Kai Dröge, Andrea Glauser (Hg.)
Digitalisierung
der Wissensarbeit
Interdisziplinäre Analysen und Fallstudien
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Macht Technik die menschliche Arbeit irgendwann überflüssig? Die Frage ist alt, stellt sich heute aber auf neue Weise. Denn es sind auch Berufe aus dem Feld der Wissensarbeit betroffen, die lange als geschützt galten. Algorithmen und künstliche Intelligenz dringen in Bereiche vor, in denen bisher menschliche Analysefähigkeiten unverzichtbar waren. Aber daneben passieren auch viele subtile Veränderungen, mit denen die Digitalisierung die Gestalt und Bedeutung von Wissensarbeit nachhaltig verändert. Dieser Band spürt solchen Verschiebungen nach: Er verknüpft Überlegungen aus Soziologie, Betriebswirtschaftslehre und Arbeitspsychologie mit Fallstudien zur Arbeitswelt.
Vita
Kai Dröge forscht und lehrt an der Hochschule Luzern und ist assoziierter Wissenschaftler am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main.
Andrea Glauser ist Professorin für Kulturwissenschaft an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.
Kai Dröge und Andrea Glauser: Einleitung
Literatur
I Soziologische, arbeitspsychologische und betriebswirtschaftliche Perspektiven
Kai Dröge: Arbeit, Wissen, Digitalisierung – eine soziologische Annäherung
1Werden wir ersetzbar? Beruflicher Wandel und Digitalisierung
1.1Upgrading – wenn Berufe anspruchsvoller, aber auch interessanter werden
1.2Polarisierung – Verlierer und Gewinnerinnen
1.3Flexibilisierung und Entgrenzung
2Über das komplexe Wechselspiel von technologischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen
Literatur
Peter Kels: Zur Digitalisierung und Algorithmisierung von Arbeit im Kontext wissensbasierter Organisationen
1Race against the machine? Wissensarbeit im Spannungsfeld zwischen Automatisierung, Spezialisierung und Zukunftskompetenzen
2Building a smarter workforce? People Analytics im Personalmanagement
Literatur
Andrea Glauser: Face-to-Face-Kommunikation in der digitalen Arbeitswelt
Literatur
Leila Gisin, Jens O. Meissner und Philipp Ott: Auswirkungen des digitalen Wandels auf Wissensarbeitende aus arbeits- und organisationspsychologischer Perspektive
1Einleitung
2Die individuelle Ebene: Anforderungen, Chancen und Risiken
2.1Prototypen
2.1.1Persona »Sandra Könitz« – »Mobiles Arbeitskraftunternehmertum«
2.1.2Persona »Ursula Meyerhans« – »Portfoliowork auf mehreren Standbeinen«
2.1.3Persona »Noah Schmid« – »Solo-Entrepreneurship«
2.2Auswirkungen, Chancen, Risiken und Herausforderungen einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt
2.2.1Digitale Souveränität führt vorerst zu disruptiven Veränderungsprozessen
2.2.2Chancen für Wissensarbeitende im digitalen Zeitalter
2.2.3Risiken für Wissensarbeitende im digitalen Zeitalter
2.2.4Herausforderung Selbstmanagement
2.2.5Herausforderung Boundary-Management
2.2.6Herausforderung Arbeitsgestaltungskompetenz
2.2.7Herausforderung spezifisches Expertenwissen
3Anforderungen auf organisationaler Ebene
3.1Entscheidungsdilemmata von Organisationen als Herausforderungen der digitalisierten Arbeitswelt
3.2Herausforderung betriebliches Gesundheitsmanagement
3.3Entwicklung eines neuen Führungs- und Managementverständnisses
4Schlussfolgerungen und Fazit
Literatur
Ulrich Egle und Markus Hodel: Digitaler Wandel der Wissensarbeit – betriebswirtschaftliche Perspektiven
1Einleitung
