Nr. 2851

 

Die Mnemo-Korsaren

 

Atlan in der Veste Tau – er ist Jäger und Gejagter zugleich

 

Christian Montillon

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen.

Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Dessen Vertreter behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang – den Weltenbrand – der gesamten Galaxis.

Um die Herrschaft der Atopen zu brechen, hat sich der Arkonide Atlan ins vermutete Herz dieser Macht begeben. Nach einer unglaublichen Reise durch Gefilde, die sich niemand vorzustellen gewagt hätte, erreicht er sein Ziel: die Jenzeitigen Lande. Dort trifft er auf DIE MNEMO-KORSAREN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Sein Gedächtnis macht den unsterblichen Arkoniden zu einer perfekten Beute.

Lua Virtanen – Die junge Frau ist bereit, alles für die Freiheit zu riskieren.

Vogel Ziellos – Der junge Mann wird als Köder benutzt.

Valkuzz und Spaykel – Zwei Mnemo-Korsaren haben geheimnisvolle Verbündete.

Lothuld – Der Wissenschaftler befasst sich mit dem längst ausgestorbenen Volk der Arkoniden.

»Kämme, kämm dein Haar zur Nacht,

schlaf, und bist du aufgewacht,

wirst du immer leben.«

Traditionelles arkonidisches Schlaflied

 

 

Prolog

 

Der Tod, das lass dir gesagt sein, bedeutet für eine Superintelligenz nicht dasselbe wie für ein normalsterbliches Wesen.

Aber darum geht es nicht, sondern um dich und um deine beiden Begleiter. Sie sind so erstaunlich jung, ich glaube, die Jüngsten in der gesamten Veste Tau.

Was?

Du denkst, es würden ständig neue Bewohner in diesem gigantischen Gebilde geboren? Weil es hier Billionen Lebewesen gäbe?

Ach, ich merke, du hast nichts verstanden.

Gar nichts.

Also gut, ich will dir etwas erzählen.

Über die Erste Superintelligenz.

Über die Synchronie.

Über die Veste Tau.

Und, das ist wohl am wichtigsten, über dich.

Aber bevor ich damit anfangen kann, musst du mir etwas erzählen. Wie konnte es dazu kommen, dass wir uns an diesem Ort treffen ... und vor allem zu dem, was mit der bedauernswerten Lua Virtanen geschehen ist?

Sag es mir, Atlan.

Ich höre einfach nur zu.

1.

Können Spinnen nervös werden?

 

Ich musste zurück zu Erriam Erri, und das auf einem Fahrrad, das ein Insektoider steuerte.

Der Sitz war bequem – viel zu bequem, wie ich fand. Ich fühlte eine extreme Unruhe, wünschte mir, dass alles schneller ginge. Dass wir diese gigantische Höhle mit den rundum auf- und abragenden Holzhäuschen und den Aquarien auf den zahllosen Veranden endlich hinter uns ließen!

Und, alter Narr?, fragte mein Extrasinn. Wenn du es unbequemer hättest, kämst du dann auch nur eine Millitonta früher ans Ziel?

Natürlich stimmte das; es gab keinen logischen Zusammenhang zwischen der Beschaffenheit meines Sitzes in dem großen Holzrad und der Geschwindigkeit, mit der wir flogen. Doch darum scherte sich meine Gefühlswelt nicht.

Und spar dir den Kommentar, dass wir nicht fliegen, sondern fahren, verlangte ich gedanklich von meinem Logiksektor, während ich zu dem Insektoiden im Zentrum der Radspeichen schaute. Ich weiß, dass unser Reiseführer auf diesem feinen Unterschied besteht, aber wir berühren den Boden nicht und ...

»Atlan?«, fragte Ra'rhom, dem mein Blick offenbar nicht entging. Dank seiner vielen Facettenaugen wusste ich nie, wohin er gerade sah oder ob er tatsächlich alles rund um sich gleichzeitig wahrnahm. »Wünschst du eine Pause?«

»Ganz im Gegenteil«, versicherte ich.

