Eine Weltgeschichte
von Geld und Wert
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Gendererklärung
Der besseren Lesbarkeit wegen verwendet der Autor im nachfolgenden
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1. Auflage
© 2022 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München,
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Gesetzt aus der Palatino, Lagrom, Frutiger
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Autorenillustrationen: Claudia Meitert/carolineseidler.com
eISBN: 978-3-7110-5327-5
Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles.
Ach wir Armen!
Johann Wolfgang von Goethe, Faust I.
In truth, the gold standard is already
a barbarous relic.
John Maynard Keynes (1924)
PROLOG: VON GOETHE, GOLD UND GELD
TEIL I
1VOM URSPRUNG DES GELDES
Geld als Mittel zum Tausch
Geld als Maß für Schuld
Geld als Pfand für Ansprüche auf Eigentum
Geld als Medium der menschlichen Gesellschaft
2VOM WARENGELD ZUM PAPIERGELD
Geldverschlechterung
Unlautere Geldvermehrung
Chinesisches Papiergeld
3DIE ENTSTEHUNG DER ZENTRALBANKEN
Stockholms Banco
Die Bank von England
4DIE GELDORDNUNG WIRD GLOBAL
Sir Isaac Newtons folgenschwerer Rechenfehler
Globalisierung im Goldstandard
Feindliche Brüder
Keynes versus White
Der Nixon-Schock
Lord Keynes folgenschwerer Wahrnehmungsfehler
Die Monetaristische Konterrevolution
Der Maestro betritt die Bühne
Der Kreis schließt sich
TEIL II
5GELD- UND FINANZKRISEN ALS TEIL DES SYSTEMS
John Laws Geldexperiment
Laws Erben
Hyperinflation
Magier des Geldes
Die Große Depression
Die Währungsreform von 1948
Die Bubble Economy in Japan
Die Abwicklung der DDR
Greed is good
6WÄHRUNGSUNIONEN SOUVERÄNER STAATEN
Die Lateinische Münzunion
»Monetaristen« versus »Ökonomisten« im Werner-Plan
Kampf um Symmetrie im Europäischen Währungssystem
Frankreich am Ziel: die Wirtschafts- und Währungsunion
Das Ende der Ordnungspolitik
7WENN DEM VERSICHERUNGSSTAAT DAS GELD AUSGEHT
Sicherheit kontra Freiheit
Der Allversicherungsstaat
Die Krise des Versicherungsstaats
8WIE ES WEITERGEHEN KÖNNTE
Siegeszug der Modernen Monetären Theorie
Von der finanziellen Repression zur Geldkrise
Von der Geldkrise zur Geldreform
Privates Vollgeld als Alternative
Die Zentralbanken schlagen zurück
Ein unerhörter Vorschlag
Was tun?
EPILOG: DIE NEUE STAGFLATION
Anmerkungen
Literatur
Sachregister
Personenregister
Grafiken- und Tabellenverzeichnis
J. W. Goethe, Faust II, Erster Akt, Lustgarten
Kanzler: Beglückt genug in meinen alten Tagen.
So hört und schaut das schicksalschwere Blatt,
Das alles Weh in Wohl verwandelt hat.
Er liest: »Zu wissen sei es jedem, der’s begehrt:
Der Zettel hier ist tausend Kronen wert.
Ihm liegt gesichert, als gewisses Pfand,
Unzahl vergrabnen Guts im Kaiserland.
Nun ist gesorgt, damit der reiche Schatz,
Sogleich gehoben, diene zum Ersatz.«
Kaiser: Ich ahne Frevel, ungeheuren Trug!
Wer fälschte hier des Kaisers Namenszug?
Ist solch Verbrechen ungestraft geblieben?
Schatzmeister: Erinnre dich! Hast selbst es unterschrieben;
Erst heute Nacht. Da standst als großer Pan,
Der Kanzler sprach mit uns zu dir heran:
»Gewähre dir das hohe Festvergnügen,
Des Volkes Heil, mit wenig Federzügen.«
Du zogst sie rein, dann ward’s in dieser Nacht
Durch Tausendkünstler schnell vertausendfacht:
Damit die Wohltat allen gleich gedeihe,
So stempelten wir gleich die ganze Reihe,
Zehn, Dreißig, Fünfzig, Hundert sind parat.
Ihr denkt euch nicht, wie wohl’s dem Volke tat.
Seht eure Stadt, sonst halb im Tod verschimmelt,
Wie alles lebt und lustgenießend wimmelt!
Obschon dein Name längst die Welt beglückt,
Man hat ihn nie so freundlich angeblickt.
Das Alphabet ist nun erst überzählig,
In diesem Zeichen wird nun jeder selig.
Als Goethe die berühmte Papiergeldszene in Faust II verfasste, hatte er vor allem die österreichische Inflation vor Augen, die er in Karlsbad als Kurgast kennengelernt hatte.1 Die napoleonischen Kriege hatten die österreichischen Staatsfinanzen zerrüttet. Zur Staatsfinanzierung gab die Regierung immer größere Mengen an Papiergeld, die »Bancozettel«, heraus. Der Umtausch der Zettel gegen Metallgeld wurde verboten. Im Zeitraum von 1798 bis 1811 steigerte sich die Anzahl der im Umlauf befindlichen Bancozettel um 1000 Prozent.2
Goethe lässt den Ausgang der Geldvermehrung in seinem Drama offen. Faust zieht zu anderen Abenteuern weiter. In der wirklichen Welt erlitten die »Tausendkünstler« Schiffbruch. Die »Seligkeit« währte nicht lang. Am 20. Februar 1811 erklärte die österreichische Regierung formell den Staatsbankrott und stellte die Zahlungen teilweise ein. Die Bancozettel wurden schließlich zum 31. Januar 1812 für ungültig erklärt.
Auch heute sind wieder »Tausendkünstler« am Werk. Sie sitzen in den Zentralbanken und »stempeln gleich die ganze Reihe«, damit »die Wohltat allen gleich gedeihe«. Die Wirtschaft blüht auf. Doch folgt der Scheinblüte schnell der Verfall der Kaufkraft des künstlich geschaffenen Geldes, die Inflation. Die Zeichen stehen an der Wand, aber die Verantwortlichen weigern sich, sie zu sehen. Es ist höchste Zeit, die Augen aufzumachen. Wer dabei zurückblickt, kann die Zukunft ahnen.
Denn Inflationen haben eine lange Vorgeschichte. Sie haben schon Jahrhunderte vor Goethe Nationen in den Ruin getrieben und sich in Zentraleuropa, im 20. Jahrhundert, mehrmals auf eindrucksvolle Weise wiederholt. Die Anmutung der Papiergeldszene aus Faust II ist daher tief im kollektiven Gedächtnis auch derjenigen Bewohner Zentraleuropas eingegraben, die von Goethe nie etwas gehört haben.
