 

Die Entdeckung und Eroberung des Inkareiches war die Tat eines Mannes zwischen fünfzig und sechzig Jahren. Wer wie Francisco Pizarro als junger Mann nach Amerika gekommen ist und in der Hoffnung, hier schnell reich zu werden, getäuscht wurde, wer es dann in zwei Jahrzehnten harten Militärdienstes doch noch zu einem einträglichen Landgut auf blutgetränkter Erde bringt, der könnte sich eigentlich bescheiden, der sollte froh sein, dass ihn weder Fieber noch Hunger noch Ungeziefer haben umbringen können wie so viele arme Wichte, die mit ihm herübergekommen sind, dass ihn kein indianisches Geschoss in all den Scharmützeln tödlich getroffen hat.

Aber der Pflanzer vom Rio Chagre nahe der Stadt Panama ist unzufrieden und unruhig. Er ist bereit, seine Estancia mit allen Plantagen, allem Vieh und allen Indiosklaven aufzugeben für ein Schiff und ein Häuflein entschlossener bewaffneter Männer, um mit ihnen auf dem Pazifik südwärts zu segeln und das Land zu finden, in dem er mehr Gold vermutet, als je „in den Indien“ gesehen wurde.

Pizarro kennt alle Strapazen und Gefahren einer derartigen Expedition. Er weiß, dass er die Bequemlichkeit des luftigen Landhauses mit einer engen Schiffskoje und feuchten Biwaklagern, mit beschwerlichen, erschöpfenden Märschen vertauschen muss. Er weiß, dass er statt Fleisch und Maisbrot lange nur Zwieback und Dörrfisch wird essen können. Er kennt den Hunger, dem ihn und seine Gefährten die geringfügigste Verzögerung ausliefert, und all seine physischen und psychischen Auswirkungen auf die Mannschaft. Er hat viele Männer begraben, er kennt die Namen Verschollener. Er ist neunundneunzigmal davongekommen; wer garantiert ihm das hundertste Mal?

Doch nichts betreibt der Hauptmann, dem das Behagen unbehaglich ist, eifriger als diesen fragwürdigen Tausch. Was er hat, gilt ihm wenig gegen das, was er haben könnte: ein Land, von dem ein Kazike, allerdings in sehr verschwommener, ausgeschmückter Rede, einmal erzählt hat. Es könnte ein Wahnbild sein, das Pizarro verfolgt. Sein Unternehmen könnte mit einer qualvollen Katastrophe enden wie jeder Versuch bisher, auf der Tierra firme, dem südamerikanischen Festland, südwärts vorzudringen.

Was treibt diesen alternden Mann, der mehr als eine trügerische Hoffnung hat platzen sehen, zu diesem nicht nur mutigen und kühnen, sondern geradezu tolldreisten Vorhaben? Woher nimmt er die Unerschütterlichkeit des Willens, mit dem er aus ungenügenden Mitteln und unzuverlässigen Leuten einen überwältigenden Erfolg zu schmieden gedenkt?

 

Der Hauptmann Francisco Pizarro verlässt im Morgengrauen seine Estancia, er reitet in die Residenz Panama, um dort seine Pläne voranzutreiben. Über die Ungeschicklichkeit des indianischen Sklaven, der ihm das Pferd gesattelt hat, ist er schweigend hinweggegangen. Einer alten Indianerin, die beim Füttern der Hundemeute in den Arm gebissen wurde, hat er eigenhändig die Wunde ausgewaschen und verbunden. Er kann das hier am besten. Sein Eigentum behandelt man pfleglich. Spätere Bewunderer werden es ihm, wenn sie über seine Taten berichten, als Güte und Großherzigkeit auslegen.

Der Hauptmann hält sich im Sattel sehr gerade. Er ist hoch gewachsen und schmal, aber kräftig in den Schultern, die geübt sind im Schwingen eines Schwertes. Gern verweist er darauf, dass er diese Statur von seinem Vater geerbt habe, dem adligen Majoratsherrn Gonzalo Pizarro, der, wie ein Landsmann berichtet hat, vor zwei Jahren zu Pamplona verstorben ist. Sonst hat Don Gonzalo ihm nichts vererbt. Alles bekam Hernando Pizarro, der einzige eheliche Nachkomme des Obristen, auch den Adelsbrief. Manchmal hadert Francisco Pizarro mit den Gesetzen, die ihm, da eine Bäuerin ihn geboren hat, den Adel absprechen, obwohl die Natur ihm Haltung und Charakter eines Edelmannes gegeben hat.

