Tillmann Bendikowski

DER DEUTSCHE
GLAUBENSKRIEG

Martin Luther,
der Papst und die Folgen

C. Bertelsmann

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1. Auflage

© 2016 by C. Bertelsmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: buxdesign München

Bildredaktion: Dietlinde Orendi

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-18255-7
V001

www.cbertelsmann.de

Inhalt

Vorwort:
Die deutsche Geschichte – eine Sache des Glaubens

1. Die Konfessionen werden erfunden

Martin Luther und Leo X. – der Ketzer und der Antichrist

Neue Kirchen, neues Glück, neuer Streit

Die Katastrophe: Dreißig Jahre Krieg

2. Gibt es Frieden zwischen den Religionen?

Eine Frage der Toleranz

Die Entdeckung des Andersgläubigen

3. Deutschland im konfessionellen Streit

Die Mischehen und der religiöse Verfolgungswahn

Von Herrenmenschen und Dummköpfen

Gemeinsame Ängste, gemeinsame Feinde

4. Der Streit geht in die Welt:
Neue Beglückungsgemeinschaften

Sekten und Atheisten

Das Leben und seine Reform

Der politische Glaube

5. Das Erbe und seine politischen Folgen

Kein Kompromiss: Die verspielte Weimarer Demokratie

Der Feind meines Feindes: Das »Dritte Reich«

Der verlorene Himmel? Deutschland nach 1945

Bilanz: Die deutsche Geschichte – ein Lehrstück

Anmerkungen

Literatur

Bildnachweis

Bildteil

Vorwort:
Die deutsche Geschichte – eine Sache des Glaubens

Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?

(Gretchen zu Faust)

Wir leben in einer eigentümlichen Zeit: Die Religion kehrt zurück. Hat es damit angefangen, als »wir« Papst wurden? Als Joseph Kardinal Ratzinger im Jahr 2005 als Benedikt XVI. zum Oberhaupt der römischen Weltkirche aufstieg? Als nicht nur die Katholiken in Deutschland plötzlich mehr denn je nach Rom schauten, in der Hoffnung auf spirituelle Impulse oder gar geistiges Heil? Und man hat den Eindruck, als hätte sich diese Begeisterung nach der Wahl des Jesuiten Jorge Mario Bergoglio zum Papst 2013 noch einmal gesteigert. Wie ein Verkünder lang ersehnter Wahrheiten erscheint dieser Papst Franziskus vielen, auch weil er augenscheinlich den Prunk der angeblich so dekadenten vatikanischen Kurie verachtet. Er richtet seinen Blick stattdessen auf die Not der Armen und ist durch sein gesamtes Auftreten auch für die Politiker dieser Welt zu einer neuen moralischen Instanz aufgestiegen.

Es ist nicht nur der Katholizismus, der hierzulande eine Belebung erhofft. Auch der deutsche Protestantismus erlebt eine neue Zeit, die einige sogar als notwendige Phase einer neuen Identitätsstiftung empfinden. Emotionaler und theologischer Fluchtpunkt dieser Hoffnung ist fraglos das große Jubiläum im Jahr 2017: Fünfhundert Jahre nach der Reformation wird in Deutschland dieses weltgeschichtliche Ereignis mit großem Aufwand gefeiert. Wird das auch dazu führen, dass evangelisches Kirchenleben und Selbstbewusstsein wieder erstarken? Könnte das Reformationsjubiläum als Impuls für die Protestanten so wichtig werden, wie es die Wahl des »deutschen Papstes« Benedikt vor einigen Jahren für die Katholiken war? Vieles deutet darauf hin. Die Reformatoren wollten damals nichts weniger als »eine Reform der ganzen Kirche an Haupt und Gliedern«, heißt es im aktuellen Grundlagentext der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dazu. »Dieses Anliegen darf nach fünfhundert Jahren nicht aus dem Blick geraten.«1 Die katholische Kirche hört das fraglos nicht so gern: Mit der »ganzen Kirche« muss auch sie sich angesprochen fühlen, und ob sie sich ausgerechnet von der EKD eine Reform an Haupt und Gliedern ans Herz legen lassen will, lässt sich wohl bezweifeln.

