Der Jäger braucht eine Kurzwaffe zum Töten von Raubwild sowie für Fangschüsse; ferner auch in Notwehrfällen zur Selbstverteidigung.
Helmut Krebs, Jagdexperte
EINS
Hanna Nikopolidou blickte auf das Smartphone, das neben ihren rötlich-braun lackierten, gepflegt kurzen Fingernägeln lag. Gestern noch war sie bei der Maniküre gewesen. Zehn Uhr vierunddreißig war es jetzt. Das Meeting dauerte bereits über eine Stunde. Die letzten durch den Raum gewaberten Begriffe, die sie mitbekommen hatte, waren Risikomatrix, Profitabilität und Transaktionssettlement. Das Meeting war öde wie immer. Aber Hanna Nikopolidou mochte ihren Job, und weil sie gut darin war, verdiente sie auch exzellent. Bereits in ihrem ersten Berufsjahr hatte sie verinnerlicht, dass die Aufgabe einer erfolgreichen Bankerin darin bestand, aus viel Geld mehr Geld zu machen. Da konnte man in Meetings noch so viel angelsächsisches Fachvokabular daherlabern – ob die Geldvermehrung klappte oder nicht, hing von zahllosen Zufällen und Unwägbarkeiten ab. Von mehr Zufällen und Unwägbarkeiten, als man den Kunden, die in Hannas Fall größtenteils finanzstarke Investoren waren, zumuten konnte. Eine gute Bankerin war verschwiegen, dieser Tage.
Zehn Uhr fünfunddreißig. Hanna dehnte ihren sportlichen Körper und dachte mit Vorfreude an das Wellnesswochenende am See. Sie hatte in dieser Woche bereits zweiundzwanzig solcher Sitzungen ertragen. Die Meetings nahmen zu. Kein Wunder, dass sie – wie im Übrigen fast alle Kollegen in der Bank – auf weit über siebzig Arbeitsstunden pro Woche kam. Die reguläre Arbeitszeit wurde durch Konferenzen blockiert, die wirklich wichtigen Arbeiten verschoben sich zwangsläufig in den Abend und die Nacht. Hanna unterdrückte den plötzlichen Drang zu gähnen. Stattdessen lächelte sie ihren Vorgesetzten an. Er war heute besonders gut drauf. Am Morgen hatte sie seinen neuen Porsche auf dem Parkplatz gesehen. Weiße Lackierung, cremefarbene Sitze. »Weiß ist das neue Schwarz«, hatte er verkündet. »Penisverlängerung« hatte Hannas britische Kollegin Jane mit ihrem hinreißenden englischen Akzent geraunt.
Hanna sah wieder auf das Telefon. Es galt, noch exakt vier Stunden und dreiundzwanzig Minuten durchzuhalten. Dann würde sie das Büro verlassen, sich den reservierten Mietwagen – ein nettes, nicht zu protziges Cabrio (zweifellos keine Penisverlängerung!) – holen, Katja in ihrer Wohnung aufsammeln und in die Natur entfliehen. Der idyllische See lag nur etwa fünfzig Kilometer von München entfernt, wohlbeschützt von majestätischen Bergen. Hannas kleiner Koffer wartete gepackt unter dem Schreibtisch im Office. Sie schloss für eine Hundertstelsekunde die Augen und glitt in Gedanken in das heiße, sprudelnde Wasser des Hotelwhirlpools. Für einen Augenblick spürte sie das warme Nass auf der Haut. Obwohl Hanna die Sonne mied, war ihre Haut braun, und zwar ganzjährig. Zu verdanken hatte sie das im Gegensatz zu manch wohlgebräunter Kollegin jedoch nicht der Sonnenbank, sondern ihren Eltern, die kurz vor Hannas Geburt aus Griechenland nach Deutschland eingewandert waren.
Sie dachte an die sanften ätherischen Öle, die Wellnessbereiche in Orte des Rückzugs, der inneren Einkehr und körperlichen Harmonie verwandelten, da vermeldete ihr gelangweiltes Gehirn, dass diese Frage ihr galt: »Was halten Sie von unserem neuen paneuropäischen Sektoransatz, Frau Nikopolidou?«
Hanna hatte keine Ahnung, worum es ging. Aber davon ließ sie sich nicht aus der Fassung bringen. Sie war zwar erst vierunddreißig, aber sie kannte den Laden nun doch schon seit bald einem Jahrzehnt. Ihre Position war safe. Sie hatte in der Vergangenheit einige gute Entscheidungen getroffen. Und sie war sprachbegabt, das war ein Vorteil als Bankerin. Die Antwort auf die Frage ihres Vorgesetzten Heinzelsperger fiel ihr leicht: »Ich denke, dass wir damit im Equitiesbereich gut aufgestellt sind. Sowohl die jüngst gelaunchten Researchergebnisse als auch die Statistiken der Sales Results haben die eingeschlagene Strategie bestätigt. Allenfalls im Bereich Fixed Income sehe ich Room for Improvement.« Natürlich hätte Hanna auch »Luft nach oben« sagen können, aber hätten dann auch wirklich alle (insbesondere die Porschefraktion) mit ernsten Mienen genickt? Zehn Uhr zweiundvierzig. Hanna freute sich auf das leichte Fischgericht, das sie sich im Hotelrestaurant gönnen würde. Der See war bekannt für seine Saiblinge.
Das ist ja gerade so, wie wenn der Präsident vom Bauernverband im Kimono Traktor fahren tät!
Kurt Nonnenmacher, Polizeichef
ZWEI
Montag
»Wie, was, wie – sie ist weg, zefix? Das gibt’s doch nicht! … Spurlos! Bei uns verschwindet doch niemand spurlos. Jetzt gehen’S noch einmal durch das ganze Hotel hindurch, ganz konzentriert. Und schauen überall nach. In jedem Eck. Die muss ja irgendwo sein. Vielleicht hockt’s in der Sauna. Oder im Dampfbad. Das mag die Türkin! … Ach so, ja dann halt Griechin … Ja! … Das ist doch eh das Gleiche … Ja, Herrgottsakra!«
Anne Loop, die eben das Dienstzimmer ihres Vorgesetzten Kurt Nonnenmacher betreten hatte, machte mit der rechten Hand eine beschwichtigende Bewegung, die den Chef darauf hinweisen sollte, dass er gerade eine Nuance zu laut war. Doch der brüllte weiter: »Ja, warum rufen Sie dann erst jetzt bei uns an? Heute ist Montag! Die kann ja genauso gut sonstwo sein! … Eine alleinstehende Frau! Gut aussehend! Griechin! Und dann noch von der Bank! Die können rechnen, das sag ich Ihnen. Die wird sich einen von unseren Millionarios am See geschnappt haben! … Jajajaja, ist ja gut, wir schauen gleich einmal vorbei. Ja, servus, Ende.«
Wütend knallte der Leiter der kleinen Polizeiinspektion den Hörer auf und schrie: »So ein Depp!« Anne machte intuitiv einen Schritt zurück, um sich vor den Schweißtropfen in Sicherheit zu bringen, die den Wutausbruch des wild mit den Armen rudernden Urbayern begleiteten. Dabei trat sie versehentlich ihrem Kollegen Sepp Kastner auf den Fuß, der sich gerade ebenfalls im Chefzimmer der nicht unbedeutenden Polizeiinspektion eingefunden hatte: Man war an dem idyllischen Bergsee immerhin für die Sicherheit einer ganzen Ansammlung von Bonzen zuständig, darunter laut jüngsten Gerüchten sogar ein waschechter russischer Oligarch. Und das in einer Gegend, in der vor nicht einmal einem guten Jahrhundert der Wilderer Georg Jennerwein gewaltsam den Tod gefunden hatte. Der Überlieferung nach war der Girgl, wie man ihn genannt hatte, an einer Kugel, die ihn feig am Rücken getroffen hatte, gestorben. Ein Fleischteil seiner rechten Wange, an dem sogar noch ein Stück des stolzen Schnurrbarts im Wind geflattert haben soll, wurde in den Ästen einer Fichte am Bergkamm der Bodenschneid aufgefunden. Der Verbleib des Fleischteils inklusive des Schnurrbarts ist in etwa so nebulös wie der Tod des Märchenkönigs. Es gibt Stimmen im Tal, die behaupten, der halbe Jägerschnurrbart befinde sich in einem geheimen Giftschrank der Asservatenkammer des Bayerischen Landeskriminalamts.
