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Maik Becker

EIN
MARATHON
GEHT IMMER

Eine inspirierende Laufreise
durch das Leben und um die Welt

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Ein Marathon geht immer

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© 2022 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen

image Member of the World Sport Publishers’ Association (WSPA)

eISBN 978-3-8403-3786-4

INHALT

Vorwort

Geboren, um zu laufen

Das Grundsatzerlebnis

Laufen als Urform der menschlichen Bewegung

Ein Traum wird Wirklichkeit

Station 1/7: „The Hidden Treasure“, Albanien, Europa

Training fürs Leben

Der Weg zurück zu Lebensfreude

Aufbau nach niederschmetternder Diagnose

Training als Lebensaufgabe

Ultralauf – mehr als nur Sport

Station 2/7: „Atacama Crossing“, Chile, Südamerika

Kopfkino

Mentale Voraussetzung für Höchstleistung

Entspannung als Basis für ein gesundes Sportlerleben

Grenzerfahrungen im Ultralauf

Station 3/7: „Everest Trail Race“, Nepal, Asien

Der Läufer als Allesfresser

Gesunde Ernährung als Basis für Leistungsfähigkeit

Keep it simple – modernes Essen wird überbewertet

Ultraläufer sind die besseren Esser

Station 4/7: „The Last Desert“, Antarktis

Sport und Reisen

Wenn dich die Reiselust einmal gepackt hat

Reisen bildet

Außergewöhnliche Begegnungen

Station 5/7: „The Coastal Challenge“, Costa Rica, Nordamerika

Glückliches Läuferleben

Glück als erstrebenswerter Zustand

Was wir von fremden Kulturen lernen können

Lächelnd laufen – amüsante Laufgeschichten aus aller Welt

Station 6/7: „Alps2Ocean“ Neuseeland, Ozeanien

Das Hilfsprojekt

Vorbereitung und Sponsorensuche

Fröhliche Gesichter bei der Eröffnung

Station 7/7: „Marathon des Sables“, Marokko, Afrika

Dank

Anhang

Literaturverzeichnis

Bildnachweis

VORWORT

Ich schreibe kein Buch! Ein weiteres Exemplar, das im Regal verstaubt. Oder den Weg aus dem aussortierten Umzugskarton nicht zurück ins Wohnzimmer findet. Freunde haben mich immer wieder angeregt, mein Erlebtes, den Lebenswandel, in Schriftform zu bringen. Ich erachtete das nicht als nützlich. Meine Geschichte ist keine besondere. Eine weitere Erzählung, die sich an vollkommen selbstverständliche Denkanstöße klammert. Es ist nichts Spezielles, was ich mache. Und liegt dennoch für die meisten außerhalb ihrer Komfortzone.

Und es kommt doch ganz anders. Wie so oft bestimmt Unvorhergesehenes das Leben. Wir verändern uns. Ob wir wollen oder nicht. Unsere Entwicklung ist ein steter Prozess. Es passiert aber nicht einfach. Wir beeinflussen es. Und so sitze ich nun hier und tippe unaufhörlich Gedanken und Eindrücke über ein außergewöhnliches Lauf- und Hilfsprojekt in die geduldige Computertastatur. Stundenlanges Sitzen liegt mir nicht. Manchmal bedarf es Überwindung. Eines ersten Schritts. Wie im richtigen Leben.

Beim Blick aus dem Fenster ruft die Natur. Freiheit. Ich versinke in meinen Gedanken. Schon viel erlebt. So viel abrufbar. Die Realität verschwimmt mit der Vergangenheit. Was ich nie für möglich gehalten habe, ist Wirklichkeit geworden. Erträumt und wahr werden lassen. Das geht nicht von allein.

Auf dem Weg haben mich starke Persönlichkeiten begleitet. Sie haben mir beim Finden der Richtung geholfen. Mein Leben maßgeblich beeinflusst. Ich wäre nicht dieselbe Person ohne treue Begleiter. Dafür bin ich sehr dankbar.

In diesem Buch begegnest du einer individuellen Geschichte. Ich maβe mir nicht an, mit erhobenem Zeigefinger Verfehlungen anderer anzuprangern. Vielleicht findest du dich auf der einen oder anderen Seite wieder. Wenn auch nur zwischen den Zeilen. Lies heraus, was dir gefällt. Es ist jetzt dein Exemplar. Es soll dir Freude bereiten.

Was du mit dem Buch machst, liegt an dir. Es eignet sich natürlich perfekt als Unterlage für den wackelnden Tisch. Dekorativ weist jedes Druckerzeugnis und im Speziellen ein volles Bücherregal auf Bildung hin.

Oder aber man nutzt es zur Selbstverteidigung. Der Inhalt wird beim Schlag auf den Kopf des Gegenübers aber nicht automatisch in ihn übergehen. Wenn du es nicht magst, kannst du es auch verschenken. Und erst recht, wenn es dir gefällt.

Viel Spaß beim Lesen und Laufen.

Maik Becker

Zürich, Februar 2022

GEBOREN, UM ZU LAUFEN

„Es gibt nur zwei Tage im Jahr, an denen
man nichts tun kann. Der eine ist gestern, der
andere morgen. Dies bedeutet, dass heute
der richtige Tag zum Lieben, Glauben und in
erster Linie zum Leben ist.“

Dalai Lama

Man muss nicht religiös sein, um dieses Zitat zu verstehen. Doch was bedeutet das eigentlich? Wir leben tagtäglich unser Leben. Gehen unserem Job nach, versorgen die Kinder, verbringen die Ferien an den schönsten Destinationen, können uns alles leisten, worauf wir Lust haben. Gibt es da etwa noch etwas, was wir nicht mit Arbeit oder materiellen Leistungen befriedigen können?

Ich schwamm in einem Fluss. Im Fluss des Lebens. Gespickt mit Steinen, Schlangen und Krokodilen. Ab und an bekam ich einen Biss. Manchmal habe ich mich an einem Stein angeschlagen. Aber ich bin nie untergegangen. Später verließ ich den Fluss. Das ist wohl Teil unserer Evolutionsgeschichte.

Mittlerweile bewege ich mich an Land. Auf sicheren Beinen. Mit kontrollierten Schritten. Kreuzenden wilden Tieren kann ich besser ausweichen. Laufend. Die ursprünglichste menschliche Bewegungsform ist bei mir angekommen. Das ist noch nicht lange so.

Warum laufen wir? Oder besser: Warum sollten wir mehr laufen? Unbewusst spielen sich in unserem Körper Prozesse ab, die wir automatisiert haben. Das Laufen ist so ein Beispiel. Einmal gelernt und verinnerlicht, begleitet es uns durch das Leben.

