Das Buch

Glück: das große Lebensziel! Das Verlangen nach einem erfüllten und erfolgreichen Leben löst in uns die tiefe Sehnsucht nach einem universellen Glücksrezept aus. Doch worin besteht das Geheimnis glücklicher Menschen? Boris Grundl bietet in diesem Buch eine andere Sichtweise auf individuelles Glück. In sehr persönlichen Einblicken beleuchtet er jene Glücksförderer und Glücksverhinderer, die an der Substanz eines ausgefüllten Lebens wirken – klar, direkt und auf den Punkt.

Der Autor

Boris Grundl ist Unternehmer, Führungsexperte, Coach und Redner. Seine Leadership-Akademie berät Unternehmen wie Deutsche Bank, SAP, O2 und BMW. Er ist Gastdozent an mehreren Universitäten und setzt sich ehrenamtlich für Schüler ein. Bei Econ erschienen zuvor seine Bücher Steh auf! (2008), Diktatur der Gutmenschen (2010) und Die Zeit der Macher ist vorbei (2012). Boris Grundl lebt mit seiner Familie in Trossingen am Rande des Schwarzwalds.

Boris Grundl

Mach mich
glücklich!

Wie Sie das bekommen, was jeder haben will

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Vorwort: Einbahnstraßen ins Unglück

Ich möchte Ihnen zuerst eine Frage stellen: Wenn Sie alle Fak­toren des Unglücks vermeiden, bleibt dann Glück übrig? Die gerade sehr populäre Glücksforschung hat festgestellt: Glück erzeugt Glück. Das Vermeiden von Unglück – nicht. Wenn Sie in Ihrer Ehe alle bekannten Scheidungsfaktoren umschiffen, haben Sie deswegen noch keine erfüllte Ehe. Wenn Ihr Chef alle nervigen Kollegen feuert, sind Sie deshalb noch nicht glücklich in Ihrem Beruf. Und wenn Sie alle Ihre Schwächen ausmerzen, bedeutet das noch lange nicht, dass unter dem Schutt überragende Stärken zum Vorschein kommen.

Die Vermeidungsstrategie scheint uns bei der großen Frage also nicht wirklich weiterzubringen: Was ist Glück eigentlich?

Ein naheliegender Ansatz wäre es, darüber nachzudenken, wann wir uns glücklich fühlen. Wenn uns etwas gelingt, zum Beispiel. Wenn wir ein Ziel erreicht haben. Ein Problem gelöst. Eine Hürde überwunden. Auch Nahrungsaufnahme und Sex erzeugen Glücksgefühle. Und da ist er schon, der Haken: Diese Momente erzeugen Glücksgefühle. Diese Gefühle sind zeitlich sehr begrenzt: Glücksmomente eben. Sie gehen nicht tief, und wir können sie nicht konservieren. Morgen liegt die nächste Herausforderung auf dem Schreibtisch, und die Freude von gestern ist schnell vergessen. Kaum befördert, treibt der Ehrgeiz Sie in den Kampf um die nächste Gehaltsstufe. Ihr Kind hat jetzt vielleicht den Abschluss, aber noch keine gesicherte Existenz und noch lange nicht den passenden Partner fürs Leben gefunden. Der Meeresblick aus der Hotelsuite ist atemberaubend – das Tempo, mit dem der Urlaub an Ihnen vorüberzieht, allerdings auch.

Ja, Glücksgefühle lassen sich bis zum gewissen Grade auf Knopfdruck produzieren. Schokolade, Postkartenidyll, Sport, Sex, Komplimente, PS-Bolide, erreichte Ziele erzeugen Endorphine, Oxytocin, Dopamin, Serotonin – all jene Stoffe, die die Hirnforschung als körpereigene Glücksdrogen erkannt hat. Doch egal, wie viele glücksfördernde Maßnahmen Sie einwerfen: Die Glücksgefühle sind nicht nachhaltig. Im Gegenteil: Im Laufe der Zeit verblasst das Glücksgefühl bei gleichbleibender Dosis. Wie ein neuer Song, der in Ihnen ein High ausgelöst hat: So gigantisch die Gefühle beim anfänglichen Hören auch sind – irgendwann kommt der Moment, wenn die Magie des Liedes verfliegt und nur noch Normalität übrig bleibt. Gewöhnung; vielleicht kippt der Effekt sogar in Überdruss. Doch der innere Wunsch nach tiefer, länger anhaltender Erfüllung bleibt. Die Suche geht weiter.

Und das ist gut so. Denn sich mit Glücksmachern zuzudröhnen, macht Sie nicht auf einer tieferen Ebene glücklich. Nicht nur, dass das Zeug nicht mehr wie früher wirkt; Sie bekommen es auch mit ziemlich üblen Nebenwirkungen zu tun. Schokolade zum Beispiel macht dick und träge. Auch für den Erfolg und noch mehr für den vermeintlichen Glücksfaktor Geld gilt das: Gier ist eine Sackgasse. Immer! So steigt bis zu einem bestimmten, überraschend moderaten Einkommen der Glücksfaktor an, sagt die Wissenschaft; danach nicht mehr. Die Sucht nach immer noch mehr von irgendetwas endet immer gleich: in der Abhängigkeit. Und das ist der sichere Weg ins Unglück. Zu viel von etwas erschafft Unglück, zu wenig allerdings auch.

Also ist Glück ein Balanceakt. Auch das ist nichts Neues: Ein seelisches Gleichgewicht ist längst als Glücksrezept identifiziert worden. Demnach können Sie glücklich werden, indem Sie dafür sorgen, dass Sie nichts mehr aus der Bahn wirft! Resilienz ist ein Begriff für die Fähigkeit, Rückschläge zu überwinden und immer wieder aufzustehen, wie hart das Leben auch zugeschlagen hat. Wie erlernt man das? Indem man Rückschläge überwindet.

