Über dieses Buch

1921: Knud Rasmussen will die bislang unerforschten Regionen Nordkanadas kartografieren – vor allem aber will er den Menschen begegnen und ihre Mythen und Geschichten aufzeichnen. Er besucht verschiedene Inuit-Gemeinschaften und macht die Bekanntschaft mit dem großen Schamanen Awwa und dessen Familie. Das Leben der Inuit steht vor dem Umbruch.

Knud Rasmussen (1879–1933) gilt bis heute als einer der großen Pioniere in der Erforschung der Arktis. Im Zentrum seines Interesses stand die Kultur der Inuit, auf seinen Reisen sammelte er ihre Mythen und Sagen und hat uns dadurch einzigartige Zeugnisse aus dem Leben der Inuit überliefert.

Friedrich Sieburg (1893–1964) war Schriftsteller und Publizist. Nach Jahren als Auslandskorrespondent in Paris kehrte er nach Deutschland zurück. 1956 wurde er Leiter der Literaturbeilage der FAZ.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Knud Rasmussen

Unter Jägern und Schamanen

Tagebuch der Thule-Fahrt

Reisebericht

Aus dem Dänischen von Friedrich Sieburg

Mit zahlreichen Fotografien

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Die Originalausgabe erschien 1925–1926 in zwei Bänden unter dem Titel Fra Grønland til Stillehaver: rejser og mennesker fra 5. Thule-Ekspedition 1921–24 beim Verlag Gyldendal, Kopenhagen.

Die deutsche Erstausgabe in der Übersetzung von Friedrich Sieburg ist leicht gekürzt und erschien 1926 in einem Band unter dem Titel Rasmussens Thulefahrt. 2 Jahre im Schlitten durch unerforschtes Eskimoland bei der Frankfurter Societäts-Druckerei G.m.b.H., Frankfurt am Main.

Die vorliegende Neuausgabe in zwei Bänden folgt der deutschen Erstausgabe. Die Schreibweise wurde den Regeln der neuen Rechtschreibung angepasst.

Originaltitel: Fra Grønland til Stillehavet: rejser og mennesker fra 5. Thule-Ekspedition 1921-24

Übernahme der Übersetzung von Friedrich Sieburg mit freundlicher Genehmigung.

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30473-4

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Version vom 30.11.2021, 23:40h

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Einleitung

Ostkap von der Behringstraße aus gesehen.

Es ist ein früher Morgen auf dem Gipfel des steilen Ostkaps, welches Sibiriens äußerstes Vorgebirge nach Osten bildet.

Der erste Neuschnee ist bereits über den Gipfeln gefallen und streift die Gedanken mit dem ersten kühlen Hauch des Herbstes. Die Luft ist scharf und klar, nicht eine Brise kräuselt die Beringstraße, wo das Packeis langsam nordwärts mit dem Strome gleitet.

Die Landschaft hat eine ruhige Gewalt über sich; weit draußen schimmert im Sonnenrauch des Horizontes die Insel Groß-Diomedes auf, welche hier in der Straße als Grenzscheide zwischen Amerika und Asien steht. Von der Stelle, wo ich stehe, sehe ich von Weltteil zu Weltteil, denn hinter Groß-Diomedes dämmert eine andere Insel hervor wie eine blaue Nebelbank; es ist Klein-Diomedes, sie gehört zu Amerika.

Alles vor mir steht im starken Licht der Sonne und des Meeres gebadet und wirkt wie ein blendender Gegensatz zum Lande hinter mir. Hier liegt die flache, sumpfige Tundra, scheinbar ein Land in toter Einförmigkeit, in Wirklichkeit aber ein Steppenreich voll Leben und Lauten und Wild, ein Flachland, das, von keinem Höhenzug unterbrochen, durch eine Welt von Flüssen und Seen geht zu Breiten von fremdem Klange, zum Lena-Delta und weiter, weiter am Kap Tscheljuskin vorbei zu Gegenden, die nicht weit von meinem eigenen Lande liegen.

Am Fuße des Felsens, den ich bestiegen habe, sehe ich eine Schar von Tschuktschen-Weibern, gekleidet in Tierfelle von sonderbarem Schnitt; auf dem Rücken tragen sie Beutel von Rentierhaut, welche sie mit Kräutern und Beeren füllen. Sie fügen sich als Einzelheiten so malerisch in diese große Weite ein, dass ich nicht aufhören kann, ihnen nachzuschauen, bis sie zwischen den grünen Halden des Tales verschwinden.

Auf einer schmalen Landzunge mit Packeis zur einen Seite und dem blanken Wasser der Lagune zur anderen liegt das Dorf Whalen. Es beginnt erst jetzt zu erwachen, und nach und nach werden die Kochfeuer in den kuppelförmigen Zelten aus Walrosshaut angezündet.

Nicht weit vom Küstendorf, in scharfer Silhouette über die Rundung eines Hügelkammes hin zieht eine Herde zahmer Rentiere und knabbert an dem Moos, während rufende Hirten sie umringen und zu neuen Futterplätzen treiben.

Für all die Menschen ist dies heute ein gewöhnlicher Werktag, ein Glied in ihrem täglichen Leben – für mich ein Erlebnis, an das ich kaum zu glauben wage. Denn diese Landschaft und diese Geschöpfe bedeuten für mich, dass ich in Sibirien bin, westlich vom letzten Eskimostamm, und dass die Expedition durchgeführt ist.

