Das Buch

»Was mich am meisten beim Barfußgehen überrascht hat, war das Gefühl von Freiheit, das man damit bekommt. Die Füße wachen wieder auf und man entdeckt ein neues Sinnesorgan.«

Eigentlich ist Barfußlaufen etwas ganz Natürliches. Sicher, aber etwas ganz Normales in unseren Breiten gewiss nicht. Das und noch vieles andere mehr hat Sabrina Fox in dem Jahr ihres Barfuß-Experiments erfahren müssen. Sie startete mit dem Bewusstsein, für sich und ihre Füße nur das Beste zu tun. Davon ist sie auch heute noch überzeugt. Dennoch hat sie die Reaktion ihrer Mitmenschen das ein oder andere Mal erstaunt.

Mit ihrem unnachahmlichen Humor berichtet sie von amüsanten Erlebnissen und gibt praktische Informationen rund um’s Barfußgehen.

Am Ende des Buches werden Sie sicherlich das ein oder andere Paar Schuhe entsorgen und hin und wieder barfuß gehen. Genießen Sie die Freiheit!

Die Autorin

Sabrina Fox beschäftigt sich seit fast fünfundzwanzig Jahren mit ganzheitlichen Themen. Von 1988 bis 2005 lebte sie in Los Angeles und begann dort ein intensives spirituelles Training. Sie absolvierte Ausbildungen als Hypnosetherapeutin, Mediatorin und Konflikt-Coach und studierte Bildhauerei und Gesang. Davor arbeitete sie als Moderatorin für das deutsche Fernsehen. Sie ist Mutter einer erwachsenen Tochter und lebt jetzt wieder in ihrer Geburtsstadt München. Ihre Bücher haben eine Gesamtauflage von über einer Mio. Exemplaren.

Von Sabrina Fox sind in unserem Hause erschienen:

BodyBlessing –
Der liebevolle Weg zum eigenen Körper

Kein fliegender Wechsel –
Jede Frau wird älter, fragt sich nur wie

SABRINA FOX

Auf freiem Fuß

Ein Jahr ohne Schuhe?

Ein Experiment

Ullstein

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ISBN 978-3-8437-1225-5

© 2015 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Lektorat: Ralf Lay
Umschlaggestaltung: Sukey Brandenburger, München,
unter Verwendung privater Fotos der Autorin
Innenillustrationen: © Sabrina Fox

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

Über das Buch und die Autorin

Titelseite

Impressum

Widmung

Irgendwann in der Zukunft

»Wo sind denn Ihre Schuhe?«

Willkommen im Barfuß-Land

Ist sie betrunken?

»Ist Ihnen nicht kalt?«

Der Körper lügt nicht

»Schuhe? Zweiter Stock!«

Eine Frau ohne Schuhe mitten im Winter?

»Sie ziehen das wirklich durch!«

»Warum tun wir Frauen uns das eigentlich an?«

»Das irritiert mich jetzt schon, dass Sie keine Schuhe tragen«

»Es ist nicht illegal, es ist nur ungewöhnlich«

»Ich hab noch nie jemanden gesehen, der hier barfuß rausgeht«

»Achtung! Achtung! Das ist ein Test!«

Die Entdeckung eines neuen Sinnesorgans

Dank

Anhang

Wie fange ich mit dem Barfußgehen an?

Barfußbücher und empfehlenswerte Links

Bücher

Empfehlenswerte Links

Barfußschuhe

Über die Autorin

Feedback an den Verlag

Empfehlungen

Gewidmet in Dankbarkeit
der Münchner Straßenreinigung

Irgendwann in der Zukunft

»Mama, schau mal, was ich da gefunden habe!«

»Das sind Fotos. Damit haben sich in früheren Zeiten die Menschen erinnert.«

»Was haben die denn da alle an den Füßen?«

»Das sind Schuhe.«

»Schuhe?«

»Damit hat man früher die Füße abgedeckt.«

»Ja, aber …«

»Ich weiß, aber damals dachte man, dass man sie braucht, und sie waren eben mal modern.«

»Wo sind denn Ihre Schuhe?«

Der Mann, der mit mir an der roten Ampel wartet, schaut mich überrascht an, als er mir diese Frage stellt.