Wer aber darauf hinweist, dass die »Tausendkünstler« auch heute ihr Unwesen treiben, dem wird von Ökonomen oft mangelndes Verständnis der »modernen Geldpolitik« und Sparbesessenheit vorgeworfen. So schrieb der britische Starkolumnist Martin Wolf dazu in der Financial Times vom 20. Januar 2015:
» Die Betonung der Schlechtigkeit von Schulden (…) ist pathologisch. Es hängt nun alles an der Europäischen Zentralbank. Sie mag scheitern, aber nicht, weil sie zu unabhängig ist, sondern weil sie nicht unabhängig genug ist. Gleichermaßen mag die Eurozone scheitern, nicht wegen unverantwortlicher Verschwendung, sondern wegen pathologischer Konsumverweigerung. «
Ist es jedoch nicht so, dass man gerade in Deutschland, dem Land Goethes und dem Land, in dem es 1923 mit der Hyperinflation zu einer der radikalsten Geldentwertungen der Geschichte im Bereich der großen Industrienationen gekommen ist, nur zu gut über die vermeintlichen Segnungen der Geld- und Schuldenvermehrung Bescheid weiß? Ist es nicht so, dass dies weniger an den deutschen Genen als an einem aus Erfahrung geborenen anderen Verständnis des Geldes liegt? Kann es sein, dass dieses Verständnis nur deshalb als »pathologisch« bezeichnet wird, weil es der Geldlehre widerspricht, die unsere heutigen Zentralbanker von John Law und John Keynes übernommen haben?
John Laws Aktivitäten als Bankier und Finanzier führten noch zu seinen Lebzeiten (1671–1729) in eine geldpolitische Katastrophe. Der schottische Ökonom war nicht nur ein Abenteurer und Glücksspieler, sondern auch ein höchst origineller Geldtheoretiker. Er verstand Geld als Anspruch auf Waren, der vom Staat geschaffen werden konnte, um die Warenproduktion und -zirkulation anzuregen. Gedeckt werden sollte dieses Geld durch das Vermögen des Staates, das nicht nur aus Gold und Silber, sondern auch aus Land und künftigen Steuereinnahmen bestand. Laws Geld sollte »atmen«: Wenn das Staatsvermögen stieg, dann sollte damit auch der Geldbestand wachsen.
Im frühen 18. Jahrhundert konnte Law seine geldtheoretischen Überlegungen als Generalkontrolleur der Finanzen des französischen Staates in die Praxis umsetzen. Er bündelte die amerikanischen und asiatischen Besitzungen des französischen Staates in eine Aktiengesellschaft, die auch das Recht zur Einnahme der indirekten Steuern in Frankreich erhielt. Gegen die Aktien dieser Firma gab er Banknoten aus. Mit dem zunächst schnell steigenden Aktienvermögen der Firma stieg auch der Geldumlauf. Als sich jedoch Zweifel am wirtschaftlichen Erfolg der überseeischen Besitzungen des Unternehmens einstellte, stürzte der Aktienpreis ab, und das dagegen ausgegebene Geld verlor an Wert. In der kurzen Zeit von 1716 bis 1720 durchlief Laws »atmendes Geldsystem« den ganzen Glanz und das Elend eines künstlich geschaffenen Geldes.
Dies hielt seinen geistigen Nachfahren John Maynard Keynes in den 20er- und 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts nicht davon ab, Gold als »barbarisches Relikt« zu bezeichnen und ebenfalls für ein »atmendes Geldsystem« einzutreten. Keynes sprach sich außerdem für das sogenannte deficit spending aus, was das Ganze noch schlimmer machte. Denn er erkannte, dass die Konsumenten, sobald sie sinkende Preise erwarteten, Geld zurückhalten würden, um damit in der Zukunft billiger einkaufen zu können. Daraus folgerte er, dass auch eine noch so große Geldvermehrung die Geldhortung nicht überwinden könne. Folglich müsse der Staat durch deficit spending, also die Erhöhung öffentlicher Ausgaben, ohne dass die momentan vorhandenen Einnahmen zur Deckung ausreichen, die Nachfragelücke füllen und die Wirtschaft aus der Schrumpfung reißen.
Deficit spending wurde dann auch nach der Abkopplung des globalen Geldsystems vom Gold in den 1970er-Jahren eine beliebte Staatstätigkeit. Geldmangel war nicht das Problem, man konnte ja drucken, so viel man brauchte: »Damit die Wohltat allen gleich gedeihe, so stempelten wir gleich die ganze Reihe, Zehn, Dreißig, Fünfzig, Hundert sind parat. Ihr denkt euch nicht, wie wohl’s dem Volke tat.«
Doch die Blüte entpuppte sich als Scheinblüte. Ende der 1970er-Jahre blieben den Staaten und ihren Bürgern, wie bei John Law, nur erdrückende Schulden und Geldentwertung. Man hätte meinen können, dass damit die Frage nach dem Nutzen des »atmenden Geldsystems« ein für alle Mal beantwortet gewesen sei. Schön wär’s gewesen. Schon in den 90er-Jahren fand die Welt an der Geldvermehrung wieder Gefallen und trieb es bis zum Platzen der großen Kreditblase im Jahr 2007 besonders bunt.
Und auch seither sehen die »Tausendkünstler« die Lösung der durch die Geldvermehrung verursachten Probleme in einer weiteren Geldvermehrung. Allenfalls haben sich die Quellen der Geldschöpfung geändert: Waren es vor der Finanzkrise die privaten Banken, die über die Vergabe von Krediten Geld produzierten, so nehmen heute die Zentralbanken die Sache selbst in die Hand und drucken das Geld gleich für den Staat. Noch ist es zu früh, genau zu sagen, wohin die Reise diesmal gehen und auf welche Art sie enden wird. Aber dass es ein Happy End werden wird, ist nicht sehr wahrscheinlich.
Das Problem des Systems des »atmenden Geldes« ist, dass Geld darin nicht nur ein Tauschmittel, sondern auch ein Finanzierungsinstrument darstellt. Wird es über die Kreditvergabe der Geschäftsbanken geschaffen, dann ist es privates Schuldgeld, wird es von der Zentralbank im Auftrag des Staates herausgegeben, dann hat es Ähnlichkeit mit dem Eigenkapital einer Unternehmung. Die Geldproduktion findet dabei immer in einem Spannungsverhältnis statt. Auf der einen Seite steht die Notwendigkeit zum Erhalt des in das Geld gesetzten Vertrauens als Mittel zum Tausch und zur Wertaufbewahrung, auf der anderen Seite die Versuchung, das Angebot zur Stimulierung von Wirtschaftsaktivitäten und Finanzierung von Staatsausgaben auszuweiten.
