Kolumbus–Eier
Spiele und Experimente
aus der Physik
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Der vorliegende Band folgt der Ausgabe Kolumbus-Eier. Eine Sammlung unterhaltender und belehrender physikalischer Spielereien. Hrsg. von der Redaktion des »Guten Kameraden« (Illustrierte Knabenzeitung). Mit 138 in den Text gedruckten Illustrationen. Erster Band. Vierte Auflage. Stuttgart, Berlin, Leipzig: Union Deutsche Verlagsgesellschaft 1940. – Sämtliche Abbildungen wurden übernommen, der Text in Orthographie und Interpunktion überarbeitet.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.
© 2013 Anaconda Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
ISBN 978-3-7306-9056-7
V002
www.anacondaverlag.de
Vorwort des Herausgebers
Am 1. Januar 1887 konnte man an den Kiosken die erste Ausgabe der wöchentlich erscheinenden illustrierten Knabenzeitung Der Gute Kamerad kaufen. Ihr Herausgeber und Verleger Wilhelm Spemann hatte den Titel von Ludwig Uhlands bekanntem Gedicht übernommen. Die Zeitung war eine bunte Mischung aus Abenteuer-Erzählungen, Berichten aus Natur und Technik, Ratgebern und Kuriositäten. Schon auf der Titelseite des ersten Heftes begann die Wild-West-Erzählung Der Sohn des Bärenjägers von Karl May, die sich in Fortsetzungen über 39 Hefte hinzog. Bis 1897 schrieb er noch neun weitere Fortsetzungsromane für den Guten Kameraden. Karl May und einige andere, damals sehr bekannte, aber heute längst vergessene Jugendbuchautoren wie Johannes Kaltenboeck, Franz Treller und Maximilian Kern sorgten mit ihren Erzählungen dafür, daß Der Gute Kamerad von Anfang an ein Erfolg und zur beliebtesten Knabenzeitung Deutschlands wurde. Er erschien regelmäßig bis 1968 und war nur in den letzten Kriegsmonaten und in der Nachkriegszeit für fünf Jahre unterbrochen.
Doch nicht nur der Abenteuer-Roman, sondern auch die Physik machte den Erfolg der Zeitschrift aus. Natürlich nicht die Physik der Formeln und Zahlen, die den Jungen in der Schule eingetrichtert wurde, sondern die der verblüffenden Experimente. Mit leicht zu beschaffenden Alltagsgegenständen wie Gläsern, Streichhölzern, Dominosteinen, Gabeln, Kerzen, Löffeln und Schnüren wurden Versuche gezeigt, die jeder Junge leicht nachmachen konnte und die sich oft völlig anders verhielten, als es der gesunde Menschenverstand erwartete. So konnten sie ihre Freunde, Geschwister, Eltern und sogar ihre Lehrer überraschen. Darum langweilte Der Gute Kamerad die Jungen nicht mit langatmigen Erklärungen der physikalischen Ursachen, sondern zeigte ihnen, wie sie die Experimente als Varietékünstler ihrem Publikum am effektvollsten vorführen konnten.
Um 1900 stellte die Redaktion des Guten Kameraden mehr als hundert dieser physikalischen Spielereien zu einem Buch mit dem Titel Kolumbus-Eier zusammen. Die Kolumbus-Eier wurden ein großer Erfolg und erschienen bis in die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts in über dreißig Auflagen.
Heute, über hundert Jahre nach dem ersten Erscheinen der Kolumbus-Eier, klingt der Text auf eine angenehme Weise etwas altmodisch, und die Holzstiche, die jedes einzelne Experiment illustrieren, haben den Charme des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts. Die physikalischen Spielereien jedoch sind immer noch genauso aktuell wie vor hundert Jahren und werden Jugendlichen und Erwachsenen heute genauso viel Spaß und Kopfzerbrechen bereiten wie damals.
Heinrich Hemme
Der balancierende Weinkelch
Die schwebende Karaffe
Drei Zündhölzer durch ein viertes emporheben
Eine größere Anzahl Streichhölzer mit einem Zündholz in die Höhe heben
Der Bleistift als Akrobat
Blondin II.
