Titel der Originalausgabe: Life Without Diabetes
ISBN der Originalausgabe: 978-1-78072-409-6
Copyright © Roy Taylor 2020
Verlag und Autor haben sich um eine geschlechtergerechte Sprache bemüht. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text meist die männliche Form gewählt; alle Angaben beziehen sich selbstverständlich auf Angehörige aller Geschlechter.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
VAK Verlags GmbH
Eschbachstraße 5
79199 Kirchzarten
Deutschland
www.vakverlag.de
© VAK Verlags GmbH, Kirchzarten bei Freiburg 2021
Übersetzung: Rotraud Oechsler
Lektorat: Nadine Britsch
Layout: Richard Kiefer
Rezeptfotos: Steven Joyce
Umschlag: Kathrin Steigerwald, Hamburg
Satz & Druck: Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg
Printed in Germany
ISBN: 978-3-86731-244-8 (Paperback)
ISBN: 978-3-95484-423-4 (ePub)
ISBN: 978-3-95484-425-8 (PDF)
Vorwort
VON PROF. SIR GEORGE ALBERTI
Eine persönliche Anmerkung
VON DAVE MYERS
Wie Sie dieses Buch nutzen können
Einführung
KAPITEL 1
Was ist Typ-2-Diabetes?
KAPITEL 2
Energie fürs Leben: Der duale Kraftstoff
KAPITEL 3
Wie Ihr Körper mit Nahrung umgeht
KAPITEL 4
Typ-2-Diabetes: Eine neue Art von Lebensmittelvergiftung
KAPITEL 5
Ein Krimi und die Twin-Cycle-Hypothese
KAPITEL 6
Die persönliche Fettschwelle
KAPITEL 7
Typ-2-Diabetes überwinden
KAPITEL 8
Das Leben genießen und Diabetes vermeiden
KAPITEL 9
Lassen Sie sich nicht täuschen
Rezepte
Anhang
Danksagungen
Bild- und Abdruckrechte
Literaturverzeichnis
Rezeptverzeichnis
Stimmen zum Buch
Über den Autor
Rezeptfotos
Hinweise des Verlags
Dieses Buch dient der Information über Möglichkeiten der Gesundheitsvorsorge. Wer sie anwendet, tut dies in eigener Verantwortung. Autor und Verlag beabsichtigen nicht, Diagnosen zu stellen oder Therapieempfehlungen zu geben. Die hier vorgestellten Vorgehensweisen sind nicht als Ersatz für professionelle Behandlung bei ernsthaften Beschwerden zu verstehen.
Dieses Buch ist all meinen Patienten und Studienteilnehmern gewidmet, von denen ich so viel lernen durfte.
Forschungsleiter am Imperial College London; ehemaliger Präsident der European Association for the Study of Diabetes and International Diabetes Federation
Diabetes vom Typ 2 ist weltweit verbreitet und hat damit pandemische Ausmaße angenommen. Im Jahr 1980 lagen unsere Schätzungen bei weniger als 100 Millionen Betroffenen – doch seither steigen die Zahlen Jahr für Jahr, sodass wir jetzt auf eine Anzahl von mehr als 450 Millionen und noch einmal so viele Menschen mit einem hohem Erkrankungsrisiko zusteuern. Keine Bevölkerungsgruppe bleibt davon verschont, doch die Zahlen in den Ländern des Nahen Ostens und unter Südasiaten sind besonders hoch. Woran liegt das? Der starke Anstieg wurde mit der in epidemischem Ausmaß um sich greifenden Zunahme von massivem Übergewicht und Fettleibigkeit (Adipositas), Bewegungsmangel und der Einführung „moderner“ Ernährungsgewohnheiten vor dem Hintergrund einer entsprechenden genetischen Veranlagung in Verbindung gebracht. Doch die genaue Ursache wurde bisher nicht gefunden. Als die WHO 1979 die Diabetes-Typen neu klassifizierte, wurde Typ-2-Diabetes allerdings durch eine Ausschlussdiagnose festgestellt: Wenn Diabetes vom Typ 1 und andere Typen mit bekannten Ursachen ausgeschlossen werden konnten, musste all das, was übrig blieb, zwangsläufig Diabetes vom Typ 2 sein. Die Prognose ging dahin, dass mit der Entdeckung der spezifischen Ursachen weniger Menschen in die Kategorie 2 fallen würden. Doch in den vergangenen 40 Jahren, so könnte man mit einem gewissen Zynismus behaupten, hat sich nicht allzu viel verändert. Es wurde massiv nach verantwortlichen Genen gefahndet – allerdings mit nur begrenztem Erfolg. Der Zusammenhang mit Übergewicht wurde allerdings unterstrichen, obwohl viele Menschen mit Typ-2-Diabetes gar nicht besonders übergewichtig sind. Ansonsten zeichnete sich insbesondere für die von der Krankheit betroffenen Menschen ein düsteres Bild ab. Man war auch der Meinung, dass es sich bei den meisten Betroffenen um eine unheilbare Krankheit handele.
Prof. Taylor stellt in seinem Buch eine optimistischere Situation dar. Durch die richtige Ernährungsweise und eine Gewichtsabnahme kann Diabetes bei vielen Menschen tatsächlich rückgängig gemacht werden. Das macht all jenen Betroffenen Mut, die es versucht haben, aber gescheitert sind, weil sie weder Unterstützung, noch die richtigen Ratschläge bekamen. Noch wichtiger ist, dass er die Schlüsselrolle von Fettablagerungen in Leber und Bauchspeicheldrüse identifiziert hat, die grundlegend für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes sind und wodurch seine Kennzeichen, die verminderte Insulinausschüttung und eine Insulinresistenz, erklärt werden können.
Dieses Buch ist für jeden geeignet und eingängig geschrieben. Die Funktionsweise des Stoffwechsels sowie die Bildung und Nutzung von Glukose – und wie all das im Falle von Typ-2-Diabetes aus dem Ruder laufen kann – werden ausgezeichnet dargestellt. Im weiteren Verlauf erfährt man, wie sich die Krankheit durch eine vernünftige Lebens- und Ernährungsweise steuern und tatsächlich rückgängig machen lässt. Das Buch liest sich ausgezeichnet und ist für alle Menschen geeignet, die sich dafür interessieren; es ist für Betroffene, deren Angehörige und auch für all jene, die wissen möchten, was mit der Nahrung im Körper passiert oder die selbst in einem Gesundheitsberuf tätig sind. Dieses Buch geht neue Wege und ist eine überzeugende und lehrreiche Lektüre.
Ich hatte das große Glück, Prof. Roy Taylor kennenzulernen, als ich 2012 die Serie The Hairy Dieters drehte. Es war ein Zusammentreffen, das weit mehr war als eine Fernsehshow über „zwei dicke Köche, die ein bisschen abspecken mussten“, und zu einer Verbindung wurde, die mein Leben veränderte. Sieben Jahre später bin ich fitter, als ich es seit Jahren gewesen war.
