Öffentliche Finanzwirtschaft

Ein Grundriss
für die öffentliche Verwaltung in Bund und Ländern

begründet von

Prof. Herbert Wiesner

Dozent a.D. an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Mannheim

fortgeführt von

Prof. Dr. Bodo Leibinger, Reinhard Müller und Bernd Züll

Dozenten an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Brühl

15., neu bearbeitete Auflage

Reihe „Handbücher und Kommentare“

© 2021 R. v. Decker, Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH, Im Weiher 10, 69121 Heidelberg

Satz: preXtension, Grafrath

Druck: CPI Clausen & Bosse, Birkstr. 10, 25917 Leck

ISBN 978-3-7685-0533-6

Vorwort

Öffentliche Finanzwirtschaft wird von verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen geprägt. Der juristische Ansatz reicht vom Verfassungsrecht bis zum einfachen Kassenrecht, der ökonomische Ansatz von volkswirtschaftlichen Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik bis zu einzelwirtschaftlichen Fragen der Organisation. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht der staatliche Haushaltsplan. Er wird von der Verwaltung nach genau festgelegten Regeln aufgestellt und ausgeführt, von den Regierungen beschlossen und von den Parlamenten durch Haushaltsgesetz festgestellt. Allein auf Grund seines Umfangs kann der Haushaltsplan nicht ohne Einfluss auf die Gesamtwirtschaft bleiben.

Mit diesem Buch soll erneut der Versuch unternommen werden, die komplexe und umfangreiche Materie der öffentlichen Finanzwirtschaft geschlossen und vor allem verständlich wiederzugeben. Dabei werden auch die Grundzüge der Randgebiete Vergaberecht und Zuwendungsrecht dargestellt. Das Buch soll Studierenden und Praktikern auch als Nachschlagewerk dienlich sein.

Mit diesem Buch soll erneut der Versuch unternommen werden, die komplexe und umfangreiche Materie der öffentlichen Finanzwirtschaft geschlossen und vor allem verständlich wiederzugeben. Dabei werden auch die Grundzüge der Randgebiete Vergaberecht und Zuwendungsrecht dargestellt. Das Buch soll Studierenden und Praktikern auch als Nachschlagewerk dienlich sein.

Das Werk wurde begründet von Herbert Wiesner, der die ersten 10 Auflagen des Buches in den Jahren 1973 bis 2003 verfasst hat. Fortgeführt wurde das Werk bis zur 14. Auflage von Bodo Leibinger und Reinhard Müller. Nachdem sich nunmehr auch Reinhard Müller zurückgezogen hat, ist Bernd Züll als neuer Co-Autor an seine Stelle getreten. Reinhard Müller bleibt aber auch in dieser 15. Auflage als Verfasser genannt, da er an der Konzeption des Buches maßgeblich mitgewirkt hat. Für den Inhalt des Buches sind natürlich wir, das neue Autorenteam, alleine verantwortlich.

Köln, im März 2021Bodo Leibinger
Bernd Züll

Gewidmet BGG01 und FHF01.

Bonn, im März 2021 Bernd Züll

„Der Staatshaushalt muss ausgeglichen sein. Die öffentlichen Schulden müssen verringert werden. Die Arroganz der Behörden muss gemäßigt und kontrolliert werden. Die Zahlungen an ausländische Regierungen müssen verringert werden, wenn der Staat nicht bankrott gehen soll. Die Leute sollen wieder lernen zu arbeiten, statt auf öffentliche Rechnung zu leben.“

Marcus Tullius Cicero, 55 vor Christus

Inhaltsübersicht

Abbildungsverzeichnis

Übersichten

Abkürzungsverzeichnis

a.a.O.

am angeführten Ort

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

ANBest

Allgemeine Nebenbestimmungen (zum Zuwendungsbescheid)

AO

Abgabenordnung

Art.

Artikel

BAnz

Bundesanzeiger

BayVerf

Verfassung für den Freistaat Bayern

BBesG

Bundesbesoldungsgesetz

BBG

Bundesbeamtengesetz

Begr.

