Johannes Dillinger

Hexen und Magie

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit glaubten viele Menschen an Geister und Dämonen; Magie gehörte zum Alltag. Johannes Dillinger führt in diese Welt ein und erläutert die kulturellen Bedingungen, unter denen Vorstellungen wie Hexentanz und Teufelspakt entstanden. Dabei zeigt er, warum - neben Kirche, Staat und Wissenschaft – auch die Bevölkerung eine Verfolgung der Hexen nicht nur tolerierte, sondern sogar forderte. Er rekonstruiert die sozialen und politischen Voraussetzungen der Hexenprozesse sowie die Durchführung der Hexenjagden; er verknüpft dies mit einer Einführung in die historische Hexenforschung der vergangenen Jahrzehnte. Sein Ausblick in die Gegenwart verdeutlicht, dass der Hexenglaube nach wie vor lebendig ist. »Johannes Dillingers Einführungswerk … ist rundum gelungen.«

Weiterführende Materialien zum Buch unter http://www.campus.de/spezial/historische-einfuehrungen

Vita

Johannes Dillinger ist Professor für die Geschichte der Frühen Neuzeit; er lehrt an der Brookes University, Oxford, und an der Universität Mainz.

Inhalt

1. Einführung

2. Magie und Hexerei: Definitionen in Gegenwart und Vergangenheit

2.1 Magie

2.2 Aberglauben und Volksglauben

2.3 Der elaborierte Hexereibegriff

3. Magie und Geisterglauben: Inhalte und Deutungen

3.1 Sparten und Träger von Magie

3.1.1 Gelehrtenmagie

3.1.2 Volksmagie

3.2 Geisterglauben

3.2.1 Natur- und Hausgeister

3.2.2 Totengeister

3.3 Dämonologie

3.3.1 Grundlagen

3.3.2 Die Hexenlehre: Inhalte und Autoren

3.3.3 Bedeutung der Dämonologie

3.3.4 Besessenheit

3.4 Der Hexensabbat: Magier und Ketzer werden Hexen

3.4.1 Die Nachtfahrt

3.4.2 Die Versammlung der Teufelsdiener

3.4.3 Die soziokulturelle Bedeutung des Sabbats

4. Voraussetzungen und rechtliche Bedingungen der Hexenprozesse

4.1 Ursachen

4.2 Der Hexenprozess: Gesetze und Verfahren

5. Strukturen und Akteure der Hexenverfolgungen

5.1 Prozesszahlen

5.2 Inquisition

5.3 Weltliche Gerichte: Systeme geringer Distanz

5.3.1 Hexenverfolgungen »von oben«

5.3.2 Hexenverfolgungen »von unten«

5.4 Weltliche Gerichte: Systeme großer Distanz

5.3.4 Politische Konflikte um Hexenprozesse

6. Die Opfer der Hexenverfolgungen

6.1 »Realitätsthesen«: Hexenprozessopfer als religiös-kultische Gruppe?

6.2 Hexenverfolgung = Frauenverfolgung?

6.3 Spezifische Verdachtsmomente

7. Das Ende der Hexenverfolgungen

7.1 Kritische Autoren

7.2 Wandel in Administration und Gesetzgebung

7.3 Soziale Veränderungen

8. Magie und Hexen nach den Hexenverfolgungen

8.1 Weiterbestehen der Hexenangst

8.2 Neue Möglichkeiten, neue Märkte, neue Magie

8.3 Alte Magie und neue Religionen

8.3.1 Crowley: Publicity und Magie

8.3.2 Neopaganismus

8.3.2 Satanismus

9. Schlussbetrachtung

Institutionen und Kooperationen

Auswahlbibliographie

Glossar

Personen- und Ortsregister

1. Einführung

Die historische Hexenforschung ist alt und jung. Sie ist alt, da die historische Untersuchung der Entstehung des Hexenglaubens bereits lange vor dem Ende der Hexenverfolgungen einsetzte. Sie ist jung, weil sie sich in den 1960er Jahren ganz neu konstituierte und seitdem floriert wie wenige andere geschichtswissenschaftliche Forschungsfelder. Im Verlauf der letzten fünfzig Jahre sind Magie und Hexen vom Rand der Geschichtswissenschaft in deren Mitte gerückt. Die rasante Entwicklung der historischen Magie- und Hexenforschung hat das Bild von Mittelalter und Früher Neuzeit insgesamt verändert. Die Hexenforschung darf heute nicht nur als zentraler Bestandteil der Historiografie der Frühen Neuzeit gelten, sondern auch als eine der Wegbereiterinnen der neuen Kulturgeschichte.

Das vorliegende Buch über Magie und Hexen soll in das volatile und breite Forschungsfeld einführen und als Orientierung dienen. Es konzentriert sich auf die Historiografie der europäischen Hexenverfolgungen. Hexerei ist jedoch nur ein Teilaspekt des riesigen Bereichs der Magie. Die historische Hexenforschung hat diesen Bereich niemals ausgeklammert, sondern ihn immer weiter aufgeschlossen. Daher sollen Hexerei und Hexenprozess auch in diesem Band in den größeren Kontext der Magie gestellt werden. Die wichtigsten Ergebnisse der neuen Forschung zum Glauben an Magie und Hexerei werden präsentiert. Unterschiedliche Fragestellungen und Interpretationen, die für die Erforschung von Magie wichtig geworden sind, werden kritisch referiert.