Prof. Taylor hat die Gabe, einem verständlich zu machen, was im Körper passiert und warum das so ist. Manchmal geht es knallhart, aber herzlich zur Sache, und man muss sich am Riemen reißen und seine schlechten Angewohnheiten in den Griff bekommen, um gesund zu werden. Und das vermittelt er mit echter Fürsorge und einer Begeisterung, die ansteckend ist.
Es ist ganz klar, dass Roy die Menschen versteht, und es geht, wie er selbst sagt, in der Medizin einfach nur darum, dass man den Menschen zuhört. Er hörte uns zu, zwei Menschen, die abseits der Kameras Hilfe brauchten. Roy ist Experte auf diesem Gebiet, und das Forschungszentrum, das er in Newcastle aufgebaut hat, ist großartig. Doch noch beeindruckender sind seine Mitarbeiter – was für eine tolle Truppe. Ihre Forschung hat das Verständnis von Diabetes vollkommen auf den Kopf gestellt und vielen Menschen ermöglicht, wieder gesund zu werden. In diesem Buch geht es darum, wie Ihr Körper mit seiner Nahrung umgeht und wie es zu einem Diabetes vom Typ 2 kommen kann. Es gibt keine Patentlösungen, nur Hilfe, die auf fundierter Wissenschaft und ebensolcher Kompetenz beruht.
Der erste Rat, den Roy mir gab, war folgender: Für eine langfristige Gesundheit sollten wir wieder die Hosen tragen können, die uns mit 21 Jahren passten. Er bewies uns, dass er sich auch selbst an das hielt, was er predigte, als wir mit ihm am Strand von Tynemouth tanzten und er seine kanariengelbe Schlaghose aus Cordsamt trug! Zurück zur Bundweite meiner Jugend von 86 cm habe ich es nie ganz geschafft, aber es ist mir gelungen, auf 91 cm zu kommen – was bei einem Ausgangswert von 124 cm etwa drei Monate zuvor nicht schlecht ist. Der größte Nutzen für mich aber war, einmal abgesehen von den viel cooleren Jeans, dass ich wieder gesund wurde.
Als ich Roy 2012 kennenlernte, hatte ich Typ-2-Diabetes – mit hohen Blutzuckerwerten – und nahm Medikamente, um das Ganze unter Kontrolle zu halten. Roy zeigte mir einen anderen Weg. Jetzt hat sich mein Blutzuckerspiegel normalisiert und der Diabetes gehört der Vergangenheit an. Ich werde alle sechs Monate untersucht, und die Ergebnisse sind unauffällig. Das bedeutet, ich bin all den schlimmen Folgen eines Typ-2-Diabetes entkommen, der zu Schmerzen, Blindheit und einer Amputation führen kann.
Dieses Buch liest sich wie eine Abenteuergeschichte; es ist eine faszinierende Entdeckungsreise. Außerdem ist es gespickt mit Erkenntnissen und wertvollen Informationen. Ich möchte Ihnen keine falschen Hoffnungen machen, doch es enthält alles, was Sie wissen müssen, um Ihren eigenen Typ-2-Diabetes zu überwinden. Das letzte Kapitel deckt einige der Mythen und Missverständnisse auf, die sich um gesunde Ernährung ranken und endlose Verwirrung stiften.
Dank Prof. Roy Taylor habe ich heute keinen Typ-2-Diabetes mehr und in den letzten sieben Jahren habe ich auch keine Tabletten mehr genommen.
Dieses Buch könnte auch für Sie eine glückliche Fügung bedeuten.
Bleiben Sie gesund.
* Dave Myers ist ein britischer Fernsehmoderator, der zusammen mit Simon King als „Hairy Bikers“ bekannt ist. Die beiden passionierten Motorradfahrer präsentieren eine beliebte Koch-Show im britischen Fernsehen und sind auch Autoren eines Kochbuchs.
Manche Bücher muss man von der ersten bis zur letzten Seite lesen, in anderen kann man schmökern oder sie in Teilen genießen. Menschen, die an Typ-2-Diabetes leiden und ihn schnellstmöglich überwinden wollen, können eventuell mit Kapitel 7 beginnen. All jene, die sich dafür interessieren, wie der Körper normalerweise mit Nahrung verfährt und was dabei schiefgehen kann, sodass das Stoffwechselchaos eines Typ-2-Diabetes entsteht, befassen sich zuerst mit den Kapiteln 1 bis 6. Wer wenig Zeit hat, kann auch in wenigen Minuten die Kernaussagen des Buches am Ende der einzelnen Kapitel durchlesen, um sich einen raschen Überblick zu verschaffen, und vielleicht noch die Abbildungen ansehen.
Doch wenn Sie die Geschichte eines wissenschaftlichen Abenteuers lesen und verstehen wollen, wie Ihr Körper mit der Nahrung umgeht, dann ist die Lewis-Carroll-Methode für Sie die richtige: Fangen Sie vorne an, lesen Sie das Buch zu Ende und hören Sie dann auf.
Das Buch versorgt Sie mit Informationen, nicht mit persönlichen medizinischen Ratschlägen. Wenn Sie wegen Ihres Diabetes bereits in Behandlung sind, sprechen Sie bitte mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt, bevor Sie Veränderungen vornehmen.
Sieben Tage? Nur sieben Tage, um das Monster zur Strecke zu bringen?
Seit Jahrhunderten betrachten Ärzte Typ-2-Diabetes als Krankheit, die Betroffene lebenslang begleitet. Eine Krankheit, die großes Leid verursachen kann – sie bedroht das Augenlicht, die Gliedmaßen sowie das Herz – und eine, die sich immer weiter verschlimmert, immer mehr Tabletten erfordert und schließlich Insulin notwendig macht. In dem Augenblick, wenn Ihr Arzt Ihnen sagt, „Sie haben Diabetes“, verändert sich Ihr Leben. Da fällt der Hammer. Ihre Gesundheit scheint plötzlich sehr zerbrechlich zu sein. Die Zukunft ist ungewiss.
Doch dann entdeckte ich auf dieser einen Seite den möglichen Durchbruch – das letzte Stück eines Puzzles, das Diabetes vom Typ 2 einfach und umkehrbar aussehen ließ. Es war das Jahr 2006, und ich saß genau da, wo ich jetzt auch sitze, an meinem Schreibtisch. Wissenschaftliche Zeitschriften zu lesen und mich über die neuesten Informationen zu Diabetes auf dem Laufenden zu halten, gehört zu meiner Arbeit, und gerade hatte ich in einer der führenden Diabetes-Publikationen umgeblättert. Von dem Diagramm auf dieser Seite war ich wie vor den Kopf geschlagen.
