Das Buch

Die Juden seien Feinde der Muslime, Frauen sollten nicht aufreizend sprechen und Ungläubige verdienten es, gequält zu werden – diese und weitere problematische Botschaften vermitteln Schulbücher, die der Fernsehjournalist Constantin Schreiber untersucht hat. Seine Frage: Was wird der jungen muslimischen Generation in den Schulen beigebracht? Und welche Auswirkungen kann das haben? Dutzende Unterrichtswerke aus islamischen Ländern hat sich Schreiber angesehen. Fünf Bücher aus Afghanistan, Ägypten, dem Iran, Palästina und der Türkei stellt er detailliert vor.

Weite Abschnitte aus den untersuchten Büchern werden übersetzt wiedergegeben, damit sich jeder Leser ein eigenes Bild machen kann. Wie solche Lehrinhalte auf Kinder wirken können, erläutern Expertinnen und Experten aus dem deutschen Bildungswesen. Auch ging Schreiber der Finanzierung und Entstehung der Bücher nach – und kam zu teils beunruhigenden Ergebnissen. Der Autor von »Inside Islam« leistet einen weiteren unverzichtbaren Beitrag dazu, muslimische Gesellschaften besser zu verstehen.

Der Autor

Constantin Schreiber (*1979) moderiert die »Tagesschau« und das ARD-»Nachtmagazin« sowie das NDR-Medienmagazin »zapp« und spricht fließend Arabisch. Einen Namen gemacht hat er sich als Moderator von arabischen TV-Sendungen, zum Beispiel in Ägypten. Für die deutsch-arabische Talkshow »Marhaba – Ankommen in Deutschland«, in der er Flüchtlingen das Leben in unserem Land erklärt, wurde er 2016 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Schreiber arbeitete nach einem Jura-Studium mehrere Jahre als Reporter in Beirut und Dubai, volontierte bei der Deutschen Welle und war drei Jahre als Medienreferent im Auswärtigen Amt tätig. Seit 2012 war er Moderator und Chef vom Dienst bei n-tv und wechselte 2017 zur ARD.

CONSTANTIN SCHREIBER

KINDER DES
KORAN

Was muslimische Schüler lernen

Econ

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ISBN: 978-3-8437-2059-5

© der deutschsprachigen Ausgabe
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019
Umschlaggestaltung
: FHCM® Designagentur, Berlin
Autorenfoto: © Hans Scherhaufer
Satz: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Über das Buch und den Autor

Titelseite

Impressum

Einführung

Kinder Afghanistans

Kinder des Iran

Kinder Ägyptens

Kinder Palästinas

Kinder der Türkei

Resümee

Danksagung

Feedback an den Verlag

Empfehlungen

Einführung

»Schulbücher spiegeln den Stand einer Gesellschaft, auf dem sie sich aktuell befindet«, sagt die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Susanne Lin-Klitzing. Wer also wissen will, wo sich muslimische Gesellschaften in Sachen Freiheiten, Grundhaltungen und Werten heute befinden, der sollte sich ansehen, was der jungen Generation dort beigebracht wird. Genau das habe ich mir mit diesem Buch vorgenommen.

Es hat eine Weile gedauert, bis ich aus acht verschiedenen Ländern eine breite Auswahl von Schulbüchern zusammengetragen hatte, insgesamt weit mehr als 100 Bücher aus dem Irak, Jordanien, Libanon, Palästina, Ägypten, dem Iran, der Türkei und Afghanistan. Bücher aus fünf dieser Länder habe ich schließlich ausgewählt. Sie erlauben einen Blick in eine andere Welt, oder besser: Sie zeigen einen anderen Blick auf die Welt. Dabei geht es mir nicht darum, gezielt nach Negativem, beispielsweise nach Antisemitismus zu suchen und diesen zu brandmarken. Es geht mir darum, einen Querschnitt dessen zu zeigen, was Schüler in diesen Ländern lernen. Und ja, einige der Inhalte, die ich gefunden habe, sind aus westlicher Sicht unerfreulich bis erschreckend und haben – wie mir deutsche Bildungsexperten bestätigten – nach unseren Maßstäben nichts in einem Schulbuch verloren.