2Digitale Geschäftsmodelle
2.1Kundennutzen
2.2Schlüsselressourcen
2.3Schlüsselprozesse
2.4Profitformel
3Exponentielle Organisationen als Rollenmodelle in der digitalen Welt
4Digitale Technologien als Basis digitaler Geschäftsmodelle
5Chancen und Gefahren der Digitalisierung in ausgewählten Schwerpunkten der Wertschöpfungskette
6Fazit
Literatur
Ulrich Egle, Imke Keimer und Markus Gisler: Digitalisierung des Controllings – Analysen mit dem Reifegradmodell »DigiCon«
1Reifegradmodell DigiCon
2Digitalisierung im Controlling bei einem Medtech-Unternehmen
2.1Ausgangslage
2.2Standortbestimmung
2.3Roadmap
3Fazit
Literatur
II Fallstudien
Chantal Magnin: Zwischen demokratischem Engagement und Reputationsschaden – zum Gebrauch sozialer Medien durch Nichtregierungsorganisationen
1Nichtregierungsorganisationen als Pioniere
2Einblick in den Arbeitsalltag ausgewählter Nichtregierungsorganisationen
3Verbreitung und Beobachtung von Inhalten als Dauerbeschäftigung
4Spezifische Art und Weise des Kommunizierens
5Nur ansatzweise strategische Verankerung
6Kaum Spenden, aber viele Hasskommentare
7Fazit
Literatur
Markus Hodel und Franziska Kohler: Neue Möglichkeiten der Ressourcenbeschaffung in Start-ups durch die Digitalisierung
1Einleitung
2Klassische Make-or-buy-Überlegungen in Start-ups
Kompetenz
Qualität
Kosten
Zeit
Abhängigkeit
3Neue Möglichkeiten der Ressourcenbeschaffung durch die Digitalisierung
3.1Sharing Economy
Fallbeispiel Artiazza
3.2Crowdsourcing
Crowd Innovation durch digitale Communities
Fallbeispiel YAMO
Crowdfunding
Crowdworking
Auf Start-ups spezialisierte Ressourcenanbieter und Dienstleistungen
Fallbeispiel startups.ch
4Schlussfolgerungen
Literatur
Franziska Kohler: Virtuelle Teams: Auswirkungen der Digitalisierung auf die Zusammenarbeit, Kommunikation und Führung
1Einleitung
2Möglichkeiten und Chancen von virtuellen Teams
2.1Effizientes Arbeiten durch zeit- und ortsunabhängige Kommunikationsmittel
2.2Flexible Gestaltungsspielräume der Arbeit und Stärkung der Work-Life-Balance
2.3Veränderung des Führungsverständnisses
3Schwierigkeiten und Herausforderungen von virtuellen Teams
3.1Bedürfnis nach direkten Kontakten und Beziehungen sowie nach Face-to-Face Kommunikation
3.2Abnahme von Zugehörigkeitsgefühl und Vertrauen
3.3Kommunikationsmittel und Themen aufeinander abstimmen
3.4Erforderliche Arbeitskompetenzen und Abgrenzung zwischen Arbeits- und Privatleben
3.5Technische Störungen
4Fazit
Literatur
Kai Dröge: »Wie eine authentische Person, die hier lebt« – über die Arbeit von Airbnb-Hosts
1»Es ist auch ein bisschen Arbeit« – professionelle Beherbergung versus private Gastfreundschaft
2»Du musst denen die Informationen geben« – über das Management von Ambivalenzen
2.1Den Raum (er)klären – Dinge und Orte zwischen Privatheit und Öffentlichkeit
2.2Den wechselseitigen Umgang (er)klären – professionelle Dienstleistung vs. persönliche Begegnung
3Vom Sightseeing zum »Lifeseeing« – die Arbeit an authentischen Erlebnissen
3.1Die Suche nach Authentizität und ihre Widersprüche
3.2Normalität, Authentizität und erlebniswerte Ereignisse
Fazit
Literatur
Ludwig Zurbriggen: Digitalisierung der öffentlichen Hand: Wandel der Arbeit in Gemeinden und Kantonen
1Einleitung
2Chancen der Digitalisierung für die öffentliche Verwaltung
3Anforderungen
4Gefahren
5Druck durch den Vorgesetzten und Überwachung
6Erwartungen an Mitarbeiter
7Fazit: Was tun?
