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Originalausgabe
© Piper Verlag GmbH, München 2020
Covergestaltung: zero-media.net, München
Coverabbildung: Gettyimages / ©CoffeeAndMil; FinePic®, München

 

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1

Als ein Krampf im Unterschenkel seine Position unbequem machte, erhob sich Jay von den niedrigen Stufen vor dem Springbrunnen in der Mitte des berühmten Place de la Créativité. Er streckte sich wie eine Raubkatze nach langem Dösen in der warmen Sommersonne. Seine Muskeln zitterten. Etwas strich wie ein kühler Hauch über seine bloßen Unterarme und seinen Nacken, den das Basecap nicht bedeckte. Beinahe wäre er zusammengezuckt. Dann erkannte er, dass er nicht die sanfte Berührung des Tastzaubers eines menschlichen Magiers der Musenpolizei oder eines Elfen spürte, sondern lediglich ein paar kühle Tropfen aus dem Götterbrunnen direkt hinter ihm. Er musste sich zusammenreißen. Das Warten zerrte an seinen Nerven, auch wenn es nicht zu vermeiden war. Jay musterte die bunte Menge um sich herum.

Der übliche Mittagsansturm auf das Musenviertel von Tressina City war bereits vorbei und der Marktplatz leerte sich allmählich, sodass er jetzt erstmals Lücken in den Besucherströmen erkennen konnte. Trotzdem hielten sich immer noch zahlreiche Touristen im Zentrum auf. Zu viele.

Drei Elfenkinder jagten an ihm vorbei. Er hörte sie lachen und rufen, während ihre Mutter ihnen nachsetzte, aber die Kleinen bewegten sich flink wie wendige Tiere. Ein zartes Elfenmädchen kletterte innerhalb von zwei Atemzügen auf den Brunnenrand und von dort auf den gebeugten Rücken des bronzenen Satyrs, hielt sich strahlend am ausgestreckten Arm der Musengöttin fest und nutzte ihre magischen Kräfte, um das Wasser, das aus den Handflächen und Hörnern der Götterstatuen sprudelte, in einem wackligen weiten Bogen auf ihre Geschwister zu lenken. Die kleinen Elfen quietschten und ein paar unbeteiligte Zuschauer protestierten erschrocken, als sie ebenfalls von dem Strahl getroffen wurden.

Jay wandte sich ab. Keinesfalls durfte er in die Situation kommen, dass man ihn ansprach oder gar um Hilfe bat, also tat er so, als hätte er nichts gesehen. Er schlenderte ein Stück weiter, scheinbar uninteressiert, den Blick zu Boden gerichtet. Trotzdem entging ihm nichts, was um ihn herum geschah.

Er sah auf, als eine Gruppe Trolle sich unmittelbar vor ihm durch die Besuchermassen schob. Sie bildeten eine lebende Mauer von etwa acht oder neun Fuß Höhe um die Musen in ihrer Mitte und schirmten sie wirkungsvoll von den Touristen ab. Jay stand da und beobachtete den Trupp aufmerksam. Die eleganten Bewegungen der Musen waren hinter den grobschlächtigen Leibern ihrer Bewacher kaum auszumachen, trotzdem versuchte er, wie jeder hier, zwischen den Trollen hindurchzuspähen. Wie beiläufig rückte er näher heran. Ein Blick aus goldfarbenen Augen streifte Jay, dann schloss sich die Lücke wieder und er kassierte einen Stoß, der ihn kurz taumeln ließ, und der verantwortliche Troll sah ihn an und schnüffelte misstrauisch. Jay erstarrte und versuchte ruhig zu atmen. Kleine, schwarze Augen in einem riesigen Gesicht. Ein drohendes Grollen löste sich aus der Kehle des Wesens und Jay fragte sich, was das hochsensible Riechorgan des Trolls an ihm wahrnahm. Aufregung? Angst?

Jay wich scheinbar respektvoll zwei Schritte zurück und der Troll schien sich damit zufriedenzugeben, zumal seine Kameraden weiterzogen und er den Anschluss nicht verlieren durfte. Die Gruppe verschwand in der Touristenmenge und Jay schaute ihnen nach. Den Musen, die sich wie in einem lebenden Bunker über den Platz bewegten. Unerreichbar.

Ich muss vorsichtiger sein, dachte er und schlängelte sich weiter durch das Gewusel in Richtung Hauptstraße. Er kam sich vor wie bei einem Hindernisparcours im Sportunterricht, dabei mied er bereits die schmalen Gänge und das größere Gedränge zwischen den Marktständen auf der nördlichen Seite des Platzes, wo die Händler jetzt lautstark ihre Rabatte zu Feierabend verkündeten.

Endlich näherte er sich dem Rand des Place de la Créativité. Sein Blick huschte achtlos über die schicken 5-Sterne-Restaurants zu seiner Linken, die er nur von Promi-Hochzeiten aus den Hochglanzmagazinen seiner Mutter und aus den Realityshows im Fernsehen kannte. Die Angestellten begannen bereits die Tische im Außenbereich abzuräumen und die Möbel zusammenzuschieben und Jay warf einen Blick auf seine Uhr, aber er hatte noch etwa fünfundzwanzig Minuten, bis die offizielle Besuchszeit für Touristen endete und die Ausreisezeit begann. Jay streckte die Beine und schritt ein wenig schneller aus.

Er schob sich den Schirm seiner Mütze weiter ins Gesicht, während er an den Glasfronten der Restaurants und Cafés vorbeiging und seinen Blick im Schutz seines Basecaps über das Treiben auf dem Wochenendmarkt wandern ließ und versuchte, dabei nicht zu lange auf den hellblauen Uniformen der allgegenwärtigen Beamten der Musenpolizei zu verweilen. Für einen Moment streifte er den Blick eines Trolls, der mit einem drei Fuß langen Schlagstock bewaffnet war und mit großen Schritten auf seine Straßenseite zueilte. Jays Herz pochte schneller.

Kontrolliert atmete er ein und aus, bevor er stehenblieb und betont ruhig den Rucksack von seinem Rücken nahm, um ihn zu seinen Füßen abzustellen, ohne jedoch die potenzielle Gefahr aus den Augen zu lassen. Während er seine Wasserflasche herausholte und aufschraubte, verfolgte er erleichtert, wie der Troll in einigen Fuß Abstand an ihm vorbei und mit Sieben-Meilen-Schritten auf das Juweliergeschäft zwei Läden weiter an der Straßenecke zulief. Erst jetzt bemerkte er die Gruppe aus menschlichen High-Society-Ladys und selbstbewusst auftretenden Geschäftsmännern in maßgeschneiderten Anzügen und edlen Lederschuhen, die sich vor dem Eingang zusammengerottet hatten. Zwei Elfen in grünen Uniformen standen mit ausgebreiteten Armen unmittelbar vor den Glastüren und versperrten ihnen den Weg.

»Unerhört!«, empörte sich eine Frau von vielleicht Mitte oder Ende dreißig in einem mit Edelsteinen besetzten Designerkleid und ausladenden Hut mit Pfauenfedern daran, während die anderen Menschen um sie herum durcheinandersprachen und der Troll von der Musenpolizei sich zwischen die Elfen und die aufgebrachten Luxus-Touristen schob.