Geschichte der Hexenforschung

Da es hier nicht um eine Geschichte der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Magie und Hexenverfolgungen steht, genügt ein sehr kurzer Überblick über die Forschungsentwicklung (vgl. Behringer 2004). Eine erste ausführliche Geschichte der Hexenvorstellung und der Hexenprozesse legte Christian Thomasius 1712 vor. Dem Juristen Thomasius ging es wie späteren aufgeklärten Autoren noch darum, durch die Historisierung der Hexenimagination zu beweisen, dass die Hexenverfolgungen, die sie selbst noch erlebten, Unrecht waren. Die Schuld an diesem Unrecht schrieb Thomasius der katholischen Kirche und ihrer Inquisition zu. Das populäre Verständnis von Hexenprozessen bewegt sich zum Teil auch heute noch auf diesem Niveau. Dazu konnte es kommen, weil die historische Erforschung der Hexenprozesse insbesondere im deutschen Kernland der Verfolgungen von der aufklärerischen Debatte des 18. in die konfessionell-kulturkämpferische des 19. Jahrhunderts geriet. Bezeichnend ist, dass die aus Quellen geschöpfte, konfessionell neutrale Überblicksdarstellung von Wilhelm Soldan aus dem Jahr 1843 1880 so umgearbeitet wurde, dass sie wiederum zur Polemik geriet (Soldan 1880). Zwischen Schuldzuweisung und Apologetik entwickelten sich Materialschlachten, die umfangreiche Quellen der Forschung zur Verfügung stellten. Mit Goethe als Stichwortgeber entwickelte sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts unter der Ägide Jacob Grimms die Auffassung, dass die Opfer der Hexenprozesse tatsächlich die Anhänger einer vorchristlichen Religion gewesen seien. Vermittelt über die Vergangenheitspolitik des Nationalsozialismus hat sich auch diese sehr fragwürdige Interpretation in das vorwissenschaftliche Geschichtsbild unserer Gegenwart retten können (Dillinger 2015). Der Primat von Politik und staatlichen Institutionen in der Geschichtswissenschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts überließ die Hexen ideologisch motivierten Autoren und Heimatforschern.

Midelfort-Schule

Der wesentliche Anstoß zur Entstehung der neuen historischen Hexenforschung kam von der Anthropologie. Hier war die Magie als Teil des sozialen Gefüges in ihrer Bedeutung für Weltsicht und Alltag dargestellt worden. Mit der dezidierten Übernahme anthropologischer Fragestellungen in die historische Beschäftigung mit Magie und Hexenverfolgungen gab der britische Historiker Thomas 1963 den Startschuss für die neue Hexenforschung. Sein US-amerikanischer Kollege Midelfort legte nicht nur 1968 einen ersten Überblick über diese Forschungsrichtung vor, sondern widmet sich, an ihr orientiert, Quellen aus Deutschland, dem Zentrum der Hexenverfolgung. Dabei wandte sich Midelfort anders als Thomas dezidiert den konkreten administrativen und rechtlichen Verhältnissen an den Schauplätzen der Verfolgungen zu. Diese Herangehensweise machte Schule: Die Regionalstudie, die Hexenverfolgungen in ihrem gesellschaftlichen und politischen Kontext darstellte, wurde zum wichtigsten Modus der historischen Hexenforschung (Thomas 1963; Midelfort 1968; Midelfort 1972).

Die regional orientierte Forschung flankiert ein neues Interesse an Magie und Hexenimaginationen in der Rechts- und Geistesgeschichte. Dass Hexen- und Magieforschung nie nur Hexenprozessforschung war, impliziert, dass sie sich nicht auf die Frühe Neuzeit einengen lässt. Magie in der Antike und im Mittelalter sind längst ausführlich thematisiert worden. Die Perspektive der Geschichtsschreibung der Magie wird seit mehreren Jahren auch in Richtung auf die Gegenwart hin verlängert. Arbeiten zum Zauber- und Geisterglauben im 19. und 20. Jahrhundert modifizieren das nie so recht glaubwürdige Klischee der entzauberten Moderne (Doering-Manteuffel 2008; Butler 2011; Josephson-Storm 2017).

Die Magie- und Hexenforschung trägt einen starken historischen Akzent. Sie ist in ihrer konkreten Gestalt jedoch interdisziplinär: Neben den unterschiedlichen Sparten der Geschichtswissenschaft beteiligen sich vor allem Theologie, Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte, Volkskunde, Anthropologie, Medizin und Rechtswissenschaft an der Debatte.

Die vorliegende Darstellung konzentriert sich auf die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Magie. Weitere Einschränkungen sind unumgänglich. Alchemie und Astrologie stellen in sich so komplexe historische Forschungsfelder dar, dass sie hier nur im Rahmen eines knappen Überblicks über die Gelehrtenmagie gestreift werden. Ausgeklammert bleibt die in ganz anderen kulturellen Bezugsrahmen stehende Magie der Antike (vgl. dazu Luck 1985; Graf 1996; Gordon 1999; Ogden 2008).

Quellen

Welche Quellen geben Antworten auf die historische Frage nach Magie? Hier fällt zunächst das unmittelbar magische Schrifttum in den Blick. Zauberbücher geben Auskunft über das magische Denken. Sie zeigen, wie magische Zusammenhänge und Wirkungsmöglichkeiten imaginiert wurden. Ihre Sprache lässt erkennen, für Leser welchen Bildungsstandes die Schrift gedacht war. Dabei ist zu bedenken, dass die für den Markt produzierten Zauberbücher des 18. Jahrhunderts häufig aus geringfügig älteren Versatzstücken zusammengesetzte Kompilationen sind.