Ein Beispiel: In einem ägyptischen Schulbuch zum Fach Haushaltskunde wird Stylingunterricht »für dicke und dünne Mädchen« gegeben. Dicke Mädchen – so steht es dort – sollten »keine engen Kleidungsstücke« und »keine breiten Gürtel tragen«. Der Glaube, dass sie das dünner aussehen ließe, sei ein »Irrglaube«. Breite Gürtel würden vielmehr »die Nachteile ihrer Körper hervorheben«. Dicke Mädchen sollten stattdessen »dunkle Farben« tragen. Dazu lächeln Models wie Claudia Schiffer in eng taillierten Kostümen den Schülerinnen von der Schulbuchseite entgegen. Dahinter steht natürlich der Gedanke, die Mädchen möglichst attraktiv für künftige Ehemänner zu machen. Denn der Platz der Frau ist das Heim, vermittelt das Lehrbuch.

Wer aus einem Land, in dem diese Denkweisen gelehrt werden, zu uns kommt, erlebt einen Kulturschock. Selbstverständlich kleiden sich in Europa Frauen so, wie sie es wollen – unabhängig von ihrer körperlichen Beschaffenheit. Selbstverständlich ist Jude kein Schimpfwort und das Existenzrecht Israels nicht verhandelbar. Selbstverständlich kann in Deutschland jeder seine Religion leben – oder sogar ohne leben. Selbstverständlich? Ja, für uns. Doch an Schulen im Iran, in Afghanistan oder Gaza sieht es anders aus.

Mir ist wichtig zu betonen: Es ist nicht alles schlecht, was ich zu lesen bekam. Die Naturwissenschaften hatten häufig ein gutes Niveau, soweit ich das beurteilen konnte. An Schulen in Ägypten wird sehr früh Philosophie gelehrt. Schüler in der sechsten Klasse müssen sich mit Texten von Sokrates oder Aristoteles auseinandersetzen. Das hat mir durchaus imponiert. Aber es fällt auf: Wissensvermittlung ist häufig nur mit ideologischem oder religiösem Unterbau möglich, etwa wenn sich in einem iranischen Mathematikbuch eine Abbildung befindet, auf der mathematische Formeln und daneben Militärraketen zu sehen sind. Die Botschaft: Wenn du gut in Mathe bist, kannst auch du eines Tages Raketen bauen.

Nun könnte man meinen, dies alles sei weit weg, Schulen in Ägypten, dem Iran und Afghanistan. Aber möglicherweise ist der Schaden, den schlechte Bildung in muslimischen Ländern anrichtet, auch bei uns spürbar. Außerdem erscheinen die Inhalte der Schulbücher als ein Symptom dafür, dass sich Gräben zwischen dem Westen und der islamischen Welt nicht schließen, sondern vergrößern. Denn wir werden in den Büchern häufig als Gegner dargestellt, als Kolonialisten, Imperialisten, Judenfreunde, Ungläubige und vieles mehr. »Unsere Feinde sind all diejenigen, die nicht Muslime sind«, lautet sinngemäß die Botschaft eines palästinensischen Schulbuchs.

Die arabischen Bücher konnte ich selbst durchsehen, da ich die Sprache verstehe. Trotzdem wurden alle Übersetzungen, die hier wiedergegeben werden, von einem zertifizierten Übersetzer angefertigt. Bei Türkisch, Persisch und Dari konnte ich mir zunächst keinen ersten Eindruck verschaffen, da ich diese Sprachen nicht beherrsche. Ich konnte aber auch nicht alle Bücher aus diesen Ländern komplett übersetzen lassen. Das hätte jeglichen Rahmen gesprengt. Also habe ich drei junge Kollegen, die aus den jeweiligen Ländern nach Deutschland gekommen sind, gefragt, ob sie sich die Bücher anschauen und mich auf Interessantes, Auffälliges und Berichtenswertes hinweisen könnten.

