Das Buch
Deutschlehrer Herr Schröder mag seine 10a. Es ist ein bunter Haufen mit der anarchischen Kreativität eines Cirque du Soleil, aber ohne dessen Talent. Trotzdem lässt er sich von ihnen gerne ein Instagram-Profil #korrekturensohn erstellen, denn er hat Großes vor. Gegen das Abraten sämtlicher Schüler, aller Kollegen sowie der gesamten Elternschaft: Herr Schröder kandidiert für den »Lehrer des Jahres«. Begleiten Sie den sympathischen Beamten mit Frustrationshintergrund durch die ockerfarbenen Korridore der Helene-Fischer-Gesamtschule. Blicken Sie hinter die Kulissen des Cholerikums, und fiebern Sie der Wahl entgegen. Diese ist in den Augen von Herrn Schröder so gut wie gewonnen – wäre da nicht der beliebte Sportlehrer, die bildungsferne Spaßgurke aus der Turnhalle …
Der Autor
Johannes Schröder ist Deutschlehrer und Comedian. Was sich wie ein Widerspruch anhört, ist letztlich eine Form der Selbstverteidigung. Nach zwölf Jahren Schuldienst hat der Wahlkölner alias »Herr Schröder« die Seite gewechselt und das Klassenzimmer gegen die Bühne eingetauscht. Mit seinem mehrfach ausgezeichneten Comedy-Soloprogramm »World of Lehrkraft – Ein Trauma geht in Erfüllung« (u. a. Bonner Prix Pantheon 2018) ist er auf großer Deutschland-Tournee und veröffentlicht nun sein erstes Buch.
Co-Autor und Kreativ-Partner ist Simon Slomma, Musiker und Komiker aus Remagen.
Herr Schröder
mit Simon Slomma
WORLD OF LEHRKRAFT
Ein Pädagoge packt aus
Ullstein
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ISBN 978-3-8437-2130-1
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Titelabbildung: © Robert Maschke
E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Über das Buch und den Autor
Titelseite
Impressum
Prolog Ich, Herr Schrödi
Kapitel 1 Korrekturensohn
Kapitel 2 Deine Mudda beendet die Stunde – Unterricht in der 10a
Kapitel 3 Der Silberstreif am Erwartungshorizont – Lehrer des Jahres
Kapitel 4 Neun von zehn Kindern finden Mobbing gut – die Flummi-Truppe
Kapitel 5 Das Cholerikum – Feldstudie im Lamentierreich
Kapitel 6 Der Sportlehrer – die bildungsferne Spaßgurke aus der Turnhalle
Kapitel 7 Die Schüler mit Schiller locken – die Theater-AG
Kapitel 8 Das Internet ist für uns alle Neuland – Wahlkampf im Netz
Kapitel 9 Ein Spielplatz der Evolution – der Schulhof
Kapitel 10 Er hat mit Erfolg die Schule abgeschlossen – unser Hausmeister
Kapitel 11 Unser Kind hat ADAC – der Elternabend
Kapitel 12 Mailand oder Madrid, Hauptsache WLAN – die Studienfahrt
Kapitel 13 Eltern auf WhatsApp – das Niveau hat die Gruppe verlassen
Kapitel 14 Nudelsalate haben wir genug – das Schulfest
Kapitel 15 »Ich bin ein Berliner« – Biografisches
Kapitel 16 Ich hab dich Ungeheuer gern – deutsche Sprache, freudsche Sprache
Kapitel 17 Montag für Mutter Erde – Vertretungsstunde
Kapitel 18 Saufen im Woyz-Eck – der Junglehrer-Stammtisch
Kapitel 19 Das Salz in der Buchstabensuppe – die Metapher
Kapitel 20 Ein Fest der Demokratie – die Schülervollversammlung
Kapitel 21 Rehabilitierung im Hallenbad – Schrödi aus der Asche
Kapitel 22 Die Gedanken sind frei … zugänglich – das Kopierzimmer
Kapitel 23 Können wir ’nen Film gucken? – die Lehrerkonferenz
Kapitel 24 Irgendwas mit Medien – die Berufsberatung
Kapitel 25 Der Abschlussball
Epilog Wir machen heute fünf Minuten früher Schluss
Danksagung
Feedback an den Verlag
Empfehlungen
Ich, Herr Schrödi
Guten Morgen. Ich stell mich erst mal vor. Ich bin Herr Schröder. Ich schreib’s besser an die Tafel:
S wie Samariter,
C wie charmant,
H wie Herzenswärme,
R wie Reclamheft,
Ö wie Öffentlicher Dienst,
D wie Dienstaufsichtsbeschwerde,
E wie endoplasmatisches Retikulum,
R wie Reha.