Ihrem Charakter als Gerichtsverfahren entsprechend haben sich die Hexenprozesse in vielerlei Akten niedergeschlagen. Die Prozessunterlagen selbst umfassen meist nicht nur das Urteil und die Aussagen der Beklagten (Verhör, bei Schuldspruch die Urgicht) sondern auch umfangreiche Zeugenverhöre. Gerichtsüberlieferung bildet nie einfach Realität ab, sondern konstruiert Plausibilität in alltagsfernen und stark von Machtgefälle geprägten Kommunikationssituationen. Dies gilt für Hexenprozesse, die unter dem Anspruch der Dämonologie ein imaginäres Delikt verhandelten, in besonderer Weise. Gleichwohl wird in Prozessakten bei kritischer Lektüre nicht nur der Blick auf die konkrete Konstruktion des Hexereideliktes in der Kommunikation von Zeugen, Beklagter und Verhörrichtern frei, sondern auch auf den frühmodernen Alltag. Diese Quellen sind über die Magieforschung hinaus von größtem Interesse. Selbst wenn die Prozessakten selbst nicht erhalten sind, können Kostenrechnungen und Vermerke über Hinrichtungen in Stadtratsprotokollen Auskunft über Prozesse geben. Falls Gutachten bei Juristenfakultäten eingeholt wurden, vermitteln diese gute Überblicke über den jeweiligen Prozess und zeigen konkret die Bedeutung von Recht, Dämonologie und Verfahrenskritik im juristischen Entscheidungsprozess. Hexenprozesse waren nie unumstritten: Behördenkorrespondenzen zwischen dem jeweiligen Kriminalgericht und seinen übergeordneten Instanzen bieten einen Einblick in die Strukturen und inneren Spannungen des Justizapparates. Editionen bzw. Transkriptionen haben kleine Auswahlen von Prozessakten leicht zugänglich gemacht (Hille 2008: Rügge 2015; Behringer 72010; vgl. auch die Predigtensammlung Schmanck 2015).

Oberhalb der Ebene der konkreten Prozesse wird von der Geschichtswissenschaft theologisches bzw. dämonologisches und juristisches Schrifttum ausgewertet. Die Bedeutung normativer Quellen für die konkrete Verfolgung darf aber nicht überschätzt werden. Die wichtigsten dämonologischen Schriften liegen in neuen Ausgaben vor.

Nachrichtenflugschriften befassten sich immer wieder mit spektakulären Hexenprozessen bzw. Prozessverdichtungen. Flugschriften sind ein eigenes Genre und sollten als eigenes Thema untersucht werden. Sie als Tatsachenberichte zu lesen, wäre naiv. Als Quellen zu Hexenprozessen sollten sie, wenn es irgend möglich ist, mit einer Parallelüberlieferung verglichen werden. Zwischen Dämonologie und Flugschriften stehen umfangreichere Pamphlete (Gibson 2000).

Gerichtsakten lassen sich auch bei der Beschäftigung mit der Volksmagie auswerten. Prozesse gegen Zauberei, Schatzgräberei und den so genannten Aberglauben bieten reiches Material, daneben kann auf die Erwähnung alltagsmagischer Praktiken in Hexenprozessen zurückgegriffen werden. Von besonderer Bedeutung ist hier die Überlieferung der Rügegerichte, lokaler Gerichte, die sich mit geringfügigen Delikten befassten, worunter einfache Magie oder Magiebezichtigungen gerechnet werden konnten. Die Überlieferung des kirchlichen Aufsichtswesens spiegelt dessen Kampf gegen den Glauben an unterschiedlichste Arten von Magie wider. Für das Mittelalter können Bußbücher ausgewertet werden, wobei Harmenings Kritik (vgl. S. 29) nicht außer Acht gelassen werden darf. Für die Frühe Neuzeit und das 19. Jahrhundert stehen mit Visitationsakten, Kirchenbußregistern und Religionsbeschwerden weitere Quellen zur Verfügung. Predigten müssen mit Vorsicht gemäß den Bedingungen dieses Genres ausgewertet werden – es geht um Unterweisung im Kontext von Bibelauslegung, nie schlicht um die Darstellung sozialer Realität. Die Frage, wie Predigten oder gelehrtes Schrifttum im Alltag rezipiert wurden, ist notorisch schwer zu beantworten.

Polemiken der Aufklärung gegen den Glauben an Magie finden sich unter anderem in den zeitgenössischen Zeitungen. Sie geben freilich eher die Meinungen ihrer Autoren wieder, als dass sie Magie darstellen. Als Faktensteinbruch für den Magieglauben nach dem Ende der Hexenprozesse sind folkloristische Untersuchungen des 19. und 20. Jahrhunderts zu verwenden. Die Interpretationen des Materials in diesen Werken sind jedoch großenteils nur noch von wissenschaftshistorischem Interesse.

Die problematischsten Quellen sind Darstellungen der Magie in der Kunst. Literarische Quellen gehorchen den Gesetzen ihres jeweiligen Genres und reproduzieren bestimmte Sets von Motiven. Magie in der Literatur ist als eigenes Thema zu bearbeiten, über tatsächlich ausgeübte magische Praktiken oder den Zauberglauben geben sie kaum einmal Auskunft. Insbesondere im 19. Jahrhundert ist der Glaube an Magie klischeehaft als Kennzeichen von »Primitivität« eingesetzt worden. Die Geisterwesen der Schwarzen Romantik und der Gothic Novel haben mit dem älteren Glauben an Geister meist sehr wenig zu tun. Ähnliches gilt für Magie und Hexerei in der bildenden Kunst. Kurzschlüssige Deutungen, die bestimmte Bildzeugnisse mit konkreten historischen Ereignissen oder auch nur großen Trends der Hexenverfolgung in Beziehung setzen wollen, werden in dem Maß problematisch, in dem sie die eigenständige Entwicklung der künstlerischen Motive und des Kunstmarktes außer Betracht lassen (Zika 2003; Zika 22009).