Als wir zusammensaßen und ich fragte, was ihnen aufgefallen sei, zuckten alle drei mit den Schultern und sagten: »Nichts Besonderes. Die Schulbücher sind eigentlich ganz normal.« Ich nahm ein Buch und blätterte es durch. In dem Schulbuch aus dem Iran tauchte gleich im ersten Kapitel eine Abbildung auf. Sie zeigt, wie amerikanische Soldaten auf Leichenbergen von Müttern, Kindern und Greisen eine Stars-and-Stripes-Fahne hissen. »Und das ist ganz normal?« Die Antwort: »Ja, das ist normal in unseren Schulbüchern.« Dies mag ein extremes Beispiel sein, doch befanden sich mehr oder weniger heftige antiwestliche Tendenzen in der großen Mehrzahl der von mir ausgewerteten Schulbücher.

Das ließ mich verwundert zurück. Junge Muslime mit ausländischen Wurzeln, die ich als absolut modern und reflektiert kennengelernt habe, die zudem noch in deutschen Medienunternehmen arbeiten, sagen, es sei »normal«, wenn in »unseren Schulbüchern« extreme Gewaltdarstellungen auftauchen, die die Unterdrückung von Muslimen abbilden sollen. Oder wenn offen die Rechte von Minderheiten und Frauen in Abrede gestellt werden. Das hat mich lange beschäftigt, sodass ich mich frage: Was bleibt von einer solchen Schulzeit hängen und wie sehr prägt das?

Ich bin kein Pädagoge. Daher habe ich die Einschätzung von Experten in Anspruch genommen, zum Beispiel von Susanne Lin-Klitzing. Sie ist die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Erziehungswissenschaftlerin und Professorin an der Universität Marburg. Ihre grundlegende Einschätzung: »Bildung hat immer auch übergeordnete Aufgaben wie Friedenserziehung, Menschenrechtsbildung, Rechtserziehung. Gleichzeitig wird bei uns strikt darauf geachtet, dass in Schulbüchern kein geschlechts-, behinderten-, religions- oder rassendiskriminierendes Verständnis gefördert wird. Das war in den Schulbüchern, die ich aus muslimischen Ländern hier vorliegen habe, anders.« Dieses Resümee zieht Lin-Klitzing, nachdem sie die übersetzten Schulbücher studiert und analysiert hat. Für einzelne Bücher habe ich außerdem andere Forscher und Experten zurate gezogen.

Mir ist bewusst, wie sensibel das Treffen einer Auswahl ist. Zuerst dachte ich daran, aus den insgesamt mehr als hundert Schulbüchern, die ich besorgt habe, die prägnantesten, überraschendsten, bedenklichsten Ausschnitte zu zeigen und zu übersetzen. Das hätte den Vorteil gehabt, dass ich viel mehr Details aus einer wesentlich größeren Anzahl an Büchern hätte referieren können. Ich habe mich dagegen entschieden. Unter anderem hätte ich sonst mit dem Vorwurf rechnen müssen, ich würde die krassesten Aussagen aus dem Kontext reißen und moderatere Stellen ausblenden. Stattdessen habe ich exemplarisch mehrere Schulbücher annähernd in Gänze übersetzen lassen. Annähernd heißt behutsam gekürzt, zum Beispiel wurden immer wiederkehrende Aufgaben oder Inhaltsverzeichnisse ausgelassen. Es entsteht ein authentischer Blick darauf, wie Fakten, Ideologie und Religion miteinander verwoben werden. Und jeder Leser kann sich einen eigenen Eindruck davon verschaffen, was manche junge Menschen in muslimischen Ländern an Lehrstoff vorgesetzt bekommen.

