EINS
Es war der Abend vor meinem dreißigsten Geburtstag. Ich hatte zweihundert Leute eingeladen, ein Buffet organisiert, eine Band engagiert. Es sollte die Party meines Lebens werden. Und ich war in Weltuntergangsstimmung. In zwei Stunden sollte es losgehen. Ich hatte eine alte Fabrikhalle gemietet und sie mit Video-Wänden, roten Samtvorhängen und Fackeln dekoriert. Ein New Yorker Rapper sollte auftreten, die schrillste Performance-Frau der Szene war gebucht. Zum Schluss sollte die Halle in Schaum versinken. Die halbe Stadt sprach seit Wochen von diesem Fest.
Ich stand lustlos vor dem Badezimmerspiegel und sprach mit mir selbst.
»Alte, du siehst zum Kotzen aus.«
»Weiß ich, halt’s Maul!«
»Kein Wunder, du bist ja keine zwanzig mehr.«
»Sehr witzig.«
Ich versuchte, mittels einer raffinierten Drehung aus einer Handvoll schwarzer Haarsträhnen eine avantgardistische Hochfrisur zu zaubern. Vergeblich. Meine Haare verweigerten ebenso den Gehorsam wie mein Gemütszustand.
Dann probierte ich es vor dem Kleiderschrank. Keine Lust auf gar nichts. Rot? Macht mich noch blasser. Schwarz? Würde meiner Begräbnisstimmung entsprechen. Rock? Hose? Kleid? Ich bin sowieso zu fett. Ihr könnt mich alle mal. Ich bleib zu Hause.
Das Telefon klingelte. Florian.
»Du, Cora, ich habe beruflich in Rom zu tun und hänge ein paar Tage dran. Carlo und Marina würden sich auch riesig freuen, dich wiederzusehen. Hast du Lust? Nimm die Abendmaschine, meine Sekretärin hat dir den Flug gebucht. Ich hol dich ab.«
Mir verschlug es die Sprache. Nicht nur weil dieser Schnösel offenbar meinen Geburtstag vergessen hatte. Seit zwei Wochen hatte ich nichts von ihm gehört. Was bildete sich dieser Typ eigentlich ein? Dass ich seit Tagen auf seinen Anruf wartete?
Er hatte leider recht.
Florian war meine große Liebe, und ich seine.
Wir hielten es ohne einander nicht aus. Miteinander leider auch nicht. So trennten und versöhnten wir uns seit vier Jahren. Jede Trennung war »für immer«, jede Versöhnung auch. Meine Freundin Uli verdrehte nur noch die Augen, wenn das Gespräch auf den Stand unserer Beziehungen kam.
»Heirate den Kerl endlich, oder schieß ihn in den Wind«, so lautete ihr stereotyper Kommentar, wenn ich mich wieder mal bei ihr über Florian beklagen wollte.
Ich stellte mir vor, wie zweihundert Leute ohne mich feierten. Ich müsste keine geschmacklosen Geschenke auspacken, keine Küsschen verteilen, keine Beileidsbezeugungen entgegennehmen.
Kein Gastgeberinnen-Getue, kein Party-Small-Talk, kein Kater danach …
Die Idee gefiel mir.
Ohne es zu merken, hatte ich bereits angefangen zu packen. Was Nettes zum Ausgehen, den Badeanzug für Strandausflüge, eine Strickjacke für den kuscheligen Abend zu zweit. Carlo und Marina, unsere römischen Freunde, würden sicher Verständnis haben. Im Geiste sah ich uns schon in einem romantischen italienischen Landhaus, im Hintergrund Vivaldi-Musik, in der Hand ein Glas Rotwein. Mein Geliebter hatte die Kulisse bedachtsam gewählt, um mir nun endlich, nach Jahren der Irrungen und Wirrungen, einen Heiratsantrag zu machen. Ich würde zunächst zögern, ihn ein bisschen schmachten lassen, aber dann …
Das Telefon klingelte noch mal.
Aus der Traum. Von Rotwein wurde mir sowieso schlecht. Florian hatte nicht den geringsten Sinn für klassische Musik, und er dachte nicht daran, mich zu heiraten. Im Übrigen wollte ich auch nicht geheiratet werden – jedenfalls nicht von ihm. Unser Hotelzimmer würde er wie immer erst mal mit Sagrotan desinfizieren, weil er eine Bakterienphobie hatte, und unsere Gespräche würden sich um seine zweifellos interessante Tätigkeit als Textchef von Stil, einer Design-Zeitschrift, drehen.