Es zeigte, was bei Typ-2-Diabetikern in den Tagen unmittelbar nach einer Adipositas-Operation mit dem Blutzucker geschah: Die Kurve stürzte von dem üblichen hohen Wert am Tag vor der Operation bis zum Tag 7 nach der OP auf einen absoluten Normalwert ab. Normale Blutzuckerwerte? In sieben Tagen? Das war bisher noch nie beobachtet worden; mit keiner anderen Behandlung konnte diese spektakuläre Normalisierung erreicht werden. Die gesamte Forschung der letzten paar Jahrzehnte schien sich plötzlich zusammenzufügen. Konnte das wirklich stimmen?
Tatsächlich beginnt diese Geschichte aber schon 1970, als ich, damals noch Medizinstudent an der Edinburgh Medical School, eine Vorlesungsreihe von Prof. Reginald Passmore besuchte, in der er die Physiologie in einer Reihe von logischen Gedanken erklärte. Physiologie ist die Lehre von den Lebensvorgängen im Körper, von unserem Stoffwechsel. Ich habe noch immer seine hochgewachsene, schlanke, grauhaarige Gestalt vor Augen, als er seine klaren Argumentationsketten vortrug – immer gewürzt mit etwas trockenem Humor. Ich war fasziniert, als er demonstrierte, dass allgemein akzeptiertes „Wissen“ durch klares Denken und mithilfe fundierter Informationen darüber, wie etwas funktionierte, hinterfragt werden konnte. Wie sicher oder unsicher konnten wir uns bezüglich allgemein geltender Überzeugungen sein? Das war spannend. Plötzlich konnten „Fakten“ lediglich als Verknüpfungen von schwankender Verlässlichkeit betrachtet werden. Alles konnte und sollte vor dem Hintergrund neuer Informationen nochmals überprüft werden. Schließlich schien Newton mit seinen Gesetzen zu Bewegung und Schwerkraft ab dem 17. Jahrhundert unwiderlegbar Recht zu haben, doch Einstein wies nach, dass sie nicht ganz korrekt waren. Nach aktuellem Wissensstand aber lag wiederum auch Einstein nicht ganz richtig – subatomare Teilchen halten sich nicht an die Relativitätstheorie.
Passmore jedoch wird mit seiner Lehre unangefochten Recht behalten: Wissen sollte kontinuierlich überprüft werden, insbesondere, wenn es darum geht, medizinische Entscheidungen zu unterstützen, bei denen der allgemein anerkannte Bezugsrahmen von „Fakten“ offen für einen wiederholten prüfenden Blick bleiben muss, wenn sich neue Ansätze herauskristallisieren.
Einige Jahre später, als Berufsanfänger, begann es mich zu faszinieren, wie alle Hormone im Körper zusammenarbeiten, um unsere Gesundheit zu steuern. Insbesondere faszinierte mich jedoch, dass das Hormon Insulin bei Menschen mit Typ-2-Diabetes nicht richtig funktioniert. Ein paar Jahre lang versuchte ich den Zusammenhang zwischen Insulin und Diabetes zu verstehen. Während dieser Zeit arbeitete ich weiterhin hauptsächlich als Arzt in der Notaufnahme, spezialisierte mich jedoch immer mehr auf Diabetes.
Im Jahr 2006 hatte ich als Teil eines millionenschweren Forschungsprojekts an der Newcastle University gerade hervorragende Physiker mit hochmodernen bildgebenden Geräten an einen Tisch gebracht, um das Newcastle Magnetic Resonance Center, ein Zentrum für Kernspintomografie, zu gründen. Der Gedanke war, neue Techniken zu entwickeln, um jedes einzelne Körperorgan anschauen zu können, doch mich interessierte natürlich vor allem die Untersuchung jener Organe, die hauptsächlich an Diabetes beteiligt waren. Und nicht lange nach der Eröffnung des Zentrums hatte ich besagtes Aha-Erlebnis – die Grafik mit ihrem neuen Konzept, dass ein hoher Blutzuckerspiegel bei Typ-2-Diabetikern in nur sieben Tagen auf den Normalwert gesenkt werden konnte. Wie es der Zufall so will, waren wir perfekt darauf vorbereitet, um die in diesem Buch beschriebenen bahnbrechenden Studien durchzuführen.
Im Jahr 2011 waren wir dann in der Lage, den wissenschaftlichen Nachweis zu veröffentlichen, dass Diabetes vom Typ 2 reversibel ist, und innerhalb von fünf weiteren Jahren konnten wir auch das „Wie“ und „Warum“ eines Vorgangs bestätigen, der bislang als unmöglich galt. Sowohl der Anfangsbeweis als auch die Nachfolgestudien beruhten auf der faszinierenden Geschichte, wie der Körper mit der Energie umgeht, die ihm über die Ernährung zugeführt wird.
Sie erinnern sich sicher bruchstückhaft an Ihren Biologieunterricht in der Schule: Das Herz pumpt Blut durch den Körper, und die Lunge ermöglicht die Aufnahme von Sauerstoff sowie die Abgabe von Kohlendioxid. Doch es gibt eine dynamische Funktion, die der absolute Schlüssel zur Erhaltung eines gesunden Körpers ist, und von der die meisten Menschen überhaupt nichts wissen: Was geschieht mit der Nahrung, wenn sie den Darm verlässt, wenn sie also aus dem Dünndarm resorbiert wird? Wie läuft die Energieversorgung ab? All das werde ich im Folgenden erklären.
Wenn Sie fragen, was Typ-2-Diabetes ist, wird man Ihnen wahrscheinlich antworten, dass die Krankheit etwas mit zu viel Zucker zu tun habe. Es stimmt, dass es zu Diabetes kommt, wenn sich über längere Zeit übermäßig viel Glukose im Blut befindet – mit verheerenden Auswirkungen auf Augen, Füße, Herz und Gehirn. Meine Forschungen haben jedoch ergeben, dass Diabetes vom Typ 2 tatsächlich nur durch einen Faktor verursacht wird, nämlich durch zu viel Fett in der Leber und in der Bauchspeicheldrüse. Funktioniert der Körper normal, bildet die Bauchspeicheldrüse Insulin, um die Leber bei der Überwachung der Glukoseversorgung des ganzen Körpers zu unterstützen. Befindet sich jedoch übermäßig viel Fett in der Leber, spricht diese schlecht auf Insulin an, bildet zu viel Glukose und reicht übermäßiges Fett an die Bauchspeicheldrüse weiter. Infolgedessen stellen die Insulin produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse ihre ordnungsgemäße Funktion ein.
Wichtig zu erwähnen ist, dass Sie nicht fettleibig sein oder auch nur übergewichtig aussehen müssen, um von Typ-2-Diabetes betroffen zu sein. Jeder Einzelne hat seine „persönliche Fettschwelle“ – das ist der Punkt, an dem die Aufnahmekapazität der normalen Fettzellen (in der Fettschicht unter der Haut, insbesondere um die Oberschenkel und am Rumpf) erreicht ist. Das überschüssige Fett muss aber irgendwohin und landet dann nicht nur in der Bauchhöhle, sondern auch in den Hauptorganen des Körpers. Sind die Insulin ausschüttenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse anfällig für fettbedingte Probleme, ist nun der Punkt erreicht, an dem das Geschehen in Richtung Diabetes kippt. Diese Anfälligkeit ist allerdings dem Zufall geschuldet und hängt von Ihren Genen ab.