»Was für ein Depp war jetzt das?«, griff Sepp Kastner die letzte Aussage des Chefs auf.
»Ein Hotelhanswurscht.«
»Und was wollte der?« Kastner neigte zum gepressten Sprechen, er wirkte stets ein wenig hektisch, was womöglich daran lag, dass er einerseits verklemmt, andererseits praktisch ständig auf Frauensuche war. Vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.
»Nix«, erwiderte Nonnenmacher und zog eine grüne Kunststoffdose mit Schlumpfaufdruck aus der geöffneten Schublade des Schreibtischs. Die Reisdiät, die seine Frau Helga in einer Frauenzeitschrift entdeckt hatte, war das Einzige, was seinen nervösen Magen halbwegs in Schach halten konnte. Gut, Nonnenmachers Arzt meinte zwar, dass eine gesündere Ernährung auch helfen könnte, aber war bayerisches Bier dank seiner vielen wertvollen Inhaltsstoffe – Folsäure, zahllose B-Vitamine, Vitamin H, Magnesium, Kalium et cetera – nicht ein Fitnessgetränk erster Güte? War der bayerische Leberkäse nicht regelrechtes Powerfood, eine Kraftquelle ohnegleichen? Nonnenmachers Arzt, der nebenbei auch als Kurdoktor praktizierte und deshalb etliche Esoterika im Programm für Individuelle Gesundheitsleistungen, genannt IGeL führte, war da anderer Meinung.
»Was, ›nix‹?«, insistierte Kastner. Anne Loop schwieg.
Nonnenmacher sah ihn böse an und sagte dann langsam, immer noch Reis mampfend: »Ist garantiert ein Fehlalarm.« Er kaute. »Da ist angeblich eine Türkin aus einem Wellnesshotel verschwunden. Aber bei uns verschwindet doch niemand einfach so. Und überhaupts: Was heißt schon verschwunden …« Er vollendete seinen Gedanken nicht.
»Ich finde«, schaltete Anne Loop sich ein, »wir könnten uns vornehmen, etwas mehr wie Dienstleister aufzutreten. Letztlich sind doch die Menschen, die bei uns anrufen, unsere Kunden.«
Für diese Aussage erntete die nicht aus dem, wie Nonnenmacher fand, schönsten und reichsten Bundesland Deutschlands, sondern nur aus dem Rheinland stammende Polizeihauptmeisterin zwei erstaunte Blicke.
»Kunden?«, meinte Nonnenmacher vorwurfsvoll und schüttelte den Kopf. »Ja sind wir denn hier beim Aldi, oder was?«
»Habe die Ehre, wer von euch hat bei uns angerufen?«, kam Nonnenmacher direkt zur Sache, als die drei Ermittler an der Hotelrezeption angedockt hatten.
»In welcher Angelegenheit?«, erkundigte sich die Rezeptionsdame mit der in Luxushotels üblichen völlig unglaubwürdig unterwürfigen Art.
»Es geht um die Vermisstenmeldung«, kam Anne ihrem Chef zuvor, um zu verhindern, dass er sich auch hier im Ton vergriff.
»Ach, das wird wohl der Herr Weindorf gewesen sein, unser Direktor.« Sie nahm den Hörer eines der Rezeptionstelefone und hauchte diskret in die Muschel. Anne, die knapp hinter Nonnenmacher stand, zog im selben Moment ein abgestandener Leberkäsegeruch in die Nase. Nonnenmacher hatte auf der Herfahrt darauf bestanden, einen Zwischenstopp in der Metzgerei einzulegen. Die junge Polizistin rümpfte die Nase.
Der Hoteldirektor Josef Weindorf war ein erstaunlich braun gebrannter Mittfünfziger, Typ Segelklub. Er berichtete, dass die vermisste Hanna Nikopolidou sich am Freitag im Hotel einquartiert habe. »Frau Nikopolidou hat sich für unser Arrangement ›Seephrodite‹ entschieden. Neben klassischen Anwendungen wie Face- und Bodypeeling, Chi-Yang-Energieflussmassagen und Entspannungsbädern verwöhnt es auch mit einem Yoga-Crashkurs, Focusing und Qigong mit Biofeedback.«
»Focusing und Qigong mit Biofeedback«, brummte Nonnenmacher und schob ein »Dingdong« hinterher.
»Was ist denn das – Focusing?«, erkundigte sich Kastner staunend.
Ohne die Antwort des Hoteldirektors abzuwarten, fragte Anne: »Und welche dieser Anwendungen hat Frau Nikopolidou wahrgenommen?«
»Keine!«, rief Josef Weindorf aus. Er klang beleidigt. »Das ist es ja! Obwohl sie das bei uns all inclusive hätte haben können! Sie hat am Freitagabend um siebzehn Uhr zweiundfünfzig eingecheckt, später hat sie zu Abend gegessen …«
»Was hat sie gegessen?«, fragte Anne schnell dazwischen.
»Das ist doch völlig wurscht, was die gegessen hat«, maulte Nonnenmacher.
»Frau Nikopolidou hat ein Gericht von unserer Prinzesskarte gewählt, den Chilisaibling an Zitronengras und Rahmmousse, und ist dann wohl zu Bett gegangen.«
»Prinzesskarte, Chilisaibling, Zitronengras … der Saibling ist ein bayerischer Fisch! Das ist ja gerade so, wie wenn der Präsident vom Bauernverband im Kimono Traktor fahren tät!«
»Und seither wurde sie nicht mehr gesehen?«, fragte Anne ungläubig.
»Wissen Sie, ob sie die Nacht im Hotel verbracht hat?«, schob Kastner hektisch hinterher.