Unser Körper wurde in entwicklungsgeschichtlichen Prozessen für den aufrechten Gang optimiert. Selbst wenn wir es durch Dauersitzen abschaffen wollen, es wird uns nicht gelingen. Viel mehr noch. Wir brauchen Bewegung für ein zufriedenes Sein.

Die Größe unseres Gehirns unterscheidet uns von ähnlich strukturierten Artgenossen. Dieses zusätzliche Volumen ist zum Denken da. Und benötigt dazu Sauerstoff. Dieser wiederum wird in den Blutbahnen durch den Körper gepumpt. Bis hinauf unter das Dach unserer Schädeldecke.

Laufen hat also mindestens zwei vielversprechende Eigenschaften. An der frischen Luft organisieren wir uns Sauerstoff und durch die gesteigerte Aktivität wird das Herz zu höherer Betriebsamkeit angeregt. Als Ergebnis steht uns mehr Oxygen zur Verfügung. Denkprozesse laufen besser ab. Oder werden überhaupt erst gestartet. Gedanken fließen klarer. Der Kopf ist frei.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein genügt nicht. Es braucht genau in diesem Moment die richtige Entscheidung. Und noch viel wichtiger ist die Umsetzung derselben. Manchmal fällt uns das nicht leicht. Wir brauchen Unterstützung auf dem Weg. Bewegung bedeutet, etwas bewirken. Seine Lage verändern. Etwas anstoßen. Weg von Gewohnheiten. Altes hinter uns lassen. Und das dann auch noch aktiv. Allein oder in Gemeinschaft. Wichtig ist es, Bewegung ins Leben zu bringen.

Das Gleiche trifft übrigens auch für die falsche Zeit und den falschen Ort zu. Das kann mal passieren. Aber auch hier liegt es in unserer Entscheidung, in welche Richtung der Wegweiser zeigt. Zurücklehnen und das Schicksal über das Leben ergehen lassen, ist der bequeme Weg. Aber nicht unbedingt der befriedigende.

Als Mensch sind wir größtenteils allein für unseren Lebensweg verantwortlich. Dazu gehören nicht nur Fortschritte. Auch mit Rückschlägen müssen wir umgehen. Bleiben wir aber optimistisch und widmen uns positiven Veränderungen.

DAS GRUNDSATZERLEBNIS

Es liegt ein paar Jahre zurück. Ein Grundsatzerlebnis. Eines dieser ungeahnten Ereignisse, die das Leben an Überraschungen bereithält. Nach Jahren gesundheitlicher Probleme verirrte ich mich wieder einmal zum Arzt.

Schlafmittel sollten es dieses Mal richten. Mein Körper war aus dem Gleichgewicht. Während mich tagsüber immer wieder ein Tiefschlaf übermannte, lag ich nachts wach. Das muss doch mit entsprechenden Medikamenten zu richten sein. Die Reaktion des Medikus war überraschend. Während eines 30-minütigen Monologs wies er mich auf meine Verfehlungen der vergangenen Jahre hin.

Gefangen im Arbeitsalltag, übergewichtig, depressiv. Immer mit dem Gefühl, unabkömmlich zu sein. Freude und Zufriedenheit waren käuflich. Die Leistung im Job stand stets an erster Stelle. Privat blieb in dieser Zeit so einiges auf der Strecke. Und dann, mit 36 Jahren sitze ich meinem Hausarzt gegenüber, der mir den Spiegel vorhält. Was muss sich ändern?

Er empfiehlt Sport. Als Ausgleich und um die Gesundheit zu stärken. Schwimmen zum Aufbau des schwachen Rückens. Letzte, ernst zu nehmende Aktivitäten liegen etwa 20 Jahre zurück. Seit dem Schulsport hatte ich erfolgreich darauf verzichtet. Das Leben in vollen Zügen genossen. Mit allem Ungesunden, was dazugehört.

Mein Gewicht kratzte an der dreistelligen Schallmauer. Ein Weckruf. Der Raubbau an Körper und Geist soll ein Ende haben. Von dieser Visite beim Arzt an ging ich einen Monat lang täglich ins Schwimmbad. Zu exzessiv? Vielleicht bereits ein Hinweis, wohin mich der Sport später noch bringen soll.

Beim ersten Besuch im nahen Hallenbad stieg ich nach vier Bahnen, also 200 Metern, völlig erschöpft aus dem Wasser. Nach einem Monat waren es 2.000 Meter. Die körpereigenen Brennstoffzellen erinnern sich, wie Energie bereitgestellt werden kann.

Im Alltagstrott werden wir träge. Bequem. Wir nehmen Dinge hin, die wir uns so niemals eingestehen würden. Gewohnheiten und Sicherheit überwiegen. Das ist auch gar nicht negativ zu werten. Mit Familie, Job, Freunden, Einkaufen, Kochen, Garten, Putzen, Auto, Fernsehen, sozialen Medien und vielem anderem sind wir mehr als ausgelastet.

Wir folgen allgemeinen Werten. Das Individuelle kommt dabei zu kurz. Aufopferungsvoll sind wir Tag für Tag für andere da. Es spielt keine Rolle, ob Kinder, Partner, Familienangehörige, Arbeitgeber, Kunden, Patienten, Gäste. Es bleibt nicht einmal die Zeit, um zu hinterfragen, ob es das ist, was wir wollen. Die Mühle mahlt.

Wir ergründen nicht, ob wir glücklich sind. Ob es DAS Leben ist, was wir träumen. Ob wir das mögen, was wir machen. Oder das machen, was wir mögen. Es gibt immer eine Möglichkeit für Reue. Uns der Unterlassung zu stellen. Das Schwierige ist die Erkenntnis. Das Eingeständnis.

Neben der physischen Veränderung stellte ich aber noch etwas ganz anderes fest. Mein Geist wurde wiedererweckt. Positive Gedanken und ein klares Denken waren das Resultat. Mein Selbstwertgefühl war plötzlich wieder ein anderes. Ich konnte mein Leben und Umfeld bewusster wahrnehmen.

