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Für alle Buchliebhaber, groß oder klein.
Diese Bücher sind für euch.



Übersetzung aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch


ISBN 978-3-492-97529-2
Oktober 2016
© Jennifer L. Armentrout 2013
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Frigid«, Spencer Hill Contemporary, an imprint of Spencer Hill Press, Contoocook 2013
© der deutschsprachigen Ausgabe:
Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016
Covergestaltung: Zero Werbeagentur, München
Covermotiv: FinePic®, München
Datenkonvertierung: Fotosatz Amann, Memmingen

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Kapitel 1    Sydney

Ich war in meinen besten Freund verliebt.

Wahrscheinlich hätte es schlimmer sein können. Ich hätte mein Herz einem Stripper oder einen Junkie schenken können. Kyler Quinn war nichts davon. Obwohl er mit seinem guten Aussehen und dem braunen Wuschelkopf mühelos als Stripper durchgegangen wäre. Und er machte auf jeden Fall süchtig wie jede Droge, die es dort draußen zu kaufen gab.

Ich entdeckte ihn, noch bevor er überhaupt mitbekommen hatte, dass ich auch hier war. Auf keinen Fall konnte irgendwer Kyler übersehen, nicht mal im vollen Dry Docks, wo gerade die gesamte Uni den Beginn der Winterferien feierte. Die Leute liebten Kyler, allen voran die Frauen.

Besonders die Frauen.

Ich will nicht behaupten, dass Kyler aussah wie ein Gott, weil die Skulpturen von griechischen und römischen Göttern meistens nicht besonders attraktiv sind. Und sie sind da unten meist nicht allzu gut bestückt. Ich bezweifelte stark, dass Kyler in dieser Hinsicht Mangel litt, denn es gab einen endlosen Strom von Frauen, die immer und immer wieder auf ihn zurückkamen, um sich Nachschlag zu holen. Auf jeden Fall war er schön, auf unglaublich männliche Weise. Die breiten Wangenknochen, das ausdrucksstarke Kinn und die sinnlichen Lippen wurden durch die prägnante Nase mit dem leichten Knick betont. Er hatte sie sich bei einer Prügelei im ersten Studienjahr gebrochen.

Mir tat die arme Nase immer noch leid.

Und wenn er lächelte? O Mann, der Junge hatte die tiefsten Grübchen aller Zeiten.

Kylers Augen waren braun wie Kaffeebohnen und sie wurden dunkler, wann immer er scharf wurde, und ich hätte darauf gewettet, dass er im Moment ziemlich scharf war.

Mitten in der Bar hielt ich an und legte den Kopf in den Nacken. Ich atmete tief durch und hätte mir am liebsten höchstpersönlich die Faust ins Gesicht gerammt. Nicht nur war Kyler absolut tabu – aufgrund der Tatsache, dass wir unzertrennlich waren seit dem Tag, an dem er mich vom Karussell geschubst und mir, als ich seine Hand halten wollte, mitgeteilt hatte, dass ich Läuse hätte. Ich hatte mich revanchiert, indem ich ihn am nächsten Tag in den Schwitzkasten genommen und gezwungen hatte, Matschkuchen zu essen. Viele Leute verstanden nicht, wieso wir uns so nahestanden. Wir waren wie ein Löwe und eine Gazelle. Tatsächlich waren wir eher wie ein Löwe und eine fußlahme Gazelle, die es niemals schaffen konnte, dem Raubtier zu entkommen.

Ich war natürlich die fußlahme Gazelle in diesem Vergleich.

Gerade als ich mich dem Tisch näherte, an dem Kyler und unser gemeinsamer Freund Tanner saßen, ließ sich eine Blondine mit Beinen, die so lang waren wie ich groß, auf Kylers Schoß fallen. Sein Arm glitt um die unglaublich schmale Taille des Mädchens und ich spürte einen dämlichen, absolut unverzeihlichen Stich im Herzen.

Sicher, Kyler mochte kein Stripper, kein Drogensüchtiger und auch kein Terrorist sein, aber er war ein Frauenheld.

Im letztmöglichen Moment bog ich Richtung Bar ab, wobei ich fast jemandem in den Rücken gerannt wäre. Ich verdrehte die Augen. Wäre perfekt, wenn ich mir selbstverschuldet eine Gehirnerschütterung verpasste. Bunte Weihnachts-Lichterketten baumelten vom Rand der Bar, was ich angesichts all der Betrunkenen, die fröhlich ihre Drinks verschütteten, ziemlich gewagt fand. Ich entdeckte einen leeren Hocker vor dem Tresen, setzte mich und wartete darauf, dass der Barkeeper mich bemerkte. Und es fiel leicht, mich zu bemerken. Ich sah aus, als wäre ich maximal sechzehn, also kontrollierten sie gewöhnlich sofort meinen Ausweis. Der Barkeeper erschien, stellte die übliche Frage und dann bestellte ich meinen Standarddrink: Diätcola mit Rum.

