Seven Devils – Zwischen Liebe und Verrat
Über das Buch:
Katherina DeLuca ist die Tochter des New Yorker Mafiabosses "Der Schlächter" und lebt in einer Welt aus Gewalt und Drogen. Sie führt sieben legendäre Nachtclubs, doch das berühmteste ist das "Seven Devils."
Von hier aus führt sie ihr eigenes kleines Imperium, stets unter den wachsamen Augen ihres Vater. Der kurzentschlossen einen Bodyguard für sie einstellt.
Ausgerechnet ihre erste große Liebe ...
Julien Hawkins wurde einst von Sebastien DeLuca aufgenommen, großgezogen und für seine Ausbildung bezahlt. Jahrelang agierte Julien im Verborgenen als Sebastiens Auftragskiller. Jetzt ist er zurück in New York und übernimmt den wichtigsten Job seines Lebens: Den Schutz von Katherina.
Während beide eine heimliche Affäre beginnen, müssen sie sich gegen einen Feind wappnen, der aus den eigenen Reihen zu kommen scheint ...
Faye Donaghue
Seven Devils – zwischen Liebe und Verrat
Copyright © Faye Donaghue
Die Buch- und Coverrechte liegen allein bei der Autorin. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung und Vervielfältigung (auch auszugsweise) ist nur mit der ausdrücklichen, schriftlichen Genehmigung der Autorin gestattet. Alle Rechte, inklusive Übersetzungs-, Film- und Medienrechte liegen allein bei der Autorin.
Zuwiderhandlungen sind strafbar und verpflichten zu entsprechendem Schadenersatz.
Solvig Schneeberg
Am Waldesrand 2
99427 Weimar
Umschlaggestaltung: Double A Coverworld
Lektorat: T.K. Moon
Dieses Werk ist rein fiktiv.
Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Für
Die Liebe meines Lebens.
All die wundervollen Frauen der Wortkunst, die mir um jede Tages- und Nachtzeit mit ihrem Rat zur Seite stehen.
Für Vera, die mal wieder meine erste Muse und Inspiration war! Ohne dich wäre so vieles nicht möglich gewesen!
„Das darf doch nicht wahr sein!“
Katherina lehnte sich genervt in dem bequemen Ledersessel zurück und blickte auf die Bildschirme, die an der gegenüberliegenden Wand hingen. Vier von ihnen zeigten abwechselnd das Innere des Clubs, die Straße vor dem Haupt- und Hintereingang. Der letzte zeigte in diesem Moment den Aufenthaltsraum ihrer Mädchen. Und eine davon war nicht allein. Ein Mann stand bei ihr, der nicht zum Personal gehörte. Ein Verstoß gegen die Regeln. Und Katherina hasste so etwas!
Erst dann sah sie, wer der Mann war.
Verdammter Mistkerl!
Sie griff nach ihrem Handy und verließ das Büro. Vor der Tür standen zwei Wachen, aber Katherina brauchte ihre Hilfe nicht. Und sie folgten ihr auch nicht.
„Victor!“, bellte sie in ihr Handy, sobald ihr Sicherheitschef ihren Anruf entgegennahm. „Elena!“
Sie erwartete keine Antwort und legte auf.
Victor hatte sie auch so verstanden. Wenn es um Elena ging, gab es nur eine Sache, die Katherina aus der Ruhe brachte und das war der durchgeknallte Ex-Freund.
Im Laufschritt eilte sie durch die dunklen Gänge. Die Absätze ihrer Stiefel klangen auf dem Steinboden laut und hohl.
Sie betrat die Umkleide ohne zu klopfen. Das hier war schließlich ihr eigener Club.
„Elena, wir müssen -“ sie stoppte gespielt überrascht mitten im Satz. „Marcel, was machst du denn hier?“
Der pausbäckige Kerl drehte sich zu Katherina um. Seine schwarzen Haare klebten fettig an der hohen Stirn und er stank nach Alkohol.
Katherina warf einen schnellen Blick auf ihr Mädchen. Der blonde Zopf war wirr, das Make-Up verwischt und sie hatte ein blaues Auge, das ihr auf dem Überwachungsvideo nicht aufgefallen war. Kat tat, als hätte sie es nicht gesehen.
„Marcel, ich dachte, wir hätten das schon längst geklärt“, sagte sie gelangweilt und schob sich langsam vor Elena. „Verschwinde, bevor ich dich hinauswerfen lasse!“
Erst jetzt schien ihm aufzugehen, dass sie zwischen ihm und seiner Beute stand.
„Ach, und von wem?“ Wahnsinn, der Typ lallte auch noch!
Scheiße! Betrunkene sollte man nicht reizen. Und sie musste es wissen, schließlich leitete sie den erfolgreichsten Nachtclub der Stadt.
„Du bist allein, Schätzchen.“
Was? Schätzchen? Kat drehte sich der Magen um. Igitt.
Sie atmete tief durch. Neben dem Alkoholgeruch stieg ihr kalter Schweiß in die Nase. Ekelhaft! Wann hatte Marcel das letzte Mal geduscht?!
Wirklich erschreckend war aber das große Fleischermesser, das Marcel aus der Jacke zog. Wild wedelte er damit herum und Kat bereute es, ihr Büro so übereilt verlassen zu haben, denn ihre Glock lag noch immer in der Schreibtischschublade. Nicht, dass es ihr viel genutzt hätte, denn mit einer Handfeuerwaffe gegen ein Messer hätte sie nicht wirklich eine gute Chance.
„Marcel, ich warne dich und ich meine es ernst. Du wirst jetzt das Messer hinlegen und aus meinem Club verschwinden. Du wirst Elena nie wieder sehen, denn ansonsten und das verspreche ich dir, wirst du für den Rest deines erbärmlichen Lebens nur noch im Sitzen pinkeln und das hohe C ohne Probleme singen können.“
Kat trat näher, eine Hand ausgestreckt, um ihm das Messer abzunehmen, aber sie hätte es besser wissen müssen!