Ich verfolge mit diesem Buch das Ziel, allen Menschen das neue Verständnis von Typ-2-Diabetes zugänglich zu machen. Und ich möchte gleichzeitig allen Betroffenen und ihren Familien zu helfen, so effektiv wie möglich damit umzugehen. Ich zeige Ihnen genau, wie sich ein Diabetes vom Typ 2 entwickelt, und ich stütze mich dabei auf die neuesten experimentellen Erkenntnisse. Dabei erkläre ich Ihnen auch die Arbeitsweise Ihres Körpers, damit Sie erkennen, wie unser moderner Lebensstil in die wunderbar ausgeglichenen Prozesse eingreift, die sich über die Jahrtausende entwickelt haben.
Es gibt eine überraschend einfache Lösung. Eine, zu der ausdrücklich die Gewichtsabnahme gehört, wobei es sich aber nicht wirklich um eine Diät im klassischen Sinne handelt. Das Wort allein reicht schon aus, um jeden abzuschrecken, denn „Diät“ wird tendenziell mit einer ungenießbaren Ernährungsumstellung und (meist) einem Scheitern der gewünschten Gewichtsveränderung in Verbindung gebracht. Unsere ursprüngliche Herangehensweise an diese Probleme in Newcastle machte uns klar, dass zwei sehr unterschiedliche Phasen für den Erfolg nötig waren: Zuerst eine deutliche Veränderung beim Gewicht und dann eine langfristige Veränderung des Lebensstils. In unserer allerersten Studie erfuhren wir auch, dass eine zusätzliche Phase, ein allmählicher, gelenkter Übergang zwischen diesen beiden Phasen, hilfreich war.
Anfangs hatte ich die Idee, diese Methode zum Abnehmen einfach als Forschungsinstrument zu nutzen, damit wir die Veränderungen untersuchen konnten, zu denen es kam, wenn Diabetiker potenziell wieder zu einem Normalzustand zurückkehrten. Es ging um eine Möglichkeit, die Ursache von Typ-2-Diabetes nachzuvollziehen. Tatsächlich erwies sich diese pragmatische Art abzunehmen, die hauptsächlich auf handelsüblicher Formula-Ernährung beruhte, als höchst effektiv. Und überraschenderweise fanden unsere freiwilligen Probanden den Ansatz tatsächlich annehmbar und bei Weitem nicht so schwierig, wie sie sich das vorgestellt hatten. Die meisten von ihnen nahmen in acht Wochen 15 kg ab und fühlten sich wirklich wohl. Bevor wir uns versahen, entwickelte die „Newcastle-Diät“, wie sie von den Teilnehmern spontan genannt wurde, ein Eigenleben. Sie ist also ein Grundrezept für den Erfolg – für alle Betroffenen, die ihren Typ-2-Diabetes endgültig überwinden möchten.
Ich hoffe, diesem Buch gelingt es, Typ-2-Diabetiker darüber aufzuklären, wie sie wieder vollständig gesund werden können. Ich stelle auch praktische und gesicherte Ratschläge vor, wie sich das Leben genießen lässt, ohne einen Rückfall zu erleiden. Ich möchte, dass alle Leserinnen und Leser nach der Lektüre verstehen, wie der Körper mit der zugeführten Nahrung umgeht, und was im Falle einer, wie wir jetzt wissen, relativ einfachen Krankheit schiefgeht und was zu tun ist, um ihren Fängen zu entkommen.
Diabetes ist eine Krankheit, die schleichend wichtige Körpersysteme angreift – ohne Vorwarnung.
Der Prozess zieht sich über viele Jahre, und während dieser Zeit können sich die Betroffenen vollkommen gesund fühlen. Doch heimlich, still und leise sorgt ein hoher Blutzuckerspiegel für zahlreiche Probleme und schwerwiegende Folgen, die dann oft plötzlich in Erscheinung treten, sodass es schwierig ist, wieder ganz gesund zu werden. Ärzte bezeichnen diese Folgen als „Komplikationen“ von Diabetes, ein höflicher Begriff, der in keiner Weise ausdrückt, wie furchtbar das für die Betroffenen ist. Wenn Sie jedoch wissen, dass sich eine Schlange im Gras verbirgt und sie sehr giftig ist, dann können Sie selbst die Gefahr verringern, gebissen zu werden.
Die gute Nachricht vorneweg: Das Risiko, dass es zu diesen langfristigen Folgen kommt, kann gesenkt werden, indem Sie Ihren Blutzuckerspiegel so gut wie möglich unter Kontrolle halten. Und es gibt sogar eine noch bessere Nachricht: Wenn der Glukosewert in den Normbereich zurückkehrt, ist die Gefahr von Schäden an Augen, Nerven, Füßen, Nieren, Herz und Gehirn wieder genauso groß oder klein, wie sie bei Nichtdiabetikern in ähnlichem Alter und mit ähnlichem Gewicht ist. Aus Sicht des Menschen, der in einen Gewehrlauf schaut, kommt das einem Wunder gleich. Dieses Wunder zu erklären, ist das Hauptanliegen dieses Buches.
„Diabetes“ bedeutet einfach nur, dass der Zuckerspiegel im Blut zu hoch ist.
Doch was genau ist Zucker? Der Begriff schließt jede süße, einfache Form von Kohlenhydraten ein. Der Zucker in Ihrem Blut ist eine besondere Form, die als Glukose bezeichnet wird. Gewöhnlicher Haushaltszucker besteht aus zwei chemisch aneinander gebundenen Zuckerarten. Die eine Hälfte ist Glukose, die andere ist Fruktose (ein sehr ähnlicher Zucker, der üblicherweise in Obst vorkommt und auch Fruchtzucker genannt wird; Anm. d. Übers.). Doch die Art des Zuckers spielt keine Rolle, da Ihr Körper Fruktose bei Bedarf in Glukose umwandelt. Glukose ist die Grundform des Zuckers, den Ihr Körper als Energielieferant nutzt.
Bei gesunden Menschen unterliegt der Blutzuckerspiegel einer sehr engmaschigen Kontrolle. Über Nacht findet sie im Minutentakt statt, um ihn konstant zu halten. Selbst nach einem Festmahl ist der Blutzuckeranstieg ziemlich gering. Das liegt daran, dass der Insulinspiegel im Blut, des wichtigsten Hormons, das den Blutzucker kontrolliert, stark und rasch ansteigt. Bricht dieser Mechanismus jedoch zusammen, steigt der Blutzuckerspiegel nach dem Essen zu stark an.
