Über dieses Buch

Cover

»Das witzigste Buch der letzten 500’000 Jahre« sagte Terry Pratchett über diesen Roman. Fachleute haben ihn als fundierteste Einführung in die Anfänge der Menschheit gelobt. In England, Frankreich und den USA Ist er ein Longseller. Auch hierzulande kann nach der Lektüre nun niemand mehr behaupten, unsere Vorzeit sei grau gewesen.

Roy Lewis

Roy Lewis (1913–1996) arbeitete als Anthropologe und Journalist. Mehr als zwanzig Jahre war er als Auslandskorrespondent der Zeitungen The Economist und The Times tätig, u. a. in Afrika. Später lebte er in London, wo er den Kleinverlag Keepsake Press führte.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Hardcover, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Roy Lewis

Edward

Roman aus dem Pleistozän

Aus dem Englischen von Viky Ceballos

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

HINWEIS: Ihr Lesegerät arbeitet einer veralteten Software (MOBI). Die Darstellung dieses E-Books ist vermutlich an gewissen Stellen unvollkommen. Der Text des Buches ist davon nicht betroffen.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 1960 unter dem Titel What We Did to Father bei Hutchinson, London.

Originaltitel: What We Did to Father (1960)

© by Roy Lewis 1960

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30672-1

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 20.07.2020, 01:48h

Transpect-Version: ()

DRM Information: Der Unionsverlag liefert alle E-Books mit Wasserzeichen aus, also ohne harten Kopierschutz. Damit möchten wir Ihnen das Lesen erleichtern. Es kann sein, dass der Händler, von dem Sie dieses E-Book erworben haben, es nachträglich mit hartem Kopierschutz versehen hat.

Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Dadurch ermöglichen Sie den Autoren, Bücher zu schreiben, und den Verlagen, Bücher zu verlegen.

http://www.unionsverlag.com

mail@unionsverlag.ch

E-Book Service: ebook@unionsverlag.ch

Unsere Angebote für Sie

Allzeit-Lese-Garantie

Falls Sie ein E-Book aus dem Unionsverlag gekauft haben und nicht mehr in der Lage sind, es zu lesen, ersetzen wir es Ihnen. Dies kann zum Beispiel geschehen, wenn Ihr E-Book-Shop schließt, wenn Sie von einem Anbieter zu einem anderen wechseln oder wenn Sie Ihr Lesegerät wechseln.

Bonus-Dokumente

Viele unserer E-Books enthalten zusätzliche informative Dokumente: Interviews mit den Autorinnen und Autoren, Artikel und Materialien. Dieses Bonus-Material wird laufend ergänzt und erweitert.

Regelmässig erneuert, verbessert, aktualisiert

Durch die datenbankgestütze Produktionweise werden unsere E-Books regelmäßig aktualisiert. Satzfehler (kommen leider vor) werden behoben, die Information zu Autor und Werk wird nachgeführt, Bonus-Dokumente werden erweitert, neue Lesegeräte werden unterstützt. Falls Ihr E-Book-Shop keine Möglichkeit anbietet, Ihr gekauftes E-Book zu aktualisieren, liefern wir es Ihnen direkt.

Wir machen das Beste aus Ihrem Lesegerät

Wir versuchen, das Bestmögliche aus Ihrem Lesegerät oder Ihrer Lese-App herauszuholen. Darum stellen wir jedes E-Book in drei optimierten Ausgaben her:

Modernste Produktionstechnik kombiniert mit klassischer Sorgfalt

E-Books aus dem Unionsverlag werden mit Sorgfalt gestaltet und lebenslang weiter gepflegt. Wir geben uns Mühe, klassisches herstellerisches Handwerk mit modernsten Mitteln der digitalen Produktion zu verbinden.

Wir bitten um Ihre Mithilfe

Machen Sie Vorschläge, was wir verbessern können. Bitte melden Sie uns Satzfehler, Unschönheiten, Ärgernisse. Gerne bedanken wir uns mit einer kostenlosen e-Story Ihrer Wahl.

