Cal Newport
Die Traumjoblüge
Warum Leidenschaft die Karriere killt
Aus dem amerikanischen Englisch
übersetzt von Birgit Schöbitz
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Der Rat, bei der Jobsuche der Leidenschaft zu folgen, klingt nach einem tollen Rat. Aber für die meisten führt das nur zu beruflichen Fehlstarts und ständigem Job-Hopping. Denn Leidenschaft allein reicht nicht, um in einem Job glücklich zu werden. Cal Newport zeigt den verblüffend einfachen Ausweg: Wer Zeit und Mühe darauf verwendet, in dem, was er tut, immer besser zu werden, der wird auch immer mehr Gefallen an seiner Tätigkeit finden. Das ist der beste Baustein für Zufriedenheit im Job und eine große Karriere.
Über den Autor
Cal Newport schloss sein Studium der Informatik mit dem Ph.D. ab und ist heute als Assistenzprofessor an der Georgetown University in Washington tätig. Er betreibt den Blog »Study Hacks. Decoding Patterns of Success«. Dies ist sein viertes Buch.
Inhalt
Einleitung
Regel 1: Folge nicht deiner Leidenschaft!
Kapitel 1: Die Leidenschaft des Steve Jobs
Kapitel 2: Leidenschaft ist ein seltenes Gut
Kapitel 3: Leidenschaft ist gefährlich
Regel 2: Sei so gut, dass alle es merken!
Oder: Wie wichtig ist Kompetenz?
Kapitel 4: Der Vorteil von Kompetenz
Kapitel 5: Die Bedeutung von Karrierekapital
Kapitel 6: Die Karrierekapitalisten
Kapitel 7: Karrierekapital anhäufen
Regel 3: Lehnen Sie eine Beförderung ab!
Oder: Selbstbestimmung ist alles
Kapitel 8: Das Traumjob-Elixier
Kapitel 9: Die erste Falle auf dem Weg zur Selbstbestimmung
Kapitel 10: Die zweite Falle auf dem Weg zur Selbstbestimmung
Kapitel 11: Den Karrierefallen aus dem Weg gehen
Regel 4: In kleinem Maßstab denken, aber Großes bewirken.
Oder: von der Wichtigkeit einer Mission
Kapitel 12: Das sinnerfüllte Leben der Pardis Sabeti
Kapitel 13: Missionen erfordern Karrierekapital
Kapitel 14: Missionen erfordern auch kleine Projekte
Kapitel 15: Für Missionen die Werbetrommel rühren
Mein Fazit
Glossar
Zusammenstellung aller Karriereprofile
Danksagung
Anmerkungen
Register
Einleitung
Die Leidenschaft der Mönche
»›Folge deiner Leidenschaft!‹ ist ein gefährlicher Rat.«
Thomas traf diese Erkenntnis wie ein Blitz. Und das in einer Gegend, in der man schon gleich gar nicht mit solchen Geistesblitzen rechnet. Er ging nämlich gerade durch einen Wald im südlichen Talkessel am Mount Tremper (im Bundesstaat New York) spazieren. Auf einem Pfad, der durch das Grundstück des in den 1980er Jahren in dieser Gegend der Catskill Moutains erbauten buddhistischen Zen-Klosters verläuft. Thomas hatte als Laienpriester bereits eines von zwei dafür eingeplanten Jahren in dem Kloster verbracht. Damit hatte er sich einen beruflichen Traum erfüllt, den er schon seit Jahren hegte. Mit allergrößter Leidenschaft hatte er alles getan, was in dieser klösterlichen Abgeschiedenheit zu seinen Aufgaben gehörte, und hatte sich davon Glück und Zufriedenheit versprochen. Doch als er an jenem Nachmittag in dem Eichenwald stand, liefen ihm die Tränen über das Gesicht, weil er spürte, dass sein großer Traum wie eine Seifenblase zerplatzt war.
»Ich fragte mich nach dem Sinn des Lebens«, hatte mir Thomas bei unserer ersten Begegnung in einem Coffee-Shop in Cambridge, Massachusetts, erzählt. Seit seiner Erkenntnis in den Catskill Moutains waren schon einige Jahre vergangen, doch er |7|konnte sich noch ganz genau daran erinnern, wie steinig und beschwerlich der Pfad hin zu dieser Einsicht gewesen war. Er brannte förmlich darauf, mir davon zu erzählen, als ob er damit die Dämonen seiner komplizierten Vergangenheit verjagen könnte.
Er hatte sein Studium der Philosophie und Theologie mit dem Bachelor abgeschlossen, daraufhin seinen Master in Vergleichenden Religionswissenschaften gemacht und war dann zu dem Schluss gekommen, dass ein Praktikum in einem buddhistischen Zen-Kloster der Schlüssel zu einem bedeutungsvollen Leben wäre. »Aus meinem Studium wusste ich, dass Philosophie und Buddhismus gar nicht so weit auseinanderliegen. Deshalb war ich davon überzeugt, in einem buddhistischen Kloster die Antworten auf die großen Fragen des Lebens zu finden«, erzählte er mir.
Doch zunächst musste er Geld verdienen, weshalb er die unterschiedlichsten Jobs annahm. So hatte er zum Beispiel ein Jahr lang in der südkoreanischen Industriestadt Gumi die englische Sprache unterrichtet. Viele glauben, das Leben in Ostasien sei ein großes Abenteuer, doch mit dieser Verklärung der Realität war für Thomas schon bald Schluss. »Jeden Freitagabend nach Feierabend trafen sich die Arbeiter an einer der fahrbaren Imbissbuden, vor denen meist noch ein Zelt aufgestellt war«, fuhr Thomas fort. »Dann floss der Soju [ein alkoholisches Reisgetränk] bis spät in die Nacht in Strömen. Im Winter dampfte es mächtig aus dem Zelt heraus, kein Wunder bei den Saufgelagen. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass am nächsten Morgen die Straßen förmlich mit getrocknetem Erbrochenem zugepflastert waren.«
Thomas’ Sinnsuche führte ihn auch nach China und Tibet und in andere Länder, ja sogar nach Südafrika. Schließlich landete er dann in London, wo er einen ziemlich stupiden Job verrichtete. Während dieser ganzen Zeit hielt Thomas an seiner Überzeugung fest, dass der Buddhismus für ihn der Schlüssel zum Glück sei. Im Lauf der Zeit wurde daraus die Vorstellung, als Schüler in einem Zen-Kloster zu leben. »Ich träumte damals Tag und Nacht von einem Leben in einem Kloster – es war unglaublich«, schil|8|derte er mir seine Gefühle von damals. »Ich war felsenfest davon überzeugt, dort mein Glück zu finden und meinen Traum wahr werden zu lassen.« Im Vergleich mit seinen Wunschvorstellungen schnitten natürlich alle Jobs aus der realen Welt schlecht ab. Er war wild entschlossen, seiner Leidenschaft zu folgen.