2. Magie und Hexerei: Definitionen in Gegenwart und Vergangenheit

Der Magiebegriff ist sehr unterschiedlich definiert worden (Otto 2016). Dennoch kann pragmatisch nicht auf ihn verzichtet werden.

Unter Magie wird jedes System von Vorstellungen und Verhaltensweisen verstanden, das darauf abzielt, die sichtbare, im Alltag erlebbare Welt mit einem Raum außerhalb dieser Welt in Beziehung zu setzen. Dieses System wird von Einzelnen oder informellen Kleingruppen getragen, die jeweiligen Vorstellungen und Verhaltensweisen sind weder institutionalisiert noch unterliegen sie allgemeinen fixen Regeln oder Dogmen.

2.1 Magie

Der Raum außerhalb der gewöhnlich erlebbaren Welt wird als Sphäre von Geistern gedacht. Magie erhält ihren Charakter des Wunderbaren und Außergewöhnlichen dadurch, dass eine Verbindung zwischen Menschenwelt und Geistersphäre normalerweise nicht möglich ist. Die Geisterwelt wurde als »übernatürlich« oder »praeternatürlich« bezeichnet. Diese Vokabeln sind problematisch, da die Grenzen des Natürlichen in unterschiedlichen Gesellschaften unterschiedlich gezogen worden sind. Die Gelehrtenmagie der Renaissance beanspruchte gerade, die Natur vollständig erfasst zu haben.

Magie und Religion

Die obige Definition eröffnet die Möglichkeit, Magie und Religion voneinander zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist meist problematisch. Von der Anthropologie des 19. Jahrhunderts wurde Magie als die Manipulation nicht-personal gedachter Mächte verstanden, während im Gegensatz dazu Religion als Hinwendung zu übermenschlich mächtigen Wesenheiten mit Personencharakter definiert wurde (Tylor 1871: 104–124; Turner 1989: 85–92).

Frazers Stufenmodell

James George Frazer (1854–1941), einer der Väter der Anthropologie, stellte Magie in die Nähe der Naturwissenschaft: Magie versuche danach wie die Naturwissenschaft, gesetzmäßige Abläufe in der Natur auszunutzen. Von der Naturwissenschaft unterscheide sie sich einfach dadurch, dass die von ihr angenommenen Gesetzmäßigkeiten, nämlich die von Ähnlichkeit (Sympathie) und Kontakt, falsch seien. Sympathie und Kontakt bezeichnen zentrale Kategorien der Wirksamkeit von Magie. Mit Sympathie ist gemeint, dass bestimmte Gegenstände in Beziehung zueinander stehen und aufeinander einwirken. Diese Wirkbeziehung wurde häufig an der Gestalt der Gegenstände abgelesen. Gelbe Edelsteine sollten etwa in Beziehung zur Sonne stehen und deren positiven Einfluss magisch vermitteln. Pflanzen mit roten Blüten sollten bei Scharlach, der die Haut rot färbt, Heilwirkungen haben. Gelehrte Magier kannten komplexe Sympathiezusammenhänge, die Planeten, Mineralien, Pflanzen, Tiere und menschliche Körperteile umfassten. Kontaktmagie kann als Sonderfall der Sympathiemagie aufgefasst werden. Die Beziehung zwischen Objekten wurde hier nicht in Form von Ähnlichkeit erfasst, sondern durch Berührung. So genannte Voodoo-Puppen sollten Haare oder Kleidungsstücke eines bestimmten Menschen enthalten. Wurde die Puppe mit Nadeln durchbohrt, spürte der Mensch den Schmerz. So sollten auch positive Eigenschaften übertragen werden: Wer sich Fledermausblut in die Augen rieb, sollte sich im Dunkeln zurechtfinden können. Sympathiedenken war bedeutsam für die Gelehrtenmagie und die Volksmagie, auch auf die Hexereiimagination hatte es gewissen Einfluss.

Religion entwickele sich laut Frazer aus dem Versagen von Magie. Religion behaupte keine Gesetzmäßigkeiten mehr und habe die Gewissheit aufgegeben, durch bestimmte Handlungen die Natur und das Schicksal manipulieren zu können. Stattdessen wende sie sich bittend an ein höheres Wesen, dessen Macht über Natur und Menschen sie propagiere. Damit liege der Unterschied zwischen Religion und Magie darin, dass der Religiöse nie sicher sei, dass seine Wünsche erfüllt werden, während der Magier für seine Riten gesetzmäßige Wirksamkeit beanspruche. Er fordere und befehle, wo der Religiöse bitte und bete. Dass es laut Frazer der Wissenschaft gelungen sei, die Gesetze zu finden, denen Naturabläufe »wirklich« gehorchen, mache Magie und Naturwissenschaft unvereinbar. Religion und Naturwissenschaft könnten dagegen koexistieren, weil sie in Gott bzw. in der Natur ihre je eigenen Objekte gefunden hätten. Frazer apostrophierte dieses Modell als menschheitsgeschichtlichen Entwicklungsprozess: Die Magie habe auf der niedrigsten Stufe menschlicher Entwicklung gestanden, auf sie sei die Religion gefolgt, die schließlich um die Naturwissenschaft ergänzt worden sei. Den magischen Rest, den Frazer noch im Europa seiner Gegenwart fand, verstand er daher als atavistisches Überbleibsel (Frazer 101978).