Der Hoteldirektor zögerte einen Moment und erwiderte dann mit leicht genervter Stimme: »Am Frühstück hat sie auch noch teilgenommen. Jedenfalls sagt das unser Computer. Und das Zimmermädchen teilte mit, dass das Bett von Frau Nikopolidou nicht gemacht war, als sie morgens zum Reinigen kam. Aber danach war Frau Nikopolidou – so hat es jedenfalls den Anschein – nicht mehr drin.«
»Können wir das Zimmer einmal in Augenschein nehmen?«
»Natürlich«, erwiderte Josef Weindorf auf Annes Bitte. »Aber eines ist noch erwähnenswert: Frau Nikopolidou reiste allein an, obgleich sie für zwei Personen gebucht hatte. Unser Buchungsprogramm verzeichnet einen weiteren Gast, Frau Katja Engels. Doch sie hat nicht mit eingecheckt.«
»Katja Engels«, wiederholte Nonnenmacher nachdenklich. »Wie Friedrich Engels, der Spezl vom Marx.«
»Zwei Frauen in einem Zimmer«, meinte dagegen Kastner. Die Vorstellung inspirierte ihn ganz offensichtlich.
Anne verdrehte die Augen. »Wer war an der Rezeption, als Frau Nikopolidou eincheckte?«
»Das war unsere Frau Himmelsgarten.«
»Himmelsgarten … Könnten wir diese Frau Himmelsgarten kurz befragen?«, bat Anne.
Der Hoteldirektor rief seine Mitarbeiterin herbei.
»Sie haben Frau Nikopolidou eingecheckt?«, fragte Anne freundlich. Die Angesprochene nickte.
»Sah sie lesbisch aus?«, platzte es aus Kastner heraus.
»Seppi, bitte!«, fuhr Anne den Kollegen an und wandte sich dann wieder der Rezeptionsdame zu. »Hat sie gesagt, weshalb Katja Engels nicht mit angereist ist?«
Frau Himmelsgarten nickte. »Sie sei krank geworden, hat sie gesagt.«
»Und haben Sie ihr das geglaubt?«, wollte Nonnenmacher wissen.
Die Gefragte zuckte mit den Schultern. »Weshalb sollte ich dies denn nicht tun?«
Anne schüttelte aus Verzweiflung über ihren Chef den Kopf, wandte sich dann aber Josef Weindorf zu: »Können wir dann jetzt das Zimmer sehen?«
Betrat man das Hotelzimmer, gelangte man gleich links ins Bad. Ging man an dem großen Wandschrank entlang geradeaus, stand man in einem etwa dreißig Quadratmeter großen Raum mit zwei Betten. Sie sahen aus, als wären sie eben frisch bezogen worden.
»Haben Sie eigentlich einmal versucht, Frau Nikopolidou anzurufen? Sie hat doch sicher eine Telefonnummer hinterlassen?«, wandte Anne sich an den Hoteldirektor und scannte den Raum. Am Fußboden vor dem Bett lagen Hotelschläppchen aus Frotteestoff. Auf dem Nachtkästchen befand sich ein Buch mit dem Titel Risiko, ein Ratgeber zum Thema Entscheidungsfindung, wie Anne mit einem Blick auf den Klappentext feststellte. Unter dem kleinen Schreibtischchen an der Wand stand ein Paar Damenlederslipper.
»Sie geht nicht ans Handy«, antwortete der Hotelchef. »Wir haben es bereits mehrfach versucht. Auch auf die Mailbox haben wir gesprochen. Eine andere Nummer haben wir von ihr nicht.«
»Vielleicht schauen’S einmal ins Telefonbuch«, meinte Nonnenmacher.
»Für München gibt es zu diesem Nachnamen nur einen einzigen Treffer. Das ist ein griechisches Restaurant. Aber auf der Website dieses Restaurants, es heißt Melissos, stehen Inhaber mit anderen Vornamen.« Josef Weindorf zögerte. »Und wir sind diskret. Wir können doch nicht unseren Gästen hinterherforschen …«
Kastner hatte den Wandschrank geöffnet. Dort fanden die Ermittler ein Paar schwarzer, hochhackiger Schuhe und einen kleinen Rollkoffer. Kastner hob ihn heraus und stellte ihn vorsichtig auf das hintere Bett. Der blonde Polizist mit dem schütteren Haar klappte den Koffer auf und meinte sofort: »Mmh, das riecht aber gut.« Auch Nonnenmacher, der sich neben ihn gestellt hatte, schnüffelte und stellte fachmännisch fest: »Das ist Parfüm.«
Dann sah Kastner, dass obenauf weiße Unterwäscheteile lagen, und er machte schnell einen Schritt zurück.
»Hoppla«, meinte Nonnenmacher.
»Ich glaub, das ist eher deine Baustelle, Anne«, wandte sich Kastner an seine Kollegin. Er wirkte mit einem Mal hilflos.
»Jetzt geh!«, meinte der Dienststellenleiter und griff mit seinen dicken Fingern die Dessous, bei denen es sich um einfache Baumwollslips und -BHs handelte, und ließ sie neben den Koffer aufs Bett plumpsen. Weiter unten in dem Gepäckstück stießen die Polizisten auf nichts, was ihre Aufmerksamkeit erregt hätte. Hanna Nikopolidou hatte sich für ihr Wellnesswochenende der frühsommerlichen Jahreszeit angemessene, elegant-sportliche Freizeitkleidung eingepackt. Auch zwei Bikinis fanden sie. »Wahrschein’s fürs Hotelschwimmbad«, meinte Nonnenmacher. Als Polizeichef in einem bei Urlaubern beliebten Alpental war dies für ihn nicht die erste Ermittlung in einem Hotel mit Wohlfühlanlage.
Dann erreichte Josef Weindorf ein Anruf auf seinem Handy. Der Hotelier entschuldigte sich und ließ die Ermittler allein. Nonnenmacher öffnete die Balkontür und trat hinaus. Kastner ging ins Bad, und Anne durchstöberte den Schlafraum. Alle drei schwiegen, bis Anne plötzlich rief: »Nimmt man mehr als zwei Paar Schuhe mit auf ein Wellnesswochenende?« Die anderen beiden kamen von ihren Suchrevieren zurück und sahen sie ratlos an. »Also, ich meine: Wenn die Hanna Nikopolidou jetzt auf ihren eigenen Füßen rausgegangen ist, dann müsste sie doch eigentlich noch ein drittes Paar dabeigehabt haben.«
»Wenn sie nicht barfuß hinaus ist«, kommentierte Kastner, der seinen Einwand jedoch selbst nicht recht ernst nehmen konnte und sogleich den Kopf schüttelte.
»Der Türke hat eine ganz andere Barfußkultur wie der Bayer«, meinte Nonnenmacher fachkundig. »Geht unsereins nicht einmal barfuß in den eigenen Garten, weil man fürchtet, in Hühnerscheiße zu treten, wäscht sich der Türke sogar vor dem Kirchgang die Füße und geht dann barfuß hinein. Die Kirche heißt beim Türken auch nicht Kirche, sondern …« Nonnenmacher dachte nach und sagte dann mit so viel Stolz, als hätte er beim Tischfußball einen Treffer versenkt: »Moschää.« Er griff sich etwas eitel an die Nase. »Ich war mit der Helga schon einmal in so einer Moschää. Da liegen überall Teppiche, und es gibt keine einzige Kirchenbank. Der Türke hat wenig Holz, weshalb er alles verheizen muss und es nicht zum Möbelbau verwenden kann.«
Ohne auf die kulturellen Details von Nonnenmachers Vortrag einzugehen, stelle Anne trocken fest: »Hanna Nikopolidou ist Griechin.«
»Kurt, ein Tipp«, klinkte sich Kastner ein. »Mit den Türken und den Griechen, das kannst du dir ganz einfach merken: Türke, das ist Kebab. Und Grieche, das ist G wie Gyros. Ich mag ja Kebab lieber. Und außerdem … kann ich mir gut vorstellen, dass die noch ein drittes Paar Schuhe dabeihatte.« Er sah Anne ernst an. »So eine feine, erfolgreiche Dame hat natürlich mehrere Schuhe zur Auswahl dabei.« Gedankenverloren zog Kastner die Schublade des Nachtkästchens auf, auf dem das Buch lag. »Da ist noch was.« Er hob eine elegante Brieftasche hoch. Sofort untersuchten die drei Ermittler den Inhalt: achthundert Euro in großen Scheinen, ein wenig Münzgeld, mehrere Kredit- und Eurochequekarten, ein Foto eines küssenden Paars, bei dem die Frau so südländisch aussah, dass sie durchaus Hanna Nikopolidou sein konnte, ein Personalausweis, der die Verschwundene eindeutig als in München geborene Deutsche auswies, und Visitenkarten.