Die hohe Klippe, auf der ich stehe, und die reine Luft, die mich umgibt, schafft mir eine weite Schau, und ich sehe unsere Schlittenspur im weißen Schnee, hin über den Rand des Erdkreises, durch die äußersten Länder der Menschen im Norden.

Ich sehe die tausend kleinen Wohnplätze, welche der Reise ihren Inhalt gegeben haben, und eine große Freude erfüllt mich; wir sind dem Abenteuer begegnet, das immer auf den wartet, der es zu ergreifen versteht, und Abenteuer waren alle unsere bunten Erlebnisse unter dem sonderbarsten Volk der Welt.

Langsam haben wir uns auf ungebahnten Wegen vorwärts gearbeitet, und überall haben wir unser Wissen vermehrt.

Wie lange hat unsere Schlittenreise wohl gedauert – unser Weg vorwärts, unsere Fahrten über das Land und hinaus über eisbedeckte Meere, die Jagd auf Wild, die Suche nach Menschen! 20000 Meilen, den halben Umkreis der Erde? Wie gleichgültig, denn es waren nicht die Entfernungen, auf die es uns ankam.

In meiner Freude über das Schicksal der Schlittenreise schweifen meine Gedanken unwillkürlich zu dem Tage in Alaska hin, wo im Frühling alle auf den Besuch kühner Flieger von der anderen Seite des Erdballes warteten.

Und ich segne von Herzen das Schicksal, das mich zu einer Zeit auf die Welt kommen ließ, wo die Polarforschung mit Hundeschlitten noch nicht veraltet ist.

Denn alle unsere Erlebnisse liegen ja gerade in der Süße und Abwechslung vieler Lager und in der Aufenthalte Vielzahl mit ihrem Anlass zu lernen; und zum zweiten Male sehe ich deutlich vor mir die schmale Linie der Schlittenspur durch den weißen Schnee.

Doch bei einer ruhigeren, abwägenderen Rückschau auf die lange Reise mischt sich Bedauern in die Freude. Denn indem ich den Bericht meiner Erlebnisse auf den Umfang eines Buches beschränke, muss so vieles wegfallen, oft Dinge von größtem Interesse.

Vor allem aber muss ich die Berichte meiner Expeditionsgefährten auslassen, denn zu Anfang war ich lediglich Leiter einer Gruppe, der einige der besten dänischen Wissenschaftler angehörten. Während des ersten Jahres hatten wir ein Standquartier an der Ostküste Kanadas; in kleinen Gruppen reisten wir in verschiedene Gegenden und kehrten jeweils zurück, um unsere Ergebnisse zusammenzutragen. Vor allem beschäftigten wir uns mit der Ethnografie, meine Gefährten zudem mit Archäologie, Geologie, Botanik und Kartografie. Sie leisteten grundlegende Arbeit beim Kartografieren unerforschter Regionen, und sie führten Grabungen durch in den Überresten früherer Eskimokulturen; ihre Arbeit trug wesentlich bei zu unseren Kenntnissen der Vergangenheit. Ausführliche Darstellungen ihrer Forschungsergebnisse sind unter ihrem jeweils eigenen Namen veröffentlicht worden. Mein Hinweis muss deshalb eine allgemeine Anerkennung bleiben, denn im vorliegenden Buch beschränke ich mich auf das Material, das ich selbst gesammelt habe, sowohl gemeinsam mit meinen Gefährten als auch später alleine auf meiner Reise zu den Eskimos im arktischen Norden Amerikas.

Ich genoss das Privileg einer grönländischen Kindheit, denn mein Vater, Prediger bei den Eskimos, hatte eine Frau geheiratet, die stolz auf ihre eskimoischen Vorfahren war. Die Bahn meines Lebens führte mich unwillkürlich zur Erforschung der Arktis: Ich wurde mit der eskimoischen Sprache geboren, die andere arktische Forscher sich erst mühsam haben aneignen müssen, meine Spielkameraden waren Eskimos, und ich lebte mit grönländischen Jägern zusammen, sodass Reisen, selbst unter den schwierigsten Verhältnissen, für mich eine natürliche Form der Arbeit wurde. Mit acht Jahren erhielt ich mein eigenes Hundegespann und mit zehn Jahren ein Gewehr. Meine späteren Forschungsreisen waren also nichts anderes als die glückliche Fortsetzung meiner Kindheit und Jugend.

Später, als mir – u. a. durch die Studien des berühmten Forschers Dr. H.J.Rink über die Eskimos und ihre Länder – bewusst wurde, von welchem Interesse die Kultur und die Geschichte der Eskimos für die Wissenschaft sind, verbrachte ich achtzehn Jahre in Grönland und erarbeitete durch die Erforschung eines einzelnen Stammes die Grundlage für eine umfassende Studie über alle Völker der Arktis.