Der Dominoturm
Bauen mit Dominosteinen
Der Pfennig auf der Nähnadel
Das Teller-Karussell
Das tanzlustige Weinglas
Äquilibristische Küchengeräte
Die lebendige Pappschachtel
»Wollen – will man, aber können – kann man nicht!«
Wo ist der Schwerpunkt?
Die gehorsamen Münzen
Und die Münze verharrt doch!
Stillgestanden!
Der widerspenstige Taler
Fangspiel mit Würfeln
Das im kreisenden Glas niedergehaltene Wasser
Die Luftfahrt des Serviettenringes
Kette als Kreisel
Die unzähligen Wassertropfen
Die schnurrigen Kugeln
Russisches Seifenblasen-Karussell
Der hängende Bleistift
Ein verschlossenes Weinglas zu füllen
Schwimmendes Kupfer
Schwimmendes Eisen
Durch Kohäsion einen Kreis zeichnen
Messer als Nußknacker
Der aufsteigende Fallschirm
Die Stärke des Strohhalms
Überraschende Wirkung eines Stockschlags
Kegelkugel und Bindfaden
Die explodierende Fruchtschote
Der verhexte Fidibus
Wasser in Wein zu verwandeln
Wasser schwerer als Wein
Der Vulkan im Wasserglas
Fortpflanzung des Stoßes
Tragkraft der Wasserteilchen
Einfaches Reaktionsrad
Das Segnersche Wasserrad
Tütenwasserrad
Wasserrad mit Schneckenhäusern
Turbine aus Flußmuscheln
Eine Pumpe ohne Kolben
Hydraulischer Motor
Kürbis als Springbrunnen
Die Briefwaage in der Sommerfrische
Die rastlose Weinbeere
Ein billiger Wasserfilter
Fischlein, schwimm!
Ein Kampferschiffchen
Kampferschiffchen als Lastboot
Beweglicher Bärlappsamen
Wasserstrahl und Elektrizität
Die Likörtropfen auf dem Kaffee
Otto v. Guerickes Versuch mit den Halbkugeln durch zwei Trinkgläser nachgeahmt
Das in die Flasche getriebene Ei
Die freihängende Münze
Marsch heraus und – marsch hinein!
Die flüchtige Münze
Ein merkwürdiger Kreisel
Kerze durch eine Seifenblase ausgelöscht
Die um ihre Achse sich drehende Münze
Die Metallröhre und das schwebende Brotkügelchen
Das schwebende Holundermark-Kügelchen
Eine Windmühle
Seifenblase als Luftballon
Der rätselhafte Trichter und die Holzkugel
Das Eierdampfschiff
Eine Gaswaage
Die Champagner-Kanone
Die Zündholz-Kanone
Der Fesselballon im Zimmer
Lineare Ausdehnung einer erwärmten Nadel
Die Wärmeleitungsfähigkeit von Holz und Metall
Kupfer ein besserer Wärmeleiter als Eisen
Glasröhren zu krümmen
Der Wasserleuchter
Ein einfaches Prisma
Spiegelbild ohne Spiegel
Ein Lichtkunststückchen
Das umgekehrte Bild der Stecknadel
Darstellung eines doppelten Regenbogens
Wie ein sogenannter Hof um den nächtlichen Erdtrabanten entsteht
Glaskugel als Mikroskop
Das metamorphosische Teufelchen
Gesichtstäuschung mittels eines Lineals
Kreise, die sechseckig erscheinen können
Wie hoch ist ein Zylinderhut?
Mosjö Großkopf
Die photographische Büste
Der Mann in der Flasche
Der Riesenlampe
Der eigene Kopf gefällig?