Durch die Geräuschkulisse aus Unterhaltungen und Musik drang ein Kichern an mein Ohr. So auffällig wie eine verdammte Alarmsirene. Es ergab keinen Sinn hinzuschauen. Außerdem gab es keinen Grund, mir den Abend jetzt schon zu versauen. Ich verschränkte die Beine. Legte die Hände auf die Bar. Trommelte mit den Fingern den Rhythmus eines Songs auf den Tresen, den ich nur mit halbem Ohr wahrnahm. Starrte auf die unzähligen Flaschen hinter der Bar, mit denen meine beste Freundin so sehr vertraut war.

Aber dann schaute ich doch rüber zu den Tischen, weil ich ein Mädchen war und mich deswegen einfach mädchenhaft benehmen musste.

Blondie saß rittlings auf Kyler. Ihr kurzer Jeansrock war bis zu ihren Schenkeln hochgeschoben. Anhand ihrer Kleidung hätte man nie vermutet, dass Winter herrschte. Andererseits: Hätte ich ihre Beine gehabt, ich hätte auch ständig so einen Rock getragen.

Kyler saß mit dem Rücken zu mir, aber er musste dem Mädchen etwas Interessantes ins Ohr geflüstert haben, denn sie lachte wieder. Ihre leuchtend pinkfarbenen Fingernägel gruben sich in seine Schultern und knüllten den Stoff seines schwarzen Sweaters zusammen. Dann hob sie die Hand und fuhr ihm mit den Fingern durch die Haare über seiner Stirn, um sie nach hinten zu schieben.

Jetzt konnte ich den Blick nicht mehr abwenden. Ich war vollkommen auf die beiden fixiert, wie eine üble Masochistin.

Kyler legte den Kopf in den Nacken, sodass ich nur eine Hälfte seines Gesichtes sehen konnte. Er grinste. Es war kein richtiges Lächeln, bei dem diese total unwiderstehlichen Grübchen zum Vorschein kamen, sondern dieses schiefe Grinsen, das ich so gut kannte – dieses verheerende und unglaublich heiße Halbgrinsen.

»Bitte sehr.« Der Barkeeper stellte meinen Drink vor mir auf den Tresen.

Ich wandte mich von dem ab, was weiter hinten geschah, sah zum Barkeeper auf und schob mir eine lockige schwarze Strähne aus dem Gesicht. »Danke.«

Er zwinkerte mir zu. »Kein Problem.«

Damit wanderte er davon, um jemand anderen zu bedienen, während ich zurückblieb und mich fragte, wieso er gezwinkert hatte. Mit dem Gedanken im Kopf, dass ich mich von Kyler nicht hätte überreden lassen sollen, heute Nacht loszuziehen, hob ich mein Glas und nahm einen tiefen Zug. Ich zwang mich, den Longdrink so zügig wie möglich leer zu trinken.

Gerade als ich das Glas wieder abgestellt hatte, wurde ich von hinten umarmt. Das Parfüm mit der unverkennbaren Vanille-Note und ein hochfrequentes Quietschen verrieten, wer hinter mir stand.

»Du bist da! Ich habe dich vom anderen Ende der Bar gesehen und versucht, dich auf mich aufmerksam zu machen«, sagte Andrea, als ich mich auf dem Barhocker herumdrehte. Ihre roten Locken standen in alle Richtungen von ihrem Kopf ab. Meine Mitbewohnerin sah aus wie Disneys Merida, die erwachsen geworden war … wenn Merida ein Alkoholproblem hatte. Was durch die Bierflaschen bewiesen wurde, die Andrea in beiden Händen hielt.

»Wie viel hast du schon getrunken?«, fragte ich mit einem Blick auf die Flaschen.

Sie verdrehte die Augen. »Eines ist für Tanner, du Mistvieh.«

»Seit wann holst du Bier für Tanner?«

Andrea zuckte mit den Achseln. »Heute Abend ist er nett. Also bin ich heute Abend auch nett.«

Tanner und Andrea waren seltsam. Sie waren sich letztes Jahr zum ersten Mal begegnet und es war Hass auf den ersten Blick gewesen. Aber irgendwie trafen sie sich ständig an denselben Orten und ich ging davon aus, dass sie manchmal einfach stolperten und auf dem Mund des anderen landeten oder so. Sie hatten ein paar Mal miteinander rumgemacht, sich um einiges öfter gestritten und jetzt brachte Andrea ihm Getränke. Ich wurde einfach nicht schlau aus den beiden.

»Wie lange seid ihr schon da?«, fragte ich.

»Ungefähr eine Stunde.« Andrea drängte sich zwischen mich und das Mädchen auf dem Hocker neben mir. »Kylers Mädelsparade läuft bereits.«

Ich zog eine Grimasse. »Schon bemerkt.«

»Ich habe bemerkt, dass du es bemerkt hast. Das war doch der Grund, warum du mich überhaupt nicht beachtet hast.« Sie nahm einen Schluck Bier. »Kommst du rüber zu uns?«

An den Tisch, an dem Blondie quasi Trockensex mit Kyler hatte? »Demnächst irgendwann.«

Sie schmollte. »Du solltest zu uns kommen. Kyler wird die Tussi in die Wüste schicken, wenn du da bist. Und dann muss ich mir keine Sorgen mehr darum machen, Herpes zu bekommen.«

»Herpes wird nicht durch die Luft übertragen«, erklärte ich ihr.