Mit der Teilnahme an der dänischen literarischen Grönland-Expedition 1902 bis 1904 unter Leitung von Ludvig Mylius-Erichsen nahm meine ethnografische und geografische Arbeit ihren Anfang. Bereits im Jahre 1909 wurden in verschiedenen geografischen Zeitschriften zum ersten Male die Hauptumrisse jener Reise veröffentlicht, welche später die fünfte Thule-Expedition hieß. Der Plan dazu wurde zusammen mit Professor H.P.Steensby ausgearbeitet, einem Manne, dessen große Tüchtigkeit und geduldige Hilfsbereitschaft für mich von außerordentlich großer Bedeutung war. Aber erst 1910, als ich den Ingenieur M.I. Nyeboe kennenlernte, kam feste Form in meine Pläne. Ich kann nicht dankbar genug dafür sein, dass mein Schicksal mich einem Manne begegnen ließ, dessen Fantasie und dessen Weitblick augenblicklich zur Verständigung und zur Zusammenarbeit führten. Durch seine Hilfe wurde eine arktische Station Wirklichkeit; sie erhielt den Namen »Thule«, denn es war die nördlichste Station der Welt, im eigentlichen Sinne das Ultima Thule. Von dort aus führte ich in zehn Jahren vier Expeditionen in Grönland durch, die ich alle »Thule-Expeditionen« nannte.

1920 hatte ich meine Vorhaben in Grönland erfüllt, und es war der Zeitpunkt gekommen, sich der großen, grundlegenden Frage, der Frage nach dem Ursprung der Eskimos, zuzuwenden.

Die Mittel für die Expedition wurden durch eine Staatsunterstützung von hunderttausend Kronen, wozu später dreißigtausend Kronen als Deckung für Verluste durch den Schiffbruch der Bele kamen, und durch private Beiträge bereitgestellt. Natürlich konnte eine so umfassende Reise nicht mit diesem Betrag allein durchgeführt werden, Erträge aus der Handelsstation Thule mussten deshalb für die übrigen Summen eintreten.

Im Sommer 1921 nahm das Unternehmen, das mich von Grönland bis zum Pazifik führen sollte, konkrete Gestalt an. Zu Beginn arbeiteten wir von einem Standquartier aus, das auf der Däneninsel westlich von Baffinland lag, führten Grabungen durch in Ruinen ehemaliger Eskimozivilisationen und besuchten die Inland- oder Ureskimos in der Gegend von Barren Grounds. Später reiste ich mit zwei Eskimobegleitern und dem Hundeschlitten weiter über den ganzen Kontinent bis zur Beringstraße. Unterwegs besuchte ich alle Stämme, lebte von dem, was das Land an Nahrung bot, und teilte das Leben der Menschen. Was ich auf meiner Reise erlebte, ist der Inhalt dieses Buches.

Die eigentlichen Helden sind die Eskimos. Ihre Geschichte, ihre heutige Kultur, die Härten ihres Alltags, ihr geistiges Leben stehen im Zentrum, und nicht die lange Hundeschlittenreise. Alles lediglich Persönliche muss weggelassen werden, ebenso wie die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse meiner Gefährten. Und selbst von den Eskimos gäbe es noch weit mehr zu erzählen, als hier Platz finden kann, doch war ich gezwungen, aus dreißig Tagebüchern und zwanzigtausend Illustrationen eine Auswahl zu treffen.

Und auch auf der Tüchtigkeit meiner Gefährten und ihrem Gefühl für Zusammenhalt hat die Expedition beruht. Indem ich sie im Folgenden nenne, nenne ich gewissermaßen meine Mitautoren: Peter Freuchen, Kartograf und Naturwissenschafter, Therkel Mathiassen, Archäologe und Kartograf, Kaj Birket-Smith, Ethnograf und Geograf, Helge Bangsted, wissenschaftlicher Assistent, Jakob Olsen, Assistent und Übersetzer, und außerdem Peder M. Pedersen, Kapitän des Seekönigs, des Motorschoners der Expedition.

Nicht weniger wichtig für die Annehmlichkeiten und den Erfolg der Expedition war der Beitrag, den die Eskimo-Gefährten aus Grönland leisteten sowie Menschen, die unterwegs für kürzere Zeit zu uns stießen. Mit uns kamen Iggianguaq und seine Frau Arnarulunguaq, Arquioq und seine Frau Anaranguaq, Nasaitordluarsuk (im Folgenden »Bootsmann« genannt) mit seiner Frau Aqatsaq und nicht zuletzt ein junger Mann namens Miteq oder »Eidervogel«, ein Cousin von Arnarulunguaq.

Iggianguaq starb weit weg von zu Hause an der Grippe. Seine Frau Arnarulunguaq zusammen mit ihrem Cousin »Eidervogel« begleiteten mich bis zum Ende der langen Reise. Ihre Aufgabe war es, die Pelzkleider instand zu halten, zu kochen und die Hunde zu treiben. Die Männer fuhren die Schlitten, jagten und bauten Schneehütten an unseren Rastplätzen.

Arnarulunguaq ist die erste Eskimofrau, die so weit gereist ist; zusammen mit »Eidervogel« ist sie die Einzige, die alle Stämme ihres Volkes besucht hat. Die beiden hatten einen größeren Anteil am glücklichen Ausgang der Reise, als ich hier darlegen kann.

Kaj Birket-Smith, Therkel Mathiassen, Helge Bangsted, Peter M. Petersen, Knud Rasmussen, Peter Freuchen, Jakob Olsen - Die dänischen Mitglieder der Expedition, fotografiert bei Godthaab.

Es ist ein sicheres Frühlingszeichen, wenn die Jungen mit Bogen und Pfeilen zu spielen beginnen.

IGrönland – Hudsonbai 1921

Die im Jahre 1910 begründete Handelsstation Thule am Fuß des Umanaq-Berges in Grönland.