»Sie sind zu Hause in meinem Schrank.«

Ich lächle ihn an und merke im selben Moment, dass das so eigentlich nicht ganz stimmt. Meine Schuhe sind in drei Schränken untergebracht.

Ich habe hundertzwei Paar. Ich hatte zwar immer gewusst, dass ich viele Schuhe besitze, aber dass es so viele sind, hätte ich nicht gedacht. Niemand braucht hundertzwei Paar Schuhe (wie viele man wirklich braucht, würde ich bald herausfinden).

Allein Flipflops habe ich elf Paar! Ich besitze erstaunlicherweise zehn Paar schwarze Stiefel: schwarze Cowboyboots, flache Stiefel mit Lammfell und flache Stiefel ohne Fell. Overknees mit hohem Absatz und Overknees mit flachem Absatz. Ich habe einmal hohe Stiefel bis unters Knie mit breitem Absatz und einmal mit elegantem Absatz. Ebenfalls in unterschiedlicher Absatzhöhe besitze ich zwei Paar Ankleboots (auf Deutsch die gute Stiefelette, die knöchelhoch ist), vorn abgerundet, und zusätzlich noch zwanzig Jahre alte Ankleboots, die vorn spitz zulaufen. Die werden bestimmt wieder modern. Wann ich die zum letzten Mal getragen habe? Ich kann mich nicht erinnern. Zwölf, dreizehn Jahre ist das bestimmt her. Und dann besitze ich noch ein Paar schwarze australische Uggs. Die habe ich als Stiefel gar nicht mitgezählt, weil die eher so was wie ein Fell-Hausschuh für draußen sind. Ich mag meine Uggs. Sie sind so elegant wie ein Traktor, aber so nützlich wie eine Küche. Davon habe ich ein weiteres Paar in Hellbraun und noch eines in Dunkelblau. Da kann man einfach bequem rein- und rausschlüpfen.

Ich habe Schuhe, die ich seit zwanzig Jahren nicht mehr getragen habe. Jedes Mal, wenn ich in meinen Schränken aufräume und Sachen hergebe – Sie werden es nicht glauben, aber das mache ich tatsächlich –, habe ich dieses bestimmte Paar Wanderstiefel in der Hand, von denen ich immer wieder glaube, dass ich sie doch noch mal anziehe. Vielleicht brauche ich die mal, wenn ich über die Alpen wandere? Oder diese zwei Paar handbestickter Pantoletten von Emma Hope. Das sind Kunstwerke! Die hatte ich letztes Mal, lassen Sie mich nachdenken, 1991 an. Die haben ein Vermögen gekostet! Und sie sehen toll aus – in meinem Schrank.

In meinen drei Schränken.

Es gibt Schuhe, die ich vielleicht einmal im Jahr anziehe. Davon habe ich jede Menge: meine witzigen lila High Heels zum Beispiel. Weiße Pumps, die man wirklich so gut wie nie braucht. Und dann gibt es Schuhe, die habe ich noch nie getragen: beige Ankleboots mit schwarzer Spitze. (Was mich da geritten hat? Ich weiß es nicht.) Wie viele ich wirklich oft regelmäßig trage? Vielleicht fünfzehn, vielleicht achtzehn Paar.

In meinem rechten Schuhschrank befindet sich auch eine Schale mit Blasenpflaster für meine sehr empfindlichen Füße. Jedes Frühjahr, wenn sie aus den dicken Winterschuhen und den Socken in die Sommerschuhe mit den entzückenden Riemchen wechseln wollen, brauche ich Blasenpflaster. Jede Menge Blasenpflaster.

Ich habe immer Blasenpflaster in meinem Portemonnaie. Vor Jahren habe ich auch diese Gel-Pflaster entdeckt, die den Druck wegnehmen. Einfach hinten in den Schuh reindrücken, und schon wird er erträglich.