Meist kommt es dabei zu Zyklen in der Geldproduktion. Weil Vertrauen auf Vorschuss erhältlich ist, kann das Geldangebot lange Zeit scheinbar ohne Schaden und zum Nutzen aller ausgeweitet werden: »Seht eure Stadt, sonst halb im Tod verschimmelt, wie alles lebt und lustgenießend wimmelt! Obschon dein Name längst die Welt beglückt, man hat ihn nie so freundlich angeblickt. Das Alphabet ist nun erst überzählig, in diesem Zeichen wird nun jeder selig« – bis der Vorschuss an Vertrauen aufgebraucht ist und schließlich eingefordert wird.
Dem Geldkonzept John Laws und John Maynard Keynes steht diametral das Geldverständnis des Liberalen John Locke gegenüber, der von 1632 bis 1704 lebte und wirkte. Für ihn war Papiergeld nur dann rechtmäßig, wenn es einen Verwahrschein für hinterlegtes Gold (oder je nach gesellschaftlicher Übereinkunft andere zu Geld gewordene Waren) darstellte. Dass geborgtes Geld wie eine geborgte Ware mit Leihgebühr wieder zurückgegeben werden muss, setzt der Verschuldung bei Locke enge Grenzen. Ebenso ist die Vermehrung von Geld durch nicht manipulierbare, äußere Grenzen der Verfügbarkeit (wie zum Beispiel der Produktionskapazität von Goldminen) begrenzt. Oder der Vermehrung von Geld können Grenzen durch den Wettbewerb gesetzt werden: Wenn mehrere Währungen um die Gunst der Nutzer konkurrieren, dann gewinnen diejenigen, die den Nutzern als Mittel zum Tausch und zur Wertaufbewahrung am besten dienen.
Heute prallen die beiden Geldkonzepte von Law und Locke aufeinander, aber nicht mehr entlang nationalstaatlicher Grenzen, sondern in der weltweiten Debatte über die Folgen der ungezügelten Geldvermehrung in den Zeiten der Coronapandemie. Die Mehrheit der Politiker, Zentralbanker und Ökonomen hängen Laws Geldkonzept an. Mehr durch Verschuldung geschaffenes künstliches Geld schafft dem Staat und privaten Schuldnern direkten Nutzen: Sie erhalten Waren und Dienstleistungen gegen die über ihre aufgenommenen Kredite geschaffenen Ansprüche. Diejenigen, die Früchte ihrer Arbeit oder Vermögen gegen das neu geschaffene Geld abgegeben haben, halten möglicherweise ungedeckte nominale Ansprüche, die in realen Werten gerechnet mit der Zeit verfallen können. Dass die Nutznießer von Laws Geldsystem dessen Kritiker beschimpfen, ist nur folgerichtig. Denn Law verspricht: »In diesem Zeichen wird nun jeder selig.«
Sind wir auf dem Weg zur Glückseligkeit, oder bewegen wir uns in die entgegengesetzte Richtung? Dieser Frage möchte ich in diesem Buch nachgehen. Dabei werden wir in Teil I erfahren, wo das Geld herkommt und wie es sich über die Zeit gewandelt hat. Und wir werden die Globalisierung des Geldes verfolgen. Teil II zeigt, wie uns die Geldschöpfung immer wieder Geld- und Finanzkrisen beschert hat. Außerdem werden wir nachvollziehen, welche Rolle das Geld bei der Integration der europäischen Nationalstaaten unter einem europäischen Dach und bei der Errichtung des modernen Versicherungsstaats gespielt hat.
Dabei werden wir unter anderem entdecken,
•dass in China schon im Jahr 1005 der vermeintliche Segen des Papiergeldes zum Fluch geriet
•wie ein Rechenfehler des berühmten Physikers Isaac Newton zuerst den Briten und dann der Welt den Goldstandard bescherte
•dass der Keynesianismus, schon vor Keynes’ im Jahr 1936 veröffentlichter »Allgemeinen Theorie«, im Nazideutschland der frühen 30er-Jahre entstand
•warum der Internationale Währungsfonds seit seiner Gründung von einem Europäer geführt wird
•wie, als Kollateralschaden der Bekämpfung von Währungsspekulanten durch US-Präsident Richard Nixon, das Bretton-Woods-Währungssystem zerfiel und das »Fiat«-Kreditgeldsystem entstand
•dass die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion dem lang gehegten Wunsch französischer Politiker entsprang, Europa unter französischer Führung zu einen und
•dass Banken- und Finanzkrisen in der Regel die Folge von Geldvernichtung durch Kreditausfälle sind, Geldkrisen dagegen durch übermäßige Geldvermehrung entstehen.
Zum Abschluss erlaubt uns das Buch schließlich einen Blick in die Glaskugel, um zu erahnen, wie es weitergehen könnte. Seit der Coronakrise kommt es, wie gesagt, erneut zur ungezügelten Geldvermehrung nicht nur auf der Ebene der Zentralbanken, sondern auch auf derjenigen der Geschäftsbanken. Ein gewaltiger Geldüberhang, der die Voraussetzungen für eine neue Geldkrise schafft, ist entstanden. Das aktuelle Inflationsgeschehen hat entsprechend ein hohes Krisenpotenzial, und die Wahrscheinlichkeit, dass das Geld, wie wir es kennen, seinem Ende naht, ist groß.
Solange es jedoch zu keinen grundlegenden politischen Umbrüchen kommt, dürfte eine Geldkrise aber eher schleichend und verdeckt als plötzlich und mit einem Paukenschlag kommen. Ein Ende nach langer Schwindsucht – ein langsamer Verfall der Kaufkraft – ist wahrscheinlicher als ein Ende durch einen plötzlichen Kollaps der Kaufkraft. Im Euroraum wird die Schwindsucht vermutlich in Form der »Liraisierung« des Euros, also durch eine allmähliche Aufweichung der einst stabilen Währung, kommen.
Was können wir tun? Besonders die Sparer in den Ländern, die man neuerdings die »sparsamen Vier« nennt,* werden sich auf die schleichende Eurokrise einstellen müssen. Ihrem liebsten Kind, dem Sparbuch, müssen sie als Mittel zur Wertaufbewahrung abschwören. Sie können dem Verfall des Euros nur begegnen, indem sie ihre Geldersparnisse in reale Vermögenswerte anlegen, so wie einst auch die Italiener beim Verfall der Lira.