Am 7. September 1921 reisten wir mit unseren eskimoischen Begleitern auf dem kleinen Motorschoner Seekönig von Upernivik an der Ostküste Grönlands ab, kämpften uns elf Tage lang mit schadhaftem Motor durch das frühe Herbsteis, das sich fester und fester um uns schloss, ließen die Baffinbucht hinter uns, überquerten die Hudsonbai und landeten schließlich am 18. September an einem unbekannten Gestade.

Wir warfen Anker vor einem freundlichen Tal mit offenem Strand nach der See zu, sonst aber von Klippen umgeben. Sobald das Schiff vertaut ist, eilen wir an Land. Wir finden frische Bärenspuren im Sand unmittelbar an der Stelle, wo wir das Haus hinbauen wollen, und als wir die Klippen ersteigen, treffen wir einen Hasen, der so zahm ist, dass wir wirklich den Versuch machen, ihn mit den Händen zu fassen.

Die höchste Klippe wird bestiegen, und von hier sehen wir unten auf einer kleinen Ebene ein einsames Rentier. Auch dies kommt auf uns zugelaufen und scheint durchaus nicht bange zu sein. Niemals habe ich auf einem neuen Wohnplatze eine solche Gastfreiheit bei den Tieren getroffen. Und als wir endlich an der anderen Seite der Insel Ausblick über das offene Wasser bekommen, sehen wir die schwarzen blanken Köpfe von Walrossen, welche auftauchen, um zu blasen.

Es war, als sollte der Widerstand all der langen Monate ausklingen in reichen Versprechen für die kommende Zeit, aber wo wir waren, das wussten wir nicht, denn die Karten gingen nicht so ins Einzelne, dass wir die Insel hätten bestimmen können, auf der wir uns niederlassen wollten.

Wir gaben ihr den Namen »Däneninsel«, und sie wurde der Ausgangspunkt für die fünfte Thule-Expedition.

Nach unserer Landung gingen wir augenblicklich daran, die Ladung des Seekönigs zu löschen. Gleichzeitig machten wir uns an den Bau des Hauses. Am 23. September war alles Stückgut an Land und das Gerüst zum Haus errichtet, sodass der Seekönig mit gutem Gewissen am 24. ganz früh morgens seine Anker lichten konnte.

Die Expedition war nun allein und ganz sich selbst und den Arbeiten der kommenden Tage überlassen. Es war verlockend, augenblicklich mit der Erkundung zu beginnen, denn wir wussten weiter nichts, als dass wir uns auf der einen oder anderen Stelle in der Nähe von Lyonförde befanden. Wir liegen auf einer kleinen Insel und sind durch einen schmalen Sund von einem offenbar großen Land getrennt. Aber ob dies Land eine Insel oder ein Festland ist, wissen wir nicht.

Wir hatten sofort nach der Ankunft ein Zeltlager errichtet und wohnten darin, solange die Arbeit mit dem Hause im Gange war. Schon am 26. haben wir ein Dach über dem Kopf, und die Inneneinrichtung des Hauses ist so weit gediehen, dass wir des Königs Geburtstag unter Dach feiern können. Es war ein gemütliches kleines Haus, welches sogleich den Namen »Blasebalg« erhielt. Es zeigte sich nämlich schnell, dass es an der Stelle unseres Hauses sehr stark blies, und da das Material trotz aller Umsicht, welche auf Dichtungen verwandt wird, niemals zureichend sein kann, so deutet der Name darauf hin, dass es uns kaum möglich sein würde, den Durchzug draußen zu halten, solange die Schneewehen sich nicht in solchem Umfange angesammelt hatten, dass wir unser Haus in sie einbauen konnten.

Der Schnee ist indessen früh im Jahr gefallen, und die Erkundung kann bereits am 1. Oktober in Gang gesetzt werden. Wir fahren mit drei Hundeschlitten quer über die Däneninsel, passieren den kleinen Sund hinter uns, der aus dicht zusammengepresstem Polareis besteht, und kommen danach auf ein neues Land hinüber, welches ganz und gar von großen Flächen, nur unterbrochen von einzelnen Höhenzügen, erfüllt zu sein scheint. Es dauert nicht lange, bis wir die Spuren von früheren Eskimobauten finden, besonders die charakteristischen Rentiersperren mit gewaltigen Systemen von Steinwarten und Verstecken für Jäger. Sie sind von Bogenschützen benutzt worden, deren Jagdweise darin bestand, dass man die Rentierherden in den verschiedenen Tälern gegen die schmalen Pässe trieb; dort saßen dann die Jäger und schossen aus den steinernen Verstecken heraus die Tiere mit Pfeilen nieder.

Überall finden wir Bärenspuren, und keiner von uns erinnert sich, sie jemals so zahlreich auf Land gesehen zu haben, denn in unseren altgewohnten Jagdgründen treiben sich die Bären am liebsten auf Neueis herum. Oben auf einer Hochebene bekommen wir das erste Rentier zu Gesicht, aber da wir gern einen Punkt finden wollen, von dem aus wir mehr Überblick haben, folgen wir einem Höhenzug die größte Berggruppe hinauf, welche vor uns liegt. Das Meereis rund um die Däneninsel hatte sich noch nicht geschlossen, und wir hofften deshalb, dass das große Land, auf welches wir nun gekommen waren, zum Festland gehören möchte, sodass wir möglichst schnell mit der Suche nach Menschen beginnen konnten. Leider sollte es nicht so sein. Sobald wir oben ankamen, fiel unser Auge auf einen breiten, noch nicht zugefrorenen Sund und dahinter wieder auf ein schneebedecktes Land, welches zu erreichen vorläufig kaum in unserer Macht stand. Die Aussicht war großartig und wild, aber wir waren mehr davon benommen, dass wir nur offenes Wasser nach allen Seiten gewahren konnten und deshalb bis auf weiteres damit rechnen mussten, abgesperrt zu sein.