Im ersten Teil eines jeden Kapitels schaue ich auf die Inhalte, die in muslimischen Ländern verbreitet werden. Im zweiten Teil schaue ich auf die Auswirkungen bei uns, die insbesondere wegen der Migration aus muslimischen Ländern spürbar werden, an Schulen zum Beispiel. Lehrer stehen immer häufiger vor Klassen mit einem hohen Anteil muslimischer Schüler. Sie sollen vermitteln, was Generationen muslimischer Zuwanderer häufig nicht kennengelernt haben: Bildung, die bildet und Chancen schafft und die nicht ideologisieren will.

Aber es geht auch darum, ob Deutschland seine Zusammenarbeit mit muslimischen Staaten nicht an klare Reformen in den Bildungssystemen dieser Länder knüpfen sollte. Bisher läuft es so, dass das Geld fließt, unabhängig davon, welche Inhalte letztlich damit verbreitet werden. Und so kommt es, dass ein Teil der frauenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Ausfälle in Schulbüchern von deutschen Steuergeldern mitfinanziert werden, im Namen der Entwicklungshilfe. Das muss aufhören.

Kinder des Koran schließlich heißt das Buch, weil in allen Büchern ein muslimisches Weltverständnis in mehr oder weniger ausgeprägter Form eine Rolle spielte. Ich habe viele Jahre im Nahen Osten gelebt, bin bis heute zahlreichen Freunden in arabischen Ländern verbunden und berichte regelmäßig als Korrespondent für die ARD aus der Region. Ich bin der Überzeugung, die jungen Menschen in der muslimischen Welt haben etwas Besseres verdient als das, worauf ich bei der Recherche für dieses Buch gestoßen bin. Ihnen sollte die Möglichkeit zustehen, sich entsprechend ihren Fähigkeiten zu bilden.

Kinder Afghanistans

Es ist eines der gefährlichsten Länder der Welt. Kein Tag vergeht, an dem nicht Menschen in Afghanistan als Opfer von Konflikt und Terror sterben. Allein in der ersten Jahreshälfte 2018 wurden, unter anderem durch Drohnenangriffe und Selbstmordanschläge, laut den Vereinten Nationen 1692 Zivilisten getötet, 3430 verletzt. Die radikalislamischen Taliban sind nach wie vor aktiv. In den Provinzen, in denen sie herrschen, organisieren sie den Alltag der Menschen nach ihrem steinzeitlichen Weltbild. Westliche Bildung sehen die Islamisten als Bedrohung an. Knapp vier Millionen Kinder können wegen der andauernden Gewalt im Land keine Schule besuchen, schätzen die Vereinten Nationen. Im Sommer 2018 schlossen im Osten Afghanistans rund hundert Schulen, weil die Lehrer von Taliban bedroht wurden. Und dort, wo es Schulen gibt, sind diese in katastrophalem Zustand, nicht nur, was die Gebäude, sondern auch, was den Unterricht angeht. 41 Prozent der Schulen befinden sich nicht einmal in festen Häusern,1 die Kinder werden in Zelten, Wohnungen oder unter freiem Himmel unterrichtet. 2,5 Millionen afghanische Schulkinder müssen mehr als 2,5 Kilometer Schulweg zurücklegen. Nur 43 Prozent der Lehrer sind für ihren Job qualifiziert. Die meisten von ihnen arbeiten in den städtischen Zentren, auf dem Land unterrichten in der Regel unzureichend ausgebildete Lehrer. Afghanistan weist mit 69 Prozent eine der höchsten Analphabetenraten der Welt auf.2 Unter den afghanischen Mädchen und Frauen liegt die Rate noch weitaus höher – 83 Prozent von ihnen können weder lesen noch schreiben.

Die Religion des Islams ist die letzte Mission und die Ordnung Allahs des Allmächtigen für die Menschheit. (…) Der Aufruf zu Allah ist eine religiöse Pflicht. (…) Jeder Muslim, sowohl männlich als auch weiblich, ist verpflichtet, soweit seine Fähigkeit und sein Wissen es ihm erlauben, alles dafür zu tun, die Religion des Islams an andere weiterzugeben.