Ein Artikel auf wissenschaft.de bringt es auf den Punkt: „Bewegung scheint geradezu ein Allheilmittel: Wer regelmäßig Sport treibt, der stärkt nicht nur Muskeln und Kondition. Die Bewegung trägt auch dazu bei, Gefäße und Stoffwechsel positiv zu beeinflussen. Das wiederum senkt das Risiko für viele Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar Krebs. Zudem verbessert die sportliche Betätigung die Stimmung, kann Depressionen lindern und sogar Schmerzen unterdrücken. Die positiven Effekte der Bewegung reichen aber noch weiter: Studien belegen, dass regelmäßiger Sport auch die geistigen Leistungen bessern kann und so einer Demenz vorbeugt. Zum einen liegt dies daran, dass unser Denkorgan bei sportlicher Aktivität besser durchblutet und dadurch besser mit Sauerstoff versorgt wird. Zum anderen aber greift die Bewegung auch direkt in den Hirnstoffwechsel ein, wie Versuche mit Mäusen zeigen: Schon nach wenigen Tagen Lauftraining wuchsen den Tieren mehr neue Gehirnzellen im Gedächtniszentrum des Gehirns als bei ihren faulen Artgenossen.“

Zeit stellt für alle die gleiche Einheit dar. Eine Minute hat 60 Sekunden, ein Tag 24 Stunden. Ob arm oder reich, Zeit lässt sich nicht verändern. Oder konservieren. Wir müssen jede Sekunde nutzen. Danach ist sie weg. Es gibt auch kein Zurück.

Dieses kostbare Gut sollten wir pflegen und bewusst behandeln. Wir können uns entscheiden, sie aktiv wahrzunehmen und zu gestalten oder sie zu vergeuden, ohne nachzudenken. Und diese Entscheidung trifft jeder für sich selbst. Die Verantwortung kann nicht delegiert werden. Sie verlangt einen sehr vorsichtigen und behutsamen Umgang.

Oft sind wir grob mit ihr. Oder ignorieren sie. Oder verschwenden sie. Es interessiert sie nicht. Sie läuft und läuft. Erst wenn wir sie aktiv wahrnehmen und mit ihr im Gleichklang leben, wird sie uns jeden Moment bewusst erleben lassen.

Wir sind nicht träge. Wir verschließen nur die Augen zu gern vor Unangenehmem. Dabei lohnt es sich, mit offenen Augen durch das Leben zu gehen. Wir wollen gebraucht werden. Und es fällt schwer, Nein zu sagen.

Stress schleicht sich in unseren Alltag. Wir üben uns im Zeitmanagement. Die vorhandene Zeit muss optimal gefüllt werden. Und schlingern so immer weiter in die Unabkömmlichkeit. Entspannung passt nicht in das Format Leistungsmensch. Wir brauchen ab und zu einen Tritt in den Hintern. Von anderen oder von uns selbst. Klingelnde Wecker, die uns aufwecken und so die Illusion schüren, Zeit sinnvoll zu nutzen.

Sport ist ein gutes Ventil. Aktivität stärkt unser System Mensch. Die richtige Anwendung und eine passende Dosis sind hierfür die Voraussetzung. Zu viel Enthusiasmus und falsche Ziele schüren Ersatzstress. Wir müssen unsere Erdentage auch nicht vollständig verplanen. Eine entspannende Yogaeinheit irgendwo in einen vollgestopften Tagesplan zu quetschen, wirkt kontraproduktiv. Und wer sagt denn, dass Sport, und noch dazu Wettkampfsport, die Wunderwaffe unserer Zeit ist?

Sinnvolle Freizeitgestaltung geht auch anders. Bewegung und Aktivität zählen aber zu den effektivsten Techniken, Alltagssorgen zu verarbeiten. Für uns Hobbyaktive soll Sport entspannend wirken. Positive Momente schaffen und Anspannungen abbauen. Und zwischendrin auch mal nichts tun.

Das Schwimmen hatte nur einen Nachteil. Ich verlor kaum Gewicht. Sicher auch ein Resultat aus Fettverbrennung und Muskelaufbau. Beim Treppensteigen lief mir immer noch der Schweiß. Der Körperwandel war noch am Anfang. Um diesen Prozess zu beschleunigen, musste die nächste Stufe gezündet werden.

Laufen wäre gut für Gewichtsreduktion. Das sagte mir Google. Und der muss es ja wissen. Ein Paar Laufschuhe war schnell organisiert und schon machte ich mich auf die erste Laufrunde. Es liegt nun fast 15 Jahre zurück, aber ich kann mich sehr gut daran erinnern. Das sind die Lebensereignisse, die man nie vergisst. Die Geburt der Kinder, eine Heirat, der Verlust eines dir lieb gewonnenen Menschen. Oder solch ein lebensentscheidendes Ereignis wie die jungfräuliche Laufrunde.

Rennen wir vor etwas davon? Das ganze Leben ist Bewegung. Laufen ist für viele nur ein weiterer Leistungsmesser. Ein abzuarbeitender Punkt. Ein Marathon gehört in jede Vita. So denken motivierte, beweispflichtige Laufanfänger. Am besten noch in einer anständigen Zeit.

Dabei ist es angenehmer, ohne jeden Druck dem Körper diese Form des natürlichen Antriebs zu gönnen. Keine Enttäuschung über verpasste Ziele. Nicht auf ständiger Suche nach Minuten oder Sekunden sein. Und nicht immer alles noch besser machen zu wollen. Eine große Aufgabe unserer Zeit liegt im Nicht-immer-Ziele-Setzen. Natürlich benötigen wir eine Richtung.

Abenteuerlicher und abwechslungsreicher ist unser Dasein allerdings, wenn wir diesen Weg ab und an verlassen. Und uns neugierig und offen ungewöhnlichen, neuen Herausforderungen stellen.

Ohne dieses Schlüsselereignis, dem lebensbeeinflussenden Besuch beim Arzt, würdet ihr nicht vor diesem Buch sitzen. Der Veränderungsprozess hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Ein ausgeglichener, zufriedener und glücklicher Mensch. Ich realisiere Projekte, von denen ich früher nicht zu träumen wagte. Hätte mir damals jemand mein Leben so vorausgesagt, ich hätte ihn als Spinner abgetan. Stattdessen nenne ich mich heute Ultraläufer. Selbst ein Spinner. Der sein Leben mit Humor sieht.

LAUFEN ALS URFORM DER MENSCHLICHEN BEWEGUNG

Was aber bewirkt Sport und insbesondere das Laufen überhaupt? Warum hat Bewegung in unserem Leben einen solch hohen Stellenwert eingenommen? Um das zu verstehen, müssen wir das Rad der Geschichte weit zurückdrehen. Zu Zeiten der Jäger und Sammler war Bewegung lebensnotwendig. Die Jagd zu Fuß sicherte Nahrung. Neue Reviere mussten zur Existenzsicherung erkundet werden. Auch für die Fortpflanzung waren soziale Kontakte und Bewegung unabdingbar.