In seiner Londoner Zeit hatte Thomas zum ersten Mal von dem Zen-Kloster in den Bergen gehört. Er war sofort davon beeindruckt, wie ernst die Mönche ihre Berufung nahmen. »Die Menschen dort praktizierten mit wahrer Leidenschaft und Ernsthaftigkeit den Zen-Buddhismus«, erinnerte er sich. Ihm war schlagartig klar, dass auch er dorthin gehörte.
Alles in allem zog sich Thomas’ Anmeldung neun Monate lang hin. Dann endlich hatte er die heiß ersehnte Genehmigung in der Tasche. Sogleich machte er sich auf den Weg dorthin. Als er sich ankam, wurde er herzlich von einem Mönch in Empfang genommen. Thomas erzählte, sichtlich bewegt: »Es war ein unbeschreiblicher Augenblick. Als hätte ich einen Mordshunger verspürt und gewusst, dass ich in wenigen Augenblicken eine fantastische Mahlzeit serviert bekommen würde – so habe ich damals empfunden.«
Thomas’ neues Leben als Mönch fing gut an. Ihm war eine kleine Hütte zugewiesen worden, die neben vielen anderen in dem Wald hinter dem Hauptgebäude stand. Kurze Zeit nach seiner Ankunft in dem Kloster wollte Thomas von einem älteren Mönch wissen, der seit mehr als 15 Jahren in einer ähnlichen Hütte lebte, ob es ihm denn nicht zu viel wäre, jeden Tag den Pfad von den Behausungen zum Kloster zu laufen. »Ich fange gerade erst an zu lernen«, lautete dessen geistreiche Antwort.
Je nach Jahreszeit fing der Tag im Kloster gegen halb fünf Uhr morgens an. In völligem Schweigen begrüßten die Mönche den neuen Tag mit einer Meditationsrunde in der Haupthalle, die zwischen 40 und 80 Minuten dauerte. Die Aussicht durch die gotischen Fenster an der Frontseite des Gebäudes war spektakulär, doch die ins Gebet versunkenen Mönche und Schüler konnten von ihren Matten aus keinen Blick auf die prächtige Landschaft werfen. Die Halle wurde mithilfe von zwei Kameras überwacht. |9|Thomas erklärte mir den Grund dafür: »Wer einschlief, ließ sich von einem der Mönche mit einem Stockhieb wecken, sofern er das wollte.«
Nach dem Frühstück, das ebenfalls in der großen Halle eingenommen wurde, bekam jeder eine Aufgabe zugeteilt. Thomas verbrachte einen Teil des Tages mit Haushaltsaufgaben wie dem Toilettenputzen, wurde aber auch damit betraut, sich um das Layout der Klosterzeitung zu kümmern. Viel Raum wurde auch der Meditation eingeräumt sowie den Gesprächen mit älteren Mönchen und rätselhaften Dharma-Lektionen. Vor dem Abendessen war Pause angesagt. Thomas nutzte diese Ruhezeit oft, um ein Feuer in dem Holzofen seiner Hütte anzufachen, da die Nächte in den Bergen meist sehr kalt waren.
Thomas’ Probleme fingen mit den Zen-Kans an. Dabei handelt es sich um Anekdoten oder Sentenzen, die eine beispielhafte Handlung eines Zen-Meisters darstellen und häufig als Frage verpackt sind. Auf den Laien wirken sie meist paradox, unverständlich oder gar sinnlos. Bei der Suche nach der Lösung eines solchen Rätsels darf nicht mit logischen Argumenten vorgegangen, sondern es sollte versucht werden, die Realität intuitiv zu erfassen. Als Thomas mir dieses Konzept zu erklären versuchte, griff er auf ein Beispiel aus seiner Anfangszeit in dem Kloster zurück: »Zeig mir einen unbewegten Baum in einem heftigen Sturm.«
»Ich habe keine Ahnung, was damit gemeint sein könnte«, wehrte ich ab.
»In einem Gespräch mit einem Mönch«, erklärte mir Thomas, »muss man auf so etwas ganz spontan antworten, ohne zu überlegen. Wer auch nur einen Moment lang zögert, wird des Raumes verwiesen, und das Gespräch ist damit zu Ende.«
»Tja, so wäre es mir wohl ergangen.«
»Interessiert dich meine Antwort auf diesen Kan?«, fragte er mich. »Ich habe mich aufrecht hingestellt wie ein Baum und meine Hände sanft auf- und abbewegt, als würde ein Wind durch sie hindurchfahren. Der springende Punkt war, dass es dafür keine Worte gibt.« |10|
Ein junger Schüler, der sich ernsthaft mit dem Zen-Buddhismus auseinandersetzt, stößt meist schon am Anfang seiner Klosterzeit auf eine besonders harte Nuss: den Mu-Kan. Wer dieses Rätsel löst, hat das erste von den »acht Toren« des Zen-Buddhismus durchschritten. Doch wird dieser Meilenstein nicht bewältigt, gilt dies als untrügliches Zeichen dafür, dass der Schüler den Buddhismus nicht ernst nimmt. Es kam mir so vor, als ob Thomas nur zögerlich mit der Antwort auf diesen Kan herausrücken wollte. Aufgrund meiner Recherchen zum Thema Zen-Buddhismus verstand ich aber auch, weshalb das so war. Da die Grenzen logischen Denkens bei der Suche nach der Antwort durchbrochen werden sollen, kann es passieren, dass ein Außenstehender den höheren Sinn darin nicht versteht. Deshalb drängte ich Thomas auch nicht, weiter ins Detail zu gehen. Stattdessen googelte ich danach – hier eines der Ergebnisse:
Ein Pilger auf Reisen fragte den Großen Meister Joshu: »Besitzt ein Hund eine Buddhanatur oder nicht?« Joshu antwortet: »Mu.«
Im Chinesischen hat Mu die Bedeutung nichts, völlige Leere, was sich auch als Nein interpretieren lässt. Wie also lässt sich diese Antwort deuten? Thomas hat damals mehrere Monate mit der Antwort auf diesen Kan gerungen und sich auf so gut wie nichts anderes mehr konzentriert. »Ich habe mich wieder und wieder damit befasst«, erzählte er mir. »Diesem Rätsel galten meine letzten Gedanken vor dem Einschlafen, ich habe gespürt, wie es meinen ganzen Körper ergreift.«
Und dann knackte er diese harte Nuss.
