KNOW YOUR RIGHTS

Vorwort

Luisa Neubauer

 

Als ich klein war, dachte ich, dass wir Kinder so etwas wie Gäste wären. Ich dachte, wir wären Gäste in einer Welt der Erwachsenen. Und dass wir Kinder geduldig warten müssten, bis wir alt genug wären, um so richtig mitzumachen. Es gab viel, wofür ich lang nicht »alt genug« war. Ich war nicht alt genug, um zu verstehen, wie Politik funktioniert, oder warum Erwachsene sagen, wir sollen Müll nicht auf die Straße werfen, und es dann doch selbst tun.

 

Damals kam es mir so vor, als hätten wir mit den Erwachsenen eine stille Vereinbarung getroffen. Dass wir, wenn wir schon selbst noch nicht so richtig mitreden dürften, uns darauf verlassen könnten, dass die Erwachsenen sich kümmern würden. Und wenn sich die Erwachsenen schon um alles kümmerten, dann doch auch um unsere Zukunft. Oder?

 

Ich wünschte, mir hätte jemand Bescheid gegeben. Ich wünschte, jemand hätte mir gesagt, dass wir gar keine Gäste sind. Sondern dass die Welt auch unsere ist. Und dass wir ein Recht darauf haben, die Welt zu verstehen, sie zu beleben, sie zu unserem Zuhause zu machen. Ich wusste einfach nicht, dass ich mit 12 Jahren die gleichen Rechte habe, wie meine Mutter mit ihren 52 Jahren. Und ich wusste auch nicht, dass die Erwachsenen mir zwar sagen würden, keinen Unfug anzurichten, aber selbst ganz schön viel Unfug veranstalten.

 

Aber: Es könnte – nein, es kann alles anders sein. Denn Kinder haben Rechte. Du hast Rechte! Und wenn du sie kennst, kannst du sie einfordern. Ich habe spät verstanden, was für eine Macht wir jungen Menschen haben. Dass wir die Macht haben, für unsere Rechte einzustehen, dass wir laut werden können und dass wir die Welt – unsere Welt – verändern können. Aber es geht! Heute kennt jedes Kind die Bilder von den jungen Menschen, die überall auf der Welt auf die Straße gehen. Diese Bilder sind mehr als Beweise, dass wir unsere Zukunft und unsere Rechte verteidigen können. Diese Bilder sollen Trost spenden und bestärken. Sie sollen ermutigen und sie sollen dich daran erinnern, dass du auf dieser Welt nicht zu Gast bist.

 

Warte nicht, bis du eingeladen wirst, diese Welt zu gestalten. Leg los und lass dich nicht aufhalten!

 

Luisa

Kinderrechte sind Menschenrechte!

»Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität begegnen.«

 

So steht es in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR), die von den Vereinten Nationen (United Nations, kurz: UN) am 10. Dezember 1948 verabschiedet wurde. Sie ist das meistübersetzte Dokument der Welt. In über 500 Sprachen kann man die Menschenrechte lesen, es gibt sogar eine Version in Brailleschrift (Blindenschrift).

Vielleicht fragst du dich jetzt, warum ein Buch über Kinder- und Jugendrechte mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beginnt? Sie stellt das Fundament für die Rechte dar, die in der UN-Kinderrechtskonvention genauer ausformuliert wurden. Eben mit einem besonderen Blick auf Kinder- und Jugendliche. Die Prinzipien, die für die Menschenrechte gelten, gelten also auch für die Rechte von Kindern und Jugendlichen in der UN-Kinderrechtskonvention.

Am 10. Dezember wird weltweit der Tag der Menschenrechte gefeiert.

Die internationalen Tage und Jahre werden von der Generalversammlung der UN beschlossen. Sie sollen die Aufmerksamkeit auf wichtige Themen oder Problemlagen von Menschen weltweit lenken.

Was die Menschenrechte ausmacht

Auf der zweiten Weltkonferenz über Menschenrechte, die 1993 in Wien stattfand, wurde von den Vereinten Nationen eine Erklärung verfasst, die sogenannte »Wiener Erklärung«. Hier werden drei Prinzipien benannt, die beschreiben, was die Menschenrechte ausmacht:

Die Prinzipien der Menschenrechte

1. Menschenrechte sind unveräußerlich.

Sie sind Rechte, die ich nicht verlieren kann, da sie schlichtweg an die Tatsache geknüpft sind, Mensch zu sein. Man muss sie sich auch nicht erst »verdienen« oder sie von jemandem »zugestanden« bekommen.

 

2. Menschenrechte sind universell.

Sie gelten für alle Menschen weltweit, ohne Unterschiede oder zeitliche Begrenzung.

 

3. Menschenrechte sind unteilbar.

Sie bedingen einander und sind eng miteinander verknüpft.

Und ganz wichtig:

Kein Recht ist wichtiger als das andere.

(vgl. Kompass 2020, S. 428)

Diese Prinzipien stecken hinter Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Sie anzuerkennen bedeutet anzuerkennen, dass jeder Mensch Träger der Menschenrechte ist – und eben auch jedes Kind und jede:r Jugendliche!

Warum extra Rechte für Kinder und Jugendliche?

Nun könnte man sich fragen, warum es denn überhaupt noch eine UN-Kinderrechtskonvention gibt, wenn die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte doch für alle gilt.

Eine Antwort auf diese Frage liegt in der Form begründet.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist – wie der Name schon sagt – eben eine Erklärung. Die UN-Kinderrechtskonvention hingegen ist ein völkerrechtlicher Vertrag, den die Regierung für den ganzen Staat unterzeichnet. Mit dieser Unterzeichnung geht der Staat eine Pflicht ein. Das ist sehr viel konkreter.

Eine weitere Antwort liegt darin, dass man innerhalb der Vereinten Nationen schon bald bemerkt hatte, dass Kindern und Jugendlichen der Zugang zu ihren Rechten oft nur »indirekt« möglich ist. Wenn es beispielsweise darum geht, sich gegen staatliche Maßnahmen zu wehren, dann sind sie auf Erwachsene angewiesen – ihre Eltern oder andere für ihre Erziehung verantwortliche Personen –, die das in ihrem Namen für sie machen. Mit gutem Grund, denn Kinder und Jugendliche sind schließlich keine Erwachsenen und sollen auch noch einen besonderen Schutz genießen. Das wiederum führt aber nicht selten dazu, dass die Erwachsenen alles unter sich ausmachen und die Kinder und Jugendlichen gar nicht nach ihrer Meinung gefragt werden. Damit bleibt ihre Sichtweise außen vor. Und genau hier setzt die UN