»Aha, eine Bankerin«, stellte Nonnenmacher nach einem kurzen Blick auf die Karten mit dem Aufdruck eines der größten deutschen Geldinstitute fest. »No, dann rufen wir da einmal an. Vielleicht ist sie ja schon längst im Büro, und unsere Sucherei hier ist komplett für die Katz.«
Doch die Hoffnung der Ermittler wurde enttäuscht. Auch Hanna Nikopolidous Kollegin, die den Anruf auf der Durchwahlnummer der Verschwundenen entgegennahm, vermisste die junge Frau. Sie erklärte, dass die Verschollene eigentlich spätestens um acht Uhr dreißig im Büro hätte sein sollen und dass sie bereits mehrfach versucht habe, sie auf dem Mobiltelefon zu erreichen. Zudem erklärte die Kollegin, dass Hanna Nikopolidou ihres Wissens nach allein lebte und ihre Eltern in München ein griechisches Restaurant betrieben. Am Ende des Gesprächs wies Nonnenmacher die Bankmitarbeiterin an, sich für eine Vernehmung bereitzuhalten.
Dann setzten die drei Polizisten die Durchsuchung des Hotelzimmers fort, fanden jedoch keinerlei weitere Hinweise. Die Befragung der Putzfrau, die es am Tag von Hanna Nikopolidous Verschwinden gereinigt hatte, brachte ebenfalls keinerlei Neuigkeiten zutage.
Die Ermittler verließen das Hotelgebäude, an dessen Stirnseite rechts und links des kleinen dunkelhölzernen Balkons zwei große Hirschgeweihe hingen, blieben jedoch noch einen Moment davor stehen. »Können wir kurz zusammenfassen«, wandte Nonnenmacher sich an die Kollegen: »Eine …«, er zögerte, »südländische Mitbürgerin, wohnhaft in München, kommt am Freitag ins Hotel und will das ganze Wochenende bleiben. Sie macht Brotzeit und frühstückt am nächsten Morgen …«
»Also, Brotzeit kann man da nicht sagen«, unterbrach ihn Kastner. »Das war ein warmer Fisch. Eine Brotzeit wär ja was Kaltes.«
»Das ist doch gehupft wie gesprungen, du Gscheidhaferl!« Nonnenmacher war empört.
»Nein, Kurt, ist es nicht. Ich habe mir das genau gemerkt: Sie hat sich den Chilisaibling mit Zitronengras und Rahmmousse von der Prinzesskarte bestellt. Ich habe ein Buch über Profiling gelesen: An so einer komischen Bestellung erkennt man schon einmal, dass es sich bei dieser Frau Nikopolidou nicht um eine bodenständige Person, geschweige denn eine Bayerin handeln kann.« Kastner war sich seiner Sache sicher.
»Jedenfalls muss die Dame dann irgendwann nach dem Frühstück verschwunden sein. Hinweise auf Herrenbesuch gibt es nicht. Und auch nicht auf Damenbesuch.« Nonnenmacher fuhr sich durch den Bart. »Und ob sie barfuß oder mit Schuhen das Hotel verlassen hat, ist auch offen.«
»Sie ist nicht zur Arbeit erschienen, was kein gutes Zeichen ist«, fügte Kastner an.
»Was aber auch nix heißen muss, weil sie sich einen Millionär geangelt haben kann«, meinte Nonnenmacher.
»Und warum lässt sie dann ihre ganzen Sachen im Hotel liegen? Sogar den Geldbeutel und … die Dessous, Kurt? Ich meine, bei einem Millionär wäre die …«
Anne verdrehte die Augen.
»Weil ihr der Millionär das alles neu kaufen kann«, antwortete Nonnenmacher, »sogar Schuhe, falls sie wirklich barfuß hinaus ist.« Der Chef der kleinen Polizeiinspektion hatte schon zahllose Affären im Tal erlebt. Die majestätische Berglandschaft provozierte in Sachen Liebe die unvorstellbarsten Koalitionen und Kombinationen: Während seiner Dienstzeit hatten weltberühmte Schlagersänger mit Hippiemädchen angebandelt, Zimmermädchen mit Vorstandsvorsitzenden, Skilehrer mit Arztgattinnen und Metzgereifachverkäuferinnen mit Computerfuzzis. Die frische Luft an dem See inmitten von Bergen war schon immer ein Quell der Lebenslust gewesen, und die Liberalitas Bavariae sorgte dafür, dass nicht einmal Prominente von zweifelhaftem Ruf sich davor fürchten mussten, dass eines ihrer Techtelmechtel an die große Glocke gehängt wurde. In der Alpenidylle fand ein Kurschatten wirklich noch im Schatten statt und nicht im Scheinwerferlicht der glamourgeilen Weltpresse.
»Dass sie den Geldbeutel nicht mitgenommen hat, ist schon sehr merkwürdig«, meinte Anne.
»Jedenfalls können wir so zumindest einen Raubmord ausschließen.« Nonnenmacher wandte sich vom Hotel ab und überschaute die Terrasse. Sie thronte oberhalb des steilen, auf den Malerwinkel abfallenden Hangs. Vor dem Wallberg, der direkt gegenüber lag, zeichneten sich einige Gleitschirmflieger ab, die ins Tal sanken. Die orangefarbenen Schirme auf der Terrasse flatterten im Wind.
»Die einzigen Anknüpfungspunkte, die wir haben, sind die Eltern mit dem Restaurant und diese Katja Engels, die …« Anne konnte den Satz nicht vollenden, denn ein Mann hatte sich den Ermittlern unbemerkt von hinten genähert und die Polizistin am Rücken angetippt. Er war dick, hatte eine Knollennase und sah für Annes Begriffe nach in ungesunder Rekordgeschwindigkeit erworbenem Reichtum aus.
»Grüße Sie, Achleitner mein Name. Bin au Hotelgascht hier.« Er lächelte blöde, das jedenfalls fand Anne.
»Aber eigentlich sind Sie ein Schwab, oder?«
Ohne auf Nonnenmachers Frage einzugehen, reichte der Mann ihm die Hand zum Gruß: »AFV – Achleitner Fensterversand, also Kunststofffenster, Holzfenster, Aluminiumfenster, Passivhausfenster. Außerdem Rollläde – Aufsatzrollläde, Vorsatzrollläde, Einbaurollläde – sowie Markise.« Die Ermittler staunten die Erscheinung sprachlos an. »Darf ich frage, was Sie hier mache?«
»Nein«, antwortete Nonnenmacher kategorisch.