»Eines Tages lief ich durch den Wald, und da passierte es. Ich hatte mir all die Blätter der Bäume angesehen, als mit einem Mal das ›Ich‹ verschwand. Wir alle kennen so etwas, aber nehmen es nicht so wichtig. Doch als ich diese Erfahrung machte, war ich ja darauf vorbereitet, und dann hat es ›klick‹ gemacht. Mir wurde klar: ›Das ist der ganze Kan.‹« Thomas hatte erfasst – wenn auch nur annähernd –, dass es die Einheit der Natur ist, die den Kern des buddhistischen Verständnisses der Welt bildet. Diese |11|Einheit lieferte ihm die Antwort auf den Kan. Aufgeregt machte Thomas bei seinem nächsten Gespräch mit einem erfahrenen Mönch eine Geste – »eine einfache Geste, die man immer wieder im Alltag macht« –, um anzudeuten, dass er die Antwort auf besagten Kan intuitiv erfasste hatte. Er hatte das erste Tor passiert: Nun war er ein offizieller Schüler des Zen-Buddhismus.
Nicht lange danach gelangte Thomas zu seiner Erkenntnis, was es mit Leidenschaft im Beruf und mit Berufung auf sich hat. Wieder ging er in demselben Wald spazieren, wo er auch seinen ersten Kan gelöst hatte. Beflügelt von dem Gedanken, dass ein Anfang gemacht war, begann er allmählich, auch die anderen Lektionen der Mönche zu verstehen, die ihm am Anfang völlig unverständlich vorgekommen waren. »Plötzlich verstand ich, dass es bei all diesen Lektionen um nichts anderes ging als bei besagtem Kan«, meinte Thomas zu mir. Anders ausgedrückt, das war es. Das war es, was ein Leben als Zen-Mönch offerierte: immer mehr Einsichten in den Kern ein und desselben Kans.
Thomas’ lang ersehnter Traum war somit in Erfüllung gegangen: Er konnte sich mit Fug und Recht als Zen-Praktizierender bezeichnen – und doch war er meilenweit von dem Gefühl des inneren Friedens und Glücks entfernt, das ihm in seinen Träumen von diesem Tag immer vorgeschwebt war.
»In der Realität hatte sich rein gar nichts verändert. Ich war noch immer derselbe Mensch mit denselben Ängsten und Sorgen. Es war Sonntagnachmittag, schon relativ spät, als mich diese Erkenntnis durchfuhr, und dann liefen mir auch schon die Tränen über mein Gesicht.«
Thomas’ Leidenschaft hatte ihn bis in das Zen-Kloster in den Bergen geführt, da er – wie viele andere auch – aus tiefstem Herzen davon überzeugt war, dass der Schlüssel zum persönlichen Glück darin liegt, seine wahre Berufung zu erkennen und diese dann mit Herzblut zu leben. Doch wie Thomas an jenem Sonntagnachmittag erkannte, war diese Überzeugung erschreckend naiv. Mit der Erfüllung seines Herzenswunschs, ein wahrer Zen-Praktizierender zu sein, war sein Leben nicht wie von Zauberhand wunderbar geworden. |12|
Wie Thomas feststellte, gestaltet sich der Weg ins Glück – zumindest was den eigenen Beruf anbelangt – weitaus schwieriger als gedacht und beschränkt sich nicht auf die Beantwortung der klassischen Frage »Was soll ich bloß mit meinem Leben anfangen?«.
Die Suche beginnt
Im Sommer 2010 war ich geradezu besessen von der Frage: Weshalb gelingt es manchen Menschen, ihr berufliches Glück zu finden, während es so viele andere nicht schaffen? Bei meinen Recherchen zu diesem Thema lernte ich Menschen wie Thomas kennen, deren Geschichten eine Erkenntnis in mir reifen ließen: Wenn die eigene Arbeit Spaß machen und innere Befriedigung verschaffen soll, sollte man den Rat, der Leidenschaft zu folgen, möglichst schnell vergessen!
Vermutlich fragen Sie sich jetzt, wie in aller Welt ich darauf gekommen bin, mich diesem Thema zu widmen. Ehrlich gesagt, weiß ich das gar nicht mehr so ganz genau, aber in etwa lief das Ganze so ab: Im Sommer 2010, als ich meine künftige Besessenheit erst erahnen konnte, hatte ich eine Postdoktorandenstelle als wissenschaftlicher Assistent am MIT (Massachusetts Institute of Technology) inne. Ein Jahr zuvor hatte ich meinen Doktor in Informatik gemacht. Ich wollte Professor werden, denn schließlich ist das angesichts des MIT-Programms für Hochschulabsolventen im Prinzip die einzige Möglichkeit. Wenn ich alles richtig machte, wäre meine Professur ein lebenslanger sicherer Arbeitsplatz. Anders ausgedrückt, plante ich 2011 meine erste und möglicherweise auch letzte Jobsuche. Wenn es jemals einen richtigen Augenblick dafür gab, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was es mit Leidenschaft und Berufung auf sich hat, dann jetzt, dachte ich bei mir.
Was mich nachdrücklich beschäftigte, war die Möglichkeit, dass es letzten Endes mit meiner Professur gar nicht klappen könnte. Nicht lange nach meinem Treffen mit Thomas hatte ich |13|ein langes Gespräch mit meinem Studienberater über meine künftige akademische Laufbahn geführt. Seine erste Frage lautete: »Wie schlecht darf eine Uni eigentlich sein, um dennoch für Sie infrage zu kommen?« Der Berufsmarkt für Akademiker ist in den USA schon immer ziemlich brutal gewesen, aber im Sommer 2010 war er härter denn je, da sich die wirtschaftliche Rezession deutlich bemerkbar machte.