Informationen dazu auf der E-Book-Startseite des Unionsverlags

1 

Wenn ein scharfer Nordwind blies und sein eisiger Atem uns daran erinnerte, dass die große Gletscherkappe weiter vorrückte, stapelten wir unsere Holz- und Reisigvorräte vor der Höhle, zündeten ein prasselndes Feuer an und sagten uns, dass die Gletscher noch so weit gegen Süden wandern mochten – sogar bis nach Afrika –, uns konnten sie nichts anhaben, denn wir waren jetzt gewappnet!

Den Nachschub für ein großes Feuer sicherzustellen war allerdings ziemlich anstrengend. Obwohl sich ein zehn Zentimeter dicker Zedernast mit einer anständigen Quarzitklinge in zehn Minuten abschneiden lässt, waren es letztlich die Elefanten und die Mammuts, die uns warm hielten, denn sie hatten die zuvorkommende Angewohnheit, Bäume auszureißen, um die Stärke ihrer Stoßzähne und Rüssel zu testen. Beim Elephas antiquus war dieser Sport verbreiteter gewesen als bei seinem modernen Artgenossen, denn er war noch ganz darauf versessen, sich weiterzuentwickeln. Einem Tier in der Evolutionsphase liegt nichts mehr am Herzen als die Länge seiner Zähne. Die Mammuts aber, die sich als fast perfekt betrachteten, rissen nur noch Bäume aus, wenn sie wütend waren oder den Frauenzimmern imponieren wollten. Während der Brunft brauchten wir also bloß den Herden zu folgen und das Brennholz einzusammeln. In der übrigen Zeit konnte ein gut gezielter Stein hinter das Ohr eines weidenden Mammuts Wunder wirken: Wenn man Glück hatte, versorgte es einen mit Brennmaterial für einen ganzen Monat. Bei den großen Mastodonten funktionierte dieser Trick unfehlbar. Einen Baobab nach Hause zu schleppen allerdings, das ist ganz schön anstrengend. Er brennt zwar ausgezeichnet, hält einen aber auf hundert Fuß Distanz. Man soll nicht übertreiben. Wenn jedoch der Frost kam und die Gletscher des Kilimandscharo und Ruwenzori unter die Zehntausendfußgrenze rückten, waren wir froh über ein schönes Feuer, das tagelang brannte.

In den klaren Winternächten stoben die Funken bis zu den Sternen, das grüne Holz zischte, das trockene Holz prasselte, und unser Feuer leuchtete durchs ganze Rifttal wie eine Riesenfackel. Wenn die Temperatur in den Ebenen tief genug sank und der endlose nasskalte Regen unsere schmerzenden Gelenke knarren ließ, pflegte uns Onkel Wanja zu besuchen.

Schhhh-schhhh-schhhh – hörten wir ihn durch die Baumkronen hangeln, wenn der Urwaldverkehr einen Moment ruhte. Manchmal knackte Unheil verkündend ein überladener Ast, dann folgte ein unterdrückter Fluch, der zu einem wirklich tierischen Gebrüll anschwoll – was bedeutete, dass Onkel Wanja hinuntergeplumpst war.

Kurz darauf trat er mit seinem typischen schlenkernden Gang in den Feuerschein: eine massige Gestalt mit langen, fast am Boden schleifenden Armen, einem Quadratschädel zwischen den breiten, haarigen Schultern, blutunterlaufenen Augen und krampfhaft verzogenen Lippen, um ja seine bleckenden Eckzähne vorstehen zu lassen. Er wirkte wie jemand, der gezwungen lächelnd eine todlangweilige Party über sich ergehen lässt. Als ich ein kleiner Junge war, fürchtete ich mich vor ihm. Später entdeckte ich jedoch hinter seinem schrulligen Gehabe – unter dem in Wirklichkeit er am meisten litt – einen liebenswürdigen Kerl, der immer ein paar Wacholderbeeren oder eine Handvoll Feigen für einen Jungen übrig hatte, der sich – wie er naiv glaubte – von der natürlichen Wildheit seines Auftretens beeindrucken ließ.