Den schmalen Schädel des Hauptmanns bedeckt ein leichtes, helles, luftiges Barett, dessen Rand schräg über der hohen, gewölbten Stirn sitzt. Dunkle, tief in den Höhlen und dicht unter den Brauen liegende Augen und eine lange, schmale, gebogene Nase geben seinem Blick die scheue, aber unablässige Wachsamkeit des Habichts. Ein paar Haarsträhnen schimmern schon grau; der Bart ist noch schwarz. Dicht teilt er sich über schmalen, fest geschlossenen Lippen, leicht gewellt fällt er aufs schwarze Wams. In den Steigbügeln lange, sehnige Beine; schwarz glänzen Stiefel und Hosen auf dem schweißfeuchten Fell der Fuchsstute. Auf seinem Gesicht liegt die Starre nüchterner und leidenschaftlicher Überlegungen. Die scharfen Falten über der Nasenwurzel sind Spuren beständigen Pläneschmiedens.

Der Hauptmann lässt sich von drei Berittenen eskortieren, die Lanzen und Arkebusen geschultert haben. Auf ihren Harnischen und auf ihren Helmen, den spanischen „morriones“ mit ihren hohen Kämmen und den halbmondartig geschweiften Krempen, blitzt die tropische Morgensonne. Pizarro besteht auf dieser Eskorte mehr seines Ansehens wegen. Die Gegend ist befriedet. Das bedeutet: entvölkert im Umkreis eines Tagesrittes. Man wird auf dem Weg in die Residenz nur weißen Siedlern und Indios in Halseisen begegnen.

Pizarro täuscht sich allerdings nicht über die Gesinnung mancher dieser Siedler ihm gegenüber. Viele können ihn nicht leiden, manche behaupten noch immer, er habe vor Jahren seinen besten Freund verraten, den Mann, dem er im Grunde alles verdanke, was aus ihm in der Neuen Welt geworden ist: Vasco Núnez de Balboa. Noch immer gilt Balboa als großer und gerechter Mann, der seinem König unschätzbare Entdeckerdienste erwies und eine ganze Generation trefflicher Eroberer erzog, aber den Ränken heimlicher Beutemacher erlag, die immer den offenen Kampf scheuen und sich hinter den Schreibpulten der Kanzleien bereichern. Wer den Adelantado Balboa, den Entdecker des Südmeers, der als erster Europäer die Landenge von Panama überquert hat, je achtete oder liebte, den muss es außerordentlich irritiert haben, dass es der Hauptmann Pizarro war, der ihn im Auftrag des Statthalters verhaftete. Solche Leute muss Pizarro mit seiner Eskorte einschüchtern.

Tatsächlich hat Pizarro diesem Balboa viel zu verdanken: die tausend kleinen Schliche, mit denen man im Urwald überlebt, die Listen des Dschungelkrieges und die raffinierte Diplomatie gegenüber Stämmen, die der Verständigung zugänglich sind. Sie bringt auf die Dauer mehr ein als Überfälle, Brandschatzungen, Folterungen, Massaker. Sie brachte am Ende des Marsches über die Sierra auch eine Nachricht von unschätzbarem Wert ein: die Aussage des Kaziken Tumaco, dass man ein bergiges Land mit steinernen Städten und unermesslichen Goldschätzen finde, wenn man der Küste des Südmeers südwärts folge.

