Buch

Eigentlich ist Anni glücklich. Mit ihrem Langzeitfreund Thies lebt sie in einem hübschen Bremer Häuschen, ihr Geld verdient sie als Game-Designerin und in ihrer Freizeit entwirft sie Poster- und Postkartenmotive. Doch dann will ihr Chef, dass sie das neue Büro in Berlin leitet. Und Thies will auf einmal heiraten. Nur Anni weiß nicht mehr, was sie will. Da meldet sich ihre Jugendfreundin Maria aus Norderney, und Anni beschließt spontan, eine Auszeit zu nehmen. 6 Wochen Sand und Wind, Sterne und Meer – einfach mal durchpusten lassen. Danach sieht sicher alles anders aus. Wie anders, das hätte Anni sich allerdings nicht träumen lassen ...

Autorin

Meike Werkmeister ist Buchautorin und schreibt als freie Journalistin für verschiedene Magazine. Sie lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Wann immer sie Zeit findet, fährt sie ans Meer –besonders gern nach Norderney, wo sie seit Kindertagen Urlaub macht. Hier entstand auch die Idee zu diesem Roman. Es war an einem Frühsommertag, die See war noch rau, der Wind noch frisch, als Annis Geschichte ihren Anfang nahm. Eine Geschichte, in der schließlich weit mehr durcheinandergewirbelt wird als die Muscheln in der Brandung zu Annis Füßen.

Weitere Informationen unter
www.meikewerkmeister.de

Meike Werkmeister

Sterne sieht man
nur im Dunkeln

Roman

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Der Abdruck von Auszügen des Liedtexts von »Danke sagen«
von Julia Kautz erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

Originalausgabe Mai 2019

Copyright © 2018 by Meike Werkmeister

Copyright © dieser Ausgabe 2018

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Michael Gaeb.

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: © Getty Images/shuoshu.

Illustrationen: © Renata Wolff, »Haus Nr. 26«

Redaktion: Kristina Lake-Zapp

An · Herstellung: kw

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-22568-1
V002

www.goldmann-verlag.de

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Alle meine Farben
leuchten nicht so hell,
wenn du nicht da bist.

Julia Kautz

Es geschah auf unserer dritten Hochzeitsfeier in diesem Frühsommer. Thies saß neben mir, in seinem perfekt geschnittenen Anzug, mit ironischer Fliege und frisch gestutztem Dreitagebart. In seinem Gesicht kämpften Rührung und Belustigung.

Ein Chor aus älteren Damen mit großen Schals stimmte »Oh Happy Day« an. Während Susanne im Brautkleid vor dem Altar niederkniete, tauchten vor meinem inneren Auge Bilder von ihr bei der Arbeit auf. Wie sie einen Praktikanten zusammenfaltete, weil er ihren Teamleiter-Parkplatz besetzt hatte. Wie sie sich vor Lachen über einen meiner Sprüche fast in die Hose machte.

Der Pastor legte eine Hand auf ihren und eine auf Davids Kopf. Nachdem der Chor mit Inbrunst die letzten Töne des Liedes von der Empore geschmettert hatte, steckte das Brautpaar sich gegenseitig Ringe an die Finger. Ringe, um deren Design vorher erbittert gestritten worden war.

In der Bank vor uns wurden Taschentücher verteilt. Thies nahm meine kleine, kalte Hand in seine große, warme. Ich suchte seinen Blick, und er blinzelte mir mit feuchten Augen zu, wie er es immer tat, wenn wir mal wieder in einer Kirche saßen, bei einer Trauung wie heute oder, immer öfter, bei einer Taufe. Ich beugte mich zu ihm hinüber und legte meine Stirn an seine Schulter.

Später, als alle Unterschriften erledigt und alle Segen gesprochen waren, tanzten wir am Strand vor einem Lokal direkt an der Weser. Der Junimond spiegelte sich im Wasser, die Luft war klar und mild und roch nach Sommer. In der Ferne ragten die Scheinwerfer des Weserstadions wie riesige Fühler in den wolkenlosen Nachthimmel. Thies wirbelte mich zu irgendeinem Boney-M.-Song herum. Keiner von uns konnte besonders gut tanzen, was uns jedoch nie davon abhielt, es so ausgelassen wie möglich zu tun. Er lachte mich zwischen seinen Drehungen und Hüftschwüngen an, beugte sich zu mir herunter, und ich sah, dass seine Schläfen nass geschwitzt waren.

»Kleine Pause?«, fragte ich am Ende des Songs.

Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und blickte in Richtung des hell erleuchteten Pavillons, an dessen Bar sich andere Gäste drängelten. »Sprudel?«

»Gern, ich warte da drüben.«

Ein Stück von der Musik und den Lichtern entfernt setzte ich mich ans Ufer. Ich streifte die flachen Riemchensandalen ab und grub meine Zehen in den kühlen Sand. Wenige Meter von mir entfernt schob sich ein kleiner Lastkahn geräuschlos über das ruhige Wasser. Hinter mir hörte ich Thies’ Schritte. Er reichte mir eine eiskalte Glasflasche und ließ sich neben mir nieder.