Doch wie er redete! Argumentierte!

Er grüßte kaum, nickte Tante Mildred kurz zu, hielt schnell seine klammen, blaugefrorenen Hände über das Feuer, um dann gleich wie ein Nashorn mit gesenktem Kopf auf Vater zuzusteuern, seinen langen Zeigefinger anklagend auf die ganze Welt gerichtet, als wolle er uns allesamt aufspießen. Und legte los. Vater ließ den Schwall Anschuldigungen geduldig über sich ergehen. Wenn Onkel sich etwas beruhigt, vielleicht ein paar Aepiornitheseier oder zwei, drei Durians gegessen hatte, ging Vater zum Gegenangriff über. Er parierte Onkel Wanjas Schläge mit sanften, ironischen Einwänden, gestand seine Freveltaten freimütig ein und münzte sie in Verdienste um, was bei Onkel Wanja sprachlose Verblüffung hervorrief.

Ich glaube, die beiden waren einander im Grunde sehr zugetan, obwohl sie sich ihr Leben lang stritten. Aber wie hätte es anders sein können? Schließlich waren sie aufrichtige Pithekanthropi mit unerschütterlichen Prinzipien, an die sie sich ebenso unerschütterlich hielten, bloß dass diese Prinzipien in jeder Beziehung diametral entgegengesetzt waren. Jeder ging unbeirrt seinen Weg, fest davon überzeugt, dass der andere sich in einem verhängnisvollen Irrtum befand hinsichtlich der Richtung, in der die anthropoide Spezies sich zu entwickeln hatte. Doch ihre persönlichen, wenn auch meist stürmischen Beziehungen blieben davon unberührt. Sie diskutierten, sie schrien sich an, aber zu Handgreiflichkeiten kam es nie. Obwohl Onkel Wanja uns gewöhnlich wutschnaubend verließ, kehrte er immer wieder zurück.

Beim ersten Streit zwischen den im Aussehen und Gebaren so ungleichen Brüdern, an den ich mich erinnern kann, ging es um die grundsätzliche Frage, ob es zweckmäßig sei, in kalten Nächten ein Feuer zu haben. Ich kauerte in respektvollem Abstand vor dem verwundeten, Funken sprühenden, gefräßigen roten Ding und sah zu, wie Vater es mit bewunderungswürdiger Nonchalance fütterte. Die schwatzenden Frauen hockten eng beieinander und lausten sich gegenseitig; meine Mutter, wie immer etwas abseits, starrte mit ihren dunklen, verträumten Augen zu Vater und dem Feuer hinüber, während sie den Brei für die entwöhnten Kinder kaute. Dann stand plötzlich Onkel Wanja da, eine drohende Gestalt, die mit Weltuntergangsstimme sprach: »Du hast es also tatsächlich geschafft, Edward«, polterte Onkel Wanja los. »Ich hätte es mir denken können, dass es früher oder später geschehen würde, aber ich war so naiv zu glauben, dass es auch für deinen Wahnsinn Grenzen gibt. Ich habe mich natürlich geirrt! Ich brauche dir bloß eine Stunde lang den Rücken zu kehren, und schon stellst du neuen Unsinn an. Und jetzt das! Edward, habe ich dich nicht gewarnt? Habe ich dich als älterer Bruder nicht angefleht, in dich zu gehen? Dein Verhalten zu überdenken, bevor du dich und deine ganze Familie in eine nicht wiedergutzumachende Katastrophe stürzt? Ich warne dich mit zehnfachem Nachdruck: Hör auf, Edward. Hör auf, bevor es zu spät ist, hör auf – wenn es nicht schon zu spät ist …«

Onkel Wanja musste Luft holen, bevor er den pathetischen, aber offenbar schwer abzuschließenden Satz zu Ende führte, was Vater nutzte, um ihm ins Wort zu fallen.