Doch das brachte den Versandunternehmer kein bisschen aus der blendenden Urlaubslaune: »Ich hab nur eben das Wort ›Raubmord‹ aufgeschnappt – und gehört, dass Sie eine Frau vermisse, die aus dem Hotel verschwunde ischt. Ich bin schon seit drei Woche hier, Burn-out-Prophylaxe und so, Sie wisset schon, deshalb kenn ich mich gut aus – vor allem mit den Damen unter den Hotelgästen.« Achleitner schenkte Anne einen anzüglichen Blick und sagte: »Wobei, wenn ich mir des erlaube darf, keine so eine Augenweide ist wie Sie, Frau Kommissarin. Wisset Sie, an wen Sie mich erinnern?«
Alle drei wussten genau, was jetzt kommen würde, weshalb Nonnenmacher leeren Blicks in die Berge stierte, Kastner die Laufwege der Schnürsenkel seiner Dienstschuhe studierte und Anne ein leises »Puh« entfuhr.
Der Kurgast aber sagte triumphierend: »Sie schauet genauso aus wie die Angelina Jolie. Ach, was sag ich – noch besser schauet Sie aus!« Kastner scharrte unwillig mit den Schuhen auf dem Asphalt. Nonnenmachers Magen knurrte gefährlich wie der hungrige Wolf, der jüngst in den tiefen Wäldern der Mangfallberge gesichtet worden war. Und Anne schwieg. Dieses Kompliment hörte sie mindestens einmal pro Woche, an manchen Tagen sogar mehrfach. Und es kotzte sie an, denn mit dem mondänen Leben der Hollywoodschauspielerin hatte das ihre so gut wie nichts gemeinsam: Anne war sechsunddreißig, alleinerziehend und Single (von einem Brad Pitt war weit und breit nichts zu sehen), was die Wahrscheinlichkeit, dass sich ihr Leben noch einmal in Richtung wohlhabender Supermutti entwickeln würde, reichlich unwahrscheinlich machte.
Der Burn-out-Patient spürte, dass sein Kompliment aus unerfindlichen Gründen nicht zu der erhofften Stimmungsaufhellung geführt hatte, und sagte deshalb: »Gut, ich möcht nicht störe. Ich wollt bloß helfe.« Erklärend fügte er noch hinzu: »Mir ischt halt diese eine Frau aufgefalle, die – wie ich – allein hier war und mich rein … also, ich sag jetzt einmal … dingsmäßig … interessiert hätt. Die hatte einfach eine Hammerausstrahlung. Topbody, rassig, also Sex-Appeal bis zum Abwinke. Aber die war bloß eine Nacht da und dann wieder weg. Und dabei wollt ich sie eigentlich anspreche, weil des Publikum ist hier sonst ja eher paarweise unterwegs. Und dann hätte man ja … aber nix für ungut … dann sag ich einfach mal Adele und Tschüssing.« Mit der Andeutung eines Winkens wandte er sich ab.
Doch Anne reagierte schnell: »Halt«, rief sie ihm hinterher. Achleitner blieb stehen und drehte sich um. Sofort lächelte er wieder sein schmieriges Lächeln. »Wie sah die Frau aus, von der Sie eben sprachen?«
Der Mann kehrte zu den Ermittlern zurück und sagte triumphierend: »Dacht ich’s mir doch, dass Sie des interessiert. Ich schau nämlich viel Krimi im Fernseh und kenn mich aus.«
»Schluss mit dem Gequatsche«, fuhr Anne den Dicken nun ungeduldig an. »Wie sieht die Frau aus, die Sie meinen?«
»Sie hat einen perfekte Körper. Dunkler Hauttyp, langes schwarzes Haar, Locken, große, feurig-dunkle Augen, genau mein Fall halt – genau wie Sie, Frau Kommissarin.«
»Ich bin Polizeihauptmeisterin«, antwortete Anne bestimmt. »Wann haben Sie die Frau zum letzten Mal gesehen?«
»Des kann ich Ihne ganz genau sagen, weil da wollt ich sie anspreche. Ich hatt mir im Frühstücksraum einen Tisch direkt neben ihr organisiert, zwecks ungezwungener Kontaktaufnahme, Sie wisset schon …« Er zwinkerte vielsagend mit dem rechten Auge. »Aber … die war viel schneller fertig wie ich. Die ist dann raus wie ein Reh, und ich bin ihr hinterher, Jagdinschtinkt, Sie verstehen … aber des war dumm, weil ich hab sogar noch den O-Saft verschüttet. Aber wie sie an der Rezeption vorbei ischt, geb ich’s auf. Bin nicht hinterher. Ich dacht mir, die kommt schon wieder, die geht ja bloß jogge.«
»Wieso joggen?« Nonnenmacher klang entrüstet.
»Na ja, sie war im Laufhäs, also halt im Joggingdress, und ischt gleich vorm Haus losgejoggt. Und ich bin zwar sportlich …« Für diese Aussage erntete er ein dreifaches Schmunzeln, weshalb er anfügte: »… auch wenn man’s mir nicht ansieht … Aber schöne Frau hin oder her, anderscht als der Südländer braucht der Deutsche sein Frühstück. Deswegen bin ich zum Tisch zurück, und die Hasen vom Frühstücksraum haben die Sauerei mit dem O-Saft schon im Griff gehabt.«
»Hasen«, wiederholte Kastner. »Ja, sind wir denn hier beim Playboy?«
»Und dann haben Sie die Frau nicht mehr gesehen?«, fragte Anne, ohne weiter auf die Hasen einzugehen.
»Nein. Rieng ne va plus. Leider.« Sein Blick nahm plötzlich einen merkwürdigen Ausdruck an. »Meinen Sie, es ischt am Ende ein Verbreche passiert?«
»Wie kommen Sie denn darauf?«, erkundigte sich Anne scharf. Dann nahm sie die Brieftasche aus dem Asservatenbeutel und zog das Foto mit dem küssenden Liebespaar hervor, das sie darin entdeckt hatten. »Ist das die Frau, von der Sie sprechen?«
»Ja, das ist ja die Höhe!«, entgegnete der Mann plötzlich mit geradezu aggressivem Tonfall. »Dann ist die schon …! Ja so ein Scheißdreck! Diese … also die sind doch alle gleich. Also, das war’s dann.« Er drehte ab und lief, noch ein »Adele« über die Schulter rufend, zügig in Richtung des Hotelgebäudes.
»Da schau her, Sepp, so schaut effektive Frauensuche aus«, wandte sich Nonnenmacher an Kastner: »Kaum weiß der Burschi, dass die Angebetete vergeben ist, ist er weg. Das kannst du von solchen schwäbischen Versandkaschperln lernen.«
»Also, dieser Auftritt eben ging ja wohl gar nicht!«, meinte Anne empört. »So ein notgeiler alter Bock!«
»Genau«, pflichtete Kastner bei. »Und ich finde auch komisch, wie der plötzlich so anders geworden ist, so ausfällig.«
»Vielleicht behalten wir den mal besser im Auge.« Anne zog ihr Notizbuch aus der Tasche. »Achleitner, hat er gesagt, heißt er.« Sie schrieb es auf. Dann wandte sich ihr Blick wieder nach oben. »Ich denke, wenn uns die Eltern auch nicht sagen können, wo die Dame steckt, ist es an der Zeit, eine Vermisstenfahndung rauszugeben. Wir brauchen definitiv Verstärkung.«
Die Aktienhändler verhielten sich im Test noch egoistischer und risikobereiter als eine Gruppe von Psychopathen.