Diese Kunde ist vielleicht das wichtigste Erbstück, das Balboa seinem unberechenbaren Freund hinterlassen hat. Er selbst brachte die Jahre bis zu seiner Enthauptung noch damit zu, dem listigen, knickrigen und grausamen Greis Pedrarias, dem Statthalter der Krone, die Erlaubnis zu einer Südmeerexpedition abzutrotzen. Pedrarias war gekommen mit königlichem Auftrag, das Südmeer zu entdecken – Balboa hatte es gerade entdeckt. Pedrarias gönnte niemandem einen Beutezug, an dem er nicht selbst beteiligt war. Also ließ er sich die Genehmigung etwas kosten. Balboa hat unter unsäglichen Mühen und schweren Verlusten zwei Schiffe, in Einzelteile zerlegt, über den Isthmus schleppen lassen. Die Frist ist von Pedrarias mit Bedacht kurz bemessen worden. Hunderte indianischer Träger kamen um. Unterwegs verfaulte das Holz. Neue Balken und Planken mussten gezimmert werden. Die Unterstützung durch den Statthalter der Krone war gleich Null. Beinahe hat es Balboa geschafft, nur eine kleine Verlängerung noch, deren Verweigerung bei einer Rechenschaftslegung vor dem Indienrat sonderbar wirken würde – und der Adelantado hätte absegeln können. Da kommt das Gerücht auf, Balboa plane eine Verschwörung und wolle die Statthalterschaft an sich reißen. Pedrarias ruft ihn über den Isthmus und lässt ihn durch Pizarro verhaften.

Pizarro wirft sich nichts mehr vor. Er hatte Befehl vom Statthalter persönlich. Der Statthalter war vom König ernannt worden und befahl in dessen Namen. Es handelte sich folglich um einen völlig legitimen Akt der Staatsgewalt, mit der Balboa sich hätte besser stellen sollen. Persönliche Verdienste waren nur im Namen des Königs zu erwerben, nicht eigenmächtig. Das Gerücht war nicht ganz aus der Luft gegriffen. Pizarro hat Balboa jahrelang aus der Nähe erlebt als einen Mann von unbeugsamer Willenskraft, leicht kränkbarem Eigensinn und hochfliegenden Zielen, der die spanische Kolonialbürokratie verachtete, verhöhnte, öffentlich beschimpfte und die Herzen seiner Leute dadurch gewann, dass er ihr manches Schnippchen schlug. Aber eine Fahrt übers Südmeer und die Eroberung eines goldreichen Gebirgslandes waren eben nicht gegen sie durchzusetzen, sondern nur mit ihr. Nein, vorzuwerfen hat Pizarro sich nichts. Er hat Balboa lediglich verhaftet. Gerichtet hat ihn ein anderer: Gaspar de Espinosa. Das Gnadengesuch zurückgewiesen hat ein anderer: Balboas eigener Schwiegervater Pedrarias. Und auch den Kopf abgeschlagen hat ihm ein anderer, ein gewöhnlicher Henker mit roter Kapuze. Niemand kann behaupten, Pizarro habe die Hinrichtung Balboas nicht als schweren Verlust empfunden.

Trotzdem gibt es noch Leute, die ihn verdächtigen. Sie machen geltend, Balboa habe vor der Überquerung des Isthmus tatsächlich rebelliert, und Pizarro sei dabeigewesen. Nun behaupten sie, Pizarro hätte mit vors Gericht gehört und mit dem Freund verurteilt werden müssen. Stattdessen hatte er ihn verhaftet. So kauft man sich frei, flüstern manche.

Zwanzig Jahre Amerika hat Pizarro schon hinter sich, ein Viertel davon auf den Antilleninseln, auf Espanola, auch Haiti genannt, und auf Kuba, die anderen drei Viertel an den Küsten des Kontinents. Seit zwanzig Jahren hat er Spanien nicht mehr gesehen, die Heimat Estremadura und die Sierra de Guadalupe. Wird er je heimkehren? Gold genug, um zu Hause in bescheidenen Verhältnissen alt zu werden, hat er beisammen. Aber dazu ist er nicht über den Atlantik gefahren. Wenn ein Bauernjunge Soldat des Königs wird, will er nicht als Bauer alt werden. Er ist nun Grundbesitzer und hat ein kleines Vermögen. Aber Land ist nur hier billig, nicht in Spanien, und indianische Plantagenarbeiter kann man nur hier kaufen, notfalls selber jagen. Wenn Pizarro alles zu Geld machte und eine Überfahrt nach Spanien bezahlte, stünde er doch, vorausgesetzt, dass sein Schiff ankäme, mit verdammt wenig da in den Gassen von Sevilla. Und was dann aus einem wird, hat er kennengelernt, als er aus Italien zurückkam mit dem Gran Capitán Gonzalo Fernández de Córdoba und die Katholischen Majestäten seiner Dienste nicht mehr bedurften. Genug Geld ist in Spanien wenig, und wenig ist eigentlich nichts. Alles ist teuer und wird von Jahr zu Jahr teurer, berichten Neuankömmlinge. Es ist, als habe der Teufel die Spanier das Gold von Haiti und Mexiko finden lassen, denn es steigert den Golddurst wie den Durst eines Mannes, in den man Salzwasser pumpt. Die Gewerbe liegen brach, die Gesellen finden keine Arbeit. In den Städten und auch in den Dörfern soll es schweren Aufruhr gegeben haben. Der König ist nur ein halber Spanier und selten im Land. In den Ämtern sitzen Ausländer. Die Bauern verschulden, können die Zinsen nicht zahlen und verlieren ihr Land. Das sind ja die Leute, die unablässig auf morschen Schiffen herüberkommen. Wer in Spanien etwas hat, dem wird es genommen. Nur wer viel hat, kann etwas behalten, und nur wer ungeheuer viel hat, dessen Habe wird nicht von dieser rätselhaften Schwindsucht befallen, sondern vermehrt sich. Der Hauptmann Francisco Pizarro, der Pflanzer vom Rio Chagre, gilt in Panama als wohlhabend; manche halten ihn sogar für reich. Aber um heimzukehren nach Estremadura, ist er zu arm.