Fluoreszierender Farbstoff
Die elektrischen Tänzer
Elektrischer Fischfang
Ein Messer magnetisch zu machen
Teebrett als Elektrophor
Eine einfache Leydener Flasche
Die verzauberten Fische
Der Induktionskreisel
Thermoelektrische Strömungen
Die Schwingungen eines tönenden Glases sichtbar zu machen
Das musikalische Papiermesser
Ein hydraulisches Mikrophon
Singende Gläser
Die Flaschenharmonika
Blasebalg als Musikinstrument
Glas- oder Kartonröhre als Posaune
Eine einfache Schlagharfe
Eine Zeichnung in Feuerlinien
Das Stanniolfeuerwerk
Ein einfacher Filtrierapparat
Ein igelartiges Kristallgebilde
Schattenrißbilder
Schattenbilder
Haben Sie Lust, meine Herrschaften, eine stattliche Anzahl Kolumbus-Eier kennenzulernen, oder, um es verständlicher zu sagen, ein wenig Experimentalphysik zu treiben? Ja? Nun, dann sollen Sie sogleich bewiesen sehen, daß man bei einiger Findigkeit, ohne jegliche Vorbereitungen und Apparate, auf die einfachste Weise die hübschesten physikalischen Kunststücke auszuführen imstande ist, die freilich oft sehr viel mit Knacknüssen gemein haben – darum aber erst recht zur Unterhaltung einer Gesellschaft sich eignen, zugleich geistschärfend und sehr lehrreich sind.
Beginnen wir mit einem leichten, darum aber nicht minder eleganten Versuch über die Lehre vom Gleichgewicht, indem wir uns die Aufgabe stellen, daß die Enden dreier Stäbe ein Weinglas tragen sollen, und machen wir eine Vorübung mit schwedischen Streichhölzern. Nehmen wir zunächst zwei derselben, legen sie kreuzweise übereinander, und halten sie mit zwei Fingern der linken Hand fest; dabei kann das obere Hölzchen waagerecht liegen. Nun führen wir ein drittes von oben her schräg in den oberen rechten Winkel, machen mit der rechten Hand eine leichte Wendung nach außen, wodurch sich das letzte Holz unter die obere Hälfte des senkrechten und über den rechten Teil des waagerechten Stäbchens legen soll. In dieser Stellung halten wir alle drei fest, stellen sie auf die Tischplatte, und ordnen die Hölzchen so, daß sich in der Mitte ein gleichseitiges Dreieck bildet. Jetzt steht der kleine improvisierte Schemel fest, und kann mit einem beliebigen Gegenstande mittlerer Schwere belastet werden, er wird nicht umfallen. Jeder Stab steht mit dem einen Ende auf der Tischunterlage, geht hierauf unter einem zweiten Holz hinweg, ruht dann auf dem dritten, und ragt mit dem andern frei empor. Nach dieser Probe verursacht die Herstellung einer gleichen Tragvorrichtung in größerem Maßstabe – mit Stäben, Linealen oder Messern – keine weiteren Schwierigkeiten. Stellt man alsdann auch hier einen Gegenstand von einigem Gewicht darauf, etwa, wie in unserer Abbildung, ein zerbrechliches Weinglas, so kann es keineswegs in Gefahr kommen, denn die Festigkeit des Baues wird durch die Belastung nicht verringert, sondern erhöht.
Nicht minder wirkungsvoll, dabei keineswegs schwierig ist die Variation des vorausgegangenen Versuches, wie sie uns aus der obenstehenden Abbildung entgegentritt. Die Karaffe scheint fast ganz in der Luft zu schweben, und doch bilden die drei Messer ein verhältnismäßig festes Gefüge. Wie die letzteren übereinander gelegt werden, ist aus dem Bild klar ersichtlich, ihre Kreuzung entspricht ganz dem zuvor besprochenen Stäbchengestell. Wir verfahren dabei wie folgt: Wir stellen ein Messer senkrecht, Schneide rechts; quer darüber ein zweites waagerecht, Schneide oben; das dritte schräg durch den Winkel rechts oben; wir erfassen das letztere aber nicht am Griff, sondern am Rücken der Messerplatte, so daß die Schneide nach innen sich richtet. Die Fläche des dritten Messers geht unter der des ersten hindurch über die des zweiten hinweg. Ist die Kreuzung der Klingen so fertiggestellt, legen wir die Messer mit den Griffen, wie aus der Abbildung ersichtlich, auf die Ränder dreier Weinkelche. Nun kann auch auf diesem Gestell, ohne Gefahr, eine zerbrechliche Karaffe Platz finden.