Dazu gehören die heiß begehrten Immobilien, aber noch mehr die von vielen Sparern misstrauisch beäugten Aktien. Denn im Gegensatz zu Immobilien, die für viele Sparer oft ein Klumpenrisiko darstellen, erlaubt die Geldanlage in Aktien eine breite Risikostreuung über viele Regionen, Industrien und Firmen. Sowohl ihr Erwerb als auch ihre Veräußerung kann über die Zeit gestreckt werden, sodass der Anleger von zeitweiligen Marktverwerfungen weniger betroffen ist.
Gold war und ist der klassische Schutz gegen Inflation. Aber zunehmend gewinnen auch Kryptowährungen an Bedeutung, zunächst als Mittel zur Wertaufbewahrung, in Zukunft vielleicht auch als Mittel zur Transaktion. Das Geldwesen ist im Umbruch. Mehr denn je kommt es in dieser Zeit darauf an, »Wert« als solchen zu erkennen und sich nicht vom »Schein« blenden zu lassen.
*Als die »sparsamen Vier« werden in der Debatte um die europäische Finanzpolitik die auf Sparsamkeit dringenden Regierungen Österreichs, Dänemarks, der Niederlande und Schwedens bezeichnet. Früher gehörte dazu auch Deutschland, bis die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Olaf Scholz dem Drängen von Frankreich, Italien und Spanien nachgab und der gemeinschaftlichen Schuldenaufnahme zur Finanzierung von Ausgaben der Europäischen Union zustimmte sowie die monetäre Finanzierung der Staatsverschuldung durch die Europäische Zentralbank stillschweigend hinnahm.
Eisen war das gewöhnliche Handelsmittel unter den alten Spartanern, Kupfer unter den alten Römern, Gold und Silber unter allen reichen handeltreibenden Nationen.
Im Studium wurde mir, wie bis heute allen angehenden Volkswirten, kurz und knapp erklärt, Geld sei ein Mittel zum Tausch, zur Wertaufbewahrung und eine Rechnungeinheit. Lange Zeit habe ich diese apodiktische Behauptung nicht weiter hinterfragt. Aber so einfach ist es nicht. Geld ist ein gesellschaftliches Instrument, dessen Komplexität oft nicht verstanden wird.
In der wissenschaftlichen Literatur lassen sich zur Natur des Geldes zwei unterschiedliche Theorien finden: eine ökonomische und eine anthropologisch-historische. Der bekannteste Vertreter der ökonomischen Auffassung des Geldes ist der schottische Moralphilosoph und Ökonom Adam Smith, der im 18. Jahrhundert das theoretische Gerüst für die heute gültige Lehre von der Ökonomie schuf. Er konstatierte, dass Geld als Mittel zum Tausch in der arbeitsteiligen Wirtschaft entstand. Einer seiner Herausforderer aus unserer Gegenwart war der im Jahr 2020 verstorbene Anthropologe und Aktivist David Graeber, der an der London School of Economics and Political Science lehrte und der annahm, Geld sei als Maßeinheit für Kredit beziehungsweise Schuld entstanden. Mit ihnen stehen sich ein Klassiker der Nationalökonomie aus dem 18. Jahrhundert und ein zeitgenössischer Anthropologe, Kritiker unseres Finanzsystems sowie erklärter Anarchist gegenüber, was sie umso spannender macht. Werfen wir zunächst einen Blick auf den Klassiker und seine Auffassung von Geld.
Adam Smith wurde am 16. Juni 1723 in Kirkcaldy, Schottland, getauft. Schon ab seinem 14. Lebensjahr studierte er an der Universität Glasgow. Mit 17 Jahren ging er ans Balliol College der Universität Oxford, wo er bis 1746 Philosophie studierte. Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in seiner Geburtsstadt Kirkcaldy hielt er 1748 und 1749 öffentliche Vorlesungen in Edinburgh. Im Jahr 1751 wurde er Professor für Logik und kurze Zeit später, im Jahr 1752, mit 29 Jahren Professor für Moralphilosophie an der Universität Glasgow.
Smith war ein Kind der Aufklärung. Er war mit dem Philosophen David Hume befreundet und lernte auf einer Bildungsreise durch Frankreich mit dessen Hilfe Voltaire kennen. Ebenso traf er die französischen Ökonomen Jacques Turgot und François Quesnay. Im Jahr 1776 erschien sein bedeutendstes Werk, Der Wohlstand der Nationen – Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen. Bis heute gilt es als der Klassiker der ökonomischen Wissenschaft.
Smith sieht in der Arbeitsteilung die Quelle des wirtschaftlichen Fortschritts und der Mehrung des Wohlstands. Er meinte, man könne das am besten erkennen, wenn man sich ein einfaches Gewerbe genau ansehe, zum Beispiel die Werkstatt eines Nadelmachers. Ein einzelner Arbeiter, der jeden Schritt in der Herstellung selbst machen würde, könne mit viel Fleiß vielleicht nicht einmal eine Nadel pro Tag herstellen. Werde die Arbeit aber aufgeteilt, könnten viel mehr Nadeln produziert werden. Die Aufteilung unter den Arbeitern sehe dann so aus:
»Der eine zieht den Draht, ein anderer streckt ihn, ein dritter schneidet ihn ab, ein vierter spitzt ihn zu, ein fünfter schleift ihn am oberen Ende, wo der Knopf angesetzt wird.«3
Er habe eine kleine Fabrik gesehen, in der nur zehn Arbeiter beschäftigt waren, erzählt Smith. In dieser Fabrik konnten an einem Tag bis zu zwölf Pfund Stecknadeln hergestellt werden. Und er rechnet vor:
»Ein Pfund enthält über viertausend Nadeln von mittlerer Größe. Diese zehn Personen konnten demnach täglich über achtundvierzigtausend Nadeln herstellen. Da jeder den zehnten Teil von achtundvierzigtausend Nadeln machte, so lässt sich auf jeden täglich viertausendachthundert Nadeln rechnen. Hätten sie dagegen alle einzeln und unabhängig gearbeitet und wäre keiner für diese besondere Tätigkeit angelernt worden, so hätte gewiss keiner zwanzig, vielleicht nicht eine Nadel täglich machen können.«4
Wie die Arbeitsteilung in einem Gewerbe, so bringe die Arbeitsteilung in einer Gesellschaft jenen allgemeinen Wohlstand hervor, der sich selbst bis in die untersten Klassen des Volkes erstrecke.