Als Marcel ausholte, traf sie die Klinge am Schlüsselbein. Sie hatte keine Gelegenheit, sich damit zu beschäftigen. Reflexartig schlug sie gegen seine Hand, das Messer flog zu Boden und rutschte über den hochwertigen Holzboden, wo es Kratzer hinterließ. Bevor er sich darauf stürzen konnte, betrat Victor den Raum. Von hinten griff er nach Marcel und nahm ihn in den Schwitzkasten. Er würgte Marcel, bis der Bastard schlaff zu Boden glitt. Natürlich war er noch am Leben. Einen Mord konnten sie hier schließlich nicht gebrauchen.
„Elena, bist du in Ordnung?“ Kat drehte sich zu ihrem Mädchen um, das schluchzend auf dem Sofa zusammenbrach.
„Es tut mir leid! Wirklich! Ich wusste nicht, dass er mir hierher ...“
„Ganz ruhig, Liebes. Es war nicht deine Schuld.“ Kat setzte sich neben sie. Das arme Ding zitterte. Es war nicht das erste Mal, dass Marcel sie misshandelte, aber nach der einstweiligen Verfügung hatten sie alle geglaubt, wenigstens kurzzeitig Ruhe zu finden.
„Hör zu, du wirst für heute Feierabend machen. Du fährst nach Hause, packst ein paar Sachen zusammen und verlässt die Stadt. Wann hast du das letzte Mal Urlaub gemacht?“
Elena schüttelte den Kopf. „Nein, das geht nicht. Ich muss doch -“
„Wage es nicht, mir zu widersprechen! Ich zahle für euch. Du hast bezahlten Urlaub und wenn du wieder kommst, wartet dein Job hier auf dich.“
Sie sah, dass Elena widersprechen wollte.
„Es ist meine Schuld, dass er hier eindringen konnte.“ Kat berührte vorsichtig das blaue Auge, das bereits anschwoll. Sie wusste noch nicht wie es Marcel geschafft hatte in den Club zu kommen, aber sie wusste, dass es irgendwo ihre Schuld war. Sie war für die Sicherheit ihrer Mädchen verantwortlich und hatte versagt. „Also lass mich das für dich tun, ja?“
Zögerlich nickte ihre Angestellte.
„Sehr gut. Victor? Du informierst Sean, er soll Elena nach Hause bringen. Er hat für den Rest des Abends frei.“
Kat wusste, dass Sean die junge Frau in den letzten Wochen oft besucht hatte. Wenn sie nicht alles täuschte, entstand zwischen den beiden eine zarte Beziehung.
Sie warteten, bis Sean auftauchte und Elena wortlos aus dem Aufenthaltsraum führte. Ein kurzes Nicken, ein leichtes Lächeln und beide waren verschwunden.
Vorsichtig befühlte Katherina ihren Hals und spürte das warme Blut an ihren Fingerspitzen.
Verdammt. Das Blut war bereits in den Kragen des weißen Tops gesickert. Sie konnte das Ding gleich in den Müll werfen. Victor holte den Verbandskasten aus dem kleinen Bad, das für ihre Mädchen gedacht war.
„Du hättest auf mich warten sollen.“ Er bedeutete ihr, den Kopf zu drehen und sie gehorchte.
Victor war groß und kräftig. Der Typ Mann, dem man nicht in einer dunklen Gasse begegnen wollte. Oder widersprechen. Egal um welche Tageszeit. Dass eine große Narbe sein ansonsten recht ansehnliches Gesicht verunstalte, trug nur zu diesem Eindruck bei.
„Ja, und in der Zwischenzeit hätte er Elena sonst was antun können“, verteidigte sie sich. „Das blaue Auge hatte sie noch nicht, als ich in meinem Büro losgegangen bin!“
„Elena ist mir egal!“ Seine kalte Stimme jagte Katherina einen Schauer über den Rücken. Dabei wusste sie es besser. Victor mochte die Mädchen. Er achtete genauso darauf, dass ihnen nichts passierte wie sie.
Als er ihre Wunde säuberte, zuckte sie zusammen. Seine Berührungen waren nicht gerade sanft. Sie ertrug es als eine Art Strafe.
Schweigend arbeitete er weiter und verband wenig später den Kratzer. Denn mehr war es nicht. Ein hässlicher Schnitt in der Kuhle zwischen Schulter und Hals, aber eben nicht mehr als ein Kratzer.
Verdammt, sie spürte ihn dennoch bei jeder Bewegung.
„Du wirst meinem Vater doch hiervon nichts erzählen?“ Klang sie gerade wirklich wie ein kleines Mädchen?
„Um meinen eigenen Arsch zu verlieren? Keine Chance, Prinzessin. Aber sollte er fragen, werde ich ihn nicht anlügen.“
Klar, als ob Sebastien DeLuca ihn fragen würde, ob heute ein Verrückter mit dem Messer auf seine Tochter losgegangen ist. Wohl eher nicht.
Katherina stand auf.
„Würdest du dich bitte noch um den Müll kümmern?“ Sie deutete auf den immer noch bewusstlosen Marcel.
„Ich bin doch nicht dein Müllmann!“
„Dann übertrage es jemand anderem. Ich gehe mich umziehen.“
Es war ihr egal, dass sie gerade ihren besten und treusten Mitarbeiter verärgert hatte. Sie musste ganz dringend raus aus dem blutigen Shirt.
Die beiden Leibwächter vor ihrem Büro sahen sich zerknirscht an, als sie mit dem Pflaster am Hals vor ihnen stehen blieb.
„Kein Wort zu meinem Vater. Keine Schuldzuweisungen. Kein Wort“, befahl sie ihnen und betrat ihr Büro. Erleichtert schloss sie die Tür hinter sich. Sie war plötzlich müde, obwohl der Hauptbetrieb jetzt erst richtig losging. Aber das Adrenalin, das durch ihre Adern geflossen war, als Marcel sie angegriffen hatte, war jetzt verschwunden.