»Was ist hier los?« Die massige Gestalt überragte die Gruppe und bildete einen scharfen Kontrast zu den vergleichsweise zierlichen Menschen, die sich jetzt etwas eingeschüchtert ein Stück zurückzogen.

Jay nahm einen gierigen Schluck aus seiner Wasserflasche – er hatte nicht bemerkt, wie durstig ihn die Hitze der vergangenen Stunden gemacht hatte. Sein Mund fühlte sich bereits wieder wie ausgedörrt an, kaum dass die Flüssigkeit seine Kehle hinabgeronnen war.

Eine männliche Muse in einem weißen Sommeranzug trat in einer geschmeidigen Bewegung an dem Troll vorbei vor die Touristen. Der Mann trug feinen Goldschmuck an den Handgelenken, sogar an den Ohren und um den Hals. Die Nachmittagssonne ließ das Gold aufleuchten, wenn er sich bewegte.

»Herrschaften, Sie haben das Schild über unserem Eingang gesehen. Bitte halten Sie sich an die Regeln und ersparen Sie uns weitere Auseinandersetzungen.« Der Mann nickte seinen elfischen Türhütern kurz zu und verschwand wieder in seinem Laden.

Das Schild mit dem goldenen Auge hing tatsächlich gut sichtbar über der Tür, aber die Gruppe schien das immer noch nicht akzeptieren zu wollen.

»Sie wissen nicht, mit wem Sie hier reden!«, rief einer der Männer dem Ladeninhaber nach. »Sie wissen nicht, wer ich bin! Ich habe eine Sondergenehmigung, ich …«

»Keine Ausnahmen. Gehen Sie weiter«, sagte der Troll und schob sich zwei Schritte auf den Mann zu. Die Frauen wichen weiter zurück.

»Komm, wir gehen«, sagte eine von ihnen und berührte den Mann am Arm.

»Das ist lachhaft. Ich werde mich über diesen Laden beschweren!«

»Tun Sie das. Und jetzt gehen Sie. Das ist die letzte Verwarnung.«

Die beiden Elfen stellten sich rechts und links neben den Troll.

Jay unterdrückte ein Kopfschütteln, steckte seine Wasserflasche zurück in den Rucksack, schwang ihn sich auf den Rücken und ging weiter. Solche und ähnliche Szenen hatte er heute mehrfach beobachtet, wenn Menschen versuchten, die den Musen vorbehaltenen Geschäfte zu betreten. Er wusste, dass die begehrten Waren aus diesen Läden gern mal in den Seitengassen zu horrenden Preisen vertickt wurden. Natürlich war über die Hälfte von dem Zeug gefälscht.

Jay musste auf die Straße ausweichen, um an der Gruppe vorbeizukommen.

»Andere Juweliere würden sich darum reißen, wenn ich ihre Schmuckstücke auf einem Ball oder Empfang präsentieren würde!« Der Mann hatte immer noch nicht aufgegeben. Jay vermutete, dass er den Damen versprochen hatte, sie in ein Musengeschäft einzuschleusen und jetzt mit seiner Aufschneiderei dumm dastand.

Der Troll richtete nun seinen Schlagstock steil nach oben, drückte einen Knopf am unteren Ende und ließ magische rote Funken weit sichtbar in die Höhe schießen, um Verstärkung von seinen Kollegen auf dem Platz anzufordern. Höchste Zeit für Jay zu verschwinden.

»Das Quartier des Muses schließt in fünfzehn Minuten für Besucher. Es wird Zeit für Sie alle, zu gehen«, erinnerte unterdessen einer der Elfen die Touristen.

Arrogantes Musenpack und ihre elitären Freunde! Jay schnaubte unwillkürlich, dann konzentrierte er sich wieder bewusst auf seine Mission. Auch ihm blieb nur noch wenig Zeit, um zu seinem Auto zurückzugelangen und die Aufbruchstimmung der halbstündigen Ausreisezeit nach Geschäftsschluss für sich zu nutzen. Vermutlich hätte er nicht so früh im Musenviertel sein müssen, aber er hatte die Vorbereitungszeit eingeplant, um sich gründlich umzusehen, die allgemeinen Abläufe und das Verhalten der Musen und anderen Bewohner des Quartier des Muses zu studieren und sein Vorhaben an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen.

Mit großen Schritten eilte Jay voran. Zunächst einmal wollte er möglichst weit weg sein, bevor weitere Beamte der Musenpolizei am Schauplatz des Aufruhrs eintrafen und er womöglich mit der Gruppe in Verbindung gebracht wurde.

Er wusste im Grunde, dass seine Sorgen unsinnig waren und von seiner Anspannung herrührten. Doch erst als er die Gruppe ein paar hundert Schritte hinter sich gelassen hatte und in eine Seitenstraße eingebogen war, gestattete er sich, etwas langsamer zu gehen. Sein Auto stand nicht weit entfernt. Er hatte es auf den Namen Michael Turner gemietet. Vor einem kleinen Schaufenster blieb er kurz stehen. Aus der spiegelnden Scheibe schaute ihm ein unauffälliger Typ entgegen, ein Student mit Band-T-Shirt und Stonewashedjeans. Seine Haarfarbe wirkte echt und er trug Kontaktlinsen. Jay zog die billige Sonnenbrille hervor und setzte sie auf. Dann ging er weiter.

 

Der Wagen stand in einer schmalen Seitengasse mit hohen Mauern, die dem Fußweg auf der Linken und der Fahrbahn auf der Rechten das Licht nahmen. Hinter den Mauern ragten zu beiden Seiten der Einbahnstraße luxuriöse Stadtvillen empor. Lediglich durch die vergitterten Eingangstore konnte man einen Blick auf die großen Grundstücke und prächtigen Gebäude erhaschen. Hecken und Bäume entlang der Auffahrt schützten die Privatsphäre der Musen zusätzlich vor der Neugier der Touristen, die von Montag bis Samstag während der offiziellen Besuchszeiten durch das Viertel strömten. Jay kam der Wunsch der Musen nach Abgeschiedenheit nun zugute. Von den Häusern aus würde ihn niemand sehen und sofern er sich von den Eingangstoren fernhielt, würde er auch nicht in den Sichtbereich der Kameras geraten.

Ein paar hundert Schritte von seinem Wagen entfernt hielt Jay inne und wartete am Eingang der Gasse. Lässig lehnte er sich mit dem Rücken an die Wand und beobachtete die Musen und Menschen, die an ihm vorbeischlenderten. Die Geschäfte sowie die Kunstschulen der Musen schlossen in diesen Minuten, sodass ab jetzt mit einem Strom von Menschen und heimkehrenden Musen zu rechnen war. Die meisten Touristen strebten zu den beiden Parkhäusern am nördlichen Stadtrand, doch immer wieder bogen auch vereinzelte Touristenfamilien oder kleine Grüppchen in seine Gasse ein und stiegen dort in ihre wartenden Wagen.

Jay warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Doch trotz des knappen Zeitfensters von einer halben Stunde war er zuversichtlich. Er würde es schaffen! Er musste es schaffen!