Wir errichten das Lager an einem kleinen See, und während das frisch geschossene Rentier zerlegt und gekocht wird, genießen wir die Stimmung, die immer über Neuschnee und mildem Herbstfrost liegt.

Wir bleiben auf der vermuteten Vansittart-Insel eine gute Woche und benutzen die Zeit zur Jagd. In den letzten Tagen ist ziemlich viel Schnee gefallen, und da die Schneebahn nicht die beste ist, teilen wir uns in verschiedene Trupps und starten von unserem Zelt aus, welches wir weiter ins Land hinein verlegt haben. Hier gibt es viele Rentiere, aber sie scheinen unglaublich scheu zu sein und sind deswegen sehr schwer jagdbar auf diesen Flächen, die dem Jäger überhaupt keine Deckung bieten.

Im Anfang des Novembers unternahmen wir eine neue wohlorganisierte Jagd- und Exkursionsreise ins Innere der Vansittart-Insel; diese Reise brachte eine endgültige Orientierung. Wir liegen auf einer kleinen Insel östlich von der Vansittart-Insel genau 65˚54′ nördlicher Breite und 83˚50′ westlicher Länge. Das Eis um uns ist immer noch nicht befahrbar, und es ist uns bis jetzt unmöglich gewesen, bis zum Abschluss der Gorebai zu gelangen: Im Übrigen fliegt uns die Zeit schnell dahin. Das Reisen in unbekannten Gebieten bringt immer die Spannung mit sich, dass man auf alles vorbereitet sein kann; unsere bisherigen Erlebnisse widersprechen in jeder Weise dem, was wir von Grönland her gewöhnt sind. Wir jagen Eisbären im Innern des Landes, Berge hinauf und Schluchten hinab, und als wir eines Abends alle im Blasebalg versammelt sind, entdecken wir plötzlich zwei große Rentiere draußen im Presseis vor unserem Hause. Die Hunde sehen sie, und ein ohrenbetäubendes Gebell verhindert, sie zu beruhigen. Sie müssen ihren Willen haben, und bald sehen wir das gewaltige Geweih der Böcke zwischen den Eisblöcken verschwinden, nur hin und wieder einige Sekunden sichtbar, wenn sie über die großen Presseisblöcke im Sprung hinwegsetzen.

Gerade ist Neuschnee über die Insel gefallen, und als wir am nächsten Tage erwachen, ist der Schnee oben bei dem Wassersee hinter dem Haus und auf den Bergen vollständig von Rentierspuren zertrampelt.

So ist alles um uns gefüllt mit reichen Jagdversprechen. Die Natur lächelt uns zu, und sobald sich das Eis geschlossen hat, werden wir wohl unsere Fleischgruben mit Speck und Hundefutter füllen können.

Übrig bleibt nur, die Menschen zu finden, um derentwillen wir hierhergekommen sind und mit denen wir zusammenleben wollen.

Der Seekönig bei der Däneninsel; im Vordergrund das Gerüst für das Überwinterungshaus der Expedition.

IIErste Begegnung mit Menschen

26. November bis 12. Dezember 1921

Vor mir sah ich einen großen, wohlgebauten Mann, das Gesicht und das lange Haar mit Reif bedeckt – den ersten Mann, den ich traf im neuen Land.

Ende November sind die Reiseverhältnisse endlich so gut, dass wir uns auf die erste größere Reise machen können. Zwei Schlitten mit Peter Freuchen und dem Bootsmann und zwei Hilfsschlitten mit Arqioq und »Eidervogel«, welche nur das erste Stück des Weges mitfahren sollten, gehen voraus, um das Eis bei einer der Nunariarssuaq-Inseln zu untersuchen. Am folgenden Tage starte ich.

Am 26. November ist Nebel und Schneetreiben. Wir schlagen uns mit dem Presseis herum und können das neu gebildete glatte Wintereis nicht finden, auf dem wir sonst durch die Gorebai fahren. Wir plagen uns den lieben langen Tag.

Am folgenden Tage verfolgen wir den gleichen Weg auf den Hurdkanal zu, ohne Land zu sehen, aber doch im Klaren über die Richtung; bis zur Dunkelheit glückt es, uns bis nach der Georgina-Insel vorzuarbeiten.

Der Hurdkanal ist der schmale Sund, welcher die Vansittart-Insel vom Festland trennt. Festes Wintereis liegt nur in den Buchten an jedem Ende des Kanals, wo der Strom mit einer solchen Kraft durchschießt, dass schwere Eisschollen von dem noch offenen Roeʼs Welcome mit fünf bis sechs Meilen Fahrt angesegelt kommen.

