Die Autorin

Nora Imlau, geboren 1983, ist Buchautorin, Journalistin und Referentin. Zu ihren Veröffentlichungen zählen: So viel Freude, so viel Wut, Schlaf gut, Baby! und Du bist anders, du bist gut.
Journalistisch schreibt sie seit vielen Jahren u.a. für ELTERN und ELTERN family, ZEIT online, chrismon und wird von überregionalen Medien interviewt.
Sie hält regelmäßig Vorträge sowohl auf Fachkongressen und Fortbildungen als auch bei Veranstaltungen im Bereich der Familienbildung. Mit ihrem Mann und ihren vier Kindern lebt sie in Süddeutschland.

Das Buch

Familien-Expertin Nora Imlau beschreibt, wie zwischen Eltern und Kindern eine Beziehung wachsen kann, die fürs Leben trägt. Entscheidend ist, wie wir miteinander umgehen - unter diesem Leitstern kann ein liebevolles Miteinander auf Augenhöhe gelingen. Mein Familienkompass sammelt nicht die Antworten auf ein spezifisches Erziehungsproblem, sondern widmet sich den ganz großen Fragen des Elternseins. Dabei räumt Nora Imlau mit überhöhten Idealen moderner Elternschaft auf und zeigt, wie Eltern und ihre Kinder zu einem Familienleben finden, das Kraft schenkt, statt nur Energie zu kosten.

Nora Imlau

Mein Familienkompass

Was brauch ich und was brauchst du?

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:
www.ullstein.de

ISBN 978-3-8437-2407-4
2. Auflage 2020
© 2020 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Covergestaltung: FAVORITBUERO, München
Covermotiv: © Maria Herzog
Autorenfoto: © Christoph Luttenberger
Alle Rechte vorbehalten
E-Book powered by pepyrus.com

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

Auf einigen Lesegeräten erzeugt das Öffnen dieses E-Books in der aktuellen Formatversion EPUB3 einen Warnhinweis, der auf ein nicht unterstütztes Dateiformat hinweist und vor Darstellungs- und Systemfehlern warnt. Das Öffnen dieses E-Books stellt demgegenüber auf sämtlichen Lesegeräten keine Gefahr dar und ist unbedenklich. Bitte ignorieren Sie etwaige Warnhinweise und wenden sich bei Fragen vertrauensvoll an unseren Verlag! Wir wünschen viel Lesevergnügen.

Hinweis zu Urheberrechten
Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Widmung

Für Malte
Mein Nordstern bist du.

Die besten Eltern der Welt

Worauf kommt es an im Leben? Es gehört zum Elternwerden dazu, dass wir uns plötzlich die ganz großen Sinnfragen stellen. Schließlich wollen wir unsere Kinder nicht einfach nur irgendwie großkriegen. Nein: Wenn es eine Sache gibt, bei der wir wirklich nichts falsch machen wollen, dann ist es diese hier. Glücklich sollen unsere Kinder heranwachsen, geborgen und frei. Sie sollen mit beiden Beinen im Leben stehen und sich uns immer anvertrauen können. Sozial und rücksichtsvoll sollen sie sein, aufrecht und selbstbewusst, aber nicht arrogant. Wir wollen ihnen alles mitgeben, was sie für ein selbstbestimmtes, sinnerfülltes Leben brauchen. Wir wollen sie sich ausprobieren und auch mal auf die Nase fallen lassen, aber dann wollen wir da sein und ihnen dabei helfen wieder aufzustehen. Kurz: Unseren Kindern soll es gut gehen, jetzt und in Zukunft. Und wir sind die Menschen, die uns dafür verantwortlich fühlen und die das möglich machen wollen und sollen – ihre Eltern.

Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Eltern nur das Beste für ihre Kinder wollen. Das haben auch unsere Eltern, Großeltern und Urgroßeltern getan, genau wie alle Generationen vor ihnen. Und genau wie wir selbst waren auch unsere Vorfahren geprägt von dem Zeitgeist, der ihre Epoche prägte: In Deutschland und seinen europäischen Nachbarländern wurden mit Beginn der Industrialisierung Struktur und Disziplin wichtige Erziehungsziele – Kinder sollten genauso reibungslos funktionieren wie die Maschinen in den Fabriken. Während der Nazi-Diktatur war die Staatsdoktrin, Kinder hart wie Kruppstahl zu erziehen – als willige Untertanen für Volk und Führer. In der DDR stellte gesellschaftlicher Zusammenhalt einen hohen Wert dar: Kinder sollten sich selbst nicht so wichtig nehmen, sich gut in Gruppen einfügen und ihre Eltern nicht von der Lohnarbeit abhalten. Und in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit sollten gehorsame und fleißige Töchter ihren Müttern im Haushalt zur Hand gehen und so helfen, das Familienidyll aufrechtzuerhalten, während ihre Brüder viel mehr Freiheiten genossen, aber kaum Gefühle zeigen durften. Mit dem Erstarken der Bindungsforschung wehte ab den späten 1960er-Jahren dann allmählich ein frischer Wind in immer mehr Kinderzimmer. Eltern fingen an, ihre Kinder als vollwertige Menschen anzusehen, die eben nur ein bisschen kleiner geraten waren – damals ein vollkommen neuer und revolutionärer Gedanke. Doch ihre eigene autoritäre Prägung konnten auch die folgenden Elterngenerationen nur langsam überwinden. Wir Eltern, die heute kleine bis mittelgroße Kinder haben, wurden zum größten Teil selbst in einer Art erzieherischer Umbruchphase groß: Einige von uns wurden bereits sehr frei und demokratisch erzogen, andere noch streng und repressiv. Vor allem aber war unsere Erziehung häufig von einer gewissen inneren Widersprüchlichkeit geprägt: Gehorsam war offiziell nicht mehr Erziehungsziel, wurde jedoch trotzdem irgendwie erwartet. Wir Kinder sollten durchaus auch mal unsere Meinung sagen – aber bitte die richtige. Und Nähe und Geborgenheit wurden uns weniger verwehrt als den Babys und Kleinkindern der Nachkriegsgeneration, doch die Angst vor dem Verzärteln schwang oft trotzdem noch mit. Wir sind die Generation der Kriegsenkel: Privilegiert groß geworden im Vergleich zu unseren Eltern und Großeltern, und trotzdem noch von deren Schmerz und Traumata geprägt. Und jetzt stehen wir vor der Aufgabe, die nächste Generation zu begleiten – in einer Zeit, in der es so wenig gesellschaftlichen Konsens über die richtige Erziehung gibt wie noch nie. Denn das, was Soziologen Werte­pluralismus nennen – also das Phänomen, dass sich in unserer modernen Gesellschaft immer weniger von allen anerkannte Grundwerte finden lassen –, wirkt nun mitten in unseren Alltag hinein.

Dazu kommt, dass auch das Familienleben selbst heute so bunt und vielfältig ist wie nie zuvor: Eltern kommen immer häufiger aus unterschiedlichen Kulturen und bringen ihre ganz eigenen Prägungen rund ums Elternsein und Kinderhaben mit. Darüber hinaus ist Familie keine Frage der Blutsverwandtschaft mehr, sondern vor allem eine der Herzensbande. Da wachsen uns Bonuskinder ans Herz, da bereichern Pflegekinder unser Leben, da werden aus engen Freunden Wahlverwandte und aus Freunden Eltern, auch wenn sie nie ein Liebespaar waren. Manche Kinder wachsen mit Eltern auf, die getrennt sind, aber gemeinsam erziehen. Bei anderen ist es genau umgekehrt. Klar, dass sich dabei Fragen auftun, die sich früheren Elterngenerationen so nie gestellt haben.