Die Nervosität war zurück und er verfluchte seine Hände dafür, dass sie zitterten, während er den Rucksack zu seinen Füßen einen Spalt öffnete und sich vergewisserte, dass sein Werkzeug noch da war.

Seine Blicke huschten unter dem Mützenschirm hin und her. Er stand am Übergang vom Geschäftsviertel zum Wohnviertel. Menschen wanderten schwatzend und lachend in Richtung der Parkplätze. Sie waren immer noch aufgedreht vom Besuch in einem der berühmten Musenviertel des Landes. Vom Glamour, der Genialität und der Attraktivität der Musen geblendet, fühlten sie sich wahrscheinlich, als wären sie kurzzeitig selbst ein Teil dieser glitzernden Scheinwelt. Dabei würden sie niemals dazugehören. Egal wie sehr sie sich anstrengten, wie sehr sie lächelten oder wie viel Geld sie besaßen.

Als eine Gruppe von jungen Musen an ihm vorbeischlenderte, musterte er sie intensiv. Zwei der Musen waren Männer, groß und kräftig. Eine ganze Ecke größer als Jay. Die beiden schieden als Opfer schon einmal aus. Doch die anderen vier Musen waren vielversprechend. Eine von ihnen war ein Traum in Gold: Locken, Augen, ein raffiniertes Kleid und Pumps, alles in der Farbe, die viele – und auch Jay selbst – mit den Musen und mit Reichtum verbanden. Goldlöckchen zog eine regelrechte Wolke von Selbstbewusstsein und Macht hinter sich her. Jays Blick wurde unwillkürlich von ihr angezogen und verharrte einen Augenblick lang auf ihr. Die Muse war unglaublich attraktiv und auch wenn es ihm in den Fingern juckte, ihr das eingebildete Lächeln von ihrem perfekten Gesicht zu wischen, so warnte ihn doch eine innere Stimme davor.

Die drei anderen Mädchen erschienen ihm gewöhnlicher. Goldlöckchens Freundinnen waren eine hübsche Brünette mit einer kunstvollen Flechtfrisur und Blumen in den Haaren, eine Rothaarige mit langer Mähne und einem lauten Lachen, das sie jedes Mal ausstieß, wenn ihre Anführerin etwas sagte, und ein schweigsames, zierliches Mädchen. Jay hatte zuerst gedacht, dass die Muse mit den weißblonden Haaren und dem schlichten Kleid allein unterwegs war, weil sie sich nicht am Gespräch der anderen beteiligte. Doch als die anderen an der Kreuzung stehen blieben, hielt auch sie an.

Die Musen waren keine zehn Schritte von Jay entfernt und bemerkten ihn wie erwartet nicht, während er sein Opfer auswählte. Die Brünette wirkte mächtig, ebenso wie die Rothaarige, die es jedoch gewohnt zu sein schien, sich ihrer Anführerin unterzuordnen. Die Dritte war ungewöhnlich unauffällig für eine Muse und hätte Jay nicht kurz einen Blick auf ihre goldenen Augen erhascht, hätte er sie für einen Menschen gehalten. Vermutlich waren ihre Musenkräfte nicht besonders stark, wenn sie so wenig Macht und Selbstbewusstsein ausstrahlte. Nein, seine Entscheidung stand fest: Die Rothaarige oder, falls das nicht ging, die Brünette.

Kurz darauf musste er einen Fluch unterdrücken. Er hatte gehofft, dass die Gruppe sich trennen, er eine von ihnen allein erwischen würde und mit einem Trick zu seinem Auto locken konnte. Doch ausgerechnet diese beiden gingen zusammen in die entgegengesetzte Seitengasse, während Goldlöckchen und die männlichen Musen weiter auf der Hauptstraße entlangmarschierten. Jay starrte den beiden Musenmädchen hinterher, doch es sah nicht so aus, als würden sie sich demnächst voneinander verabschieden. Im Gegenteil, sie schienen in ein lebhaftes Gespräch vertieft. So ein Pech!

Und nun? Sollte er an einem anderen Tag zurückkommen?

Jay dachte kurz daran, die Umsetzung seines Plans zu verschieben, doch dann erinnerte er sich, dass ihm in zweifacher Hinsicht die Zeit knapp wurde. Er musste es riskieren!

Ein Insekt flog mit einem lauten Summen haarscharf an seinem Gesicht vorbei, riss ihn aus seinen Gedanken und er drehte den Kopf, um dem Tier hinterherzuschauen. Dann erst bemerkte er, dass die weißblonde Muse an ihm vorbei in seine Straße gegangen war. Sie war so unscheinbar, dass er sie glatt übersehen hatte. Er unterdrückte ein Seufzen. Es war nicht ideal, aber er konnte nicht unbestimmte Zeit auf die nächste Gruppe warten, um sich die perfekte Muse für seine Zwecke auszusuchen. Jetzt galt’s. Entweder diese oder keine.

Leise folgte er dem Mädchen. Vielleicht wohnte sie in einer der schicken Villen, die hinter den hohen Mauern aufragten. Die Muse mit den weißblonden Haaren wurde kurz langsamer, als sie sich zwischen Jays Wagen und der Mauer entlangschlängelte. Jay hatte absichtlich so weit auf dem Fußgängerweg geparkt, dass nur wenig Platz blieb. Das war sein Moment, seine Chance. Er wartete, bis das Musenmädchen das Auto fast passiert hatte, dann trat er aus dem Schatten der Mauer hinter sein Opfer.

»He! Pass doch auf! Du hast mein Auto zerkratzt!«

Wie geplant drehte das Mädchen den Kopf zu ihm um, die Augen groß vor Überraschung. Sie öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen – und Jay drückte ihr das vorbereitete Tuch mit Chloroform aufs Gesicht, das er im Gehen aus seinem Rucksack geholt hatte. Geistesgegenwärtig streckte er auch die andere Hand aus, als sie taumelte.

Er hatte damit gerechnet, dass sie recht schnell erschlaffen würde, aber anscheinend wirkte das Zeug bei Musen weniger stark als bei Menschen. Sie wand sich und er versuchte sie zu halten, nicht aus seinem Griff zu entlassen.

Etwas traf ihn in die Seite, etwas Hartes, das leise knisterte, aber bevor er sich dazu Gedanken machen konnte, schoss ein Schmerz durch seinen Körper wie ein Schock. Jay stieß einen Fluch aus, sah aus dem Augenwinkel Funken aufblitzen, als die Muse ihn erneut angriff. Auch der zweite Stromstoß hinterließ eine Spur aus Schmerzen und verkrampfenden Muskeln. Er biss sich auf die Lippe, um nicht zu schreien. Unwillkürlich ließ er nach dem Überraschungsangriff das Tuch mit dem Chloroform fallen und packte mit der anderen Hand wieder nach der Muse, die aufschrie, als auch sie die elektrischen Funken abbekam. Jede Bewegung war eine Agonie, als er gegen die Muse kämpfte, die sich jetzt in eine kleine Wildkatze zu verwandeln schien, die sich mit aller Kraft wehrte.