Thomas Noll, Forensiker und Vollzugsleiter eines Schweizer Gefängnisses
DREI
Bereits am frühen Nachmittag desselben Tages durchkämmten auf Veranlassung Sebastian Schönwetters, des Kripochefs der nahe gelegenen Kreisstadt, dreißig zur Verstärkung aus München abkommandierte Polizeibeamte, unterstützt von vierzig ehrenamtlichen Feuerwehrmännern der Seegemeinden, den Bergwald oberhalb des Hotels. Neben einem Hubschrauber kamen auch speziell für die Suche Verschollener ausgebildete Mantrailer-Hunde zum Einsatz. Als einer der Suchhunde an den Slippern der Vermissten geschnuppert hatte und Hanna Nikopolidous Spur aufnahm, verbreitete sich in den Reihen der Ermittler fieberhafte Aufregung. Vorbei an der Hotelbar, die wegen der ausschweifenden Feste, die hier gefeiert wurden, legendär war, führte der Hund sie zum Höhenweg. Das Echo des Hubschraubermotors ließ das Tal erzittern. Ein gelbes Schild am Anfang des Fußwegs erklärte, dass man von hier aus in zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten über Galaun zum Riederstein und schließlich auf die 1444 Meter hohe Baumgartenschneid gelangen konnte. Die Ermittler folgten dem Kiesweg, der zum Tal hin von Bäumen und den letzten Häusern des Orts gesäumt war, bis sie zu einem kleinen Bachlauf gelangten, der kaum Wasser führte. Hier verließ der Schäferhund den Weg und wandte sich dem Wald zu. Das Tier folgte dem Bachlauf, erklomm, gefolgt von den keuchenden Ermittlern, den steilen Berghang, um schließlich abrupt innezuhalten und seine Führerin treu und ratlos anzustarren.
»Was ist jetzt?«, fragte Anne verunsichert, die dem schnellen Schritt der Hundeführerin und ihres Tiers – anders als Kastner und Nonnenmacher – ohne Weiteres gefolgt war.
»Negativanzeige«, sagte die Hundeführerin. »Er hat den Trail verloren.«
»Wie, und was bedeutet das jetzt?«, wollte Anne wissen.
Die junge Frau streichelte den Hund und zuckte mit den Schultern. »Dass es hier nicht weitergeht. Die Anschi kann hier den Individualgeruch, den sie von den Schuhen aufgenommen hat, nicht mehr weiterverfolgen.«
»Und wo ist die Frau Nikopolidou jetzt?«, fragte Kastner, der gerade keuchend zu ihnen gestoßen war.
»Das weiß ich nicht.« Die Hundeführerin sah die Ermittler freundlich an.
Auch Nonnenmacher, dem der Schweiß von der Stirn troff, war jetzt bei der Gruppe angelangt. »Und?«
»Negativanzeige«, sagte Kastner. »Der Hund riecht nix mehr.«
»Ja, dann muss die doch hier irgendwo sein!« Nonnenmacher schaute sich um. Es handelte sich um ein lichtes Waldstück. Hauptsächlich wuchsen hier Buchen, vereinzelt auch Fichten, und dazwischen schimmerten hier und da die weißen Stämme von Birken hindurch. Es begann zu nieseln.
»Nicht zwingend«, reagierte die Hundeführerin auf Nonnenmachers Aussage. »Es kann natürlich sein, dass die gesuchte Person hier irgendwo ist, theoretisch könnte sie direkt unter uns vergraben sein.« Alle vier blickten auf den laub- und moosbedeckten Waldboden, aber da war nichts Auffälliges zu erkennen. »Es kann aber auch sein, dass sie noch viel weiter gelaufen ist, ihr Individualgeruch aber gerade hier verweht wurde. Aus welchen Gründen auch immer. Oder sie ist schon so lange tot, dass der Leichengeruch ihren Geruch als Lebende völlig überlagert. Dann kann die Anschi da auch nichts machen.«
»Welche Anschi?«, raunzte Nonnenmacher.
Die Hundeführerin tätschelte der Schäferhündin den Kopf: »Das ist die Anschi.« Alle Augen richteten sich auf das Tier, das seinen Kopf hob und schaute, als hätte es einen familiären Trauerfall zu beklagen.
»Was empfehlen Sie in einer solchen Situation?« Anne, die noch nie an einem derartigen Sucheinsatz teilgenommen hatte, hoffte, dass die Hundeführerin noch einen Trumpf aus dem Ärmel zaubern würde.
Doch jene sagte nur: »Wir sollten diesen Punkt hier als neues Zentrum unserer Suchaktivitäten definieren. Will heißen: Alle Suchkräfte bündeln und von hier aus in sternförmiger Formation den Wald absuchen. Vielleicht haben wir ja Glück.«
Die Ermittler hatten kein Glück. Hanna Nikopolidou blieb verschwunden. Während Anne und ihre Kollegen Sepp Kastner und Kurt Nonnenmacher die Suche gegen neunzehn Uhr dreißig abbrachen, fahndete eine zweite Suchstaffel, welche die erste ablöste, mit anderen Hunden weiter. Die Bewohner des idyllischen Alpentals mit dem See konnten das Rotorgeräusch des Hubschraubers noch die ganze Nacht hören. Aber auch der Einsatz von Wärmebildkameras brachte keinen Erfolg. Die attraktive Münchner Bankerin Hanna Nikopolidou blieb verschwunden.
Dienstag
Am Morgen des nächsten Tages brachte Anne ihre neunjährige Tochter Lisa im Jogginganzug in die Schule und begab sich nicht wie sonst in die in der westlichen Seegemeinde gelegene Polizeiinspektion, sondern radelte direkt zu dem Hotel, aus dem Hanna Nikopolidou verschwunden war.
An der Rezeption ließ sich die Polizeihauptmeisterin die beliebtesten Laufstrecken erklären, die vom Hotel weg in die Bergnatur führten. Als sie vor dem Hoteleingang in Richtung Galaun loslief, bremste sie ein Ruf: »Frau Kommissarin, Frau Kommissar, wartet Sie!«
Anne erkannte die pomadige Stimme sofort, tat aber so, als hörte sie nichts. Sie lief weiter. Doch sie hätte sprinten müssen, um dem Kerl zu entkommen. Diese Peinlichkeit wollte sie sich dann aber doch ersparen.
»Frau Kommissar, Frau Kommissaaar, warten Sie!«, rief der Baden-Württemberger noch einmal. Anne blieb notgedrungen stehen und drehte sich genervten Blicks um.
»Was!«, herrschte sie den Fensterunternehmer an.
Achleitner war außer Atem. Nachdem er etwas Luft geschnappt hatte, sagte er in seinem schwäbischen Singsang: »Ich weiß ja gar net, wie Sie heißet!«
»Loop«, antwortete Anne knapp.