»Was war los, Wanja? Wir haben dich eine ganze Weile nicht gesehen. Komm, wärm dich, alter Junge. Wo hast du bloß die ganze Zeit gesteckt?«

Onkel machte eine ungeduldige Handbewegung. »Gar nicht weit weg. Ein ziemlich schlechtes Jahr für die Früchte und Gemüse, aus denen meine Kost hauptsächlich besteht …«

»Ich weiß, ich weiß«, sagte Vater teilnahmsvoll. »Sieht ganz so aus, als ob wir einer interpluvialen Zeit entgegengehen. Ich habe festgestellt, dass die Dürre sich ausbreitet.«

»Wie auch immer. Kein Grund zur Sorge«, antwortete Onkel Wanja mürrisch. »Im Wald gibt es noch eine ganze Menge zu essen, man braucht bloß die Augen aufzumachen. In meinem Alter muss man sich bekömmlich und artgerecht ernähren, also habe ich mich wie jeder vernünftige Primat ein bisschen umgesehen … Ich bin bis in den Kongo vorgedrungen, wo es für jedermann Nahrung in Hülle und Fülle gibt, ohne dass man so tun muss, als hätte man die Zähne eines Leoparden, den Magen einer Ziege oder die Vorlieben und Manieren eines Schakals, Edward!«

»Jetzt übertreibst du aber, Wanja«, protestierte Vater.

»Ich bin gestern zurückgekommen«, fuhr Onkel Wanja fort, »hatte aber ohnehin die Absicht, euch zu besuchen. Und als es dunkel wurde, wusste ich gleich, dass irgendetwas nicht stimmt. Soweit mir bekannt ist, gibt es elf Vulkane in dieser Gegend, Edward. Elf, nicht zwölf! Ärger im Anzug, habe ich mir gesagt, und mir schwante, dass nur einer dahinterstecken konnte. Mit Angst im Herzen und entgegen jeglicher Hoffnung hoffend bin ich herbeigeeilt … Ich habe mich also nicht geirrt. Privatvulkane! Auch das noch. Du hast es also tatsächlich geschafft, Edward!«

Vater grinste verschmitzt. »Ist das dein Ernst, Wanja? Sind wir deiner Meinung nach tatsächlich am Wendepunkt angelangt? Ich habe es mir auch überlegt, aber wie soll man sicher sein? Es ist zweifellos ein Wendepunkt im Aufstieg des Menschen, aber ob es wirklich der Wendepunkt ist?«, Vater kniff die Augen in gespielter Verzweiflung zusammen, was für ihn typisch war in gewissen Situationen.

»Wie soll ich wissen, ob es ein Wendepunkt oder der Wendepunkt ist«, schimpfte Onkel Wanja. »Ich maße mir nicht an zu wissen, was du zu tun glaubst, Edward. Typisch, dich selbst übertreffen zu wollen. Lass es dir gesagt sein: Dies hier ist das perverseste und widernatürlichste …«

»Widernatürlich, hast du gesagt?«, unterbrach ihn Vater aufgeregt. »Wenn dem so sein sollte, Wanja, dann gäbe es das künstliche Element im subhumanen Leben schon seit der Einführung des Steinwerkzeugs. Vielleicht war das der entscheidende Schritt! Und dies hier ist bloß die logische Weiterentwicklung. Übrigens, du benützt doch auch Flintsteine, oder? Also …«

»Darüber haben wir schon tausendmal diskutiert«, fiel ihm Onkel Wanja ins Wort. »In vernünftigem Maße eingesetzt, verstoßen Werkzeuge und Geräte nicht gegen die Naturgesetze. Die Spinnen fangen ihre Beute mit dem Netz; die Vögel bauen zweckmäßigere Nester als wir; und wer weiß, wie oft die Affen eine Kokosnuss auf deinen Dickschädel hinuntergeworfen haben. Oder etwa nicht? Das erklärt vielleicht deine Hirngespinste. Erst vor ein paar Wochen habe ich gesehen, wie eine Horde Gorillas ein paar Elefanten mit Knüppeln angegriffen hat – Elefanten, stell dir das vor! Mit Holzknüppeln. Ich bin bereit, schlicht behauene Kiesel als natürliches Werkzeug anzusehen, vorausgesetzt, man wird mit der Zeit nicht allzu abhängig davon und versucht nicht, sie unnötig zu vervollkommnen. Ich bin nicht reaktionär, Edward, ganz gewiss nicht. Aber das hier …! Das ist etwas ganz anderes. Wohin soll das bloß führen? Es betrifft uns alle. Sogar mich. Du könntest ja den ganzen Wald abbrennen damit. Was soll dann aus mir werden, frag ich dich?«