Seufzend zog sie das Top aus und warf es direkt in den Mülleimer. Gut, dass sie in dem kleinen Bad neben ihrem Büro auch immer ein paar Wechselsachen hatte.
Nicht auszudenken, wenn sie später in dreckigen Klamotten nach Hause käme und ihrem Vater – nein, sie dachte lieber nicht darüber nach. Stattdessen zog sie sich einen dunklen Pullover über, dessen Kragen das weiße Pflaster gut verbarg.
Frustriert ließ sie sich auf ihren Stuhl fallen und fluchte laut, als sie auf einen der Bildschirme sah.
War der Abend denn nicht schon beschissen genug?!
Für einen Moment beobachtete sie das Schauspiel an der unteren Bar.
Rick, ihr glatzköpfiger Barkeeper kümmerte sich routiniert und gutgelaunt um die Gäste, während ihm zwei leicht bekleidete Mädchen zur Seite standen. Und ausgerechnet diese zwei mussten sich mit einem wahrhaft anstrengenden Gast herumärgern.
Der Mann war in den Vierzigern und kaum die bevorzugte Zielgruppe des Clubs. Dadurch war er Kat und dem Personal überhaupt erst aufgefallen. Victor hatte ihn daraufhin gründlich unter die Lupe genommen. Der Kerl war ein Cop. Genauer gesagt Undercovercop.
Er war nicht der erste, den das NYPD in ihren Club schickte. Seit das Seven Devils vor einigen Jahren aufgemacht hatte, bekam sie regelmäßig Besuch von mehr oder weniger auffälligen Polizisten. Manche in Zivil und offensichtlich zum Vergnügen hier, andere offiziell mit einem fadenscheinigen Durchsuchungsbefehl. Als würde die Tatsache, dass sie Sebastien DeLucas Tochter war, ausreichen um Dreck am Stecken zu haben.
Okay, so war es tatsächlich auch. Aber das sollte doch nun wirklich kein Grund sein, ihr ständig die Cops in den Laden zu schicken! Die versauten Kat das Geschäft!
Das offizielle, das weniger offizielle und das ganz eindeutig inoffizielle.
Aber der Kerl hier würde der Letzte sein!
Dieser Mistkerl genehmigte sich mehr Drinks, als seiner Tarnung angemessen wäre. Er belästigte die Kellnerinnen und weiblichen Gäste. Jedes Mal. Und dieses Mal würde Katherina dafür sorgen, dass er nicht wieder kam.
Sie griff nach ihrem Handy und informierte Victor über ihre Pläne, bevor sie ihr Büro verließ und sich unter die Gäste mischte. Die beiden Kellnerinnen verließen augenblicklich die Barhocker rechts und links vom Cop, sobald sie Kat sahen.
„Hey, Jeff“, begrüßte sie den blonden Schädling und ließ sich auf den leeren Barhocker links von ihm fallen. Der Typ war auf eine gewisse Art und Weise attraktiv. Wenn man drauf stand. Vermutlich hatte die Polizei ihn deshalb ausgewählt.
Seine blauen Augen hatten Mühe, Kat zu fokussieren, so betrunken war er bereits. Rick stellte ihnen ungefragt zwei Shots Tequila auf die Theke. Kat prostete Jeff zu. Vermutlich war es keine gute Idee, ihn weiter mit Alkohol zu versorgen, aber sie war schließlich nicht seine Mutter. Oder seine Frau. Denn auch in dem diffusen Stroboskoplicht erkannte Kat den hellen Streifen an dem Finger, wo eigentlich der Ehering steckte.
Mit langsamen Bewegungen griff Jeff nach dem kleinen Glas und stürzte dann den Tequila herunter.
„Du hast zwei Optionen.“ Kat lehnte sich näher zu ihm, obwohl der bittere Geruch von Alkohol und Schweiß ihr Übelkeit verursachte. „Beide führen aus meinem Club“, erklärte sie weiter. „Nummer eins: Du kannst jetzt deine Rechnung zahlen und gehen. Vollkommen friedlich und ohne Aufstand. Oder ich schnipse einmal mit meinem Finger und mein Sicherheitschef führt dich raus. Schmerzhaft. Aber so oder so erhältst du Hausverbot.“
Katherina musste sich nicht erst umsehen, um zu wissen, dass Victor nur wenige Meter von ihr entfernt stand. Er würde jeden ihrer Befehle ausführen, egal wie sauer er vielleicht gerade auf sie war.
Schwermütig erhob sich Jeff und schwankte mehr in Kats Richtung, als gut für ihn war und berührte wie aus Versehen ihre Brüste. Sofort war Victor neben ihr und riss Jeff zur Seite.
„Dann also Variante zwei“, murmelte sie und strich den schwarzen Pullover glatt.
Jeff versuchte sich gegen Victors harten Griff zu wehren. Natürlich umsonst. Ihr Sicherheitschef war stärker. Schnell und effizient manövrierte er den Cop aus dem Club.
Für einen Moment beobachtete Katherina das Treiben an der Bar und der unteren Tanzebene, bevor sie zurück in ihr Büro ging.
Die kleine Digitaluhr auf ihrem Schreibtisch schrie ihr förmlich die Zeit entgegen.
0:36 Uhr.
Das Treiben im Club würde noch für ein paar Stunden so weitergehen, aber für Katherina war heute Feierabend.
Sie wählte die Nummer ihres kleinen Computernerds, der nur eine Etage unter ihrem Büro seine Heiligstätte hatte.
Alexander Hemingway ging bereits nach dem ersten Klingeln ran. Er meldete sich nicht mit seinem Namen oder einem Hallo wie jeder andere normale Mensch. Sie wusste nur, dass er abgehoben hatte, weil das Freizeichen nicht ein zweites Mal ertönte. Und weil sie das schnelle Klicken der Computertastatur hörte.