Schlimmer war jedoch, dass mein Forschungsgebiet sich in den vergangenen Jahren nicht gerade als beliebt bei den Studenten herausgestellt hatte. Die letzten beiden Studenten aus meiner Gruppe, die wie ich an ihrer Dissertation gearbeitet hatten, waren dem Ruf einer Universität gefolgt – in Asien! Und zwei andere Postdoktoranden waren in der Schweiz, genauer gesagt in Lugano, und in Kanada gelandet. »Ehrlich gesagt, war die Sache mit der Professur ein einziger Stress, völlig deprimierend«, hatte mir einer meiner ehemaligen Kommilitonen verraten. Da für meine Frau und mich feststand, dass wir in Amerika, nach Möglichkeit an der Ostküste, bleiben wollten, was meine Optionen erheblich einschränkte, musste ich mich der Wahrheit stellen, dass meine Laufbahn als Akademiker womöglich schon zu Ende war, noch bevor sie begonnen hatte. Mir blieb also nichts anderes übrig, als noch mal ganz von vorne anzufangen und mich zu fragen, was ich denn mit meinem Leben anfangen wollte.
So viel zu meinem persönlichen Hintergrund und zugleich dem Grund für das, was ich später als »meine Suche« bezeichnete. Die Frage, mit der ich mich befassen wollte, war klar: Wie kommt es, dass Menschen in ihrem Beruf ihr Glück finden? Ich brauchte unbedingt eine Antwort auf diese brennende Frage. In diesem Buch erfahren Sie, was ich bei meiner Suche so alles erlebt und entdeckt habe.
Wie bereits erwähnt, war ich mit meiner Suche nach einer Antwort noch nicht allzu weit gekommen, als es mir – nicht anders als Thomas – wie Schuppen von den Augen fiel: Die Binsenweisheit zum Thema Berufswahl und Karriereplanung, die da lautet: Folge deiner Leidenschaft, ist ausgemachter Blödsinn. Damit wird nämlich kein bisschen darüber ausgesagt, weshalb |14|manche Menschen zu einem beeindruckenden Höhenflug ansetzen, doch was viel schlimmer ist: Für manche Menschen hat die ganze Sache einen richtigen Pferdefuß. Auf der Suche nach dem beruflichen Glück springen sie von einem Job in den nächsten und verspüren wie Thomas große Angst, wenn sie feststellen, dass ihr Traum der Realität mächtig hinterherhinkt.
Der Ausgangspunkt dürfte Ihnen nun klar sein, weshalb ich dann zu Regel 1 komme, mit deren Hilfe ich diesem geflügelten Wort seine Macht entreiße. Und damit bin ich noch längst nicht am Ende meiner Suche angelangt. Ich begnügte mich nämlich nicht damit, dass ich nun wusste, was nicht funktioniert, sondern ich wollte unbedingt auch noch diese Frage klären: Wenn »Folge deiner Leidenschaft« sich als schlechter Rat entpuppt, was sollte ich denn dann stattdessen tun?
Meine Suche nach der Antwort auf diese Frage, nachzulesen als Regel 2 bis 4, führte mich an unglaubliche Orte. Einen Tag arbeitete ich auf einem Biobauernhof, dessen Betreiber mir zeigte, wie wichtig selbstständiges Handeln ist. Wie wichtig Kompetenz ist, haben mir Berufsmusiker verdeutlicht. Sie hatten mir einiges zum Thema »persönliche Einstellung zur Arbeit« zu sagen. Ich tauchte ein in die Welt der Risikokapitalgeber, der Drehbuchautoren, genialer Programmierer und natürlich erstklassiger Professoren, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen, und versuchte mit ihrer Hilfe herauszufinden, was einer Karriere eher förderlich und was ihr hinderlich ist. Ich war überrascht herauszufinden, wie viele Quellen der Einsicht sich auftun, wenn man sich erst einmal von dem Rat »Folge deiner Leidenschaft« verabschiedet hat.
Doch durch alle Geschichten, die mir auf meiner Suche zu Ohren kamen, zog sich ein roter Faden: die Bedeutung der beruflichen Qualifikation und Kompetenz. Das, was einen tollen Job so toll macht, kommt nur höchst selten vor und ist so gesehen natürlich ein ganz wertvolles Gut. Wenn Sie das auch für sich in Anspruch nehmen wollen, müssen Sie im Gegenzug auch etwas abliefern. Anders ausgedrückt, um einen tolle Arbeit zu finden, müssen Sie erst mal tolle Arbeit leisten. |15|
Doch auch eine beeindruckende Qualifikation ist kein Garant dafür, dass Sie in Ihrem Beruf glücklich werden. Viele Beispiele von angesehenen, aber zutiefst unglücklichen Workaholics belegen diese Behauptung. Deshalb geht meine Hauptargumentation auch weit über die Erlangung nützlicher beruflicher Qualifikationen hinaus. Ich setze mich mit der weitaus subtileren Fertigkeit auseinander, das durch die Qualifikation entstehende Karrierekapital optimal in die richtigen Kanäle seines Berufslebens zu investieren.
Mit dieser Behauptung widerlege ich besagte Binsenwahrheit von Grund auf und verbanne die Leidenschaft auf die Ersatzbank, weil ich davon überzeugt bin, dass sie eine Begleiterscheinung eines gut geplanten Arbeitslebens ist. Ich sage es Ihnen jetzt in aller Deutlichkeit: Folgen Sie nicht Ihrer Leidenschaft, sondern lassen Sie die Leidenschaft Ihnen in Ihrem Bestreben folgen, um – und nun möchte ich meinen Lieblingskomiker Steve Martin bemühen – »so gut zu werden, dass es alle merken«.
Nicht wenige mögen diese Aufforderung als radikal empfinden, und wie das nun mal mit neuen Vorstellungen ist, kommt es auch auf die Verpackung an. Aus diesem Grund ist mein Buch aufgemacht wie ein Manifest. Ich habe seinen Inhalt in vier »Regeln« aufgeteilt, die allesamt eine provokante Überschrift tragen. Außerdem habe ich mich redlich bemüht, meine Ausführungen kurz zu halten und immer zum Punkt zu kommen. Ich möchte Ihnen gerne eine neue Weltansicht vorstellen, will meine Erkenntnisse aber nicht mit zu vielen Beispielen und Diskussionen zu Tode reiten. In diesem Buch finden Sie natürlich auch konkrete Ratschläge, eine Zehn-Schritt-Anleitung oder einen Selbsttest werden Sie darin allerdings vergeblich suchen. Dieses Thema ist einfach zu subtil, um sich auf so einfache Formeln reduzieren zu lassen.