Die hohen Berge, welche auf unserem Wege liegen, sind unpassierbar, und am nächsten Morgen müssen Arqioq und ich mit ein paar Schlitten hinaus, um einen Pass zu finden. Es ist eigentlich für Landfahrt zu früh im Jahre, der Schnee ist noch weich, noch haben sich keine festen Wehen über die steinigen Vorsprünge gelegt; manche Stellen, wo man im Winter eine gute Bahn findet, sind jetzt noch unwegsam; aber mit leeren Schlitten hat es keine Not. Die Hunde glauben sich draußen auf einem Jagdausflug und wittern mit den Nasenlöchern, wie wenn sie Hunderte von Gerüchen mit jeder kleinen Brise auffingen, die über uns dahinstreicht. Sie spitzen die Ohren, und sobald die Schlittenkufen gegen festen Schnee knirschen, fährt ein Zittern durch ihre jagdgestählten Körper.

Wir kommen über eine lange, schroffe Kluft und arbeiten uns zwischen großen Steinen vorwärts, bis wir ein flaches Hochplateau erreichen, wo ein See sich hinter dem anderen ausbreitet, nur abgetrennt durch schmale, höckerige Grate, welche unter den schlingernden Sätzen der Schlitten unsere Eingeweide unbarmherzig durcheinanderschütteln. Winde scheinen in diesen Pässen nicht selten zu sein. Deshalb sind die Seen noch blank und ohne Schnee; die Hunde, welche unaufhörlich in starken Galopp fallen wollen – toll und ausgelassen, weil die Schlitten so leicht sind –, breiten sich zu einem großen Fächer aus und nehmen im Laufen so gewaltsamen Abstoß mit den Pfoten, dass ihre Krallen sich durchs harte Eis wie Messer hindurchstoßen.

Die heutige Fahrt ist das, was wir eine Situationsfahrt nennen – sie geht durch neues Land, und niemals wissen wir, wann wir plötzlich am Rande eines Abgrundes halten müssen. Unaufhörlich wechselt das Terrain – hin über Seen, hinauf über Schluchten und wieder hinab mit der gleichen Fahrt und mit der gleichen zündenden Stimmung.

Aber plötzlich verstehen wir, ein jeder auf seinem Schlitten, dass etwas die Nasen der Hunde gestreift haben muss. Sie senken die Schwänze, ihre Hälse werden lang, und die Schnauzen fahren dicht über dem Schnee hin, um sich mit der neuen Entdeckung vollzusaugen. Bisher fuhren die Schlitten nebeneinander, sodass wir miteinander sprechen konnten, jetzt aber ist bald der eine vorne, bald der andere, die Fahrt wird ungleichmäßig. Wir poltern über einen Hügel, zu einem kleinen Sund hinunter, und da stehen die Hunde plötzlich und blicken sich verwirrt um. Sie haben die Geruchspur durchquert; jetzt können sie nichts mehr wittern und haben keine Hoffnung mehr, das Wild oder das Futter aufspüren zu können, gegen das sie vorher ihre Schnauzen richteten. Aber wir müssen das Rätsel lösen. Wir springen vom Schlitten und laufen zu einem Steinhaufen hin, wo das Geheimnis der Hunde sich wohl verbergen muss. Wir springen von Stein zu Stein, und nun können selbst unsere schwachen Nasen einen süßen Duft auffangen. Es ist verwesendes Fleisch, und richtig: Wir finden einen ganzen Seehund vom letzten Frühjahr fein säuberlich in einem Fleischdepot von mächtigen Dimensionen niedergelegt.

Ich glaube, der größte Reiz beim Reisen ist der, dass wir in den Begebenheiten des Tages eine unverdorbene Kindlichkeit bewahren, eine Fähigkeit, frisch und ursprünglich zu erleben, und deshalb sehen Arqioq und ich uns jetzt an und rufen bloß die selbstverständlichen Worte: »Endlich, endlich Menschen!«

Und wir wiederholen dies immer wieder lachend und ausgelassen, denn jeden Tag, der vergangen ist, seit wir im September hierhergekommen sind, während der Jagden im Oktober und November, sind Menschen unser einziger Gedanke gewesen. Wir waren nicht hierhergekommen, um das grönländische Leben fortzusetzen und dieselben Jagdabenteuer zu erleben, unter denen wir in unserem alten Lande aufgewachsen sind. Menschen waren es, die wir finden wollten, und zusammen mit neuen Menschen wünschten wir neue Schicksale dem täglichen Leben hinzuzufügen.

Eine wohlgefüllte Fleischgrube ist aber noch lange kein Wohnplatz; doch sind wir auf dem richtigen Wege, und als die Freude abgekühlt war und die roten Rachen der Hunde sich im kalten Schnee gekühlt hatten, setzten wir unsere Reise weiter über Land fort, um den Pass zu finden, von dem aus wir die Strecke für den nächsten Tag übersehen konnten.

Als die Sonne am höchsten stand, waren wir endlich so weit gekommen, dass wir Übersicht über die offene Frozenstraße nach der Southamptoninsel hatten; wir konnten sehen, dass ein schmaler Streifen neu gebildeten Wintereises sich wie eine weiße Kante die ganze Küste entlang nach Westen zog. Die Fahrt zum Eis hinab würde leicht sein, und wir würden in weniger als einem Tage die Halbinsel durchqueren können.