»Und, wie findest du die Feier?« Er atmete noch ein wenig schnell vom Tanzen.

»Ich denke, wir können ein erstes Ranking wagen.« Ich wuschelte meinen Pagenkopf zurecht.

»Ambiente?« Thies setzte die Flasche an seine vollen Lippen.

»Zehn Punkte, mehr geht nicht.«

Er brummte zustimmend.

»Essen?«, fragte ich.

Thies zupfte an seinen Bartstoppeln. »Ich fürchte, da sind wir unterschiedlicher Ansicht. Ich fand es lecker.«

Ich nickte. »Doch, es hat geschmeckt. Aber Büfetts sind einfach nicht meins, von mir also nur fünf Punkte. Die Pasta aus dem Parmesanlaib war allerdings ein zweites Anstehen wert.«

Eigentlich war Thies dran mit dem nächsten Stichwort für unser Hochzeits-Pingpong, doch er knibbelte nur schweigend am Etikett der Flasche herum.

Wir hatten beide nach dem Tischwein auf Alkohol verzichtet. Ich musste morgen, wie so häufig an Wochenenden, noch etwas arbeiten, und Thies hatte eine Präsentation erwähnt, die er für Montag vorbereiten wollte.

Wir schauten aufs Wasser, wo die kleine Fähre, die regelmäßig von der einen Weserseite auf die andere übersetzte, rumpelnd am Steg anlegte. Ein paar Gänse erhoben sich schnatternd über dem Fluss in die Luft, als der Kapitän die Rampe herunterließ.

»Das hättest du nicht in Berlin«, bemerkte Thies. Ich musterte ihn von der Seite.

»Nein«, sagte ich. »Das nicht.«

Eine Zeit lang sahen wir der Fähre zu und meiner Freundin Susanne, wie sie ihre Oma am Arm die Steinrampe hinunterführte und dann über den Steg an Bord geleitete. Es rührte mich, wie die alte Dame sich an der Reling festklammerte und gar nicht mehr aufhören wollte zu winken. Das Schiff legte ab und hinterließ winzige Schaumwellen, die wenige Meter vor uns auf den Strand rollten.

»Anni?«

»Ja?«

»Wünschst du dir das wirklich nicht?«

Ich spürte etwas Festes neben mir und ertastete einen Eisstiel aus Holz, den wahrscheinlich irgendein Kind beim Baden hier verbuddelt hatte.

»Was meinst du?«

»Das.« Er breitete die Arme aus und wies mit seiner Flasche auf die Lichterketten, den Geschenketisch vor dem Pavillon, die Brautmutter, die beschwipst kichernd die Windlichter auf den Biertischen kontrollierte. Susanne und David, die sich auf der Tanzfläche aneinander festhielten, während die Gäste drum herum sie mit glückseligen Mienen beobachteten.

Ich griff nach seiner Hand, an der Sand klebte. »Wo kommt das denn her?«

»Vorhin hat mich Susannes Vater an der Bar angesprochen, ein netter Typ, aber ziemlich redselig.« Thies betrachtete unsere ineinander verschränkten Finger. »Er meinte, wir wirken so herzergreifend frisch verliebt.«

»Das sind wir doch auch.« Ich wischte mit meinem Daumen Sand von seinem. »Schon seit einer halben Ewigkeit.«

»Ja«, sagte er.

Irgendetwas lag zwischen uns, aber ich konnte es nicht fassen.

»Susannes Vater meinte, ich solle mir nicht mehr allzu lange Zeit lassen, den nächsten Schritt zu wagen.«

Ich lachte auf. »Damit hätten wir den Wann-ist-es-endlich-bei-euch-so-weit?-Spruch für heute hinter uns. Können wir bitte gehen, bevor Susanne den Brautstrauß wirft? Ich möchte nicht wieder zwischen lauter siebzehnjährigen Nichten stehen, die mir aus Mitleid den Vortritt lassen.«

Thies lachte nicht mit.

Im Nachhinein denke ich, dass dies der Moment war, in dem ich hätte hellhörig werden müssen. In dem ich hätte genauer nachfragen müssen. Es wäre der Moment gewesen, in dem Thies hätte sagen können, dass ihm nicht nach Scherzen zumute war. Dass er das mit mir ernsthaft diskutieren wolle, dass es Zeit war für ein echtes Gespräch.

Aber wir hielten uns nur an den sandigen Händen und hörten, wie der Wind Bässe vom anderen Ufer herübertrug, die sich mit denen auf unserem vermischten.

»Genug Pause«, beschloss ich nach einer Weile. »Sie spielen Neunziger.«

Und schon war ich unterwegs. Thies rappelte sich auf und folgte mir mit etwas Abstand. Und dann tanzten wir zu »Sing Hallelujah«, »Mr. Vain«, »Coco Jamboo« und anderen Grausamkeiten, bis wir durchgeschwitzt waren.