Die Teilung der Arbeit, so Smith, sei nicht das Werk menschlicher Weisheit, sondern die Neigung der menschlichen Natur zum Tauschhandel. Nie habe man einen Hund mit einem anderen einen gütlichen und wohlbedachten Austausch eines Knochens gegen einen anderen vornehmen sehen. Der Mensch dagegen verfolge egoistische Ziele und diese erlange er durch die Hilfe anderer. Für den Moralphilosophen Smith war es daher ausgemachte Sache, dass bei der Verfolgung dieser Ziele durch Teilung der Arbeit höherer gesellschaftlicher Wohlstand entstand:
»Nicht von dem Wohlwollen des Fleischers, Brauers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von ihrer Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse. Wir wenden uns nicht an ihre Humanität, sondern an ihren Egoismus, und sprechen nie von unseren Bedürfnissen, sondern von ihren Vorteilen.«5
Arbeitsteilung und Tausch gehen natürlich Hand in Hand. Wer nur Nadeln herstellt, um Smiths Beispiel aufzugreifen, kann von seinem Produkt allein nicht leben. Er muss es gegen andere Dinge eintauschen, die er für den Lebensunterhalt braucht. Smith spekulierte daher, dass jeder kluge Mensch nach der ersten Einführung der Arbeitsteilung eine gewisse Menge einer besonderen Ware in Bereitschaft hielt, von der er erwarten konnte, dass nur wenige diese Waren zum Eintausch einer von ihm benötigten anderen Ware zurückweisen würden.
Im Lauf der Zeit seien verschiedene Waren als Tauschmittel genutzt worden, von Vieh über Muscheln, Stockfisch, Tabak, Zucker, Häute, Leder bis zu Nägeln. Doch hätten die Menschen scheinbar in allen Ländern vor allen anderen Waren Metallen den Vorzug gegeben. Metalle ließen sich gut aufbewahren, in viele kleine Teile zerlegen oder schmelzen, alles Vorteile, die keine andere Ware als Tauschmittel zu bieten gehabt hätte.
Für Smith bestimmte jedoch die Arbeit den wahren Maßstab des Tauschwertes der Güter und nicht, wie für die Ökonomen der physiokratischen Schule wie Quesnay und Turgot, natürliche Ressourcen. Denn nach der Arbeitsteilung müsse jeder über den Tausch von zum Tauschmittel gewordenen Waren die Arbeit anderer beziehen, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. »Die Arbeit ist also der wahre Maßstab des Tauschwertes aller Waren.«6 Dieser Wert lasse sich aber besser nach der Quantität des Tauschmittels schätzen als nach der Quantität der Arbeit. Folglich werde der Preis von Waren in Quantitäten des Tauschmittels beziffert. Das daraus resultierende Geld wurde dann später »Warengeld« genannt.
Smiths Lehre vom Arbeitswert der Güter floss sowohl in die ökonomische Theorie von Karl Marx als auch in die klassische und neoklassische ökonomische Theorie ein. Jedoch wurde sie von den späteren Ökonomen der österreichischen Schule, wie Carl Menger, Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek, vehement abgelehnt. Sie meinten, nicht die aufgewendete Arbeit bestimme den Preis, sondern der von einem Käufer am Markt gebotene Preis bestimme, was für die Arbeit bezahlt werden könne.
Verschiedene Völker hätten verschiedene Metalle bevorzugt, schreibt Smith. Die Spartaner zum Beispiel Eisen, die Römer Kupfer und die späteren, Handel treibenden Nationen Gold und Silber. Da es nicht immer einfach gewesen sei, Qualität und Gewicht der Metalle zu prüfen, habe es sich eingebürgert, Qualität und Menge zu normieren und zur Bestätigung mit einem Staatsstempel zu versehen. So sei der Staat ins Spiel gekommen.
Doch hätten in allen Ländern der Welt »Geiz und Ungerechtigkeit der Fürsten und Staatsoberhäupter das Vertrauen der Untertanen missbraucht und nach und nach den wirklichen Metallgehalt, welcher ursprünglich in den Münzen vorhanden war, verringert.«7 Damit spricht Smith ein Übel an, das so alt ist wie die Einmischung der Obrigkeit ins Geldwesen: die Geldverschlechterung. Damit werden wir uns noch eingehend befassen. Aber bevor wir das tun, wollen wir uns noch mit einem von Smiths stärksten Widersachern unserer Zeit beschäftigen: mit dem Anthropologen David Graeber.
ADAM SMITHS GRUNDTHESEN
•Arbeitsteilung ist die Grundlage unseres Wohlstands.
•Macht jeder das, was er am besten kann, muss er durch Tausch mit anderen erwerben, was er nicht herstellt.
•Da es schwierig ist, Tauschpartner zu finden, die genau das Gut tauschen wollen, das der andere will, haben sich Tauschmittel entwickelt. Als Tauschmittel dienen Güter, die allgemein begehrt sind. Wer ein solches Gut eintauscht, kann davon ausgehen, dass andere dieses Gut gegen von ihm hergestellte Güter annehmen.
•Im Lauf der Zeit haben sich Metalle, vor allem Gold und Silber, zu Tauschmitteln entwickelt.
Graeber wurde 1961 in New York geboren und war nach eigenen Aussagen seit seinem 16. Lebensjahr Anarchist. Er studierte an der State University of New York und der Universität von Chicago, wo er 1996 promovierte. Zwei Jahre später wechselte er an die Yale University, wo er als Assistant and Associate Professor tätig war. Im Jahr 2005 entschied der Fachbereich Anthropologie dieser Universität, Graebers Lehrauftrag nicht zu verlängern, sodass er keine ordentliche Professur erhalten konnte. Dies führte zu erheblichen Protesten von Studenten, Aktivisten und Fachkollegen, die jedoch keinen Erfolg hatten.
Nach mehreren viel beachteten Vorträgen erhielt David Graeber 2007 einen Lehrauftrag am Goldsmith College der Universität von London, bevor er 2013 zum Professor an der London School of Economics ernannt wurde. Graeber spielte eine herausragende Rolle in der Occupy Wall Street Bewegung, die im Sog der Finanzkrise im September 2011 in New York City begann. Graebers wichtigstes Werk ist Schulden: Die ersten 5000 Jahre, das im Jahr 2011 erschien und in dem er Adam Smiths These vom Tausch als Grundlage wirtschaftlicher Beziehungen infrage stellt.8 Im September 2020 verstarb Graeber überraschend auf einer Urlaubsreise in einem venezianischen Krankenhaus.