Dann wandten wir uns mit der fröhlichen Botschaft zu den Kameraden zurück. Wir nahmen das letzte Presseis draußen vor der kleinen Bucht, wo wir die Schneehütte gebaut hatten, mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der wir abgefahren waren, und als die Kameraden herauskrabbelten, um uns in Empfang zu nehmen, sahen wir an ihren Armbewegungen, dass auch sie eine große Neuigkeit für uns hatten: Freuchen hatte einen Schlitten von dem berühmten Hudsonbaityp gefunden, und zwar auf Land bei einer kleinen Bucht gleich gegenüber unserer Schneehütte. Ein fantastischer Schlitten, sechs Meter lang, drei viertel Meter breit und so schwer, dass man sich überhaupt nicht vorstellen konnte, wie gewöhnliche Hunde ihn ziehen sollten. Außerdem war die ganze Gegend um das Lager voll von Steinwällen, Warten und Zeltringen, und selbst wenn diese auch einige hundert Jahre alt sein konnten, so zeigte doch der Schlitten, welcher noch frische Bindungen hatte, und ein Depot von Rentierhaut und Kleidern, welches sich daneben fand, dass wir uns jetzt bei den Verkehrswegen der neuen Eskimos befinden mussten.

In diesem gewichtigen Stoff von Neuigkeiten ertrank die Mitteilung vollständig, dass der Hurdkanal voll von Seehunden war und dass sowohl »Eidervogel« als auch der Bootsmann jeder mit einem specktriefenden Fang heimgekommen war. In dieser Nacht nahmen wir in unserer Fantasie einen großen Vorschuss auf die Freuden der kommenden Expeditionsjahre, und keiner von uns ging zur Ruhe, bevor es Morgen war und ein fegender Schneesturm vorläufig jeden Gedanken an Aufbruch unmöglich gemacht hatte.

Der Schneesturm, welcher uns zu einem Zeitpunkt aufhielt, wo Untätigkeit ein wirklicher Schmerz war, währte vierundzwanzig Stunden. Als wir dann endlich unsere Last auf die andere Seite der großen, hügeligen Halbinsel transportiert hatten, hatte der Wind sich derart in die Eiskante gefressen, welche am Tage der Erkundung so vielversprechend vor uns gelegen war, dass wir mit Enttäuschung alle Landzipfel in dunkle, aus dem offenen Wasser steigende Frostnebel eingehüllt sahen. An manchen Stellen hatte massenhaft neu geborstenes Wintereis sich quer vor unseren Weg gelegt; da es mit all seinen nackten Zacken schneefrei war, mussten wir oft einander helfen, um unsere Schlitten nicht in tausend Stücke zu fahren. Und doch geschah es einmal während einer solchen schwierigen Passage, dass die Hunde wegen einer Herde Rentiere auf dem Eis wild wurden: Freuchen wurde zu einem unfreiwilligen Hindernislauf gezwungen, welcher damit sein Ende fand, dass sein Schlitten von einer hohen Eisscholle aus einen Luftsprung machte. Der Schlitten fiel wie ein Schiff, welches gegen die Klippen geschleudert wird, und zerschmetterte. Nach einer vorläufigen Reparatur mussten wir daher vor einer großen Bucht, wie wir später entdeckten, der Havilandbai, Lager suchen; hier wurde eine Schneehütte gebaut und der Schlitten repariert.

Währenddessen ging ich bergauf, um einen Überblick über die Strecke zu erhalten. Die Bucht war so breit, dass man knapp das flache Land auf der anderen Seite gewahren konnte. Ihr Abschluss war von hohen, vorspringenden Vorgebirgen verdeckt. Bis aufs offene Wasser hinaus war es nicht weit, das Fördeneis, welchem wir folgen sollten, um nach der Repulsebai zu kommen, war flach und leicht befahrbar. Nicht mehr als fünfzehn Kilometer vor uns stand gegen Nordwest eine lotrechte weiße Mauer, die ich erst für Nebel hielt. Ich verstand die Erscheinung nicht und richtete meinen scharfen Feldstecher dahin, und nun entdeckte ich jagende, wirbelnde Schneesäulen, welche sich wie weiße Haare auf den umliegenden Berggipfeln sträubten. Es musste ein Schneesturm sein, welcher ein kleines Stück vor uns raste, und damit war mein Ärger über den abgebrochenen Reisetag aus meinen Gedanken verscheucht.

Wir lagen in einer milden Bucht, wohlbeschützt nach allen Seiten. Es begann zu dämmern, ein vollständig klarer, blauer Himmel wölbte sich über uns. Der Neumond stieg über einer der Landzungen hervor und goss sein Licht über die frische Weiße des Tales. Das offene Meer vor uns begann sich im Neueis nahe der Mündung der breiten Förde zu stauen. Nur weiter draußen, wo der Wind noch zufassen konnte, leuchtete der schmächtige Mond über Wogen hin, die noch nichts vom Winter wissen wollten.

Ich saß auf einem großen Stein und schaute zu, wie Schneeblock auf Schneeblock sich zusammenfügte, um ein Obdach für die Nacht zu bilden. Sobald ich mir vollständig klar über den Kurs war, welchem wir am nächsten Tage folgen sollten, ging ich zu meinen Kameraden zurück, um die Hunde zu füttern und alles für die Nacht fertig zu machen.

Es war kalt geworden. Während der vorhergehenden Tage hatte Grauwetter die Temperatur unten gehalten, sodass das Thermometer ständig zwischen –10 und 15 Grad Celsius geschwankt hatte. Nun kam die Kälte mit dem tiefen, blauen, sternenklaren Himmel; bevor wir zur Ruhe gingen, hatten wir über 30 Grad Kälte.