»Keine Sorge, ich glaube nicht, dass es so weit kommt, Wanja«, beruhigte ihn Vater.

»Du glaubst nicht …! Sag mal, Edward, hast du das Ding überhaupt im Griff?«

»Hm … mehr oder weniger. Mehr oder weniger, weißt du …«

»Was meinst du mit mehr oder weniger? Entweder du hast es im Griff, oder du hast es nicht im Griff. Spiel nicht den Klugscheißer. Kannst du es löschen zum Beispiel?«

»Wenn man es nicht füttert, geht es von selbst aus«, verteidigte sich Vater.

»Edward, ich warne dich! Du hast etwas in Gang gesetzt, was du möglicherweise nicht mehr kontrollieren kannst. Es geht von selbst aus, wenn man es nicht mehr füttert? Großartig. Und wenn es eines Tages beschließt, sich selbst zu füttern? Was dann?«

»Es ist noch nicht vorgekommen«, brummte Vater verärgert. »Tatsache ist, dass ich die ganze Zeit nichts anderes tue, als es zu füttern, vor allem in Regennächten.«

»Da kann ich dir bloß raten, gleich damit aufzuhören, bevor du eine Kettenreaktion auslöst. Wie lange spielst du nun schon mit dem Feuer?«

»Ich habe es vor ein paar Monaten entdeckt. Weißt du, Wanja, es ist ein faszinierendes Ding. Es eröffnet ungeahnte Möglichkeiten. Ich will damit sagen, man kann eine Unmenge damit anfangen. Weit mehr als bloß die Höhle zentral beheizen, was im Übrigen an sich schon ein großer Schritt vorwärts ist. Ich habe erst damit angefangen, verschiedene Anwendungsmöglichkeiten zu studieren. Nimm den Rauch zum Beispiel: Ob du es glaubst oder nicht, er erstickt Fliegen und hält die Mücken fern. Natürlich ist das Feuer ein brenzliges Ding. Es lässt sich schwer transportieren. Es ist unersättlich, frisst wie ein Bär. Es kann frech werden und schmerzhaft zuschnappen, wenn man nicht aufpasst. Vor allem aber, es ist absolut neu! Es eröffnet ungeahnte Perspektiven in …«

Ein Aufschrei unterbrach seine Ausführungen. Onkel Wanja hüpfte verzweifelt auf einem Fuß herum. Er war, ohne es zu merken, auf ein rot glühendes Stück Holz getreten, und ich beobachtete von meinem Platz aus gespannt, was geschehen würde; doch er war so in die Diskussion mit Vater vertieft, dass er weder das Zischen noch den seltsamen Geruch bemerkt hatte. Jetzt hatte die Glut seine Hornhaut durchgenagt und ihn in die nackte Ferse gebissen.

»Auaaa!«, brüllte Onkel Wanja. »Verdammt, Edward! Es hat mich gebissen! Da siehst du, wohin deine höllischen Erfindungen führen. Auaaa! Was habe ich gesagt? Es wird euch noch alle auffressen. Sitzt auf einem Vulkan, jawohl! Ich bin fertig mit dir, Edward! Du wirst vernichtet werden, in null Komma nix, du und deine ganze Sippe. Das hast du davon. Auaaa! Ich kehre auf die Bäume zurück. Du bist einen Schritt zu weit gegangen diesmal, Edward! Genau wie seinerzeit der Brontosaurus!«

Darauf verschwand er humpelnd im Wald.

Back to the trees! Sein heulender Schlachtruf war eine gute Viertelstunde lang zu hören.