„Ich bin für heute raus“, sagte sie sofort. „Zwei Dinge. Bis morgen früh brauche ich alle Besuche von diesem Jeff.“
„Jeff? Du meinst den miesesten Undercovercop der Welt?“, fragte er kauend. Vermutlich hatte er wieder eine Handvoll Popcorn im Mund. Bei Gelegenheit würde sie ihm mal wieder eine Tüte mitbringen.
„Ja, der. Ich brauche die Videos und die Rechnungen. Ich habe die Schnauze voll davon.“
„Was noch?“, fragte er, ohne auf ihre Forderung einzugehen.
„Ich will wissen, wie Marcel es bis in die Umkleide der Mädchen geschafft hat.“
Katherina hörte Alex verhalten fluchen. „Geht klar, Chefin.“ Er legte auf.
Respektlosigkeit vom Feinsten, aber sie ließ es ihm durchgehen. Schließlich war Alex der beste Hacker der Welt. Er war für die technische Sicherheit im Club und ihres Penthouses in Manhattan verantwortlich. Und dafür verlangte er nicht viel. Ein angemessenes Gehalt und ein nie versiegender Strom an gesüßtem Popcorn. Wie ein kleiner achtjähriger Zuckerjunkie.
Es klopfte zweimal an ihre Tür und Victor trat ein, ohne auf ihre Antwort zu warten. Kat hatte es längst aufgegeben, ihm Manieren beizubringen.
„Ich habe den Müll rausgebracht“, eröffnete er das Gespräch und setzte sich in den Sessel ihrem Schreibtisch gegenüber.
„Danke. Sonst noch was?“ Sie nahm die Waffe aus dem Schreibtisch und fuhr nebenbei den Computer herunter. Die Flatscreens an der Wand wurden schwarz.
„Du machst Feierabend für heute? Der Laden ist voll!“
Kat nickte. „Alex und du habt die Situation im Griff.“ Der Sicherheitsdienst hatte seinen eigenen Schaltraum für die Überwachungskameras. Und sie vertraute Victor, den Laden während ihrer Abwesenheit zu führen. „Ich bin müde und muss heute noch raus zum Anwesen.“
Nur eine kleine Lüge. Sie war noch nicht wirklich müde und wusste, dass sie in einer halben Stunde von Alexander die geforderten Dateien bekommen würde.
Auf dem Weg zum Anwesen außerhalb New Yorks wollte sie die Videos und Rechnungen von Jeff schon einmal durchgehen. Morgen früh würde sie dann mit der Polizei reden. Nicht gleich der Polizeichef, dachte sie sich. Aber mit dem leitenden Ermittler in der Sache Seven Devils. Jemand musste ja die Kontrolle haben und ihr ständig die Cops in den Laden schicken und morgen würde sie das herausfinden.
„Dann mach dich auf den Weg. Ist ein langer Weg dahin.“
Sie nickte unwirsch. Normalerweise würde sie an so einem Abend in ihrem Penthouse in Manhattan übernachten, aber ihr Vater hatte für den nächsten Morgen ihre Anwesenheit gefordert. Und sie würde nie wieder den Fehler machen, ihm zu widersprechen.
***
Vor dem Hinterausgang des Clubs wartete ihr Chauffeur Michael bereits an der dunklen Limousine.
„Fahren Sie mich zum Anwesen“, wies sie ihn an, sobald sie auf den weichen Ledersitzen saß. Er schien nur einen winzigen Augenblick verwirrt zu sein. Vermutlich hatte er auch mit einem frühen Feierabend gerechnet und nicht mit einer zweistündigen Fahrt nach Lloyd Harbour.
„Wie Sie wünschen, Miss.“
Sie betätigte den kleinen Knopf, der die Trennscheibe zwischen ihnen hochfuhr und blendete so die grellen Lichter der nächtlichen Stadt aus. Die hinteren Fenster waren abgedunkelt, wie es sonst nur bei hochrangigen Politikern vorkam. Ebenso wie kugelsichere Scheiben. Ein Geschenk von Sebastien zu ihrem 28. Geburtstag, der erst in zwei Wochen war.
Ihre Gedanken glitten zu Elena und ihrem achtjährigen Sohn. Sie konnte nur hoffen, dass Sean sich gut um die beiden kümmern würde.
Ein leises Klingeln auf ihrem Handy verkündete den Eingang einer E-Mail. Alex hatte in der Tat schnell gearbeitet. Sie griff nach ihrer Handtasche und holte das Tablet hervor, das sie für solche Fälle immer dabei hatte. Sie loggte sich mit der sicheren Software ein, die Alex extra für sie programmiert hatte und rief die Mail ab.
Wie sie erwartet hatte, schlüsselte er sämtliche Videos und Rechnungen der vergangenen Wochen auf. Sämtliche Besuche von diesem Jeff waren detailliert aufgelistet und sortiert.
Die nächsten zwei Stunden verbrachte sie damit, Alex‘ Dateien durchzugehen und sich eine geeignete Strategie zu überlegen. Hauptsache, sie würde nicht einschlafen, bevor sie im Anwesen ankam.
Die Daten, die Alexander über den Cop geschickt hatte, beinhalteten nicht nur die Videos und Rechnungen aus dem Club, er legte auch gleich eine Art Lebenslauf des Mannes bei. Von seinem richtigen Namen und Geburtsdatum, über sämtliche Dezernatsstellen und Aufträge bis hin zu einem aktuellen Kontostand. Alexander war wahnsinnig gründlich gewesen.
Gähnend schaltete sie das Tablet ab, gerade als Michael das Tor zum Grundstück passierte.
Durch die getönten Scheiben sah Kat nur wenig von der atemberaubenden Gartenlandschaft, die einen großen Teil des 100 Hektar großen Grundstücks ausmachte. Aber das war auch nicht nötig. Sie war hier aufgewachsen und kannte jeden Baum. Wusste, an welchem Strauch und an welcher Weggabelung eine Wache stand.