Nicht nur zu arm ist er, sondern auch zu stolz und zu unbekannt. Was hat er denn vollbracht, dessen er sich vor ernst zu nehmenden Leuten rühmen dürfte? Erlebnisse, mit denen sich in Kneipen prahlen lässt, hat er reichlich. Oft genug war er dabei, wenn Europäer einen Landstrich zum ersten Mal betraten. Er kann Erstaunliches über die Indios erzählen, über ihre kindliche Neugier und ihre tierhafte Scheu, ihre Gastfreundlichkeit und Leichtgläubigkeit, über ihre zerbrechlichen Waffen und ihre Angst, ihre Freude an Schellen und buntem Glas, über die grenzenlose Zutraulichkeit und Unterwürfigkeit der Indioweiber. Aber auch von den scheußlichen kriegsbemalten Fratzen kann er ein Liedchen singen, von grauenerregenden Götzendienereien, von Giftpfeilen, gegen die nur noch kochendes Öl hilft, das man in die Wunde gießen muss. Schauergeschichten brauchte er nicht zu erfinden; er brauchte nur zu beschreiben, wie in einem Indianerdorf neben den Feuerstellen Töpfe mit menschlichen Knochenresten gestanden hatten. Quälendes Ungeziefer, marternde Fiebererkrankungen, auszehrende Durchfälle hätte er schildern können oder wie ein Soldat von einem Jaguar zerrissen wird oder in einem Sumpf langsam und unaufhörlich brüllend versinkt, bis ihm der Schlamm die Kehle eindrückt. Und den Hunger könnte er beschreiben in allen Phasen, Wochen, in denen Essbares mit dem Gold aufgewogen wurde, an dem noch das Blut der Erschlagenen oder Gefolterten klebte, in denen Leder gekocht und abgenagt, Holz gekaut und Ungeziefer geknackt wurde, in denen langsam und mit der Hölle in den Eingeweiden verreckte, wer eine giftige Frucht gegessen hatte, und manche Männer heimlich sich mit vertiertem Blick daran machten, Stücke eines gestorbenen Kameraden zu braten und zu essen.

Aber davon wurde seit zwanzig Jahren in spanischen Kneipen geschwatzt. Pizarro mochte Unglaubliches gesehen haben; Neues würde er kaum berichten. Und von den Sklavenjagden mit Hetzhunden, von den Sklavenmärkten in Santo Domingo, von dem Massensterben in den Goldminen des Landes Cibao, in den Baracken und auf den Pflanzungen hielt man lieber den Mund. Es gab doch diesen und jenen Mönch aus den Orden der Franziskaner und der Dominikaner, der eine zartbesaitete Seele hatte und diesen Wilden tatsächlich das Evangelium beibringen wollte. Diese guten Leute liegen dem Indienrat nun mit Klagen und Beschwerden in den Ohren und haben die weltfremden Bürokraten in Sevilla schon zu undurchführbaren, schikanösen Verfügungen bewegt. Denen brauchte man nicht noch Augenzeugenberichte zu liefern.