Der verehrte Leser wird bei weiterer Durchsicht dieses Buches noch manche andere, hübsche Gleichgewichtsspielerei kennenlernen, die sich mit dem oben geschilderten Versuch kombinieren läßt. So könnte, beispielsweise, auf den Halsrand der Karaffe auch noch ein balancierendes Ei aufgesetzt werden. Wir ermöglichen dies, indem wir oben auf das Ei einen Weinflaschenkork auflegen, in den wir die zu den Messern gehörenden drei Gabeln eingesteckt, und so nach einigen Versuchen und Änderungen der Stellung von Kork und Ei das erforderliche stabile Gleichgewicht hergestellt haben. Den Kork höhlen wir unten etwas aus, so daß er auf dem Ei recht satt aufsitzt. Der Bau wird solcherweise einen noch mehr überraschenden Anblick darbieten. Daß bei diesem Versuche weder dem Ei, wenn es ein rohes ist, noch der Karaffe ein Unglück widerfahre, dafür übernehmen wir allerdings keine Verantwortung. Jedenfalls raten wir, vor der Belastung die Tragkraft der Messerkreuzung durch entsprechend starken Fingerdruck zu prüfen.
Nun gestatten wir uns aber auch, unserem verehrten Zuschauerpublikum, d. h. falls wir welches haben, einiges Kopfzerbrechen zu verursachen, und greifen nach dem Streichholzbehälter. Wir entnehmen demselben zunächst ein Hölzchen und spalten dasselbe behutsam an seinem von Zündstoff freien Ende, flachen dann ein zweites keilförmig zu, und stecken dieses Ende in den Spalt des ersten Hölzchens, so daß beide einen spitzen Winkel bilden. Wir stellen nunmehr diese vereinigten beiden Hölzchen auf den Tisch, und stützen dieselben gegen ein drittes Zündholz, so daß nun alle drei in einer Weise stehen bleiben, wie dies aus dem unteren Teil unserer Abbildung zu ersehen ist. Damit hätten wir die Vorbereitungen zu unserer Scherzaufgabe getroffen, und fragen nun, wer dieses Stäbchengestell mittelst eines vierten Hölzchens aufzuheben imstande sei. Dies wird nach vielleicht mehrfachen vergeblichen Versuchen einiges Kopfschütteln verursachen, denn die Lösung ist nur auf die im oberen Teil unserer Abbildung angezeigte Art möglich, indem wir das dritte Hölzchen durch entsprechende seitliche Führung des Stäbchengebäudes unter die zusammengefügten Spitzen des ersten und zweiten gleiten lassen, und dann vermittelst des vierten die Kreuzung erfassen und emporheben. Hat sich unser Zuschauerpublikum als einigermaßen dankbar erwiesen, so verwenden wir die beiden erstbeschriebenen, zusammengesteckten, einen spitzen Winkel bildenden Zündhölzchen, zu einer hübschen Zugabe. Wir neigen die beiden Hölzchen einander noch mehr zu, so daß der Winkel möglichst spitz wird, und setzen die beiden Schenkel mit dem Berührungspunkte so auf die Schneide eines Tischmessers, daß die beiden Streich-holzköpfe die Tischplatte eben nur berühren. Die Aufgabe besteht nun darin, das Messer, ohne daß die Hand oder der Arm sich stützen, so ruhig zu halten, daß der Reiter sich nicht fortbewegt. Es wird dies nur in seltenen Fällen gelingen, d.h. der Reiter wird sich gewöhnlich alsbald davonmachen. Um dem Versuch einen weiteren äußeren Reiz zu verleihen, können wir an dem Vereinigungspunkt der beiden Hölzchen den aus leichtem Papier ausgeschnittenen Oberkörper eines Jockeys oder eines Husaren aufstecken.
Recht einfach und doch effektvoll ist auch dieses Kunststück. Wir legen ein Streichholz platt auf den Tisch, und quer darüber eine beliebige Anzahl Hölzchen, und zwar so, daß die Köpfe in die Höhe ragen, während die entgegengesetzten Enden sich auf die Tischplatte stützen; dabei verfolgen wir die Anordnung, daß bei beiderseitiger gleicher Zahl der Hölzer die Köpfe abwechselnd in entgegengesetzter Richtung zu liegen kommen. Nun fragen wir auch hier unsere Zuschauer, ob sie imstande seien, alle Hölzchen – indem wir erlauben, noch ein weiteres Zündholz zu Hilfe zu nehmen – in dieser Anordnung in die Höhe zu heben. Man wird dies von keiner Seite als sehr schwierig betrachten, und das Experiment in der verschiedensten Weise versuchen, doch umsonst, wer den Kniff nicht kennt, wird die Aufgabe nicht lösen, die Hölzchen werden vielmehr bei jeder Berührung alsbald bunt durcheinander fallen. Wir aber plazieren parallel zum untersten Streichholz, wie die Abbildung zeigt, auch ein solches oben quer über. Ergreifen wir nun das unterste (erste) Zündholz, so können wir mit diesem alle übrigen in der erwünschten Weise emporheben, wonach es dann die unglücklichen Versucher weidlich ärgern wird, die überaus einfache Lösung nicht selbst ausgeklügelt zu haben.