Es war die Lufthansa. »Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass der Flug um 20.45 Uhr nach Rom ausgebucht ist. Ich habe Sie auf die Warteliste gesetzt. Bitte halten Sie sich ab 20 Uhr bereit.«
Scheiße. Es war kurz nach sieben, zum Flughafen brauchte man eine halbe Stunde. Ich hasste es, in Hektik zu packen. Plötzlich wurde mir siedend heiß. Hennemann! Ich hatte morgen einen lebenswichtigen Termin mit Hennemann, meinem größten Kunden!
Ich machte PR, diesen Yuppie-Job, in dem alle tierisch erfolgreich waren, bloß ich nicht. Das heißt, ich verdiente nicht schlecht, aber die Arbeit ödete mich an. Allerdings hatte ich ein gewisses Talent dafür, diese Tatsache zu verschleiern. Deshalb hielten mich alle Leute für wahnsinnig dynamisch und kompetent. Ich hatte mich nach ein paar Jahren Mitarbeit in einer Agentur selbständig gemacht. Jetzt beschäftigte ich zwei feste und bei Bedarf eine Horde freier Mitarbeiter.
Woran es lag, dass ich mich nicht erfolgreich fühlte? Ich weiß es nicht. Vielleicht war ich zu anspruchsvoll. Geldverdienen allein machte mir einfach keinen Spaß mehr. Ich lehnte massenhaft Aufträge ab, weil ich keine Lust hatte, Broschüren für den Deutschen Skiverband abzufassen oder Designer-Preisverleihungen für mittelständische Büromöbelhersteller zu gestalten. Womöglich war ich einfach im falschen Job.
Ich malte einen großen Zettel BIN IN ROM! und legte ihn auf den Schreibtisch im Büro. Hella und Arne würden morgen früh in Ohnmacht fallen. Aber man soll seine Angestellten ja zu selbständiger Arbeit animieren. Die beiden würden schon fertig werden mit Hennemann. Der Kerl war ein Gschaftlhuber schwäbischer Herkunft, hatte eine gut gehende Schokoladenfabrik und einen unseligen Hang zur Verbreitung von Kultur. Oder besser: dem, was er dafür hielt. Einen Auftritt der Fischer-Chöre zum Beispiel. Oder eine Ausstellung »Bierdeckel aus zwei Jahrhunderten«. Mich hatte er engagiert, um seinen Sponsor-Aktivitäten einen etwas »zeitgeischtigeren« Touch zu geben. Seither quoll unser Büro von Gratis-Schokoriegeln über, aber auf die Fischer-Chöre fuhr er immer noch ab.
Ich stieg in meine Jeans, streifte achtlos ein T-Shirt über und schnappte meine Lederjacke. Dann bestellte ich ein Taxi. Gleich halb acht. Verdammt, hatte ich alles? Geld, Pass, Kontaktlinsen-Dose, Unterwäsche, Badelatschen? Nervös suchte ich nach Zigaretten. Ach Blödsinn, ich rauchte ja seit zwei Jahren nicht mehr. Ich vergaß es immer, wenn ich mich aufregte. Leider war das ziemlich oft der Fall.
Endlich kam das Taxi. Schon zwanzig vor acht. Hoffentlich bekam ich einen Platz in dem dämlichen Flieger. Warum, zum Teufel, musste heute alle Welt nach Rom fliegen? Möbelmesse, Modenschau, Papstwahl? Keine Ahnung, was es dort so Spannendes gab. Ich wusste nur eines: Ich musste mit!
Der letzte Krach mit Florian hatte es in sich gehabt. Zwei Wochen Funkstille, das gab es selten. Und jetzt sein Anruf. Sicher hatte er sich endlich Gedanken über uns gemacht. Gute Vorsätze gefasst. Entscheidungen getroffen. O Gott, was für Entscheidungen?
»Haben Sie eine Zigarette?«
Der Taxifahrer drehte den Kopf nach hinten und knurrte: »Nichtraucher!«
Ich sank in meinen Sitz zurück.
Nach einer Weile fragte er überraschend sanft: »Warum machen Sie denn das?«
»Was?«, fragte ich entgeistert zurück.