Bereits die Neandertaler gingen zur Jagd und sammelten Früchte. Sie waren aber keine Ausdauerathleten. Kurze Strecken konnten sie gut meistern. Aus Forschungen ging hervor, dass die Fußanatomie der Neandertaler gegenüber dem neuzeitlichen Menschen keine effiziente Lauftechnik zuließ.

Der Schwachpunkt war hierbei die Achillessehne. Die kürzere Sehne ermöglichte dem modernen Menschen einen energiesparenden Laufstil. War das ein entscheidender Grund, gepaart mit sich verändernden geografischen Umständen, warum der Neandertaler nicht überlebte? Weil er ein schlechterer Läufer war? Ein guter Grund für uns, ab und an die Laufschuhe aus dem Regal zu nehmen.

Die besseren Laufeigenschaften brachten dem Neuzeitmenschen die entscheidenden Vorteile. Sicherung des Überlebens stand an erster Stelle. Unsere Vorfahren waren Ausdauerathleten. Im Alltag. Noch bis vor ein paar tausend Jahren, bis zum festen Ansiedeln, dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht in der Jungsteinzeit, diente die Bewegung dem Fortbestehen der Menschheit.

Von modernen Hilfsmitteln wie Schuhen, Funktionskleidung oder Energieriegeln waren sie weit entfernt. Sie liefen in freier Natur, versorgten sich an Bächen mit Wasser, aßen unterwegs Beeren und Nüsse und machten Pausen, wenn der Körper Erholung brauchte. Als Ultraläufer würde sie deshalb aber niemand bezeichnen. Sie betrieben einzig die natürlichste Form der Bewegung. Die ursprünglichste.

Nach der neolithischen Revolution, in Mitteleuropa etwa zwischen 5800 und 4000 v. Chr., und dem Übergang in Feldwirtschaft, Lagerhaltung und dem daraus resultierenden Handel wurden die Grundlagen für eine arbeitsteilige Gesellschaft gelegt. Der umfangreiche Bewegungsradius und die -intervalle waren plötzlich nicht mehr vonnöten. Bis heute gilt für die meisten unserer Artgenossen das Motto: „Nicht mehr als nötig.“

Wir müssen keine wilden Tiere mehr jagen, schneller laufen können als der uns verfolgende brüllende Löwe. Die Fahrt zum Supermarkt hat die Stelle des modernen Kampfs um Nahrungsmittel eingenommen. An Drive-in-Schaltern müssen wir nicht einmal mehr aus dem Auto. Wir vereinfachen uns den Alltag vermeintlich. Ja, selbst die Lebenspartnerin, mit der wir den Fortbestand sichern, kann man bequem von zu Hause aus via Internet kennenlernen.

Was ist aus dem Menschen als Läufer geworden? Blicken wir in der Geschichte etwas weiter. In die Zeit Altgriechenlands und des alten Roms. Für die Griechen und Römer gehörte Sport bereits zum Alltag. Die Hellenen können hierbei als Vorreiter gesehen werden. Körperliche Ertüchtigung und Wettkämpfe waren von großer Bedeutung. Die athletische Erziehung diente nicht zuletzt der Vorbereitung der jungen Männer auf den Krieg.

Die antiken Olympischen Spiele fanden bereits im Zeitraum von 776 v. Chr. bis 393 n. Chr. statt. Alle vier Jahre versammelten sich im Heiligen Hain von Olympia neben den Athleten offizielle Vertreter aus der gesamten griechischen Welt. Die Spiele waren von außerordentlicher Bedeutung weit über den Sport hinaus. Sie dienten Kultur und Politik als wichtiges Forum. Und sie waren ein Symbol von geistiger Einheit bei den ständig zerstrittenen Griechen.

Laufen ist bei der Olympiade die älteste Disziplin. Während der ersten 13 Austragungen war der Stadionlauf der einzige Wettbewerb. Erst später kamen andere Sportarten hinzu. Gelaufen wurde barfuß eine Stadionrunde über 192,28 Meter. Die Streckenlänge wurde bei weiteren Austragungen bis auf 24 Stadionrunden ausgedehnt, das entsprach immerhin schon 4.614 Metern.

Zugelassen waren nur männliche Athleten. Sie wurden monatelang vor den Wettkämpfen trainingsspezifisch vorbereitet. Spezielle Ernährung sollte den Trainingseffekt steigern. Und Massageöle zur besseren Entspannung der Muskulatur wurden bereits verwendet. Für die Athleten war der Sieg das Erstrebenswerte. Das heutige olympische Motto „Dabeisein ist alles“ steht dazu klar im Gegensatz zum damaligen aus Homers Epos Ilias: „Immer der Erste zu sein und den anderen überlegen“. Der Stärkere überlebt.

Für die Sportler war es damals bereits eine Chance, ihrem Leben materielle Erfüllung zu geben. Im Jahr 393 wurden alle heidnischen Zeremonien, darunter auch die Olympischen Spiele, vom römischen Kaiser Theodosius I. (379-395) verboten.

Das Laufen hatte also in ein paar tausend Jahren eine völlig andere Bedeutung bekommen. In der gesamten Geschichte der Menschheit ein kurzer Zeitraum. Von überlebenswichtig hin zum Mittel der Selbstdarstellung und zum Erschaffen von Privilegien.

Während der Zeit des kriegerischen Mittelalters, dem steigenden Einfluss der Kirchen, der Entdeckung der Neuen Welt durch die Seefahrer, der Kolonialisierung und Seuchenzeiten wie der Pest blieb kaum Platz für sportliche Orientierung.

Erst in der Neuzeit kam es durch Pioniere wie Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852), besser bekannt als Turnvater Jahn, zu einer Renaissance des Sports. Sein Motto „frisch, fromm, fröhlich, frei“ täuscht über den eigentlichen Zweck der Bewegung hinweg. Er initiierte die deutsche Turnbewegung, um die Jugend auf den Kampf gegen die Eroberung Napoleons I. vorzubereiten. Das und seine politischen Ansichten geben Grund für kontroverse Diskussionen. Sein Verdienst für den Sport ist aber unumstritten.