Wenn Sie das Buch fast durchhaben, wissen Sie, wie meine persönliche Geschichte zu Ende ging und wie ich meine Erkenntnisse in meinem Job anwende. Wir wenden uns dann aber erneut Thomas zu, der es nach seiner ernüchternden Erfahrung im Kloster geschafft hat, sich nicht mehr mit der quälenden Suche nach |16|dem richtigen Job zu befassen, sondern sich darauf zu verlegen, gut in seiner Arbeit zu sein. Zum ersten Mal ist es ihm auf diese Weise gelungen, Spaß bei seiner Arbeit zu empfinden. Und diese Form von Glück sollten auch Sie für sich beanspruchen.
Ich hoffe sehr, dass meine Erkenntnisse Ihnen dabei helfen, Plattheiten wie »Folge deiner Leidenschaft« und »Mach, was dir Spaß macht« abzustreifen wie eine Schlangenhaut, denn sie stiften bloß unnötige Verwirrung auf der Suche nach Selbstverwirklichung im Beruf. Stattdessen hoffe ich, Ihnen einen gangbaren Weg aufgezeigt zu haben, der Sie ohne Umwege in ein bedeutsames und fesselndes Arbeitsleben führt.|17|
REGEL 1
FOLGE NICHT
DEINER LEIDENSCHAFT!
|18|
|19|
|20|
KAPITEL 1
DIE LEIDENSCHAFT DES STEVE JOBS
In diesem Kapitel stelle ich die Leidenschaftstheorie infrage, welche besagt, dass Spaß, Freude und Erfüllung im Job sich nur dann einstellen, wenn man seiner Leidenschaft folgt.
Die Leidenschaftstheorie
Im Juni 2005 trat Steve Jobs in der Universität Stanford vor das Rednerpult, um den Absolventen ein paar gut gemeinte Worte für ihren Start ins Berufsleben mitzugeben. Jobs fasste für seine 23 000 Zuhörer kurz zusammen, welche Lektionen er in seinem Leben gelernt hatte. Nach etwa einem Drittel seiner Redezeit gab Jobs folgenden Rat:
»Ihr müsst herausfinden, was euch richtig Spaß macht … Nur wer seinen Job liebt, wird erfolgreich sein und exzellente Arbeit leisten können. Wer sich über seinen Traumjob noch nicht im Klaren ist, darf sich nicht mit dem nächstbesten Job zufriedengeben, sondern muss weitersuchen.«
Als er mit seinen Ausführungen fertig war, standen die Leute auf und klatschten ihm frenetisch Beifall.
Obwohl Jobs in seiner Rede auf unterschiedliche Lektionen einging, lag sein Schwerpunkt zweifelsohne darauf, wie unerläss|21|lich Leidenschaft im Job sei. In der offiziellen Presseerklärung hieß es über dieses Ereignis, dass Jobs »die Absolventen ermutigt hätte, ihre Träume wahr werden zu lassen«.
Schon kurze Zeit danach wurde ein inoffizielles Video der Veranstaltung auf YouTube gestellt, das 3,5 Millionen Mal angesehen wurde – virales Marketing in Höchstform. In den Kommentaren dazu bestätigte die Mehrheit der Websitebesucher seine Auffassung und stellte folgende Beiträge ins Netz:
»Die wichtigste Lektion, die uns Steve lehrt, lautet, einen sinnvollen Beruf zu ergreifen und etwas zu tun, was einen mit Begeisterung erfüllt … Das Leben ist zu kurz, um nur seine Pflicht zu erfüllen.«
»Folge deiner Leidenschaft – man lebt, um zu leben.«
»Leidenschaft ist der Antrieb, sein Leben zu leben.«
»Nur die Leidenschaft im Job zählt.«
»Gib dich nicht mit dritter Wahl zufrieden. Amen.«
Anders ausgedrückt, Millionen Menschen genossen Steve Jobs’ Auftritt – der Guru bildlichen Denkens hatte sein Publikum wieder einmal in seinen Bann gezogen und dem gängigen Ratschlag für die künftige Karriere, die ich als »Leidenschaftstheorie« bezeichne, den Stempel »Gelesen und genehmigt« aufgedrückt.
Die Leidenschaftstheorie
Der Schlüssel zum beruflichen Glück lautet, dass man als Erstes herausfinden muss, was einen wirklich begeistert. Und dann sucht man sich einen Job, der ganz genau zu dieser Leidenschaft passt.
Die Glücklichen unter uns, die es sich aussuchen können, welchen Beruf sie einmal ergreifen möchten, saugen diesen Ratschlag quasi schon mit der Muttermilch ein. Uns wird von klein auf eingetrichtert, dass wir Menschen, die mutig genug sind, ihrer Leidenschaft zu folgen, als Helden zu verehren haben, während wir für die Konformisten, die sich für den sicheren Weg entscheiden, nur Mitleid, wenn nicht gar Verachtung empfinden. |22|
Sie nehmen mir das nicht ab? Dann gehen Sie doch mal in einen Buchladen und werfen einen Blick in das Regal mit den Ratgebern zur Berufswahl. Lassen Sie die Bände über den perfekten Lebenslauf und die Benimmregeln beim Vorstellungsgespräch links liegen. Na? Steht da auch nur ein Buch, in dem die Theorie von Leidenschaft als Grundvoraussetzung für die Berufswahl nicht als die einzig wahre verkauft wird? Eben. Und das ist meist schon am Titel zu erkennen: Finde den Job, der dich glücklich macht: Von der Berufung zum Beruf oder Was ich mal werden will? Glücklich! oder auch Eigentlich wär ich gern …: Wie Sie Ihre Talente zum Traumjob machen. Mehr oder weniger stoßen sie alle ins gleiche Horn: Mit ein paar Persönlichkeitstests haben Sie Ihren Traumjob quasi schon in der Tasche. In letzter Zeit sind auf dem amerikanischen Buchmarkt ein paar Karriereratgeber erschienen, die etwas aggressiver auftreten, die traditionellen Bürojobs von Grund auf verteufeln und behaupten, dass wahre Leidenschaft damit beginne, seinen eigenen Weg in Richtung Selbstständigkeit zu gehen. So in etwa lautet der Tenor in Escape from Cubicle Nation. Dieses Buch ist sozusagen der Fluchthelfer für den angestellten Gefangenen, heraus aus den typischen »Bürozellen« – wie man sie hierzulande nur aus den amerikanischen Spielfilmen kennt – und hinein in die Welt des Unternehmertums. In einer Rezension hieß es: »Zeigt einem die Tricks zu einem selbstbestimmten und glücklichen Leben.«
Diese Bücher und Tausende von Bloggern, Beratern und selbst ernannten Gurus, die alle um Kernthemen wie das Glück am Arbeitsplatz kreisen, wollen uns alle die gleiche Lektion glauben machen: Um glücklich zu sein, muss man seiner Leidenschaft folgen. Ein bekannter Karriereberater hat mir einmal geraten: »Mach, was dir am besten gefällt, der Rubel rollt dann schon von ganz alleine.« Und mit diesem Rat steht er definitiv nicht alleine da, ganze Heerscharen von Berufsberatern und Karriereplanern haben sich ihm angeschlossen.