»Rauchen.«
»Tu ich ja gar nicht.«
»Ach so.«
Wieder Pause.
»Wo geht’s denn hin?«
»Nach Rom.«
»In die Ewige Stadt also.«
Ewig. Ewigkeit. Für immer und ewig.
»Sagen sie, schaffen wir’s bis acht?«
Bedächtiger Blick auf die Uhr. »Nein, schaffen wir nicht.«
»Könnten Sie vielleicht ein kleines bisschen schneller fahren?«
»Nein, kann ich nicht.«
Halleluja. Warum hatte ich bloß immer so ein Glück mit Taxifahrern? Entweder trödelten sie, oder sie rasten wie die Geistesgestörten, oder sie schwafelten mich voll. Einer hatte es mal geschafft, mir während einer Viertelstundenfahrt sein gesamtes Lebensleid zu beichten. Frau weg, vom Freund übers Ohr gehauen, Job verloren, aus der Wohnung geflogen. Um ein Haar hätte ich ihn bei mir aufgenommen.
»Du hast eben so eine therapeutische Ausstrahlung«, pflegte Uli zu sagen.
Tatsächlich konnte ich in keinem Wartezimmer sitzen, ohne von einem alten Mütterchen detailliert seine Krankengeschichte erzählt zu bekommen.
Draußen glitten Häuser, Bäume und Strommasten gemächlich vorbei. Es war ein feuchter, grauverhangener Abend. Schwül. Es war Juli. Genauer gesagt, der 8. Juli. Morgen hatte ich Geburtstag. Mir war zum Heulen. Stattdessen fauchte ich den Fahrer an: »Geht’s vielleicht noch ein bisschen langsamer?«
Er warf mir im Rückspiegel einen Blick zu. »Ja, schon.«
Kaum war eine Ewigkeit vergangen, schon waren wir am Flughafen. Zehn nach acht. In zwanzig Minuten begann meine Geburtstagsparty. Ich musste grinsen. Was meine lieben Freunde wohl sagen würden? »Typisch«, würden sie sagen. »Die Cora spinnt eben.«
Und dann würden sie sich vermutlich prächtig ohne mich amüsieren. Leider auf meine Kosten. Als mir einfiel, wie viel Kohle ich für den Spaß abgedrückt hatte, schwand meine gute Laune. Ich war doch total bescheuert. Gleich fand die Party statt, auf die ich immer schon eingeladen werden wollte – und ich war auf dem Weg nach Rom, mitten hinein in die Beziehungskrise mit den immer gleichen Diskussionen.
Florian. Flori. Der nette Kunststudent mit der John-Lennon-Brille und den braunen Locken. Immer das Hemd aus der Hose. Ein bisschen zerstreut, aber bezaubernd. Die ersten zwei Jahre waren eine einzige Studentenliebe-Seligkeit. Spaziergänge im Englischen Garten, Spätvorstellungen im Türkendolch, Liebesnächte bis mittags und Pizza zum Frühstück.
Irgendwann schnitt er die Locken ab. John Lennon musste Alain Mikli weichen. Statt raushängender Hemden trug er italienische Anzüge. Da verlor er ein bisschen von seinem Charme, aber er gewann etwas Weltmännisches. Ich liebte ihn weiter. Er mich auch. Aber er liebte auch andere Frauen. Nie sehr lange, nie sehr tief. Aber sehr oft. Damals begannen unsere Streitereien. Um Liebe, Treue, Freiheit. Darum, ob man sich alles sagen musste. Ob man eifersüchtig sein durfte. Ob Liebe ewig währen konnte.
»Gate Nr. 19 bitte. Sie werden aufgerufen.«
Die Bodenstewardess drückte mir eine weiße Bordkarte in die Hand. Weiß hieß, man stand auf der Warteliste und musste hoffen, dass ein paar andere Passagiere auf dem Weg zum Flughafen verunglückten oder doch wenigstens zu spät kamen.
Ich ließ mich in der Wartehalle nieder. Die Hölle war los. Ferienbeginn. Konnte man es den Leuten ansehen, ob sie einen Platz hatten oder darauf warteten, einen zu ergattern?
Der Dicke vor mir mit dem Vollbart und den stechenden Äuglein sah so widerlich zufrieden aus. Er hatte sicher einen Platz. Besser hätte er zwei. Ich stellte mir vor, wie er beim Aufstehen die Sitzbank aus ihrer Verankerung riss, weil seine Fettwülste sich unter den Armlehnen verklemmt hatten.