»Wenn du mich fragst … ich glaube, es ist Wanja, der einen Schritt zu weit gegangen ist«, sagte Vater zu Mutter, während er sorgfältig mit einem Laubzweig die Erde um die Feuerstelle sauber fegte.

2 

Nichtsdestotrotz kehrte Onkel Wanja viele Male zurück, um seine Warnungen zu wiederholen – vor allem in kalten oder regnerischen Nächten. Seine bösen Ahnungen ließen sich auch durch unsere offensichtlichen Fortschritte in der Handhabung des Feuers nicht zerstreuen. Wenn wir ihm vorführten, wie es sich mit Wasser löschen ließ, wie es sich in mehrere Feuer zerstückeln ließ wie ein Aal, wie man es an der Spitze dürrer Zweige transportieren konnte, schnaubte er bloß verächtlich. Obwohl all diese Experimente von Vater genauestens überwacht wurden, verurteilte Onkel Wanja sie samt und sonders: Naturwissenschaftliche Bildung bestand für ihn ausschließlich aus Botanik und Zoologie, und er war entschieden dagegen, auch Physik in den Evolutionsplan mit einzubeziehen.

Wir hingegen stellten uns sehr schnell darauf ein. Die Frauen traten am Anfang zwar nicht rasch genug zur Seite und verbrannten sich. Und eine Zeit lang schien es, als würde die jüngste Generation überhaupt nicht überleben. Vater war jedoch der Ansicht, dass jeder aus den eigenen Fehlern lernen müsse. »Ein gebranntes Kind scheut das Feuer«, pflegte er vertrauensvoll zu sagen, wenn ein weiteres Baby in lautes Geheul ausbrach, weil es einen »Leuchtkäfer« hatte fangen wollen.

Er behielt recht.

Schließlich waren das alles Bagatellen im Vergleich zu den Nutzen. Unser Lebensstandard stieg und stieg bis ins Unvorstellbare. Bevor wir Feuer hatten, lebten wir äußerst bescheiden. Wir waren von den Bäumen heruntergestiegen, wir besaßen die Steinaxt, das war ungefähr alles, und jeder Zahn, jede Klaue, jedes Horn in der Natur war offensichtlich auf uns gerichtet. Wir betrachteten uns zwar als Bodengänger, doch wenn wir in eine Sackgasse gerieten, mussten wir hin und wieder trotzdem auf die Bäume flitzen. Wir ernährten uns noch vorwiegend von Beeren, Wurzeln und Nüssen; um unseren Proteinbedarf zu decken, griffen wir nicht ungern auf fette Raupen oder Maden zurück. Es mangelte uns beständig an nährstoffreicher Nahrung, obwohl wir für unsere physische Evolution dringend darauf angewiesen waren. Einer der wichtigen Gründe, den Wald zu verlassen, war die zwingende Notwendigkeit, unseren Speisezettel mit einem anständigen Stück Fleisch zu bereichern. In den Ebenen gab es jede Menge Fleisch – das Problem war nur, dass es durchweg vierbeinig war. In den weiten Steppen wimmelte es nur so von Jagdwild: von großen Bisonherden, Büffeln, Impalas, Spießböcken, Weißschwanzgnus, Kamas, Antilopen, Gazellen, Zebras und Pferden, um nur die zu nennen, die wir allzu gern zum Lunch gegessen hätten. Doch vierbeiniges Fleisch zu jagen, wenn man selbst noch etwas Mühe hat, auf zwei Beinen zu gehen, ist keine einfache Sache; wir waren ja gezwungen, uns aufzurichten, um das hohe Savannengras überblicken zu können. Selbst wenn wir ein großes Huftier erwischten – was konnten wir damit anfangen? Es malträtierte einen mit Fußtritten. Manchmal gelang es uns, ein lahmes Tier einzuholen, aber es ging unweigerlich mit den Hörnern auf einen los. Um es zu Tode zu steinigen, brauchte es eine ganze Horde von Affenmenschen. Mit einer Horde kann man Wild umzingeln und zur Strecke bringen; aber um eine Horde zusammenzuhalten, braucht es regelmäßigen, reichlichen Nahrungsnachschub. Das ist der älteste Teufelskreis der Ökonomie: Um Beute zu erjagen, braucht es ein Team von Jägern. Um ein Team zu ernähren, ist man auf regelmäßige Beute angewiesen, denn sonst sind die Essenszeiten so unregelmäßig, dass man nur eine kleine Gruppe, höchstens drei oder vier, ernähren kann.