Einzig und allein das große Herrenhaus war hell erleuchtet. Bodenstrahler setzten das graue Gemäuer wirkungsvoll in Szene, aber nicht um gut auszusehen – nicht nur jedenfalls – sondern um eventuellen Einbrechern keine Möglichkeit zu geben, die Dunkelheit auszunutzen.
Katherina wüsste nicht, wer so lebensmüde sein sollte, dieses Grundstück und seine Bewohner anzugreifen, aber es war eine Anordnung ihres Vaters. Sie störte sich längst nicht mehr daran.
Der Wagen hielt direkt vor dem imposanten Eingang der Villa. Kat wartete, bis Michael ihr die Tür öffnete. Sie hasste es, aber auf solche Details legten die Menschen in ihrer Umgebung nun einmal Wert.
Sie war überrascht, noch Licht im vorderen Wohnzimmer zu sehen. Als sie das Haus betrat, hörte sie leise Musik und Gelächter.
Die geschwungene Treppe mit der Galerie dominierte die große Eingangshalle. Auf dem schwarzen Marmor klangen ihre hohen Absätze besonders laut. Sie achtete darauf, langsam zu gehen, damit man ihre Anwesenheit auch im Wohnzimmer bemerken würde. Ganz sicher wollte sie nicht mitansehen, was dort getrieben wurde. Denn Kat hatte durchaus mitbekommen zu wem das Lachen gehörte: ihrer Tante Giulia. Und dass diese sich allein amüsierte, war nicht sehr wahrscheinlich.
Wie Kat vermutete, lag Giulia auf dem roten Samtsofa, notdürftig eine dünne Decke um ihren ansonsten nackten Körper geschwungen. Trotz ihrer 45 Jahre besaß sie immer noch den jugendlichen Charme, den sie vermutlich mit 20 hatte. Katherina sah ihrer Tante sehr ähnlich.
„Guten Abend, Katherina. So spät noch unterwegs?“ Giulia warf ihre roten Haare schwungvoll über ihre Schulter. Ihr Blick glitt zur Terrassentür, als müsste sie sich versichern, dass man ihren männlichen Begleiteter nicht sehen konnte. Was man natürlich trotzdem konnte, aber das würde sie Guilia nicht sagen.
„Vater möchte mich morgen früh sehen“, antwortete Katherina und ignorierte den Umriss des fremden Mannes hinter der Fensterscheibe. Normalerweise machte Tante Guilia kein großes Geheimnis um ihre Liebhaber, es sei denn, Katherina hatte sie noch nicht offiziell kennengelernt.
„Tatsächlich?“ Ihre Tante wirkte überrascht, schüttelte dann aber den Kopf. „Mein Bruder hat schon immer gemacht, was er wollte. Tut mir leid, dass du deswegen mitten in der Nacht hier herausfahren musstest.“
Kat nickte. „Ich werde dich dann mal wieder allein lassen“, meinte sie bedeutungsvoll und nickte zur Terrasse. Giulia lächelte.
„Gute Nacht, Liebes.“
„Schlaf gut, Tante Giulia.“
Das Seven Devils war, wie jede Nacht, gut besucht. Mehr als das, ausgehend von der langen Schlange vor dem Haupteingang, die sich bis zur nächsten Straßenecke zog.
Jeder der sieben Clubs von DeLuca war auf seinem Gebiet eine Institution. Das One Devil war zum Beispiel die beste Cocktailbar der Stadt, drüben in Harlem. Das Six Devils, ein exklusiver Stripclub, lag in der Bronx.
Dennoch bestand das Klientel aus den gleichen Figuren, wie bei jedem Club in New York City. Nun, beinah. Denn das Seven Devils hatte sich auf die wohlhabenden und angesehenen Bürger der Stadt spezialisiert.
Aber auch das änderte nichts an den knapp bekleideten Frauen, die sich glücklich schätzen konnten, dass die Nacht warm war. Oder an den Herren, die mit durchaus teuren Markenklamotten darauf hofften, bei eben jenen Damen landen zu können.
Und dann gab es noch Männer wie ihn selbst: maßgeschneiderter Anzug, stilvoller Schmuck. Seine Uhr von Patek Philippe war zwar keine Rolex, aber genauso hochwertig. Außerdem passte sie besser zu seinem Stil.
Julien stellte sich nur zum Spaß in die lange Schlange. Obwohl sein Name auf der Liste stand, wollte er wissen, wie gut der Türsteher war. Der Typ war eher schmächtig und vollkommen in schwarz gekleidet. Er sah nicht so aus, als könnte er sich gut durchsetzen, aber Julien wusste, dass Aussehen oft täuschen konnte.
Als Julien vor ihm stand, checkte er nicht einmal die Liste, sondern ließ ihn einfach hinein.
Das war ja schon mal einfach. Vielleicht ein wenig zu einfach.
Durch einen weitläufigen Gang gelangte er erst zur Kasse, dann zur Garderobe.
Die Lichter an den Wänden verströmten gedämpftes Licht, als er ihnen zu den großen Flügeltüren folgte, die den Eingang zu den Tanzflächen markierten. Es war so klassisch in Szene gesetzt, dass Julien sich nicht mehr fragte, woher der Club seinen Namen hatte.
Der riesige Saal war in drei Ebenen unterteilt, jeweils nur durch ein paar Stufen getrennt. Jede Ebene hatte ihre eigene Bar, die strategisch so platziert waren, dass sie die Tanzflächen einrahmten. Halbnackte Frauen tanzten anmutig in Käfigen oder auf schmalen Stegen, die über den Köpfen der Feiernden angebracht waren. Ihre Bewegungen wirkten fast schon grotesk und eher surreal. Wer immer für das Lichtdesign verantwortlich war, machte seine Sache verdammt gut.
Durch die schweren Bässe konnte Julien die Musik kaum hören, aber das, was er verstand, traf nicht wirklich seinen Geschmack.