Aus Erfahrung wusste ich, dass man unweigerlich auf einem Mittelplatz landete, wenn man auf der Warteliste gestanden hatte. Ich hasste Mittelplätze. Die Vorstellung, anderthalb Stunden eingequetscht zwischen einem staubig riechenden Bürohengst und einem vergnügungssüchtigen Italienliebhaber zu sitzen, verursachte mir Übelkeit. Fast hätte ich meinen Plan aufgegeben. Dann dachte ich wieder an Florian.
Ich hatte das Gefühl, dass wir vor einer Entscheidung standen, ich musste ihn einfach sehen. Aber es war bei Weitem nicht sicher, dass ich mitkam. Ich erwartete den Aufruf durch die Stewardess wie ein Orakel. Kam ich mit, dann hatte die Liebe zu Florian eine Chance. Musste ich dableiben, war alles aus.
Neben mir kaute ein Typ mit Schnauzbart auf einem Müsliriegel und starrte mich ununterbrochen an. Ob man mir schon ansah, dass ich langsam wahnsinnig wurde? Ich starrte zurück. »Hey, du! Noch nie ’ne Hexe ohne Besen gesehen?« Der Schnauzbart verschluckte sich an seinem Riegel und sah erschrocken in eine andere Richtung. Zwei knutschende Teenies neben mir kicherten.
Die Wartehalle hatte was von einer Kathedrale. Edler, schwarz-weißer Marmorboden. Mindestens zwanzig Meter bis zur Kuppel. Rechts und links die Kanzeln, an denen man für den Gottesdienst einchecken konnte. Nur die Beichtstühle vermisste ich. Welche Gottheit hier wohl angebetet wurde? Die Götzen Fortschritt und Technik? Die Göttinnen Kerosina und Propella?
»Alte, jetzt werd nicht albern!«
»Schon gut, ich bin nervös.«
20.38 Uhr. Allmählich könnten die aber in die Gänge kommen. Wie wollten die denn um 20.45 Uhr starten, wenn jetzt noch alle auf ihren Stühlchen hockten? Zwischen welchen beiden Gestalten würde ich wohl landen – wenn überhaupt?
Der Kleine da drüben sah ganz nett aus. Wirkte wie frisch geduscht. Die hochnäsige Blonde mit dem riesigen Kosmetikkoffer würde mich wenigstens nicht zulabern. Oje, Mutter mit Kleinkind. Das bitte nicht!
Orangensaft auf der Hose, klebrige Finger am Ärmel. Womöglich Gebrüll während des gesamten Fluges. Eine hilflos lächelnde Mutter: »Es stört Sie hoffentlich nicht!«
»Mich? Ach nein, natürlich überhaupt nicht!« Gott schütze mich vor Sturm und Wind und vor ’ner Mutter mit ’nem Kind! Dann lieber zwischen zwei Kettenrauchern. Oder, wenn’s unbedingt sein muss, zwischen dem Müsliriegel-Schnauzbart und dem Fettsack.
20.43 Uhr. Eine Priesterin in blauer Uniform betrat die Kanzel Nr. 19. Ich war gespannt auf ihre Predigt.
»Meine Damen und Herren, wer im Besitz einer Bordkarte ist und sich noch nicht am Schalter 19 gemeldet hat: Bitte kommen Sie jetzt!«
Niemand rührte sich. Wer eine Reservierung hatte, war schlau genug gewesen, sich frühzeitig zu melden.
»So, Sie können dann an Bord gehen, meine Damen und Herren. Die anderen warten bitte noch einen Moment, bis ich die Warteliste aufrufe.«
Ein Gedränge und Geschubse wie auf einem Schulhof begann. Ich sah mich um. So viele Leute passten einfach nicht in ein Flugzeug. Ein paar mussten wohl zurückbleiben. Aber ich war schließlich bisher immer mitgekommen. Warum nicht aus diesmal?
Ich sah Florian vor mir.
Er wartete auf mich am Flughafen, mit einer Rose in der Hand. Er umarmte mich. »Hab dich vermisst, Kleines!« Später, in einem wundervollen Restaurant irgendwo in Rom, würden wir uns in die Augen sehen, und alles wäre gut.
