Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2016 Olaf Ehlerding

Illustration und Cover: Olaf Ehlerding

2. Auflage (2021)

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH,
Norderstedt

ISBN: 978-3-7557-4728-4

Inhaltsverzeichnis

Den Letzten beißen die Esel

Sinai, Protektorat Kanaan, 1274 v. Chr.

Scheiß Wetter! Scheiß Hitze! Scheiß Sonne! Wo sind diese verdammten Wolken? Jemand hatte doch erzählt, es würde hier viele Wolken geben. Nichts gibt es hier! Nur einen verficktblauen Himmel, scheiß Hitze und scheiß Sand, alles große Scheiße hier!« Kele fluchte unüberhörbar. Seine Zunge hing immer länger vor Erschöpfung heraus, aber auch wegen unerträglichen Durstes. Schon den ganzen Tag meckerte er lautstark vor sich hin. Und, um ehrlich zu sein, meckerte er bereits seit dem Abmarsch aus der Festung von Sile über alles, worüber man als mies behandelter Soldat nur meckern konnte: langes Marschieren, Schlafen in kalten Wüstennächten, äußerst knapp bemessene Essens- und Trinkrationen sowie das nervige Bellen der Offiziere, um sie anzutreiben. Wenigstens musste man kaum kacken und schiffen, wenn man weniger aß und trank. Aber das war nicht besonders tröstlich. Etwas Hoffnung blitzte in Keles Augen auf, der unter den Naruna als Schwarzer Mann von den Götterquellen bekannt war. »In Gaza wird alles besser!«, murmelte er zuversichtlich. Gaza war für ihn die Erlösung. Essen, kühles Wasser und Bier im Überfluss, welches nicht schändlich verdünnt war, warteten auf sie in der befestigten Küstenstadt. Dort würden sie auch eine Menge Schlaf nachholen können. Das alles hatte man ihnen schließlich versprochen.

Die immensen Strapazen des Gewaltmarsches waren allerdings für keinen der eintausend Naruna ein Honigschlecken. Zwei Dutzend Kameraden hatten bereits ihr Leben verloren. Wie ein vielfach zerhackter Bandwurm schlängelte sich diese Sklavenarmee durch die Wüste entlang der Großen Grünen, wie man das Mittelmeer nannte. Mehr oder weniger stöhnte und schnauzte jeder von ihnen vor Qual. Nur eben keiner mit solcher Inbrunst wie der kleine pechschwarze Krieger Kele, sodass sich sogar die Götter vor Scham hinter Wolken verkriechen würden. Leider waren keine Wolken am Himmel und erst recht keine Götter, die vielleicht, wenn sie es gut mit ihnen meinten, Brot und Bier vom Himmel regnen lassen würden. Aber danach sah es nicht aus.

Wie lange dieser quälende Marsch bereits ging, wussten allenfalls die gut genährten Offiziere auf ihren genauso gut genährten Pferden. Den Kriegern war es in der Hitze, mit ihren trockenen Kehlen und aufgeplatzten Lippen, einerlei. Ebenfalls störten sie nicht mehr die vielen Fliegen auf ihren stinkenden und dreckigen Leibern. Genüsslich labten sich die Plagegeister am salzigen Nass der ausgemergelten Körper, die sich im Wüstensand auf wundgelaufenen Füßen vorwärts schleppten. Insgesamt gaben sie ein jämmerliches Bild ab. Eine Schlacht konnten die Naruna in diesem Zustand schwerlich gewinnen.

»In Gaza wird alles besser!«, knurrte Hakko verächtlich, unter den Naruna besser als Dicklippe bekannt. »Du bist der einzige Vollidiot, der das diesem verlogenen Kompanieführer abnimmt. Riskat ist niemals zu trauen! Ich glaube ihm deshalb keines seiner beschissenen Versprechen.« Hakko plagte sich an Keles Seite voran. Vor ihnen sowie hinter ihnen war nur Stöhnen und Fluchen inmitten zahlloser schwirrender Fliegen zu hören.

»Erzähl lieber etwas anderes oder halt einfach deine Fresse!«

»Nein! Ich erzähle das, was ich will! Ahh...!« Kele stieß mit dem Fuß gegen einen Stein. Normalerweise ignorierte er derartige kleine Malaisen. Dieser Stein war allerdings sehr groß und bei klarem Verstand ging man solchen aus dem Weg.

Der Nagel an seinem kleinen Zeh war herausgebrochen und es blutete. Kele blieb stehen und guckte grimmig hinunter. Die anderen trotteten, getrieben vom Überlebenswillen, an ihnen vorbei.

»Siehst du, das hast du nun davon! Einfach die Schnauze halten und du hättest besser aufgepasst«, belehrte Hakko ihn. »Los weiter! Wir ...« Plötzlich ließ er Speer und Schild in den Sand fallen. »Gwschrr...«, knirschte es zwischen seinen Zähnen heraus.

