PROLOG
»Wenn ich ein Buch über dich schreiben würde«, sagte Markus, »würde ich mit einem Geräusch anfangen. Dem Geräusch deines Herzschlags, das alles durchdringt. Das sich verlangsamt, immer weiter, bis die Pausen endlos scheinen.« Er hielt inne. »Aber dann«, sagte er, »würde ich nicht versuchen, die Ruhe zu schildern, die du dabei erlebst, die Entspannung und Schönheit.«
»Nein?«, fragte ich.
»Nein«, antwortete er. »Dann käme der Moment, in dem dir die Lichter ausgehen. In dem du ohnmächtig wirst, 40 Meter unter der Oberfläche, und fast stirbst.«
»Das wäre spannend«, sagte ich, »und es wäre wahr. Aber mein Anfang wird ein anderer sein.«
Ich werde von der Magie der Tiefe erzählen.
Davon, wie es sich anfühlt, so weit unten zu sein, dass die Sonne ein fernes Echo in meiner Erinnerung ist. Davon, dass es mich ins Bodenlose zieht, und davon, dass ich dort die Welt in ihrer ursprünglichsten Form erlebe. Von den Freunden, die ich fand, und den Abenteuern, die wir bestanden. Von der Intensität des Augenblicks. Davon, was mich zur Apnoetaucherin macht, obwohl alles dagegenspricht. Und dann werde ich berichten von dem Moment, in dem es dunkel wurde um mich und in dem ich fast mein Leben verlor.
Apnoetauchen ist das Reduzieren des Daseins auf seine grundlegenden Bestandteile. Es ist die ultimative Pause, das Verharren zwischen Ein- und Ausatmen, ein Stillsein, wie es der Mensch sonst nicht kennt. Es ist das Anhalten der Welt, von dem wir alle manchmal träumen. Es ist Dazwischensein. Zwischen Steigen und Sinken, Bewusstsein und Ohnmacht. Oben und unten. Der Platz zwischen ungreifbarer Tiefe und Luft und Licht, zwei Welten, deren Zusammenspiel unsere Erde bewohnbar macht. Es ist die Balance zwischen Körper und Geist, zwischen Wille und Nachgeben. Wer sich dem Nicht-Atmen ernsthaft stellt, erlebt Gegensätze, die untrennbar miteinander verknüpft sind. Er erlebt Raum. Raum, sich zu fordern und zu entwickeln, und Raum, die unlösbare Verbindung von Mensch und Umwelt zu erfassen.
Mit nichts als einer Lunge voll Luft unterzutauchen, ist ein Urinstinkt, eine Fähigkeit, die uns angeboren ist und die wir mit vielen Lebewesen teilen, vor allem mit Meeressäugern wie Delfinen, Walen und Robben. Wie sie tragen wir den sogenannten Tauchreflex als Anlage in uns, eine Reaktion des Körpers auf das Eintauchen in die Unterwasserwelt. Unser Herzschlag verlangsamt sich, bis die Pausen zu überwiegen scheinen, das Gehirn wird vermehrt durchblutet. Der Stoffwechsel fährt herunter. Wir sind im Sauerstoffsparmodus.
Diese angeborene Reaktion geht im Erwachsenenalter weitestgehend verloren, doch wer Apnoe taucht, passt sich mit Körper und Geist wieder an den geheimnisvollen, aquatischen Lebensraum an und erfährt in ihm eine Rückkehr zum Ursprung des Menschen. Von diesen Momenten möchte ich erzählen. Von der Suche nach Grenzen in der Tiefe des Ozeans, Grenzen, die Möglichkeiten sind. Die unvergleichliche Schönheit der Erlebnisse gehört in gleichem Maße dazu wie die Gefahren, die ich überwand. In den Erfolgen und Rückschlägen des Wettkampfsports entdeckte ich meine ungeahnten Stärken und wurde mit meinen Fehlern konfrontiert. Dabei lehrte mich die Unnachgiebigkeit der Natur, der ich mich aussetzte, diese Teile meines Selbst klar zu sehen und mit Ehrlichkeit zu einem Ganzen zu fügen, das meine Persönlichkeit bestimmt und mich durchs Leben begleitet, über wie unter Wasser.
Während ich an diesem Text arbeite, stürzt mich der plötzliche Abschied eines geliebten Menschen in die größte Herausforderung, die ich je zu bewältigen hatte, eine, der sich jeder von uns früher oder später stellen muss. Wie es möglich ist, mit der Lücke zu sein, werde ich erst mit dem Verrinnen von Zeit langsam herausfinden. Durch die schwierigen Tage, die den unerwarteten Tod umgaben und die in den nächsten Wochen anstehen, hilft mir die enge Verbindung zu meiner Familie und die Kraft im Umgang mit den ursprünglichsten Elementen des Lebens, die ich mir mit jedem Innehalten des Atems aufs Neue erkämpft habe. Während ich versuche, aufs Papier zu bringen, was die Stärke in mir erzeugt, mit der ich Extreme bewältige, wird ein wenig klarer werden, wie sich der Verlust in meine Zukunft einfügt – eine Hoffnung, die mich über das Erzählte hinaus nach vorne trägt.
Mein Buch beginnt mit einem kleinen Abenteuer.