»Sicher, das behauptest du jetzt. Aber wenn sich der Erreger erst mal mit Chlamydien und Genitalwarzen verbunden hat, ergibt das den ultimativen Killerherpes.« Sie rümpfte die Nase. »Einmal tief einatmen und zack! … Man ist für den Rest des Lebens abhängig von der Pharmaindustrie.«

Andrea hatte vor, nach dem College Medizin zu studieren. Mich beschlich das Gefühl, sie sollte lieber ein paar ihrer Kurse wiederholen, wenn sie wirklich glaubte, diese Mutation von Krankheiten wäre möglich. Aber ich verstand, wo das eigentliche Problem lag, und es hatte nichts mit Herpes zu tun.

Wenn ein Mädchen hinter Kyler her war, dann hingen irgendwo am Rand mindestens noch zwei oder drei weitere herum. Ich sah über die Schulter. Jepp. Zwei Mädchen. Andrea wollte, dass ich rüberkam, damit Kyler sich benahm. Sie war genauso gut darin wie ich, ihre wahren Gefühle zu verbergen. Sie wollte nicht, dass eines dieser anderen Mädels auf Tanners Schoß fiel, und das würde allem Anschein nach gleich passieren. Eine Dunkelhaarige machte sich gerade an den tätowierten Polizistensohn mit den kurz rasierten Haaren heran. Tanner schien nicht besonders interessiert, weil er stattdessen etwas zu Kyler sagte. Blondie war allerdings nicht begeistert von der mangelnden Aufmerksamkeit, die ihr entgegengebracht wurde. Sie drehte sich um, fischte mit dem Finger einen Eiswürfel aus einem der Drinks auf dem Tisch und schob ihn sich in den Mund. Mit der anderen Hand zog sie Kylers Gesicht zu sich, als sie den Kopf senkte.

»Oh, schau dir das an.« Andrea seufzte. »Ich glaube, das habe ich mal in einem Film aus den Achtzigerjahren gesehen. Glaubst du, diese Tussi besitzt auch nur einen Funken Schamgefühl?«

Mein Magen machte einen Sprung, als säße ich in einer Achterbahn. Hier ging es nicht um Schamgefühle. Es ging darum, sich zu holen, was man wollte. Ein Teil von mir beneidete Blondie – ein wirklich großer, Kyler-anbetender Teil von mir. »Ich hoffe inständig, dass ihre Münder sich nicht berühren, weil ich inzwischen an nichts anderes mehr denken kann als Herpes.«

Andrea stieß sich von der Bar ab. »Ähm …«

Ihre Lippen berührten sich.

Verdammt.

Eine Sekunde später zog sich Kyler zurück. Sein Kiefer bewegte sich, als würde er das Eis zerkauen, das Blondie so freundlich mit ihm geteilt hatte.

»Igitt«, murmelte ich und wandte mich ab.

Auch Andrea verzog das Gesicht, weil sie wusste … na ja, sie war die Einzige, die davon wusste.

»Ich komme irgendwann rüber. Aber erst will ich mein Glas austrinken.«

»Okay.« Sie lächelte, doch ihr Blick wirkte traurig. »Sydney …«

Jetzt fühlte ich mich wie ein Jammerlappen. »Ist schon okay, wirklich. Ich komme gleich.«

»Wenn du ausgetrunken hast?« Als ich nickte, seufzte sie tief. »Du trinkst deine Drinks nie aus. Ich werde warten. Aber lass dir nicht ewig Zeit.« Sie wollte gehen, doch dann wirbelte sie noch einmal zu mir herum, wobei ihr fast ein Bier aus der Hand gerutscht wäre. »Ich hab es mir anders überlegt. Lass dir doch Zeit.«

»Hä?«

Ihr Lächeln wurde breiter. »Schau mal, wer gerade aufgetaucht ist.«

Ich reckte den Hals, um ihrem Blick zu folgen. »Oh.«

»Genau: oh.« Andrea beugte sich vor und drückte mir ein Küsschen auf die Wange. »Vergiss Kyler, das elende Flittchen. Du hast was Besseres verdient. Aber er?« Sie nickte Richtung Tür. »Das ist der Kerl, der mehr als bereit ist, deinem zölibatären Leben ein Ende zu setzen.«

Meine Wangen wurden heiß. Bevor ich mit ihr über die Verwendung des Wortes »zölibatär« diskutieren konnte, war Andrea bereits verschwunden und ich blieb zurück, um Paul Robertson anzustarren.

Er war neu in unserer Clique; ich hatte ihn in meinem Kurs über Kognitive Prozesse getroffen. Er … er sah gut aus. War nett und witzig. Er war eigentlich perfekt, aber …

Paul hielt am Rand der Tanzfläche an und nahm seine Mütze ab. Dann fuhr er sich durch die blonden Haare und sah sich in der Kneipe um. Er fand meinen Blick und ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Er winkte mir kurz zu, dann navigierte er geschickt zwischen den Leuten hindurch, die um die runden Tische standen.