Doch macht das Überwinden von Niederlagen glücklich? Nach dem Motto: Wer als Matrose durch die Tiefen des Ozeans gegangen ist, für den sind Pfützen kein Hindernis mehr? In den seichten Gewässern eines gewöhnlichen Alltags mag das reichen – allerdings nicht, wenn es wirklich ans Eingemachte geht. Wenn man zum Beispiel voller Begeisterung in eine Beziehung rennt, nur um später herauszufinden, dass man überhaupt nicht zueinanderpasst, den anderen vielleicht sogar hasst.

Was Glücksgefühle auslösen kann, ist gerade deshalb auch geeignet, uns im gleichen Maße unglücklich zu machen. So sind nicht nur Beziehungen reich an Illusionen; nicht wenige beruhen sogar darauf. Wie fest dieser Gefühlsanker auch sitzen mag: Keine Beziehung ist frei von Untiefen und Stürmen. Und bei heftigem Seegang vergeht auch einem glücksverwöhnten Matrosen das Grinsen. In solchen Situationen kann Resilienz helfen, Unglück zu überwinden. Doch um in der Tiefe glücklich zu werden, reicht sie nicht aus.

Der Matrose im Sturm könnte natürlich beten und das Glück einfach herbeibitten. Religiöse Menschen, das haben Studien gezeigt, scheinen tendenziell ein bisschen glücklicher zu sein als andere. Vielleicht hat der Seemann in diesem Sturm tatsächlich Glück, im Sinne jenes Zufalls, von dem wir gern sprechen, wenn uns zum Beispiel ein herabfallender Ziegelstein um Haaresbreite verfehlt. Vielleicht wird dem Matrosen geholfen, und der Sturm lässt nach, bevor er großen Schaden anrichtet.

Doch wenn nun der nächste Sturm heraufzieht: Auf wen verlässt er sich dieses Mal? Lässt er die Segel Segel sein, verdrückt sich in seine Koje und baut darauf, dass auch dieses Mal schon nichts passieren wird? Ist es eine gute Idee, nichts zu tun und die Verantwortung auszulagern an Gott, an den Rest der Mannschaft, an – das Schicksal? Wenn wieder nichts passiert, hat er tatsächlich »Glück gehabt« – Glück im Sinne eines Zufalls. Falls Sie dieses Glück meinen, können Sie aufhören zu lesen. Dann haben Sie es eher auf Spaß und Freude abgesehen; die diebische Freude, dem Leben ein Schnippchen zu schlagen. Um diese oberflächliche Art von Glück, auf die wir keinen Einfluss haben, geht es in diesem Buch nicht. Es lässt sich nicht erzwingen; kein Buch der Welt kann Ihnen dafür ein Rezept liefern. Und selbst wenn es das gäbe, würde diese Form von Glück Sie nie in der Tiefe zu einem glücklichen Menschen machen – wie viel Glück Sie auch haben mögen. Warum? Weil Glück, das wir uns nicht verdient haben, uns nicht glücklich macht.

Wenn Sie mich fragen: Der Matrose wird glücklicher sein und nachhaltiger von seinem Glück profitieren, wenn er derjenige ist, der sich im Sturm mit Haut und Haaren reinhängt. Der den Kahn mit aus der Bredouille holt. Seinen Teil der Verantwortung erkennt und ausfüllt, indem er anpackt und sich selbst und damit vielleicht auch anderen das Leben rettet.

Wenn nun Ihr Kahn nicht auf Kurs ist – in der Beziehung, im Job, im Großen und Ganzen –, an wessen Geschichte würden Sie sich halten: die vom Matrosen, der unter Deck ging und sein Glück (heraus)forderte? Oder die Geschichte dessen, der seinen Platz erkannte und erfüllte?

Das heißt nicht, dass auch die Art der Glücksfindung für jeden die gleiche wäre. Im Gegenteil: Glücksfindung ist ein sehr individueller Prozess. Die Frage, wo und wie Sie in bestimmten Situationen anpacken, lässt sich nicht einheitlich beantworten. Der Matrose mag sein Glück darin finden, sich in das Rigg zu stemmen, aber das muss nicht für jeden gelten. Zu leicht glauben wir, das Rezept von jemand anderem sei einfach auf unser Leben zu übertragen. Vielleicht wäre es für Sie jedoch besser, von Bord zu springen und zur nächsten Insel zu schwimmen, weil Sie das einfach besser können. Wer weiß, was Sie dort finden: Palmen (neue Ufer)? Einen Goldschatz (eine Sorge weniger)? Einen Traumprinzen (eine Sorge mehr)?

Zugegeben: Jemand anderem sein Rezept klauen zu wollen, ist ein naheliegender Ansatz für die Glückssuche. Bei den internationalen Glücksrezeptvergleichen schneidet Deutschland ­regelmäßig schwach ab: Die Top-Positionen in den internatio­nalen Glücks-Rankings pendeln je nach Studie zwischen Dänemark, Paraguay und Buthan. Deutschland liegt konstant im Mittelfeld. In Dänemark, immer weit vorn oder ganz vorn dabei, werden gerade Untersuchungen über das »Glück aufgrund von genetischen Voraussetzungen« angestellt. Die Jagd auf das Glücksgen ist eröffnet. Ist Glück vielleicht eine Frage der Gene?