Frazers sehr einfaches, europozentrisches Stufenmodell wird heute in der Wissenschaft nicht mehr diskutiert, auch wenn es in der Alltagsreflexion latent nachwirkt. Eine Definition kultureller Makrophänomene wie Religion und Magie, die auf der schwer konkret feststellbaren Befindlichkeit bzw. Intention des Individuums beruht, ist nicht tragfähig.

Magie als Technikersatz

Die Anthropologie Malinowskis (1884–1942) beschrieb Magie als Instrument zur Lösung innerweltlicher praktischer Probleme. Religion gehe dagegen mit menschlichen Kernerfahrungen wie Orientierungslosigkeit und Sterblichkeit um. Magie sei Mittel zum Zweck, Religion Mittel und Ziel zugleich (Malinowski 21982: 17–92; dazu Tambiah 1990: 68–72; Stark/Bainbridge 1985). Dieser Unterscheidungsversuch ist zusammen mit dem gesamten Funktionalismus in Misskredit gekommen. Malinowskis schlichte Zuschreibung bestimmter Funktionen zu komplexen kulturellen Erscheinungen wie Magie und Religion kann nicht überzeugen. Malinowskis Ansatz hat die Engführung auf das Individuum und seine Intentionen nicht überwunden.

Magie = Religion?

Die vorgestellten Differenzierungen zwischen Magie und Religion sind geprägt von den theologischen und rationalistischen Diskursen Europas, die Religion auf- und Magie abwerten. Auch als Abkehr von dieser Tradition ist ein radikal anderer anthropologischer Ansatz zu verstehen, der die Trennung von Magie und Religion ablehnt. Ganze anthropologische Schulen sind Marett gefolgt, der von einem magicoreligiösen Raum sprach, der von den Wissenschaften, verstanden vornehmlich als Naturwissenschaften, abgegrenzt wird (Wax/Wax 1978: 476–479). Lévi-Strauss ließ allenfalls in der Theorie einen Unterschied zwischen Religion und Magie gelten, der bei der Beschreibung der Praxis aber nicht eingeholt werden könne (Lévi-Strauss 1989: 254–257). Als essentielle Übereinstimmungen wurden Selbstreferentialität (Horton 1982) und der Umgang mit Symbolen, das heißt ein wesentlich expressiver Charakter benannt (Beattie 51992: 202–203, 215).

Gegensatz von Religion und Magie

Historisch und soziologisch erscheint eine Differenzierung zwischen Magie und Religion jedoch geboten. Die Unterscheidung zwischen Magie und Religion macht in theoretisch-grundsätzlicher Betrachtung ebenso wenig Sinn wie die Unterscheidung zwischen Mann und Junge, bei der Diskussion sozialer Phänomene ist sie aber ebenso notwendig (Wax/Wax 1978: 341). Besonders deutlich wird dies etwa daran, dass Magie und Religion unterschiedliches Sozialprestige genießen. Ihre jeweiligen Vertreter grenzen sich in der gesellschaftlichen Praxis klar voneinander ab und stehen in der Regel in einem konflikthaften Verhältnis zueinander. Dies gilt für Gesellschaften unter intensivem Einfluss der Weltreligionen freilich mehr als für andere. Für die Sozial- und Kulturwissenschaften stellt sich damit unausweichlich die Frage nach der Definition von Magie und Religion zumindest durch die an diesen Konflikten beteiligten Personen (Weber 1981: 307–311).

Eine differenzierte, anthropologisch informierte Magietheorie für das frühmoderne Europa existiert nur in Ansätzen. Labouvie akzeptierte für ihre theoriegeleitete Untersuchung zur europäischen Magie einen »offenen« Magiebegriff. Dieser sollte das jeweilige magische Verhalten selbst, seine Bewertung durch die Zeitgenossen und seine historischen Deutung integrieren, zugleich Magie aber auch als Mittel zur Befriedigung sozialer Bedürfnisse charakterisieren. Diese Konstruktion ist quellennah, zur Lösung des Problems der Definition von Magie aber schwer zu handhaben (Labouvie 1992: 40–76, 323–325).