Er wäre im Moment perfekt für mich. Allein schon aus diesem Grund musste ich aufhören, an das unerreichbare Ideal zu denken, und mich stattdessen mit dem beschäftigen, was direkt vor meiner Nase lag.

Ich atmete tief durch und kleisterte mir ein Lächeln ins Gesicht, von dem ich nur hoffen konnte, dass es einladend wirkte. Letztendlich zählte immer nur das Jetzt.

Kyler    Ich bekam langsam Kopfweh. So wie diese Biene sich auf meinem Schoß wand – als wäre sie bereit, sofort zur Sache zu kommen –, würde das eine lange Nacht werden. Ich kaute auf dem Eis herum, halb in Versuchung, es einfach auszuspucken.

Aber das wäre irgendwie unhöflich gewesen.

Ich hätte in Partystimmung sein müssen, aber das war ich nicht. Noch ein Semester im College – und dann was? Ins Familiengeschäft einsteigen und den ganzen Mist? Gott, das war wirklich das Letzte, was ich wollte. Na ja, vielleicht nicht das Letzte. Meiner Mom zu erklären, warum ich mir keine Zukunft in der Bar-Restauration vorstellen konnte, war wahrscheinlich das Letzte, was ich tun wollte. Ich hatte das noch nie gewollt, aber nach fast vier Jahren College war ich kurz davor, meinen Abschluss in Drecks-BWL zu machen.

Ich griff um das Mädchen herum und schnappte mir meine Bierflasche. Mir gegenüber zog Tanner die Augenbrauen hoch. Ich feixte, als er sich wieder auf das konzentrierte, was die Brünette gerade zu ihm sagte. Irgendwas darüber, dass sie sich gestern einem Intim-Waxing unterzogen hatte, die vierundzwanzigstündige Schonzeit danach aber inzwischen abgelaufen war. Ehrlich? So was wollte doch wirklich keiner hören.

Zu wissen, dass Sex jederzeit möglich war, hatte durchaus seine Vorteile, aber Tanner wirkte nicht allzu begeistert.

»Kyler«, flötete mir die Blondine ins Ohr, während sie mit dem Hintern wackelte. »Du scheinst dich gar nicht zu freuen, mich zu sehen. Dabei freue ich mich sehr, dich wiederzusehen.«

Anscheinend wirkte auch ich nicht allzu begeistert. Ich nahm einen tiefen Zug von meinem Bier. Ich wusste, dass ich vorsichtig vorgehen musste. So wie es aussah, kannte ich dieses Mädchen – also kannte-kannte sie –, aber ich konnte weder ihr Gesicht noch ihren Hintern einordnen, was irgendwie vollkommen abgedreht war. Wie konnte ich sie nicht wiedererkennen, wenn ich doch offensichtlich irgendwann mal mit ihr geschlafen hatte?

Scheiße.

Manchmal kotzte ich mich selbst an.

Sie beugte sich vor, bis ihre Brüste fast unter meinem Kinn klebten. Okay. So sehr kotzte ich mich dann doch nicht an. »Süße«, sagte ich, während ich an meiner Bierflasche herumspielte. »Irgendwann werde ich wieder atmen müssen.«

Kichernd lehnte sie sich weit genug nach hinten, dass ich mir noch einen schnellen Schluck Bier genehmigen konnte. Sie fuhr mir mit den Fingern durch die Haare, um sie aus meiner Stirn zu streichen. Ich kämpfte gegen den Drang an, ihre Hände zur Seite zu schlagen. »Wirst du später wieder für mich Gitarre spielen?«

Ich zog die Augenbrauen hoch. »Ich habe für dich Gitarre gespielt?«

Tanner musste ein Lachen unterdrücken.

Das Mädchen – verdammt, ich hoffte, ihre Freundin würde sie bald mal mit Namen ansprechen – runzelte die Stirn. »Ja!« Sie schlug mir spielerisch auf die Brust. »Du hast mit diesen unglaublich talentierten Fingern gespielt und dann hast du sie anderweitig eingesetzt.«

Oh.

Tanner lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Schau an, du und deine talentierten Finger.«

»Meine unglaublich talentierten Finger«, korrigierte ich ihn.

Er schüttelte den Kopf und wandte sich ab, als die Brünette sich vorbeugte, um ihren Finger über die Tätowierung gleiten zu lassen, die unter seinem aufgerollten Ärmel zum Vorschein gekommen war.

»Du erinnerst dich nicht?« Blondie schob die glänzende Unterlippe vor. »Das verletzt mich tief.«

Ich schnaubte und nahm noch einen Schluck Bier, wobei ich meinen Blick durch die inzwischen rappelvolle Bar gleiten ließ. Manchmal hatte ich wirklich keine Ahnung, wieso ich mich ständig in solchen Situationen wiederfand. Okay. Das war eine Lüge. Das Ding zwischen meinen Beinen war dafür verantwortlich, dass ich mich ständig in solchen Situationen wiederfand.

Aber es lag nicht nur daran.