Sie ahnen es: Vergleichen und Spicken ist nicht die Lösung, auch wenn sich die Genthese nicht bestätigt. Warum? Ich werde Ihnen antworten, indem ich Ihnen verrate, welche Erfahrung ich mit dem Glück gemacht habe.

Je mehr ein Mensch sich selbst erkennt, desto mehr bleibt er bei sich, anstatt sich in der Außenwelt zu verlieren. Je mehr ein Mensch sich selbst erkennt, desto genauer weiß er, was ihm guttut und was nicht. Je mehr ein Mensch sich selbst erkennt, desto weniger vergleicht er sich mit anderen. Je mehr ein Mensch sich selbst erkennt, desto klarer werden ihm seine Motive und mentalen Begrenzungen. Je mehr ein Mensch sich selbst erkennt, desto besser kann er Motive und mentale Begrenzungen nach seinen eigenen Vorstellungen formen.

Das alles läuft darauf hinaus, dass er mehr lebt als dass er gelebt wird. Er kann sein Leben freier gestalten. Und je freier ein Mensch sein Leben gestalten kann, desto bewusster kann er Entscheidungen treffen. Das ist der Preis der Freiheit: Entscheidungen treffen, und die Verantwortung für diese Entscheidungen übernehmen, anstatt sie anderen zu überlassen. Das schließt die Verantwortung für Ihr Glück ein: Wie der Matrose im Sturm können wir uns nicht darauf verlassen, dass es uns gegeben wird. Wer fordert, verliert.

Viele Menschen denken, handeln und reagieren sehr unbewusst. Wenn Eltern sich wünschen, dass ihre Kinder Abziehbilder ihrer selbst werden mögen, dann passiert das aus bester Absicht heraus. Sie sind davon überzeugt, dass es so, wie sie es selbst gemacht haben, genau richtig ist. Dass sie ihre eigenen Limitierungen an die nächste Generation damit einfach weitergeben und die Individualität ihrer Kinder ersticken, wissen sie gar nicht. Ähnlich ist es mit dem Chef, der meint, seine Mitarbeiter müssten alles genauso machen wie er selbst. Auch manche Politiker regieren mit besten Absichten an den Interessen des Volkes vorbei. Gut gemeint, schlecht gemacht.

Deswegen konzentriere ich mich in diesem Buch genau auf diese unbewussten Muster – diese Glücksbarrieren, von denen wir oft gar nicht wissen, dass wir sie in uns tragen.

Ein bewusstes Leben lädt Glück geradezu ein. Je bewusster ein Mensch lebt und Entscheidungen trifft, desto klarer wird ihm seine Verantwortung für sein eigenes Leben. Im Kern geht es bei der Suche nach Glück also um das Ringen nach mehr Selbstverantwortung.

Leider kann ich Ihnen auch dafür kein Rezept liefern, das Sie in sieben Schritten zum lebenslangen Glück befördert. Sorry – ich hätte es Ihnen gegönnt. Aber so leicht ist es nun einmal nicht, das Ringen um und das Gelingen von Selbstverantwortung. Das wissen Sie. Bei mir hat es auch ein bisschen länger gedauert. Und noch länger, bis ich verstanden hatte, warum meine Lebensqualität gemeinsam mit meiner Selbstverantwortung gewachsen ist.

Lassen Sie uns genau da anfangen, wo ich angefangen habe: bei dem Moment, als mein Leben durch Erkenntnis zu gelingen begann.

*

Es war neun Monate nach meinem Unfall. Nach einer langen Leidenszeit in der Reha-Klinik war ich wieder draußen in der wirklichen Welt. Ich dachte, ich hätte alles verstanden. In meinem Kopf war ich klar: Ich bin querschnittgelähmt, aber ich komme zurecht. Ich wusste, ich musste mich einfach nur auf das konzentrieren, was da ist: meinen Kopf, meine Schultern und Arme. Das genügt, um mein Leben in den Griff zu bekommen und so zu leben, wie ich das wollte. Dachte ich.

Aus purer Sentimentalität kehrte ich das erste Mal wieder dahin zurück, wo ich vor meinem Unfall gewohnt hatte. Zu ­einer Wohnung mit vielen Treppen. Ich wusste: Als Rollstuhlfahrer hatte ich dort keine Zukunft. Doch ich wollte das Haus noch einmal sehen, die Straße, diesen Ort meines alten Lebens. Mich verabschieden. Eine Art Ritual.

Da entdeckte mich ein Mädchen aus der Nachbarschaft, das ich gut kannte. Sie mochte mich, fand mich irgendwie cooler und lustiger als die meisten Erwachsenen. Und ich mochte sie auch.

Sie freute sich, mich zu sehen, und rief schon von Weitem: »Boris!« Sie riss sich von ihrer Mutter los und lief auf mich zu.

Noch während sie auf mich zurannte, spürte ich, wie sie plötzlich innerlich zurückschreckte. Sie wurde langsamer und schaute verdutzt. Jetzt war ich mir sicher, dass sie verstanden hatte: Der Boris sitzt im Rollstuhl!

Sie kam zu mir und begrüßte mich, aber nicht so stürmisch wie früher, sondern plötzlich reserviert und scheu.

Wir schwiegen beide eine kleine Weile.

Dann sagte sie: »Du, Boris …«

»Ja?«

»Sag mal, sitzt du jetzt dein ganzes Leben lang im Rollstuhl?«

In dieser Sekunde brach ich innerlich zusammen.

Bis zu diesem Moment hatte ich geglaubt, schon verstanden zu haben, was es bedeutet, was mir passiert war. Doch auf einmal fühlte ich es, so richtig tief. Zum ersten Mal.