»Ich fahre so schnell wie möglich!«

Daran zweifelte ich nicht, doch es kam mir trotzdem unendlich langsam vor. »Du weißt, wenn ich etwas beitragen kann, zögere nicht, es mir ...«

»Du bist mein Gast«, unterbrach er mich. »Mein Passagier. Das Rad ist so konstruiert, dass du die Reise genießen sollst – alles andere musst du mir überlassen.«

Ra'rhom zögerte kurz. Vielleicht drückten die klackernden Laute auf seine Weise Mitleid und Verständnis für meine Situation aus, ohne dass es die Translatoren in verständliche Worte übertragen konnten. »Es tut mir leid, was mit deinen beiden Begleitern geschehen ist. Sie waren meine Gäste, genau wie du. Aber dein Plan, sie retten zu wollen, ist Wahnsinn. Du kannst eine Rettungsaktion nicht überleben. Niemand kann das.«

»Lass das meine Sorge sein.«

»Ich stelle mir eine Frage, Atlan.« Das Rad stockte etwa hundert Meter vom Ausgang der Höhle entfernt. »Nämlich die, ob ich mich falsch entschieden habe. Ich verfüge über ein starkes Pflichtbewusstsein, weißt du? Mache ich mich nicht mitschuldig an deinem Tod, wenn ich dich zu Erriam Erri zurückbringe?«

»Ich entbinde dich von dieser Schuld«, sagte ich. »Und nun starte wieder.«

»Glaub mir, ich ...«

»Sofort!« Die plötzliche Aggressivität verwunderte mich selbst. Vielleicht, weil ich nicht so weit gekommen war, um nun meine Zeit mit fruchtlosen Diskussionen zu verschwenden.

So weit gekommen.

Das konnte man wohl sagen. In den letzten Jahrhunderten, ja, Jahrtausenden, hatte ich eine Menge Fernreisen hinter mich gebracht, über lange Zeiträume ... aber niemals bis zu einem Ort wie diesem.

Die Jenzeitigen Lande!

Ein Gefilde, das jenseits der Zeit lag, nach dem Ende des Universums.

Nichts bestand mehr, jedes einzelne subatomare Teilchen lag so weit vom benachbarten entfernt, dass dort draußen buchstäblich nichts blieb.

Die Zeit selbst hatte sich ausgelöscht. Dies war eine Zukunft, unendlich fern meiner Gegenwart. Meine Heimat, meine Galaxis, mein gesamtes Universum war vergangen.

Nur die Jenzeitigen Lande existierten, und das auch nur, weil ein unfassbares Wesen namens Thez sie erdachte, sie erhielt, diese Insel der Hiesigkeit überhaupt erst erschaffen hatte, in der ich mich befand. An diesem ... Ort? ... bestanden Raum und Zeit weiter, während rundum lediglich das übrig war, was die Bewohner als den Brei bezeichneten.

Inseln der Hiesigkeit gab es dabei offenbar mehrere; diese trug den Eigennamen Veste Tau und hatte die Form eines gewaltigen Tropfens – weitaus größer als die Erde oder Arkon. Doch nicht etwa die Oberfläche dieses Gebildes war bewohnt, sondern das Innere – jeder Kubikmeter, als wäre es ein unfassbar gigantisches Gebäude mit ungezählten Stockwerken, in verschiedene Sektoren unterteilt und Heimat für Billionen Lebewesen.

Die Letzten des Universums.

Oder aller nur denkbaren Universen?

Es gab so viele Fragen, die ich noch nicht beantworten konnte. Was waren die Jenzeitigen Lande wirklich? Wer war Thez, von dem ich kaum mehr erhascht hatte als den Namen? Was war die Synchronie, jenes unfassbare Medium, durch das ich mit der ATLANC über siebenhundert Jahre lang gereist war, um dieses Ziel zu erreichen?

Sieben Jahrhunderte!

Manchmal musste ich mir mit Gewalt in Erinnerung rufen, warum ich überhaupt zu dieser ewigen Reise aufgebrochen war. Es gab Tage, da erschien mir alles, was davor lag, unendlich fern und nichtig.

Das Atopische Tribunal suchte die Milchstraße heim, meine Heimatgalaxis – und ich war unterwegs, um mehr darüber herauszufinden. Ich wusste, dass es aus den Jenzeitigen Landen stammte, darin seinen Heimatsitz nahm.

Nun hatte ich sie erreicht und erlebte eine fremdartige Welt, die sich mir überraschenderweise rundum freundlich präsentiert hatte. Bis zum Angriff zweier Mnemo-Korsaren, die mich gefangen nehmen oder töten wollten, um an meinen für sie phantastischen, wertvollen Gedächtnisinhalt zu kommen. Das war ihnen nicht gelungen; doch sie hatten meine jugendlichen Begleiter in ihre Gewalt gebracht, Lua Virtanen und Vogel Ziellos, beide während der Reise an Bord der inzwischen verlorenen ATLANC geboren.