Jay gelang es, ihre Hand mit der Stabwaffe zu packen, sie herumzudrehen und ihre Finger aufzubiegen. Der Schocker fiel mit einem letzten Funkenausstoß zu Boden und das Mädchen erschlaffte. Jay wimmerte, während er sich verzweifelt bemühte, nicht selbst ohnmächtig zu werden.

Die Muse war rücklings gegen ihn gesunken. Er hielt sie mit einem Arm an seine Brust gedrückt, atmete keuchend ein und aus. Wertvolle Sekunden vergingen. Noch war die Gasse bis auf ihn und das bewusstlose Musenmädchen leer, aber von der Hauptstraße konnte jederzeit jemand kommen. Er durfte nicht hier verharren, egal welche Anstrengung es ihn kostete.

Er ging ein paar Schritte zurück, öffnete die Tür zur Rückbank und schob das Mädchen vorsichtig hinein, bis er sie auf der anderen Seite gegen die Tür gelehnt hatte. Es sah aus, als würde sie schlafen, und ihr eher normales Äußeres entpuppte sich als Vorteil. So würde sie niemand für eine Muse halten.

Jay setzte sich ans Steuer, schloss für einen kurzen Moment die Augen und atmete gegen die Schmerzen an, bevor er sie entschlossen öffnete, den Autoschlüssel ins Zündschloss steckte und den Motor startete.

Langsam fuhr er in Richtung seiner Ausfahrt und warf dabei einen Blick auf die Uhr in der Mittelkonsole. Es war zehn vor vier, er hatte die Hauptausreisezeit genau abgepasst.

Am nördlichen Rand des Musenviertels, der zugleich auch die Stadtgrenze von Tressina City darstellte, reihte er sich in die lange Autoschlange ein, die sich vor den Toren gebildet hatte. Die Musenpolizei war bereits dort und wartete auf ihren Einsatz, während die Parkwächter die Besucherautos eins nach dem anderen vorwärts winkten.

Jay hielt am Kassenhäuschen, ließ die getönte Scheibe ein Stück herunter, aber nicht zu viel, und hielt dem Kassierer sein Ticket hin. Es war ein Elf, zum Glück, denn die waren anders als die Trolle nicht für ihren guten Geruchssinn bekannt, und der Mann konnte daher seinen Angstschweiß nicht wahrnehmen. Der Elf las sein Ticket und meinte: »Das macht dann vierundzwanzig Dollar.«

Vierundzwanzig Dollar? Für vier Stunden?

Jay unterdrückte seine Empörung über diesen Wucher schnell. Stattdessen zwang er sich zu einem schmalen Lächeln, während er sein mühsam erspartes Geld hinüberreichte und es in den gleichgültigen Händen des Kassierers verschwand.

Der Elf nickte ihm kurz zu und drückte auf den Knopf. Der Schlagbaum vor ihm hob sich, er durfte weiterfahren. Ganz einfach. Jay atmete durch.

Das Musenviertel lag hinter ihm und ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, als er über den Rückspiegel einen Blick auf seine Beute warf.

2

Sanfte Wellenbewegungen wiegten sie und Niliana fühlte sich wohlig-matt. Sie wollte die Augen nicht öffnen und in die Sonne schauen, sondern lieber weiter so tun, als würde sie schlafen, um in Ruhe den Ferientag auf der Jacht zu genießen und von ihrer Karriere als erfolgreiche Buchautorin zu träumen, bevor sie später wieder fleißig Schreibratgeber studierte, an ihren Plots und Charakteren feilte und ihrem Ziel mit harter Arbeit statt mithilfe eines Bündnispartners und der Inspiration durch die Schöpferin näherkam. Es würde nicht mehr lange dauern, bis ihre Brüder Hafius und Ben laut tobend über das Deck jagen und irgendein Spiel spielen würden, das nur die beiden verstanden.

Niliana liebte die Jungen abgöttisch – nur nicht den Wettstreit, den sie daraus machten, wer von ihnen sie und ihre Eltern schneller in den Wahnsinn treiben oder den höheren Dezibel-Wert produzieren konnte.

Bereits jetzt pochte ihr Kopf nur beim Gedanken daran und die wohlige Mattigkeit verwandelte sich abrupt in einen dumpfen Schmerz. Panisch wollte sie die Augen aufschlagen, als sie feststellte, dass sie das nicht konnte. Ihre Lider fühlten sich verklebt an, als wäre sie noch ein Kind, dem das Sandmännchen Traumstaub in die Augen gestreut hatte.

Auch erlebte man einen Traum des Sandmännchens nicht so seltsam unbehaglich, als wäre die Welt plötzlich aus ihren Fugen geraten. Die Träume, die sie sonst von ihm kannte, waren süß, fantastisch.

Ihre Lider hoben sich wie in Zeitlupe, flatterten in ihrer Panik jedoch gefühlt wie Schmetterlingsflügel. Sie erkannte nach und nach Schemen. Ihre Herzkette glänzte im Sonnenlicht und blendete sie kurzzeitig, während sie versuchte, ihre Umgebung zu erfassen. Schuhe tanzten vor ihr. Keine Ballerinas oder schicken Herrenschuhe aus echtem Leder, sondern alte Sneakers, die Farbe bereits ausgeblichen, das Material so lange eingelaufen, dass es keinerlei Geräusche mehr beim Kontakt mit dem Pflaster verursachte.

Ja, Pflaster.

Sie blinzelte verwirrt und war plötzlich hellwach. Die Füße hielten an und mit ihnen stoppte auch ihre Bewegung, die sie vorhin noch für Wellen gehalten hatte. Sie erkannte, dass jemand sie trug, dass sie ohnmächtig gewesen sein musste und nun kopfüber auf jemandes Schulter lag.

Was war geschehen?

In ihrem Kopf herrschte Leere – nicht die der schöpferischen Ruhe und Muße, die sonst einem Anflug der Kreativität voranging und die sie stets willkommen hieß –, eher ein drückendes, stummes und kaltes Nichts. Ein Vakuum, das nicht nur ihre Erinnerungen an die Momente vor der Bewusstlosigkeit verschlungen hatte, sondern sich nun ausbreiten wollte.

Sie hielten für einen Augenblick. Kurz hatte sie das Gefühl zu rutschen, als sich die Schulter unter ihr bewegte. Dann öffnete sich eine Tür mit einem Knirschen, das nach Rost oder doch zumindest nach fehlendem Öl klang, und eine Hand verhinderte, dass sie zu Boden glitt. Niliana begann zu schwitzen, ihr Herzschlag raste plötzlich, als sie begriff, dass derjenige, der sie trug, bestimmt kein menschlicher Heilmagier und auch kein magisch begabter Elf oder ein Assistenztroll aus dem Sanitätskorps war. Dass die Sneakers, auf die sie herabsah, sie nicht über einen gepflegten Krankenhausboden trugen, auch nicht mehr über Pflaster, sondern sie blanke Betonstufen hinabführten, die sich in der Mitte abgesenkt hatten. Das Treppenhaus, in dem sie sich befand, gehörte mit Sicherheit nicht zu einem Gebäude aus ihrem Quartier, denn überall starrte es vor Dreck, Staub und Spinnenweben.