Durkheim: Institutionencharakter

Es empfiehlt sich daher, sich der Soziologie nach Durkheim (1858–1917) und Mauss (1872–1950) zu bedienen (Durkheim (31984): 69–75; Mauss 31978). Religionen kreieren verbindliche Aussagen und feste Regeln. Diese Feststellungen und Vorschriften werden von Institutionen fixiert und durchgesetzt. Im Gegensatz dazu kennt die Magie weder Institutionen noch Glaubenssätze. Sie geht zwar davon aus, dass Ursachen und Effekte durch bestimmte Gesetzmäßigkeiten (Sympathie, Kontakt) bestimmt werden, zudem kennt sie praktische Handlungsanweisungen. Ihr fehlen jedoch abstrakte verbindliche Aussagen, wie sie den Glaubensinhalt einer Religion oder die Ordnung einer Religionsgemeinschaft fixieren. Magie und Religion können demnach konkret anhand ihrer jeweiligen Träger in der Gesellschaft voneinander geschieden werden: Religion wird in institutionalisierten Glaubensgemeinschaften ausgeübt und tradiert. Magie üben einzelne Privatpersonen oder kleine, informelle Gruppen aus. Für ihre Tradierung ist Magie auf informelles Brauchtum oder Geheimlehren angewiesen. Der Institutions- und Öffentlichkeitscharakter von Religion legt dieser stets eine Verbindung mit staatlichen Strukturen nahe. In der Regel genießen Religionen staatliche Anerkennung oder gar Förderung. Die privatistische Magie dagegen bleibt stets staatsfern. Ihr Defizit an Öffentlichkeit provoziert Misstrauen (Moreau 2000: Bd. 1, 26–34). Magie wird von staatlichen Stellen häufig verfolgt, bestenfalls indifferent geduldet. Dies bedeutet freilich nicht, dass Magie bis ins 19. Jahrhundert nicht eine zentrale Stellung in der Alltagskultur eingenommen hätte. Trotz kirchlicher und staatlicher Kritik war und ist Magie in der Gesellschaft fest verankert (Wilson 2000: XXV–XXVII, 459–460; Butler 2011).

Magie und Naturwissenschaft

Diese Abgrenzung der Phänomene gemäß ihrer Institutionalisierung erlaubt auch eine Differenzierung zwischen Magie und den Wissenschaften. Die Wissenschaften entwickelten ihre eigenen, hochkomplexen Normen und Institutionen sowie Kommunikationstraditionen mit (begrenztem) Öffentlichkeitscharakter. Hierin unterscheiden sie sich eindeutig von magischen Geheimlehren, auch wenn sie gewisse Fragen und Inhalte mit diesen gemeinsam hatten. Um Durkheims berühmtes Diktum von der Unmöglichkeit einer magischen Kirche zu variieren: Es gibt keine magischen Universitäten.

Mit der abstrakten soziologischen Abgrenzung der Magie von Religion und Wissenschaft wird die Definition von Magie flexibel: Sie kann dem in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten unterschiedlichen Magieverständnis Rechnung tragen. Dieses Verständnis baute freilich auf Machtstrukturen, den Regelwerken von Kirchen und Staaten auf. Diese werden nicht gerechtfertigt, sondern thematisiert. Damit ist die Magiedefinition offen für die konkrete Wandelbarkeit historischer Phänomene.

2.2 Aberglauben und Volksglauben

Die Vokabel »Aberglauben« wird von der Historiografie noch immer zu oft unreflektiert gebraucht. Dass, wie oben vorgeschlagen, die Definition von Magie an die gesellschaftlichen Realitäten der jeweiligen Zeit angelehnt werden soll, könnte als Aufforderung erscheinen, den Begriff Aberglauben genau so zu verwenden, wie es kirchliche Führungskreise der Frühen Neuzeit taten: Aberglauben, die deutsche Entsprechung von superstitio, war ein Sammelbegriff für alle Formen des von der Kirchenleitung verurteilten Magieglaubens (Labouvie 1992: 19–22, 76–85). Die Vokabel Aberglauben ist jedoch derartig negativ besetzt, dass eine neutrale Verwendung unmöglich erscheint. Aberglauben sollte daher nur in wörtlichen oder sinngemäßen Zitaten als Begriff eigener historischer Relevanz verwandt werden, wenn die Ablehnung magischen Denkens und Handelns durch elitäre Minderheiten in kirchlichem oder staatlichem Dienst nachgezeichnet wird. Aus pragmatischen Gründen soll dennoch nicht auf einen Oberbegriff verzichtet werden. Entgegen Labouvies Kritik kann der Begriff des Volksglaubens verwandt werden.

Unter Volksglauben wird die Gesamtheit dessen, was die Mehrheit der Bevölkerung über eine Welt jenseits der Alltagserfahrung imaginiert, verstanden. Der Volksglauben umfasst religiösen Glauben im modernen Sinn ebenso wie Schicksalsglauben, Geisterglauben, Glauben an die Wirksamkeit von Magie. Als integrale Bestandteile dieses Glaubens werden die Handlungen betrachtet, die sich aus ihm unmittelbar ergeben.

Das Interesse an diesem für die Zeitgenossen meist gänzlich unspektakulären Imaginationskomplex ist Teil der geschichtswissenschaftlichen Frage nach den Lebensbedingungen der einfachen Leute. Volksglaube war Alltagsglaube. Der Begriff Volksglaube als Bezeichnung für den Glauben, den die Mehrheit der Bevölkerung teilte, fällt keine Vorentscheidung bezüglich der sozialen Stellung der betreffenden Personen: Er schließt nicht aus, dass kirchliche, wirtschaftliche und politische Eliten am Volksglauben partizipierten. Der Volksglaubensbegriff ist notwendig unscharf, da er ein umfangreiches, kollektiv und individuell wandelbares, heterogenes Phänomen bezeichnen soll. Die oben diskutierte Differenzierung zwischen Magie und Religion fordert einen Oberbegriff, der beide Kulturelemente umfassen kann. Als dieser Oberbegriff kann Volksglauben dienen, sofern von der gelebten Religion der Bevölkerung eher als von der Orthodoxie der Theologen die Rede sein soll (Labouvie 1992: 19; Scribner 1994; Zender 1977: 148–157; Freytag 2003: 21–29).