Um mehr über die Entführer herauszufinden, musste ich zu Erriam Erri zurückkehren, einer Mnemo-Händlerin, was etwa der legalen Variante der Mnemo-Korsaren entsprach. Im Gegensatz zu jenen verschaffte sie sich ihre Ware – Erinnerungen – auf rechtmäßigem Weg. Ich selbst hatte zwei Episoden aus meinem Gedächtnis verkauft, um von ihr zu erfahren, wo ich den Bürgermeister der Veste Tau finden konnte; dieser würde uns hoffentlich weiterhelfen können.

Zuvorderst musste ich aber nun meine Freunde wiederfinden und befreien – selbst wenn mein insektoider Reiseführer das wahnsinnig nannte. Er hielt mir soeben nicht zum ersten Mal eine Predigt darüber, dass die Korsaren als absolut tödliche Gegner galten und es ohnehin ein Wunder wäre, dass ich nach dem Zusammenstoß mit ihnen noch lebte.

Endlich verließen wir die Höhle, diesen Sektor der Veste Tau, dessen Namen ich nicht einmal kannte. Er interessierte mich auch nicht, denn das Wiedersehen mit Erriam Erri rückte in greifbare Nähe.

Sie würde mir einige Fragen beantworten müssen. Vor allem die, auf welche Weise die Korsaren den Weg zu uns gefunden hatten, wo nur Erriam gewusst hatte, welches Ziel wir ansteuerten.

 

*

 

Der Sektor Abendgrau, in dem die Mnemo-Händlerin Erriam Erri residierte, trug einen durchaus passenden Namen: Die meisten Bereiche blieben schlicht und unansehnlich. So auch die weite Straße, die zwischen endlos tristen Gebäudefassaden zu Erris gewundenem Turm führte.

Ra'rhom landete am Rand eines größeren Platzes, auf dem uns – Vogel und Lua waren noch dabei gewesen – zuletzt die ätherischen Leucht-Schmetterlinge empfangen hatten. Nun zeigte sich keines der Tiere.

Ich verabschiedete mich von dem Insektoiden und bedankte mich für seine Dienste, was ihn begeisterte. Ohne mich umzuschauen, eilte ich auf den Turm aus Glas und Metall zu.

Wie bei meinem letzten Besuch leuchteten projizierte Holobilder auf der Fassade und wechselten sich rasch ab. Ich gönnte ihnen kaum einen Blick, erkannte aber beiläufig ein Holo des Mnemo-Graphen, jenes Geräts, das aus mir die beiden Erinnerungen extrahiert hatte.

Mein Extrasinn versuchte weiterhin, zu den verschwundenen Gedächtnisinhalten vorzudringen, stocherte aber lediglich in verschwommenem Nebel. Es war wie der Abglanz aus einem düsteren Albtraum, der sich nie im echten Leben, sondern nur in einer bedrückenden Nacht abgespielt hatte.

Das Bild auf der Glaswand des Turms wechselte genau in dem Augenblick, als ich eintrat. Ich wusste, dass die Wand an dieser Stelle nur aus einer Projektion bestand und ich sie einfach passieren konnte.

Wie in dieser alten terranischen Zaubereigeschichte, kommentierte der Extrasinn.

Ich wollte nicht lange darüber nachdenken, welche er meinte. Ich kannte fast so viel terranische wie arkonidische Literatur – Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende Bücher.

Vielleicht hätte ich Erriam Erri gar keine selbst erlebten Erinnerungen anbieten sollen, sondern etwas, das ich nur gelesen hatte. Möglich, dass ihr der Unterschied nicht aufgefallen wäre, und es gab den einen oder anderen Roman, den ich durchaus gerne ein zweites Mal zum ersten Mal lesen würde.

Diese müßigen Überlegungen verschwanden sofort, als ich durch das neue Bild – dichter Schnee fiel vor einem lilafarbenen Baum mit braunen Blüten, in denen schillernde Insekten schwirrten – den Geschäftsraum der Mnemo-Händlerin betrat. Es gab Wichtigeres.