Haben wir dieses Kunststück mit zwölf Zündhölzchen ausgeführt, können wir auch hier einen hübschen Scherz folgen lassen. Wir behaupten, daß wir mit ihrer Hilfe Wein in Tinte zu verwandeln vermögen. Man wird staunen, ungläubig lächeln und es vielleicht auf eine Wette ankommen lassen, die wir natürlich gewinnen, denn hurtig legen wir die zwölf Zündhölzer wie folgt auf den Tisch:
Dem wettenden Partner wird bereits etwas schwül geworden sein, denn er dürfte schon erraten haben, daß wir die Umwandlung in Tinte wie folgt zustande bringen:
Nehmen wir einen beliebigen, aber nicht schon allzu kurz geschnittenen Bleistift, gleichviel ob von runder oder eckiger Form, und führen unweit der Spitze die Klinge eines Federmessers ein, neigen dann allmählich den Griff des letzteren der Bleistiftspitze zu, bis der Stift, auf unserem Zeigefinger ruhend, in der Balance bleibt, so ist das Gleichgewicht gefunden. Dieses letztere tritt ein, sobald der Schwerpunkt des Federmessers und Bleistifts sich unter dem Stützpunkt, also unter dem Finger befindet. Die mehr oder weniger geneigte Stellung des Bleistifts hängt ab von dem engeren oder weiteren Winkel, in welchem der Messergriff zu der Klinge steht; senkrecht ist der Stift, wenn der Schwerpunkt des Messers mit der verlängerten Achse des Stiftes zusammenfällt. Wer sehr empfindliche Finger hat, sorge dafür, daß der Bleistift nicht allzu spitz sei, denn durch das Gewicht des Messers belastet drückt die Spitze ziemlich stark auf die Haut des Fingers, oder aber man lege ein kleines Leder- oder Tuchfleckchen unter.
Der Versuch läßt sich übrigens in Ermanglung eines Bleistifts in ganz derselben Weise auch mit einem Streichholz ausführen, ja er gewinnt bei der Kleinheit und Unscheinbarkeit des Hölzchens noch an Reiz. Mehr noch: wir können auf die Spitze des einen balancierenden Zündholzes noch ein zweites stellen, wobei wir freilich besser ein etwas kleineres Messer als das erste verwenden. Die Spielerei läßt sich bei einigem Geschick sogar so weit treiben, daß wir auf das zweite balancierende Holz auch noch ein drittes Zündhölzchen mit Messer stellen, womit wir einen förmlichen Turmbau, der an Kühnheit der Ausführung nichts zu wünschen übrig läßt, zustande gebracht haben. Zu beachten bei diesen Versuchen wäre nur, daß die Messerklingen bei zu großer Neigung nicht von ungefähr zuschnappen und dem Finger eine ebenso unangenehme, als unerwünschte Beschädigung zufügen. Besser und sicherer ist es jedenfalls, man errichtet den Bau auf dem Kork einer zugestöpselten Flasche.