Den nächsten Morgen ganz früh erwachten wir im Sternenschein und nahmen bereits um fünf Uhr eine Tasse starken Kaffee zu uns. Wir schnitten ein Loch in die Hausmauer und entdeckten, dass der Schneesturm sich gelegt hatte; ausnahmsweise schien es hauchstill zu sein. Das Thermometer zeigte –40 Grad, was uns überraschte, weil es erst Anfang Dezember war. Eine merkwürdige Unruhe beherrschte uns; keiner von uns verbarg, dass wir heute Menschen zu treffen erwarteten. Das wurde zwar im Scherz gesagt, aber trotzdem wollten wir alle, ausgenommen der Bootsmann, der ein geborener Phlegmatiker ist, unsere neuen Pelze anlegen. Selbst während arktischer Reisen entgeht man seiner Eitelkeit nicht; Schmutz und Unreinlichkeit sind Überbleibsel von einer Zeit, da wir nicht zu reisen verstanden.

Um sieben Uhr konnten wir nicht länger warten. Der weiße Schein des Tages stieg langsam den Himmel hinauf, dessen Dunkelblau lichter und lichter wurde. Die Sterne sahen nicht länger wie erleuchtete Fensterscheiben aus, sie erblassten nach und nach und verschwanden; in jenem Licht, welches eine lange Tagesreise verkündet, beluden wir die Schlitten und spannten die Hunde vor.

Das kälteste Wetter ist Hauchstille mit niedriger Temperatur, denn dann schafft jede Vorwärtsbewegung eine winzige kleine Brise, welche wie ein Messer in die Nase schneidet; es gibt keinen Ausweg, wenn weder Kutscher noch Hunde ortskundig sind. Front nach vorwärts! Und während das Angesicht gespießt wird und die Haut trotz allem Auftauen mit klammen Fingern jeden Augenblick wieder weiß und hart wird, muss man seine Hunde den Kurs lenken, dem man folgen will.

In ebener Fahrt ging es über Havilandbai Stunde auf Stunde dahin. Freuchens entzweigefahrener Schlitten hatte wieder verstärkt werden müssen, aber da sie zu zweien waren, hatte ich nicht gewartet; sie blieben schnell zurück. Wir sollten weit vorwärts heute, und es ist der vordere Schlitten, welcher die Länge der Tagesreise bestimmt.

Quer gegen die Brise gewandt, schaute ich über das offene Meer draußen am Horizont, wo die Frostnebel langsam zu roten Flammen wurden, die in dünnen, leichten Wolken wie Rauch von einem Brand verdämmerten. Ich setzte mich auf meine Fausthandschuhe und deckte das Gesicht mit den Händen, damit es aufgetaut würde. So saß ich eine Weile, bis wieder Wohlbehagen in mir war.

Eine Pfeife Tabak half mit – die Eskimos behaupten ja, dass der warme Rauch die Lippen auftaut, und das konnte heute wohl nötig sein.

So genoss ich die süße Sünde, welche immer in der Unaufmerksamkeit liegt, als die Hunde plötzlich einen Satz machten, sodass ich in die Höhe fuhr.

Mückʼ und Kälte,

Diese Plagen

Kommen nie zugleich.

Sieh, ich breite mich aufs Eis hin,

Breite mich auf Schnee und Eis hin,

Bis die Kiefer klappern.

Das bin ich,

Aja – aja – ja.

Ist es Kunde

Von der Zeit her,

Von der Zeit her,

Wo die Mückʼ schwärmt,

Von der Zeit her,

Wo der Frost beißt,

Der den Sinn betäubt und trüb macht,

Während ich die Glieder breite

Auf das Eis hin –!

Das bin ich,

Aja – aja – ja.

Ach, mein Sang

Bedarf der Stärke,

Und ich suche

Nach den Worten,

Ich, aja – aja – ja.

Aj, ich erspähe und sehe,

Was ich nun will singen:

Rentier mit den breiten Schaufeln.

Aj, ich schleuderte mit Vollkraft

Meinen Beinspieß mit dem Wurfholz.

Und die Waffe ward genagelt

Mitten durch des Bockes Becken,

Und er bebte ob der Wunde,

Bis er hinsank

Und verstummte.

Aj, mein Sang

Bedarf der Stärke,

Und ich suche

Nach den Worten.

Ja, ein Sang istʼs,

Ein Gedenken,

Und der singt,

Das bin nur ich:

Aja – aja – haja – haja.

Dieser Ausbruch eines alten Mannes, der verstand, dass er längst auf der anderen Seite des Lebensgipfels war, machte uns stumm.

Das war die erste Begegnung mit Menschen. Nach einem einzigen Ruhetag nahmen wir am 7. Dezember Abschied von unseren neuen Freunden. Freuchen reiste unserer Verabredung entsprechend weiter nach Wagerbai zu Kapitän Berthie, während der Bootsmann und ich nach Hause zum »Blasebalg« fahren wollten. Als wir Havilandbai passiert hatten, fanden wir zufällig eine alte Schlittenspur und beschlossen, ihr auf neuen Wegen zu folgen.

Frauen und Kinder lagen neben den Schlitten behaglich in den Schnee gestreckt, ganz als ob sie auf einer Wiese seien.

In weniger als drei viertel Stunde erhob sich ein ganzes Dorf aus den Schneewehen.

Ivaluartjuk, der alte Sagenerzähler und Liedersänger.