Literatur
Marianne Rychner und Andrea Glauser: Wo die Gäste zu Sterntools greifen und die Könige sich nicht immer wie solche benehmen: Hotels und ihr Personal im digitalen Kundenvisier
1Sagen oder schreiben? Eine grundlegende Differenz zweier Kommunikationsmodi
2Dauerbeobachtung und das Paradox versuchter Selbstoptimierung
3Erpressung, real und als Damoklesschwert
4Interkulturelle Missverständnisse und die Orientierung an der Konstruktion eines Normgastes
5»Cooling out«
6Bewertungsportale: relativiert, kritisiert – und dennoch von Gewicht
Literatur
Peter Kels und Laura Hämmerle: Karriere und Networking in digitalen Businessnetzwerken – am Beispiel LinkedIn
1Einleitung
2Karriereselbstmanagement und Selbstkuratierung als gesellschaftliche Norm
2.1Neue Spielregeln für Arbeitsmarktfähigkeit und Karriereerfolg
2.2Normen und Praktiken des »Doing Singularity«
3Karriere- und Vernetzungshandeln auf LinkedIn
3.1Das Businessnetzwerk LinkedIn
3.2Profilbildung, Networking- und Karrierestrategien hochqualifizierter Angestellter auf LinkedIn
3.2.1Die strategischen Netzwerker
3.2.2Die Instrumentalisierungskritiker
3.2.3Die Anlassbezogenen
4Interpretation und Diskussion
Literatur
Christiane Schnell: Automatenverkauf – vom Wandel der Bankberatung in Zeiten der Digitalisierung
1Industrialisierung des Privatkundengeschäfts
2Dimensionen der Entmoralisierung
2.1Entpersonalisierung
2.2Souveräne Kunden
2.3Vom Bring- zum Holgeschäft
2.4Materielle Werteordnung
2.5Durchsetzung von Absatzzielen
3Der Amazonisierung die Schleusen geöffnet …
4 Von der Herrschaft der Zahlen zur Herrschaft der Daten
Literatur
Autorinnen und Autoren
Kai Dröge und Andrea Glauser
»Sie lenken und beaufsichtigen industrielle Arbeitsvorgänge, ersetzen die Menschen, vertreiben sie aus den Büros und von den Arbeitsplätzen an den Fließbändern.«
Diese Zukunftsvision über die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt könnte durchaus aus einer der zahlreichen aktuellen Publikationen stammen, etwa zum Thema Industrie 4.0. Geschrieben wurde dieser Satz aber bereits 1956. Unter dem Titel »Die Magie der Roboter« berichtete Der Spiegel damals ausführlich über die Errichtung eines neuen »Elektronengehirns« in Frankfurt am Main (der Begriff Computer war noch nicht geläufig), eine »400 Zentner schwere Denkapparatur«, dem damals größten und schnellsten digitalen Rechner in Europa (Der Spiegel 1956: 42).
Es war die Zeit, als die ersten Großrechner in den Unternehmen und Verwaltungen Einzug hielten. Sie füllten noch ganze Räume und wurden auf einfache Weise per Lochkarte programmiert, hatten aber schon bei Wahlprognosen oder in der Lohnbuchhaltung großer amerikanischer Unternehmen ihr Potenzial bewiesen. Damit brach in der Geschichte der Technisierung der Arbeitswelt eine neue Epoche an. Bisher war vor allem die manuelle Arbeit durch leistungsfähige Maschinen ersetzt worden. Jetzt wurde sichtbar, dass sich auch geistige Arbeit bis zu einem gewissen Grad technisch automatisieren ließ und die neuen Rechenmaschinen dabei dem Menschen in Geschwindigkeit und Präzision häufig überlegen waren (Heintz 1993, Heßler 2015).
»Können Elektronengehirne denken?« (Der Spiegel 1956: 53), fragte der Artikel folgerichtig, und gab eine durchaus differenzierte Antwort: Einerseits folgten die neuen »Geistesroboter« einem starren Programmablauf und ließen somit die für den menschlichen Geist charakteristische Flexibilität und Kreativität vermissen. Anderseits aber seien sie lernfähig, könnten »Erfahrungen« speichern und auf dieser Grundlage ihre Entscheidungen verbessern. Der Artikel ließ ausführlich Norbert Wiener zu Wort kommen, Mathematiker und visionärer Vordenker des Computerzeitalters, der eindringlich warnte, wir könnten »der größten Arbeitslosigkeit entgegengehen, die wir je erlebt haben«, wenn die vollautomatisierte Fabrik erst einmal Wirklichkeit geworden sei (Der Spiegel 1956: 51 f.).