2.3 Der elaborierte Hexereibegriff

Die Worte Magie, Zauberei und Hexerei werden häufig austauschbar gebraucht. Da Kolonialherren und Anthropologen auch schädigende Magie außerhalb Europas als witchcraft bezeichn(et)en, wurde diese dem europäischen Hexenglauben angenähert, obwohl sie in vieler Hinsicht von ihm stark verschieden ist (Behringer 2004). Ob ein so erweiterter Hexereibegriff verwandt werden sollte, hängt von der Forschungsfrage ab. Streng genommen bezeichnet der Begriff Hexerei eine sehr spezifische historische Erscheinung, die es nur in der Imagination der christlichen Gesellschaften Europas und der europäischen Kolonien gab.

Etymologie

Hexe ist von dem im 10. Jahrhundert belegten Hagazussa abzuleiten. Damit wurde zunächst ein nicht-menschliches Wesen bezeichnet, das in Hecken und Zäunen hauste, ein grenzenhütender Geist (Leconteux 1985). Das Wort für das magische Wesen wurde früh auf Frauen, denen man magische Fähigkeiten nachsagte, übertragen. Ähnlich wurde das skandinavische Túnridr (Zaunreiterin) zur Bezeichnung von Personen verwandt, deren Seelen vorübergehend ihre Körper verlassen konnten. Damit wurde bereits ein Vorstellungskomplex umfasst, der später in den Kern der Hexenimagination integriert werden sollte. Am Ende des 13. Jahrhunderts erschien in einem Gedicht Hugo von Langensteins erstmals das wohl alemannisch-schweizerische Wort Hexse für Magierin. Im Frevelbuch der Stadt Schaffhausen erschien Hex ab den 1360ern als Schimpfwort, 1402/03 erwähnte das Rechnungsbuch dieser Stadt die Verbrennung von Hegsen. Ungefähr zeitgleich wurde in der Schweiz der Begriff Haxney verwandt, der noch in Konkurrenz zu Synonymen (Charaez) stand. Die Hexenvorstellung war vorwiegend, aber nicht ausschließlich weiblich: Einer der ersten Prozesse, in denen das Wort Hexereye erschien, wurde 1419 in Luzern gegen einen Mann geführt. Während der Verfolgungen blieben verschiedene regionale Ausdrücke wie zum Beispiel Zaubersche, Trutten, Wickersche üblich. Überregional verbreitet waren Benennungen, die auf die Schlechtigkeit der Hexen abhoben: Unholden oder schlicht böse Leute (Amman-Doubliez 1999: 77–79; Lecouteux 1985; Lecouteux 1995; Lorenz 2004).

Elaborierter Hexereibegriff

Der Begriff »Hexerei« soll streng im Sinn des elaborierten Hexereibegriffs gebraucht werden, wie ihn im späten Mittelalter Theologen entwarfen.

Das Charakteristikum der Hexerei war der Kontakt zwischen Mensch und Dämon. Der Pakt mit dem Teufel konstituierte per se Apostasie und Ketzerei. Durch den Pakt wurde der Teufel bzw. ein Dämon, der mit der Hexe immer wieder zusammenkam, zum Herrn der Hexe. Der Dämon zeigte sich in menschlicher Gestalt als Mann oder Frau, um mit der Hexe respektive dem Hexer den Geschlechtsverkehr auszuüben. Hexen waren grundsätzlich keine Einzeltäter. Sie bildeten vielmehr eine Gruppe ähnlich einer Sekte oder kriminellen Bande. Als Gruppe konstituierten sich die Hexen bei Treffen. Diese Treffen, mit der – ihrem Ursprung nach antisemitischen – Bezeichnung Hexensabbat belegt, wurden meist als Feste mit Tanz und Gelage geschildert. Zu den Sabbaten kamen die Hexen auf magische Weise: Sie flogen auf verzauberten Gegenständen oder Dämonen in Tiergestalt durch die Luft. Die Dämonen ermöglichten es den Hexen, Magie auszuüben, bzw. zwangen sie sogar dazu. Diese Magie zielte meistens darauf ab, Schaden, Krankheit und Tod zu verursachen. Sie kann daher als Schadenszauber oder maleficium (lat. Grundbedeutung: Untat, spezifisch: Schadenszauber oder Hexerei allgemein) bezeichnet werden. Die Tierverwandlung (Werwolf) wird dem Schadenszauber zugerechnet, da sie dazu diente, Schaden zu verüben.

Peter Binsfeld: Von Bekanntnuß der Zauberer und Hexen, München 1591

Das Titelbild des dämonologischen Traktats Binsfelds zeigt alle Elemente der Hexerei: Vorn links den Pakt, vorn Mitte wird der Sabbat mit einer Hexe, die ein Kind zum kannibalischen Hexenbankett kocht, und einem Fass angedeutet, vorn rechts eine Hexe mit ihrem Buhlteufel. Im Hintergrund der Hexenflug und Wetterzauber als typischer Schadenszauber.

Der böß Geist were vil und oftermalen zu ihr in ihr Behausung und uf das Feld komen, sie angewisen Leut zu verfüeren, Menschen und Vieh Schaden zu thun wo sie köndte, in seinem Namen anzublasen. Sie hab Peter Wehelins Knäblein in des bößen Geists Namen Kuchen geben, darvon es gegeßen und hernach gestorben. Sie sei in David Kreidlers Stall komen, ein Ross in des bößen Geists Namen angriffen, welches hernach auch gestorben.