Begründung

BesGr

Besoldungsgruppe

BestMa-VB-HKR

Bestimmungen über die Mindestanforderungen für den Einsatz automatisierter Verfahren im Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes

BfdH

Beauftragter für den Haushalts

BfDI

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGebG

Bundesgebührengesetz

BHO

Bundeshaushaltsordnung

BIP

Bruttoinlandsprodukt

BM

Bundesminister(ium)

BMBF

Bundesministerium für Bildung und Forschung

BMF

Bundesminister(ium) der Finanzen

BMI

Bundesministerium des Innern

BMWi

Bundesminister(ium) für Wirtschaft und Energie

BR

Bundesrat

BReg

Bundesregierung

BRH

Bundesrechnungshof

BSchuWG

Bundesschuldenwesengesetz

BT

Bundestag

BT-Drs.

Bundestagsdrucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts

BZSt

Bundeszentralamt für Steuern

dgl.

dergleichen

EGovG

E-Governmentgesetz

Epl

Einzelplan

ERechV

E-Rechnungsverordnung

ESVG 2010

Europäisches System volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (Stand 2010)

FAG

Finanzausgleichsgesetz

Fn

Fußnote

FPL

Funktionenplan

FPStatG

Gesetz über die Statistiken der öffentlichen Finanzen und des Personals im öffentlichen Dienst

FVG

Finanzverwaltungsgesetz

G115

Artikel-115-Gesetz

gem.

gemäß

GenG

Genossenschaftsgesetz

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GG

Grundgesetz

GGO

Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien

GO

Geschäftsordnung

GO-BReg

Geschäftsordnung der Bundesregierung

GO-BT

Geschäftsordnung des Bundestages

GoBIT-HKR

Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung bei Einsatz von automatisierten Verfahren im Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen

GPL

Gruppierungsplan

grds.

grundsätzlich

GVBI

Gesetz- und Verordnungsblatt

GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

HG

Haushaltsgesetz

HGB

Handelsgesetzbuch

HGO

Hessische Gemeindeordnung

HGrG

Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz)

HKR

Automatisiertes Verfahren für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes

Hpl

Haushaltsplan

HRB

Haushaltstechnische Richtlinien des Bundes

HÜL

Haushaltsüberwachungsliste

i.V.m.

in Verbindung mit

i.d.F.

in der Fassung

i.d.R.

in der Regel

InfrGG

Infrastrukturgesellschaftsgesetz

Kap

Kapitel

KBestB

Kassenbestimmungen für die Bundesverwaltung

KLR

Kosten- und Leistungsrechnung

KonzVgV

Konzessionsvergabeverordnung

ku

künftig umzuwandeln

kw

künftig wegfallend

LHO

Landeshaushaltsordnung

LMF

Landesminister(ium) der Finanzen

LRH

Landesrechnungshof

LV

Landesverfassung

MaßstG

Maßstäbegesetz

MV

Mittelverteiler

MünzG

Münzgesetz

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

OWiG

Ordnungswidrigkeitengesetz

PCGK

Public Corporate Governance Kodex des Bundes

RB Bau

Richtlinien des Bundes für die Durchführung von Bauaufgaben

Rdschr.

Rundschreiben

RHO

Reichshaushaltsordnung

Rn

Randnummer

S.

Seite

s.

siehe

SektVO

Sektorenverordnung

StabG

Gesetz zur Förderung der Stabilität u. des Wachstums der Wirtschaft

StG

Steuergesetz

Tit

Titel

TV

Titelverwalter

UVgO

Unterschwellenvergabeverordnung

VBRO

Buchführungs- und Rechnungslegungsordnung für das Vermögen des Bundes

VerfGH

Verfassungsgerichtshof

VerfRiB-MV/TV-HKR

Verfahrensrichtlinien des Bundes für Mittelverteiler und Titelverwalter für das automatisierte Verfahren für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes

VerfRiBeS-HKR

Verfahrensrichtlinie für die Nutzung der elektronischen Schnittstellen zum automatisierten Verfahren für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes

Vgl.

vergleiche

VgV

Vergabeverordnung

VOB

Vertrags- und Vergabeordnung für Bauleistungen

VOL

Vertrags- und Vergabeordnung für Leistungen

VO/VW-RiB

Vorschuss- und Verwahrungsrichtlinie des Bundes zu § 60 BHO

VSVgV

Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit

VV-BHO

Verwaltungsvorschriften zur Bundeshaushaltsordnung

VV-HB

Verwaltungsvorschriften zur Haushaltssystematik des Bundes

VV-ReVuS

Verwaltungsvorschriften für die Buchführung und die Rechnungslegung über das Vermögen und die Schulden des Bundes

VV-ZBR BHO

Verwaltungsvorschriften für Zahlungen, Buchführung und Rechnungslegung (zu Teil IV Bundeshaushaltsordnung)

WRV

Weimarer Reichsverfassung

ZFB

Zentrales Finanzwesen des Bundes

ZÜV

Zahlungsüberwachungsverfahren des Bundes

Literaturverzeichnis

Quellenverzeichnis

BMF (10.07.2006), BMF-Rundschreiben zur Bedarfsprüfung, Bildung und Inanspruchnahme von Ausgaberesten im flexibilisierten Bereich, II A 2 – H 1200-97/06

BMF (2006), Das System der Öffentlichen Haushalte, Berlin, Stand: Oktober 2006.