Ich bin Lehrer. Nein, es ist noch schlimmer: Ich bin Deutschlehrer. Ich führe ein Leben am Korrekturrand der Gesellschaft. Durch meine Adern fließt rote Tinte. Ich wurde mit Buchstabensuppe gestillt. Manche sagen, ich sei das Ergebnis einer beruflichen Fehlentscheidung. Da muss ich gleich mal korrigierend eingreifen. Aus meiner Sicht handelt es sich eher um eine ganze Verkettung von Fehlentscheidungen. Aber jetzt ist es, wie es ist. Ich bin Beamter mit Frustrationshintergrund. Rente sicher, aber als Junglehrer schon senil.
Ich möchte wirklich nicht larmoyant erscheinen, aber womit man als Lehrer am meisten zu kämpfen hat, sind Vorurteile und Klischees. »Ach, du bist Lehrer? Na ja, ich arbeite ja Vollzeit.« Ich weiß, was Sie alle denken. Ab 13:30 Uhr auf den Südbalkon, Füße hoch, Hose auf und bei ein, zwei Aperol Spritz den Tag ausklingen lassen. Und das stimmt ja auch – jedenfalls für die Sport- und Erdkundelehrer. Deren Unterrichtsvorbereitung darf man sich so vorstellen: Ball aufpumpen und Weltkarte ausrollen. Fertig.
Für den Rest von uns sieht die Realität anders aus. Heute braucht man als Lehrer vor allem Empathie: Spüren, in welche Schublade das Kind passt. Auch mal ein gewisses Interesse für den sozialen und familiären Hintergrund heucheln. Zum Beispiel beim Elternsprechtag. Da macht der Ton die Musik. Du kannst als Lehrer nicht sagen: Der Maddox ist faul. Das muss positiv formuliert werden. Der Maddox war mit großem Erfolg und kontinuierlich im Unterricht anwesend. Er kam auch nicht jeden Morgen zu spät, nein, er befreite sich selbstbewusst vom Zwang zeitlicher Absprachen. Die Hausaufgaben hat er nicht vergessen, sondern sekundär priorisiert. Unangenehmerweise wollen die Eltern mittlerweile überall mitreden. Sie haben den Schulleiter auf der Kurzwahltaste und eine Standleitung zum Kultusministerium. Die laktosefreie Butter lässt sich keiner mehr so einfach vom Dinkelbrot nehmen.
Ich unterrichte an der HFG, der Helene-Fischer-Gesamtschule. Eigentlich wurde unsere Schule nach dem berühmten deutschen Schriftsteller Hans Fallada (1893–1947), Autor von »Wolf unter Wölfen« und »Kleiner Mann – was nun?«, benannt. (Ich kann das übrigens sehen, wenn Sie gähnen.) Die Schüler können sich diese Eckdaten auch nicht merken und haben die HFG deshalb intern auf eine lebende Schlagerlegende umgetauft. Sie begründen ihre Entscheidung damit, dass das deutsche Schulsystem wahnsinnig stresst und sie von der Politik »atemlos durch G8« getrieben werden. Außerdem sei die Zeit der alten, weißen Männer vorbei.
Apropos, Sie können mich ruhig »Schrödi« nennen. Das machen alle hier. Vor allem die Schüler. »Herr Schröder« sagen sie nur, wenn es irgendwie offiziell ist oder sie etwas von mir wollen. Meine Schüler mögen mich. Glaube ich. Außerdem sehen sie in mir eine Stilikone. Als sie neulich in Geschichte eine Collage zur Adenauerzeit machen sollten, hat eine Arbeitsgruppe einfach mein aktuelles Jahrbuch-Foto aufgeklebt.
Übrigens: Sie müssen sich nicht stressen beim Lesen. Schweifen Sie ruhig ab. Wenn Ihnen der Sinn danach steht, überblättern Sie gerne ein paar Seiten. Suchen Sie nach den bebilderten Passagen. Überstrapazieren Sie Ihre Aufmerksamkeitsspanne nicht. Googeln Sie die Zusammenfassung. Fragen Sie Ihren Sitznachbarn. Bin ich alles gewohnt. Aber denken Sie bitte nicht, dass ich es nicht merke. Das ist die einzige Art, wie man uns Lehrer noch beleidigen kann: Wenn Menschen annehmen, wir würden das alles nicht mitkriegen. Natürlich weiß ich, dass Sie gerade essen und das Buch vollkrümeln. Das macht aber überhaupt nichts! Entspannen Sie sich. Was wir auf den folgenden Seiten behandeln, ist nicht klausurrelevant. Versprechen Sie mir nur, dass Ihre Eltern mich nicht anrufen. Deal?