Ich konnte nichts sagen. Es gab nichts zu sagen. Ich musste nichts beschwichtigen oder beschönigen. Nur aushalten.

Ich schaute sie fest an. Und hielt aus. Sie auch.

Irgendwann lachten wir beide. Nein, es gab wirklich nichts mehr zu sagen. Dann drückte sie mir die Hand und ging zu ihrer Mutter zurück.

Ich habe sie nie wieder gesehen.

*

Dieses Mädchen war mein größter Mentor. Sie half mir mit ­einem einzigen Satz, etwas zu verstehen, was ich bis dahin noch nicht verstehen konnte oder wollte. Sie sprach die Wahrheit aus und verhalf mir dadurch zur Einsicht. Zur Sicht des einen. Sie machte mir klar, dass es in meinem Leben noch einiges gab, das ich bis dahin nicht gesehen hatte, oder besser: nicht gefühlt hatte. Nicht hatte fühlen wollen.

Sie zeigte mir in einem Augenblick den Unterschied zwischen gedachter, rational verstandener Verantwortung und tatsäch­licher, emotional gelebter Verantwortung. Den Unterschied zwischen intellektuellem und emotionalem Verstehen. Was für ein Unterschied! Sie ließ mich eine Lücke erkennen. Den Spalt zwischen meiner gedachten Vorstellung vom Leben und dem realen Leben. Sie war hart zu mir, erbarmungslos ehrlich und klar.

Wenn Sie mögen, will ich in diesem Buch zu Ihnen so sein, wie das Mädchen zu mir war: klar, ehrlich, mit Respekt und Wertschätzung.

Bei der Frage nach einem glücklichen Leben geht es um die Frage nach einem gelungenen Leben. Ein Leben gelingt, wenn es im Fluss ist. Es fließt besser, wenn keine großen Steine im Flussbett das Fließen behindern. Dabei geht es nicht darum, die Fließgeschwindigkeit zu erhöhen, indem Sie noch mehr in Ihren geistigen Kleiderschrank packen. Es geht nicht darum, mental aufzurüsten. Im Gegenteil: Es geht darum, Steine aus dem Weg zu räumen. Innere Widerstände aufzulösen. Loszulassen und sich auf Weniges, dafür Entscheidendes zu konzentrieren. Dann kommt das Glück zu Besuch. Wie ein guter Freund. Es schaut immer mal wieder vorbei, ohne dass Sie das einfordern müssten.

Aber lesen Sie erst einmal …

Teil 1

Wie Sie unabsichtlich, aber todsicher Ihre wichtigsten Beziehungen sabotieren

Mach mich glücklich!

Sie waren das Jahrhundert-Liebespaar, die Beziehungs-Show ihrer Generation, die Verkörperung der verzweifelten Suche nach dem Glück in der Liebe: Richard Burton und Liz Taylor hassten sich und liebten sich – intensiv, exzessiv, furios. Nachdem sie sich 1962 am Set von Cleopatra ineinander verliebt hatten – oder besser: einander verfallen waren –, konnten sie bis zum Tode Richard Burtons 1984 nicht mehr ohneeinander leben. Sie konnten allerdings auch nicht miteinander leben. Sie heirateten einander zweimal und trennten sich zweimal. Zwischendurch und danach versuchten sie es mit anderen Partnern, was sie genauso wenig glücklich machte. So wäre es wohl ewig weitergegangen. Doch als Liz Taylor den Brief mit seinem dritten Heiratsantrag erhielt, war Richard Burton schon verstorben.

Der erste Satz, den Richard zu Liz am Rande der Dreharbeiten zu Cleopatra sagte, war: »Sie sind ein sehr hübsches Mädchen.«

Gut, das hatten ihr schon viele gesagt. Liz galt damals als die schönste Frau der Welt. Sie war 28 und bereits die Königin von Hollywood. Es war völlig selbstverständlich, dass sie die Hauptrolle für den bis dahin größten, aufwändigsten, teuersten Film aller Zeiten besetzte. Ein Kompliment von einem walisischen Bühnenschauspieler wird sie nicht sonderlich beeindruckt haben.

Doch dann sagte er noch etwas: »Sie sind ganz schön fett.«

Erst jetzt sah sie ihn interessiert an. In diesem Moment erkannte sie in ihm das, was sie unbewusst gesucht hatte: endlich ein Widerpart. Endlich ein Gegner! Endlich einer, der ihr die Langeweile nehmen konnte. Und damit begann der Krieg der Liebenden.

Ihre Beziehung war ein schwindelerregendes Wechselspiel zwischen Täter- und Opferrolle. Sie beleidigten sich permanent gegenseitig, entschuldigten sich gelegentlich, dominierten sich abwechselnd, unterwarfen sich, verstießen sich, versöhnten sich, schrien sich an, ertränkten ihre Sucht nach dem jeweils anderen in Alkohol, richteten sich gegenseitig zugrunde, rappelten sich aneinander wieder auf, liebten sich leidenschaftlich, verletzten sich leidenschaftlich. Sie waren süchtig danach, einander zu beherrschen.

Glücklich machen konnten sie sich nicht.