Ja, erträglich. So war das noch bis vor Kurzem.

»Was ist denn da passiert?«, werden Sie sich jetzt möglicherweise fragen.

Seit knapp fünfundzwanzig Jahren beschäftige ich mich mit dem Zusammenhang von Seele, Körper und Geist. Gerade in den letzten Jahren legte sich der Fokus meiner Arbeit stärker darauf, unser Instrument – unseren Körper – zu verstehen: wie er mit uns kommuniziert, wie wir ihn unterstützen können, welche Warnzeichen er uns gibt, was wir über ihn wissen können, damit wir in unserer Gesamtheit ein glückliches und erfülltes Leben führen können. Wir – als unendliche Seele – können nur hier leben, wenn wir einen Körper haben. Und die Qualität unseres Lebens wird entscheidend davon beeinflusst, wie wohl wir uns in unserem Körper fühlen und mit welcher Sorgfalt wir ihn beachten. Der Körper lügt nicht. Wenn wir aufmerksam sind, erkennen wir seine Zeichen.

Ich schreibe in meinen eigenen Büchern seit Jahren auch immer über das Barfußgehen: darüber, die Füße zu erden, länger barfuß zu gehen und sich der eigenen Wurzeln wieder bewusst zu werden. Auf meiner Fan-Facebook-Seite gibt es einmal die Woche eine Übung, und immer mal wieder heißt es: »Schuhe aus und Mutter Erde spüren.« Mittlerweile ist das schon so etwas wie ein Running Gag geworden. Einer der Kommentare dazu kam eines Tages von einer Frau, die das Buch Füße gut. Alles gut von Carsten Stark gelesen hatte und es mir empfahl: »Da ist jemand, der auch über das Barfußgehen spricht. So wie Du.«

Ich flog von München nach Hamburg, um ein paar Termine wahrzunehmen, und ich las in dem Buch. Darin werden diverse Übungen vorgeschlagen, die ich in Reihe 14C allerdings nicht machen konnte, und so freute ich mich darauf, sie bei meinen Freunden Eva und Wolfram auszuprobieren.

Während unseres gemeinsamen Abendessens erzählte ich ihnen von meinem neuen Lesestoff und den Übungen. Bei der ersten sollten wir barfuß stehen, dann den großen und den kleinen Zeh entspannt am Boden liegen lassen und die drei mittleren Zehen nach oben und unten bewegen – so als ob sie winkten.

Drei Augenpaare starren jetzt auf meine nackten Zehen, die sich entweder alle oder gar nicht bewegen. Bei Eva und Wolfram klappt es auch nicht wie im Buch beschrieben. So weit ist es also schon mit uns gekommen: Wir haben Muskeln, die wir nicht mehr eigenständig bewegen können. Ich weiß, früher konnten wir auch mit den Ohren wackeln, was mittlerweile eine seltene Begabung ist, die nicht so oft gebraucht wird – aber die Zehen benutzen wir doch sehr viel häufiger in unserem Bewegungsapparat.

Die zweite Übung soll den Unterschied zwischen Fersen- und Ballengang aufzeigen. Wir stehen dazu auf, stecken uns Finger in die Ohren und gehen ein paar Schritte, wie wir normalerweise gehen würden: auftretend mit der Ferse. Gleichzeitig schauen wir uns erschrocken an: Meine Herren, ist das laut! Wum! Wum! Wum! Ich verspüre das dringende Bedürfnis, mich bei meinem Körper zu entschuldigen. Ich hatte ja keine Ahnung, was er mit jedem Schritt auf die Ferse aushalten muss.

Dann geht es weiter mit dem zweiten Teil der Übung: wieder die Finger in die Ohren und jetzt mit dem Vorderfuß – also dem Ballen – zuerst auftreten. Davon abgesehen, dass wir so aussehen, als wanderten wir vorsichtig über glühende Kohlen, ist es beglückend still im Körper.