Ich bin es längst gewohnt, dass meine Schüler während des Unterrichts mit Sachen werfen, bei Lieferando Pizza bestellen, Sprachnachrichten abhören oder das Klassenzimmer verlassen, um für den Klimaschutz zu demonstrieren. Da sollte es mir nichts ausmachen, wenn Sie beim Lesen mal in der Nase bohren. Sie müssen sich bei mir nicht dafür entschuldigen. Macht niemand.
Eigentlich bin ich es ja, der um Verzeihung bitten muss. Also bringen wir es hinter uns.
Im Namen aller Deutschlehrer: Es tut mir leid. Sorry für das Reclamheft in seiner uninspirierten Gelbhaftigkeit. Sorry für das »lyrische Ich«, wer auch immer das sein soll. Sorry für »zwischen den Zeilen lesen«. Sorry für die adverbiale Bestimmung und die »Glied«-Sätze. Sorry für »Wer kann das noch mal in eigenen Worten wiedergeben?«. Sorry für »Du hast dich heute noch gar nicht gemeldet«. Sorry für leere Versprechungen wie »Wir machen fünf Minuten früher Schluss« oder »Ihr kriegt dafür keine Hausaufgaben auf«.
Ich kann leider nicht ungeschehen machen, welche Traumata Wörter wie Inhaltsangabe, Erörterung und Gedichtinterpretation bei Ihnen ausgelöst haben mögen. Auch dafür: Entschuldigung! Ich sehe förmlich vor mir, wie Sie sich krümmen. Beinahe hätten wir Deutschlehrer der gesamten Bevölkerung die Freude an Sprache und Literatur ausgetrieben. Aber die Tatsache, dass Sie gerade dieses Buch in Händen halten, zeigt mir, dass wir auch dabei versagt haben. Trotz unseres pädagogischen Wirkens gibt es weiterhin Menschen, die gerne lesen.
Und das freut mich.
Korrekturensohn
Frage: Was wäre unsere Schule ohne Schüler?
Richtig: Ein karger, unbelebter Plattenbau, in dem orientierungslose Lehrkörper uninspiriert Kaffee trinken und rauchen.
Erst die Schüler bringen Leben in die Bude. Sobald der Gong morgens den Unterrichtsbeginn einläutet, schwillt der Lautstärkepegel an – und bis zum Nachmittag nicht mehr ab. Hunderte Kinderfüße rennen über den grauen PVC-Boden und beleben, einem Wüstenregen gleich, die toten Korridore. Am stärksten erblüht die ungetrübte Lebensfreude in den unteren Jahrgangsstufen.
Der quirligste Haufen an der HFG ist zweifelsohne die 6b. Schulintern nennen wir diese Klasse die Flummi-Truppe. Die erste Frage der Schüler, als ich bei ihnen nach den Sommerferien als neuer stellvertretender Klassenlehrer den Deutschunterricht übernommen habe:
Klasse: »Herr Schröder, wie alt sind Sie eigentlich?«
Herr Schröder: »Äh, 46.«
Klasse (kreischend im Chor): »Waaaas, ü30??? Soooo aaaaalt?!?!?!«
Da muss man als Pädagoge natürlich schnell reagieren. Sonst hat man autoritätstechnisch sofort verloren. Zum Glück bin ich mit subtiler Schlagfertigkeit gesegnet. Meine Antwort, dass Lehrerjahre wie Hundejahre seien und man daher das Alter eines Lehrers immer umrechnen müsse, ging leider im Geschrei unter.
Dann rief jemand aus der letzten Reihe: »Sie wollen doch bestimmt Ihren Namen an die Tafel schreiben! Wir haben das schon für Sie erledigt, Sie müssen nur noch die fehlenden Buchstaben einsetzen.«
Ich drehte mich um. An der Tafel stand:
Herr öde
Daneben war ein stranguliertes Galgenmännchen gemalt. Es hatte eine Brille auf und einen Aktenkoffer in der Hand. Eine leichte Ähnlichkeit mit mir war nicht von der Hand zu weisen. Ich nahm die kreative Herausforderung an und vervollständigte das Lückenwort:
Herr A a l k öde r
Spontan witzig sein kann ich nämlich auch. Hätte ich allerdings geahnt, dass das von nun an mein Spitzname in der Flummi-Truppe sein würde, hätte ich mich vielleicht doch für eine andere Lösungsvariante entschieden.