Wir mussten daher ganz unten anfangen und uns mühsam, Schritt um Schritt, nach oben arbeiten. Wir begannen mit Kaninchen, Klippdachsen und kleineren Nagern, die man problemlos mit einem Stein erlegen kann. Wir studierten die Gewohnheiten von Fluss- und Landschildkröten, von Eidechsen und Schlangen. Mit einem Steinmesser kann man Niederwild relativ mühelos zerlegen – wenn es tot ist. Ohne die kräftigen Eckzähne der Karnivoren lassen sich die schmackhaftesten Teile zwar nur schwer in Stücke reißen, aber man kann sie zumindest mit Steinen weich klopfen, bevor man sie mit den Backenzähnen zerkaut, die ursprünglich für eine ausschließlich vegetarische Ernährung vorgesehen waren. Weiches Fleisch schmeckt im Allgemeinen nicht besonders, aber wer sein Gehirn fit halten will und hungrig ist vor lauter Auf-den-Hinterbeinen-Stehen, kann es sich gar nicht leisten, genäschig zu sein. Wir stritten uns um die zarten Stücke und bevorzugten schleimige Tiere, weil sie unsere Zähne und unsere Verdauung schonten.

Ich bezweifle, dass sich heute noch viele daran erinnern, was für qualvolle Verdauungsstörungen wir in den Gründerzeiten erleiden mussten – und wie viele Opfer sie forderten. Unsere Stimmung wurde ständig durch Magenschmerzen versauert. So ist die finstere, mürrische Grimasse anthropoider Pioniere der Urzeit viel eher auf den Zustand ihrer Magenschleimhaut als auf ihre Verdrießlichkeit oder Wildheit zurückzuführen. Bei chronischem Dickdarmkatarrh verfinstert sich das sonnigste Gemüt. Ein Irrtum zu glauben, wir hätten problemlos alles verschlungen, so widerlich und zäh es auch sein mochte, nur weil wir eben erst von den Bäumen herabgestiegen und daher »der Natur näher« waren. Im Gegenteil! Von rein vegetarischen Essgewohnheiten – was damals fast ausschließlich Früchtekost bedeutete – auf eine vielseitige Ernährung überzugehen ist ein schwieriger und schmerzhafter Prozess, der unsägliche Geduld und hartnäckige Ausdauer verlangt, bis man herausfindet, wie man Dinge hinunterwürgt, die einen nicht nur anekeln, sondern einem auch noch schlecht bekommen. Nur mit unerbittlichem Ehrgeiz, erbarmungsloser Selbstdisziplin und dem Wunsch, sich in der Natur einen besseren Platz zu sichern, kann man diese Übergangsphase durchhalten. Ich will nicht bestreiten, dass man zwischendurch unerwartet auf kleine Leckerbissen stößt, aber das Leben besteht nicht nur aus Schnecken und Bries. Hat man sich einmal vorgenommen, sich ausgewogen zu ernähren, muss man eben lernen, alles zu essen, und in Zeiten, in denen man nie weiß, woher die nächste Mahlzeit kommt, muss man zudem alles aufessen. Nach dieser Regel wurden wir als Kinder strikt erzogen; ein Kind, das maulte, »Mummy, ich mag keine Kröten«, forderte die Ohrfeige heraus. »Iss auf, das ist gesund« – das war der Leitspruch meiner Kindheit, und er stimmt: Die Natur, wunderbar anpassungsfähig, härtete unsere kleinen Eingeweide ab und brachte sie dazu, Unverdauliches zu verdauen.