Im Buch steht viel über den Ballengang, also unsere Möglichkeit, zuerst mit dem Vorderfuß aufzutreten, statt mit der Ferse hart aufzukommen und nach vorn abzurollen, wie wir das alle brav gelernt haben. Beim Barfußlaufen kommen wir automatisch zuerst mit dem Ballen auf. Die Ferse berührt nur am Schluss leicht den Boden. Wenn wir Schuhe tragen, ist es fast immer umgekehrt.

Ich gehe nachdenklich ins Bett. Was tue ich da mit jedem normalen Fersenschritt meinem Körper an? Ich fühle mich, wie sich ein Kinderschläger fühlen muss, dem mit einem Mal klar wird, dass Prügel keine Erziehungsmaßnahme ist. Auch ich schlage meinen Körper mit jedem Schritt. Das kann nicht richtig sein. Das klingt nicht gut!

Ich bin ein Klangmensch. Ich singe jeden Tag, und Töne sind für mich wichtig. Dieser Krach, das sind die »Töne«, denen mein Körper ständig ausgesetzt ist.

Am nächsten Morgen machen wir mit den zwei kleinen Hunden einen Spaziergang im Wald. Ich will gleich umsetzen, was ich gelesen habe, und ziehe meine Schuhe und Socken aus. Dieser Waldweg ist ideal fürs Barfußgehen: einfach nur eingestampfte Erde. Glatt. Gelegentlich kleine Steinchen, denen man ausweichen kann. Eva zieht ihre Schuhe auch für eine Weile aus, genießt das Erspüren des Waldbodens und übt – wie ich –, vorn aufzutreten. Wolfram ist vorausgejoggt und probiert es am Ende seines Laufs auch mit dem Ballengang. »Interessant«, meint er.

Beide sind nur halb so begeistert wie ich. Ich aber bebe innerlich. Mich hat's erwischt. Das kenne ich schon: Mit diesem ersten Impuls wird bei mir ein Forscherdrang ausgelöst, der so stark ist, dass ich ihm weder ausweichen kann noch ausweichen will. Ich werde auf dieser Spur bleiben, bis ich das gelernt habe, was für mich wichtig ist, auch wenn ich die Einzige auf weiter Flur bin. Was ich dann auch sein soll, wie ich schon bald merke.

Aber zuerst geht es zurück ins Auto. Einen Blick auf meine Füße, und mir wird klar, dass ich den halben Waldboden mit ins saubere Auto schleppen würde. Die beiden Hunde müssen hinten in den Kombi. Ich in Zukunft auch? Gott sei Dank habe ich immer Taschentücher dabei und reinige damit meine Fußsohlen. Mit Schuhen wäre ich einfach eingestiegen, obwohl ich da genauso viel Dreck ins Auto gebracht hätte. Nicht die einzige absurde Selbstverständlichkeit, die mir noch auffallen sollte.

Auf dem Rückweg zum Flughafen lese ich im Taxi. Ich lese, während ich beim Einchecken am Gate warte, ich lese im Flieger; und kurz bevor wir in München landen, bin ich dann fertig.

Mit dem Buch und mit den Schuhen.

Was wäre, so frage ich mich, wenn ich wirklich sehr viel öfter auf Schuhe verzichtete? Ich wohne zwar nicht mehr in einem Haus mit Garten, wo das Barfußgehen auf dem Rasen kein Problem wäre, sondern seit zehn Jahren mitten in der Stadt, und der weitläufige Englische Garten von München ist zwanzig Minuten zu Fuß von meiner Wohnung entfernt. Aber ich habe auch immer gedacht, dass auf Steinen zu gehen ungesund sei, doch jetzt lese ich, dass dies gar nicht stimmt. Es kommt darauf an, wie ich auftrete: laut oder leise, mit der Ferse oder mit dem Ballen.

Ich spüre, dies ist ein neues Abenteuer. Eins, das nicht von mir erwartet, dass ich in fremde Länder reise, neue Sprachen lerne oder ein enormes Risiko eingehe. Sondern das im Grunde nur eines von mir verlangt: die Schuhe auszuziehen.