Bei der verfluchten Leere, wo war sie?

Niliana wollte etwas sagen, nein, schreien! Doch es kam nur ein Krächzen über ihre Lippen und im nächsten Moment hörte sie eine schwere Tür hinter sich zuschlagen und das Treppenhaus wurde in Dunkelheit getaucht.

»Sei still, dann passiert dir nichts!«, ertönte unerwartet eine Stimme in der beklemmenden Stille. Sie gehörte ihrem Träger … ihrem Entführer!

Bei der großen Schöpferin! Jemand hatte sie entführt!

Ihr wurde schwindelig vor Schreck. Es mochte aber auch an der Tatsache liegen, dass sie wer weiß wie lange schon wie ein Sack Mehl über der Schulter des Mannes hing, die Kette ihr die Luft abschnürte und sich das Blut in ihrem Schädel angesammelt hatte.

Ihre Eltern hatten sie zwar auf diese Möglichkeit vorbereitet, nicht umsonst trug sie ihren Funkenstab stets griffbereit bei sich, dennoch fiel ihr jetzt kein einziger Ratschlag für eine solche Situation ein.

Sie waren fast am Fuß der Treppe angekommen. Zwielicht herrschte im Treppenhaus, nun, da sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnt hatten. Anscheinend hatte sich ihr Entführer nicht die Mühe machen wollen, das Licht einzuschalten, oder aber es funktionierte nicht.

Was konnte sie … ihr Stab! Natürlich! Sie hatte doch eine Waffe!

Der Mann schien zu wissen, wohin er wollte. Das wusste Niliana jetzt auch. Sie musste nur langsam … vorsichtig … ganz unauffällig ihre Hand in Richtung ihres Gürtels schieben, während der Entführer sich auf die Kellertür konzentrierte und nichts mitbekam …

»Deinen Elektroschocker kannst du lange suchen, Kätzchen! Der ist weg.«

Merde! Er hatte recht. Ihre Hand ertastete nur Leere, dort wo sonst immer ihre Waffe zur Abschreckung von aufdringlichen Verehrern steckte. Sie hätte nie gedacht, dass sie sie je einsetzen würde, geschweige denn musste.

Doch halt! Sie hatte den Funkenstab eingesetzt!

Jetzt erinnerte sie sich wieder, wie jemand sie auf dem Weg nach Hause angesprochen hatte, an die dreiste Unterstellung, sie hätte das Touristenauto beschädigt. Doch als sie hatte protestieren wollen, hatte derjenige sie angegriffen. Sie hatte sein Gesicht nicht sehen können, bevor ihr schwarz vor Augen geworden war. Aber sie wusste noch, dass sie instinktiv nach ihrer Waffe gegriffen und sich verteidigt hatte. Nur genützt hatte es ihr anscheinend wenig.

Warte mal …!

»Wen nennst du hier Kätzchen

»Na, dich! Kratzbürstig genug bist du dafür ja und du kämpfst auch wie eines.«

Sein Lachen hallte durch den Gang und die Demütigung drückte schwer auf ihr Gemüt.

»Zeig mir gefälligst ein bisschen Respekt!«, zischte sie drohend. »Sonst …«

»Sonst was?«

Das hatte sie sich auch gerade gefragt. Schlimm genug, dass sie sich hilflos und schwach fühlte – die Wirkung des Betäubungsmittels ließ nur langsam nach, ihre Glieder schienen immer noch mit Blei gefüllt zu sein –, doch dann verlor sie auch noch das Wortduell gegen diesen Verbrecher! Welch eine Schmach für eine Muse der Literatur!

»Wenn du nicht willst, dass ich dich Kätzchen nenne, dann verrate mir deinen Namen!«, forderte der Mann, nachdem er es endlich geschafft hatte, die schwere Eisentür am Ende des Kellergangs aufzuschließen und aufzustemmen. Bei der Anstrengung drohte sie erneut von seiner Schulter zu gleiten, doch er packte gerade noch rechtzeitig wieder zu und trug sie über die Schwelle in einen kleinen Raum.

»Das weißt du nicht?«, fragte sie fassungslos.

Sie hatte gedacht, dass man sie gezielt ausgesucht hatte wegen der Stellung ihrer Eltern, ihres Vermögens und ihres Rufs – und dann war sie ein Gelegenheitsopfer! Hatte sie auf ihren arroganten Entführer etwa wie leichte Beute gewirkt, oder was?

Nun kochte Wut in ihr hoch und sie stemmte sich ohne nachzudenken ab, hob den Kopf, rutschte seinen Rücken herunter – und saß schneller auf dem Allerwertesten, als sie blinzeln konnte.

»Vorsicht!«, rief der Mann erschrocken und drehte sich zu ihr um. Zum ersten Mal konnte sie ihn im Licht der Glühbirnen hinter ihnen betrachten.

Er war jünger, als sie vermutet hatte. Vielleicht Anfang zwanzig, also nur wenige Jahre älter als sie. Auch war er ihr riesig und sehr stark vorgekommen, weil er sie scheinbar mühelos durch die Gegend geschleppt hatte, doch das hatte getäuscht. Sein Gesicht war schweißnass, er wirkte erschöpft. Vom Boden aus konnte sie jetzt seine Züge sehen, obwohl er versucht hatte, sie unter seiner lächerlichen Mütze zu verstecken. Sie starrte ihn einen langen Moment an, bis sie sicher war, dass sie mühelos eine Zeichnung würde anfertigen können. Mit der würde es der Polizei gelingen, ihren Entführer zu schnappen, wenn die Lösegeldübergabe erst einmal erfolgt und dieser Albtraum beendet war.

Doch hatte er überhaupt vor, sie wieder freizulassen, wenn sie sein Gesicht gesehen hatte?

Der Gedanke lähmte sie und so konnte sie nicht verhindern, dass ihr Entführer sich zu ihr herabbeugte, sie hochhob und auf ein altes Bett setzte. Die Federn drückten ihr unangenehm in den Hintern, der noch von ihrem Sturz schmerzte.

»Wie heißt du?«, fragte er noch einmal.

»Was hast du mit mir vor?«

Sie rutschte etwas von ihm weg. Plötzlich war sie sich bewusst, dass sie sich mit einem wildfremden Mann allein in irgendeinem Keller befand, auf einem Bett saß und ihre einzige Waffe fort war. Wollte er sie etwa vergewaltigen?

Anscheinend sah er ihr ihre Angst an, denn er lächelte. Es sollte wohl beruhigend wirken, verfehlte aber seinen Zweck völlig. Der Bastard sah höchst zufrieden mit sich aus und seine Augen glänzten gefährlich.

»Keine Sorge, wenn du kooperierst, passiert dir nichts. Ich habe nicht die Absicht, dir wehzutun. Es sei denn, du zwingst mich dazu.«

Sie glaubte ihm kein Wort.