Spielt das also eine Rolle? Zucker sieht doch so harmlos aus, wie er da in seiner Zuckerschale liegt, heute so omnipräsent in unserem Leben ist, und man es sich nur schwer vorstellen kann, dass er einmal ein Luxusgut und zusammen mit dem Honig aus den Klöstern die einzige Möglichkeit war, um Nahrungsmittel zusätzlich zu süßen. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Zucker fast allem hinzugefügt wird. Und ja, es spielt eine Rolle, denn wenn der Glukosespiegel im Blut zu sehr ansteigt, treten Probleme im ganzen Körper auf.
In diesem Buch dreht sich alles um Diabetes vom Typ 2, die bei Weitem häufigste Form der Zuckerkrankheit. Die anderen Typen haben jeweils andere Ursachen (im Anhang finden Sie nähere Einzelheiten hierzu), doch alle Formen führen zu einem hohen Blutzuckerspiegel und können ähnliche Langzeitkomplikationen verursachen. Es ist nicht einfach, mit Sicherheit zu sagen, dass jemand einen ganz bestimmten Typ von Diabetes hat, und damit die anderen auszuschließen. Doch rund 90 Prozent der Menschen, bei denen ein hoher Blutzuckerspiegel festgestellt wird, leiden unter Typ-2-Diabetes. Und wenn Sie als erwachsener Mensch zugenommen haben, älter als 30 Jahre sind und einen hohen Blutzuckerspiegel haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Sie eher von Typ-2-Diabetes als von einem der anderen Typen betroffen sind.
Doch es gibt keinen Test, der diese Diagnose definitiv bestätigen kann, und so können die anderen Diabetes-Typen manchmal fälschlicherweise für Typ 2 gehalten werden. Ihr Arzt kann prüfen, ob auch einer der anderen Typen die richtige Diagnose sein könnte.
Wenn Sie selbst Typ-2-Diabetiker sind oder ein Angehöriger betroffen ist, dann haben Sie wahrscheinlich eine Menge Fragen. Was bedeutet das für mich? Ist es die schwerwiegende Form? Wie kann ich meinen Blutzuckerspiegel unter Kontrolle halten? Werfen wir einen Blick auf diese Dinge und einige andere zentrale Probleme, die sich um die Krankheit ranken.
Sobald wir den ersten Bissen einer Mahlzeit geschluckt haben, wird er im Magen abgebaut und die darin enthaltene Glukose wird rasch ins Blut abgegeben. Aus einer durchschnittlich großen Portion Nudeln mit Gemüse werden zum Beispiel im Zuge der Verdauung etwa 30 Teelöffel Zucker freigesetzt. Auf diese plötzliche Glukoselawine reagiert der Körper normalerweise mit einer schnellen Erhöhung des Insulinspiegels. Und wird die richtige Menge Insulin gebildet, ist der Blutzuckerspiegel rasch wieder unter Kontrolle. Geschieht dies jedoch nicht, steigt er massiv an.
Die Bauchspeicheldrüse (fachsprachlich Pankreas) – genauer gesagt, die Betazellen in der Bauchspeicheldrüse – sollten dieses Insulin liefern, doch wenn sie nicht richtig arbeiten oder in irgendeiner Weise beeinträchtigt sind, können sie nicht rechtzeitig genügend Insulin bilden, und es kommt zu Diabetes. Zu allem Übel reagiert der Körper bei einem Diabetes vom Typ 2 auch nicht mehr besonders gut auf das angebotene Insulin, um welche Menge es sich auch immer handelt. Und auch wenn der Insulinspiegel zwar langsam, aber stetig ansteigt, kann er seine Funktion nicht erfüllen. Und so klettert der Blutzuckerspiegel nach den Mahlzeiten immer weiter in die Höhe – und braucht dann Stunden, um wieder abzusinken.
Wenn Sie Diabetiker sind, können Sie sich vielleicht nicht erklären, warum Ihr Blutzucker schon am Morgen so hoch ist, obwohl Sie doch nachts – für 12 Stunden oder noch länger – gar nichts gegessen haben. Manchmal ist der morgendliche Nüchternblutzucker sogar höher als der Wert am Abend zuvor. Was ist da los? Sie sind doch ganz sicher nicht schlafwandelnd zum Kühlschrank gegangen, oder?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zuerst verstehen, wie akkurat der Nüchternblutzucker normalerweise überwacht wird. Unmittelbar am Morgen stammt keines der Glukosemoleküle in Ihrem Blut direkt aus der Nahrung. An die letzte Mahlzeit erinnert sich der Stoffwechsel nur noch entfernt. Tatsächlich wurde der gesamte Blutzucker von Ihrem eigenen Körper gebildet, von Ihrer Leber. Warum bloß stellt Ihr Körper dieses Gift her? Nun, weil ein konstanter Blutzuckerspiegel lebensnotwendig ist (wir werden uns in Kapitel 3 und 4 eingehender damit befassen). Wir brauchen den Blutzucker als Energielieferanten für das Gehirn und als potenzielle sofortige Energiequelle für die Muskeln – sodass wir allzeit bereit zum Handeln sind, selbst wenn wir plötzlich geweckt werden und vor einer Gefahr fliehen müssen. Das Schlüsselwort ist „konstant“: Glukose gelangt leicht aus dem Blutstrom in die Körpergewebe, und weil Glukose giftig sein kann, wird ihre Bildung normalerweise streng reguliert. Bei Typ-2-Diabetes ist diese Regulierung verlorengegangen und Ihre Leber bildet Glukose im Übermaß.
Die Aussichten, die in den offiziellen Richtlinien für die Behandlung eines Diabetes vom Typ 2 geboten werden, sind deprimierend: Eine ständig steigende Anzahl von Tabletten, dann Injektionen, danach die Behandlung mit Insulin. Erhalten Betroffene die Diagnose Typ-2-Diabetes, stehen ihre Chancen 50:50, dass sie innerhalb von 10 Jahren insulinpflichtig werden.
Direkt nach der Diagnose wird dem Diabetiker dann gesagt, dass er abnehmen und mehr Sport treiben solle. Allzu oft wird diese wichtige Botschaft jedoch nur heruntergebetet, ohne den Betroffenen von der tatsächlichen Wirksamkeit zu überzeugen oder ihm hilfreiche Informationen zu geben, wie er all das umsetzen kann. Der Diätplan, den die Patienten in die Hand gedrückt bekommen, ist erst einmal nur ein Stück Papier. Allzu oft besteht der nächste Schritt nämlich in der Verschreibung von Metformin, eines Medikamentes, das den Blutzuckerspiegel niedrig halten soll. Metformin ist billig, die Tabletten sind groß und entsprechend schwer zu schlucken, und es hat „Nebenwirkungen“.