Und schon taucht ein Problem auf: Werfen Sie doch einmal einen Blick hinter diese Slogans mit Wohlfühlgarantie und sehen Sie sich zum Beispiel einmal an, wie so leidenschaftliche Men|23|schen wie Steve Jobs tatsächlich erfolgreich geworden sind. Oder fragen Sie einen Psychologen, was seiner Meinung nach die Voraussetzung für Zufriedenheit im Job ist. Nun wird die ganze Sache noch komplizierter, nicht wahr? Stück für Stück entzaubern Sie dann nämlich den Mythos von der Leidenschaftstheorie und enden bei der unguten Erkenntnis: Folge deiner Leidenschaft ist womöglich ein schlechter Rat.
Ich selbst hatte gerade meinen Abschluss an der Universität gemacht und begann mich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Ich kam zu dem Schluss, dass an besagter Theorie wirklich nichts dran ist. Deshalb machte ich mich auf die Suche, denn ich wollte unbedingt herausfinden, was wirklich von Bedeutung ist, wenn die Arbeit Spaß machen soll. Regel 1 bildet sozusagen die Basis für meine Ablehnung besagter Theorie. Vielleicht sollten wir damit beginnen, wie alles anfing für Steve Jobs, als er sein Unternehmen Apple Computer gründete.
Folgen Sie Steve Jobs Taten, aber nicht seinen Worten
Hätten Sie den jungen Steve Jobs zu der Zeit kennengelernt, als er sein Unternehmen aufbaute, hätten Sie ihn mit Sicherheit nicht für einen Technikfan oder Computerfreak gehalten. Jobs hatte das Reeds College in Oregon – eine angesehene Enklave der freien Künste – besucht, sich sein Haar lang wachsen lassen und zog es vor, grundsätzlich barfuß zu gehen. Anders als andere Visionäre seiner Zeit interessierte sich der Student Jobs weder sonderlich für das Unternehmertum noch für Elektronik. Stattdessen studierte er Geschichte und Tanz des Abendlands und schnupperte auch mal in die Mystik des Morgenlands hinein.
Nach seinem ersten Jahr am College schmiss er seine Ausbildung hin, blieb aber noch eine Zeit lang eingeschrieben. Er schlief auf dem Boden und schnorrte sich seine Mahlzeiten am Hare-Krishna-Tempel zusammen. Seine unkonventionelle Art |24|machte ihn zu einem bunten Hund auf dem Campus – zum Freak, um im damaligen Sprachgebrauch zu bleiben. Wie Jeffrey S. Young in seiner gut recherchierten Biografie Steve Jobs und die Geschichte eines außergewöhnlichen Unternehmens schreibt, hatte Jobs sein Armendasein letztendlich satt und kehrte Anfang der 1970er Jahre nach Kalifornien zurück, wo er wieder bei seinen Eltern einzog und bei Atari in Nachtschicht arbeitete. (Das Unternehmen hatte seine Aufmerksamkeit durch ein Stellenangebot in der Zeitung San Jose Mercury News geweckt, in dem es hieß: »Wollen Sie Spaß haben und Geld verdienen?«) In dieser Phase seines Lebens sprang Jobs zwischen Atari und der All-One-Farm, einer Kommune nördlich von San Francisco, hin und her. Dann verließ er Atari für einige Monate, weil er als Bettelmönch eine spirituelle Reise quer durch Indien antreten wollte. Nach seiner Rückkehr war sein Interesse an Spiritualität geweckt, und er besuchte regelmäßig das Zen Center im nahe gelegenen Örtchen Los Altos.
Kurze Zeit später, 1974, gründete der Ingenieur und Unternehmer Alex Kamradt das Unternehmen Call-in Computer, das Computernutzung im Time-Sharing-Verfahren anbot. Kamradt wandte sich mit der Bitte an Steve Wozniak, er möge ihm eine Schnittstelle entwickeln, mit dessen Hilfe seine Kunden Zugriff auf seinen Zentralrechner erhielten. Wozniak war im Gegensatz zu Jobs ein echter Elektronikfreak, der geradezu besessen von Technik war und an der Universität studiert hatte. Doch die geschäftliche Seite seiner Arbeit interessierte ihn rein gar nicht. Deshalb bat er seinen langjährigen Freund Jobs, die Details dieses Auftrags für ihn auszuhandeln. Bis Herbst 1975 lief alles wie am Schnürchen, als Jobs sich auf den Weg in die All-One-Kommune machte, um dort längere Zeit zu bleiben. Blöd nur, dass er vergessen hatte, Kamradt davon zu erzählen. Als er dann zurückkehrte, war sein Job weg.
Ich erzähle Ihnen diese Geschichte nur deshalb, weil ich Ihnen klarmachen will, dass Sie bislang noch nichts erfahren haben, was typisch für einen Geschäftsmann oder Technikbegeisterten wäre. Und doch sollte es nur noch knapp ein Jahr dauern, bis |25|Jobs sein Unternehmen gründete. Anders ausgedrückt war Steve Jobs in den Monaten vor der Gründung seines visionären Unternehmens ein zerrissener junger Mann, der sein Glück in der Spiritualität suchte und sich nur dann mit Technik befasste, wenn er sich davon das schnelle Geld versprach.