Erriam Erri eilte mit klackernden Schritten auf mich zu. Sie war, um eine optische Analogie anzubieten, eine Spinnenartige, obwohl sie zu viele Beine aufwies, um den Spinnen zugeordnet werden zu können; elf, um genau zu sein. Vermutlich hatte sie ein zwölftes irgendwann verloren, sie zeigte sich in dieser Hinsicht seltsam unsymmetrisch. Doch die Vielfalt des Lebens ließ sich von einem Eigentlich bekanntlich nicht aufhalten.

Ihr Leib pulsierte zwischen den Beinen, die hoch aufragten und in einem ersten Gelenk nach unten abknickten, ehe sie seitlich in dem runden Körper verschwanden. Ihre Facettenaugen starrten mich an – zumindest fühlte es sich so an; natürlich glänzten sie unveränderlich und starr.

»Atlan«, klirrte und krächzte sie, was ihr Translator in verständliche Worte übertrug »Was verschafft mir die Ehre deiner Rückkehr? Falls du weitere Erinnerungen aus dem kostbaren Schatz deines Gedächtnisses anbieten möchtest, siehst du mich in höchstem Maße interessiert.«

Ich versuchte, dieses Wesen zu durchschauen, das zu fremdartig war, als dass ich Mimik und Körpersprache hätte lesen können.

Verbarg Erriam etwas? Spielte sie nur die freudig Überraschte?

War sie diejenige, die sie zu sein vorgab – eine ehrenhafte Angehörige der Gilde der Mnemo-Händler, die mit den Korsaren in keinerlei Verbindung stand? Oder hatte sie die beiden Angreifer auf uns gehetzt, in deren Gewalt sich Lua und Vogel befanden?

»Ich brauche tatsächlich weitere Informationen«, sagte ich. »Aber diesmal möchte ich nicht dafür bezahlen.«

»Oh«, sagte sie. »In dem Fall bist du bei mir falsch, so sehr ich deinen letzten Besuch schätzte und für deine ...«

»Lassen wir die Höflichkeitsfloskeln«, fiel ich ihr ins Wort. »Jemand hat uns überfallen.«

Ich achtete genau auf ihre Reaktion – aber ein Spinnenwesen durch Beobachtung durchschauen zu wollen ist selbst für einen Mann mit reichhaltigen Erfahrungen ungefähr so aussichtsreich wie die lepsotische Black-Hole-Lotterie mit nur einem Los zu knacken.

Da kannst du so viele Lose kaufen, wie du willst, kommentierte der Logiksektor. Die astronomisch hohe Summe wurde noch nie ausgeschüttet, und daran hat sich garantiert auch in den 700 Jahren unserer Abwesenheit nichts geändert.

»Überfallen.« Sie dehnte das Wort so lange, als wollte sie ihm die eine oder andere Silbe extra spendieren. »Wie meinst du das?«

Sie versuchte Zeit zu schinden, und das deutete ich als ein Zeichen von Unsicherheit. »Wie man eben so überfallen wird«, sagte ich süffisant. »Das läuft in den Jenzeitigen Landen genauso ab wie überall sonst.«

»Erzähl mir mehr darüber.«

»Nein.« Ich ging näher auf sie zu und behielt die Umgebung genau im Auge. Gab es automatische Sicherheitsvorkehrungen? Was, wenn sie mich angriff? War sie bewaffnet? Ich trug einen Schutzanzug und hielt mich bereit, jederzeit den Prallschirm zu aktivieren, um mich wenigstens notdürftig zu schützen. »Du wirst reden. Über die Angreifer.«

»Ich kenne sie ja nicht einmal«, erwiderte Erriam Erri. »Und ich fürchte, ich muss dich bitten, meinen Turm zu verlassen.«

»Es waren Mnemo-Korsaren«, sagte ich. »Genau die Leute, von denen du mir während meines ersten Besuchs bei dir mehrfach berichtet hast.«

»Tatsächlich?«

Sie wand sich innerlich, das schätzte der Extrasinn genauso ein wie ich. Sie verbarg etwas. Volltreffer.