Es hatte noch nie nur daran gelegen.

»Kyler«, quengelte das Mädchen.

Ich holte tief Luft und wandte mich ihr wieder zu, um ihr mein charmantestes Lächeln zu schenken. »Ja?«

»Willst du nicht teilen?«

Bevor ich antworten konnte, hatte sie mir auch schon die Flasche aus der Hand genommen und quasi den gesamten Inhalt in sich hineingegossen. Ich zog die Augenbrauen hoch. Verdammt. Das war eindrucksvoll … und irgendwie eklig.

Ihre Freundin kicherte. »Himmel, Mindy, lass es langsam angehen. Ich werde auf keinen Fall deinen betrunkenen Hintern zurück ins Wohnheim schaffen.«

Aha! Sie hieß Mindy! Sofort fühlte ich mich ein bisschen besser.

Mindy zuckte nur mit den Schultern und drehte sich wieder zu mir um. Sie lehnte sich vor, und als sie sprach, roch ich nur Bier. »Du bist so unglaublich sexy. Hat dir das schon mal jemand gesagt?«

»Ein oder zwei Mal«, antwortete ich, wobei ich mir noch ein Bier wünschte.

Andrea erschien am Tisch, ein Bier in jeder Hand. Eines war für sie, eines für Tanner. Na super. Sie sah mich an und brummte abfällig: »Als hätte Kyler es nötig, dass man sein Ego noch streichelt.«

»Kyler hat es nötig, dass man etwas anderes von ihm streichelt«, murmelte Mindy. Gleichzeitig schob sie ihre Hüfte vor.

Ein angewiderter Ausdruck huschte über Andreas Gesicht, als sie sich gegenüber von Tanner hinsetzte. Doch das störte mich nicht. Aber wenn jemand anderes diese Grimasse gezogen hätte …

»Hast du Syd gesehen?«, fragte ich.

Andrea musterte mich aus zusammengekniffenen Augen über den Rand ihrer Bierflasche hinweg. Aber sie antwortete nicht.

Ich ließ mich seufzend zurück in den Stuhl sinken. »Ich habe sie eingeladen zu kommen.«

Tanner zog eine Augenbraue hoch. »Du weißt verdammt gut, dass Syd in ihrem Wohnheim ist und für unseren Ausflug packt. Tatsächlich räumt sie wahrscheinlich schon alles um

Ein Lächeln verzog meinen Mund. Wahrscheinlich dachte Syd vollkommen besessen darüber nach, was sie mitnehmen sollte.

»Wer interessiert sich schon für diese Syd?« Mindy verschränkte die Arme, was ihre Brüste noch größer wirken ließ. Eigentlich unmöglich. Sie sah ihre Freundin an. »Ich brauche noch einen Drink.«

»Genau wie ich«, meinte ich und wippte mit dem Knie, um sie von meinem Schoß zu vertreiben. Sie checkte es nicht. Ich seufzte. »Da du mein Bier ausgetrunken hast, wieso ziehst du nicht los und holst Nachschub?«

Wieder verzog Mindy schmollend den Mund. »Hast du gesehen, wie voll es an der Bar ist? Das dauert ewig.«

»Du könntest auch aufstehen«, schlug Andrea mir vor.

Ich sah über die Schulter zur Bar. Rappelvoll. Scheiße. Die halbe Uni schien sich hier herumzutreiben.

Mindys biergeschwängerter Atem glitt über meine Wange. »Du solltest uns was zu trinken besorgen, Babe. Ich liebe Jell-O-Shots.«

»Ich bin nicht dein Babe.« Mein Blick glitt über die Leute an der Bar. War das Paul? Er kam ziemlich selten hierher. Nur wenn Syd auftauchte. Einen Moment … Ich beugte mich zur Seite, um an einem Riesenkerl vorbeizuspähen. War das Syd an der Bar? Bei Paul?

Wieder glitt eine Hand in meine Haare. »Vor ein paar Wochen warst du mein Babe.«

»Interessant«, murmelte ich. Der Riesenkerl verschwand mit einem Bier in der Hand und, heiliger Strohsack, es war tatsächlich Syd. Ihre langen schwarzen Haare fielen offen über ihren Rücken und sie hatte die Beine an den Knöcheln überschlagen. Wie sie da saß, sah sie so verdammt winzig aus, dass es mich fast überraschte, dass sie überhaupt bedient worden war.

Außerdem überraschte es mich, dass sie an der Bar saß, ohne mich und mit Paul.

Was zum Teufel stimmte nicht mit diesem Bild?

Ich drehte mich wieder um und spießte Andrea mit einem Blick auf. »Wann ist sie aufgetaucht?«

Sie zuckte nur mit den Achseln. »Keine Ahnung.«

Meine Verärgerung kochte über. »Sie sollte nicht allein an der Bar sitzen.«

Mindy sagte etwas, aber ich hörte nicht hin. Meine wunderbare selektive Wahrnehmung hatte sich eingeschaltet.

Andrea wechselte einen Blick mit Tanner. Ich ignorierte es. Und damit hatte es diesen Blick nie gegeben.

