Die kleine Stadt Witterstein verträumt zu nennen, war die Untertreibung des Jahrhunderts. Jedenfalls dann, wenn man den elfjährigen Jago fragte. In seinen Augen war Witterstein eher verschnarcht, um nicht zu sagen: wie ausgestorben.
Aber an diesem Samstag im Mai sollte alles anders sein. Denn heute stieg das Spectaculum – ein spektakuläres Mittelalterfest.
Als Jago mit seinem Skateboard unterm Arm vor die Haustür trat, fuhr er in Gedanken schon übers Festgelände. Auf den Plakaten hatte er etwas von Ritterkämpfen gelesen. Das klang vielversprechend.
In allen Details stellte sich Jago vor, wie er seinen Gegner nach einem schweißtreibenden Kampf mit einem perfekt platzierten Lanzenhieb aus dem Sattel hebelte. Ha! Was gab es wohl als Preis?
Bloß keinen öden Pokal!, dachte er. Lieber zehn Tickets für eine Achterbahn – das wär’s!
Bestens gelaunt stieg Jago aufs Skateboard und zischte los. Die Luft war frühlingshaft warm, Jagos dunkelbraune Rastazöpfe flogen im Wind und seine Vorfreude wuchs mit jedem Meter.
Er fuhr den kleinen Berg hinab, auf dem er mit seinem Vater wohnte, und folgte dem Verlauf der alten Stadtmauer. Jagos Ziel war das Südtor, denn dort begann die Juliusbrücke. Und auf dieser Brücke fand das Spectaculum statt.
Je näher Jago seinem Ziel kam, umso mehr verkleidete Menschen sah er durch die Straßen ziehen. Die ganze Stadt schien in Feierlaune zu sein. Noch ein paar Kurven, dann tauchte das Tor vor Jago auf. Darüber erhob sich ein Wachturm mit mächtigen Zinnen.
„Jago!“, rief ein blonder Junge aus der Menschenmenge.
Jago brauchte einen Moment, bis er seinen Freund Phil erkannte. Phil trug eine Mönchskutte und sah darin noch dürrer aus, als er ohnehin schon war.
Nun drehte auch das Mädchen neben Phil den Kopf: Karoline, von allen „Kresse“ genannt, weil in ihren Haaren lauter grüne Strähnen leuchteten. Sie ging heute als Robin Hood.
Die Freunde hatten sich am Tor verabredet. Allerdings war keine Rede davon gewesen, dass Phil und Kresse mit Eltern aufkreuzen würden!
Na toll! Hätten sie die nicht zu Hause lassen können?, dachte Jago mürrisch. Nicht dass die uns den ganzen Spaß verderben …
Sein eigener Vater war mal wieder auf Dienstreise. Sehr vorbildlich, wie Jago fand.
Als er bremste, musterte Kresse sein T-Shirt und runzelte die Stirn.
„Was ist?“, fragte er irritiert. „Hab ich mich bekleckert?“
„Wieso hast du dich denn nicht verkleidet?“, wollte Kresse wissen.
„Ja, es ist doch ein Mittelalterfest“, pflichtete Phil ihr bei.
Jago machte eine abwehrende Handbewegung. „Verkleiden ist nicht so mein Ding.“
Mit enttäuschter Miene sagte Kresse: „Also, du hättest dir wirklich etwas einfallen lassen können.“
„Hey, jetzt mach mal halblang! Ich hab immerhin mein Smartphone zu Hause gelassen.“ Zum Beweis zog Jago seine Hosentaschen nach außen. „Wie abgemacht.“
„Handys auf einem Mittelalterfest, das wäre ja auch noch schöner!“, mischte sich nun auch noch Phils Vater ein. Er ging als Bauer und schwenkte eine gewaltige Mistgabel. „So, nun wollen wir mal!“
[Lösung]
* Die Antworten auf Fragen in der Grübelbox hingegen findest du in der Geschichte.
„Wie das riecht!“, sagte sie schwärmerisch. „Nach Zimt, Braten und Pferdemist.“
„Und wie das klingt!“, rief Phil begeistert. „Dudelsäcke und Trommeln und Drehorgeln!“
Jeder bekam einen Stempel in Form eines Ritterschildes auf den Arm gedrückt. Dann schritten sie erwartungsvoll durch das Tor und Jago sang aus voller Kehle: „Jetzt geht’s lo-oos! Jetzt geht’s lo-oos!“
Er konnte ja nicht ahnen, welche Schrecken ihnen an diesem Tag bevorstanden …