Er ging zu der höchstgelegenen Bar und bestellte sich einen Drink. Der Barkeeper zog die elektronische Karte durch, die Julien am Eingang bekommen hatte, und die jeden Drink dokumentierte. Die Rechnung müsste er beim Gehen bezahlen.
Interessantes Vorgehen. So gaben die Gäste vielleicht mehr aus, als sie geplant hatten und die Barkeeper mussten sich nicht mit dem lästigen Bezahlen auseinandersetzen, was wiederum Zeit sparte.
Julien lehnte sich an die Metallbrüstung, die den Barbereich von der Tanzfläche trennte. Unter ihm gaben sich die Feiernden der Musik hin oder genossen die Atmosphäre in einer der vielen Nischen und Sitzgruppen. Aber deswegen war er nicht hier.
Am anderen Ende des Saals führten zwei ineinander verschlungene Wendeltreppen nach oben. Die Front der Galerie war verglast. Alles was dort geschah, konnte man von hier unten nicht einsehen.
Der VIP-Bereich.
Und genau dahin begab sich Julien jetzt.
Ein grobschlächtiger Mann hielt ein Klemmbrett in der Hand. Auch auf dieser Liste stand Juliens Name und verschaffte ihm schneller Zugang, als er erwartet hatte. Bisher hatte ihn auch noch niemand auf Waffen kontrolliert! Julien ging nirgendwo unbewaffnet hin. Auch heute nicht.
Dicke schwarze Vorhänge verbargen die einzelnen Nischen vor neugierigen Blicken, aber Julien wusste dennoch, was sich dahinter abspielte. Er kannte den Ruf des Seven Devils schließlich und den der gutaussehenden Bedienungen in der Lounge. Keine Prostitution, nein! Das würde DeLuca in ihren Clubs nicht zulassen. Aber jeder Gast würde dennoch auf seine Kosten kommen.
Er bestellte sich an der Bar einen weiteren Drink. Wieder alkoholfrei. Es ging nur um die Tarnung. Das, was Andere sehen würden, sollte ihr Blick auf ihn fallen. Und sein Blick fiel gerade auf die unauffällige Metalltür, auf der Privat stand. Sie lag im Dunkeln, verborgen hinter weiten Vorhängen, die im Moment nicht richtig zugezogen waren. Kein einziger Wachmann war auch nur in der Nähe zu sehen.
Wie leicht wäre es wohl, direkt zur Chefin zu gelangen?
Einen Versuch war es wert.
Er wartete, bis der Barkeeper mit einem Gast beschäftigt war, dann schlüpfte er durch die ungesicherte Tür.
Sicherheitsverstoß Nummer ... Julien hatte aufgehört zu zählen.
Am Ende des Ganges teilte sich der Flur und Julien musste sich entscheiden, ob er nach rechts oder links gehen wollte, als links von ihm eine Tür ins Schloss fiel.
„Hey, Mister! Sie haben hier nichts zu suchen!“
Ein junger Mann kam auf ihn zu und griff nach seinem Oberarm. Der Mann macht den Eindruck eines Computerfachmanns auf Steroiden, weshalb sich Julien nicht wehrte. Er wollte niemandem weh tun.
„Ich bin auf der Suche nach der Chefin, Katherina DeLuca.“
„Und Sie sind?“
Noch immer hatte ihn der Kerl nicht losgelassen und Julien fand das allmählich nervig.
„Mein Name ist Julien O’Brien. Katherina erwartet mich.“
„Na, warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt!“ Sein Griff lockerte sich. „Kommen Sie.“
Interessant. Er wurde weder nach einem Ausweis gefragt, noch ob er wirklich von Katherina erwartet wurde.
Nein, nicht interessant. Gefährlich. Potenziell tödlich.
Ihr Weg führte sie über eine lange Treppe nach unten, vorbei an mehreren Räumen, in denen Julien gedämpfte Stimmen hörte.
Der nächste Punkt auf seiner imaginären Liste der Sicherheitslücken.
Wohl doch nicht, dachte Julien mit grimmiger Befriedigung.
Der Kerl hatte ihn nicht zur Chefin gebracht, sondern ihn geradewegs in einen, wie konnte es anders sein, fensterlosen Raum.
„Warten Sie hier.“
Bevor Julien reagieren konnte, hatte der Typ ihn allein gelassen. Die schwere Metalltür schloss sich hinter ihm und Julien war allein. Allerdings glaubte er nicht eine Sekunde daran, dass er auch unbeobachtet war. Neben der offensichtlichen Kamera in der oberen rechten Ecke, gab es mit Sicherheit noch zwei Weitere. Mindestens.
Die Fliesen waren sicherlich einmal weiß gewesen, aber diverse Flüssigkeiten, über die Julien nicht weiter nachdenken wollte, hatten den Boden besonders im Bereich des Abflusses dunkel gefärbt. Ein einzelner Stuhl stand in der Mitte, direkt über dem versifften Abfluss. Simples Metall, mit dem Boden verschraubt.
Julien befand sich mitten im Verhörraum, aber er war nicht hier, um in den Genuss von DeLucas Folterknechten zu kommen. Eigentlich.
Gerade machte er es sich auf dem kalten Stuhl bequem, als die Tür erneut geöffnet wurde.
Er kannte den großen Kerl, aber an die hässliche Narbe an der linken Wange konnte Julien sich nicht erinnern. Die schwarzen Haare steckten in einem langen Pferdeschwanz und die dunklen Augen wirkten tot.
Auf die Schnelle zählte Julien drei Waffen an ihm, obwohl sie unter dem Jackett gut versteckt waren. Aber Julien war darin ausgebildet mögliche Gefahren auf den ersten Blick zu erkennen. Und der Mann vor ihm war ein einziges Signalfeuer!
Und sieh mal einer an, er hatte Verstärkung mitgebracht. Zwei Typen, Marke Gorillas, die sich so ähnlich sahen, dass die Hässlichkeit eindeutig genetisch bedingt war.