»Sie ist nicht allein«, erklärte sie freundlich.

»Genau darum geht es.« Ich umfasste Mindys Hüften und sie verzog erwartungsvoll das hübsche Gesicht. Zu dumm, dass ich die Seifenblase ihrer Vorfreude gleich zum Platzen bringen würde. Ich hob sie von meinem Schoß und stellte sie auf die Füße. »Bin gleich zurück.«

Mindy fiel die Kinnlade nach unten. »Kyler!«

Ich ignorierte sie. Außerdem ignorierte ich Andreas spöttisches Grinsen und die Grimasse, die Tanner zog, als ich aufstand und herumwirbelte.

Syd sollte wirklich nicht allein an der Bar sitzen. Und es zählte auch nicht, dass Paul neben ihr stand. Sie brauchte jemanden, der auf sie aufpasste und alles im Blick behielt. Denn Syd … na ja, sie hatte diese Naivität an sich, die Trottel in Scharen anzog. Trottel wie Paul – und andere Kerle wie mich, die es quasi auf nichts anderes abgesehen hatten, als ein Mädel flachzulegen. Aber wenn es um Sydney Bell ging, war ich anders – vollkommen anders. Meine Aufgabe bestand quasi seit Anbeginn der Zeit darin, dafür zu sorgen, dass sie nicht in Schwierigkeiten geriet. Und der jetzige Moment fiel in diese Kategorie.

Jepp. Genau das war der Grund, warum ich dieses kleine Gespräch gleich sprengen würde.

Kapitel 2    Sydney

»Hey«, sagte Paul und glitt auf den Platz, den Andrea freigegeben hatte. »Ich wusste gar nicht, dass du auch kommst. Du hast heute im Kurs nichts davon gesagt.«

»Spontane Entscheidung.« Ich nahm einen Schluck von meiner Rum-Cola. Sie war bereits verwässert. »Wie war das Examen?«

»Ich glaube, es ist gut gelaufen. Und bei dir?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Ich denke, ich habe bestanden.«

»Wahrscheinlich hast du die beste Arbeit geschrieben.« Er brach ab und bestellte ein Lagerbier bei dem Barkeeper, der vor ihm aufgetaucht war. »Hast du schon gepackt?«

Wir brachen morgen zu unserem jährlichen Skiausflug nach Snowshoe Mountain auf. Es war das erste Mal, dass Paul mitkam, aber Kyler und ich fuhren schon seit der Highschool in die Skihütte seiner Mom. Andrea und Tanner kamen zum zweiten Mal mit und einige von Kylers sonstigen Freunden würden sich uns auch anschließen. Gewöhnlich waren wir ziemlich viele Leute.

»Ich hatte schon letztes Wochenende alles fertig.« Ich kicherte. »Ich bin einfach so.«

Sein Grinsen wurde breiter. »Ich muss noch packen. Übrigens, danke, dass du mich eingeladen hast. Ich war noch nie in Snowshoe.«

Überraschend, da er doch in einer benachbarten Stadt aufgewachsen war. Ich war davon ausgegangen, dass jeder, der in Maryland wohnte, irgendwann schon mal in Snowshoe gewesen war. »Kein Problem. Du hast gesagt, dass du gern Ski fährst, also schien es mir logisch. Kyler wird Tag und Nacht auf der Piste sein, also hast du auf jeden Fall Gesellschaft beim Fahren.«

Pauls Blick huschte zu dem Tisch, an dem meine Freunde saßen. »Da bin ich mir nicht so sicher.«

Ich runzelte die Stirn und weigerte mich, zur Kenntnis zu nehmen, was an diesem Tisch von Sünde und Sex so geschah. Wahrscheinlich waren sie bereits damit beschäftigt, Babys zu zeugen. »Wie meinst du das?«

»Ich habe nicht den Eindruck, dass Kyler allzu begeistert von mir ist.« Paul richtete seinen Blick wieder auf mich und zuckte mit den Achseln. »Fährst du nach dem Skiausflug eigentlich nach Hause?«

Ich nickte. »Jepp. Weihnachten mit der Familie und dann bleibe ich noch, bis das Frühjahrssemester wieder anfängt. Und du?«

»Ich verbringe einen Teil der Zeit in Bethesda und danach geht es nach Winchester zu meiner Mom.« Er kratzte am Etikett seiner Flasche herum, die Stirn gerunzelt. »Meine Eltern haben sich vor ein paar Jahren scheiden lassen, also muss ich beiden einen Besuch abstatten.«

Das hatte ich nicht gewusst. »Tut mir leid, das zu hören.«

Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen. »Keine große Sache. Ich kriege zweimal die volle Nummer zu Weihnachten, also wirst du von mir keine Beschwerden hören.«

Ich nahm noch einen kleinen Schluck, dann stellte ich mein Glas ab. »Doppelt so viele Geschenke.«

»Doppelt so viel Spaß.« Sein Blick fiel auf seine Bierflasche. Die Hälfte des Etiketts war bereits verschwunden. »Hör mal. Ich dachte, wir könnten …«

Starke Arme schlangen sich von hinten um meine Hüfte. Ich wurde von meinem Hocker gezogen und mein überraschter Schrei brach ab, als mein Rücken gegen eine Wand aus Muskeln knallte. Dann erstickte ich fast in einer ungestümen Umarmung, die nach Aftershave und Natur roch.