Taten will Francisco Pizarro vorweisen, Verdienste um die Krone, Wagnisse, die etwas einbringen, woran der junge König Carlos Gefallen findet, Schlachten und keine Katzbalgereien. Städte will er ihm zu Füßen legen und keine Strohhütten, die ein spanischer Soldat ohnehin nicht sehen kann, ohne sie anzuzünden. Königen will er vor seinem König den Nacken beugen, nicht nackten, mit Erde und Asche bemalten Kaziken. Gold und Silber will er ihm bringen, nicht ein paar Plättchen und Ringe, Armreifen und Spangen, sondern Krüge und Schalen, Götzenbilder und Platten von nie gesehenen Ausmaßen. Es muss viel sein, sehr viel, damit das Auge des Königs darauf verweilt, denn der König hat eine Kasse ohne Boden. Es muss viel sein, sehr viel, damit der Eroberer all die Leute bezahlen kann, die er für einen solchen Feldzug anwerben wird, die Schiffe, mit denen er übers Südmeer segeln will, und die Waffen, das Pulver und das Blei, die Pferde und die Rüstungen. Es muss viel sein, sehr viel, damit am Ende auch für ihn noch genug bleibt.

Dass er keinem Hirngespinst nachjagt, hat gerade erst Pizarros entfernter Vetter Hernán Cortés bewiesen, als er Mexiko eroberte, auch ein gebirgiges Land mit steinernen Städten, zwar kriegerischen, aber leicht täuschbaren und uneinigen Völkern, einem mächtigen, aber von Angstträumen geplagten Herrscher und unvorstellbaren Mengen Gold. Was da erzählt wird von Leuten, die aus dem Nordwesten nach Panama kommen, raubt einem den Atem. Beim Anblick der Dinge, die sie vorsichtig sehen lassen oder leichtsinnig beim Würfelspiel setzen, bleibt einem fast das Herz stehen. Da hat man sich zwanzig Jahre in Sümpfen mit Moskitos und nackten Indios herumgebalgt und ist zum Hauptmann befördert worden, weil man ein halbes Jahr mit ein paar rohen, schmutzigen Landsknechten in einer stickigen Fieberbucht ausgehalten hat, ohne nennenswerte Beute, und dieser geleckte Jüngling Cortés mit dem impertinenten Blick des kleinen Edelmannes findet, halb auf dem Weg der Desertion, ein neues Land Ophir!

Pizarro hat viel aufzuholen. Ein Vermögen muss er sich schaffen, wie es sein Halbbruder Hernando vom Obristen Gonzalo Pizarro allein geerbt hat, einen Herrensitz muss er sich bauen, prächtiger als der Pizarro-Palast zu Trujillo, den er immer nur von außen sehen durfte. Und er will mehr werden als Hauptmann einer Kolonialmiliz. Titel und Wappen sind zu erwerben, wie sie einst Kolumbus erwarb und nach ihm mancher andere. Er will nicht als Pizarro-Bastard sterben, sondern als Edler dieses Namens.

Das sieht Pizarro vor sich. Mexiko hat bewiesen, dass der Kazike Tumaco nicht übertrieb, als er mit seinen Angaben über ein Goldland im Süden Balboas Fantasie reizte. Warum sollte in der Neuen Welt nicht Platz für zwei solche Reiche sein? Eine Handvoll beherzter Männer, wie sie Cortés angeführt hat, Bewaffnung, Proviant und zwei, drei Schiffe müssten auch in Panama aufzutreiben sein. Balboa war nahe daran gewesen, abzusegeln. Sein Plan ist nicht vergessen. Die Zeit drängt. Schon hat der Statthalter zwei Expeditionen genehmigt. Pascual de Andagoya stieß nur auf sumpfige Urwaldküsten und kehrte um, fiebernd und halb verhungert. Juan de Basurto ist gottlob gestorben, noch ehe er seine Flotte beisammen hatte. Pedrarias, der alte Fuchs, tut so, als glaube er nicht an das südliche Goldland. Er will es selber kassieren. Er schickt Leute los, die schwächlich sind und wenig können, damit sie ihm den Weg auskundschaften. Haben sie die geringste Spur, wird er nicht zögern und ihnen den Braten wegschnappen. Obwohl Pizarro am meisten weiß, wird er geflissentlich übergangen. Aber Pizarro hat einen ausdauernden, zähen Willen. Deshalb nur ja keine Ermutigung und schon gar keine Unterstützung für ihn! Pedrarias kennt den Hauptmann lange genug. Er wäre Balboas bester Mann geworden. Pedrarias hat Balboa ausgeschaltet, indem er ihn auf ein Gerücht hin vor Gericht zerrte und zum Tode verurteilen ließ. Pizarro hat er ausgeschaltet, indem er ausgerechnet ihm den Befehl gab, den Freund zu verhaften. Das hat die Reste von Balboas Mannschaft mit ihm verfeindet; das macht es ihm schwer, wieder Leute zu finden. Ein bisschen Hohn über das Fantasiegebilde des Goldlandes unter die Siedler gestreut, ein bisschen den Spott über das Indianermärchen geschürt, das der Hauptmann und noch ein paar Verrückte glauben, und dann die schmähliche Rückkehr Andagoyas, fast aufgerieben von Hunger und Fieber – und niemand wird mehr gen Süden segeln wollen. Pedrarias ist alt und gichtig. Selbst kann er erst fahren, wenn Kurs und Entfernungen sicher sind, und solange nicht er fahren kann, soll niemand fahren. Das hat Pizarro durchschaut.