Die Stewardess verlas jetzt Namen. »Friedrich … Hauschild … Schulze … Jachmann … Abele … Maier …« Flori. Zu dir, mein Herz, zu dir! Warum hing ich so an dem Kerl? Warum verklärte ich ihn so? Noch nie hatte er mich mit Blumen empfangen. Und mit In-die-Augen-Schauen hatten wir noch kein Problem gelöst. Alles war immer so kompliziert. Man musste stundenlang reden. War er eigentlich noch der Mann, in den ich mich damals verliebt hatte? Oder hing ich einer Vorstellung von ihm nach, die gar nichts mehr mit ihm zu tun hatte? Wenn ich ihn ein paar Tage nicht gesehen hatte, wusste ich es nicht mehr.
»Leopold … Naumann … Ebert … Pauli … Klotz …«
Jetzt. Gleich musste er kommen, mein Name. Schiller wie Goethe. Haha. Aber so schrieben ihn die Leute wenigstens richtig. Ein schöner Name, fand ich. Klassisch.
»Der letzte Passagier auf meiner Liste ist Passagier Schiller. Passagier Schiller, bitte zu mir.«
Na also, wer sagt’s denn! Ich schnappte meine Reisetasche und steuerte siegesgewiss in Richtung Schalter. Dabei stieß ich fast mit der jungen Mutter zusammen, deren Baby inzwischen plärrte. Wir kamen gleichzeitig bei der Stewardess an. Wie aus einem Mund sagten wir beide »Schiller« und starrten uns gleich darauf verblüfft an.
»Wie bitte?«, sagte die Stewardess.
»Mein Name ist Schiller«, sagte ich.
»Meiner auch«, sagte die junge Mutter.
Das Kind hatte sein Geschrei zum Crescendo gesteigert.
Die Stewardess blätterte verwirrt in ihrer Liste.
»Da muss ein Irrtum vorliegen«, murmelte sie.
»Das glaube ich auch«, sagte ich kühl. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was Mutter und Kind in Rom zu suchen hatten. Möbelmesse kam nicht infrage, Modenschau noch weniger und Papstwahl schon gar nicht.
Hier stehe ich und weiche nicht.
»Meine Damen, tut mir leid, da muss ich rückfragen. Könnten Sie mir bitte Ihre Vornamen sagen?«
»Susanne«, sagte meine Rivalin.
Typisch. Hätte man sich fast denken können. Susanne!
»Und Sie bitte?«, wandte sich die Stewardess an mich.
»Corinna Luise«, sagte ich hoheitsvoll.
Tatsächlich war das mein Taufname, aber wer wollte schon so heißen wie eine greise Herzogin? Seit ich denken konnte, nannten mich alle Cora.
Die blaue Uniform verschwand, und ich lehnte mich mit unbeteiligtem Gesichtsausdruck gegen den Schalter. Die Mutter hatte den schreienden Balg aus dem Kinderwagen genommen und mit einem Schnuller zum Schweigen gebracht. Jetzt schniefte er nur noch gelegentlich. Aus verheulten Augen schaute er mich vorwurfsvoll an.
Ein paar quälende Minuten vergingen. Inzwischen war es fast 21 Uhr. Dieses Flugzeug würde nicht pünktlich starten, so viel stand fest.
Endlich erschien die Stewardess wieder. Sie hatte eine zweite Liste in der Hand.
»So, meine Damen. Die Sache hat sich aufgeklärt. Ein Computerfehler.« Sie wandte sich an die Mutter. »Sie können dann an Bord gehen. Entschuldigen Sie bitte das Missverständnis.«
»Was soll denn das heißen?«, fragte ich empört.
»Tut mir leid, Frau Schiller. Die Dame steht vor Ihnen auf der Liste. Das hat die Überprüfung der Vornamen eindeutig ergeben. Leider ist die Maschine bis auf den letzten Platz besetzt. Ich kann Sie nur auf die erste Maschine morgen früh verweisen. Abflug 9.50 Uhr, Ankunft in Rom 11.25 Uhr. Tut mir leid.«
Ich war wie vom Donner gerührt. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Die siegreiche Frau Schiller schob ihren Kinderwagen durch die Sperre. Das Baby schaute mich an.
Es grinste.
Schon immer hatte ich Mütter und Kleinkinder als lästig empfunden. Aber nach diesem Erlebnis beschloss ich, sie zu meinen natürlichen Feinden zu erklären.