BMF (24.09.2012), BMF-Rundschreiben zur Durchführung des Interessenbekundungsverfahrens nach § 7 Abs. 2 S. 2, II A 3 –H 1005/070/0002-2012/08643532012 – (GMBl. 2012, S. 1190).

BMF (23.11.2015), BMF-Rundschreiben zur Bedarfsprüfung, Bildung und Inanspruchnahme von Ausgaberesten im flexibilisierten Bereich, II A2 – H 1200-14/10063.

BMF (2015), Das System der Öffentlichen Haushalte, Berlin, Stand: August 2015.

BMF (07.12.2017), BMF-Rundschreiben zur vorläufigen Haushaltsführung im Haushaltsjahr 2018, IIA2-H1200/17/10021:001, DOK2017/0930422.

BMF (05.05.2019), BMF-Rundschreiben vom 12.1.2011 (GMBl. 2011, S. 76) in der Fassung des Rundschreibens vom 5.5.2019 (GMBl 2019, S. 372).

BMF (Oktober 2020), Finanzbericht 2021, Berlin Oktober 2020.

BMF (08.12.2020), Fiskalregeln, Beitrag vom 08.12.2020, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Oeffentliche_Finanzen/Fiskalregeln/nationale-europaeische-fiskalregeln.html, Stand 29.01.2021.

BMF (18.12.2020), BMF-Rundschreiben zur Haushaltsführung 2021, IIA2-H 1200/20/10051 DOK2020/1132048.

BMF (2020), Fünfter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen, Berlin 2020.

BMF (05.01.2021), BMF-Rundschreiben zur Aufstellung des Bundeshaushaltsplans 2022 und des neuen Finanzplans 2021 bis 2025, IIA1-H 1105/20/10002:001-DOK2020/1025660.

Bundesministerium des Inneren (1999), KLR-Referenzmodell für den Geschäftsbereich des Bundesmisnisterium des Inneren vom 19.2.1999, Vorwort, Bonn 1999.

Bundesrechnungshof (10.10.2017), Beschluss des Großen Senats des Bundesrechnungshofes zur vorläufigen Haushaltsführung, https://www.bundesrechnungshof.de/de/ueber-uns/institution/rechtsgrundlagen/beschluss-des-grossen-senats-des-bundesrechnungshofes-vom-10-oktober-2017-zur-vorlaeufigen-haushaltsfuehrung

Bundesrechnungshof (21.10.2019): Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Abs. 2 BHO.: Informationen über die Entwicklung des Einzelplans 32 (Bundesschuld) für die Beratungen zum Bundeshaushalt 2020, Gz.: III 5-2019-0731.

Funktionenplan (Stand: 19.11.2020), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Oeffentliche_Finanzen/Standards_fuer_Haushalte/funktionenplan.pdf?__blob=publicationFile&v=6

Gruppierungsplan (Stand: 18.11.2020), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Oeffentliche_Finanzen/Standards_fuer_Haushalte/gruppierungsplan.pdf?__blob=publicationFile&v=12

Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages (26.11.2020), Maßgabebeschluss zum Abbau von Ausgaberesten, Ausschuss-Drs. 19(8)8295.

HaushaltsSteuerung.de, http://www.haushaltssteuerung.de/haushaltsreform-Bund.html.

Haushaltstechnische Richtlinien des Bundes 2021 –HRB 2021 (Stand 03.06.2020), https://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_03062020_IIA1H11051110001004DOK20200381594.htm

1.Öffentliche Finanzwirtschaft und Finanzverfassung

1.1Zum Begriff der Öffentlichen Finanzwirtschaft

Was ist öffentliche Finanzwirtschaft? „Öffentlich“ ist, was das (staatliche) Gemeinwesen betrifft und der Allgemeinheit zugänglich ist. „Finanzen“ sind Geld. „Wirtschaften“ ist das (planmäßige) Einsetzen knapper Güter zur Befriedigung von Bedürfnissen.