Allerdings hielt der Artikel auch eine andere, positivere Zukunftsperspektive bereit. Im Zusammenspiel mit den neuen digitalen Rechnern könne der menschliche Geist zu ungeahnten Höhenflügen ansetzen: Wissenschaftliche Probleme, deren Bearbeitung zuvor viele Jahre in Anspruch genommen hätte, ließen sich jetzt in Stunden oder Tagen lösen, Meteorologen könnten ihre Prognosen stark verbessern, und auch für viele Beschäftigte in den Büros würde der Einzug des Computers große Vorteile bringen: »Frei von der eintönigen Routinearbeit, wird der Mensch zunehmend wieder Zeit für schöpferische Aufgaben haben.« (ebd.: 42)
Dieses Schlaglicht auf die Frühgeschichte der Computerentwicklung zeigt, dass die Diskussion um Digitalisierung von Beginn an zwei wichtige Deutungsmuster geprägt hat, die wir auch aus der heutigen Debatte kennen (Heßler 2015): Einmal die Befürchtung, dass die neuen Maschinen die kognitiven Fähigkeiten des Menschen in vielen Bereichen ersetzen und überflüssig machen könnten, zum anderen die Hoffnung, dass sie als Werkzeuge des menschlichen Geistes dessen Möglichkeiten ähnlich stark erweitern würden, wie zuvor bereits Dampfmaschine und Elektrizität die Grenzen der menschlichen Körperkraft überwunden hatten.
Vor allem diese zweite, positive Sicht hat sich dann einige Jahre später mit einer anderen Debatte verbunden, in der es darum ging, welche Produktivkräfte für die kapitalistischen Wirtschaften des Westens nach dem absehbaren Ende des Industriezeitalters leitend sein könnten. In diesem Zusammenhang hat der US-amerikanische Ökonom Peter F. Drucker im Jahr 1959 den Begriff »Knowledge Work« (Wissensarbeit) erstmals in die Diskussion gebracht und in den Folgejahren in vielfältigen Varianten popularisiert (Drucker 1959). Auch in den an Daniel Bell (1975) anschließenden Analysen der postindustriellen Gesellschaft und Ökonomie ist die Wissensarbeit zentral: Die klassischen Produktivkräfte Boden und Kapital würden in entwickelten industriellen Gesellschaften an Bedeutung einbüßen, stattdessen werde die Entwicklung, Verbreitung und Anwendung von »Wissen« zur entscheidenden neuen Produktivkraft. »[G]egenüber Landwirtschaft, industrieller Produktion und (einfachen) Dienstleistungen nehmen wissensbasierte Tätigkeiten zu. Gegenüber Produkten mit hohen Wertanteilen an Arbeit und Material gewinnen Produkte die Überhand, deren Wert vorrangig aus der eingebauten Expertise (›embedded intelligence‹) besteht.« (Willke 1998: 162)
In diesen Diagnosen spielte die aufkommende Computertechnologie und die damit verbundenen neuen Formen der Informationsverarbeitung eine wichtige Rolle. Wie oben schon angedeutet, wurde insbesondere die ermöglichende Seite der neuen Technologie betont: als Motor für Forschung und Entwicklung, als Entlastung von (auch kognitiven) Routinetätigkeiten, als Freisetzung von Kreativität: »Während einfache Tätigkeiten und Dienstleistungen von Robotern übernommen werden, steigt der Bedarf an professioneller Expertise in allen Bereichen.« (Willke 1998: 163) Bis heute gilt, dass jeder Entwicklungsschritt der digitalen Technologien auch dem Diskurs um Wissensarbeit neue Nahrung gibt. Aktuell sind es insbesondere die Fortschritte in der künstlichen Intelligenz und Mustererkennung (etwa Sprach- und Bilderkennung), in der vernetzen Steuerung (Internet der Dinge, Industrie 4.0), im Bereich der Big-Data-Analysen und in der Expansion der sozialen Medien und digitalen Kommunikationsformen, die die Hoffnung auf neue Betätigungsfelder für innovative, kreative und technologisch versierte Wissensarbeit befeuern.