„Also, wer sind Sie und was wollen Sie hier?“
Narbengesicht verschränkte die Arme vor der Brust. Ein Lob für den Schneider, dass die enganliegende Jacke nicht riss.
„Wie ich bereits sagte, ist mein Name Julien O’Brien.“
„Nie gehört.“
Daran zweifelte Julien nicht eine Sekunde. Der Nachname war schließlich neu.
Die beiden Gorillas durchsuchten ihn auf einen stummen Befehl hin. Einer riss ihn unsanft auf die Beine, während der andere seine Taschen durchwühlte.
„Obere Tasche rechts, innen“, half Julien nach, weil er den tastenden Fingern entkommen wollte. Er hasste es, wenn ihn jemand so anfasste! „Ihr hättet fragen können.“
„Hältst dich wohl für witzig“, raunte Gorilla eins, während sein Bruder dreckig grinste.
Igitt, wann hatte sich der Kerl das letzte Mal die Zähne geputzt? Weihnachten 1967?
„Wo bliebe denn da für uns der Spaß?“, fragte Nummer eins wieder und gab Narbengesicht das Portemonnaie.
Julien zählte die Sekunden, bis ihm der Fehler auffallen würde.
Drei. Zwei. Eins.
„Scheiße!“
Geschockt sah ihn Narbengesicht an und der weiße Strich, der sich von seiner linken Augenbraue bis zum Mundwinkel zog, ließ ihn unwirklich wirken. Fast wie ein Gemälde von Picasso.
Julien nickte grinsend und schüttelte die Gorillas ab, bevor er Victor mit einem festen Handschlag begrüßte.
„Du hättest anrufen können.“
„Wo bliebe denn da der Spaß?!“, wiederholte er ironisch die Worte von Gorilla eins.
„Wieso bist du wieder da?“
Mit einem Blick auf die Gorillas schüttelte er den Kopf. „Lass uns woanders reden.“
***
Als er am nächsten Morgen im Büro des Chefs stand, ließ er sich das Gespräch mit Victor noch einmal durch den Kopf gehen. Das leise Klopfen an der Tür ließ ihn automatisch gerader stehen, wenn das überhaupt noch möglich war. Im Beisein des Chefs wurde nichts anderes als Perfektion erwartet.
Obwohl er offiziell Sebastien DeLuca unterstellt war, stand er schon den ganzen Morgen unter Spannung. Denn seine eigentliche Zielperson war Katherina. Die in diesem Moment das luxuriöse Arbeitszimmer ihres Vaters im Westflügel des Anwesens betrat.
Julien stand so hinter der Tür, dass sie ihn nicht gleich sehen würde. Aber er wusste, dass sie seine Anwesenheit bemerkte. So wie die Anwesenheit jedes anderen Leibwächters im Raum. Vermutlich wusste sie bereits seit ihrem Eintreten, dass sich vier Leibwächter mit ihr und ihrem Vater im Raum befanden.
Kat war damit aufgewachsen, immer und überall von großen und bulligen Männern umgeben zu sein und hatte sich eine erstaunliche Ignoranz diesbezüglich geschaffen. Das hinderte ihn andererseits aber nicht daran, sie zu beobachten.
Ihre roten Haare hatte sie zu einem langen Zopf geflochten, aus dem sich einige Strähnen gelöst hatten. Sie war barfuß. Außerdem trug sie nur einen Bademantel aus dunkelroter Seide, der ihr gerade einmal bis zu ihrem hübschen, runden Hintern – HALT!
In diese Richtung würden seine Gedanken jetzt nicht gehen. Nicht, wenn Sebastien und drei seiner besten Leibwächter mit ihm im Raum waren.
Hinter dem Rücken verschränkte Julien die Arme und konzentrierte sich auf das Schauspiel, das sich vor seinen Augen abspielte.
Katherina machte nicht einmal den Versuch sich zu entschuldigen, dass sie zu spät war. Es war kurz nach halb neun. Sie hätte bereits vor dreißig Minuten hier sein sollen. Aber sie hatte wahrscheinlich nicht mehr als vier Stunden geschlafen. Nicht, dass Julien mehr Schlaf bekommen hätten.
„Du wolltest mich sprechen?“, fragte sie stattdessen verschlafen, aber mit fester Stimme.
„Setz dich.“ Sebastien sah nicht mal von seinen Unterlagen auf, als sich Kat in einen der beiden Ledersessel vor dem großen Kamin setzte.
Sie sah aus, als wäre sie diese Behandlung bereits gewöhnt.
Julien erinnerte sich daran, dass Sebastien schon immer so gewesen war. Er zeigte einem auf diese Art, wie unwichtig man in seinen Augen war. Sein schwarzer Anzug saß perfekt, nicht ein graues Haar war unordentlich. Stattdessen waren seine kurzen Haare perfekt arrangiert. Selbst Sebastiens Fingernägel waren perfekt manikürt.
Er war ganz und gar der Patriarch dieser Familie und er würde sich erst mit Katherina beschäftigen, wenn er dazu bereit war. Sebastien würde niemals auf das Niveau herabsinken, auch nur den Eindruck zu erwecken, dass ihn jemand hatte warten lassen.
In diesem Fall dauerte es noch etwa zehn Minuten, in denen seine Tochter gelangweilt im Sessel saß und ihre Fingernägel betrachtete, als ob sie überlegte, welche Farbe sie heute auftragen würde.
Ihr Vater sah auf und wies auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch, aber Katherina blieb stur vor dem Kamin sitzen.
Julien bewunderte sie dafür. Nicht viele widersetzten sich DeLuca und überlebten. Er kannte genau zwei Menschen: Katherina und er selbst.
Sebastien biss die Zähne zusammen und starrte Kat drohend an.