Ich entschließe mich, das auf der Stelle auszuprobieren. Wir sind schon im Landeanflug, als ich mir die Turnschuhe samt Socken ausziehe. Der Sitzplatz neben mir ist frei, niemand bemerkt etwas.

Sofort meldet sich eine meiner inneren Stimmen: »Also jetzt spinnst du ja komplett! Du wirst wahrscheinlich am Flughafen sofort wegen ungebührlichen Verhaltens verhaftet werden. Zieh dir sofort wieder deine Schuhe an! Das macht man nicht! Außerdem ist es kalt. In München hat's geregnet.«

Seit vielen Jahren beobachte ich mit großer Aufmerksamkeit diese inneren Stimmen, sprich Gedanken, in meinem Kopf, um sie zu entschlüsseln und sie dann gegebenenfalls zu beruhigen oder zu verstärken. Sie lassen sich mit Archetypen vergleichen. Archetypen sind Vertreter einer Idee. Diese inneren Stimmen, die wir mehr oder weniger alle hören, sind zu unserem Wachstum da. Je bewusster wir uns entscheiden, welcher wir zuhören und folgen wollen, desto wacher werden wir. Das sind keine »Wesen«, die mit uns sprechen und dabei eine unterscheidbare individuelle Sprache und Tonlage haben, sondern das sind Gedanken, die aus der Vergangenheit kommen.

Die Stimme, die sich jetzt gerade meldet, basiert auf einer Vorstellung davon, wie ich mich gefälligst zu verhalten habe. Diese Vorstellung kommt aus meinem genetischen Material, meiner Erziehung, meinen Erlebnissen und meinen Lernprozessen. Zusammen formt das meine Persönlichkeit beziehungsweise mein Ego.

Im Laufe des Lebens können wir unser Ego entweder wachsen lassen oder zurückfahren. Es wächst zum Beispiel durch Arroganz, Hass, Angst, Geltungstrieb oder Gier. Es wird zurückgefahren durch Freude, Wohlwollen, Respekt, Liebe und Demut. Aber um diese Stimmen – und ihren Ursprung – leichter einzuordnen, habe ich ihnen Namen gegeben.

Die gerade erwähnte heißt bei mir »Frau Obrigkeitshörig«. Meistens schmunzle ich, wenn ich sie wahrnehme. Früher hat sie mein Leben entscheidend beeinflusst. Ohne ihre »Erlaubnis« habe ich wenig unternommen. Heute ist sie ein Relikt meiner Vergangenheit wie eine Narbe auf der Haut, die zwar noch da ist, aber keinen Einfluss mehr auf mein Leben hat. Trotzdem nervt sie ab und zu.

Wie auch »Frau Pflichtbewusst«, die mir immer wieder einzureden versucht – manchmal auch erfolgreich –, dass Freude und Leichtigkeit frivol sind und nicht zu einer ernsthaften Person gehören. Sie ist es, der nie etwas gut genug ist und die mir gern sagt, was ich alles noch zu lernen, zu tun und zu machen habe.

Dann gibt es noch die Stimme der »Herbergsmutter«. So hat mich mal ein Freund vor dreißig Jahren genannt und meinte damit, dass ich mich – wie die Leiterin einer Herberge – um alles und jedes kümmere. Damals fand ich das nett, denn mir war nicht klar, dass ich harmoniesüchtig war. Frau Herbergsmutter will es ruhig im Haus haben: keine Probleme, keinen Streit, niemanden, der unglücklich ist. »Herberge« ist ein veraltetes Wort, und doch passt es – weil ich es auch als eine veraltete Angewohnheit von mir betrachte.

Alle drei Stimmen will ich nicht ganz loswerden. Ich mag Frau Pflichtbewusst und ihre guten Seiten. Das harmonische Umfeld, das die Herbergsmutter mag, ist auch mir wichtig, und selbst Frau Obrigkeitshörig ist gelegentlich nützlich. Aber sie müssen sich meinem Wachstum als Mensch unterordnen. Und diese Unterordnung fällt allen dreien sehr schwer.