Gleichzeitig aber taucht mit jeder größeren Veränderung der digitalen Technologien auch die andere Frage wieder auf, ob nicht unsere kognitiven Fähigkeiten damit teilweise oder sogar irgendwann ganz ersetzbar werden. Lässt sich Wissen nicht weitaus besser digital speichern und analysieren? Was macht genuin menschliche Wissensformen noch aus? Treffen Algorithmen nicht unvoreingenommenere, schnellere und verlässlichere Entscheidungen als Menschen? »Unsere digitalen Maschinen haben ihre engen Grenzen gesprengt und zeigen allmählich grundlegende Fähigkeiten in der Erkennung von Mustern, komplexer Kommunikationen und anderen Bereichen, die vordem ausschließlich dem Menschen vorbehalten waren«, schreiben etwa Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee (2016: 112) in ihrer viel diskutierten Studie zum »Second Machine Age«. Gerade in den letzten Jahren hat sich (wieder) eine breite Debatte in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit darüber entwickelt, wie die Digitalisierung zahlreiche Tätigkeitsfelder umgestalten und ganze Berufe zum Verschwinden bringen könnte (vgl. dazu u. a. den Beitrag von Kai Dröge in diesem Band). Anders als früher, als die Automatisierung vor allem geringer qualifizierte Berufe in der Produktion, Verwaltung und teilweise auch im Dienstleistungssektor bedrohte, scheint heute kaum noch ein Tätigkeitsbereich davor geschützt zu sein. Einflussreiche Studien (beispielsweise Frey/Osborne 2013) legen den Beschäftigten nahe, sich eher auf ihre sozialen und kreativen Fähigkeiten zu verlassen, um einem zukünftigen Arbeitsplatzverlust zu entgehen. Qualifiziertes Fachwissen und analytische Fähigkeiten dagegen sind zwar weiterhin wichtig, gelten aber nicht mehr im selben Maße wie früher als Garant gegen einen Arbeitsplatzverlust durch Automatisierung.
Im Zuge der Verbreitung digitaler Technologien kommt es auch zu Verschiebungen in den Kommunikations- und Interaktionsformen sowie den Machtverhältnissen in der Arbeitswelt. Durch digitales »Crowdworking« bilden sich flexible Beschäftigungen heraus, aber auch neue Formen von Prekarität und sozialer Ungleichheit (Benner 2015). Wissensarbeit wird durch Überwachungsinstrumente und »People Analytics« akribisch vermessen und einer neuen Art der Steuerung unterworfen (vgl. dazu den Beitrag von Peter Kels in diesem Band), während im Internet die Produktion von »Content« verstärkt an die Nutzerinnen selbst übertragen wird, die als »Prosumer« die Inhalte auf Facebook, YouTube oder Instagram bereitstellen (Ritzer/Jurgenson 2010).
Solchen Veränderungen der Wissensarbeit spürt der vorliegende Band in einer interdisziplinären Perspektive und gestützt auf anschauliche empirische Fallbeispiele nach. Er versammelt Beiträge aus der Soziologie, der Arbeits- und Organisationspsychologie sowie der Betriebswirtschaftslehre, die ausgehend von divergierenden Erkenntnisinteressen und Grundannahmen den digitalen Wandel der Arbeitswelt in je spezifischer Weise beleuchten: Während sich die soziologischen Annäherungen vor allem für die soziale und kulturelle Einbettung der Digitalisierung sowie ihre Auswirkungen auf Interaktionen, Arbeitsverhältnisse und Berufe interessieren (Texte von Kai Dröge, Andrea Glauser und Peter Kels), fokussiert der arbeits- organisationspsychologische Beitrag hauptsächlich die Herausforderungen und Chancen für Individuen in einem sich radikal verändernden Arbeitsumfeld (Text von Leila Gisin, Jens O. Meissner und Philipp Ott). Die betriebswirtschaftlichen Beiträge wiederum gehen der Frage nach, was dieser Wandel in ökonomischer Hinsicht für Unternehmen bedeutet – welche Chancen und Risiken er birgt (Text von Ulrich Egle und Markus Hodel) und wie sich der Umgang von Organisationen mit digitalen Technologien – etwa im Bereich des Controllings – eruieren und bewerten lässt (Text von Ulrich Egle, Imke Keimer und Markus Gisler). Diese mehrheitlich literaturbasierten Artikel im ersten Teil des Bandes rücken auf der einen Seite Fragen in den Vordergrund, die in den letzten Jahren in den jeweiligen disziplinären Forschungszusammenhängen besonders für Diskussionen sorgten; auf der anderen Seite lenken sie den Blick auf interessante, aber bislang eher vernachlässigte Aspekte des digitalen Wandels.