„Was war gestern im Devils los?“, fragte er, nachdem er verstanden hatte, dass seine Tochter nicht einlenken würde. Es war unter seiner Würde, mit ihr zu streiten. Er klang gelangweilt, aber das war genauso Fassade, wie die Unterlagen, in die er sich wieder vertiefte.
Julien sah, wie ihre Hand kurz zu ihrem Hals zuckte. Sie trug ein großes Pflaster, das sich grell gegen ihre leicht gebräunte Haut abhob.
„Ich weiß nicht, was du meinst.“
Sebastien schlug mit der Faust auf den Tisch. Alle Anwesenden zuckten zusammen.
Inklusive Katherina.
„Lüg mich nicht an!“
Julien musste den Drang unterdrücken, zu Katherina zu eilen, um sie zu trösten, als er sah, wie sie zitterte. Dann ballte sie die Hände zu Fäusten. Wenn Sebastien ihr Zittern gesehen hätte, würde er es ausnutzen und sie nur mehr unter Druck setzen.
„Es war nichts los, dass ich nicht bereits geklärt hätte“, erwiderte sie einige Sekunden später mit ruhiger Stimme. Sie wirkte vollkommen gelassen. Beeindruckend, wie sie ihre Emotionen kontrollieren konnte.
Genau wie Sebastien.
„Und was ist das an deinem Hals?“, fragte er arrogant, bevor ein weiteres Klopfen ihn unterbrach.
Ein älterer Mann trat ein. Auch ohne den schwarzen Arztkoffer hätte Julien ihn als den Leibarzt der Familie erkannt: Doktor Magnus Pence.
„Schön, dass Sie es einrichten konnten.“ Sebastien klang herablassend. Für ihn war es nur eine billige Floskel, denn Pence arbeitete ausschließlich für die Familie und lebte sogar auf dem Anwesen. Er wirkte trotz seiner sechzig Jahre fit und mobil. Seine Haare färbte er sich prinzipiell schwarz nach.
Der Arzt deutete eine kleine Verbeugung an, bevor er sich Katherina zuwandte, die genervt seufzte.
„Das ist wirklich nicht nötig“, sagte sie und überkreuzte die Beine. Dabei rutschte ihr Bademantel ein Stück höher und gab den Blick auf ihre langen, durchtrainierten Beine frei.
„Du bist nicht in der Position, um das zu entscheiden!“, donnerte DeLuca.
Katherina fügte sich seufzend in ihr Schicksal, als Doktor Pence ihr bedeutete, näher ins Licht zu rücken. Sie folgte seiner Anweisung.
„Würdest du bitten den Kragen ein Stück zur Seite nehmen?“, fragte er Kat, die seiner Bitte zögernd nachkam.
Verdammt. In Juliens Hose wurde es schlagartig zu eng.
Katherina trug das passende Negligé zum Bademantel: Sattes rot, abgesetzt mit schwarzer Spitze. Bei dieser Bewegung gab sie aber noch etwas anderes preis. Sie trug einen breiten Silberring am Zeigefinger ihrer rechten Hand. Vollkommen einfach und schlicht. Kein Schmuckstück, das einer Frau wie ihr auch nur ansatzweise zuträglich war.
Julien hätte nicht gedacht, dass sie das alte Ding immer noch besaß, geschweige denn trug.
Es war jetzt wie lange her? Zehn Jahre? Ja, es war etwa zehn Jahre her, dass er ihr seinen alten Ring geschenkt hatte. Damals hatte er auf ihren Ringfinger gepasst.
Um den dumpfen Schmerz in seiner Brust zu verdrängen, konzentrierte er sich wieder auf die Gegenwart.
Kat biss sich auf die Unterlippe, als Pence das Pflaster abzog, aber sie gab keinen Ton von sich.
„Es muss nicht genäht werden“, meinte er, nachdem er die Verletzung begutachtet hatte.
„Selbstverständlich nicht“, antwortete Kat spitz. „Victor hat sich gut darum gekümmert.“
Es überraschte Julien nicht, dass sie ihren Sicherheitschef so verteidigte. Victor machte tatsächlich einen super Job im Club. Und sie vertraute ihm offensichtlich.
Nur ein weiterer Grund, warum Julien ausgerechnet jetzt zurückgekehrt war.
Doktor Pence reinigte die Wunde und in dem Moment sah Julien es: Durch die große Fensterfront hinter dem Schreibtisch sah er ein Aufblitzen.
„Runter!“ Mit einem Satz war er bei Katherina und warf sie zu Boden.
Es war ihm vollkommen egal, wer sich um Pence oder Sebastien kümmerte. Sein Job war Katherina.
Mit einem leisen Stöhnen landeten sie auf dem weichen Teppich. Er presste sie mit seinem Gewicht auf den Boden, als mehrere kleine Einschläge zu hören waren. Erst beim letzten splitterte das Glas.
Einige Sekunden herrschte eiskalte Ruhe. Langsam hob er den Kopf und analysierte die Situation.
Sebastien war unter einem seiner Leibwächter begraben, die anderen Männer hatten ihre Positionen am Fenster bezogen. Mit gezogenen Waffen.
Pence hatte sich selber in Sicherheit gebracht. Er kauerte hinter dem riesigen Schreibtisch.
„Sind Sie in Ordnung?“, fragte Julien und sah Kat besorgt an.
Die Schnittverletzung an ihrem Hals hatte zu bluten begonnen, aber ansonsten war sie unverletzt.
Zittrig hob sie ihre Hand, als wolle sie ihn berühren. Ihr wunderschönen blauen Augen weiteten sich. Sie leckte sich über die vollen Lippen. Sie bewegte sich unruhig unter ihm. Das sollte sie lieber nicht machen. Seinem Körper gefiel die Reibung viel zu sehr, während sein Hirn registrierte, wie sich ihre festen Brüste gegen seinen Oberkörper pressten, ihre Hüfte an seiner rieb.
Als ihr Vater leise stöhnte, war der Bann gebrochen.
„Lassen Sie mich aufstehen“, forderte sie kalt.