Ich halte ein afghanisches Religionsbuch in den Händen. Es trägt den Titel Auslegung des Heiligen Koran und erschien 2011. Die Seiten sind hauchdünn, verschlissen. Die Bindung aus zwei Heftklammern hält kaum noch. Nur der Umschlag ist farbig gestaltet. Darauf zu sehen sind ein Koran und eine Weltkugel. Die Kugel ist so dargestellt, dass der Nordpol im Mittelpunkt steht. Das heißt, die gesamte Südhalbkugel ist nicht zu sehen, sondern vor allem Nordamerika und Russland. Und aus irgendeinem Grund ist Grönland farblich hervorgehoben. Es ist leuchtend gelb dargestellt, im Gegensatz zu dem Braun, in dem die anderen Länder gekennzeichnet sind. Mein erster Gedanke: Was hat der Koran mit Grönland zu tun? Und warum schwebt der Koran vor allem über Ländern, die überhaupt nicht muslimisch geprägt sind? Er hätte ja auch dort dargestellt werden können, wo sich der Nahe Osten oder Afghanistan befinden. Er fließt aber grafisch in die USA und Kanada. Es könnte einfach eine Unbedachtheit sein, was ich für nicht unwahrscheinlich halte, weil das ganze Buch in seiner Aufmachung nicht besonders hochwertig oder professionell wirkt. Der Herausgeber ist auf dem Cover festgehalten: »Bildungsministerium der Islamischen Republik Afghanistan«.

Aus Afghanistan hatte ich mir Schulbücher aller Fächer einer zehnten Klasse besorgt. Das erste Paket wurde von den Taliban abgefangen und kam nie an. Weitere Pakete waren wochenlang unterwegs. Ein vereidigter Übersetzer übertrug die Inhalte schließlich von Dari, einer der beiden Amtssprachen, ins Deutsche. Das Religionsbuch, das ich ausgewählt habe, behandelt in jedem Kapitel einige Koranverse, übersetzt sie aus dem Arabischen und bespricht dann einige Aspekte des Textes. Mein Problem: Die Besprechungen helfen kaum, die Bedeutung der Zitate zu verstehen.

Gleich im ersten Kapitel, das den Titel »Der Mensch ist nicht umsonst erschaffen« trägt, fällt mir auf, dass der muslimische Gott als zorniger Gott dargestellt wird. Er fordert »Rechenschaft«, er »straft«. »Wer einen anderen Gott außer Allah anruft – für den er keinen Beweis hat, der wird seinem Herrn Rechenschaft ablegen«, heißt es da. Diese Drohungen ziehen sich als roter Faden durch das gesamte Buch. Sicher, es gibt auch christliche Gruppierungen, die ihre Anhängerschaft damit an sich binden wollen, dass sie mit göttlichen Strafen drohen. Aber nach unserem allgemeinen Verständnis ist Gott doch eher gütig, er vergibt und liebt die Menschen. Ist der muslimische Gott also per se zornig?

Ein eigenes Kapitel widmet das Schulbuch der Missionierung, der so genannten Da´aa. Im Kapitel »Einladung zu Allah« heißt es: »Und wer ist besser in der Rede als jemand, der zu Allah ruft und Gutes tut und sagt: ,Ich bin von denen, die dem Allah gehorsam und unterwürfig sind‘? Gut und Böse sind nicht gleich. Wehre das Böse mit Gutem ab, sodass die Person, die mit dir in Feindschaft war, wie dein bester Freund wird.« Ich weiß, dass es im Islam die Vorstellung gibt, Muslime müssten missionieren. Aber, dass sich dies so explizit in einem Schulbuch widerspiegelt, finde ich bedenklich.