Also ist „Öffentliche Finanzwirtschaft“ die Lehre davon, wie der Staat sein Geld beschafft, verwaltet und verwendet, um die Bedürfnisse der Allgemeinheit zu befriedigen.

Die öffentliche Finanzwirtschaft ist die finanzielle Grundlage des Verwaltungshandelns. In den Ländern mit freiheitlich-demokratischer Grundordnung der selbstständige verfassungsrechtliche Funktionsbereich des Staates und der ihm eingegliederten Träger öffentlicher Verwaltung, der unter Beachtung gesamtwirtschaftlicher Zwecke auf die Erzielung von Einnahmen zur Deckung des durch die Erfüllung öffentlicher Aufgaben entstehenden Finanzbedarfs gerichtet ist und diese Ausgabenwirtschaft einschließlich der Prüfung aller relevanten Finanzvorgänge hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit umfasst.[1]

Der Staat wirtschaftet nicht mit dem Ziel der Überschusserzielung oder Kapitalvermehrung. Er soll vielmehr

  • ein transparentes und nachvollziehbares Bild seiner Finanzwirtschaft vermitteln (Transparenzfunktion),

  • im Innenverhältnis seiner Staatsgewalten sicherstellen, dass die Legislative das Handeln der Exekutive steuert (Steuerungsfunktion, Budgethoheit),

  • den Bedarf an öffentlichen Gütern und Dienstleistungen befriedigen (Bedarfsdeckungsfunktion),

  • seine Finanzwirtschaft konjunkturgerecht gestalten (gesamtwirtschaftliche/konjunkturpolitische Funktion),

  • die Umverteilung von Einkommen oder Vermögen durch seine Geldbeschaffung und -verwendung sozialadäquat gestalten (sozialpolitische Funktion),

  • die politischen Schwerpunkte entsprechend der Mehrheitsverhältnisse abbilden (regierungspolitische Funktion, „Regierungsprogramm in Zahlen“) und

  • eine für zukünftige Generationen tragfähige staatliche Vermögensstruktur sicherstellen (Nachhaltigkeitsfunktion).

Die öffentliche Finanzwirtschaft kann als Wissenschaftsobjekt unterschiedlicher Disziplinen betrachtet werden. Besonderes Interesse findet sie dabei in den Rechts-, Wirtschafts- und übrigen Gesellschaftswissenschaften.

Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Staatsfinanzen (Staatsquote 2020: 51,3%[2]) rückt sie in den Fokus der Volkswirtschaftslehre; Finanztheorie und Finanzwissenschaft entwickeln bzw. untersuchen Modelle zu den Auswirkungen der öffentlichen Finanzwirtschaft auf die gesamte Volkswirtschaft.[3]

Betriebswirtschafts- und Organisationslehre betrachten die staatlichen Stellen als einzelwirtschaftliche Akteure; sie liefern Modelle und Untersuchungsmethoden etwa zur Aufbau- und Ablauforganisation, zu Kostenrechnung und Controlling.

Beschaffung, Verwaltung und Verwendung der Staatsfinanzen unterliegen Vorschriften. Verfassungen von Bund und Ländern bilden die Grundlage, auf der einfachgesetzliche Regelungen und zuletzt Verwaltungsvorschriften aufbauen. Inter- und supranationale Regelungen betten die Staatsfinanzen und -beziehungen ein. Das macht die öffentliche Finanzwirtschaft zum Betrachtungsobjekt des Völker-, des Staats- und Verfassungsrechts, des Verwaltungs- und des Privatrechts (z.B. Sonderprivatrecht des Staates).

In Politikwissenschaft (insbesondere im Bereich der Finanzpolitik), Geschichtswissenschaft und den übrigen Sozialwissenschaften zieht man Staatsfinanzen als Datenquellen heran oder stellt sie in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Fragestellungen.

1.2Träger der Öffentlichen Finanzwirtschaft

Die Grenzen zwischen öffentlicher und privater Finanzwirtschaft verlaufen nicht immer entlang klarer Linien. So kann man die Zuordnung anhand der rechtlichen Stellung der betrachteten Institution oder Stelle vornehmen, anhand ihrer Finanzierung oder anhand ihrer wahrzunehmenden Aufgaben.