Ein wichtiger Meilenstein für sportliche Aktivitäten, so wie wir sie in der heutigen Zeit betreiben, war die Wiederbelebung der Olympischen Spiele 1894 durch den französischen Pädagogen und Historiker Pierre de Coubertin (1863-1937). Als Treffen der Jugend der Welt sollen sie der Völkerverständigung und dem sportlichen Wettstreit dienen. Ein friedliches Miteinander mit vielen positiven Energien. Auch wenn im vergangenen Jahrhundert die Spiele ab und an zu politischen Zwecken missbraucht wurden, sind die olympischen Wettkämpfe nach wie vor das Highlight in einem (Profi-)Sportlerleben. Aber auch die Auswirkungen für die Freizeitsportler sind nicht zu unterschätzen. Stehen die Olympiaden doch für faire sportliche Auseinandersetzungen und haben somit eine enorme Vorbildwirkung.

Sind wir nun also geboren, um zu laufen? Ja, unbedingt! Keine andere Sportart benötigt so wenig Equipment. Es muss nicht barfuß sein, wie in der Antike. Ein Paar Laufschuhe genügen und schon kann es losgehen. Was hält uns also oft davon ab, unsere Gene zu nutzen und die einfachste aller Bewegungsformen für unser Wohlbefinden zu nutzen? Es braucht manchmal eine Initialzündung. Ob das nun ein Arzt, der Nachbar, eine neue Liebe oder ein ähnliches lebensveränderndes Ereignis ist.

Die ersten Jahre meiner sportlichen Karriere nach der Wiedergeburt mit 36 Jahren verliefen wechselhaft. Ich hatte keine Ahnung von Training oder dem gezielten Aufbau des Körpers. Gewicht musste runter und ich spürte diese positiven Effekte im Hirn. Das kommt euch sicher bekannt vor.

Der Ausstoß von Endorphinen, wenn man eine gewisse Zeit gelaufen ist. Dieses befriedigende Lächeln nach der Laufrunde. Die Glückshormone tanzen unkontrollierbar in einem süchtig machenden Rhythmus. Sich diesen vom Körper selbst produzierten Drogen hinzugeben und in einen meditativen Zustand zu gelangen, wird auch als Flow bezeichnet.

Ich mochte dieses Gefühl. Und irgendwie lief ich plötzlich nicht mehr aus dem rationalen Grund der Gewichtsreduktion. Eine Stunde am Abend nach der Arbeit ließ alle Probleme des Tages vergessen. Morgens nach dem Aufstehen schaffte ein lockerer Lauf einen klaren Kopf und Körper und Geist waren bereit für den Tag. Es spielte keine Rolle, wann ich lief, es fühlte sich gut an.

Ich war einer neuen Sucht verfallen. So definierten das zumindest meine Freunde. Mir jedoch war schon damals klar, ohne das Wissen über Laufen und Sport, was ich mir in den kommenden Jahren noch aneignen sollte, dass eine Abhängigkeit auch einen Zwang beinhaltet. Und den verspürte ich zu keiner Zeit.

Wenn ich keine Lust auf Sport hatte, konnte ich mich anderen Interessen widmen. Das hatten die Laufeinheiten bereits in der frühen Phase bewirkt. Wie wir vorher festgestellt haben, ist Laufen etwas ganz Natürliches für unseren Körper. Und ich hatte mir diese Urzeitfähigkeit wieder angeeignet. Unsere Vorfahren haben uns diese mitgegeben. Von Sucht also keine Spur.

Nach einigen Jahren Triathlon bis hin zu Ironman-Distanzen suchte ich vermehrt Entspannung im Sport. Es klingt paradox. Aber im Wissen, kein Weltmeister oder Olympiasieger zu werden, wollte ich die Schmerzen, die im Training oder bei Wettkämpfen auftreten, genießen können.

Bei vielen Hobbyathleten bleibt der Spaß und Genuss oft auf der Strecke. Das Ambitionierte überwiegt. Dabei haben wir doch bereits genug Belastung im Alltag. Job, Familie, Freunde und nun auch noch das Hobby. Es muss alles unter einen Hut passen.

Meine Entscheidung stand fest. Längere Distanzen, den Körper herausfordern. Gleichzeitig eine Genussvariante des Sports suchen. Und so kam ich unweigerlich auf Ultraläufe. Nach 10 Jahren Aufbau und auch Raubbau am Körper war ich bereit für eine neue Form der Belastung.

Mittlerweile hatte ich die Trainingsplanung in die Hände eines Profis gegeben. Nach der deprimierenden Diagnose einer renommierten Züricher Sportklinik sah ich mich dazu gezwungen, wollte ich weiter Sport treiben. Die Innenmenisken beider Knie waren verschlissen. Falsche Belastungen, schlechte Vorbereitung auf Wettkämpfe, zu intensives Training, nicht sportgerechte Ernährung und noch einiges mehr hatten dahin geführt.

Während eines dreistündigen Gesprächs versuchten mir Orthopäden klarzumachen, dass an einem Eingriff kein Weg vorbeiführt. So oder so könne ich das Laufen für den Rest meines Lebens vergessen. Eine Belastung, wie ich sie in den vergangenen Jahren exzessiv betrieben habe, wird nicht mehr möglich sein.

Niederschmetternd. Es war an einem Freitag. Unvergesslich. Die Stimmung war während des ganzen Wochenendes im Keller. Ist denn Sport nun gesund oder nicht? Sollten meine Freunde recht behalten, dass ich mich der Sucht hingab und nun vor dem Ergebnis stehe? Und was ist mit unseren Genen?

In diesem Moment änderte sich etwas in meinem Leben. Erneut. Ich beschäftigte mich mit dem Thema Sport. Las über den Körper. Verstand Zusammenhänge. Nach dem Wiedereinstieg in das aktive Leben sicher einer der wichtigsten Momente.

Das war auch der Beginn einer bis heute andauernden Zusammenarbeit, mittlerweile Freundschaft mit dem diplomierten Sportwissenschaftler Dr. Konrad Smolinski von KS-SPORTSWORLD. Seine Erfahrung, nicht nur im sportlichen Bereich, sondern wesentlicher im Umgang mit Menschen haben mich auch in dieser schwierigen Phase nicht den Kopf in den Sand stecken lassen. Er überzeugte mich, mittels soliden Aufbaus einen konservativen Weg raus aus der Verletzung zu finden.

Von der Klinik bekam ich drei Monate Bedenkzeit. Der Vertrag zum OP-Termin lag unterschriftsbereit vor mir. Wenn ich die Papiere heute in die Finger bekomme, ertappe ich mich bei einem Lächeln. Statt Anästhesie und Skalpell standen Wackelbrett und Gummibänder während dieser drei Monate auf dem Programm. Muskelgruppen, die ich bis dahin nicht kannte, wurden aufgebaut. Das erste Ziel war Schmerzfreiheit.