»Und was willst du dann?« Ihr Mund war plötzlich staubtrocken. Sie hatte Durst, sie hatte Angst, und sie wollte nur noch nach Hause. »Meine Eltern haben Geld, wenn es das ist, was du willst.«

Er lachte. »Geld! Das ist das Einzige, was für euch zählt, nicht wahr? Ihr Musen glaubt wohl, ihr könnt alle Probleme der Welt ganz einfach verschwinden lassen, wenn ihr nur mit dem Scheckheft wedelt!«

Verachtung lag in seiner Stimme. Nun war sein Blick kalt und berechnend. Seine Stimmung war so unerwartet von scheinbar freundlich zu offen feindlich gekippt, dass Niliana wieder bewusst wurde, dass sie mit allem rechnen musste.

Trotzdem fragte sie nicht weiter. Sie würde diesen Menschen nicht um Informationen anbetteln. Also schwieg sie und hielt seinem Blick stand. Die meisten Menschen konnten einer Muse nicht lange in die Augen sehen und wandten schnell den Blick ab.

Bei ihrem jungen Entführer funktionierte dies leider nicht. Im Gegenteil, er schien in ihren Goldaugen zu versinken, als suchte er dort nach etwas Bestimmtem. Dann grinste er plötzlich. Was war los mit diesem Mann?

»Was starrst du so?«, fragte sie.

»Du starrst doch auch«, gab er zurück und Niliana fühlte, dass ihr langsam der Geduldsfaden riss. Es war lächerlich, sich mit einem Verbrecher auf Diskussionen einzulassen. Verbrecher waren doch alle gleich. Auch wenn er sich jetzt noch gab, als würde es ihm um etwas Besonderes gehen, am Ende lief es doch auf ein saftiges Lösegeld hinaus.

»Also gut, Schluss mit dem Theater.« Sie strich sich die Haare zurück und ignorierte dabei die aufkommende Übelkeit. Sobald sie hier heraus war, konnte der Kerl was erleben. »Hör auf rumzudrucksen und sag, was du willst. Geld? Ewige Jugend? Superkräfte? Die Weltherrschaft?« Sie machte ein betont gelangweiltes Gesicht dabei. Der Mann richtete sich auf. Das freche Grinsen verschwand.

»Nicht schlecht geraten, Weißhaar, bist verdammt nah dran. Ich habe etwas Einzigartiges vor, das die Welt noch nicht gesehen hat.« Er beugte sich fast vertraulich zu ihr vor. »Und dabei wirst du mir helfen, Kätzchen

3

Nachdem er den Schlüssel zum Kellerraum und provisorischen Musengefängnis mit einem leisen Klacken herumgedreht und das alte Stück Eisen in die Hosentasche gesteckt hatte, erlaubte Jay sich ein erschöpftes, aber zufriedenes Lächeln. Der erste Schritt seines Plans war geschafft!

Er nahm die Basecap ab und hängte sie über einen rostigen Nagel in der Wand. Dann strich er sich durch die schweißnassen, braunen Haare. Es war anstrengend gewesen, die zierliche Muse vom Parkplatz um die Ecke durch die Hitze zu schleppen und dabei möglichst schnell zu sein, um niemandem aufzufallen. Zum ersten Mal in seinem Leben wünschte er sich, etwas mehr Muskeln und Körperkraft zu besitzen. Doch der Gedanke verpuffte rasch, als er sich erinnerte, dass ein dummer Muskelprotz wohl bereits vor dem Verlassen des Musenviertels einen Fehler gemacht hätte und von der Polizei geschnappt worden wäre. Er schüttelte sich unwillkürlich, als ein Schauer der Furcht ihn überkam und die feinen Härchen auf seinen bloßen Unterarmen sich aufrichteten. Dann doch lieber keine Bodybuildermaße und dafür in Freiheit.

»Phase zwei«, murmelte er und joggte leise durch den Keller, die alte Treppe hinauf, deren unebene Stufen er auch im Halbdunkeln ganz genau vor sich sehen konnte, wie die Runzeln und Falten eines ihm vertrauten Gesichts, und zurück zum gepflegten, dellenlosen Mietauto, das in seiner Nachbarschaft nicht weniger auffiel als eine Muse unter Bettlern. Es war gefährlich, es dort zu lange stehen zu lassen. Im Getto gab es immer jemanden, der lange Finger machte, und auch wenn er das Fahrzeug an einem abgelegenen Ort geparkt und ein älteres Modell ausgewählt hatte, hieß das nicht, dass nicht in Kürze ein Fixer, ein Alki oder eine Gruppe Drogendealer sich dorthin verirrte und das Auto auseinandernahm.

Er erreichte den Mietwagen und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als er erkannte, dass es weder in der Zwischenzeit aufgebrochen, noch in Flammen gesetzt oder die Reifen oder andere Teile abmontiert worden waren. Alles in Ordnung, zum Glück! Rasch stieg er ein und machte sich auf den Weg Richtung Stadtzentrum.

Etliche Minuten später steuerte er in der Nähe seines Ziels die nächste Tankstelle an, eine weitere Hürde in seinem Plan, und zitterte stark genug, dass der Griff des Tankschlauchs ihm beim Herausnehmen aus der Säule beinahe aus den Fingern gerutscht wäre und ihm einen Herzinfarkt verpasst hätte. Betont langsam atmete er ein und zählte in Gedanken, bevor er die Luft wieder aus seinem Körper entließ. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig … Es erschien ihm wie eine Ewigkeit, bis seine Hände nicht mehr bebten und er mit dem Befüllen des Benzinbehälters im Heck fortfahren konnte.

Als er zum Bezahlen ging und sich unwillkürlich durch die Haare fuhr, musste er einen derben Fluch unterdrücken. Tankstellen hatten Kameras! Wie hatte er nur so bescheuert sein können, die Basecap zu vergessen?

Es half alles nichts. Trotz seiner plötzlichen Übelkeit und Angst, dass ihn dieser Fehler verraten könnte, bemühte er sich, weiterhin gelassen zu wirken. Noch wusste niemand von seiner Tat. Es gab weder Suchmeldungen noch Fahndungsfotos vom Musenmädchen oder ihm. Und solange dies nicht der Fall war, musste er sich nur unauffällig verhalten, damit die Leute ihn schnell wieder vergaßen.

Daher bezahlte er mit einem leicht gelangweilten Gesichtsausdruck, ohne Konversation mit dem jungen Tankwart zu machen, ging zum Auto und brachte es danach zurück zum Mietwagenverleih von Tressina City in der Nähe des Hauptbahnhofs. Ganz bewusst hatte er sich für den renommiertesten Verleih entschieden. Er hatte nicht nur die größte Auswahl an Automodellen, sondern auch eine so hohe Anzahl von Mietern jeden Tag, dass der Anbieter jederzeit mit seinem großen Fuhrpark für einen Ansturm gerüstet und Jay auch ohne Voranmeldung an einen für seine Zwecke passenden Wagen gelangt war.

Doch das größte Plus war die Anonymität in der Menge der Touristen und anderen Kunden. Auch jetzt, kurz vor Feierabend, stand wieder eine lange Schlange von gewöhnlichen Menschen, Elfen und Zauberern beider Rassen vor dem Ausgabetresen und wartete geduldig. Sogar ein Troll war unter den Wartenden. Jay musste sich an ihm vorbeischlängeln, weil er mit seiner massigen Gestalt den Weg zum Abgabeschalter blockierte.