Eine weitere Lektion des Lehrbuchs irritiert mich besonders. Es geht um die Sure Al-Baqarah, Verse 4246, um das Thema Wahrheit und Falschheit – und um offenen Antisemitismus. Denn in der Auslegung der Verse steht: »Insbesondere die Juden, die vom Recht gewusst hatten, änderten aber aufgrund von Vorurteilen und Rache das Recht, um die Menschen vom rechten Weg abzuhalten, indem sie, die Juden, das Recht verdeckten und es mit Nichtigem vermischten, wohlwissend, dass die Wahrheit jenes ist, was Mohammed, der Prophet des Islam (Friede sei mit ihm), gebracht hat.« Juden werden also als falsch dargestellt, als Gefahr. Ich weiß, dass im Islam die Ansicht vertreten wird, Juden und Christen hätten die Offenbarung verfälscht und nur der Islam entspreche der wahren Offenbarung. Diese Passage geht aber darüber hinaus, weil den Juden unterstellt wird, dass sie willentlich Muslime in die Irre führen wollten. Außerdem werden die Juden später im Text gemahnt, »ihr Buch« richtig zu verwenden, damit auch sie in der Lage seien, daraus Nutzen zu ziehen.

In dem Religionsbuch finden sich auch Bezüge zum weltlichen Leben, zum Staat und zur Gesellschaft. Im hinteren Teil des Buches, im Kapitel »Vertrauen und seine Bedeutung im Islam«, fällt mir eine Passage auf: »Dazu befiehlt Allah der Allmächtige den Gläubigen, ihren Befehlshabern und ihren muslimischen Herrschern zu gehorchen und zu folgen. (…) Wenn aber der Befehl und das Urteil der Befehlshaber und der Herrscher gegen das Gesetz Gottes sind, ist es niemandem gestattet, ihnen zu gehorchen oder zu folgen.« Eine Trennung zwischen Staat und Religion ist nicht vorgesehen, anders kann ich diese Passage nicht verstehen. Muslimischen Anführern sei zu gehorchen, so lange ihre Befehle im Einklang mit dem Islam stehen. Muslime haben also nichtmuslimischen Anführern ohnehin nicht zu folgen. In letzter Instanz sind religiöse Gebote bindend, nicht weltliche Gesetze. Diese Aussage entspricht dem allgemeinen islamischen Verständnis, dass Gottes Wort, wie es im Koran steht, das oberste Gesetz sei.

Weiter fällt mir auf, dass es in den Texten immer wieder um die Erhabenheit der Muslime gegenüber den »Ungläubigen« geht. In der neunten Lektion heißt es beispielsweise: »Die Aufrufer zu Gott (Muslime) sind das beste Volk.« Außerdem wird sehr viel mit Angst gearbeitet. Es gibt Regeln und Weisungen. Das Buch teilt die Welt in Gut und Schlecht, und gut seien die Muslime und schlecht die anderen.

Insgesamt frage ich mich, wie ein solches Schulbuch überhaupt im Unterricht eingesetzt werden kann. Von der Art und Weise der Gestaltung ist es darauf angelegt, dass ein Lehrer oder ein Schüler das Buch vorliest und die anderen zuhören und es verinnerlichen sollen. Transferaufgaben, Diskussionen, Einordnungen, die mir die Bedeutung der religiösen Texte für das Leben hier und heute erklären, finden de facto nicht statt. Sicher, die Inhalte sind antiquiert, zum Teil ohne Vorwissen schwer verständlich – etwas wenn historische Personen auf einmal ohne nähere Erläuterung erwähnt werden. Wenn ein Schüler diesen Texten nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder ausgesetzt wird, dann muss man schon sehr gefestigt sein und auch gut informiert über Quellen außerhalb der Schule, damit nicht irgendetwas von den kruden religiösen Inhalten hängenbleibt. Bevor ich auf einzelne Aspekte des Schulbuchs detaillierter eingehe, hier die wortgetreue Übersetzung dessen, was diese afghanischen Schüler über Religion lernen …«

Religionsbuch aus Afghanistan, 10. Klasse