1.2.1Abgrenzung nach Rechtsstellung

Die Zuordnung der Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden), ihrer Verbände und der übrigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts (rechtlich selbständige Anstalten oder Stiftungen) fällt dabei leicht. Rechtlich selbständige Staatsunternehmen in privater Rechtsform (z.B. Aktiengesellschaften oder GmbH'en) oder staatliche Beteiligungen an solchen Unternehmen stellen uns aber schon vor Abgrenzungsprobleme.

Nach der Abgrenzung von Jellinek besteht ein Staat aus Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt.[4] Die Staatsgewalten in Deutschland werden grundsätzlich von den Gebietskörperschaften durch ihre Organe ausgeübt; bei der Exekutive spricht man dann von unmittelbarer Verwaltung.

Die Gebietskörperschaften dürfen durch Gesetz oder auf Grund von Gesetzen Nebenhaushalte für einzelne Aufgaben begründen; das sind Sondervermögen oder Eigenbetriebe.

Durch Hoheitsakt (also auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts) können rechtlich selbständige Einrichtungen (z.B. Verbände, Anstalten, Stiftungen des öffentlichen Rechts) gegründet und ihnen exekutive Befugnisse übertragen werden; das ist die mittelbare Verwaltung.

Aufgrund allgemeiner Gesetze kann jeder, also grundsätzlich auch der Staat, juristische Personen des privaten Rechts gründen. Dazu gehören eingetragene Vereine, Genossenschaften, privatrechtliche Stiftungen und die handelsrechtlichen Kapitalgesellschaften.

Privatrechtlichen juristischen Personen darf der Staat durch Hoheitsakt Aufgaben zwar übertragen. Die Ausübung hoheitlicher Gewalt ist davon aber ausgeschlossen, damit eine „Flucht ins Privatrecht“ und damit aus der Bindung an die Grundrechte nicht stattfindet.[5]

Rechtlich selbständige Körperschaften, die öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnehmen, aber nicht im staatlichen Eigentum stehen, werden als Parafiski (Einrichtungen „neben dem Fiskus“) oder intermediäre Finanzgewalten bezeichnet; dazu zählen z.B. Kammern, Träger der Sozialversicherungen und staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften.

Bei der Abgrenzung, ob es sich bei privatrechtlichen juristischen Personen um „den Staat“ handelt oder nicht, bestehen unterschiedliche Ansätze, zum Beispiel nach § 2 FPStatG („finanzstatistische Abgrenzung“) oder Nr. 1.35 ESVG 2010 („Abgrenzung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen“).

Für die öffentliche Auftragsvergabe bestimmt § 99 GWB wiederum eine eigenständige Definition der öffentlichen Auftraggeber.

Inter- und supranationale Einrichtungen und sonstige Völkerrechtssubjekte werden in diesen Abgrenzungen höchst unterschiedlich berücksichtigt.

1.2.2Abgrenzung nach Finanzierung

Die institutionelle Abgrenzung alleine fällt offensichtlich nicht immer leicht. Hilfreich kann der Blick auf die Finanzierung (also die Beschaffung der erforderlichen Finanzen) sein.

Wer kraft Gesetzes öffentliche Aufgaben zu erfüllen hat, muss über das dazu notwendige Geld verfügen können. Verschiedene Einnahmequellen ermöglichen das. Dazu gehören Einnahmen, die jeder erzielen kann, also auch der Staat, und solche, die nur Träger öffentlicher Gewalt, notfalls mit Zwang, erheben dürfen.

Der Staat kann also am Wirtschaftsleben teilnehmen. Man spricht bei dieser Art staatlicher Einnahmeerzielung auch von fiskalischen Hilfsgeschäften. Ihm sind durch Gesetz dabei Grenzen gesetzt, u.a. um eine Verdrängung der Privaten aus den Märkten („crowding out“) auszuschließen.

Durch Veräußerung, Nutzungsüberlassung oder Beleihung von Vermögen kann der Staat Einnahmen z.B. in Form von Verkaufserlösen, Mieten, Pachten oder Lizenzentgelten erhalten. Das kann sowohl internes Verwaltungsvermögen sein, das zu seiner Aufgabenerfüllung notwendig gewesen ist (z.B. nicht mehr benötigte technische Ausstattung), als auch externes Verwaltungsvermögen (im Sinne von Gemeingütern, die sich im staatlichen Eigentum befinden, z.B. Forste) oder auch Finanzvermögen in Form von Unternehmensanteilen, Forderungen oder anderen geldwerten Rechten.