„Nebenwirkungen“ ist eine wunderbare medizinische Beschönigung für Dinge, die dem Patienten Schwierigkeiten bereiten, nicht aber dem Arzt. Was den Arzt angeht, so ist es nur wichtig, dass die verordneten Tabletten die gewünschte Wirkung haben – in diesem Fall sollen sie den Blutzucker unter Kontrolle halten. Wirkungen, die „nebenbei“ auftreten, sind dann eben einfach in Kauf zu nehmen. „Aber Herr Doktor, ich kann gar nicht mehr aus dem Haus gehen, weil ich Angst habe, dass ich ganz schnell zur Toilette muss.“ (Metformin verursacht häufig Durchfall; Anm. d. Übers.) Vielleicht sollten wir also unsere Wortwahl revidieren und von der Gesamtwirkung eines Medikaments sprechen – schließlich sind Sie selbst der beste Experte hinsichtlich dessen, was mit Ihrem Körper geschieht.
Etwas Positives hat Metformin dennoch, denn es verursacht keine weitere Gewichtszunahme. Ebenfalls hervorzuheben ist, dass es den Blutzuckerspiegel nur senkt, wenn er hoch ist, und es keine lästigen Unterzuckerungen verursacht. Vom medizinischen Standpunkt ist es also für die meisten Menschen ein relativ sicheres Medikament.
Doch die Wirkungsdauer von Metformin auf den Blutzuckerspiegel verliert sich mit der Zeit, und bald schon ist ein zusätzliches Präparat erforderlich. Die preisgünstigeren Wirkstoff-Alternativen wie Glicalzid, Glibenclamid und Gliquidon führen allesamt zu einer Gewichtszunahme sowie einer plötzlichen Benommenheit, wenn der Glukosespiegel zu weit absinkt (es also zu einer Unterzuckerung kommt). Teurere Wirkstoffe (z. B. Pioglitazon) verursachen keine Unterzuckerung, lassen aber das Gewicht ansteigen und können zu Knöchelschwellungen führen. Die teuersten neueren Alternativen (Gliptine oder Gliflozine) verursachen weder eine Gewichtszunahme noch eine Unterzuckerung, haben aber andere Nebenwirkungen. Es gibt viele gute Gründe, warum Menschen nur ungern Tabletten nehmen möchten.
Wenn Sie zwei oder drei verschiedene Präparate nehmen, Ihr Blutzuckerspiegel aber noch immer nicht stabil ist, kann eventuell eine Injektionsbehandlung empfohlen werden. Liraglutid und ähnliche Medikamente unterscheiden sich in ihrer Wirkung erheblich von Insulin. (Liraglutid ist als Victoza gegen Typ-2-Diabetes und als Saxenda zur Gewichtsreduktion bei Adipositas und Übergewicht auf dem Markt; Anm. d. Übers.) Im Wesentlichen verlangsamen diese Medikamente die Geschwindigkeit der Magenentleerung nach einer Mahlzeit massiv und verhindern so, dass die Nahrung, insbesondere der Zucker, zu schnell ins Blut gelangt. Sie begrenzen auch die Nahrungsmenge, die Sie zu sich nehmen können, da das Sättigungsgefühl früher einsetzt – eine wirklich nützliche Wirkung. Manche Patienten müssen sich auch übergeben oder leiden unter Übelkeit zu Beginn der Behandlung – aber machen Sie sich keine Sorgen, es ist schließlich „nur“ eine Nebenwirkung!
Und dann gibt es ja noch Insulin. Bei vielen Menschen kann Insulin die Kontrolle des Blutzuckerspiegels zwar leicht verbessern, aber der Teufel steckt im Detail einer speziellen Nebenwirkung – den Unterzuckerungen. Es kann passieren, dass der Glukosespiegel völlig unvorhersehbar zu stark gesenkt wird. Dadurch kann es zu allen möglichen Problemen im Alltag kommen, zum Beispiel am Steuer, auf einer Leiter oder bei Küchenarbeiten. Die Folgen im Straßenverkehr sind schwerwiegend, und wenn Sie zum ersten Mal Insulin verordnet bekommen, muss Ihr Führerschein in Großbritannien beispielsweise alle drei Jahre erneuert werden. Zudem nehmen die meisten Menschen unter Insulin zu.
„Behandlung“ ist ein weiterer Begriff, der unterschiedlich interpretiert werden kann. Fragt ein Patient: „Ist mein Diabetes behandelbar?“, dann will er in der Regel wissen, ob die Behandlung seine Gesundheit und damit die Normalität wiederherstellen kann, wie es mit Antibiotika bei einer Infektion oder einem Gips bei einem Knochenbruch der Fall ist. Doch viele Ärzte hören aus dieser Frage heraus: „Gibt es Leitlinien für eine medikamentöse Behandlung dieser Krankheit?“ – und bejahen das. Es gibt nämlich viele offizielle medizinische Leitlinien. Doch weder von der geringen Wirkung zur Verbesserung der Krankheit, noch von der wahrscheinlichen Litanei an voraussichtlichen gesundheitlichen Probleme ist großartig die Rede.
Die gute Nachricht, dass Typ-2-Diabetes „behandelt“ werden kann, übermittelt vielen Menschen eine irrige Botschaft und erzeugt ein falsches Sicherheitsgefühl. Das wird durch die Tendenz wohlmeinender offizieller Informationsportale verschlimmert, die die reale Krankheitssituation beschönigen und betonen, das Leben könne trotzdem ziemlich normal weitergehen wie bisher. Die unbequeme Wahrheit jedoch wird verschwiegen – dass die Hauptkomplikationen nur leicht gemildert werden und selbst die beste konventionelle Behandlung das erhebliche Risiko künftiger gesundheitlicher Probleme nicht beseitigen kann.
Im Gegensatz zur landläufigen Meinung hat Diabetes vom Typ 2 tatsächlich sehr wenig mit Fettleibigkeit zu tun – obwohl es dabei um das Körpergewicht geht und genauer noch, ob Sie Ihre individuelle Gewichtsschwelle überschritten haben oder nicht.
Heutzutage bedeutet das ständig steigende Durchschnittsgewicht, dass es natürlich mehr Betroffene gibt, die sehr übergewichtig oder krankhaft fettleibig sind. Da sich die Aufmerksamkeit der Medien bei jeder Diskussion über das Gewicht auf diese schwerwiegende Krankheit konzentriert, ist es nachvollziehbar, wenn die meisten Menschen glauben, das sei das Hauptproblem. Doch tatsächlich sind nicht die stark übergewichtigen Menschen das Problem, sondern die Riesenzahl von Menschen, die mehr wiegen, als sie idealerweise auf die Waage bringen sollten.
Das Problem ist, dass viele Menschen sich als normalgewichtig betrachten, weil sie ähnlich aussehen wie die meisten anderen Menschen gleichen Alters. Doch das Wort „normal“ ist hier doppeldeutig: Befindet sich ein Mensch innerhalb des in der Bevölkerung typischen Bereichs, kann er zwar als „normal“ angesehen werden, doch das ist nicht unbedingt gesund oder ideal.