»Entschuldigung!«

Der Troll grunzte kurz, ließ ihn aber schließlich doch vorbei. Jay legte den Schlüssel vor dem menschlichen Mitarbeiter, der immer wieder auf die Uhr an der Wand linste und erkennbar den Feierabend herbeisehnte, auf den Tresen.

»Vollgetankt?«, wollte der Mann wissen.

»Selbstverständlich.«

»Parkplatz?«

»Zwölf.«

Der Mitarbeiter warf einen Blick auf die Nummer am Schlüsselbund, dann aus dem Fenster nach draußen, wo die Firmenwagen des Verleihs ihre Parkplätze hatten, ließ ihn kurz zu Stellplatz zwölf gleiten und brummte zufrieden.

»Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend«, rang er sich noch ab, gab etwas in seinen Computer ein und verzichtete darauf, nach draußen zu gehen und das Fahrzeug zu kontrollieren. Vielleicht war das ja auch nicht üblich, Jay wusste es nicht, schließlich war dies das erste Mal gewesen, dass er ein Auto gemietet hatte.

Kurz darauf war er wieder draußen und atmete erleichtert tief ein und aus. Vom Verleih zur Bushaltestelle, zur U-Bahn und von dort nach Hause brauchte er etwas länger als eine Stunde. Es war schon nach halb sieben, als er dort ankam und die Wohnungstür aufschloss. Er lag gut im Zeitplan und bislang hatten Phase eins und Phase zwei überwiegend reibungslos funktioniert.

Wie immer kontrollierte er die Tür sorgfältig auf Einbruchsspuren. Auch wenn er in einem alten, baufälligen und kaum bewohnten Haus im Tressinaer Getto lebte, bedeutete das nicht, dass nicht irgendjemand verzweifelt genug war, trotzdem bei ihm einzubrechen und das Wenige, das er besaß, zu stehlen. Dennoch sparte sich Jay den Kauf eines neuen und besseren Türschlosses. Genauso gut hätte er auch ein Schild vor das Haus stellen können: In Wohnung 3A gibt es etwas zu holen. Kommt und besucht mich, wenn ich unterwegs bin!

Er hasste die Stille in der Wohnung, ja – im ganzen Haus. Aber der alte Miller, dem es gehörte, hatte nicht mehr die Kraft, es zu renovieren oder neue Mieter zu suchen, deshalb wurden es von Jahr zu Jahr weniger Leute, die ebenfalls hier wohnten. Früher hatte er mit seiner Mutter und seinem Adoptivvater hier gelebt, seit ein paar Tagen jedoch waren es nur noch der alte Miller und er und eine düstere Wolke der Einsamkeit schien über dem gesamten Haus zu liegen. Doch zum ersten Mal empfand er das als etwas Gutes. Der alte Miller würde kaum die steile und für seine spröden Knochen lebensgefährliche Kellertreppe hinuntergehen, um von dort etwas zu holen. Auch die eventuellen Hilfeschreie von Jays Gefangener würde der schwerhörige Alte wohl nicht mitbekommen.

Erleichtert, dass Phase zwei seines Plans geschafft war, schlüpfte er aus seinen verschwitzten Klamotten und duschte. Die braune Haartönung verschwand mit dem Wasser im Abfluss. Morgen würde er die Kleidung entsorgen, damit niemand sie mit ihm in Verbindung bringen konnte, sicher war sicher.

Während seine Haare an der Luft trockneten und wieder ihr gewöhnliches Dunkelblond zeigten, machte er sich schnell ein Sandwich. Im Hintergrund lief parallel der altersschwache, kleine Fernseher.

Er lauschte mit einem Ohr dem Programm, als die Sendung plötzlich unterbrochen wurde und jemand eine dringende Sondermeldung ankündigte. Jay verzog das Gesicht, als der Gouverneur von Tressina auf dem Bildschirm erschien. Der Kerl ließ keine Gelegenheit aus, vor die Kamera zu treten, seinen Reichtum in Form von maßgeschneiderten Anzügen, teuren Uhren und eleganten Schuhen zur Schau zu stellen und sich als wohlmeinender, väterlicher Politiker zu präsentieren. Seine frühere Schauspielkarriere kam ihm jetzt eindeutig zugute. Und zwar nicht nur in Bezug auf einen vermeintlichen Promistatus. Er spielte ihnen was vor und wurde bejubelt, doch Jay wusste, dass der Großkotz und Lügner seinen Ruhm auch nur der hübschen blonden Musenfrau verdankte, die sich auch jetzt wieder im Hintergrund hielt, während Benjamin Whitecomb-Noir sich den Fragen der Journalisten stellte.

Jay war kurz davor, den Kanal zu wechseln, als sein Finger plötzlich unmittelbar vor der Taste innehielt. Sah Gouverneur Whitecomb-Noir nicht ungewöhnlich blass und besorgt aus? Konnte er tatsächlich so gut schauspielern, dass sich seine Gesichtsfarbe veränderte? Oder war dieses Mal wirklich etwas Schlimmes passiert?

Neugierig stellte er den Ton lauter, um zu lauschen.

»… ich bitte Sie alle, liebe Bürger von Tressina City, um Ihre Mithilfe. Kurz vor sechzehn Uhr kam es im Musenviertel zu einem abscheulichen Verbrechen. Ein Verbrechen wider die Nächstenliebe und den Anstand, wider unsere Gesellschaft und die Musen in unserer Mitte, die unseres Schutzes bedürfen. Eine von ihnen wurde heute entführt, ihrer Familie grausam entrissen, von einem Monster, dem nichts in unserer Gesellschaft heilig ist und das sich nicht darum schert, dass die Eltern, Familie und Freunde eines jungen Mädchens nun vor Sorge vergehen. Sehen Sie sie an, meine lieben Freunde. Das ist Niliana, achtzehn Jahre alt, ein liebes, nettes Mädchen, das keinem Glühwürmchen und keiner Fliege etwas zuleide tun könnte. Ein Mädchen, dem in einer gerechten Welt niemand auch nur ein Haar krümmen würde!«

Der Gouverneur hatte sich ereifert. Rote Flecken hatten sich auf seinem Gesicht gebildet und seine Hand zitterte, als er nun ein Foto vom Musenmädchen hochhielt. Sie sah auf dem Bild tatsächlich aus wie die Unschuld vom Lande und nicht wie ein wildes Kätzchen, das ihm Elektroschocker in die Seite rammte.

»Niliana heißt du also!«

Doch sein Triumph, ihren Namen erfahren zu haben, verflog, als jetzt erneut das Gesicht von Gouverneur Whitecomb-Noir eingeblendet wurde. Er schien sichtlich unter Stress zu stehen, Niliana möglichst schnell unversehrt wiederzufinden, wie die Blässe, sein schweißnasses Antlitz und die leicht zittrige Stimme vermuten ließen. So als würden die Musen ordentlich Druck auf ihn ausüben und ihm gedroht haben, ihm ihre Unterstützung zu entziehen. Er musste wahrscheinlich Angst haben, nicht nur sein politisches Amt, sondern auch sein nobles Haus im Musenviertel und sein Ansehen im ganzen Land zu verlieren.

