George Cypriano Bühler

KAMPF DEN PIRATEN

Mein Einsatz unter fremder Flagge

Aufgeschrieben von Tina Klopp

Econ

Ausländische Städtenamen wurden im Text und der Klappkarte bewusst in englischer Transkription abgedruckt.

Econ ist ein Verlag
der Ullstein Buchverlage GmbH

ISBN 978-3-8437-0420-5

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Prolog eines Contractors

»Dann geht ihr eben ohne Waffen aufs Schiff!«, hatte mein Vorgesetzter entschieden. »Ihr fahrt mit. So oder so.«

Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Dann las ich die E-Mail noch einmal.

Wir saßen in Muscat fest, der Hauptstadt des Oman, in einem schäbigen Hotel ohne Klimaanlage oder halbwegs funktionierende Klospülung. Mein Zimmer war dürftig eingerichtet, das Haus hatte die besten Zeiten längst hinter sich gelassen. Von meinem Hotelfenster aus schaute ich direkt auf das Hafenbecken – eine gewaltige Portanlage mit protzigen Luxusyachten und der Edelyacht der omanischen Herrscherfamilie. Der Kontrast zur extremen Kargheit des Landes hätte größer kaum sein können.

Der Chef jedenfalls meinte, was er sagte. Daran hatte der Ton seiner E-Mail keinen Zweifel gelassen.

Ich musste zweimal kräftig durchatmen, um nicht sofort empört zurückzumailen. Stattdessen klappte ich das Notebook wieder zu und verstaute es in dem schäbigen Hotelzimmersafe, eher aus Platzmangel denn aus echtem Sicherheitsbedürfnis. Diesen Safe hätte vermutlich jede omanische Großmutter mit Hilfe einer Haarnadel aufbekommen.

Unten im Hotelrestaurant wartete mein Teamkollege Jeff auf mich. Er löschte seinen Kater vom Vortag mit frischem Tee.

Es war der 25. Dezember. Gestern Abend hatten wir zusammen Weihnachten gefeiert. Mit viel Dosenbier und schlechten Witzen, bei sommerlichen Temperaturen und in der Gesellschaft einer Handvoll Küchenschaben, die geschäftig über den Hotelfußboden krabbelten.

Jeff war Engländer. Gestern Abend hatte er sich feierlich eine selbst gebastelte Partymütze auf den Kopf gesetzt und behauptet, das sei die nationaltypische Weihnachtstracht der Briten. Mein Gott, ich hatte schon schlechtere Weihnachten gefeiert.

Unser letzter Einsatz hatte uns hierher geführt. Wir hatten die Mona-Lisa, einen alten venezolanischen Frachter, von Suez in Ägypten hierher begleitet, durch den Golf von Aden und an der somalischen Küste entlang. Jetzt saßen wir schon seit zwei Tagen in diesem abgerockten Hotel und wussten nicht so recht, wie es mit uns weitergehen sollte.

Die vergangenen Tage waren mehr als nervenaufreibend gewesen. Und während wir auf neue Instruktionen gewartet hatten, war die Stimmung im Team immer weiter in den Keller gewandert. Bei unserer Ankunft in Muscat waren wir noch zu viert gewesen. Aber zwei von uns hatten sich vor zwei Tagen bereits verabschiedet und waren mit dem nächstbesten Flieger in ihre Heimat abgeflogen. Die beiden waren die Einzigen im Team gewesen, die schon über Einsatzerfahrung verfügten. Und sie hatten keinen Zweifel daran gelassen, dass sie die Schnauze voll hatten von diesem Auftrag und dem haarsträubenden Missmanagement unserer Firma. Zu viel war bisher schon schiefgegangen.

Unser aktuelles Problem ließ sich in einem einfachen Satz zusammenfassen: Wir hatten keine Waffen mehr. So schnell das Problem auch umrissen war, so wenig ließ es sich lösen. Es war völlig undenkbar, mitten in Muscat und auf eigene Faust mal eben eine Handvoll Gewehre aufzutreiben. Auch unsere Einsatzleitung wusste keinen Rat. Zwar wollte man uns am liebsten schon morgen in den nächsten Einsatz schicken. Aber man war nicht in der Lage, dafür Gewehre oder gar neue Männer zu organisieren.

Und damit war auch klar, warum sich die beiden erfahrenen Teamkollegen aus dem Staub gemacht hatten. Der Einsatz sah nämlich vor, dass wir zwei Versorgungsschiffe, sogenannte supply vessels, nach Mauritius begleiten sollten.