90 Tage später saß ich im Warteraum der Sportklinik. Meine Idee über den weiteren Verlauf der Genesung hatte ich parat. Jetzt musste ich nur noch die Ärzte von ihrem Vorhaben abbringen. Spezialisten, die in einer Fehlstellung einen Makel sehen, der sich mit einfachen Mitteln beheben lässt. Die Person dahinter wird dabei oft vergessen.

In einem kurzen Gespräch konnte ich die Mediziner davon überzeugen, einen Weg für mich gefunden zu haben. Ohne Eingriff. Bis heute habe ich die medizinische Einrichtung nur noch einmal besucht. Für einen Vortrag. Über das Laufen.

Ich glaube nicht an Wunder. Jede Reaktion resultiert aus einer Aktion. Der gezielte Aufbau der Strukturen rund um das Knie, ja des gesamten Körpers, bewirkte eine Linderung der Schmerzen. Unterstützend wurde die Ernährung optimiert. Nichts Verrücktes. Entzündungshemmende Lebensmittel und ein Nährstoffpaket brachten schnell den gewünschten Erfolg.

Viel wichtiger war aber das Verstehen der Probleme. Sollte ich das Knie schonen, wie die Ärzte es mir empfohlen hatten? Und da sind wir wieder bei den Urmenschen. Ihnen blieb keine andere Wahl, als sich täglich aufzumachen und Nahrung zu beschaffen. Eine permanente Belastung für den Bewegungsapparat. Und genau das benötigen wir.

Sitzen ist das neue Rauchen. So wird unsere Bewegungsschwäche oft betitelt. Wir brauchen die Stoßbelastungen auf den Gelenken, die wir im Alltag absolut vernachlässigen.

Nach sechs Monaten aktiver Therapie erreichte ich bei einem meiner letzten Ausflüge in den Triathlon eine neue persönliche Bestzeit über die Mitteldistanz. Ein positives Signal für den Körper. Er ist bereit für Abwechslung. Zeit für neue Taten. Auf zu längeren Läufen. Lang und locker.

Mit erfolgreichem Absolvieren von Distanzen bis zu 100 Meilen und Etappenläufen bis 250 Kilometern eröffnete sich eine neue Welt. Eine bis vor Kurzem für unmöglich gehaltene. Mehr mentale Herausforderung als physische. Angekommen in der Welt des Ultralaufs.

Das Faszinierende am Laufen ist seine meditative Form. Genuss steht im Vordergrund. Wir müssen die Wildsau nicht mehr zu Tode hetzen. Unser Laufverhalten hat sich von Notwendigem zum Hobby weiterentwickelt. Wir adaptieren Reize und passen uns neuen Gegebenheiten an. Das Wahrnehmen von Natur und Umwelt spielt eine bedeutende Rolle. Achtsamkeit und Konzentration auf das Hier und Jetzt. Den Körper übermannt ein rauschartiges Gefühl. Die Beine laufen von selbst.

Selbst bei extrem überlangen Distanzen jenseits der 200-Kilometer-Marke nonstop macht man diese äußerst befriedigende Erfahrung. Bedingung ist eine solide Trainingsbasis und ein Loslassenkönnen. Auch das ist trainierbar. Unser Gehirn schaltet in Zeiten hoher Ausdauerbelastung einzelne Regionen ab bzw. reduziert seine Aktivität.

Hast du während eines intensiven Laufs schon einmal versucht, komplizierte mathematische Formeln zu lösen? Es wird dir schwerer fallen als entspannt am Schreibtisch. Wir sprechen von Abschaltenkönnen beim Laufen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Das unterscheidet Laufen von anderen Ausdauersportarten, wie z. B. Radfahren.

Den Körper und Geist auf zwei schmalen Rädern in einen Trancezustand zu versetzen, könnte lebensgefährliche Folgen haben. Beim Laufen sieht das anders aus. Speziell bei Ultraläufen, also Distanzen über die klassische Marathondistanz hinaus, erschafft unser System einen Zustand, der fast schon als Entspannung bezeichnet werden kann. Im vollen Gegensatz zur geleisteten körperlichen Extrembelastung.

EIN TRAUM WIRD WIRKLICHKEIT

Auf einer Trainingsrunde kam mir dann in genau dieser Stimmung eine weitreichende Idee. Laufen auf allen sieben Kontinenten. Ultraläufe. In einem Zeitraum von 12 Monaten. Ein Gedanke, der sich schnell im Gehirn als Traum festsetzt. Soweit ich recherchieren konnte, hatte das genau ein Läufer vor mir geschafft. Eine Herausforderung, die sich mit meiner steigenden Reiselust bestens vereinbaren lässt.

Es soll eingebunden werden in ein Hilfsprojekt. Das Thema hierfür muss Kinder und Asien beinhalten. Unsere Sprösslinge in hiesigen fürsorglichen Ländern behütet aufwachsen zu sehen, im Wissen, dass es nicht vielen auf unserem Planeten so gut geht, hat mich darin bekräftigt. Von früheren Reisen nach Nepal bestand bereits Kontakt zu einer Hilfsorganisation vor Ort.

Ein Projekt war schnell definiert. An einer Schule in einem abgelegenen Gebiet in der Everestregion war die Bibliothek seit dem Erdbeben 2015 zerstört. Sämtliche Bücher sind verschollen. Der Aufbau des Gebäudes und ein besserer Zugang zu Bildung von über 1.000 Kindern sind Motivation genug. Das Budget zum Aufbau in Höhe von 28.000 US-Dollar sollte erreichbar sein.

Irgendwann habe ich von den ausgefallensten Wettkämpfen auf unserem Planeten gehört: ein Lauf in der Antarktis, all die Wüstendinger, Läufe in 5.000 Metern Höhe usw. Während der Vorstellung des Projekts bei einer Marketingexpertin wies sie mich auf einen Makel hin. Sieben Ultraläufe auf sieben Kontinenten in 12 Monaten klingt nicht rund und ist schlecht zu vermarkten. Um Spender zu finden, muss ein gut kommunizierbares Konzept erstellt werden.

Es wäre besser, den Zeitrahmen ebenfalls auf die Zahl sieben festzulegen. Also nicht sieben Jahre, sondern sieben Monate. Da haben wir den Salat. Die Herausforderung wird nicht geringer. Interessanterweise nimmt der Ansporn in gleichem Maße zu. Es sind nicht die Aufgaben, die uns leichter fallen, von denen wir schwer abzubringen sind. Im Gegenteil, lassen uns große Projekte über uns hinauswachsen.