Als Liz ihn nach zehn Jahren Himmel-Hölle zum ersten Mal verließ, schrieb Richard ihr ein Fünf-Punkte-Programm: »Also, zuerst muss dir klar sein, dass ich dich anbete. Zweitens, auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Ich liebe dich. Drittens, und hier macht sich meine großartige Sprachbeherrschung bemerkbar: Ohne dich kann ich nicht leben. Drittens, ich meine viertens, trägst du eine enorme Verantwortung, denn wenn du mich verlässt, werde ich mich töten müssen.« Und dann noch Punkt Nummer fünf: »Wenn du mich überreden könntest, mit der Schauspielerei aufzuhören, einer Beschäftigung, die ich immer abgelehnt habe, könnte ich versuchen, bis 55 am Leben zu bleiben.«

Die Glücksschuld

Das Motiv hinter dem Satz »Mach mich glücklich!« ist leicht zu durchschauen: Du sollst mir das geben, was mir fehlt! »Mach mich glücklich!« bedeutet: Gib mir Glück! Wenn du da bist oder tust, was ich von dir will, bin ich glücklich; wenn du nicht da bist oder nicht tust, was ich von dir will, bin ich unglücklich. Eine galante Form der emotionaler Erpressung.


Diese Vorstellung von einer Beziehung ist das Normalste auf der Welt. Sie begründet Millionen von Ehen. Auch viele andere unserer engsten Beziehungen sind von ihr durchdrungen: Das Neugeborene macht Mami und Papi glücklich. Wenn das Kind älter ist, dann ist es glücklich, solange Mami und Papi glücklich sind. Kinder sind zu sehr vielem bereit, um ihre Eltern glücklich zu machen – und wenn sie dabei ihre eigene Identität verraten. Das macht sie so leicht erpressbar und benutzbar; vor allem, wenn sie noch klein sind.

Die Forderung »Mach mich glücklich« gibt es auch in umgekehrter Form, nämlich als Vorwurf: Wenn meine Mutter früher nicht überfürsorglich gewesen wäre, dann käme ich heute besser mit meinem Leben klar. Oder: Die Geschwisterfolge ist schuld – wenn mein kleiner Bruder nicht die meiste Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte, dann wäre ich heute ein glücklicherer Mensch. Oder von Elternseite: Wenn der Junge uns nicht so viel Kummer machen würde, dann wären wir glücklichere Eltern. Ekelhaft: Erpressung durch Glücksverhin­derungs­vorwürfe!

Ganz gleich in welcher Ausprägung, egal ob ausgesprochen oder nicht – hinter der Forderung »Mach mich glücklich!« steckt stets passives Dominanzstreben. Das ist ein Machtanspruch mit enormer Wucht. Die wird vor allem dann spürbar, wenn sich der Glückseintreiber vom Glücksspender abwendet, weil er seinen Anspruch nicht erfüllt sieht. Ich habe das selbst einmal erlebt.

Meine erste große Liebe hielt neun Jahre, mit Unterbrechungen. Es war meine erste »richtige« Freundin, und ich war für sie der erste »richtige« Freund. Es war uns ernst mit der Beziehung, und durch die Erfüllung unserer Rollen machten wir einander glücklich. Meistens. Dachten wir.

Wir waren beide sehr attraktiv. Sie: 24, hübsch, schlank, Modelmaße, lange Haare, knackiger Po. Rolle: Prinzessin. Ich: 25, durchtrainiert, Profisportler, begabter Musiker, Sunnyboy, dem alle Herzen zuflogen. Rolle: Held. Wir genossen einander – doch mit zunehmender Reife begann ich unsere Motive zu hinterfragen. Ist das Liebe, oder einfach nur starkes Interesse auf Grund unerfüllter Wünsche? Liebte ich sie wirklich, oder war sie nur meine »Vorzeigefrau«, weil sie so toll aussah? Und liebte sie ihrerseits vielleicht gar nicht mich, sondern nur das Idealbild, das ich für sie verkörperte? In mir war ein ungutes Gefühl gewachsen: Wurde ich von ihr benutzt, um ihr Leben perfekt zu machen? So langsam wurde mir klar: Egal, wie sehr ich mich anstrengte, was auch immer ich tat, um ihr die Sterne vom Himmel zu holen, nie war es genug. Es hätte immer noch besser sein sollen.

Ohne die tieferen Prägungen dahinter richtig zu verstehen, spürte ich instinktiv, dass unsere gemeinsame Zeit vorbei war. Ich trennte mich von ihr und flog mit einem Freund nach Mexiko. Dort brach ich mir beim Klippenspringen die Hals­wirbel­säule und kam als Querschnittgelähmter zurück.

Und meine Exfreundin? Hielt zu mir! Hielt an mir fest. Ließ mich in meinen schwärzesten Stunden nicht allein. Als ich nach der Notoperation in Mexiko mit dem Rotkreuzflieger in Stuttgart landete, ging die Tür zur Flugzeugkabine auf – und da war sie. Sie lächelte und übernahm das Kommando. Als ob wir gar nicht getrennt wären. In meiner Not tat das gut. Mir fehlte die Kraft, in dieser Situation zu ihr zu sagen: »Du hör mal, eigentlich habe ich mich von dir getrennt.« Für diese Konsequenz war ich zu schwach. Es war fast schon symbolisch: Jetzt, wo dieser Unfall passiert war, konnte ich ihr nicht mehr weglaufen. Also waren wir wieder zusammen.

Was zuerst guttat, wurde mit der Zeit immer einengender. Ich war in Reha und sollte mich ganz auf mich konzentrieren. Nach dem ersten tiefen Tal der Verzweiflung über meine Lähmung hatte ich beschlossen, mein Leben in die Hand zu nehmen und trotzdem etwas daraus zu machen. Dazu musste ich mich ganz auf das konzentrieren, was ich noch konnte: die Arme heben. Die Finger bewegen. Denken. Sprechen. Später: mich anziehen. In die Stadt gehen. Autofahren. Etwas arbeiten. Ich wollte, soweit es irgendwie möglich war, selbstbestimmt leben. Ich wollte das neue Leben annehmen, wie es eben war, und das kostete mich unendlich viel Kraft.