Allein um ihm eins auszuwischen, hätte Jay seinen Plan beinahe noch einmal überdacht, doch am Ende zählte sein Erfolg mehr, als Niliana nur möglichst schnell und unversehrt wieder loszuwerden oder den aufgeblasenen Wichtigtuer zu ärgern.

»Bitte, helfen Sie mir!«, flehte der Gouverneur nun und schien den Tränen nahe zu sein. Jay kicherte bei dem Anblick. »Helfen Sie mir, Niliana schnell zu finden und den oder die verantwortlichen Verbrecher zu stellen! Helfen Sie Niliana, damit sie schnell wieder zu ihrer Familie zurückkehren kann!«

Die blonde Muse war neben den Gouverneur getreten. Tränen standen in ihren goldenen Augen, als sie nun die Hand des mächtigen Politikers ergriff, der immer stärker zitterte und keine Worte mehr über die Lippen brachte. Sie schmiegte sich an ihn und nahm ihm das Mikro ab.

»Bitte helfen Sie uns, unsere Tochter wohlbehalten zurückzubekommen! Ich wende mich jetzt an Nilianas Entführer: Geben Sie sie uns bitte zurück, noch heute Abend! Nicht nur wir, ihre Eltern, machen uns große Sorgen um sie, sondern auch ihre Brüder. Bitte krümmen Sie ihr kein Haar! Denn wenn Sie das tun, das schwöre ich bei allen Mächten und Göttern, dann werden wir Sie bis ans Ende dieser Welt jagen! Wir werden niemals Ruhe geben und all unsere Macht und unseren Einfluss nutzen, um Sie aufzuspüren, ganz gleich, wo Sie sich auch verstecken! Sie werden nie wieder Frieden finden und bitterlich bereuen, was Sie Niliana und unserer Familie angetan haben! Und wenn wir Sie erst einmal gefunden haben, dann werden wir dafür sorgen, dass Sie Ihre verdiente Strafe bekommen und bis zu Ihrem Tod im Gefängnis schmoren!«

Zu seinem großen Entsetzen wurde nun auch noch ein Bild seines Mietwagens eingeblendet. Es musste von einer der Sicherheitskameras auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufgenommen worden sein, als er vom Entführungsort weggefahren war. Man konnte das bewusstlose Musenmädchen auf der Rückbank gut erkennen, während sein Gesicht durch das Visier und die Schirmmütze zur Hälfte verdeckt wurde und vermutlich nur von jemandem zu identifizieren war, der ihn gut kannte. Sein Herz klopfte wie verrückt, als er sich wieder zu beruhigen versuchte.

Keine Panik, Jay, sie werden dich über den Mietwagenverleih nicht finden. Und das Nummernschild, mit dem sie das Fahrzeug identifizieren könnten, war aus dieser Kameraperspektive nicht zu sehen. Kein Grund zur Sorge also.

Doch dann wurde Nilianas Mutter wieder eingeblendet. Die goldenen Augen der schlanken Muse blitzten und schienen ihn direkt anzustarren und zu verurteilen. Jay schluckte erschrocken.

»Verdammt!«, murmelte er. Er wusste, er hätte doch die Rothaarige oder die Brünette nehmen sollen! Ausgerechnet die Tochter des Arschloch-Gouverneurs und der Psycho-Muse zu entführen!

Er war schon auf dem Weg in den Keller, bevor er richtig wusste, was er eigentlich tat. Seinen ursprünglichen Plan konnte er vergessen. Er hatte keine achtundvierzig Stunden, um alles durchzuziehen. Der Gouverneur und seine Frau würden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um ihre Tochter zu finden. Sein Vorhaben, zusätzlich zur Umsetzung von Phase drei eine Million Dollar Lösegeld zu fordern und so zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, war damit hinfällig. Nachdem jetzt die Öffentlichkeit von der Entführung wusste und ein Bild von ihm in der Presse kursierte, würde die Übergabe niemals klappen.

Aber zum Glück hatte er ja noch Plan B in der Hinterhand, für den Fall, dass die Entführung zu schnell öffentlich gemacht wurde. Noch war also nichts verloren.

Er öffnete die Kellertür, stürmte auf die Zelle zu, hielt kurz inne, um sich die Basecap zu schnappen – Noch mal mache ich nicht denselben Fehler! – und aufzusetzen, und atmete einmal tief durch, um sich zu beruhigen. Dann öffnete er den Kellerraum, in dem Niliana gefangen war und …

Sie war fort!

Jay fluchte.

4

Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Für einen Moment starrte sie noch auf die Stelle, wo der Mann verschwunden war. Sie wartete, lauschte, seine Schritte entfernten sich und ihr wurde bewusst, dass sie so flach geatmet hatte, dass ihr schon schwindelig wurde.

Ein, aus, ein, aus.

Sie hatte für diesen Fall trainiert, und während sie die Atemübungen machte, beruhigten sich ihre Gedanken ein wenig. Er war fort, zumindest für den Moment. Das Eingesperrtsein war für sie weniger schlimm als das Gefühl, mit ihm in einem Raum zu sein. Sie musste jetzt einfach die Nerven bewahren.

Ulpirri und Qrok hatten jahrelang mit ihr und ihren Brüdern für diesen Fall geübt.

Verschaffe dir einen Überblick über deine Umgebung!, lautete eine ihrer ersten Lektionen und das tat Niliana nun. Wie ihr erster Eindruck vermuten ließ, befand sich der Kellerraum anscheinend in einem alten Gebäude, denn der Putz war abgeblättert und Oberflächenrisse zierten die Mauern wie die Furchen und Runzeln eines in die Jahre gekommenen Gesichts. Sie klopfte gegen eine der Wände und lauschte. Trotz ihres Alters war das Mauerwerk stabil und dicker als in neueren Häusern. Aber selbst wenn es dünn gewesen wäre, hätte sie erst einmal einen Hammer oder Ähnliches haben müssen, um es einzuschlagen, oder ein anderes Werkzeug, mit dem sie den Mörtel lösen und die Ziegel der Zwischenwand herausbrechen konnte, die vermutlich nachträglich eingezogen worden war, um aus einem Abstellraum zwei zu machen. Durch die Wand war schon mal kein Entkommen.

Sie rüttelte einmal am Türgriff. Nichts bewegte sich. Die massive Tür hatte kein Spiel, saß felsenfest im Rahmen und stand damit zwischen ihr und der Freiheit. Sie bückte sich und spähte in das Schloss. Der Schließmechanismus schien ihr recht simpel zu sein, sie hatte schon viel kompliziertere Schlösser im Unterricht bei Ulpirri geknackt. Mit einem Satz Dietriche war das ein Klacks. Dummerweise hatte sie heute Morgen nicht damit gerechnet, in der Kunstschule in eine Situation zu geraten, in der sie eine Tür aufbrechen musste, und so hatte sie jetzt keine dabei. Und natürlich hatte ihr Entführer auch keine in ihrer Zelle herumliegen lassen, um es ihr einfach zu machen. Sie fluchte.

nicht