Noch im selben Jahr stieß Jobs zufällig auf das, was sich als großer Durchbruch für ihn herausstellen sollte. Er hatte mitbekommen, dass die lokale Computerfreak-Szene vor Begeisterung zu platzen drohte, als ein Bausatz eines Computers auf den Markt kam. (Klar, dass nicht nur er das Potenzial dieser technischen Neuheit erkannte. Ein ehrgeiziger junger Harvard-Student sah den ersten Computerbausatz auf dem Titelblatt der Zeitschrift Popular Electronics und gründete daraufhin flugs ein Unternehmen mit dem Ziel, eine Version der Programmiersprache BASIC speziell für diesen Heimcomputer zu entwickeln. Er warf sogar sein Studium hin, um mehr Zeit für den Aufbau seines Unternehmens zu haben, das er dann Microsoft nannte.)
Jobs überredete Wozniak, eine Leiterplatte für diesen Computerbausatz zu entwickeln, die sie den örtlichen Computerfans verkaufen wollten. Ursprünglich veranschlagten sie die Fertigungskosten mit 25 US-Dollar, als Verkaufspreis hatten sie sich das Doppelte überlegt. Jobs wollte zunächst 100 Stück davon an den Mann bringen, was ihnen beiden nach Abzug der Herstellungskosten und einer Art Lizenzgebühr für die Originalleiterplatte einen Gewinn von 1 000 US-Dollar beschert hätte. Weder Wozniak noch Jobs hatten ihren Job gekündigt: Für sie war das Ganze mehr ein wenig riskantes Freizeitvergnügen.
Der Rest der Geschichte dürfte hinlänglich bekannt sein: Steve ging barfuß in den Byte Shop – so hieß Paul Terrells erster Computerladen in Mountain View – und bot ihm die Leiterplatten zum Kauf an. Doch Terrell wollte keine Leiterplatten, sondern ganze Computer vertreiben. Er bot ihnen 500 US-Dollar je Stück an, Lieferung so schnell wie möglich. Job griff die Gelegenheit, noch mehr Geld zu verdienen, am Schopf und begann nach Geldgebern zu suchen. Die Gründung von Apple Computer war ein Glücksfall, der seinesgleichen sucht. Young schreibt darüber |26|sinngemäß, dass die beiden vorsichtig vorgingen und es erst mal in kleinem Stil probierten. Sie träumten beileibe nicht davon, die Welt zu erobern.
Und was können wir von Steve Jobs lernen?
Ich habe Ihnen die wesentlichen Details aus Steve Jobs Leben deshalb erzählt, weil es auf die Einzelheiten ankommt, wenn es darum geht, wie man am besten eine mehr als befriedigende Arbeit für sich findet.
Hätte sich der junge Steve Jobs an seine eigenen Ratschläge gehalten, wäre er heute vermutlich einer der beliebtesten Meister am Zen-Center in Los Altos. Doch er hat diesen Rat einfach in den Wind geschlagen. Apple Computer wurde definitiv nicht aus seiner Technikbegeisterung heraus gegründet, sondern weil es der glückliche Zufall so wollte – und aus einem kleinen Vorhaben wurde dann der ganz große Wurf.
Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass Steve Jobs im Lauf der Zeit wahre Begeisterung für seine Arbeit empfand. Man muss sich nur mal seine berühmten Ansprachen bei der Vorstellung eines neuen Produkts ansehen: Ganz offensichtlich hat er seine Arbeit geliebt. Was lernen wir daraus? Sollten wir es so machen wie Jobs und uns nicht auf eine typische Laufbahn festlegen (lassen) und stattdessen mehrere kleinere Projekte aus der Taufe heben, bis uns mit einem der Durchbruch gelingt? Spielt es eine Rolle, in welchem Bereich wir uns schlau machen? Woher können wir wissen, ob es richtig ist, ein Projekt abzublasen und besser ein neues zu beginnen? Anders ausgedrückt, Jobs’ Lebensgeschichte wirft mehr Fragen auf, als sie Antworten gibt. Das Einzige, was wir daraus lernen können: Der gut gemeinte Rat »Folge deiner Leidenschaft« hat zumindest im Fall von Steve Jobs nicht funktioniert. |27|
KAPITEL 2
LEIDENSCHAFT IST EIN SELTENES GUT
In diesem Kapitel zeige ich Ihnen: Je mehr Beweise Sie für die Richtigkeit der Leidenschaftstheorie suchen, desto eher werden Sie feststellen, dass nichts an ihr dran ist.
Die Offenbarung durch Roadtrip Nation
Im Jahr 2001 war eine kleine Gruppe von vier frischgebackenen Hochschulabsolventen zu einer Reise quer durch Amerika angetreten. Ihr Ziel: Sie wollten Menschen befragen, deren Leben ausschließlich um Dinge kreiste, die ihnen wichtig waren. Daraus wollten sie dann Tipps für ihre eigenen Karrieren ableiten. Sie hielten ihre Eindrücke mit einer Videokamera fest, woraus später sogar eine Fernsehserie des Senders PBS wurde. Noch später gründeten sie einen Verein namens Roadtrip Nation, dessen erklärtes Ziel es war, jungen Menschen dabei zu helfen, selbst eine solche Reise zu machen. Was diesen Verein für mich so relevant macht, ist seine umfassende Videothek: Dort stehen Aufnahmen sämtlicher Gespräche, die sie unterwegs geführt haben.1 Für mich ist das die beste Quelle, sich ein klares (und vor allem reales) Bild davon zu machen, womit beeindruckende Karrieren beginnen.
In einem Interview wollten drei Studenten von dem Rund|28|funkmoderator Ira Glass unbedingt wissen, »woher man weiß, was man will« und »woher man wissen kann, wo die eigenen Stärken liegen«.