In dieser Zeit stellte ich fest, dass die Beziehung zu meiner Freundin für mich in Summe mehr zusätzliche Belastung als Unterstützung war. Am schlimmsten nagten ihre mal mehr, mal weniger unterschwelligen Vorwürfe an mir: Warum ist es nicht mehr so wie früher? Warum hast du mir das angetan? (Damit war der Unfall gemeint.) Hinzu kamen ihre Zweifel: Werden wir jemals Kinder haben? Und schließlich war da noch die unausgesprochene Ausgleichsforderung: Ich kümmere mich um dich, ich lasse dich jetzt nicht im Stich; und dafür gibst du mir, was ich brauche, jetzt und bis in alle Ewigkeit, denn dieser Liebesdienst ist nicht wiedergutzumachen. Sie gab mir eine Wiedergutmachungsschuld, und ich nahm sie emotional an. Ich fühlte mich schlecht. Sehr schlecht. Zu jedem, der Schuld verteilt, gehört auch jemand, der die Schuld annimmt. Und das war meine Verantwortung!

Nach sechs Monaten in der Reha kam die Klarheit: An unserem ersten gemeinsamen Wochenende fuhr ich direkt aus der Klinik mit dem Zug zu ihr. Für mich ein Kraftakt biblischen Ausmaßes. Raus aus der geschützten Vollzeitbetreuung – rein in die reale Welt voller Hindernisse. Sie holte mich vom Bahnhof ab. Ich hievte mich vorne auf den Beifahrersitz, physisch entkräftet von meinen Anstrengungen und glücklich über diesen nächsten kleinen persönlichen Sieg. Sie verlud den Rollstuhl. Als sich das schwierig gestaltete, verlor sie plötzlich die Fassung, trat mehrmals auf den Rollstuhl ein und fing an zu weinen.

Schlagartig wurde mir bewusst: Wir waren genau da, wo wir vor meinem Unfall gewesen waren. Wir passten nicht zusammen – jetzt nicht weniger als vor dem Unfall, aber eben auch nicht mehr. Es war, könnte man sagen, eine Beziehung, die sich überlebt hatte. Unsere früheren Liebesmotive hatten sich aufgelöst. Ich war dabei, eine eigene Wohnung in Köln zu beziehen, und ich spürte: Ich muss da allein einziehen. Ganz bei mir selbst bleiben. Ich wollte und konnte keine anderen Rollen oder Glücksforderungen erfüllen. Dazu war ich viel zu schwach. Mein eigenes Leben, darum ging es jetzt. War das egoistisch? Ja, das war es!

Einige Tage später saßen wir in meiner Rehawohnung in der Klinik zusammen. Ich nahm mein Herz in beide Hände und sagte es ihr. Sie kannte mich gut genug, um zu wissen, dass das der endgültige Schlussstrich war. Und dann startete sie ihren letzten, verzweifelten Versuch, die Beziehung zu retten, der mir deren Natur endgültig offenbarte: Sie schrie und kreischte, nahm sich ein großes Messer aus der Küche, rannte ins Badezimmer und verschanzte sich hinter der Toilettenschüssel. Sie kauerte auf dem Boden in der einzigen Ecke, die ich vom Rollstuhl aus nicht erreichen konnte, und drohte mir, sich mit dem Messer etwas anzutun.

»Du hast nicht das Recht, Schluss zu machen!«, schrie sie. »Bei allem, was ich für Dich getan habe!«

Ich versuchte, irgendwie an sie ranzukommen, um ihr das Messer zu entwinden. Doch sie war außer Reichweite eines Rollstuhlfahrers, das wusste sie – ich war machtlos.

Sie schrie mich an: »Geh weg! Lass mich!« Ihre Handlungen sagten das Gegenteil: Mit ihrer Drohung, sich etwas anzutun, wendete sie ein brutales Machtmittel an, um mich zu sich zu ziehen und an sie zu binden. Komm her! Geh weg! Sie zwang mich in eine unlösbare Situation und ließ mich im Ungewissen. Ich fühlte mich schlecht und schuldig. Schon wieder …

Da wurde mir klar, dass sie gerade mit allen Mitteln fortsetzen wollte, was sie in unserer Beziehung schon immer getan hatte: Sie versuchte mich durch Schuldübertragung von ihr abhängig zu halten. Das gab ihr Sicherheit und Kontrolle, und genau das spiegelte ihre eigene Abhängigkeit von mir. Und das wurde erst so richtig klar, als es um eine große Entscheidung – in diesem Fall einen Umzug von 450 Kilometern – ging. Erst später habe ich das besser verstanden: In der Intensität großer Entscheidungen liegt die Chance einer tieferen Klarheit.

Anderen Schuld zuzuweisen, ist ein probates Mittel der Un­terdrückung, wenn diese sie annehmen. Richard Burton machte Liz Taylor für sein Glück verantwortlich, indem er von ihr verlangte, dass sie ihn zum Verzicht auf die Schauspielerei über­redete – damit er endlich mit dem aufhören konnte, was ihn unglücklich machte. In gleicher Weise machte mich meine damalige Freundin für ihr Glück verantwortlich, indem sie von mir verlangte, dass ich auf meinen notwendigen Selbstfindungsprozess nach dem Unfall verzichte und meine Kraft auf sie und ihre Bedürfnisse konzentrierte. Ich sollte sie als meine private Pflegerin akzeptieren, von der ich abhängig war, denn dann fühlte sie sich sicher, gebraucht und glücklich. Ich war in ihren Augen verpflichtet, ihr Glück zu liefern, denn dafür sind Helden bei Prinzessinnen nun einmal zuständig. Ich hatte eine Schuld einzulösen.