Nur eine Person auf der ganzen Welt ließ mir solche Umarmungen angedeihen oder fühlte sich so hart an … so gut.

Kylers tiefe Stimme rumpelte durch meinen Körper. »Seit wann bist du hier?«

Meine Füße berührten immer noch nicht wieder den Boden. »Seit einer Weile«, keuchte ich und umklammerte seine Arme durch den Sweater.

»Was soll das, verdammt? Hast du dich versteckt?«

Paul lehnte sich grinsend gegen die Bar, aber irgendwie wirkte seine Miene angestrengt. Nicht dass ich ihm das hätte übel nehmen können. Kyler platzte gern mal in Situationen und riss alles an sich. »Ich habe mich nicht versteckt«, erklärte ich, wobei ich rot wurde, als ich Pauls Blick auffing. »Und könntest du mich bitte runterlassen?«

»Was, wenn ich es nicht tue?«, zog Kyler mich auf. »Du bist so klein, dass ich dich in die Tasche stecken könnte.«

»Was?« Ich lachte. »Lass mich runter, du Idiot. Ich habe mich unterhalten.«

»Tut mir leid, Paul, aber ich stehle sie dir.« In Wirklichkeit tat es Kyler überhaupt nicht leid. Er wich zurück und ich hatte keine Wahl, als ihm zu folgen, weil ich seine Umklammerung auf keinen Fall überwinden konnte. Er drehte sich um, ließ sich auf einen Stuhl fallen, der sich nicht mal ansatzweise in der Nähe des Tisches befand, an dem er vorher gesessen hatte, und drehte mich auf seinem Schoß, sodass ich seitwärts auf seinem Oberschenkel saß. »Ich bin nicht erfreut, Syd.«

Ich zog eine Augenbraue hoch, doch gleichzeitig schlug mein Herz schneller. Er war der einzige Mensch auf der Welt, der mich Syd nannte – na ja, der einzige Mensch, dem ich das erlaubte, ohne ihn sofort gegen das Schienbein zu treten. »Wirklich? Weswegen?«

»Du hast dich mit diesem Trottel unterhalten.«

»Welchem Trottel?«

Er lehnte sich vor, bis seine Stirn an meiner ruhte. Mein Atem stockte. Warum musste er mir immer so verdammt nahe kommen? Und das tat er wirklich ständig. »Paul.«

»Was ist mit ihm?« Ich stemmte meine Hände gegen seine Schultern, um ihn von mir zu schieben, aber er hielt mich fest. »Bist du betrunken?«

»Bin ich betrunken? Jetzt hast du es geschafft, meine Gefühle zu verletzen, Syd.«

Ich feixte. »Du hast keine Gefühle.«

»Also, also. Das war aber nicht besonders nett.« Kyler schlug die unfassbar langen Wimpern nieder und verbarg damit seine Augen, als er den Kopf hob, um seine Wange an meiner zu reiben. Ich vergrub meine Finger fester in seiner Schulter, weil Verlangen in mir aufstieg. »Ich habe all diese Gefühle, Syd.«

Es kostete mich einen Moment, eine Antwort zu formulieren. »Du bist randvoll mit Blödsinn.«

Wieder rieb er seine Wange an meiner, wie eine Katze, die sich nach Streicheleinheiten sehnt. Ich dagegen kämpfte gegen den Drang, laut zu schnurren.

»Ich bin randvoll mit etwas

»Pisse und Essig?«, schlug ich vor, während ich mich verzweifelt bemühte, meinen Puls unter Kontrolle zu bringen.

Er lachte tief, dann ließ er sich gegen die Lehne des Stuhls sinken, den er gerade erobert hatte. »Zurück zu unserem ernsten Gespräch.«

»Bei dem die Frage doch lautet: Warum genau spielst du gerade den Weihnachtsmann?«

Kyler schlug die Augen auf und sein Blick bohrte sich in meinen. »Hmm, das klingt ziemlich interessant. Warst du dieses Jahr brav oder unartig, Syd?«

Ich öffnete den Mund, doch kein Wort drang daraus hervor. Meine Wangen brannten und ein wissender Ausdruck trat in seinen Blick.

»Ich weiß, was du warst.« Er küsste mich auf die Stirn. »Du warst brav.«

Meine Schultern sackten nach unten. Ich wollte nicht brav sein. Ich wollte unartig sein, wie Blondie. Ich bezweifelte, dass Kyler sie aufgezogen hatte, als sie vor Kurzem auf seinem Schoß saß. Vielleicht sollte ich mir auch einen Eiswürfel schnappen und einfach mal schauen, was er tun würde. Nur dass das erfordert hätte, dass ich mich kurzerhand aus irgendeinem fremden Glas bediente … und das war einfach widerlich. Besonders nach dem Gespräch über Herpes.