Daneben geben im zweiten Teil des Bandes eine Reihe von empirischen Fallstudien Einblicke in sehr unterschiedliche Tätigkeitsbereiche: von klassischen wissensbasierten Berufen beispielsweise im Bankensektor oder Controlling bis hin zu neuen Betätigungsformen etwa in der Sharing Economy (Airbnb), von Start-ups bis in öffentliche Verwaltungen, vom Tourismus bis zum Engagement in NGOs. Während in der medialen Öffentlichkeit vor allem ›spektakuläre‹ Phänomene wie die Anwendungsfelder von künstlicher Intelligenz oder Algorithmen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, lenken diese Studien den Blick hauptsächlich auf die subtilen, aber nicht minder relevanten Verschiebungen, durch die sich Gestalt sowie Bedeutung von Wissensarbeit nachhaltig verändern. Wir sind bei der Auswahl der Fallstudien von einem breiten Verständnis von Wissensarbeit ausgegangen und haben bewusst auch Grenzfälle mit aufgenommen, an denen sich mitunter in besonders aufschlussreicher Weise studieren lässt, wie im Zuge von Digitalisierungsprozessen bestimmte gesellschaftliche Wissensbestände an Bedeutung gewinnen oder verlieren.
Auch wenn die Fallstudien ganz unterschiedlichen Feldern und Brennpunkten der Arbeitswelt gewidmet sind, zeichnen sich gewisse transversale Themen ab, denen für das Verständnis des digitalen Wandels besondere Bedeutung zukommt. Eines dieser Themen ist die Tendenz zur Flexibilisierung und Entgrenzung von Arbeit. Gerade die Wissensarbeit ist davon besonders betroffen, weil sie meist mit immateriellen Gütern (Informationen) befasst ist, die kaum ortsgebunden sind und sich leicht digital transferieren lassen. Zwar ist die Flexibilisierung und Entgrenzung der Arbeit keineswegs alleine der Verbreitung (mobiler) digitaler Technologien geschuldet; vielmehr sind diese Entwicklungen – konkret: die Individualisierung von Stellenprofilen, die Projektförmigkeit von Arbeit, das Gewicht informeller Beziehungen sowie Tendenzen des »Neopersonalismus« – typische Züge der aktuellen kapitalistischen Produktionsweise in westlichen Ländern (Boltanski/Chiapello 2003 [1999]: 165; vgl. auch Jessop 1991; Wagner/Hessinger 2008). Die Verbreitung (mobiler) digitaler Technologien unterstützt und akzentuiert diese Dynamiken jedoch in entscheidender Weise – sind sie doch mitunter gar Voraussetzung dafür, dass sich neuere Praktiken des flexiblen Arbeitens herausbilden konnten und die Abgrenzung von Arbeit und Freizeit, Öffentlichkeit und Privatheit in mancherlei Hinsicht durchlässig oder diffus geworden ist. Für die arbeitenden Subjekte bringt dies – wie verschiedene Beiträge dieses Bandes deutlich machen – durchaus widersprüchliche Dynamiken mit sich.
Auf der einen Seite eröffnen sich, wie etwa die Fallstudie von Ludwig Zurbriggen zur »Digitalisierung der öffentlichen Hand« und die Überlegungen von Leila Gisin, Jens O. Meissner, Philipp Ott zu den »Auswirkungen des digitalen Wandels auf Wissensarbeitende« zeigen, zeitliche, räumliche und soziale Freiheitsgrade in Bezug auf die Gestaltungsmöglichkeit von Arbeit, wobei die Kommunikation mittels E-Mail – so selbstverständlich sie (mittlerweile) auch scheinen mag – eine kaum zu überschätzende Rolle spielt. Darüber hinaus sind in den letzten Jahren, vor allem geknüpft an die Etablierung digitaler Plattformen, neue Arbeitsweisen jenseits klassischer Angestelltenverhältnisse oder freiberuflicher Tätigkeiten entstanden – etwa als Airbnb-Host (vgl. dazu die Fallstudie von Kai Dröge) oder in Form von zeitlich befristetem »Crowdworking«, das – wie der Beitrag von Ulrich Egle und Markus Hodel zeigt – im Zuge der Verbreitung digitaler Geschäftsmodelle stark an Bedeutung gewonnen hat. Diese neueren Formen des Arbeitens und die Gestaltungsmöglichkeiten, die sich durch die Verbreitung digitaler Technologien eröffnen, sind in vielerlei Hinsichten mit Herausforderungen und Risiken verknüpft. Das gilt nicht nur, wie oben angedeutet, für Fragen der sozialen Sicherung, sondern zentral auch für die Möglichkeit der Abgrenzung unterschiedlicher Lebensbereiche, was häufig unter dem Begriff des »Boundary Management« diskutiert wird: Sowohl im Kontext digitalisierter Büroarbeit wie auch (erst recht) als »Host« im Kontext von Airbnb obliegt die Grenzziehung zwischen Arbeit und Freizeit, Öffentlichkeit und Privatheit vermehrt den (arbeitenden) Subjekten, wobei sie in ihren Gestaltungsmöglichkeiten keineswegs schlicht frei, sondern mit vielfältigen und nicht selten diffusen Erwartungen konfrontiert sind und die Risiken ihrer Grenzziehungsarbeit über weite Strecken selbst zu tragen haben. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Flexibilisierung von Wissensarbeit in geradezu paradox anmutender Weise auch von Standardisierungstendenzen und die viel beschworene Tugend der Selbstverantwortlichkeit von neueren Praktiken der umfassenden digitalen Kontrolle und Bewertung arbeitender Subjekte begleitet wird (siehe dazu den Beitrag von Peter Kels »Zur Digitalisierung und Algorithmisierung von Arbeit im Kontext wissensbasierter Organisationen« sowie Christiane Schnells Fallstudie »Automatenverkauf – vom Wandel der Bankberatung in Zeiten der Digitalisierung«). Es wäre klar zu kurz gegriffen, die durch den digitalen Wandel eröffneten Möglichkeitsräume losgelöst von den gegenläufigen Tendenzen der Überwachung, der Standardisierung und Limitierung von Freiheitsgraden zu denken.
Ein zweites transversales Thema, das sich in den Analysen und empirischen Fallstudien als zentral erwiesen hat, ist die besondere Form von Öffentlichkeit, die durch das Internet – spezifischer noch: durch Social-Media-Formate – entstanden ist. Dieser können (und wollen) sich Organisationen und Individuen kaum entziehen, was wiederum Auswirkungen auf die Wissensarbeit in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern hat. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist insbesondere Chantal Magnins Fallstudie zu Nichtregierungsorganisationen und ihrem Gebrauch von sozialen Medien. Diese Studie schärft den Blick für die Spannungsfelder und Dilemmata, die sich ergeben, wenn NGOs ihre Anliegen über digitale Netzwerke wie Twitter und Facebook verbreiten. Nicht nur werden zwischen den thematisierten Anliegen – etwa dem Schutz von Menschenrechten – und den Geschäftspraktiken der genutzten Kanäle – etwa Facebook – aktuell oder potenziell Widersprüche deutlich; auch sehen sich solche Organisationen mit der Herausforderung konfrontiert, einen erheblichen Teil der zeitlichen Ressourcen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Online-Interaktionen zu investieren, wenn sie die Möglichkeit der Debatte und des Austauschs im Kontext von sozialen Medien nicht unterbinden und »Hasskommentare« unbeantwortet im Raum stehen lassen wollen. So prägt die Art und Weise, wie sich Kommunikation online entspinnt (Fitzpatrick 2018; Jarren 2019), die Arbeit in vielen Nichtregierungsorganisationen wesentlich mit. Stark verändert hat sich mit der Entstehung des Internets – vor allem dem Aufkommen digitaler Bewertungsplattform – auch die Arbeit in der Hotellerie. Dieser Thematik spürt die Fallstudie von Marianne Rychner und Andrea Glauser nach. Die Autorinnen fragen danach, was passiert, wenn flüchtige, persönliche Interaktionen durch Bewertungsportale ins grelle Licht der Öffentlichkeit rücken, und wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter damit umgehen, dass sie quasi Objekte von Dauerbewertung geworden sind.
Das Interesse an unterschiedlichen Strategien im Umgang mit digital fundierten Öffentlichkeit(en) teilt dieser Beitrag mit der Fallstudie von Peter Kels und Laura Hämmerle zu digitalen Businessnetzwerken am Beispiel von LinkedIn. Im Zentrum steht hier die Frage, wie hochqualifizierte Angestellte solche Netzwerke nutzen (oder auch bewusst meiden), welche Chancen und Gefahren sie mit einem entsprechenden digitalen Engagement verbinden und wie sich die Differenzen in den Gebrauchsweisen soziologisch verstehbar machen lassen. So verschiedenartig die untersuchten Bereiche, Medien und Netzwerke auch sind – es zeichnet sich auf breiter Basis ab, dass Akteure die neu entstandenen digitalen Öffentlichkeit(en) nicht nach Belieben ignorieren oder kontrollieren können und dass deren Präsenz das Arbeiten in komplexer Weise prägt. Auch sind sie gewissermassen dazu gezwungen, Stellung zu beziehen – sich in einer bestimmten Art und Weise zu diesen Erscheinungen zu verhalten. Der Soziologe Heinrich Popitz (1992: 30 ff.) hat dieses mit der Herstellung und Verbreitung von Technologien verbundene Phänomen als wichtige Dimension von Macht identifiziert und unter dem Begriff der »datensetzenden Macht« eingehend analysiert.