Obwohl ich noch ziemlich neu war im Geschäft, ahnte ich, was das bedeutete: Mit zwei Mann, ohne eine einsatzbereite Waffe, geschweige denn eine einzige müde Patrone, war das ein Himmelfahrtskommando. Es war schlicht Wahnsinn. Die Strecke würde uns durch genau die Region führen, die in jeder ordentlichen Seekarte als high risk area, also als Hochrisikozone, gekennzeichnet war. In der Gegend gab es fast so viele Piraten wie Seevögel.

Dort unten in Muscat begriff ich etwas Wichtiges. Etwas, das für einen privaten Sicherheitsmann wie mich von wesentlicher Bedeutung war: Niemand in diesem Business gab auch nur einen Penny auf mein Leben. Wenn ich in diesem Job überleben wollte, musste ich ganz allein auf mich aufpassen.

Bei der Bundeswehr hätte es einen Vorgesetzten gegeben, der im Zweifel zur Rechenschaft gezogen worden wäre, wenn er uns in einen schlecht geplanten Einsatz geschickt hätte und uns dabei etwas zugestoßen wäre. In dieser Branche gab es keinen direkten Vorgesetzten. Oft wusste ich nicht einmal, wer der Mensch war, der mir die E-Mail mit dem Auftrag geschickt hatte. Es gab auch keine Telefonnummer, die ich wählen konnte, wenn ich ein Problem hatte.

Ich mag das Wort »Söldner« nicht, und ich sage daher lieber: Ich fahre unter fremder Flagge, oder: Ich bin ein Contractor, oder noch lieber: Operator. Spricht man von Söldnern, denken die Leute immer gleich an brutale Typen und die allerschlimmsten Geschichten – vielleicht zu Recht.

Aber wahr ist auch, dass der Security-Typ immer nur der gekaufte Soldat ist in einem Konflikt, von dem sich die klugen Kritiker und Journalisten in ihren gemütlichen Büros oft gar keine konkrete Vorstellung mehr machen. Meist geht es um politische Konflikte, die viel zu verwickelt sind, als dass sie noch mit einem einfachen moralischen Urteil wie »gerecht« oder »ungerecht«, »gut« oder »böse« belegt werden könnten. Kurz: Wir mussten halt ran, wenn es sonst niemanden gab, der seinen Kopf hinhalten wollte.

Wir waren auch die Typen, die in keiner Statistik auftauchten, wenn ihnen im Ausland etwas zustieß, und um die öf­fentlich nie jemand weinte. Im Gegenteil, auf uns wurde ­geschimpft, wenn etwas schiefging. Wenn von uns einer überreagierte oder mit dem Stress nicht klarkam und zu früh auf den Abzug drückte, würde es genauso Ärger geben wie in dem umgekehrten Fall, wenn die Piraten Erfolg hätten und es ihnen gelänge, ein Schiff samt Besatzung in ihre Gewalt zu bekommen. Was übrigens schon unendlich oft passiert ist. Aber noch nie, wenn ein bewaffneter Guard mit an Bord war.

So war es jetzt allein an mir zu entscheiden, ob ich für die 500 Dollar am Tag weiter mein Leben riskieren und mich im Zweifel von Kugeln in einen Schweizer Käse verwandeln lassen wollte. Oder ob ich dem Rat der erfahrenen Kollegen folgte und mir diesen Job, der wohlgemerkt eigentlich mein Traumjob war, zumindest für dieses eine Mal lieber durch die Lappen gehen ließ. Den Chef brauchte ich jedenfalls nicht um Rat zu fragen. Solange der Kunde zahlte, würde er mich in den Einsatz schicken, so oder so. Den Leuten im Office war egal, ob ich dabei nur die miesen Kochkünste des Schiffskochs und ein bisschen Langeweile an Deck zu fürchten hatte. Oder ob die Wahrscheinlichkeit, heil aus diesem Unterfangen zu kommen, kaum größer war als die Überlebenschance eines Koi-Karpfens in einem Haifischbecken.

Ich schrieb meinem Vorgesetzten eine E-Mail und bat um ein Rückflugticket. Es dauerte nicht lange, bis ich es bekam. Und nicht nur das. Die Antwort war klar und unmissverständlich: Man würde dann, schrieben sie mir, wohl auch in Zukunft auf meine Hilfe gut verzichten können.

Danke gleichfalls, dachte ich.

Ich kannte meinen Preis. Und mein Leben, hatte ich beschlossen, war mir definitiv zu teuer für diesen Einsatz.