Die Jubiläumsvorbereitungen für 2017 fallen in eine Zeit, in der die Auseinandersetzung um den rechten Glauben keine Privatangelegenheit zwischen mehr oder weniger frommen Mitmenschen ist. Längst ist die Frage nach dem Verhältnis von Politik und Religion wieder ein zentraler Gegenstand der öffentlichen Debatte. Das Auftreten radikaler islamischer Gruppen verschreckt die Menschen, der Begriff des »Andersgläubigen« taucht wieder aus den Tiefen einer finsteren Vergangenheit auf. Toleranz gegenüber anderen Glaubensangeboten wird zuweilen zum Gebot der Stunde, während der Staat sich herausgefordert sieht, an sein höchsteigenes Interesse zur Wahrung des inneren Friedens zu erinnern und sich Gedanken darüber zu machen, mit welchen Mitteln er diesen notfalls durchsetzen kann.

Diese Rückkehr des Religiösen wirft viele Fragen auf. Dabei handelt es sich nicht um ein neues Phänomen. Denn es gibt hier Aspekte, die wir aus unserer eigenen Geschichte recht gut kennen. Dass Menschen die eigene Religion als wertvoller und »wahrer« empfinden als den Glauben der anderen, dass Angehörige unterschiedlicher Religionen kulturell weitgehend getrennt voneinander leben, dass sie sich wegen der Verletzung ihrer religiösen Gefühle auf der Straße prügeln und dass sie für den vermeintlich rechten Glauben gegeneinander in den Krieg ziehen – all das kennen wir Deutschen nur allzu gut. Denn in religiöser Hinsicht nahm Deutschland über Jahrhunderte hinweg eine Sonderstellung unter den europäischen Nationen ein: Nirgendwo sonst lebten Katholiken und Protestanten in einem religiös so tief gespalteten Land. Als gemischtkonfessionelle Nation wider Willen hat dieses Land seit den Tagen Martin Luthers seine ganz eigenen Erfahrungen mit dem Ringen um den »wahren Glauben« an den »richtigen Gott« machen müssen. Lange herrschte hier eine Atmosphäre, die stets von religiöser Konkurrenz, oft von offener Feindschaft und zuweilen von Hass bestimmt war. Ein regelrechter Glaubenskrieg durchzieht unsere Vergangenheit, und er hat die Menschen in diesem Land verändert. Er hat uns geprägt.

Dieser jahrhundertelange Dauerkonflikt zwischen Katholiken und Protestanten führte auch dazu, dass sich mit dem 19. Jahrhundert abseits der Kirchen neue Gemeinschaften bildeten, in denen die Deutschen fortan ihr Heil, ihr Glück suchten. Es entstanden Gruppierungen, die im Folgenden als neue »Beglückungsgemeinschaften« bezeichnet werden. Sie hatten neben religiösen auch politische oder lebensreformerische, durchaus glaubensähnliche Heilsversprechen und Vorstellungen von einem (auch irdischen) Paradies im Angebot. Vieles, was die christlichen Konfessionen auszeichnet, fand sich hier in abgewandelter, mal mehr, mal weniger säkularisierter Form wieder: Märtyrer, Heilige, Propheten, Gläubige samt Verachtung der Ungläubigen oder die Überzeugung von der eigenen Auserwähltheit. Der Glaubenskrieg, der zuvor ein rein religiöser und interkonfessioneller Konflikt gewesen war, weitete sich durch diese neuen Beglückungsgemeinschaften sogar noch aus, Bekenntnistreue und Dogmatismus machten fortan Karriere auch außerhalb der Kirchen.

Dieses Buch widmet sich deshalb nicht nur Entstehung und Verlauf der konfessionellen Auseinandersetzungen in den zurückliegenden Jahrhunderten, sondern auch dem Übergreifen dieses Konflikts und der damit verbundenen antagonistischen Grundhaltung auf andere gesellschaftliche Gruppen. Die Deutschen, ihre Religionen und ihre politische Kultur – das ist eine ganz besondere Konfliktgeschichte. Zugleich stellt sich die Frage, ob wir aus der deutschen Geschichte etwas für ein friedliches Verhältnis zwischen den Religionen lernen können. Einen Versuch ist es wert.