Buch

Der Mond explodierte ohne Vorwarnung und ohne erkennbaren Grund. Die Uhrzeit würde man später als A+0.0.0 oder schlicht Null bezeichnen …

05:03:12 Weltzeit. Die Stunde Null. Nach der Explosion des Mondes wütet über Jahrtausende ein Meteoritensturm, der die Erdoberfläche in eine unbewohnbare Wüstenei verwandelt. Um die Menschheit vor der Auslöschung zu bewahren, schicken die Nationen der Erde eine Flotte von Archen ins All. Der Asteroid Amalthea – ursprünglich zu Forschungszwecken an eine internationale Raumstation angedockt –, soll der Kolonie als Schutzschild dienen. Doch das Leben im Weltraum fordert einen hohen Tribut, und der Fortbestand der menschlichen Zivilisation steht auf Messers Schneide …

»Die extreme Bandbreite und enorme Tiefe von ›Amalthea‹ ist beeindruckend. Ein herausragendes Buch!« Library Journal

Autor

Neal Stephenson wurde 1959 in Fort Meade, Maryland, geboren. Seit seinem frühen Roman »Snow Crash« gilt der mehrfach ausgezeichnete Autor als eines der größten Genies der amerikanischen Gegenwartsliteratur. »Cryptonomicon«, seine Barock-Trilogie mit den Bänden »Quicksilver«, »Confusion« und »Principia«, sowie »Anathem«, der Thriller »Error« und sein jüngstes Werk »Amalthea« wurden weltweit begeistert aufgenommen und stürmten die Bestsellerlisten.

Mehr zum Autor und seinen Büchern finden Sie unter www.neal-stephenson.de.

Mehr von Neal Stephenson:

Snow Crash. Roman ( nur als E-Book erhältlich)

Diamond Age. Die Grenzwelt. Roman ( nur als E-Book erhältlich)

Anathem. Roman ( als E-Book und Taschenbuch erhältlich)

Cryptonomicon. Roman ( nur als E-Book erhältlich)

Die Barock-Trilogie:

Quicksilver. Roman ( als E-Book und Taschenbuch erhältlich)

Confusion. Roman ( als E-Book und Taschenbuch erhältlich)

Principia. Roman ( nur als E-Book erhältlich)

Neal Stephenson

AMALTHEA

Roman

Deusch von
Juliane Gräbener-Müller
und Nikolaus Stingl

MANHATTAN

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Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel »Seveneves« bei William Morrow, an imprint of HarperCollins Publishers, New York.
Manhattan Bücher erscheinen im Wilhelm Goldmann Verlag, München, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Copyright © der Originalausgabe 2015
by Neal Stephenson
All rights reserved.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Die Nutzung des Labels Manhattan erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Hans-im-Glück-Verlags, München
Redaktion: Jochen Stremmel
Illustrationen: Weta Workshop; Copyright © by Neal Stephenson
Lead Illustrator: Christian Pearce
Creative Research: Ben Hawker und Paul Tobin
Umschla ggestaltung und Konzeption: Buxdesign, München
Umschlagmotiv: shutterstock/Sdecoret
Autorenfoto: © Peter von Felbert
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-16875-9
V007
www.manhattan-verlag.de

Für Jaime, Maria, Marco und Jeff

TEIL 1

Das Zeitalter des einen Mondes

Der Mond explodierte ohne Vorwarnung und ohne erkennbaren Grund. Er war im Zunehmen, zum Vollmond fehlte nur ein Tag. Die Zeit war 05:03:12 UTC. Später würde man sie als A+0.0.0 oder schlicht Null bezeichnen.

Ein Amateurastronom in Utah war der erste Mensch auf der Erde, dem klar wurde, dass etwas Ungewöhnliches geschah. Augenblicke zuvor hatte er in der Umgebung der Reiner-Gamma-Formation, in der Nähe des Mondäquators, eine Trübung entstehen sehen. Er nahm an, dass es sich um eine Staubwolke handelte, die von einem Meteoriteneinschlag herrührte. Er zückte sein Handy und bloggte das Ereignis, wobei er seine steifen Daumen (denn er befand sich hoch auf einem Berg, und die Luft war ebenso kalt wie klar) so rasch wie möglich bewegte, um sich den Entdeckeranspruch zu sichern. Bald würden andere Astronomen ihre Fernrohre auf dieselbe Staubwolke richten – taten es vielleicht bereits! Aber – vorausgesetzt er konnte die Daumen rasch genug bewegen – er wäre der Erste, der darauf hinwies. Der Ruhm fiele ihm zu; falls der Meteorit einen sichtbaren Krater zurückließ, würde dieser vielleicht sogar seinen Namen tragen.

Sein Name fiel dem Vergessen anheim. Bis er sein Handy aus der Tasche gezogen hatte, gab es seinen Krater nicht mehr. Sowenig wie den Mond.

