Rosarote Vampirromanze
Jona Dreyer
Schuu-huu-huu, Halloween ist da! Und was lieben wir in der gruseligen Jahreszeit nebst Kürbisköpfen und Gespenstern denn mehr als Vampire?
Da ich aber finde, dass sich Vampire nicht so furchtbar ernst nehmen sollten, habe ich diesen kleinen Roman geschrieben. Seid gewarnt: Totlachgefahr (es sei denn, es ist nicht eure Art von Humor, dann nicht. Dann verdreht ihr höchstens die Augen und freut euch, dass ihr beim humoristischen Niveaulimbo noch nicht ganz so weit unten angekommen seid, wie ich.).
Diese Geschichte strotzt nur so von Anachronismen (also Sachen, die es 1897 eigentlich noch gar nicht gab), physikalisch vollkommen unglaubwürdigen Szenen, Flachwitzen, vermeintlichen Logikfehlern und so weiter. Alles Absicht! Je bescheuerter, desto besser! Und vielleicht begegnet euch ja der Geist eines längst verstorbenen Schauspielers, der für seine cholerischen Ausbrüche bekannt war ...
Viel Spaß bei der lustigen Lektüre und happy Halloween!
Ah, die Karpaten. Ausgedehnte Wälder, Hochnebel, schroffe Berglandschaften und ... Stau durch Eselskarren.
Eigentlich hatte ich schon am Mittag in Bran sein wollen, aber der Karren, auf dem ich mitfahre, kommt seit über einer Stunde nicht vom Fleck. Der vor uns nicht und der hinter uns auch nicht. Denn weiter vorn hat sich einer im Schlamm festgefahren. So richtig.
»Fahr doch endlich da vorne, du Knallhorn!«, brüllt der Bauer, der mir gegen einen Wucherpreis einen Platz inmitten wurmstichiger Äpfel verkauft hat. Ich sitze quasi auf einem rollenden Kompost. »Wo hast du deinen Karrenführerschein gemacht? Bei Radu Dumitrescus blinder, zahnloser Oma?«
Der Mann mit dem festgefahrenen Karren brüllt etwas zurück, was ich nicht verstehe. Ich gebe zu, mein Rumänisch ist ein wenig eingerostet. Aber Flüche habe ich, seit ich auf diesem Karren sitze, dreiundzwanzig neue gelernt. Ich habe mitgezählt.
Der Bauer greift sich einen der Runzel-Äpfel, die vermutlich wie Radu Dumitrescus Oma aussehen, und wirft ihn nach vorne in Richtung des festgefahrenen Karrens. »Soll dich der Blitz beim Scheißen treffen! Deinetwegen komme ich zu spät zum Mittagessen! Es gibt Maisbrei mit Krautwickel! Hörst du? Kraut-wick-el!«
»Ersticken sollst du an deinen Krautwickeln!«, keift der andere und versucht weiterhin, das festgefahrene Karrenrad aus dem Schlamm zu befreien.
Ich hüstele. Niemand beachtet mich. Ich hüstele lauter. »Entschuldigen Sie?«, rufe ich leise und tippe den Bauern an der speckigen Schulter an.
Er fährt herum. »Hä?«
»Warum helfen Sie dem Mann nicht einfach? Das würde die Sache erheblich vereinfachen.«
Der Bauer macht ein Gesicht, als hätte ich ihn darum gebeten, auf einem Bein zu hüpfen und dazu ein Medley der beliebtesten Kinderlieder zu singen. »Hast du noch alle Zehen am Knoblauch, Junge?« Er schüttelt den Kopf und zieht seine grobporige Kartoffelnase kraus. »Dem helf ich nicht. Ich kenne den. Der hat meinen Schwager schon mehrmals beim Kartenspielen beschissen.«
Ich heule auf und ziehe mir meinen Hut tiefer ins Gesicht. Das fängt ja gut an. Dieser Aufenthalt verspricht, lustig zu werden – auf eine Art, bei der man nur noch aus Verzweiflung lachen kann. Mein Blick fällt auf den Wegesrand. Die Nacktschnecke, die neben dem Karren herkriecht, ist eindeutig auf der Überholspur und wird vermutlich lange vor mir im Dorf ankommen.