 

Jetzt senkt sich der Weg. Mais- und Yuccapflanzungen wechseln mit Weideland und Urwaldfetzen ab. Gärten mit geflochtenen Reisigzäunen liegen im Tal, Palmhütten stehen dazwischen und schiefe, ebenerdige Lehmhäuser, von Palmen beschattet. Nur ganz wenige Steinhäuser leuchten in dem graubraunen Netz der rechtwinkligen Gassen: die Statthalterei, die Kirche, großspurig Kathedrale genannt, die Kathedralschule und ein paar Villen reicher Kolonisten. Sie säumen den zentralen Platz inmitten des Schachbrettmusters dieser spanischen Kolonie, die mit vollem Namen „Unsere Liebe Frau von der Himmelfahrt in Panama“ heißt. Mancher ist schon von hier aus gen Himmel gefahren.

Im Hafen liegen nur leichte Küstenfahrzeuge und die Boote von Perlenfischern. Dahinter dehnt sich blau unter der hohen Vormittagssonne der Ozean, der später der Stille heißen soll, in Panama aber noch Mar del Sur genannt wird, Südmeer. Pedrarias hat die Residenz hierher verlegt, im August 1519, kurz nach Balboas Ende. Nombre de Dios an der karibischen Küste wäre für den Verkehr mit dem Mutterland viel günstiger gewesen. Welchen Grund sollte der gichtige Hund Pedrarias für die Verlegung der Residenz gehabt haben, wenn er nicht heimlich plante, Balboas Goldland zu entdecken?

Die Pferdehufe donnern über den festgestampften Boden der Gassen. Mit seiner Eskorte hat der Hauptmann den ganzen Weg kein Wort gewechselt. Ununterbrochen hat er gegrübelt. Jetzt glättet sich seine Stirn. Er besucht eine Dame: Dona Isabel de Bobadilla y Penalosa, die Gattin des Statthalters. Seine Eskorte entlässt er bis zum Abend in die Garnison. Tag und Stunde hat er so gewählt, dass Pedrarias nicht zu Hause ist. Denn gegen sein Nein ist nicht anzukommen. Was Andagoya durchgemacht hat, könne die Krone nicht noch einmal verantworten. Glaube und Gewissen verböten es einfach, so viele Christenmenschen dem sicheren Verderben auszuliefern. Dass Pizarro alle Verantwortung auf sich nehmen wolle, ehre ihn, aber damit sei es nicht getan. Zuletzt, wenn Pizarro nicht wiederkommt, zieht man doch ihn zur Rechenschaft, Pedro Arias Dávilla, genannt Pedrarias, Edelmann aus dem Geschlecht eines getauften Juden, auf den die Inquisition noch immer ein Auge hat.