Graeber und andere Vertreter der anthropologisch-historischen Sicht betonen, dass in Urgesellschaften und in der Antike wirtschaftliche Beziehungen in Form von Kredit im Vordergrund standen. Tausch spielte vornehmlich dann eine Rolle, wenn nicht die Mitglieder einer Gesellschaft untereinander, sondern Mitglieder verschiedener Gesellschaften wirtschaftliche Beziehungen eingingen. Geld entstand daher nach Graeber nicht als Tauschmittel, wie von den klassischen Ökonomen behauptet, sondern als Maßeinheit für Kredit oder auch Schuld, insbesondere gegenüber der Obrigkeit. In seinem Buch Schulden: Die ersten 5000 Jahre zitiert Graeber als Kronzeuge für diese Auffassung seine Anthropologenkollegin Caroline Humphrey: »Nie wurde eine einfache und reine Tauschwirtschaft je beschrieben, und noch viel weniger die Entstehung von Geld daraus. Alle verfügbaren anthropologischen Studien widerlegen die Idee der reinen Tauschwirtschaft.«9
Graeber verweist auf zahlreiche Studien primitiver Gesellschaften, in denen wirtschaftlicher Austausch in Form von »Geben und Nehmen«, oder eben Kredit und Schuld, und nicht als Tauschgeschäft beschrieben wird. Tausch kommt nur in dem besonderen Fall ins Spiel, wenn die beteiligten Parteien kein Vertrauen zueinander haben, also wenn zum Beispiel der Austausch zwischen Angehörigen unterschiedlicher Stämme und nicht zwischen denen des gleichen Stammes stattfindet. Das bedeute jedoch nicht, dass der Tauschhandel nicht existiere oder nie praktiziert wurde, sondern dass er in diesen Gesellschaften normalerweise nur zwischen Fremden oder Feinden stattfinde.
Graeber führt aus, dass »Geben und Nehmen« auch die dominante Form des Austausches in den vorchristlichen Gesellschaften Mesopotamiens und Babyloniens war. »Geld« in unserem heutigen Sinne als universelles Maß und Tauschmittel gab es nicht. Wie Felix Martin in Money: The Unauthorised Biography (dt. Ausgabe: Geld, die wahre Geschichte) erklärt, wurden Transaktionen in Mesopotamien lediglich gebucht und verrechnet.10
Berühmt für ein auf Kredit basierendes Geldsystem wurde die Pazifikinsel Yap, nachdem der amerikanische Abenteurer William Henry Furness seine dort gemachten Beobachtungen 1910 in einem Buch beschrieb.11 Die Leute von Yap, fand Furness heraus, bezahlten mit Steinmünzen, die so groß wie Mühlsteine waren. Diese Münzen konnten unmöglich physisch bei jeder Transaktion den Besitzer wechseln, weil sie einfach viel zu groß und schwer waren. Tatsächlich lagerten sie einfach in der Landschaft.
Einer dieser großen Mühlsteine war einmal bei einem seltenen Transport übers Meer mitsamt dem Schiff vor der Küste von Yap gesunken. Obwohl der Stein auf dem Meeresgrund lag, tat dies der Zahlungsfähigkeit seines Besitzers keinen Abbruch, denn für die Leute von Yap waren die Steine keine Tauschmittel, die von Hand zu Hand wanderten, sondern Zeichen für die Kreditwürdigkeit des Besitzers. Transaktionen wurden getätigt, indem Kredite, die man sich einräumte, gegeneinander verrechnet wurden. Wenn sich die Transaktionen nicht ausglichen, jemand also Nettokreditgeber oder -schuldner war, so wechselte ein Teil des Steines virtuell den Besitzer, ohne dass dieser seine physische Lage verändert hätte.
Im spätmittelalterlichen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation konnte man nicht nur seine Schuld gegen andere, sondern auch seine Schuld gegen Gott mit Geld messen und abtragen. Intensiver als wir heute für unser Alter vorsorgen, bemühten sich die Menschen des Spätmittelalters, für das Jenseits vorzusorgen.12 Vor dem Eintritt in den Himmel, so glaubte man, wartet auf den Sünder das Fegefeuer. Je höher die Schuld, die akribisch vermessen wurde, desto länger der Aufenthalt dort. Da der Mensch schuldig geboren wurde und andauernd neue Schuld auf sich lud, brauchte er laufend Entlastung. Er gewann sie durch die Gnade Gottes.
Glücklicherweise konnte man sich diese aus dem Gnadenschatz der Kirche erwerben. Für gute Werke gab es Ablass, der entsprechend Zeit im Fegefeuer ersparte. Auf einem Heilsmarkt konkurrierten verschiedene Gnadenangebote, die mit Ablasswerten in Form von eingesparten Tagen im Fegefeuer beziffert waren. Ablasse mussten ursprünglich erarbeitet werden, zum Beispiel durch Beten, Wallfahren oder Küssen von heiligen Reliquien, und waren daher knapp. Später wurden sie reichlich aus dem immateriellen Gnadenschatz der Kirche geschöpft und konnten mit Geld gekauft werden. Das Geld musste der Schuldner »im Schweiße seines Angesichts« verdienen, wie er sich vorher auch den Ablass erarbeitet hatte. Aber da nun das Gnadenangebot unendlich war, entstand ein Missverhältnis: zu viel Gnade traf auf knappes Geld. Der Heilsapparat zur Jenseitsvorsorge schuf schließlich durch übermäßige Gnadenschöpfung eine gigantische Ablassblase, die in der Reformation platzte.
Laut Karl Marx kommen große Ereignisse in der Geschichte immer zweimal vor: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Der Tragödie der Reformation dürfte die Farce einer Geldkrise folgen, deren Vorbeben in der Finanzkrise von 2007/08 sichtbar wurde. Allerdings mit dem Unterschied, dass anstelle übermäßiger Gnadenschöpfung übermäßige Geldschöpfung für die Krise verantwortlich sein wird. Darauf werden wir an späterer Stelle zurückkommen.
Geld kann nicht nur als Mittel zum Tausch, sondern auch als Verrechnungseinheit viele Formen annehmen, zum Beispiel die Form von Nutzvieh, Getreide, Nägeln oder eben auch Edelmetallen. In England dienten vom 12. bis zum späten 18. Jahrhundert spezielle Weidenstöcke, die an der Themse wuchsen, der Staatskasse zur Verrechnung von Einnahmen und Ausgaben. Die Transaktionen wurden auf die Weidenstöcke geschrieben und der Stock dann der Länge nach entzweigeschnitten, sodass beide Seiten, Gläubiger und Schuldner, einen Nachweis für die Transaktion hatten.
Trotz des Gebrauchs dieser Stöcke über 600 Jahre sind heute leider nur noch wenige erhalten. Im Jahr 1782 schaffte das britische Parlament das System der »Kerbhölzer« ab.* Doch die Stöcke wurden noch viele Jahre benutzt und erst 1834 vollständig durch Papiernoten ersetzt. Im Gefühl, dass nun eine neue Zeit angebrochen war, entschloss man sich, die rückständigen Kerbhölzer in einem Ofen des Oberhauses zu verbrennen. Dabei ging man wohl fahrlässig vor, denn die Täfelung des Sitzungssaales fing Feuer. Bald stand das ganze Oberhaus in Flammen, die dann auf das Unterhaus übergriffen. Beide Häuser des Parlamentes brannten vollständig ab und wurden bis 1852 in der Form, wie wir sie heute kennen, wieder aufgebaut.