»Wenn ich von hier bis Bran laufe«, frage ich den Bauern, »wie lange brauche ich ungefähr?«
Der Kerl zuckt mit den Schultern. »Eine Stunde vielleicht. Oder anderthalb.«
Na toll. Und warum sitze ich dann seit einer Stunde sinnlos hier im Stau? Das hätte man mir ruhig mal eher sagen können!
»Ähm, also ...« Ich hüstele wieder, um die Aufmerksamkeit des Bauern zu erregen. »Ich würde dann hier absteigen und zu Fuß weitergehen.«
»Dein Geld bekommst du nicht zurück!«, versetzt der Kerl und klammert seine raffgierigen Griffel um den Geldbeutel. »Auch nicht anteilig!«
»Schon gut, schon gut«, beschwichtige ich. Heimlich stecke ich mir zwei der traurigen Äpfel als Wegzehrung in die Tasche und springe vom Karren. »Soll ich die Krautwickel von Ihnen grüßen?«
»Sieh zu, dass du Land gewinnst!«, schnauzt der Bauer und hebt drohend eine fleischige Faust.
Eilig setze ich mich in Bewegung, überhole die Nacktschnecke und den festgefahrenen Karren und schlage den durch Wälder führenden Weg in Richtung Bran ein. Als ich außer Sichtweite der fluchenden Bauern komme, halte ich kurz inne und kontrolliere mein Gepäck auf Vollständigkeit.
Armbrust – check. Bolzen – check. Knarre – check. Silberkugeln – check. Lord Fluffington, der Teddybär – check. Fein. Im Grunde kann nichts mehr schiefgehen. Fast nichts. Na gut, es kann noch einiges schiefgehen, aber ich will einmal im Leben optimistisch sein. Schließlich habe ich hier eine wichtige Mission zu erledigen, und für die hat man mich sicher nicht umsonst ausgewählt. Mein Name ist Van Helsing. Jacob Van Helsing.
Ah, die Karpaten. Ausgedehnte Wälder, Hochnebel ... halt, ich wiederhole mich. Aber weil ich gerade von ausgedehnten Wäldern spreche: So ein Wald bei Nacht ist schon ein wenig angsteinflößend. Da wird eine harmlose Konifere, was übrigens der Fachausdruck für Nacktsamer ist, plötzlich zu einem bedrohlichen Monster mit scharfen Klauen. Zumal man hier in Transsylvanien nie sicher sein kann, ob es wirklich eine Konifere ist oder vielleicht doch ein ganz anderer Nacktsamer. Das ist noch ein, äh, wunderbarer Aspekt der Karpaten: Hier gibt’s Vampire. Richtige, echte, blutsaugende Vampire. Und ich bin auf der Jagd nach ihnen. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich nicht dazu beauftragt bin, sie zu töten. Höchstens aus Notwehr. Aber eigentlich soll ich ein lebendes Exemplar fangen und es ins Vereinigte Königreich bringen. Die Wissenschaftler der Königin sind nämlich äußerst interessiert an dieser Spezies. Interessant für mich ist aber vor allem die Tatsache, dass sie verdammt gut bezahlen.
Wenn ich eines gelernt habe, seit ich in Bran angekommen bin, dann, dass die Vampire an allem schuld sind. Missernten, schlechtes Wetter, Flaute im Bett, eingewachsene Zehennägel und Warzen im Genitalbereich: Hinter allem, was doof ist, steckt garantiert ein Vampir. Wahrscheinlich auch hinter dem Steinchen in meinem Stiefel, das mich bei jedem Schritt quält, seit ich das Dorf verlassen habe.