Die innere Stimme, die ich »Frau Schönermachen« nenne, meldet sich auch gern. Sie liebt Harmonie und Balance. Sie mag es sauber und aufgeräumt: aufgeräumte Gedanken wie aufgeräumte Schuhschränke. Sie liebt es, Dinge zu verbessern und zu verschönern. Sei es der Abfall, der auf der Straße liegt, die Weltlage im Allgemeinen, eine energetisch schwere Wohnung, die Frisur einer Freundin. Sie liebt intelligente Entscheidungen und die Möglichkeit, dazuzulernen. Natürlich hat sie auch ihre Schattenseite. Ihre Herausforderung ist es, nicht immer alles »besser« machen zu müssen, nicht alles »perfekt« zu erledigen, sondern neben dem Genießen auch zu akzeptieren, was ist.

Eine weitere Stimme ist die von »Frau Freude«, die sich ihren Platz immer mal wieder erkämpfen muss. Ich verspreche ihr regelmäßig, mehr auf sie zu hören. Frau Pflichtbewusst kann sie überhaupt nicht leiden, und die Herbergsmutter empfindet sie als egoistisch – aber das ist bei den unterschiedlichen Aufgabengebieten auch kein Wunder.

Als ich die Schuhe auszog, meldete sich zuerst Frau Freude, aber sie wurde sofort von Frau Obrigkeitshörig unterbrochen. Meistens ignoriere ich ihre Ausbrüche, manchmal spreche ich mit ihr – wie jetzt – in der Hoffnung, dass sie sich weniger meldet: »Frau Obrigkeitshörig. Du reagierst nach antiquierten Vorstellungen aus meiner Kindheit. Wir können unsere Schuhe ausziehen, wenn wir das möchten. Da wird uns niemand davon abhalten. Wir sind erwachsen.«

»Erwachsen? Das sieht nicht nach erwachsen aus. Du gehst hier barfuß! Das ist kindisch! Kindisch und dumm! Wir werden auffallen!«

Tja, das ist allerdings blöd. Ich falle nicht gern auf. Im Berufsleben ist das etwas anderes. Wenn ich einen Vortrag halte, ist es ganz praktisch, wenn man mich bemerkt. Aber sonst, abseits einer Bühne, freue ich mich über Unauffälligkeit.

»Freutest du dich über Unauffälligkeit«, schimpfte Frau Obrigkeitshörig in mir. »Das ist mit deinen nackten Füßen vorbei. Überleg dir das gut.«

Das Flugzeug landet mit einem sanften Aufprall, und ich blicke auf meine Füße, die jetzt auch gelandet sind. Sie sehen eigentlich ganz entspannt aus, wie sie da auf dem Flugzeugteppich mit ihren manikürten beige lackierten Nägeln herumstehen.

Ich mag meine Füße. Das hilft wahrscheinlich beim Barfußgehen. Manche Füße sind wie ungewöhnliche Skulpturen. Da ich unter anderem auch Bildhauerin bin und mit Ton arbeite, hatte ich bei meinem Studium viel mit dem aufmerksamen Betrachten von Körperteilen zu tun. Füße übten schon immer eine Faszination auf mich aus. Sie können mich beglücken, aber auch anekeln. Sie können Persönlichkeit ausstrahlen oder auch Witz. Die Zehen meiner Schwester Susanne sind wie Schauspieler in einem Stück: die Heldin (große Zehe), mächtig, selbstsicher und stolz. Daneben die Anti-Heldin: sehr viel schmäler und nicht gerade glücklich darüber, die Nummer zwei zu sein. Das könnte jetzt ein Zwei-Personen-Stück werden, wenn sich nicht die drei viel kleineren Zehen auf die Bühne drängelten.