Die Idee ist super. Das hat so noch niemand gemacht. Als experimentierfreudiger Mensch bin ich sofort dabei. Etwas kribbelt in mir. Ich kann es kaum erwarten, an der ersten Startlinie zu stehen. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg.

Nach Übergewicht und Dauerstress hat mich der Sport wieder auf die Spur gebracht. Und dass es jetzt Extremsport sein soll, dem ich mich hingebe, liegt im Auge des Betrachters. Durch das Herantasten an Grenzen und das Überschreiten derselben, oder besser das Verschieben der Komfortzone, adoptiert der Körper Belastungen.

Es mag jemanden extrem vorkommen, dass ich einen 100-Meilen-Lauf absolviere oder 24 Stunden am Stück renne. Für mich ist es extrem, Dinge zu erledigen, bei denen ich mich nicht wohlfühle, die ich nicht kann. Zum Beispiel als Pilot die ständige Verantwortung für Passagiere zu übernehmen. Oder kranke Menschen zu pflegen. Oder komplizierte physikalische Zusammenhänge zu untersuchen. Da gibt es unzählige Beispiele, die nicht in meiner Komfortzone liegen. Für Menschen, die sich nicht mit Ausdauersport beschäftigen, ist ein Marathon bereits extrem.

Laufen geht immer und überall. Witterungsverhältnisse spielen dabei eine ebenso untergeordnete Rolle wie Geländestruktur oder Untergrund. Selbstverständlich macht ein Lauf in einer inspirierenden Umgebung umso mehr Spaß. Für die einen ist das der in der Nähe liegende Wald, andere lieben Bewegung im Urbanen. Hauptsache, die Blutzirkulation ankurbeln, das Herz-Kreislauf-System aktivieren und stärken.

Unsere viel zu oft geschonten Knochen und Gelenke jauchzen vor Freude. Sehnen und Bänder helfen unterstützend. Der gesamte Bewegungsapparat dankt es uns mit geringerer Anfälligkeit gegenüber Verletzungen. Ja, sogar gegenüber Infekten. Und laufen stärkt Toleranz. Gegenüber Menschen im Allgemeinen. Und gegenüber dem eigenen Leben.

Ambitionierte trainieren dabei anders als Gesundheitsläufer. Das Ziel ist bei beiden gleich. Ein zufriedenes Lächeln nach absolvierter Einheit unter der Dusche als Belohnung.

Etwas vorsichtig müssen wir dann aber doch mit der Verherrlichung des Laufens umgehen. Klar, das Buch hier handelt von einem Laufprojekt und den Vorzügen, die diese zyklische Vorwärtsbewegung mit sich bringt. Es spielt aber weniger eine Rolle, welche Art von Sport ausgeübt wird. Zufriedenheit und Befriedigung dabei empfinden. Das ist es, was zählt.

Da gibt es ja noch unzählige andere Möglichkeiten der aktiven Freizeitgestaltung. Man darf sich da nicht zu ernst nehmen. Jeder hat seine eigene Lebensphilosophie. Bewusst oder unbewusst. Ich mag es, einfach und mit Leichtigkeit den Alltag zu bestreiten.

Unsere Existenz ist zeitlich begrenzt. Wir stehen zwangsläufig hin und wieder komplexen Aufgaben und Anforderungen gegenüber. Dann kann es in der Freizeit auch mal etwas schlichter zugehen. Laufen ist kinderleicht. Ein Paar Laufschuhe, wenn überhaupt, genügen.

Sportliche Ziele zu finden, ist nicht schwer. Die eigenen Fähigkeiten und Bedürfnisse abzuschätzen, dann aber schon. Oft sind wir zu vorsichtig. Bauen bereits beim Formulieren von Absichten Sicherheitsmargen ein.

Ein Marathon ist für einen Laufanfänger unvorstellbar. 42 Kilometer. Allein diese Zahl lässt die Poren die Schweißproduktion ankurbeln. Speziell für Menschen, die erst spät in ein sportliches Leben einsteigen, ist eine gesunde Herangehensweise unumgänglich.

Step by Step. Anfangs nicht zu viel wollen. Das „Was?“ muss klar sein. Dann kümmert dich auch das „Wie?“ wenig. Über das „Warum?“ machen wir uns hier mal keine Gedanken. Die Steigerung kommt dann wie von selbst. Für mich gibt es da nur eine Überlegung. Was ein anderer kann, kann ich auch. Und manchmal auch noch viel mehr. Was spricht dagegen?

Wir wachsen mit unseren Aufgaben. Das ist aber noch nicht alles. Wir entwickeln uns mit jeder neuen Herausforderung weiter. Ohne Innovationen würden wir vermutlich immer noch durch die Savanne streifen und unser Nachtlager in Höhlen finden. Es sind die bedeutenden Schritte, die die Menschheit weitergebracht haben.

Die Erfindung von Feuer, Zeit, Ackerbau, Elektrizität, von Rad oder Computer sind Meilensteine in der Geschichte. Und die Anpassungen nehmen an Geschwindigkeit zu. Moderne Medien werden von allen Altersklassen mittlerweile mit Leichtigkeit bedient. Noch vor ein paar Jahren galten Computergrundkurse für Senioren als Standard.

Unterdessen steht Facebook für das einfachste Onlinekommunikationsmedium, um mit Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben, Neues aus allen Ecken der Welt zu erfahren und Geschichten zu teilen. Altersschichtenübergreifend. Ständig am Mobiltelefon abrufbar. Fluch und Segen zugleich. Auch wenn sich der eine oder andere die gute alte Zeit zurückwünscht, die Zukunft hält unaufhörlich Einzug.

Für uns getriebene Kreaturen kann das zu Stress führen. Wir wollen stets up to date bleiben. Jede Modernisierung mitgehen. Dabei wäre es ab und an sinnvoller, uns als Individuum zu betrachten und nicht nur das Gesamtbild der Menschheit zu sehen. Was wollen wir? Worin liegen unsere Stärken?

Wir wägen uns als Zahnrad einer ständig in Bewegung pulsierenden Maschinerie. Ein schreckliches Bild, das so gezeichnet wird. Wenn einer ausfällt, kommt der Motor zum Erliegen. In der Realität sieht das anders aus. Jeder ist abkömmlich. Das wird uns bei einem krankheitsbedingten Ausfall schnell bewusst. Und ist dann auch ebenso schnell wieder vergessen, sobald es uns besser geht.

Auch wenn Laufen nicht der Heilige Gral unter den Sportarten ist, so bringt es uns doch eines näher. Ob sich unsere Umwelt progressiv entwickelt, spielt keine Rolle, die Laufgeschwindigkeit bleibt unverändert. Wir werden es nicht schaffen, unseren Schnitt von fünf Minuten pro Kilometer auf 30 Sekunden pro Kilometer zu erhöhen.