Ich musste dringend das Thema wechseln. »Ist es immer noch okay, dass ich morgen das Auto bei dir lasse und du mich mit nach Hause nimmst, wenn wir aus Snowshoe zurückkommen?«

»Natürlich. Wieso sollte sich etwas daran geändert haben?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Wollte nur noch mal nachfragen.«

Und plötzlich war Kyler vollkommen ernst, was mir bewies, dass er nicht im Mindesten betrunken war. »Bei so was musst du nie nachfragen, Syd. Wenn du irgendwo um zwei Uhr morgens abgeholt werden musst, rufst du als Erstes mich an.«

Ich senkte den Kopf. »Ich weiß.«

»Obwohl es mich dann natürlich brennend interessieren würde, was du um diese Uhrzeit treibst«, fügte er hinzu, als wäre es einfach unvorstellbar, dass ich so spät noch unterwegs sein könnte. »Auf jeden Fall, wenn du das weißt, dann solltest du nicht mehr nachfragen müssen. Ich bin für dich da.«

Ich schob mir die Haare nach hinten und nickte. »Danke.«

»Du musst mir nicht danken.« Er zögerte und schloss seine Arme fester um mich. »Er ist ein Trottel.«

»Hä?« Ich blinzelte.

Kyler sah mit zusammengekniffenen Augen über meine Schulter. »Paul. Er starrt selbst jetzt in unsere Richtung. Mir gefällt einfach nicht, wie er dich anschaut.«

Fast hätte ich mich umgedreht. »Er starrt uns nicht an, du Schwachkopf. Er und ich haben uns unterhalten, bevor du aufgetaucht bist. Also wartet er wahrscheinlich darauf, dass ich zurückkomme. Und er ist kein Trottel.«

»Aber ich will nicht, dass du zurückgehst.«

Ich seufzte. War es ein Wunder, dass ich seit Ewigkeiten kein Date mehr gehabt hatte, wenn Kyler mein bester Freund war? Na ja, es gab auch andere Gründe, aber trotzdem. Kyler benahm sich wie ein Dad und ein älterer Bruder in Personalunion. »Du benimmst dich lächerlich.«

Er warf mir einen Blick zu, der deutlich davon sprach, dass er anderer Meinung war. »Ich mag ihn nicht. Ich kann dir gern eine Liste von allem geben, was ich an ihm nicht mag.«

»Ich verzichte.«

»Du lässt dir eine sehr stimulierende Aufzählung entgehen.«

Ich verdrehte die Augen. »Na ja, ich mag Blondie nicht. Und ich hätte auch eine Liste mit Gründen.«

Er zog eine Augenbraue hoch. »Blondie? Oh. Meine neue Freundin?«

»Freundin?« Ich lachte. »Ich glaube nicht, dass ›Freundin‹ die richtige Bezeichnung für sie ist.«

Mit einem Seufzen lehnte er sich vor und ließ sein Kinn auf meiner Schulter ruhen. »Du hast recht. Das ist nicht die richtige Bezeichnung.«

»Okay. Du musst ziemlich betrunken sein, wenn du zugibst, dass ich recht habe.«

»Du bist heute Abend eine solche Besserwisserin.« Er ließ seine Hand an meinem Rücken nach oben gleiten und ein Schauder überlief meinen Körper. »Ist dir kalt?«

Da ich kaum die Wahrheit gestehen konnte, log ich einfach. »Ein wenig.«

»Hmm … weißt du was?«

Der leichte Druck, den er auf meinen Rücken ausübte, schob mich nach vorn. Ich lehnte die Wange an seine Schulter und schloss die Augen. Für einen Moment schaffte ich es, mir einzubilden, wir wären nicht in einer Bar, in der schlechte Musik gespielt wurde, und – noch besser – wir wären zusammen.

Auf die Art zusammen, wie ich es mir so sehr wünschte.

»Was?«, fragte ich, als ich mich näher an ihn herankuschelte, um den Moment zu genießen.

»Diese Biene ist nicht meine Freundin.« Sein Atem glitt warm über mein Ohr und ich liebte das Gefühl. »Du bist meine beste Freundin, seitdem ich denken kann. Es ist beleidigend, sie auch so zu nennen.«

Ich sagte nichts dazu. Und auch Kyler schwieg. Eine kurze Weile saßen wir einfach nur da. Ein Teil von mir wollte vom Stuhl aufstehen und jubilierend der ganzen Bar verkünden, dass Kyler mehr von mir hielt als von Blondie. Doch ein anderer Teil wollte nach Hause gehen und mich in einer Ecke verkriechen … weil das nichts daran änderte, wie der heutige Abend enden würde. Ich würde allein zurück in mein Wohnheim gehen und Kyler würde Blondie mit in sein Apartment nehmen.

So lief es jedes Wochenende – und wer weiß wie oft auch unter der Woche.

Niemand konnte meinen Platz in Kylers Leben einnehmen. Das wusste ich. Ich war die Person, die alles über ihn wusste und der er vor allen anderen vertraute.

Ich war Kylers beste Freundin.

Und deswegen würde er mich nie so lieben, wie ich ihn liebte.