Bran ist gewissermaßen die Zentrale aller Vampirgeplagten, denn auf einem Berg über der Ortschaft thront die Behausung der lästigen Blutsauger. Die verdammt große Behausung. Mit Zinnen und Burgtürmen und vermutlich sechsundsiebzig Schlafzimmern. Wie viele Vampire tatsächlich in diesem Schloss wohnen, kann mir kein Mensch so genau sagen. Die Schätzungen der Dorfbewohner variieren zwischen einem und »sicher so an die dreitausend«. Ich vermute, dass die Tendenz doch eher zu einer kleineren Anzahl geht, sonst wäre Bran wahrscheinlich schon menschenleer und selbst die Koniferen hätten ihre Koffer gepackt und sich auf den nächsten Eselskarren gesetzt. Sämtliche Versuche, den scharfzahnigen Plagegeistern mit Fackeln und Mistgabeln zu Leibe zu rücken, sind an der fortschrittlichen Alarmanlage des Schlosses gescheitert. Man kann sie also nur fangen, wenn sie sich aus dieser Sicherheit herauswagen.
Es war gar nicht so einfach, die nützlichen Informationen aus den Fantasiegeschichten der Leute herauszufiltern. Bei manchen wurde ich den Eindruck nicht los, dass sie mir eher Schauergeschichten über ihre Schwiegermütter erzählten. Oder über den örtlichen Steuereintreiber. Vielleicht hätte ich das Wörtchen Blutsauger nicht überstrapazieren sollen. Jedenfalls habe ich herausgefunden, dass besagte Vampire sich zwischen Anbruch der Dunkelheit und Morgengrauen in der Gegend herumtreiben. In den Wäldern, auf den Weiden, und wenn man am Abend zu viel Kohl gegessen und deswegen nachts das Fenster geöffnet hat, machen sie durchaus auch mal einen Hausbesuch.
Den vergangenen Tag habe ich damit verbracht, diverse Fallen aufzustellen, in der Hoffnung, dass mir einer ins Netz geht. Meine selbst gebauten Vorrichtungen sind todsicher. Ich habe beinahe zwanzig Jahre Erfahrung im Fallenbau und nach einer so langen Zeit muss so ein Ding doch schließlich mal funktionieren. Da ich aber ein gründlicher und sehr pflichtbewusster Vampirjäger bin, lege ich mich selbstverständlich auch noch höchstpersönlich auf die Lauer. Natürlich habe ich grenzenloses Vertrauen in die Funktion meiner großartigen Fallen, aber ... man kann ja nie wissen. Also streife ich bei Nacht im Wald umher – zumindest dort, wo der Vollmond hinscheint – und beäuge misstrauisch jeden transsylvanischen Busch. Was für ein Scheißjob.
Je mehr Stunden vergehen, desto größer werden meine Zweifel. Was, wenn ich es nicht schaffe, einen Vampir zu fangen? Weder tot noch lebendig? Lassen die mich dann zu Hause überhaupt wieder rein, oder muss ich den Rest meines Lebens in Transsylvanien verbringen, zwischen Maisbrei und Eselskarren? Das wäre – oh! Wen haben wir denn da ...
Eilig gehe ich hinter dem nächsten Gebüsch in Deckung und pirsche mich an. Irgendetwas baumelt in der mondhellen Lichtung an einem Baum, an dem ich heute Morgen eine Falle angebracht habe. Mir wird doch nicht gleich am ersten Tag einer ins Netz gegangen sein? Das wäre ein geradezu unverschämtes Glück! Wer oder was auch immer es ist, es zappelt wie ein Fisch an der Angel. Jetzt muss ich mich nur noch lautlos anschl–
Ein Ast knackt deutlich hörbar unter meinen Füßen. Mein Opfer zuckt erschrocken zusammen. Was offenbar das letzte bisschen war, das gefehlt hat, um es zu befreien. Mit einem lauten Krachen, begleitet von einem kleinen Kreischen, fällt es herunter. Verflucht!
Notgedrungen komme ich aus meiner Deckung und schleiche mich an ihn heran. Warum habe ich Depp eigentlich meine Armbrust zu Hause gelassen? Wenn es – o Gott, wieso hat er nichts an?