Aus dem Finanzvermögen kann der Staat Rendite wie Zinsen, Dividenden oder auch andere Gewinnablieferungen als Einnahmen erzielen.

Zur Geldbeschaffung kann der Staat wie jedes Wirtschaftssubjekt Kredite aufnehmen. Dem steht vermögensseitig dann die Rückzahlungsverbindlichkeit gegenüber. Betriebswirtschaftlich würde man von Einzahlungen sprechen, aber nicht von Einnahmen.

Hoheitliche Einnahmen dürfen nur öffentlich-rechtliche Gemeinwesen erheben, wenn sie durch Gesetz dazu ermächtigt sind.

„Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft“ (§ 3 Abs. 1 AO).

Steuern bilden in Deutschland den mit Abstand größten Anteil der staatlichen Einnahmen ab; das spiegelt bereits das Grundgesetz wider, denn nur diesen Staatseinnahmen sind darin eigene Vorschriften zur Gesetzgebung, Verwaltung und Aufkommensverteilung gewidmet (siehe unten). Steuern sind grundsätzlich nicht an bestimmte Ausgabezwecke gebunden, sondern sollen den gesamten Finanzbedarf eines Gemeinwesens decken.

Steuern werden als finanzielle Lasten allen auferlegt, die den gesetzlichen Tatbestand erfüllen. Wenn eine besondere finanzielle Last für bestimmte Zwecke von einer bestimmten oder bestimmbaren Gruppe innerhalb der Gesellschaft getragen werden soll und diese Gruppe dem zu erfüllenden Zweck offensichtlich besonders nahestehen, ist die Auferlegung von Sonderabgaben zulässig. Sie dürfen aber nicht zur Deckung des allgemeinen staatlichen Finanzbedarfs erhoben werden.

Beiträge und Gebühren fasst man gelegentlich unter dem Begriff Vorzugslasten zusammen; sie sollen dazu dienen, die Finanzierung bestimmter „Vorzüge“ nicht der Allgemeinheit der Steuerzahlenden, sondern verursachungsgerecht denjenigen aufzuerlegen, die eine Einrichtung oder ein Gut in Anspruch nehmen.

Während Steuern keinen individuellen Anspruch auf Gegenleistung begründen, wird mit den Beiträgen ein potenzieller Gegenleistungsanspruch, z.B. ein Nutzungsanspruch, erworben. Die Zahlungspflicht besteht aber unabhängig davon, ob die Nutzung tatsächlich in Anspruch genommen wird oder wurde.

Abhängig von der konkreten Inanspruchnahme einer öffentlich-rechtlichen Leistung werden die Gebühren erhoben. Die Inanspruchnahme kann in der Nutzung einer Einrichtung, eines Gutes oder einer Dienstleistung bestehen. Gebühren sollen grundsätzlich so bemessen sein, dass sie die Kosten für die Gegenleistung decken (vgl. § 9 Abs. 1 BGebG).

Verwarn- und Bußgelder, Zwangsgelder, Geldstrafen und dergleichen (Ungehorsamsabgaben) dienen nicht in erster Linie der Einnahmeerzielung, sondern der Ahndung von Zuwiderhandlungen. Ähnlich den Beiträgen und Gebühren sind sie vom (in diesem Fall rechtswidrigen) Verhalten der Abgabenpflichtigen abhängig.

Durch das Prägenlassen von Scheidemünzen (deren Herstellungskosten überwiegend geringer sind als ihr Nennwert) erzielt der Staat monopolähnliche, öffentlich-rechtliche Einnahmen; er trägt zwar die Herstellungskosten und die Kosten für aus dem Verkehr gezogene Münzen, erhält aber nach § 7 MünzG den Nennbetrag der in Verkehr gebrachten Münzen gutgeschrieben; das gilt für Sammlermünzen i.S.d. § 2 MünzG entsprechend.

Umlagen, Finanzausgleiche oder sonstige Zuweisungen von einer öffentlichen Kasse zugunsten einer anderen sind keine originären Einnahmen. Sie stellen Vermögenstransfers zwischen den Trägern der öffentlichen Finanzwirtschaft dar und dienen zum Beispiel dem Ausgleich wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit oder der Unterstützung in Notlagen.

Abbildung 1:Staatseinnahmen im Überblick

1.3Die Finanzverfassung