Wiegen Sie noch genauso viel wie mit 25 Jahren? Schauen Sie sich einfach die Menschen an, die Ihnen in der Stadt beim Einkaufen begegnen. Wer um die 20 ist, ist tendenziell schlanker als diejenigen um die 60. In den westlichen Industrienationen nehmen wir während der meisten Zeit unseres Erwachsenenlebens jedes Jahr rund ein halbes Kilogramm zu. Das hat nichts mit dem Älterwerden oder den Hormonen zu tun – das spiegelt einfach nur das Umfeld wider, in dem wir leben. Und dieses Umfeld wird zu einer Zeitbombe. Auch wenn die Zwanzigjährigen im Vereinigten Königreich tendenziell schlanker sind als die Sechzigjährigen, sind auch junge Menschen inzwischen schwergewichtiger als jemals zuvor und mehr als ein Drittel tritt schon mit einem viel zu hohen Gewicht in das Erwachsenenleben ein. Als Gruppe betrachtet werden sie, das ist sicher, früher als ihre Eltern an Typ-2-Diabetes erkranken. Diese Zeitbombe würde es verdienen, in einem eigenen Buch behandelt zu werden.
Es gibt keinen biologischen Grund, warum Menschen im Laufe ihres Erwachsenenlebens zunehmen müssen. In Gesellschaften, in denen Ernährung kein massiv beworbener Zeitvertreib ist und man zur täglichen Arbeit laufen oder mit dem Rad fahren muss, bleibt das Körpergewicht mit zunehmendem Alter tendenziell stabil. Aber in einem auf Konsum ausgerichteten Umfeld, das wir in den Industrieländern bevölkern, in dem es überall verlockende, schnelle, kaloriendichte Nahrung gibt, die aggressiv beworben wird, muss man tatsächlich unglaublich diszipliniert sein (oder darf sich gar nicht erst großartig mit Essen beschäftigen), damit man nicht zunimmt.
Gesellschaftliche Vorstellungen spielen bei all dem eine wichtige Rolle. Und während eines Großteils meines Berufslebens als Arzt und Wissenschaftler habe ich mir Gedanken darüber gemacht, wie wir diese gestalten können. Vielleicht könnten Fernseh- und Filmproduzenten ja einen Schritt in diese Richtung machen und die üblichen Stereotypien vermeiden? Ganz sicher verdient dieses Problem, auf breiter Ebene diskutiert zu werden.
Ein Teil der Behandlung von Typ-2-Diabetes besteht in einer Ernährungsumstellung.
In Drogerien und in Supermärkten kann man „Diabetikerkost“ in den Regalen finden. Typischerweise werden diese Produkte mit Zuckern hergestellt, die der Körper langsamer und nur unvollständig resorbiert, wie etwa Sorbitol. Solche Nahrungsmittel enthalten jedoch mindestens ebenso viele Kalorien wie ihre preisgünstigeren normalen Entsprechungen. Sie unterscheiden sich in Bezug auf die Kontrolle des Blutzuckerspiegels nicht nennenswert davon und unterstützen auch keine Gewichtsabnahme. Ärzte und andere Gesundheitsexperten raten nunmehr von „Diabetikerkost“ ab, da sie nicht hilfreich ist. Diabetiker sind auf die gleichen Energieträger angewiesen wie alle anderen Menschen auch, und es ist weitaus wirksamer, die Zucker- und die Kalorienzufuhr zu reduzieren, statt Spezialnahrung zu sich zu nehmen.
Was und wie viel Sie essen, bestimmt natürlich, wie gut Sie Ihren Blutzuckerspiegel unter Kontrolle halten können. Die Leitlinien fokussieren immer mehr darauf, stark zuckerhaltige Nahrungsmittel und zu viele Kohlenhydrate zu meiden, doch je nach Quelle finden sich unterschiedliche Empfehlungen und nur wenige betonen die zentrale Bedeutung einer reduzierten Nahrungsgesamtmenge. In Zeitschriften und Zeitungen finden sich häufig irreführende Ratschläge.
Was essen Sie? Im Alltag essen die meisten Menschen das, was Familie und Freunde essen. Familiäre Gewohnheiten zu verändern, kann herausfordernd sein, doch schon kleine Änderungen können eine Menge bewirken. So wäre es zum Beispiel gut, die Verzehrmenge von Kartoffeln, Nudeln und Reis zu halbieren und dafür die Gemüseportion zu verdoppeln. Im Laufe des Buches finden Sie viele weitere Ideen, wie sich bessere Essgewohnheiten einführen lassen.
Wenn Sie nach einem Arztbesuch, zu dem unangenehme Beschwerden Sie veranlasst haben, nun wissen, dass Sie Diabetiker sind, kennen Sie auch schon manche der Probleme, die diese Krankheit verursacht.
Steigt der Blutzuckerspiegel zu stark an, überschreitet die Glukosemenge die sogenannte Nierenschwelle, und die Glukose wird über den Urin abgegeben. Und da sie hydrophil ist, also wasserliebend, bilden die Nieren mehr Urin als üblich. Bei Nichtdiabetikern sorgen die Nieren dafür, dass die Glukose im Blut verbleibt. Als Nachfahren von Menschen, die über Jahrtausende hinweg eine Hungersnot nach der anderen überleben mussten, haben wir uns zu energieeffizienten Wesen entwickelt. Energie zu verlieren, die aus der Nahrung gewonnen wurde, ist problematisch. Doch mit solch einer überwältigenden Menge Glukose kommen unsere Nieren nicht zurecht, das haben sie schlicht nicht gelernt.
Wenn Sie Diabetiker sind, sind Ihnen große Urinmengen nur allzu gut bekannt. Ist Ihr Diabetes außer Kontrolle – weil Sie vielleicht zu viel gegessen, Ihre Tabletten vergessen oder nicht gespritzt haben –, dann ist eine zu große Urinmenge ein sicheres Zeichen, dass der Blutzuckerspiegel zu hoch ist. Wahrscheinlich müssen Sie nachts häufiger zur Toilette gehen. Da hierbei Wasser aus dem Körper verlorengeht, haben Sie Durst und möchten viel trinken. Das könnte eines der Warnsymptome gewesen sein, mit dem sich Ihr Diabetes angekündigt hat. Da die Nierenschwelle für den Übertritt von Glukose in den Urin jedoch individuell verschieden ist, sind vielleicht zuerst andere Probleme aufgetreten.