Die mittlere Zehe ist sehr unglücklich über den Größenunterschied von fast einem Zentimeter zu den anderen beiden. Da hilft es nichts, dass sie die Schönste ist: Sie hat den schönsten Nagel, die tadelloseste Figur, die eleganteste Ausrichtung. Aber das tröstet sie nicht, weil sie sich in der Mitte nicht wirklich beachtet fühlt. Der zweitkleinste Zeh sucht ihre Nähe, aber die Mittelzehe ist daran nicht interessiert. Sie will mit dem Kleinzeug nichts zu tun haben. Tja, und wir können uns vorstellen, was das mit dem zweitkleinsten Zeh macht: konstante Zurückweisung! Auch vom kleinsten Zeh, der nach unten schaut. In Amerika würde der kleinste Zeh Pinky heißen, der einzige Zeh, der einen eigenen Namen hat, aber hier wird er nur herumgestoßen: Stühle, Türen, Tische, Steine. Jeder scheint es auf ihn abgesehen zu haben. Kein Wunder, dass er den Kopf einzieht.

Die Zehen meiner Schwester sind großes Kino. Meine dagegen sind langweilig. Sie stehen etwas uninspiriert in Reih und Glied. Von meinen Zehen schert niemand besonders aus der Reihe. Meine Füße zeigen auch keine besondere Persönlichkeit. Bis auf die Ausbuchtung des äußeren Mittelfußknochens an der Hälfte meines Fußes, der den schönen und nicht wirklich merkfähigen Namen »Tuberositas« hat. Sie finden Ihren, wenn Sie auf Ihrem Fuß an der Außenkante entlangstreichen. Ziemlich genau in der Hälfte spüren Sie eine kleine, harte Ausbuchtung. Das ist das besagte Ende des äußeren Mittelfußknochens, der als reines Knochengerüst immer so aussieht, als wäre da etwas abgebrochen. Bei eleganten Füßen ist das kaum sichtbar, und der Fuß geht in der Mitte zusammen wie bei einer schmalen Taille. Meine hingegen sind in der Mitte fast genauso breit wie am Ballen. Trotzdem habe ich relativ schmale Füße.

Ich habe Schuhgröße 39½. Als meine Mutter mich zum ersten Mal aus der Windel schälte, fiel ihr auf, dass meine Füße größer waren als die der anderen Babys in der Säuglingsstation. Genau genommen waren meine doppelt so groß. Erschrocken zeigte sie der Krankenschwester ihr Neugeborenes. Wenn der Fuß so weitergewachsen wäre, hätten wir uns auf Schuhgröße siebzig einstellen müssen.

»Keine Sorge. Das verwächst sich. Ihre Tochter lebt eben auf großem Fuß«, beruhigte die Schwester.

Ich mag Füße und bin empfindlich, was Füße angeht. Ungepflegte Füße sind mir ein Gräuel. Bei zu langen Zehennägeln muss ich wegschauen, und vielleicht sind deswegen meine auch immer besonders kurz gehalten. Ich weiß, es gibt Leute, die den Anblick von Füßen allgemein nicht ertragen können. Obwohl es mit der Einführung der Flipflops kaum einen großen Unterschied zu meinen nackten Füßen gibt.

Es ist Juli. Die Leute haben sich schon an nackte Füße gewöhnt. Hoffe ich.

Das Flugzeug leert sich, und ich hole mir meinen Rollkoffer oben aus dem Gepäckfach. Werde ich auffallen, oder merken es die Leute gar nicht?

»Völlig egal. Geh einfach und genieß es.«

An dieser Stimme und an diesen Gedanken erfreue ich mich am meisten: Das ist die Stimme meiner Seele, die mir eine weise Instanz ist und deren Klarheit mich immer wieder entspannt. Ich atme tief durch und hole mich wieder von der Außen- in die Innenwahrnehmung. Ich beachte aufmerksam die Fahrt des Rollkoffers vor mir, bedanke mich beim Rausgehen bei den Flugbegleitern und mache meinen ersten Schritt in ein neues Land.

Ein Barfuß-Land.