»Lob? Des ischt aber ein schöner Name für eine schöne Frau! Ja darf man Sie denn heut schon loben? Haben’S die Frau gefunden?«
»Meinen Namen schreibt man mit P und zwei O.«
»Des ischt ja exotisch.«
›So ein Schleimer‹, dachte Anne sich. Das Wort »exotisch« sprach er, als schreibe man es mit zwei T.
»Und? Gibt’s einen Fahndungserfolg zu vermelden von der schönschten Polizischtin auf Erden?«
»Reißen Sie sich zusammen, Herr Achleitner«, wies Anne den Hotelgast zurecht. »Ich bin im Dienst, und Sie bewegen sich auf einem schmalen Grat.«
Entrüstet schüttelte der Dicke, dessen dunkelbraune Pilotenjacke nach Leder roch, den Kopf. »Es ist mittlerweile schon eine Kataschtrophe in unserem Land: Nicht einmal Komplimente darf man mehr mache’. Und jetzt habe ich ja noch nicht einmal gesagt, dass Ihre hübschen Brüschte gut ein Dirndl ausfülle’ könnten!«
»Herr Achleitner, nochmal: Sie bewegen sich auf dünnem Eis. Zügeln Sie sich. Und kommen Sie zur Sache: Was haben Sie zu sagen?«
Achleitner schüttelte den Kopf. »Ihr deutschen Frauen habt’s doch alle Komplexe! Ich war kürzlich in Thailand …«
»Ach ja?«, fuhr Anne dazwischen. »Haben Sie da ein paar Thaimädchen ordentlich durchgefickt?«
Mit diesem Satz hatte Achleitner nicht gerechnet. Er sah Anne entgeistert an. »Ja, nein, ich meine, also … eine Freundin – ich hatte dort schon eine … so eine Art … Freundin.«
»So eine Art Freundin«, meinte Anne hämisch. »Und wo ist die jetzt, Ihre …« – Anne setzte eine kunstvolle Pause – »… Art Freundin?«
»In Thailand natürlich. Die wartet auf mich. Die freut sich immer, wenn ich komm. Wissen Sie, die Frauen werden dort wirklich nicht gut behandelt …«
Ehe er zu weiteren Ausführungen kam, unterbrach Anne ihn: »Herr Achleitner, ich muss los« und ließ ihn einfach stehen.
Während die Polizistin so schnell rannte, dass sie schon bald völlig außer Atem war – sie wollte den Dicken unbedingt loswerden –, dachte sie darüber nach, ob an Achleitners Verhalten irgendetwas Verdächtiges war. Sprach es für oder gegen ihn, dass er die Ermittler so offensiv auf die Vermisste angesprochen hatte? Fehlte ihm einfach nur jedes Taktgefühl, oder war sein auffälliges Verhalten der Versuch, sich ganz bewusst als unverdächtig darzustellen?
Obwohl Anne beim Joggen ständig nach Hanna Nikopolidou Ausschau hielt, entspannte sie das Laufen mit jedem Schritt mehr. Die Luft war vom gestrigen Regen frisch, der Wald roch erdig. Sie beschloss, auch in den nächsten Tagen hier laufen zu gehen. Es tat ihr gut, und vielleicht würde der Zufall sie auf die Spur der rätselhaft verschwundenen Bankerin setzen. Nach einer Dreiviertelstunde langte sie wieder am Hotel an. Schon von Weitem hatte sie nach Achleitner Ausschau gehalten, um ihm ja nicht noch einmal zu begegnen. Aber die Luft schien rein zu sein. Anne sperrte das Fahrradschloss auf und stieg hastig auf ihr Mountainbike, um zur Polizeiinspektion zu radeln.
Nach einer Dusche im Untergeschoss trat sie erfrischt und in faltenfrei gebügelter Uniform in das Büro, das sie sich mit Sepp Kastner teilte.
»Grüß dich.« Kastner blätterte gerade in einer Akte. Ohne aufzusehen, meinte er: »Wir fahren gleich nach München. Der Schönwetter hat angerufen. Wir sollen die Wohnung von der Nikopolidou durchsuchen und ihr Umfeld abklopfen, privat und beruflich. Vor allem diese Katja Engels. Und der Schönwetter meint auch, dass es einen Abschiedsbrief geben könnte. Wenn wir wüssten, dass sie sich umgebracht hat, dann wären wir einen Schritt weiter, meint der Schönwetter.«
»Also, na ja«, sagte Anne. »Ob man sich ausgerechnet ein Wellnesswochenende bucht, um sich dann umzubringen … Die Berge als Suizidorte sind eher was für Fernsehserien. In der Wirklichkeit sterben die Leute, die im Gebirge ums Leben kommen, doch eher, weil sie verunglücken.«
»Ist ja wurscht, wir sollen jedenfalls nach einem Abschiedsbrief suchen, hat er gesagt, der Schönwetter.«
Hätte man Anne gefragt, wie die Wohnung der Vermissten auf sie wirkte, hätte sie »weiß« gesagt. Die meisten Möbel waren weiß oder zumindest hell lackiert. Anne kannte sich mit Design nicht gut aus, doch die Einrichtung dieses Apartments wirkte richtig teuer auf sie. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass es so leer war. Im Verhältnis zur Größe des Hauptraums – einer Wohnküche von sicherlich vierzig Quadratmetern – war die Anzahl der schnörkellosen Möbel geradezu lächerlich gering.
»Das ist ja eine Turnhalle!«, staunte Kastner.
»Erst mal eine Runde Handschuhe«, meinte Anne und reichte Kastner und Schönwetter, der sie vor dem Münchner Mietshaus erwartet hatte, Einweghandschuhe und Schutzhüllen für die Schuhe.
Nonnenmacher war nicht mitgekommen, er hatte einen wichtigen Termin beim Bürgermeister der südlichen Seegemeinde vorgegeben. Er konnte Schönwetter nicht leiden, fand ihn »surflehrerhaft« und hochnäsig. Außerdem brachte es ihn zur Weißglut, dass sich die Kreisstadtkripo immer, wenn an dem See inmitten von Bergen ein Verbrechen geschehen war, in die Ermittlungen einmischte. Nonnenmacher fand, »dass der Kuhfladen da, wo er ins Gras fiel, zum Odeln genommen werden sollte, und nicht etwa in Burkina Faso oder Preußen«.
Die Wohnung war schnell durchsucht, ohne dass den Ermittlern ein Abschiedsbrief oder etwas anderes Verdächtiges in die Hände gefallen wäre, da schrie Schönwetter plötzlich auf: »Ja, da schau mal an!« In seinen Händen hielt der Kriminalpolizist einen geöffneten, prall gefüllten Umschlag. Sofort kamen Anne und Kastner näher. Schönwetter zog ein dickes Bündel Eurobanknoten aus dem Kuvert. Es bestand vor allem aus Fünfhunderter- und Zweihunderterscheinen. Die Ermittler zählten das Geld und kamen auf einen Betrag von hunderttausend Euro.