»In den Kinofilmen heißt es immer, man soll einfach losziehen und sein Glück suchen«, lautete Glass’ Antwort. »In meinen Augen ist das ausgemachter Blödsinn. Die Dinge passieren nicht einfach so, mit dem großen Knall. Es gibt immer verschiedene Phasen im Leben.«
Glass wies die drei Studenten darauf hin, dass es Zeit braucht, um etwas gut zu beherrschen, und dass es in seinem Fall Jahre gedauert hatte, bis er die Moderation von Radiosendungen so gut beherrschte, dass sich ihm neue Möglichkeiten auftaten. »Für mich liegt der Schlüssel zum Erfolg darin, sich durch einen Haufen Arbeit hindurchzukämpfen, sich ganz auf den Erwerb bestimmter Kompetenzen zu konzentrieren. Das ist die schwierigste Phase von allen.«
Dem Ausdruck auf den Gesichtern der jungen Leute war klar zu entnehmen, dass sie mit so einer Antwort nicht gerechnet hatten. Vermutlich hatten sie etwas ganz anderes hören wollen als: »Arbeit ist nun mal Arbeit und kein Kinderspiel, aber da muss man durch – und zwar ohne zu jammern.« Dann fuhr Glass fort: »Ich glaube, euer Problem ist, dass ihr alle Möglichkeiten, die sich euch bieten, im Kopf durchspielt und zu einem Urteil kommt, noch bevor ihr euch an den Praxistest wagt. Und das kann ein verhängnisvoller Fehler sein.«2
Auch in anderen Interviews ist zu hören, dass man im Vorfeld nur schlecht beurteilen kann, ob einem letztendlich etwas Spaß macht oder nicht. Astrobiologe Andrew Steele meinte, als er befragt wurde: »Ich hatte doch keine Ahnung, was ich einmal werden wollte. Ich lehne Systeme ab, die einen schon in jungen Jahren zu der Entscheidung zwingen wollen, welchem Beruf man später einmal nachgeht.« Einer seiner Gesprächspartner wollte von Steele wissen, ob er seinen Doktor gemacht hatte, weil er hoffte, »eines Tages die Welt verändern zu können«.
»Aber nein. Ich wollte bloß, dass sich mir danach mehr Möglichkeiten auftun.«3|29|
Auch Al Merrick, Gründer des Surfshops Channel Islands Surfboards, ist der Ansicht, dass sich Leidenschaft für den Job erst im Lauf der Zeit entwickeln kann. »Die Leute haben es so eilig mit ihrer Karriere. Das macht mich richtig traurig. Mein ursprünglicher Plan hat bestimmt nicht gelautet, einen Riesenkonzern zu gründen. Meine Devise lautete, einfach nur mein Bestes zu geben, ganz gleich, auf welchem Gebiet.«4
Ähnlich äußerte sich auch William Morris, der als Glasbläser in Stanwood, Washington, sein erfolgreiches Unternehmen führt. Eine Studentin beklagte sich bei ihm: »Mich interessieren Tausende unterschiedlicher Dinge, ich habe da keinen Schwerpunkt.« Morris schaute sie verwundert an: »Du kannst dir da nie sicher sein. Doch das solltest du auch gar nicht wollen.«5
Diese Interviews verdeutlichen einen wesentlichen Punkt:
Hinter beeindruckenden Karrieren verbirgt sich oft ein langer Weg mit vielen Abzweigungen, was belegt, dass es nicht damit getan ist, seiner Leidenschaft zu folgen.
Für diejenigen unter uns, die die Leidenschaftstheorie sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen haben, dürfte diese Aussage eine große Überraschung sein. Wissenschaftler dagegen, die sich mit Themen wie Zufriedenheit am Arbeitsplatz befasst haben, dürfte sie kaum überraschen, zumal wenn sie ihre Erkenntnisse aus Mitarbeiterumfragen gewonnen haben. Seit Jahrzehnten ist das nichts Neues für sie, und dennoch haben nur wenige Karriereplaner und Berufsberater diese Erkenntnisse in ihrer Praxis berücksichtigt. Deshalb widme ich mich nun diesen scheinbar untergegangenen wissenschaftlichen Entdeckungen. |30|
Die wissenschaftliche Untersuchung von Leidenschaft
Weshalb haben so viele Menschen Spaß bei der Arbeit und mindestens genauso viele keinen? Im Wesentlichen lassen sich die sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse in einem einzigen Satz zusammenfassen:
Es gibt die unterschiedlichsten Gründe für Zufriedenheit am Arbeitsplatz, doch die einschränkende Vorstellung, man müsse seinen Job auf eine bereits erkannte Leidenschaft zuschneiden, ist nicht darunter.
Zum besseren Verständnis der Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Forschung habe ich die drei interessantesten für Sie zusammengestellt.
Schlussfolgerung 1: Leidenschaft gibt es im Berufsleben eher selten
Das Forschungsteam des kanadischen Psychologen Robert J. Vallerand führte 2002 eine umfassende Untersuchung an 539 Studenten durch.6 Zwei wesentliche Fragen in dem Forschungsprojekt waren: »Folgen Sie einer Leidenschaft? Wenn ja, welcher?«
Die Leidenschaftstheorie basiert auf der Annahme, dass in uns allen Leidenschaften schlummern, die wir nur zu wecken brauchen. In dieser Untersuchung wollte man wissen, ob dem auch tatsächlich so ist. Und hier nun das überaus interessante Ergebnis: 84 Prozent der Befragten antworteten mit Ja. Nun denken Sie bestimmt, das ist ja Wasser auf die Mühlen der Anhänger der Leidenschaftstheorie. Doch nun wollen wir uns das Ergebnis einmal genauer ansehen: Ganz oben auf der Liste der genannten Leidenschaften stehen: Tanzen, Hockey (Sie erinnern sich, wir sprechen von kanadischen Studenten), Skifahren, Lesen und |31|Schwimmen. Keine Frage, bei all diesen Beschäftigungen sind sie bestimmt mit dem ganzen Herzen dabei, aber nicht einer von ihnen wird diese Leidenschaft zu seinem Beruf machen wollen. Die Studie belegte, dass nur bei 4 Prozent der genannten Leidenschaften irgendein Bezug zu Schulausbildung oder Beruf bestand, die restlichen 96 Prozent bezogen sich ausschließlich auf Hobbys wie Sport und Kunst.
Lassen Sie sich einen Moment lang Zeit, um dieses Forschungsergebnis zu verdauen – immerhin versetzt es der Leidenschaftstheorie einen schweren Schlag. Wie bitte schön sollen wir unserer Leidenschaft folgen, wenn es doch keine relevanten Leidenschaften in unserem Leben gibt? Eines steht jedenfalls fest: Die große Mehrheit der kanadischen Studenten braucht eine andere Strategie für die Berufswahl.