Das ist die gute Nachricht. Die weniger gute kommt prompt: Für viele ist eine Laufgeschwindigkeit von fünf Minuten pro Kilometer bereits purer Stress. Allerdings kein negativer. Zumindest nicht dauerhaft. Und wie die Entwicklung in den Epochen der Menschheitsgeschichte, treiben auch wir unsere eigene voran.

Konstantes Arbeiten am Körper und auch wohlverdiente Ruhepausen sind Bestandteile eines erfüllten Lebens. Wer einmal das befriedigende Gefühl nach einer Laufrunde im frisch duftenden Regen wahrgenommen hat, gönnt sich mehr davon. Und entwickelt nicht nur seinen Körper, sondern nebenher auch den Geist stetig weiter.

Ich mag es, beim Laufen abzuschalten. Neue Gedanken in sich aufkeimen zu lassen. Oder einfach nichts zu denken und den Wind, die Sonne oder Kälte zu spüren. Allein oder mit anderen, beides hat seinen Reiz.

Wenn es aber an Ultradistanzen geht, bist du allein. Du musst Dinge mit dir selbst ausmachen. Kaum jemand absolviert mit dir ein mehrstündiges Lauftraining. Sind Ultraläufer deshalb Eigenbrötler oder Egoisten? Das hängt von der jeweiligen Persönlichkeit ab.

Im Allgemeinen kann man aber sagen, dass die Gemeinschaft der Ultraläufer eine sehr starke Gruppendynamik aufweist. Zusammenhalt und Respekt gegenüber den Mitstreitern sind größer als bei anderen Sportarten. Die Freude über den Erfolg des anderen wird geteilt. Das ist sicher ein entscheidender Reiz, der die langen Dinger ausmacht. Bei den Läufen herrscht eine entspannte Atmosphäre.

Trotz Wettkampfanspannung. Du gehst in deinen Körper und lernst immer neue Seiten an dir kennen. Die Intensität ist nie so hoch wie bei kürzeren, schnelleren Distanzen. Du nimmst Dinge bewusster wahr. In deiner Umgebung, aber auch an dir selbst. Deshalb sind Ultraläufer auch gern ohne großen Schnickschnack unterwegs.

Es wird oft als Philosophie bezeichnet. Ist aber nichts anderes, als störende Faktoren auszublenden. Was hilft es mir, meine Herzfrequenz bei einem 100-Kilometer-Lauf aufzuzeichnen? Wie motiviert würde ich sein, wenn mir mein Handy sagt: Kilometer 5 von 100. Einige Läufer sind mit Musik unterwegs. Ich genieße lieber jedes Geräusch um mich herum.

Und aus dieser Liebe und Überzeugung zum Laufen wurde der Run for Children geboren. Ein hoch angesetztes Ziel motiviert. Sieben Monate, sieben Etappen-Ultraläufe über eine Gesamtdistanz von knapp 1.700 Kilometern und unzähligen Höhenmetern in den unwirtlichsten Gegenden der Erde auf allen sieben Kontinenten. Mehr als eine Mission.

Einer läuft, viele spenden. Mit dem Erlös wird der Aufbau eines Schul- und Ausbildungsprojekts in Mainapokhari, Nepal, unterstützt. Während zwei Jahren wird mich dieses Hilfsprojekt fordern und begleiten. Viele Unbekannte stehen im Vorfeld im Raum. Das macht es umso spannender.

Wir haben den Drang, alles bis ins Detail planen zu wollen. Die Realität hält aber immer wieder Überraschungen bereit. Unser Leben verläuft nicht nach vorgefertigtem Drehbuch. Du bist dein eigener Autor. Die Handlung bestimmst du. Ebenso, was in deinem Buch vorkommt.

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Station 1/7

„THE HIDDEN TREASURE“, ALBANIEN, EUROPA

Der erste der sieben Läufe des Projekts Run for Children fand im September 2018 in Albanien statt. „The Hidden Treasure“ – der Name ist Programm. In einem Staat in Europa, von dem wir so wenig wissen. Mit Vorurteilen behaftet, hat es eines der ärmsten Länder unseres Kontinents nicht leicht, sich als Sportdestination einen Namen zu machen. Stefan Betzelt von „GlobalLimits“ will das ändern. Zum zweiten Mal lud er auf 220 Kilometer ein, das Land von seiner ursprünglichen Seite kennenzulernen.

Bereits nach der Ankunft in Tirana wird klar: Gegensätze sind in diesem Land an der Tagesordnung. Die moderne städtische Jugend verkörpert ein neues Zeitalter. Losgelöst von den semikommunistischen Strukturen der letzten Jahrzehnte und in Aufbruchstimmung. Aber doch irgendwie gefangen in den schwachen Wirtschaftsstrukturen.

Demgegenüber stehen die traditionellen Bewohner der Bergregionen. Seit der großen Landflucht in den 1990er-Jahren leben 54 Prozent der knapp drei Millionen Einwohner des Landes in den Städten. Wir aber laufen im weniger bevölkerten Hinterland.

Wie ist so ein Mehrtageslauf, auch Etappenlauf genannt, aber eigentlich aufgebaut? Es gibt da die verschiedensten Strukturen. Eines haben alle gemeinsam. Die Gesamtstrecke wird auf mehrere Tage verteilt. Bei den meisten Veranstaltungen ist mindestens eine Etappe über eine Ultradistanz, also mehr als die klassische Marathonstrecke, zu absolvieren.

Gestartet wird gemeinsam. Jeder Läufer kann das Tagesziel in seinem eigenen Tempo erreichen. Sofern er innerhalb der Cutoff-Zeit bleibt. Vom ambitionierten Renner bis zum genießenden Walker trifft man auf ein breites Spektrum an Teilnehmern. Eines haben alle gemeinsam: Spaß an Bewegung und Abenteuerlust im unbekannten Terrain.

Die meisten Etappenläufe finden an sehr speziellen Locations statt. Hier im Buch sind nur sieben präsent. Es gibt über den gesamten Globus verteilt unzählige mehr.

Ab der ersten Etappe in Albanien wird klar: Das Land hat richtig Berge. Etwa die Hälfte der Fläche des Balkanstaates sind Gebirgszüge. Auf den höchsten, den 2.764 Meter hohen Korab, müssen wir zwar nicht rauf, aber von Beginn an haben die Streckenmarkierer auf Höhenmeter gesetzt.