Seine Gemahlin ist zugänglicher. Sie mochte schon Balboa. Sie liebt Draufgänger. Sie hat ihren grimmigen, pedantischen Mann mit Balboa aussöhnen wollen, indem sie eine diplomatische Ehe des Conquistadors mit ihrer Tochter stiftete, die über den Ozean hinweg durch Bevollmächtigte geschlossen wurde, ohne dass die Brautleute einander je unter die Augen gekommen wären. Sie hat Pizarro auch den entscheidenden Tipp gegeben: Wenn er den Befehl des Alten, Balboa zu verhaften, nicht ausführe, sei es um ihn geschehen. Wegen des Aufruhrs könne man wenig gegen ihn vorbringen, aber eine Befehlsverweigerung erhärte den Verdacht und sei an sich schon genug für den Strick.

Dona Isabel empfängt ihn in der steifen Pracht einer kastilischen Schlossherrin. Noch hat sich die spanische Garderobe dem Klima der Kolonien nicht angepasst. Die Statthalterin leidet sehr unter der Schwüle und beklagt den Verlust von Sachen, die ihr im Schrank verschimmelt sind. Ob der Statthalter Aufträge für den Hauptmann habe? Das Übliche natürlich. Im Nordwesten sind Eingeborene mordend in Pflanzergebiet eingedrungen. Eine Strafexpedition ist steckengeblieben. Pedrarias sei gerade dabei, zweihundert Mann mobil zu machen. Wenn Pizarro das Kommando begehre? Sie lächelt, weil sie weiß, dass der Hauptmann auf eine ganz andere Entscheidung wartet. Er seufzt verärgert; sie begreift. Sein Projekt habe sie nicht vergessen, aber er müsse sich gedulden. Sie lasse nichts unversucht, das Vertrauen des alten Mannes zu ihm zu festigen. Er könne den Statthalter beweglicher machen, wenn er die Kosten mit ein oder zwei Companeros restlos selbst übernähme. Dann hätte Pedrarias zu befürchten, dass ihm die Obrigkeit Behinderung der Einsatzbereitschaft von Untertanen Seiner Majestät vorwirft.

Zum Mittagessen begibt er sich in das Wirtshaus, wo er gewiss seinen alten Kameraden Diego de Almagro treffen wird. Der Name klingt adlig, bezeichnet aber nur den Marktflecken in La Mancha, wo man ihn als Kind, zu einem Bündel geschnürt, am Brunnen gefunden hat. Die beiden stehen einander nahe, weil sie bei ihrer Geburt schlecht weggekommen sind. Auch ihre Erlebnisse in der Neuen Welt ähneln sich auffallend. Aber sie sind auch ein ungleiches Paar: Pizarro kennt wenigstens Mutter und Vater. Er ist schmal und hoch gewachsen und hat die Erscheinung eines Raubvogels. Almagro dagegen ist ein gedrungener, ungeschlachter, vierschrötiger Lümmel mit kugelrundem Kopf und dicken kurzen Beinen, gutmütig und gutgläubig. Wenn die beiden nebeneinander gehen, sind sie ein Pärchen, wie es achtzig Jahre später Cervantes vorgeschwebt haben muss, als er Don Quijote und Sancho Pansa zusammenführte.

Die beiden betreiben wenig ergiebige Goldminen in der Sierra de Panama. Auch Almagro hat ein bisschen Land und ein Kästchen mit indianischem Gold, aus der Asche von Kazikenhütten und im Sklavenhandel zusammengekratzt. Aber die Steuern sind hoch. Die beiden haben einander schon vorgewogen, wie wenig ihnen geblieben ist. Ein Kathedralschüler hat ihnen gegen ein Taschengeld dabei geholfen, denn die beiden Recken aus dem Kriegsvolk des Königs haben nie eine Schule besucht. Da hat der Schüler erfahren, wozu das Gold angelegt werden soll. Almagro, jedes Mal heftig nickend und viehisch schwitzend, sobald Pizarro bedächtig den dürren Finger auf den schmalen Mund legte, hat sich doch noch verplappert. Sofort ist der Schüler redselig geworden: Der Rektor, Padre Fernando de Luque, wisse auch von Balboas Plan. Manchmal könne man ihn fluchen hören über seine Gebrechlichkeit und sein Alter. Sonst wäre er, statt Holzköpfe das Buchstabieren zu lehren und Messen zu lesen, längst mit einem Schiff hinter dem südlichen Horizont verschwunden. Und Geld habe er ohne Zweifel. Da spitzten Pizarro und Almagro die Ohren.