Zwei Wochen zuvor saß ich mal wieder bis spät im Büro. Hinter der alten Fabrikhalle in der Neustadt, in der ich arbeitete, breitete sich bereits ein blasser Sonnenuntergang aus und erinnerte mich daran, endlich den Rechner herunterzufahren und nach Hause zu gehen. Wie immer hatte keiner von uns Licht angemacht, nur unsere Computerbildschirme tauchten den Raum in einen fahlen Schein. Meine Kollegen saßen noch nach vorn gebeugt über neuen Entwürfen oder spielten einige der Spiele durch, die wir hier tagtäglich entwickelten. Viele von ihnen meinten, es sei der Grund, warum sie Gamedesigner geworden seien – um so viel wie möglich zu spielen –, aber mich hatte das nie gereizt. Fremde Welten zu entwerfen fand ich spannend, aber privat wollte ich sie schnell wieder verlassen.

Ich suchte zwischen den Jacken am Kleiderständer nach meiner, nahm meine Tasche und rief in die Runde: »Schönen Abend allerseits!« Noch bevor die zerkratzte Eisentür zum Großraumbüro hinter mir ins Schloss fiel, hatte ich bereits meinen Fahrradschlüssel hervorgekramt. Doch auf dem Weg über den düsteren Flur kam mir mein Chef Holger entgegen.

»A-Team, hast du noch einen Moment?«

Ich bemühte mich nicht, mein Stöhnen zu unterdrücken. Ich würde im Dunkeln nach Hause radeln, mal wieder.

»Sorry, es geht wirklich schnell.« Holger führte mich in sein Büro und schloss hinter sich die Tür. Zu meiner Erleichterung bat er mich nicht, in einem der bunten Sitzsäcke, die überall im Raum verstreut lagen, Platz zu nehmen, denn wenn man erst mal in einem davon versunken war, kam man so schnell nicht mehr hoch. Etwas verloren standen wir voreinander.

Holger räusperte sich. »Ich wollte dir nur schnell etwas sagen, ich brauche auch nicht sofort eine Antwort, aber ich möchte, dass du schon mal darüber nachdenkst.« Er knetete seine blassen Finger und rückte seine Brille zurecht. »Magst du Berlin?«

»Ähm, ja?« Aus meiner Eile machte ich kein Geheimnis. Ich hatte in dieser Firma in den vergangenen vierzehn Jahren nur überlebt, weil ich gelernt hatte, Feierabend zu machen, wenn eigentlich noch jemand etwas von mir wollte.

»Ich finde, wir sollten dort auch einen Standort aufbauen.« Holger kniff die Augen zusammen, um mich in dem Dämmerlicht überhaupt noch sehen zu können. Als ich verständnislos die Stirn kraus zog, fügte er hinzu: »Ja, und ich suche jemanden, der das Ganze da leitet. Und weil du eine meiner erfahrensten Mitarbeiterinnen bist …«

»… und eine deiner ältesten …«

Holger kicherte. »Richtig, ich dachte jedenfalls, ich könnte dich da gebrauchen. Du hast Zeit mit der Entscheidung, ich suche gerade nach Büros, Investoren, es dauert noch einige Monate, bis es konkret wird. Aber denk doch schon mal darüber nach.«

»Und sonst fragst du Susanne?«

Er kicherte wieder. »Ja. Oder einen der anderen. Aber … aber dich frage ich zuerst.«

»Ich werde das gegenchecken«, versprach ich augenzwinkernd.

»Ich weiß ja, dass du mit Susanne alles besprichst«, sagte er. »Aber sonst bitte noch keinem der Kollegen verraten, dass ich etwas plane. Alles noch topsecret, A-Team. Na ja, mit deinem Thies solltest du natürlich schon drüber reden, der müsste ja vielleicht mit.«

Als ich kurz darauf auf meinem Fahrrad durch die Neustadt raste, vorbei an Dönerbuden, Matratzenläden und Graffitiwänden, dachte ich noch einmal über seinen letzten Satz nach.

»… der müsste ja vielleicht mit.«

Es gelang mir beim besten Willen nicht, mir Thies zwischen Umzugskisten vorzustellen.

»Würdest du nach Berlin ziehen?«, fragte ich, noch in Schuhen und Jacke, als ich etwa zehn Minuten später nach Hause kam. Thies tippte gerade am Kühlschrank lehnend auf seinem Smartphone herum und sah verwundert auf.

»Natürlich nicht.«

»Und warum nicht?«

Er verzog das Gesicht, als hätte ich eine Frage gestellt, auf die ich bereits die Antwort wusste. »Nach Berlin geht man, wenn man Anfang zwanzig ist, nicht, wenn man wie ich langsam, aber sicher auf die vierzig zugeht.«