Als Eltern einfach mit der Masse mitschwimmen: Das ist schwer geworden, weil es im Umgang mit Kindern momentan keinen Mainstream gibt, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Strömungen, die um den richtigen Weg ringen. Inmitten eines solchen gesellschaftlichen Diskurses selbst für ein Kind verantwortlich zu sein ist zweifelsohne anstrengend und herausfordernd, weil man gefühlt so viel falsch machen kann – egal, was man tut. Da verwundert es nicht, dass sich Eltern heute manchmal nach der Einfachheit früherer Zeiten zurücksehnen, in der man eben einfach ganz normal seine Kinder erzog wie alle anderen auch und daraus keine Grundsatzentscheidung über die Wertebasis des eigenen Lebens machte. Doch so verständlich diese Sehnsucht ist, so trügerisch ist sie auch. Denn die Belastung, den eigenen Weg finden zu müssen, ist der Preis für eine der größten Errungenschaften unserer Zeit: die Freiheit, das eigene Leben selbstbestimmt gestalten zu können.

Doch wie stellen wir das ganz konkret an? Wie schaffen wir es, unseren Kindern die Eltern zu sein, die wir sein wollen? Seit knapp 15 Jahren beschäftige ich mich intensiv mit genau dieser Frage – sowohl beruflich als auch privat. Denn alles, was ich als Fachjournalistin für Familienthemen über gelingende Eltern-Kind-Beziehungen und ein bindungsstarkes Miteinander erfahren und gelernt habe, wird im Leben mit meinen eigenen vier Kindern tagtäglich auf den Prüfstand gestellt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn man in schlauen Büchern gelesen hat, wie das mit dem achtsamen Begleiten auf Augenhöhe gehen soll – und dann im Alltag immer wieder krachend an den eigenen Ansprüchen scheitert. Ich kenne den immensen Druck, unter dem wir Eltern heute stehen, ebenso wie die Sehnsucht nach mehr Leichtigkeit im Zusammenleben mit unseren Kindern. Kann es wirklich richtig sein, dass sich der Alltag mit dem eigenen heiß geliebten Kind so unglaublich erschöpfend anfühlt? Ist es eigentlich normal, oft so verunsichert, so voller Schuldgefühle und Selbstzweifel zu sein?

Als ich im Jahr 2007 als junge Mutter damit begann, in der reichweitenstärksten deutschen Familienzeitschrift öffentlich darüber nachzudenken, wie ein neues, auf Bindung und Beziehung aufbauendes Miteinander zwischen Eltern und Kindern aussehen kann, war das im deutschsprachigen Raum ein Novum. Erziehungsratgeber und Elternzeitschriften waren darauf ausgelegt, Kinder zum Funktionieren zu bringen – liebevoll, aber konsequent. Seitdem ist viel passiert. Eine neue Elterngeneration begann zusehends, alte Glaubenssätze zu hinterfragen und das Prinzip Erziehung ganz neu zu denken. Und durch das Erstarken der Netzöffentlichkeit und der sozialen Medien taten immer mehr Eltern dies nicht still für sich, sondern für alle sichtbar. Elternforen, Familienblogs und Social-Media-Kanäle schossen wie Pilze aus dem Boden und zeigen heute die unendliche Vielfalt des modernen Elternseins. Die Neuorientierung und Sinnsuche, die im Leben junger Menschen mit dem Elternwerden einsetzt, ist damit keine rein private Erfahrung mehr, sondern ein von der Öffentlichkeit des Internets begleiteter und beeinflusster Prozess. Das hat viele Vorteile – Inspiration und Information zum Thema Elternsein zu finden war niemals leichter –, bringt jedoch auch neue Probleme mit sich: Die schiere Fülle der widersprüchlichen Tipps und Theorien kann nicht nur Neu-Eltern leicht erschlagen, die Selbstinszenierung scheinbar unfehlbarer Influencer-Eltern erhöht schnell den Perfektionsdruck im eigenen Leben, und die zum Teil heftige gegenseitige Verurteilung im Netz trägt ihren Teil dazu bei, dass immer mehr Familien das Gefühl haben, nicht gut genug zu sein, nicht zu genügen, zu versagen.