Ein drittes Thema von transversaler Relevanz ist das Verhältnis von technisch vermittelter Kommunikation und Face-to-Face-Kommunikation. Es ist eng mit der erstgenannten Thematik – der Flexibilisierung und Entgrenzung von Arbeit – verknüpft. Durch die Verbreitung digitaler Technologien und die Etablierung entsprechender Infrastrukturen hat sich in den letzten Jahren die Möglichkeit von Kommunikation noch stärker als früher von den Anforderungen einer zeitlichen und räumlichen Kopräsenz der involvierten Akteure ›emanzipiert‹. Dies macht sich in vielerlei Formen in der gegenwärtigen Arbeitswelt bemerkbar. Das Vorhandensein digitaler Kommunikationstechnologien erweitert beispielsweise das Spektrum der Ressourcenbeschaffung von Start-ups, indem es die Kommunikation gerade auch mit räumlich entfernten Kooperationspartnerinnen und -partnern vereinfacht und beschleunigt (vgl. die Fallstudie von Markus Hodel und Franziska Kohler zu dieser Thematik). Auch leisten die digitalen Technologien der Herausbildung neuer Arbeitsweisen Vorschub – so etwa dem Arbeiten in virtuellen Teams, das Franziska Kohler in ihrer Fallstudie genauer unter die Lupe nimmt. Sie zeigt auch, dass die Möglichkeit digital vermittelter Interaktion die Kommunikation unter Anwesenden nicht etwa gänzlich irrelevant macht; für die Pflege informeller Kontakte und für komplexe, vergleichsweise persönliche Gesprächsinhalte ist die räumliche und zeitliche Kopräsenz der Kommunikationspartnerinnen und -partner nach wie vor wichtig. Diese These vertritt auch Andrea Glauser in ihrem Beitrag zu »Face-to-Face-Kommunikation in der digitalen Arbeitswelt«, der, gestützt auf soziologische Studien, der Frage nachgeht, was genau die Kommunikation unter Anwesenden so schwer substituierbar macht und inwiefern diese im Kontext digitalisierter Arbeitswelten sogar zusätzlich an Relevanz gewinnt. Als Diskussionsbeispiel dient unter anderem das Phänomen der Coworking Spaces, das mittlerweile auch in ländlichen Gegenden anzutreffen ist und in dem sich der digitale Wandel in seiner Widersprüchlichkeit und Komplexität pointiert zeigt.
Bell, Daniel (1975), Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt am Main/New York.
Benner, Christiane (Hg.) (2015), Crowdwork – zurück in die Zukunft? Perspektiven digitaler Arbeit, Frankfurt am Main.
Boltanski, Luc/Chiapello, Ève (2003 [1999]), Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz.
Brynjolfsson, Erik/McAfee, Andrew (2016), The second machine age. Work, progress, and prosperity in a time of brilliant technologies, New York/London.
Drucker, Peter F. (1959), The Landmarks of Tomorrow, New York.
Der Spiegel (3.10.1956), »Elektronengehirne: Die Magie der Roboter«, https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43064251.html, letzter Zugriff: 23.7.2019, S. 42–53.
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Heintz, Bettina (1993), Die Herrschaft Der Regel: Zur Grundlagengeschichte des Computers, Frankfurt am Main/New York.
Heßler, Martina (2015), »Die Ersetzung des Menschen? Die Debatte um das Mensch-Maschinen-Verhältnis im Automatisierungsdiskurs«, in: Zeitschrift für Technikgeschichte, H. 82, S. 109–136.
Jarren, Otfried (2019), »Veto-Spieler und Populisten. Social Media und Plattformen fordern die Demokratie heraus«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.6.2019, S. 16.
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Popitz, Heinrich (1992), Phänomene der Macht, 2. Aufl., Tübingen.
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