Als er das Handy einsteckte und das Auge wieder an das Okular seines Fernrohrs hielt, stieß er einen Fluch aus, weil er nichts als eine gelbbraune Trübung sah. Er musste das Fernrohr versehentlich unscharf gestellt haben. Er begann an der Scharfeinstellung zu drehen. Das half nicht.

Schließlich zog er den Kopf vom Okular zurück und blickte mit unbewaffnetem Auge auf die Stelle, wo der Mond sein müsste. In diesem Augenblick hörte er auf, Wissenschaftler zu sein, und unterschied sich in nichts mehr von Millionen anderer Menschen in Nord- und Südamerika, die voller Ehrfurcht und Verblüffung das Außergewöhnlichste anstarrten, was Menschen je am Himmel gesehen hatten.

Wenn im Film ein Planet explodiert, verwandelt er sich in einen Feuerball und hört zu bestehen auf. Mit dem Mond verhielt es sich anders. Zwar setzte das Agens (wie man die geheimnisvolle Kraft, die es bewirkte, schließlich nannte) eine sehr große Menge von Energie frei, aber nicht annähernd genug, um die gesamte Substanz des Mondes in Feuer zu verwandeln.

Die weithin akzeptierte Theorie besagte, dass die Staubwolke, die der Astronom in Utah beobachtet hatte, von einem Einschlag herrührte. Dass, mit anderen Worten, das Agens von außerhalb des Mondes gekommen war, dessen Oberfläche durchdrungen, sich tief in sein Zentrum gebohrt und dann seine Energie freigesetzt hatte. Oder dass es einfach auf der anderen Seite wieder ausgetreten war und unterwegs genügend Energie abgegeben hatte, um den Mond auseinanderbrechen zu lassen. Einer anderen Hypothese zufolge handelte es sich bei dem Agens um einen in Urzeiten von Außerirdischen im Mond vergrabenen Sprengsatz, der so eingestellt war, dass er detonierte, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt waren.

Die Folge jedenfalls war erstens, dass der Mond in sieben große und unzählige kleinere Stücke zerlegt wurde. Und zweitens, dass diese Stücke so weit auseinanderstrebten, dass sie als getrennte Objekte – riesige, unebene Brocken – zu beobachten waren, nicht aber weiter voneinander wegflogen. Die Stücke des Mondes blieben von der Schwerkraft gefesselt, eine Ansammlung riesiger Felsstücke, die chaotisch um ihr gemeinsames Gravitationszentrum kreisten.

Dieser Punkt – ehedem der Mittelpunkt des Mondes, nun aber eine Abstraktion im Raum – drehte sich weiterhin wie schon seit Milliarden von Jahren um die Erde. Sodass die Menschen auf der Erde nun, wenn sie zu der Stelle am Nachthimmel aufblickten, wo der Mond hätte sein müssen, stattdessen diese langsam taumelnde Konstellation weißer Brocken sahen.

Zumindest sahen sie das, als der Staub sich verzog. In den ersten Stunden zeigte sich das, was der Mond gewesen war, bloß als eine etwas mehr als mondgroße Wolke, die sich vor dem Morgengrauen rötete und im Westen unterging, während der Astronom in Utah vollkommen perplex zusah. Asien blickte die ganze Nacht zu einer mondfarbenen Trübung auf. Innerhalb dieser begannen sich helle Flecken abzuzeichnen, während Staubteilchen sich auf den nächstgelegenen schweren Stücken absetzten. Europa und dann Amerika wurde ein klarer Blick auf den neuen Stand der Dinge beschert: sieben riesige Felsbrocken, wo der Mond hätte sein sollen.

Ehe die Führer der wissenschaftlichen, militärischen und politischen Welt das Wort »Agens« zur Bezeichnung dessen zu verwenden begannen, was auch immer den Mond gesprengt hatte, wurde der Begriff, jedenfalls in den Augen der Allgemeinheit, am häufigsten mit dem aus Groschenheften oder zweitklassigen Filmen bekannten Geheim- oder FBI-Agenten assoziiert. Menschen von eher technischer Denkweise hätten ihn vielleicht zur Bezeichnung irgendeines Wirkstoffs, zum Beispiel eines Reinigungsmittels, verwendet. Die genaueste Entsprechung dafür, wie der Begriff künftig stets verwendet werden würde, fand sich in der Linguistik: Darin bezeichnet der Begriff Agens die semantische Rolle, die ein Ereignis verursacht, eine Situation kontrolliert. Als Patiens hingegen wird bezeichnet, wer oder was durch die Situation oder das Ereignis affiziert wird, ohne sie zu kontrollieren. Das Agens agiert. Das Patiens ist passiv. In diesem Falle hatte ein unbekanntes Agens auf den Mond eingewirkt. Passiver Rezipient dieser Aktion war der Mond zusammen mit sämtlichen, im sublunaren Reich wohnenden Menschen. Viel später würden sich die Menschen vielleicht aufraffen, aktiv zu werden, wieder die Rolle des Agens zu übernehmen. Vorderhand aber und bis weit in die Zukunft würden sie sich mit der Rolle des Patiens bescheiden müssen.