Nach einer Weile ließ ihre Hysterie nach. Inzwischen war ich mir sicher, dass sie sich nicht wirklich etwas antun würde, sondern mich nur erweichen wollte. Nachdem noch etwas mehr Zeit vergangen war, spürte ich, wie sie aufgab. Sie kam hinter der Toilette hervor, rief jemanden an und ließ sich abholen. Der Spuk war vorbei.

Und ich war frei. Dazu musste ich erst lernen, ihre Schuldzuweisungen nicht mehr anzunehmen. Das jahrelang zuzulassen war zuvor mein Fehler gewesen. Wie ein Held so eben ist. Das war mein Teil der Verantwortung. Denn jetzt war ich diese bleierne Verantwortung für ihr Glück los. Ich musste ihre Erwartungen an ein »gutes« Leben nicht mehr erfüllen. Ich war frei von der Glücksschuld, die ich für den Rest meines Lebens hätte abgelten sollen – mit oder ohne den Unfall. Endlich war ich nicht mehr an dieses stillschweigende Versprechen gebunden, das ich nicht einhalten wollte und konnte. Natürlich wäre es besser gewesen, wenn wir unsere Muster und Mechanismen gemeinsam erkannt und transformiert hätten. Doch dazu waren wir viel zu unreif. Beide!

Der Unglücksmechanimus

Sie: »Musst du schon wieder Fußball glotzen!«

Er: »Machst du mir ein Bier auf?«

Sie: »Hol’s dir selber!«

Er: »Aber du hast doch gerade nichts zu tun!«

Sie: »Ah, so? Was ich mache, ist dir wohl nicht wichtig? Aber dein Fußball ist wichtig, oder was?«

Das klingt wie ein Sketch von Loriot – und ist doch die traurige Realität in vielen familiären Beziehungen: Vorwürfe über Vorwürfe. »Nie räumst du dein Zimmer auf!«, »Immer unterbrichst du mich!«, »Wann kommst du endlich mal von selbst drauf, den Tisch zu decken?!«

Forderungen und Schuldzuweisungen sind zwei Seiten einer Medaille. »Immer machst du …« oder »Nie kümmerst du dich um …« – das heißt übersetzt nichts anderes als: Ich will, dass du etwas tust oder lässt. Wenn du meiner Forderung nicht folgst, machst du mich unglücklich. Sobald nach der ersten Verliebtheit oder nach der Phase der frühen Kindheit Abhängigkeit und Co-Abhängigkeit gut aufeinander abgestimmt sind, laufen die immer gleichen Muster ab: Ich will vom anderen etwas. Ich bin innerlich selbst noch nicht frei und erwarte die Lösung für meine Probleme vom anderen. Diese Forderung ist der sichere Weg in eine selbst erschaffene Abhängigkeit. Der andere verweigert sich – früher oder später. Davon fühle ich mich in Frage gestellt: Liebt mein Partner mich nicht? Denn wenn er mich lieben würde, dann würde er mir ja geben, was ich verlange …

Die Folge sind permanente gegenseitige Entwertung und Aggression, die oft in der Missachtung des anderen enden: der Beziehungskiller Nummer eins. Denn bei den meisten Erwachsenen läuft das unbewusst auch nicht anders ab als bei einem Kleinkind: Ich will etwas und bekomme es nicht. Die daraus erwachsende Aggression kann sich in den verschiedensten Formen äußern, von der selbstzerstörerischen Autoaggression über die taktische, nörglerische, passive Aggressivität (Missachtung) bis hin zum andauernden offenen Streit darum, wer Recht hat.

Die große Gefahr dieses aggressiven Mechanismus liegt darin, dass Schuldzuweisung und schlechtes Gewissen ineinanderpassen wie Schloss und Schlüssel. Deshalb läuft er in vielen Familien praktisch automatisch ab – und zwar in Endlosschleife. Die Forderung nach Glück und die vermeintliche Verweigerung dieser Forderung werden in Vorwürfe und Schuldzuweisungen umgemünzt, die Schuldgefühle beim anderen erzeugen. Und das macht ihn oder sie unglücklich, was eine Steilvorlage für den Gegenschlag darstellt. Auf diese Weise bleibt man einander »verbunden« wie Liz Taylor und Richard Burton, auch wenn es in den meisten Familien nicht so spektakulär zugeht wie bei den beiden. Das Tragische und zugleich Hoffnungsstiftende ist die Tatsache, dass es nicht an starkem Interesse fehlt, sondern an Glück.

Die Aufforderung »Mach mich glücklich!« bringt niemandem Glück. Ein anderer kann Sie grundsätzlich nicht glücklich machen. Diese Forderung ist unmöglich einzulösen. Ein Lebenspartner oder eine Familie, ein Kind oder die Eltern sind nicht dazu da, Sie glücklich zu machen.

Die glücklose Suche

Aber wenn der Andere in einer Beziehung Sie nicht glücklich machen kann, wo soll das Glück denn dann herkommen? Und wozu ist dann eine Familie überhaupt da?

Es ist so einfach und klar, aber wohl so schwer zu verstehen: Glücklich ist, wer sich selbst dafür hält. Oder anders gesagt: Glücklich ist, wer Glück empfindet. Und ob Sie glücklich sind, das liegt ganz allein bei einem: bei Ihnen selbst.