Laut Graeber verändert Geld erst dann seinen Charakter als Maß für Kredit sowie Schuld und wird zum Tauschmittel, wenn das Vertrauen innerhalb einer Gesellschaft verloren geht und durch Machtverhältnisse ersetzt wird. So entstand Münzgeld vornehmlich aus militärischen Gründen: Herrscher gaben ihren Soldaten Münzen. Gleichzeitig verlangten sie, dass die Bauern ihre Steuern in Form eben dieser Münzen entrichteten. Dem so geschaffenen Geldangebot stand damit laut Graeber eine künstlich erzeugte Geldnachfrage gegenüber. Die Bauern mussten den Soldaten Waren gegen Münzen abtreten, die sie benötigten, um ihre Steuern zu bezahlen. Im Gegenzug ließen die Soldaten die Bauern in Ruhe. Auf diese Weise erfolgte die Versorgung der Armee wesentlich geordneter und damit auf weniger schädliche Weise, als wenn die Soldaten ihren Bedarf durch Plünderung befriedigt hätten.
Wenn nun Geld seiner Natur nach vornehmlich ein Maß für die Schuld des Untertanen oder (später) Bürgers an den Staat ist, so ist es folgerichtig, dass dieses Geld durch den Staat emittiert wird. Die Schuld kann dann beglichen werden, indem der Untertan oder Bürger sich seiner Schuld gegenüber dem Staat mit vom Staat geschaffenem Geld entledigt, das er im Tauschhandel verdient hat. Im obigen Beispiel erkennt der Herrscher die Steuerschuld der Bauern als beglichen an, wenn sie ihm die Münzen zurückgegeben haben.
Ein Bürger kann Geld aber auch bei einem anderen Bürger gegen eine Ware oder Dienstleistung eintauschen und dieser andere kann nun seine eigene Schuld gegenüber dem Staat mit dem Schuldgeld begleichen, oder er kann es an einen weiteren weitergeben, sodass es in der Wirtschaft zirkuliert, bis es der Staat endgültig wieder einfordert. Je weniger aktiv der Staat im Wirtschaftsprozess ist, desto mehr zirkuliert das vom Staat ursprünglich herausgegebene Geld unter den Wirtschaftssubjekten statt zwischen ihnen und dem Staat.
Die Einmischung herrschaftlicher Macht in den Geldverkehr hat den Nationalökonomen Friedrich Knapp in seiner 1905 erschienenen Schrift Staatliche Theorie des Geldes veranlasst zu erklären: »Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung«. Damit begründete er eine »Chartalismus« genannte Geldtheorie, die heute wieder Furore macht.*
Nach dem Buch des britischen Ökonomen Felix Martin Geld, die wahre Geschichte kann man Geld nicht auf ein physisches Transaktionsmittel reduzieren. Es ist eine soziale Technik, die auf drei fundamentalen Elementen beruht. Das erste Element ist eine abstrakte Maßeinheit für Wert. Das zweite ein Kontosystem, in dem festgehalten wird, wer wem was schuldet. Das dritte Element ist die Möglichkeit, dass der ursprüngliche Gläubiger die ihm zustehende Schuld auf einen Dritten übertragen kann, um damit eine eigene Schuld abzutragen.13 Aber ist diese soziale Technik überhaupt wünschenswert? Wären wir nicht besser dran, wenn wir sie erst gar nicht entwickelt hätten?
Graeber meint, wir befänden uns in einem Dilemma. Wir schienen hin- und hergerissen zu sein zwischen einerseits der Vorstellung einer Gesellschaft nach der Beschreibung von Adam Smith als einer Ansammlung von Individuen, die fröhlich eine Sache gegen eine andere eintauschten, um der gegenseitigen Bequemlichkeit willen, mit Schulden, die fast vollständig aus dem Bild verschwunden sind. Andererseits hingen wir einer Vision nach, in der Schulden alles seien, die eigentliche Substanz aller menschlichen Beziehungen. Das hinterlasse natürlich das unangenehme Gefühl, dass menschliche Beziehungen irgendwie ein geschmackloses Geschäft seien, dass unsere eigentliche Verantwortung füreinander bereits irgendwie zwangsläufig auf Sünde und Verbrechen beruhe.
Beide Vorstellungen würden haltlos werden, so Graeber weiter, wenn man sich in Erinnerung riefe, dass in beiden Systemen Menschen zum Objekt wurden, vom Verkauf von Mädchen in arrangierten Ehen bis zum Sklavenhandel. Am Ende stehe immer die Gewalt.14 Was aber wäre der Ausweg? Vielleicht die Einsicht, dass Geld nicht alles, die Begleichung von Schuld nicht der Kern der Moralität, sondern Schuld nur ein durch »Mathematik und Gewalt korrumpiertes Versprechen« ist? Braucht die Welt einen biblischen Schuldenerlass?15 Vielleicht. Aber wäre das Dilemma dann ein für alle Mal aufgelöst? Wie das Scheitern des »real existierenden Sozialismus« eindrucksvoll gezeigt hat, liegt die Lösung bestimmt nicht in der staatlich verordneten Produktion und Zuteilung von Gütern.
Die Ökonomen Gunnar Heinsohn und Otto Steiger vertreten die These, dass Geld mit der Abtretung von Eigentum in die Welt kam.16 Nehmen wir an, ein Bauer hinterlässt seinen Kindern einen Wirtschaftsbetrieb. Die Erbschaft kann dadurch geregelt werden, dass erstens das erstgeborene Kind den gesamten Betrieb erhält und die anderen Kinder leer ausgehen, zweitens der Betrieb unter allen Kindern aufgeteilt wird, oder drittens ein Kind den Betrieb weiterführt und seinen Geschwistern verbriefte Ansprüche auf ihre Erbteile einräumt, die diese jedoch nicht einlösen, weil sie in Form von Zinszahlungen am Ertrag des Betriebes beteiligt werden. Indem diese Ansprüche auf Dritte übertragen werden könnten, sei das Geld entstanden, meinen Heinsohn und Steiger.17
Die Entstehung von Eigentum ist aus dieser Sicht also die Voraussetzung für die Entstehung von Geld und Zins, die wiederum eine Quelle für wirtschaftliche Effizienz ist. Denn es ist allen gedient, wenn das fähigste statt des erstgeborenen Kindes den Betrieb insgesamt weiterführt und er nicht willkürlich zerschlagen wird. Allerdings hat Goethe schon viel früher darauf hingewiesen, wie man mit der Abtretung von Eigentum Schindluder treiben kann. »Der Zettel hier ist tausend Kronen wert. Ihm liegt gesichert, als gewisses Pfand, Unzahl vergrabnen Guts im Kaiserland«, sagt der Kanzler in Faust II. »Unzählig« und »vergraben« ist ein »gewisses« Pfand. »Wer’s glaubt, wird selig«, hätte ein Schelm hinzufügen können.