Beispielsweise könnten Sie auch allgemein schlecht gelaunt oder müde gewesen sein. Natürlich kann Müdigkeit viele Ursachen haben, wenn also nicht noch andere Symptome aufgetreten sind, ist vielleicht nicht unmittelbar eine Verbindung zu Diabetes hergestellt worden. Doch diese Müdigkeit steht oft am Anfang eines ganzen Katalogs von Problemen. Zu den häufigsten, die zu einer Diabetesdiagnose führen, gehören Hautinfektionen. Andere „Lebensformen“ ernähren sich nämlich auch gerne von Glukose und lassen sich dort nieder, wo sie leicht zu bekommen ist. Juckreiz und Entzündungen an Penis oder Vulva können die Folge einer Pilzinfektion mit Candida sein. Doch jede Art von bakterieller Infektion ist bei einem erhöhten Blutzuckerspiegel wahrscheinlicher. Hautverletzungen – kleine Schnitte oder andere banale Verletzungen – neigen dazu, sich zu infizieren, und Harnwegsinfektionen kommen häufig vor. Das klingt nach einer deprimierenden Liste – aber es kommt leider noch schlimmer. Bislang habe ich nur die unmittelbaren Folgen beschrieben. Wenn der Blutzuckerspiegel jedoch über Jahre hinweg erhöht ist, dann können sich ernstere langfristige Probleme häufen.
Alle Ihre Organe sind auf Nahrung und Sauerstoff angewiesen, die über das Blut transportiert werden, und da sie jede Körperzelle erreichen müssen, ist jedes Organ von einem feinen Kapillarnetzwerk durchzogen. Diese feinen Gefäße können die Nährstoffe sehr gut genau dorthin bringen, wo sie gebraucht werden. Jeder Mensch ist darauf absolut angewiesen. Doch diese Gefäße reagieren sehr empfindlich auf einen erhöhten Blutzuckerspiegel. Über einen längeren Zeitraum kann das dazu führen, dass die Kapillaren weniger leistungsfähig, dafür „undicht“ oder aber einfach blockiert werden. Und wenn den Zellen ihre regelmäßige „Lebensmittelbestellung“ nicht geliefert wird, kommt es zu Problemen im ganzen Körper.
Die Augen sind besonders empfindlich. Die innere Augenhaut, die sogenannte Retina (Netzhaut), ist auf ein sehr leistungsfähiges kapillares Netzwerk angewiesen, das die lichtempfindlichen Nervenendigungen versorgt. Werden diese Kapillaren durchlässig, sammelt sich Flüssigkeit in der Netzhaut an und kann das Sehvermögen bedrohen. Werden die Kapillaren in der Retina blockiert, können die lichtempfindlichen Nerven nicht richtig funktionieren. Diabetes ist eine Hauptursache für den Verlust des Augenlichts. Bevor es Vorsorgeuntersuchungen für die Augen gab, war Diabetes tatsächlich die häufigste vermeidbare Ursache für eine Erblindung im Vereinigten Königreich.
Auch andere Nerven im Körper werden in Mitleidenschaft gezogen, da sie Nahrung und Sauerstoff brauchen, um Botschaften weiterzuleiten. Sicherlich ist Ihnen schon einmal das Bein „eingeschlafen“. Wenn sie ungeschickt sitzen und einen Nerv zu lange zusammendrücken, wird der Kapillarfluss dorthin blockiert und er kann nicht mehr arbeiten. In einem solchen Fall spüren Sie dann ein Taubheitsgefühl und ein Kribbeln und die Muskeln gehorchten Ihnen nicht mehr. Wird der Druck weggenommen, ist das Problem zum Glück innerhalb weniger Minuten behoben. Doch diabetesbedingte Probleme mit den Nerven können nicht so leicht rückgängig gemacht werden, denn sie sind die Folge einer jahrelangen kapillaren Schädigung. Taubheitsgefühl, Kribbeln und sogar Schmerzen können monatelang anhalten und sogar chronisch werden. Da die Nerven zu den Füßen die längsten im Körper sind, kommt eine Taubheit dort am häufigsten vor. Und diese Taubheit selbst ist ein großes Problem, denn dadurch kann uns der Körper nicht mehr vor Störungen warnen, weil das Schmerzempfinden verlorengegangen ist. Wenn Ihre neuen Schuhe schmerzen, gehen Sie nicht weiter oder ziehen andere an. Aber wenn Sie die Schmerzen nicht spüren können, tragen Sie sie weiterhin, während sich der Schaden unbemerkt ausbreitet. Das kann zu Hautverletzungen führen und Infektionen Tür und Tor öffnen, da die mangelhafte Blutversorgung durch die geschädigten Kapillaren es den Bakterien ermöglicht, sich unkontrolliert mit potenziell verheerenden Folgen zu verbreiten. Das Motto für Diabetikerfüße lautet also „kontrollieren oder verlieren“. Das mag brutal klingen, aber es bringt nichts, wenn ich die Dinge hier schönrede: Klare Informationen über das sehr reale Risiko sind unverzichtbar. Wer will schon von einem Arzt behandelt werden, der die Wirklichkeit vertuscht. Heute werden im Vereinigten Königreich jede Woche etwa 170 Amputationen aufgrund von Diabetes durchgeführt. Und ja, Sie haben richtig gelesen – jede Woche.
Größere Blutgefäße können ebenso beeinträchtigt werden, genauso wie die Kapillaren selbst. Durch Fetteinlagerungen in den Gefäßwänden werden sie leichter blockiert und, wie Sie vielleicht wissen, verursachen Blockaden in den Blutgefäßen, die das Herz versorgen, Herzinfarkte, und jene, die das Gehirn versorgen, sind für Schlaganfälle verantwortlich. Daher kommen Herzinfarkte und Schlaganfälle bei Diabetikern häufiger vor. Es sind also nicht nur die Füße gefährdet.
Mit einem hohen Blutzuckerspiegel haben die Nieren nicht nur zu kämpfen, sondern es kann dadurch sogar zu einem totalen Funktionsverlust kommen. Liegen die frühesten Stadien erst einmal hinter einem, ist der Funktionsverlust tatsächlich unwiderruflich und beeinträchtigt die Gesundheit schwer. Etwa die Hälfte aller Menschen, die dreimal in der Woche zur Dialyse müssen, sind Diabetiker. Eine hohe Lebensqualität sieht anders aus.
Die Wahrscheinlichkeit schwerwiegender Komplikationen infolge von Typ-2-Diabetes hängt in hohem Maße von Ihrem Alter ab. Vielleicht widerspricht es der Logik, doch je jünger Sie bei der Diagnosestellung sind, desto größer ist das Risiko ernsthafter Probleme. Das Risiko schwerwiegender Folgekrankheiten ist bei einem jungen Menschen, der an Typ-2-Diabetes erkrankt, viel höher als bei einem Gleichaltrigen, der von Typ-1-Diabetes betroffen ist und Insulinspritzen braucht. Die Aussicht, aufgrund von Herzinfarkt, Schlaganfall oder schwerwiegender Probleme mit den Füßen nicht bis zum Renteneintrittsalter arbeiten zu können, beträgt bei einem 45-jährigen Mann mit einer frischen Diabetesdiagnose mehr als 50