Das Streben nach Glück wird heutzutage überbewertet. Es ist so etwas wie ein Trend, eine Mode unserer Zeit, codiert in Romanen, Ratgebern und Hollywoodfilmen – ein Kulturphänomen. Wir glauben, Lebensglück sei etwas Reales, und wir glauben, wir hätten einen Anspruch darauf. Dabei ist Glück nur ein berauschender Moment, ein Augenblick, in dem vieles passt, ein kurzes Hoch, ein persönliches Erlebnis. Sobald wir versuchen, den allgegenwärtigen Glückstipps zu folgen, erleben wir Enttäuschungen, denn das Glück lässt sich nicht herbeirufen und festhalten.

Der Philosoph Wilhelm Schmid sagte in einem Interview: »Meine Eltern kannten das Wort Glück gar nicht, und das waren die glücklichsten Menschen, die ich bisher kennengelernt habe.«

Die allgemeine Forderung nach Glück, der mediale Glücks-Hype, macht in Wirklichkeit niemanden glücklich. Im Gegenteil. Denn ein ganz normales, zufriedenes Leben wirkt in diesem grellen Licht wie etwas Defizitäres: Warum bin ich nicht so glücklich, wie ich offenbar sein sollte? Offenbar fehlt in meinem Leben etwas, denn andere sind scheinbar glücklicher als ich! Wenn ich unglücklich darüber bin, dass ich nicht glücklich bin, dann liegt es nahe, die Verantwortung für diesen vermeintlichen Missstand an jemand anderen abzuschieben.

Dabei liegt das momentane Glück oftmals darin, auch in schwierigen Momenten ganz bei sich zu bleiben und das, was da ist, anzuerkennen. In dieser Hinsicht hat mich das Supermodel Miranda Kerr einmal in einem Interview überrascht. Nach der Geburt ihres Sohnes Flynn sprach die ganze Glamour- und Boulevard-Welt darüber, wie sie ihre unglaubliche Figur so schnell wiederhergestellt hatte. In unzähligen Interviews wurden ihr die immergleichen Fragen gestellt. Und sie antwortete auf diese Fragen fröhlich, ehrlich und messerscharf:

Was denn die Männer zu ihren Frauen sagen sollen, die ihre Wunschfigur nach der Geburt nicht so schnell zurückerlangen wie sie? – Nun, die Männer sollen sich über die Figur ihrer Frauen freuen, wie sie gerade ist, meinte Miranda Kerr. Schließlich sei das die Frau, die sie erwählt haben. Und je mehr sie sich über das freuten, was schön ist an ihrer Frau, desto schöner werde sie strahlen.

Ob die Geburt ein wunderbares Erlebnis war? – Die Geburt sei die Hölle gewesen. Sie hätte nie gedacht, dass es solche Schmerzen gebe. Ihr Kind wog über fünf Kilo, und die Geburt dauerte 27 Stunden. Aus Überzeugung habe sie auf jegliche Schmerzmittel und eine Betäubung verzichtet. Es sei eine schreckliche Qual gewesen, aber auch eine Erfahrung, die sie nicht missen wolle.

Ob ihr Baby nun ihr Leben komplett machen würde? – Komplett? Flynn, ihr Baby, sei mit Einverständnis ihres Mannes Orlando nach ihrer ersten großen Liebe benannt. Der Mann war bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Das erinnere sie daran, dass sie mit dem Verstorbenen Kinder haben wollte – ein Segen, der ihnen verwehrt geblieben ist. Außerdem sei gerade ihr Elternhaus nach einem Blitzschlag abgebrannt. Also, wie sollte Flynn ihr Leben in irgendeiner Weise komplett machen?

Wie glücklich sie nun auf einer Skala von eins bis zehn sei? – Jetzt im Moment? Zehn.

Genau das ist die Lösung. In dem Moment, wo der Anspruch an das glückliche, komplette, perfekte Leben aufgegeben wird und ich die Schattenseiten und schwierigen Momente ganz bewusst erlebe, brauche ich erstens niemanden mehr für mein Glück verantwortlich zu machen – auch nicht meinen Partner, meine Kinder oder meine Eltern. Zweitens bin ich dann frei, das ganze Glück des jeweiligen Moments wahrzunehmen. Das ist eine große Kunst.

Das Leben besteht aus Beziehungen, Verbindungen und Zusammenhängen. Beziehungen zu sich selbst und zu anderen, Verbindungen, die entstehen und vergehen, und zusammenhängen, die einen Sinn ergeben. Familien und Partnerschaften sind dazu da, solche Beziehungen, Verbindungen und Zusammenhänge zu erleben – und sich dabei weiterzuentwickeln.

Eine Beziehung zu einem anderen Menschen verändert uns. Allerdings nur dann, wenn wir uns auf den anderen einlassen. Uns auf ihn einlassen, ohne ihn verändern zu wollen und durch unsere Erwartungshaltung zu erdrücken! Wir dürfen nicht versuchen, den anderen nach unserem Vorbild zu formen oder zu jemandem machen zu wollen, den wir gern hätten.

Die Beziehung zu einem Menschen, den ich so akzeptiere, wie er ist, gibt mir die Möglichkeit, an mir selbst zu arbeiten, um als Persönlichkeit ganzer und runder zu werden. Das verlangt Größe. Sobald mich etwas am anderen stört, wird die Beziehung zu einem Spiegel, in dem ich sehen kann, was bei mir selbst noch ungelöst ist. Dann habe ich einen Ansatz, um dazuzulernen und mich weiterzuentwickeln. Mich – nicht den anderen.

Ob diese Entwicklung nun Glück oder Unglück bedeutet, liegt bei mir. So betrachtet hat Glück tatsächlich etwas mit einer Entscheidung zu tun: Ich kann das Glück, das in mir liegt, erkennen und entscheiden, bei solchen Gelegenheiten an mir selbst zu arbeiten. So einfach ist das. Und doch so schwer …