Der innige Wunsch, gute Eltern zu sein, gepaart mit heftigen Schuldgefühlen und schlimmer Versagensangst: Wie präsent diese Kombination in Familien heute ist, weiß ich aus all den Nachrichten, die mich täglich erreichen, aus den Fragerunden und Gesprächen mit Eltern im Rahmen meiner Vortragsreisen sowie aus meiner Zusammenarbeit mit Menschen, die in der Beratung und Begleitung von Familien tätig sind. Und nicht nur das: Ich spüre auch selbst, wie extrem der Druck auf Eltern seit meiner ersten Schwangerschaft zugenommen hat, wie viel schwerer es heute auch für mich als Mutter ist, selbstbewusst und zuversichtlich den eigenen Weg zu gehen, wenn hinter jeder Ecke das schlechte Gewissen lauert, nicht gut genug zu sein: Weil ich meine Kinder zu früh in Betreuung gebe, zu spät oder gar nicht. Weil meine Kinder aufräumen müssen oder ich ihnen alles hinterhertrage. Weil ich zu streng bin oder zu lasch, zu beschäftigt oder zu faul, zu verbissen in meinen Nachhaltigkeitsbestrebungen oder zu lax durch meine Bequemlichkeit, die den Planeten zerstört. Angesichts dieser Entwicklung hat sich auch der Fokus meiner Arbeit verändert: Ging es mir anfangs vor allem darum, Erwachsene stärker für kindliche Bedürfnisse zu sensibilisieren, so liegt der Schwerpunkt meiner Arbeit nun darauf, Familien Druck zu nehmen und Mut zu machen. Mut zu einem Miteinander, das auf vertrauensvolle Beziehungen auf Augenhöhe setzt statt auf Druck und Strafen. Aber auch den Mut, sich gegen Perfektionsdruck und Dauer-Schuldgefühle zu wehren und uns selbst als Eltern wieder zuzugestehen, echte Menschen mit Ecken und Kanten, Ängsten und Sorgen zu sein statt makellose Bedürfniserfüllungs-Automaten. Deshalb schreibe und spreche ich heute öffentlich offline wie online über alle Aspekte jenes bindungsstarken, zugewandten Elternseins, von dem ich glaube, dass es Familien fit macht fürs 21. Jahrhundert: die schönen und die schmerzhaften, die schwierigen und die Aspekte, die die Leichtigkeit zurückbringen.

Von den vielen dankbaren Rückmeldungen, die mich seither erreicht haben, ist mir eine ganz besonders in Erinnerung geblieben. »Ich wünschte, deine Worte könnten mich tagtäglich in meinem Alltag begleiten«, schrieb mir eine Mutter nach einem Vortrag. »Wie ein Kompass, der mir hilft, meinen eigenen Weg nicht zu verlieren, und der mir die Sicherheit und das Selbstvertrauen gibt, das deine Texte in mir auslösen.« So kam ich auf die Idee, all das aufzuschreiben, was ich von Eltern so oft gefragt werde und was ich selbst so gerne gewusst hätte, als ich zum ersten Mal Mutter wurde: worauf es im Zusammenleben mit Kindern wirklich ankommt. Wie wir es auf lange Sicht schaffen, die Bedürfnisse der Großen und der Kleinen unter einen Hut zu bekommen. Und wie eine Eltern-Kind-Beziehung entsteht, die Halt gibt und Raum zum Wachsen lässt, die auch Stürme und schwere Zeiten übersteht, und in der die Liebe zueinander stärker ist als alles andere. Ein Kompass, der Familien hilft, sich nicht im täglichen Klein-Klein zu verlieren, sondern das Wesentliche im Blick zu behalten: wie wir mit unseren Kindern so umgehen, dass sie sich gut und liebenswert fühlen. Und wir selbst uns auch.