»Waaah!«, schreit er, als er mich entdeckt, und hält sich eilig die Hände vors Gesicht.
Wieso vors Gesicht? Wieso nicht vor seinen mächtigen, großen, dicken, Van Helsing, was denkst du da gerade?
»Was tun Sie hier?«, frage ich vorsichtig. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher, mit welcher Spezies ich es gerade zu tun habe. »Und wieso bedecken Sie ihr Gesicht?«
»Weil ich nackt bin!«, kommt in einem quengeligen Tonfall zurück.
Hä? »Aber sollten Sie da nicht eher Ihre ... Glocken bedecken?« Schon wieder saugen sich meine Augen an der verschwenderischen Ausstattung des Fremden fest. Mein eigenes Würstchen ist sich nicht ganz sicher, ob es Hallo sagen oder sich verschämt zurückziehen soll.
»Wieso denn?«, gibt der Kerl zurück. »Ich weiß ja nicht, woran die Leute dich wiedererkennen, aber mich erkennen sie am Gesicht und nicht an meinen Kronjuwelen!«
»Okay.« Ich kann nicht anders, als debil auf diesen blassen, hochgewachsenen, äußerst wohlgeformten Körper zu starren. Auf die langen, schlanken Beine, die schmalen Hüften, den flachen Bauch, die überraschend dunklen Brustwarzen und immer wieder auf dieses ... Naturphänomen zwischen seinen Beinen. Das ist nicht gut. Sag was, schnell! »Sie haben mir immer noch nicht gesagt, was Sie hier machen.«
»Na was wohl?«, erwidert der Mann und schüttelt sich die letzte Masche des Netzes vom Fuß. »Mondscheinbaden. Glaubst du etwa, so ein entzückend blasser Teint hält sich von alleine?«
Ich schlucke heftig. Es fühlt sich an, als würden Kronjuwelen meine Kehle verstopfen. »Würden Sie ihre Hände vielleicht doch lieber vor Ihre Geschlechtsteile anstatt vor Ihr Gesicht halten?«, bitte ich flehentlich.
»Na schön.«
Der Kerl lässt die Hände sinken. Van Helsing, alter Knabe, es wird einfach nicht besser. Das ist zu viel. Wer hat diesem Kerl eigentlich erlaubt, so hübsch auszusehen? Mit diesem gemeißelten Kinn, den hohen Wangenknochen, dem verführerischen Amorbogen und Augen in der gleichen Farbe wie seine Haare, die im Mondlicht schimmern: dunkelrot. Moment – dunkelrot? Das kann nur eins bedeuten: Vampiralarm! Oder?
»Wie heißen Sie denn?«, frage ich so lässig wie möglich. Der darf bloß nicht merken, dass ich ihm auf der Spur bin, bis mir irgendwie eingefallen ist, wie ich ihn zurück in das Netz verfrachte.
»Catalin Țepeș Dracula mein Name«, stellt er sich vor und streicht sich ein wenig selbstverliebt durch das halblange Haar. »Und selbst?«
»Ha!«, entfährt es mir und ich räuspere mich hastig. »Ich meine, angenehm.«
»Angenehm? Das ist aber ein schöner Name.«
»Nein, nein, ich meine: Angenehm, Sie kennenzulernen.«
»Ach so!«, ruft er und reicht mir die Hand, mit der er eben noch seine Glocken festgehalten hat. »Na, und wie ist denn jetzt dein Name?« Seine Miene erhellt sich und er klatscht sich gegen die Stirn, bevor ich die Hand ergreifen kann. »Ach, ich Dussel, das hast du mir ja schon gesagt. Dein Name ist Ha. Nimm’s mir nicht übel, aber das ist ein doofer Name. Wenn du dich damit irgendwo vorstellst, dann denken die Leute ja, du lachst.«
Ist der bescheuert? »Mein Name ist nicht Ha«, erkläre ich gedehnt.