Heute empfängt Almagro den Hauptmann mit vorgehaltener Hand: Der Padre hat wirklich Geld! Er tut zwar wie ein bedürfnisloser Klosterbruder und spielt die Kirchenmaus, grau, blass, abgezehrt, aber zu Hause steht eine Truhe voll Gold. Almagro hat ihn ausspionieren lassen. Seine Genügsamkeit ist in Wirklichkeit Geiz, seine Schüchternheit das schlechte Gewissen des Geizes, seine Schweigsamkeit bedeutet nur, dass er ratlos ist, was ihm sein Gold in der kurzen Zeit vor der Grube noch nützen kann. Erben hat er nicht. Er härmt sich nicht um seiner Sünden willen, sondern weil die Natur es ihm verwehrt, noch mehr zu begehen.

Den Mann müssen sie gewinnen! Pizarro informiert den Companero über den Tipp der Statthalterin: alles selbst finanzieren, dann könne man, wenn der Statthalter stur bleibt, gegen ihn klagen. Almagro hat bei dem Pfaffen schon vorgefühlt. Es komme ihm auf einen gebührlichen Beuteanteil an, mitfahren könne er nicht, höchstens nach dem Sieg als Bischof in der neuen Kolonie einziehen. Tapfere Männer wären ihm willkommen, und bei der Heiligen Jungfrau, sind sie nicht schon zwei?

Pizarro zieht eine Braue hoch. Es missfällt ihm, wenn Almagro sich mit ihm auf eine Stufe stellt. Aber er muss es dulden. Der Kumpan fügt flüsternd hinzu, die alte Scharteke werde sowieso bald abkratzen; da ergreift der Hauptmann die Gelegenheit, den Caballero hervorzukehren: Daran nur zu denken sei unehrenhaft. Aber immerhin ist es eine Möglichkeit, sieht er im Stillen ein. Die Beute werde für alle reichen. Man müsse mit dem Padre ins Gespräch kommen.

Almagro grinst pfiffig. Wie förmlich hält es doch Pizarro! Sie seien schon angemeldet. Nein, verraten habe er nichts, aber was gebe es denn schon zu verraten unter den Erben des seligen Vasco Núnez de Balboa! Pizarro staunt: Durch Schliche und Katzbuckelei erreicht der Kerl alles! Als junger Mann hat Pizarro sich in die Höflichkeit der Edelleute vergafft. Im Dschungel konnte er nie etwas damit anfangen. Aber sobald er sich wieder in einem Städtchen mit annähernd spanischem Aussehen und halbwegs gepflasterter Plaza befindet, führt er sie spazieren wie einen teuren Hund. Manchmal hat er sich schon gefragt, weshalb gesellschaftliche Formen und Normen solch einen Bann auf ihn ausüben, warum er die Lehren des Urwalds nicht beherzigen kann, dass jedermanns Blut rot ist und die Leiche eines Adligen nicht anders stinkt als die eines Bauern. Dieser Mann hat eine Puppe aus ihm gemacht, als ihm befohlen wurde, Balboa zu verhaften. Dieser Mann hemmt ihn im Umgang mit Pedrarias. Es kann einer noch so verworfen und schurkisch sein, stehen Gesetz und Siegel des Königs auf seiner Seite, zieht sich Pizarro resignierend zurück. Diesen Almagro, denkt Pizarro, diese schleimige, geschmeidige Kröte werde ich noch oft brauchen!

Zunächst aber braucht er das Geld dieses frömmelnden Bücherwurms in der Kathedralschule. Pizarro und Almagro trinken in Ruhe ihren Krug Wein. Der Padre schläft um diese Zeit noch. Auch Pizarro vermisst seine Siesta. Almagros Gesicht rötet sich allmählich; er leert schon den zweiten Krug. Pizarro dagegen behält seine kalte, gelbliche Blässe. Er gießt immer wieder Wasser zu und bietet den Freund noch aus seinem Krug an. Der ist tief gerührt.

Dann treten sie hinaus unter den gleißenden, feuchten Himmel, an dem sich über der Sierra das Nachmittagsgewitter auftürmt. Schweigsam schlendern die beiden alten Soldaten hinüber zur Kathedralschule. Was sie mit Padre Fernando de Luque aushecken werden, halten sie für die größte Heldentat ihres Jahrhunderts.