»Du hast einige Male betont, dass du im Unterschied zu ihnen nie auf verbrecherischem Weg versuchen würdest, an meinen Gedächtnisinhalt zu gelangen. Und danach dauert es nur ein paar Stunden, bis genau diese Korsaren uns überfielen. Also dachte ich mir ...«

»Es gibt viele Mnemo-Korsaren«, wich die Händlerin aus, und ich stellte mir eine eigenartige Frage: Konnten Spinnen nervös werden? »Ich sprach ganz allgemein von ihnen.«

»Erzähl mir mehr über diese Leute.«

»Nun, ich ... es handelt sich vielleicht um ein Dutzend«, sagte Erriam Erri. »Die Gilde jagt sie und zieht sie – wann immer möglich – aus dem Verkehr, und ... ach, was weiß ich, es könnte auch Tausende geben! Die Veste Tau ist groß!«

»Wo finde ich sie?«

»Woher soll ich das wissen?«

Rasch überschlug ich meine Alternativen. Sollte ich sie bedrohen oder versuchen, ihr Informationen zu entlocken? Das erschien mir heikel und vor allem unsicher. Also entschied ich mich für einen anderen Weg.

»Hör zu«, sagte ich. »Meine beiden Begleiter wurden entführt. Vogel Ziellos und Lua Virtanen. Ich will sie befreien, und darum muss ich mehr über die Korsaren erfahren. Ich wende mich notgedrungen an dich, weil du die einzige Mnemo-Händlerin bist, die ich kenne. Ich bin bereit, für Informationen zu bezahlen, und du weißt, dass ich gute Ware biete.« Ich tippte gegen meine Stirn. »Einverstanden?«

Sie zögerte, und damit machte sie sich erst recht verdächtig. So wie ich sie kannte, leckte sie sich nach solch einem Geschäft alle elf Beine.

»Was ist?«, drängte ich.

Ehe sie antworten konnte, stürmte jemand in den Raum.

Es war Ra'rhom, mein insektoider Reiseführer, und er hielt eine Waffe in der Hand, mit der er auf den feisten Leib der Mnemo-Händlerin zielte.

2.

Existiere und beobachte

 

Die Arkoniden, so fand Lothuld heraus, hatten im Lauf ihrer Existenz nicht nur eine Blütezeit erlebt, sondern gleich mehrere. Das sprach für sie, denn nicht vielen Völkern war eine solche Gnade vergönnt.

Von Lothulds Standpunkt aus bot sich eine faszinierende Chronik. Die Arkoniden lieferten das spannendste Material seines gesamten Forscherlebens. Wie langweilig und unbefriedigend musste es für Wissenschaftler gewesen sein, die sich selbst noch in der verstreichenden Zeit des Universums bewegten: Nichts fand während ihrer Lebenszeit einen echten Abschluss, alles blieb im Fluss, jeder wissenschaftliche Blick stellte nur eine Momentaufnahme aus dem eigenen beschränkten Horizont heraus dar.

Wie gut ging es Lothuld im Vergleich!

Er liebte sein Leben in den Jenzeitigen Landen, nach dem Ende des Universums und der Zeit. Draußen war alles vergangen, hatte sein Finale gefunden.

Wunderbar!

Konnte es etwas Schöneres geben?

»Thez sei gedankt in sämtlichen Inseln der Hiesigkeit, die er erdachte, damit sie eine Heimat bieten«, murmelte der Peregrinologe vor sich hin. Dass ihn niemand hörte, störte ihn nicht. Er war Einsamkeit gewöhnt.

Sein Leben war wundervoll, und seine ruhige Klause der herrlichste Ort, den er sich vorzustellen vermochte. Er blickte auf den wimmelnden Schriftzug über der Tür, den die Leiber von genau 12.000 unablässig wandernden Zirko-Käfer bildeten:

Existiere und beobachte.

So lautete die Formel der Bruderschaft der Peregrinologen, und Lothuld hatte nirgends in den Jenzeitigen Landen oder in den Untiefen des zeitlichen Universums größere Weisheit gefunden.

Existiere und beobachte.

Diesem Motto widmete er sich, schon immer, und es erfüllte ihn, verlieh allen Dingen Sinn: dem Erwachen und Schlafen, dem Essen und Ausscheiden, dem Werden und Vergehen.

Zuerst hatte es ihm gar nicht gefallen, dass er sich um diese neue Sensation kümmern musste, die unter den Peregrinologen in der ganzen Veste die Runde machte – es gab Gäste. Oder, wie es die Verfassung der Bruderschaft nannte, einen Vorstoß aus fremden Existenzsphären.

Ungeheuerlich, wenn man es genau nahm.

Und Lothuld nahm alle Dinge sehr genau.