Bereits eine Etage höher, in der Mittelstufe, ist die Atmosphäre hormonell bedingt etwas gedämpfter. In den Fluren herrscht kein ausgelassenes Getobe. Bevorzugt wird stattdessen eine subtropische, sauerstoffarme Klimatisierung sowie künstliche Verdunklung. Anders gesagt: Es riecht wie in einem Pumakäfig. Selbst im Winter möchte man in einer Tour lüften. Gefühlt läuft dazu im Hintergrund die ganze Zeit leise Smooth Jazz. Die Teenager lehnen an allem, was zur Verfügung steht, kauen Kaugummi und sind hauptsächlich damit beschäftigt so rüberzukommen, als wäre es ihnen egal, wie sie rüberkommen.
Wird man in der Flummi-Truppe täglich mit einem aufgeweckten »Gu-ten-Mor-gen-Herr-Aal-köd-er!« begrüßt, haben diese zenit-pubertären, storchenbeinigen Schwachstrom-Androiden an guten Tagen gerade mal ein müdes Kopfnicken fürs pädagogische Personal übrig. Sie signalisieren damit, dass sie einen zur Kenntnis genommen haben. Und dass die Vitalfunktionen noch vorhanden sind, aber bald auf Stand-by schalten werden.
Der interpassive Unterricht wird beherrscht von Einsilbigkeit und ausgesprochener Schweigsamkeit. Tafelbilder werden nicht mehr abgeschrieben, sondern abfotografiert, digital archiviert und dann nie wieder angesehen. Der Flur der Mittelstufe wird unter uns Kollegen nur der »Valiumtrakt« genannt. Gerne würde ich mal ein Kilo Kokain in die Belüftungsanlage mischen; allein meine Scheu vor Beschaffungskriminalität hält mich zurück.
Intellektuell unterschätzen sollte man die Mittelstufe trotzdem nicht. Als ich kürzlich in die 10a kam, stand an der Tafel: »Herr Schröder, Sie Korrekturensohn«. Leider war ich so überrascht, dass ich in meiner Verblüffung die Frage stellte, auf die kein Lehrer jemals eine ehrliche Antwort bekommen hat:
»Wer war das?«
Darauf haben meine hochbegabten Klassenzimmeramöben natürlich eisern geschwiegen. Blöd für den Urheber – ich hätte ihn nämlich direkt zur Deutsch-Olympiade angemeldet. Korrekturensohn, das ist doch genial! Ein Neologismus, eine verbale Klangfusion! Einfach geiler Scheiß, auf den man erst mal kommen muss. Mein Unterricht war also doch nicht umsonst.
Noch ein Stockwerk höher befindet sich die Oberstufe. Die meisten Schüler dort sind volljährig und dürften uns Lehrer eigentlich duzen. Sie verzichten aber weitestgehend darauf, um sich nicht mit dem Lehrervolk gemeinzumachen. Alle haben ihre Menschwerdung erfolgreich abgeschlossen und führen ihre destillierte, politisch korrekte Identität spazieren. Dass wir das dritte OG »die PC-Etage« nennen, hat nur am Rande damit zu tun, dass sich hier oben auch der Computerraum befindet.
Während der Pausen genießen die Oberstufenschüler diplomatische Immunität und dürfen als einzige im Gebäude bleiben. Was dann hinter verschlossenen Türen vor sich geht, bleibt Spekulation. Es kursieren unzählige, wahnwitzige Theorien unter uns Lehrern, was dieser konspirative Zirkel der PC-Etage in den Pausen und Freistunden alles bespricht, raucht und einwirft. Wo man in den unteren Klassen noch bettelnd auf die Knie fallen möchte, damit von den Schülern mal ein bisschen Eigeninitiative und Selbstständigkeit kommt, fühlt man sich hier fast schon überflüssig. Ich vermeide es, wenn möglich, die vorbereitungsintensiven Kurse in der Oberstufe zu unterrichten, aber manchmal reiße ich aus Spaß trotzdem eine der Türen im Oberstufentrakt auf.
Oberstufenschüler: »Herr Schröder, nicht stören, bitte. Wir wählen grad die Oberstufensprecher*innen.«
Sie werden ja so schnell erwachsen.