Sie hab sonst Gespilen [=Komplizen], Stefan Deitlingers Witwe, Hans Walchs Frau, die Schenzin, seien uf ainer Wiese zusamen komen mit ihren Buhlen [=Buhlteufel, Dämonen, mit denen die Hexen Geschlechtsverkehr hatten] gedanzet und gezecht, hab er ihnen ein Hafen [= einen Topf] geben und befohlen umbzuschüten, daraus ein Reif [=Raureif] worden. Sie und ihre Gespilen weren zweymal bey Bildechingen zusamen komen. Wann sie bey Nacht außgefahren, sei sie uf einer Gabel [=Heugabel] in des bößen Geists Namen geseßen, welcher eine besondere Salbe darzu geben und allso darauf dahin gefahren.«

(Geständnis der Anna Schröckin, Horb am Neckar 1581. Stadtarchiv Horb A 314)

Die Urgicht aus dem Prozess gegen Anna Schröckin, exekutiert 1581, war ein typisches Hexengeständnis: Alle Elemente des elaborierten Hexereibegriffs wurden hier aufgegriffen. Der Teufelspakt erschien in negativer Form als Abfall von Gott (»Gottes verleugnen«). Der Dämon (»böß Geist«), der die Hexe »angeworben« hatte, verlangte, dass sie mit ihm Geschlechtsverkehr hatte (für die Zeitgenossen unmissverständlich: »Gemeinschaft zu haben«). Im Auftrag des Dämons verübte die Hexe unterschiedliche Arten von Schadenszauber: Der Zauber ähnelte zum Teil einem Giftmord (»Kuchen geben, darvon [ein Kind] gegeßen und hernach gestorben«), zum Teil erfolgte er über bloße Berührung oder sogar Anhauchen (»angriffen«, »anzublasen«), zum Teil setzte er eine Symbolhandlung voraus (»einen Hafen […] umbzuschüten, daraus ein Reif worden«: Wie die Flüssigkeit aus dem umgestürzten Topf floss, so »floss« Raureif vom Himmel). Einige Geschädigte wurden namentlich genannt, sie sind als Belastungszeugen oder Ankläger zu identifizieren. Anders als der Schadenszauber an Mensch und Vieh richtete sich der Wetterzauber (»Reif« verweist auf einen für die Agrarwirtschaft gefährlichen Kälteeinbruch) nicht gegen ein individuelles Opfer, sondern gegen die ganze bäuerliche Gesellschaft. Die Hexe war kein Einzeltäter. Sie erhielt sogar den Auftrag, weitere Personen zum Abschluss eines Teufelspaktes zu bewegen (»Leut zu verfüeren«). Die Hexe traf sich mit ihren Komplizen (»Gespilen«) immer wieder zum Hexensabbat, einem Treffen mit Festcharakter (»gedanzet und gezecht«). Diese Komplizen wurden namentlich genannt, was gelegentlich als Verdachtsmoment gegen diese Personen gewertet werden und zur Eröffnung weiterer Hexenprozesse beitragen konnte. Zum Ort des Sabbats – nicht der Blocksberg, sondern eine Stelle nahe dem Wohnort der Verdächtigen – kamen die Hexen auf magische Weise: Sie flogen (»dahin gefahren« ist als Flug zu verstehen) auf einem mit Zaubersalbe eingeriebenen Gegenstand (»auf einer Gabel … besondere Salbe«).

Solange Elemente des Umgangs mit Dämonen fassbar bleiben, kann von Hexerei gesprochen werden, auch wenn die oben genannten fünf Merkmale in den Quellen zu einem konkreten Fall nicht vollständig ersichtlich sein sollten.

Zauberei

Magie, von der nicht ausdrücklich angenommen wird, dass sie mit Hilfe von Dämonen ausgeführt wird, heißt »Zauberei«. Entsprechend wird als Hexenprozess nur das strafrechtliche Verfahren gewertet, welches gegen das im elaborierten Hexereibegriff beschriebene Sammeldelikt vorgeht. Verfahren gegen Magie ohne diesen Horizont werden »Zaubereiprozesse« genannt. Der neutrale umgangssprachliche Begriff »Zauber« soll offen zur Bezeichnung des einzelnen magischen Akts verwandt werden, unabhängig davon, ob es sich um Zauberei oder Hexerei handelt (Kieckheffer 1976: 5–8).

Schwarze und Weiße Magie?

Sowohl in der Alltagssprache als auch in wissenschaftlicher Literatur findet sich das Begriffspaar »Schwarze Magie« und »Weiße Magie«, wobei häufig suggeriert wird, dass sich alle Magie einem der beiden Begriffe zuordnen lässt. Schwarze Magie soll die »böse«, schädigende Magie sein, die Weiße dagegen die »gute«, heilende Magie. Der Begriff »Schwarze Magie« bzw. »Schwarze Kunst« beruht auf einer Fehlübersetzung von »Nekromantie«. Dieser Begriff müsste korrekt aus dem Griechischen abgeleitet mit »Totenbeschwörung« übersetzt werden. Er wurde jedoch als Übernahme aus dem Lateinischen missdeutet und als »Schwarze Mantik« bzw. dann »Schwarze Magie« wiedergegeben. Die Begriffe sind fragwürdig. War Magie, die einen Diebstahl erleichtern sollte, »weiß«, weil sie dem Dieb half, oder »schwarz«, weil sie sein Opfer schädigte? Und was war mit der Magie, die der Bestohlene anwandte, um den Dieb zu identifizieren? Das Begriffspaar spielte in der Hexenlehre keine Rolle. In der Hexenforschung sollte es nicht verwendet werden.

3. Magie und Geisterglauben: Inhalte und Deutungen