Unser Seiltänzer, mit dem unternehmenden Gesicht und der kühn geschwungenen Barettfeder, kann sich gewiß sehen lassen. Zu seiner Verfertigung benötigen wir zwei Korkstöpsel und vier Zündhölzer, oder aber, wir nehmen vier entsprechend gekrümmte Hölzchen aus einem Reisigbündel. Diese letzteren bohren wir in passender Weise in einen Kork ein, der den mehr oder weniger schlanken Leib des Männchens darstellt; die solchermaßen entstandenen Arme und Beine lassen sich nach allen Richtungen drehen, so daß unser Äquilibrist alle erdenklichen Gliederverrenkungen auszuführen vermag. Den Kopf formen wir aus einem rundlichen Korkstück, die Nase aus einem Korkschnitzel, das wir an entsprechender Stelle des Gesichtsfeldes in eine senkrecht geschnittene Furche einführen. Nun setzen wir den Kopf unter Zuhilfenahme eines an den beiden Enden zugespitzten Holzstückchens auf den Rumpf. Der so geschaffene Hals wird sich gleichfalls durch außerordentliche Beweglichkeit auszeichnen. Augen und Mund werden mit dem Federmesser ausgehoben, oder mit dem Ende einer rotglühenden Stricknadel eingebrannt. Dabei werden wir uns in acht nehmen, daß sich unsere Fingerspitzen nicht zu sehr von dem guten Wärmeleitungsvermögen der Metalle überzeugen müssen. – Wenn wir nunmehr unser Männchen in einen richtigen Äquilibristen verwandeln wollen, bohren wir ihm, so wie es die Abbildung veranschaulicht, grausamerweise auch noch zwei Gabeln in den Leib. Es kommt dann der Schwerpunkt der solchermaßen hergestellten Verbindung so tief zu liegen, daß sich unser Seiltänzer in eleganter Weise auf einem Fuß im Gleichgewicht halten wird. Wir können den Künstler auch auf unsern Finger, oder sogar auf den Kopf einer Stecknadel stellen, die wir irgendwie passend befestigt haben. Er wird sich aber auch auf einem aus zwei Zündhölzchen und einem Stückchen Zwirn hergestellten Trapeze ebenso sicher halten, und wenn wir schließlich den einen Fuß etwas ausschneiden (in Form eines A), so können wir ihn sogar auf einem etwas geneigt gespannten Bindfaden quer durch unser ganzes Zimmer tänzeln lassen.
* Jean François Gravelet-Blondin (28.2.1824–19.2.1897), berühmter französischer Seiltänzer. (Anm. des Hrsg.)
Da die Schwere auf jedes einzelne Teilchen eines Körpers wirkt, und zwar so, daß die nach dem Erdmittelpunkt konvergierenden Richtungslinien der Anziehungskraft als parallel gelten können, so ergibt sich, daß die Unterstützung des Mittelpunktes dieser Kraft, also des Schwerpunktes, jede drehende oder fortschreitende Bewegung des Körpers durch die Schwere ausschließt; es wird dann vielmehr gegen diese Unterstützung ein der Masse proportionaler Druck ausgeübt. Spiele und Experimente, die uns die Lehre vom Gleichgewicht paralleler Kräfte zur Anschauung bringen, also auf der Ausnützung des Schwerpunktes beruhen, gibt es unzählige. Greifen wir zur Abwechslung zu unserem Dominospiel, und stellen wir uns die Aufgabe, sämtliche Steine des Spieles auf einen einzigen Stein zu stellen. Zu diesem Zweck richten wir einen Stein der Längsseite nach senkrecht auf und legen einen horizontal darüber. Es folgen dann zwei, drei und vier nebeneinander waagerecht gelegte Steine, und so weiter, wie dies aus der Abbildung ersichtlich ist. Wir werden den hübschen Bau aber wahrscheinlich erst nach wiederholten kleinen Unglücksfällen zustande bringen, leicht jedoch wird es uns, wenn wir anfangs drei Steine senkrecht als Fundament aufstellen, die beiden seitlichen Stützen aber dann, wenn das Gebäude zur vollen Höhe gediehen ist, vorsichtig wegziehen, und diese beiden Steine endlich vorsichtig auch noch ganz oben auftürmen.
Bei einigem Formensinn wird es dem versuchslustigen Leser unschwer werden, dem Turm auch andere hübsche Gestaltungen zu geben, denn es ist durchaus nicht gesagt, daß der in unserem Bild dargestellte Bau genau nachgebildet werden muß. Die reiche Zahl der Steine eines Spieles, die Kongruenz derselben, dann ihre gewöhnlich sehr exakte Flächenbearbeitung, gewähren der kühnsten Unternehmungslust den weitesten Spielraum. Natürlich darf nicht ein neckischer Kobold in der Nähe sein, der unsere baulichen Bestrebungen mit einem Schlage zunichte macht.