»Das ist ja schon sehr merkwürdig.« Anne sah ihre Kollegen nachdenklich an. »Da verschwindet eine Frau, und in ihrer Wohnung liegen hunderttausend Euro in bar herum, einfach so!«
»Wir müssen die Banknoten sofort auf Fingerabdrücke untersuchen lassen.« Schönwetter stand auf. »Haben Sie irgendwo Kontoauszüge oder andere Bankunterlagen gefunden?«
»Ja, dort im Regal war was.« Anne zeigte auf das weiße, hüfthohe Möbel, das unter einem gelb gerahmten Druck von Roy Lichtensteins Interior with Waterlilies stand. Auf dem untersten Brett waren zwölf fein säuberlich beschriftete Leitzordner aufgereiht.
Schönwetter wandte sich den Ordnern zu und kehrte bald darauf mit dreien von ihnen an den Tisch zurück. »Kontoauszüge I«, »Kontoauszüge II« und »Kontoauszüge III«.
In der folgenden Stunde untersuchten die drei Polizisten sämtliche Zahlungsein- und -ausgänge der vergangenen acht Jahre. Doch sie fanden rein gar nichts Verdächtiges. Hanna Nikopolidou verdiente mit rund neuntausend Euro Monatsgehalt überdurchschnittlich gut. Ihr aktueller Kontostand betrug zwölftausend Euro. Auch gab es regelmäßig größere Abbuchungen, aber die höchste unter ihnen betrug dreißigtausend Euro, ging an ihre eigene Bank und war laut Überweisungsvermerk für eine Beteiligung an einem Aktienfonds gedacht. Abgesehen von den monatlichen Gehaltszahlungen waren keine großen Geldeingänge zu verzeichnen.
»Warum lässt eine Bankerin, die sich mit Investments auskennt, hunderttausend Euro in bar bei sich zu Hause herumliegen?« Anne suchte fragend Kastners und Schönwetters Blicke. Doch keiner antwortete. »Das ist zum einen unsinnig, weil sie das Geld sicher rentabler anlegen könnte, und außerdem ist es auch für eine gut verdienende Bankerin definitiv zu viel.«
Schönwetter seufzte. »Vielleicht ist es Schwarzgeld. Ich glaube, ich brauche jetzt erst mal einen Kaffee. Und ich habe noch einen Termin im Präsidium. Wäre es möglich, dass Sie die Banker und Frau Engels ohne mich befragen?« Die anderen beiden nickten.
Die Räume der Bank waren in einem Ende des neunzehnten Jahrhunderts erbauten, prachtvollen Gebäude der Münchner Innenstadt untergebracht. Im Verhältnis zu dessen Größe wirkte Hanna Nikopolidous Büro geradezu winzig. Weil der Chef der Verschwundenen angeblich keine Zeit hatte, baten die drei Ermittler zunächst Nikopolidous Kollegin Jane Kramermayer zum Gespräch. Anne setzte sich auf den Bürostuhl der Verschwundenen, die elegante Rothaarige nahm vor dem Schreibtisch Platz, und Kastner lehnte sich ans Fenster.
»Vielen Dank, Frau Kramermayer, dass Sie sich die Zeit nehmen«, begann Anne die Vernehmung, nachdem sich alle gesetzt hatten.
»Meinen Sie denn, Hanna ist passiert etwas Schlimmes?«
Anne fand den englischen Akzent der Frau süß. »Das können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen«, antwortete sie.
»Äh, Frau Kramermayer?«, fiel Kastner ungefragt in das Gespräch ein. »Sie haben ja so einen ganz leichten, also einen ganz, ganz, gaanz leichten englischen Akzent. Wie kommen Sie da zu diesem Namen? Ich meine, Kramermayer – das ist doch ein ganz normaler bayerischer Name!« Den letzten Teil seines Satzes hatte Kastner beinahe empört ausgestoßen. Als sei es eine Unverschämtheit, mit Akzent zu sprechen, wenn man einen »ganz normalen« bayerischen Namen trägt.
»Ik bin Engländerin, aber meine Mann ist Bayer«, erklärte die Frau, die Anne auf Mitte vierzig schätzte, lächelnd. »Ik finde das ja auch witzig, dass ausgerechnet ik so heiße, aber es war die Liebe, die mik in dieses Land verschlagte.«
»Ja, das hört man«, lachte Kastner, »also, weil Ihr Deutsch, das ist … also, das ist schon sehr …« Etwas hilflos suchte er nach dem richtigen Wort: »… sehr niedlich.« Jetzt wurde er auch noch rot.
»Dass Sie das finden, makes me happy.«
Anne stellte irritiert fest, dass Jane Kramermayer ihren Kollegen Seppi heftigst anflirtete. »Na, dann jetzt aber mal zur Sache!«, unterbrach sie das Geplänkel. »Wann haben Sie Frau Nikopolidou zum letzten Mal gesehen?«
»Am Freitag, kurz bevor sie ins Wellnessweekend gefahren ist.«
»Sie wussten, dass Frau Nikopolidou ein solches Wochenende plante?«
»Ja, das hat sie mir erzählt. Sie hat sik total darauf gefreut.« Jane Kramermayer lächelte Kastner mit klimpernden Wimpern an. Anne sah kurz zu ihrem Kollegen hinüber, doch der war bereits geistig abwesend.
»Was hat Frau Nikopolidou noch über ihre Pläne an diesem Wochenende erzählt?«
»Nikts weiter. Sie war k. o. und freute sich auf Whirlpool und Sauna und so.«
Anne warf einen weiteren Blick zu Kastner. Es war unglaublich, wie dämlich Seppi diese Engländerin anhimmelte! Der Polizeihauptmeisterin fiel es schwer, sich zu beherrschen. »Hatte Frau Nikopolidou hier in der Bank Feinde oder … irgendwelche Probleme?«, wandte sie sich erneut an Jane Kramermayer.
Diese wurde nun ernster: »So gut kannte ich Hanna nikt.« Sie zögerte. »Ik meine, wir waren Kollegen. Aber was in ihrem Privatleben war, das weiß ik nikt.«
»Uns geht es nicht nur um Frau Nikopolidous Privatleben«, erklärte Anne. »Interessant wäre auch zu wissen, ob sie gemobbt wurde, hier in der Bank. Ob es Streitigkeiten gab. Ob die Vorgesetzten mit ihr zufrieden waren, ob es Ärger gab – solche Dinge können für uns wichtig sein.«
Weil Jane Kramermayer nicht reagierte, sondern seltsam ins Leere schaute, zog Anne das Foto, das sie in der Brieftasche der Vermissten gefunden hatten, hervor und fragte: »Kennen Sie den Mann, den Frau Nikopolidou hier küsst?«
Die Bankerin betrachtete kurz den blonden Mann auf dem Foto und sagte dann völlig überrascht: »Ja, das ist Christian. Christian Reitzle. Er arbeitet in eine andere Abteilung. Aber ik wusste nikt, dass er … und … Hanna.« Sie sah Anne und Kastner ratlos an. »Hatten die was?«
»Das würden wir gerne von Ihnen wissen, Frau Kramermayer.«
»Ik sehe das zum ersten Mal. Christian und Hanna? Ik meine, der ist doch jünger als sie.« Sie schüttelte den Kopf. »Wo ist die Foto entstanden?«
»Das Foto«, verbesserte Kastner sie, seine Stimme war liebevoll.
»Sie wissen also nichts von dieser Verbindung?«
»Nein, überhaupt nikt.«