Mit ihrer Theorie widersprechen auch Heinsohn und Steiger Adam Smith und stimmen Graebers These vom Geld als Maß für Schuld zu. Andererseits vertreten sie eine völlig andere Position als Graeber bei der Einschätzung der Rolle des privaten Eigentums. Während dieses für Heinsohn und Steiger grundlegend für die Geldwirtschaft ist, ist privates Eigentum bei Graeber der Stachel im Fleisch einer harmonischen menschlichen Gemeinschaft.
Die hier besprochenen Theorien zum Ursprung des Geldes haben alle einen plausiblen Kern. Aber wie viele Erklärungen aus einem Guss leiden auch sie daran, dass sie keine bis in alle Verästelungen reichende, überzeugende Darlegung der Wirklichkeit geben können. Insbesondere versagen sie für die Beschreibung der gegenwärtigen Verhältnisse. Heute ist Geld sowohl Tauschmittel als auch ein Maß für Schuld. Es stellt die Verpflichtung einer staatlichen Zentralbank in Form von Banknoten dar, die nicht zu einem festgelegten Termin zurückgezahlt werden. Oder es ist eine Schuldverschreibung privater Banken in Form von Bankguthaben, die nur innerhalb bestimmter Grenzen mit staatlicher Garantie in Banknoten, also in die Verpflichtung der staatlichen Zentralbank, eingetauscht werden können. Der Zins auf Geldguthaben ist mittlerweile passé, und das vom Staat als gesetzliches Zahlungsmittel deklarierte Geld (und seine Abbildung in Bankguthaben) hat Konkurrenz von privaten Kryptowährungen bekommen.
Vielleicht hilft es dem Verständnis, wenn wir Geld wie Sprache als Medium des zwischenmenschlichen Austausches verstehen. Sprache entstand auch wie Geld in unterschiedlichen Ausprägungen, die sich im Verlauf der Zeit wandelten. Wie Sprache dem Austausch von Informationen und Gedanken dient, erlaubt Geld den reibungsarmen Austausch von Waren und Dienstleistungen. Sprache lässt sich in Schrift und Tonaufzeichnungen konservieren und heute elektronisch global verbreiten. Geld kann man durch Sparen akkumulieren und global verleihen oder in Geschäftsbeteiligungen wandeln. Und wie sich noch keine Kunstsprache wie Esperanto im Gebrauch durchgesetzt hat, hat auch bisher keine künstlich geschaffene Geldunion dauerhaft überlebt.
Halten wir fest: Geld ist ein komplexes gesellschaftliches Instrument. Es kann als Mittel zum Tausch, zur Wertaufbewahrung und als Rechnungseinheit verwendet werden. Es kann aber auch ein Maß für Schuld sein und als Pfand für Ansprüche auf Eigentum entstehen. Um Geld in seiner ganzen Vielfalt zu verstehen, reicht eine Theorie aus einem Guss nicht aus. Man muss seine historische Entwicklung verfolgen. Und um die Zukunft des Geldes zu ergründen, muss man aus der Erzählung seiner Geschichte plausible weitere Entwicklungen ableiten. Das wollen wir in den folgenden Kapiteln tun.
*Die Sprachwendung von »etwas auf dem Kerbholz haben« zeigt, dass es diese Methode der Erfassung von Kredit und Schuld auch im deutschen Sprachgebrauch gab.
*Und er erklärte apodiktisch: »Eine Theorie des Geldes kann daher nur rechtsgeschichtlich sein.« Knapp (1905), S. 1.
Und der Kaiser lässt jedes Jahr eine so große Menge dieses Geldes, das ihn nichts kostet, herstellen, dass es in der Menge allen Schätzen der Welt entsprechen muss.
Wenn Geld ein Maß für Schuld (mit oder ohne Pfand) ist und es maßlose Schuld gibt, die den Schuldner auf ewige Zeit in der Hölle schmoren lässt, dann gibt es auch keine Beschränkung für die Menge des umlaufenden Geldes (insbesondere wenn nur ein ungewisses Pfand irgendwo vergraben ist). Darauf werden wir später zurückkommen. Wenn aber Geld ein Mittel zum Tausch und eine als Tauschmittel geeignete Ware zu Geld geworden ist, dann ist die Menge des umlaufenden Geldes durch die Menge dieser Ware begrenzt.
Wo immer das Warengeld verwendet wurde – und wenn man Graeber glaubt, dann erfolgte das vor allem dann, wenn die Beziehungen der Wirtschaftsakteure nicht auf persönlichem Vertrauen gründeten – kämpften die Menschen gegen die Knappheit des Geldes an. In diesem Kapitel wollen wir ergründen, wie sie diesen Kampf führten und wie sie tricksten, indem die Herrscher dieser Welt das Warengeld verschlechterten, und Banken hinterlegtes Warengeld weiterverliehen sowie Warengeld durch Papiergeld ersetzten.
Von Adam Smith haben wir gelernt, dass sich Metalle besonders als Tauschmittel eigneten. Dabei wurden Gewicht und Qualität zum leichteren Gebrauch genormt, was die Obrigkeit gerne übernahm, da sie durch Qualitätsminderung das Geld zu ihren Gunsten vermehren konnte. Schon das Römische Reich nutzte die Geldverschlechterung, um seine ausufernden Aktivitäten zu finanzieren, sodass sich sein Niedergang schließlich darin spiegelte. Zur Zeit von Christi Geburt und des Kaisers Augustus bestand ein Denarius zu mehr als 90 Prozent aus Silber. Gut 200 Jahre später, zur Zeit des dekadenten und verrückten Kaisers Elagabal, waren es noch 50 Prozent. Dann kam es zum galoppierenden Wertverfall. In weniger als 50 Jahren rutschte der Silbergehalt auf nur noch fünf Prozent bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts ab (Grafik 1). Die neue Münze bestand weitgehend aus Kupfer mit einem Silberbezug, der jedoch im Gebrauch schnell abgerieben wurde.
Die Geldverschlechterung führte zur Verteuerung von Gütern und machte höhere Löhne insbesondere für die Soldaten nötig. Der Jahreslohn eines römischen Legionärs verdreifachte sich in den ersten beiden Jahrhunderten nach Christi Geburt von rund 200 auf mehr als 600 Denarii. »Barbarische« Söldner, die eine höhere Kampfkraft hatten, mussten in Gold bezahlt werden. Die Steuern stiegen, der Handel kam mangels Gold und Vertrauen in die billigen Münzen zum Erliegen. Ein Kaiser folgte auf den anderen und das Reich wurde nach und nach von den »Barbaren« überrannt.