»Typisch Dicklippe! Gwschrr …!«, äffte Kele ihn nach und blickte genervt. Denn dieser aufwallende Anfall war heute nicht der erste und ganz sicher nicht der letzte. Im Prinzip kannte man Hakko nur mit diesen Tickanfällen. Beide gehörten irgendwie zusammen. Genau wie Sack und Sackratte. Deshalb gab es für alle Naruna keinen Grund mehr, dem Beachtung zu schenken.

Im Bruchteil einer Sekunde schlug sich Hakko mit der flachen Hand auf seinen Oberschenkel, dann sofort auf den Bauch und zum Schluss vor die Stirn genau dorthin, wo er wie alle anderen Sklavensoldaten der Naruna das eingebrannte Auge des Re trug. Dieser Tick hatte Hakko schon immer gepeinigt. Keiner wusste, vielleicht außer einem, wo er sich das eingefangen hatte. Keiner begriff, warum er das machte. Dieser Tick verschwand ebenso schnell, wie er kam. Aber er kam meistens dann, wenn Hakko sich nicht rührte. Selbst im Schlaf tyrannisierte ihn diese absurde Selbstpeinigung. Nur eins half. Er musste ständig in Bewegung bleiben und das gelang ihm am besten im Kampf. »Kastriertes Suppenhuhn!«, fauchte Hakko, der wieder zu sich gekommen war.

»Stinkender Schleimpilz!«, entgegnete Kele und starrte mit geschwellter Brust zu ihm hoch.

»Verrotzte Küchenschabe!«, kam es von Hakko unverhohlen zurück. Sie standen sich nun dicht an dicht gegenüber.

»Bepisste Bettwanze!«

»Verkackte Schmeißfliege!«

»Notbrünstiger Ziegenhornlutscher!«

»Selber not- …« Hakko lag es auf der Zunge. Jedoch konnte er nicht die passende Ausgestaltung einer Verunglimpfung abrufen.

Es fehlte ihm an vulgärem Intellekt. Zwangsläufig begnügte er sich mit »... -brünstige Saugratte!«

»Ranzige Trockenmumie!«, kam es flugs von Kele. Er begann, sich über Dicklippe lustig zu machen.

Jenem fiel es zunehmend schwerer, geeignete Beleidigungen zu finden. »Schimmlige Schnakenfresse!«, erwiderte Hakko mühsam.

Noch einige Schmähungen schmissen sich die beiden Haudegen um die Ohren. Da schenkten sie sich nichts. Der eine gekonnt, der andere behäbig. Im blinden Eifer machte Kele aber einen fürchterlichen Fehler, als er seinen Kumpel mit »Eselficker!« beschimpfte.

Versteinert, mit großen Augen und entrüstet aufgeblähten Lippen stand Hakko vor ihm. Er konnte es nicht fassen, was Kele gerade von sich gelassen hatte. Das konnte er einfach nicht auf sich sitzen lassen. Ein Ficker zu sein war nichts Verwerfliches. Den meisten Naruna blieb das sowieso verwehrt. Und wenn es ein Kamerad doch einmal schaffte, mit einer Frau in die Kiste zu steigen, dann war er unter seinesgleichen hoch angesehen. Esel allerdings ging auf keine Kuhhaut. Denn die Schmähung als Grautier galt als die gröbste Beleidigung, die man in Ägypten einem Menschen an den Kopf werfen konnte. Schwein oder Affe konnte man ohne Weiteres durchgehen lassen. Der Esel aber war als dümmstes Lastentier verfemt. Und für die Naruna reichte schon die Demütigung, dieses Tier als Standarte erdulden zu müssen. Hakko kochte vor Zorn. »Du, du verdammter schwarzer kleiner Gnom!«

Jetzt verschlug es Kele die Sprache. Er zitterte vor unbändiger Wut. Seine Schläfenader pulsierte. Mit verdammt und schwarz konnte er leben. Ein jeder bei den Naruna wusste jedoch, ihn mit kleiner Gnom zu beleidigen, war äußerst gefährlich. In dieser Hinsicht hatte Keles Toleranz strikt die Grenze erreicht. Deswegen hatte er schon einmal einen Kameraden um ein Haar totgeschlagen, wenn damals nicht Gruppenführer Ellan dazwischengegangen wäre und mit seinem furchterregenden Sichelschwert die Gemüter beruhigt hätte. Doch der war jetzt nicht da. Eine Sturmwand der Entrüstung zog auf, als er seine Sprache wiederfand. »Du riskierst jetzt mehr als nur eine dicke Lippe, Dicklippe!«

Hakko schnappte schnell Schild und Speer vom Boden, setzte hastig einen Schritt zurück. Schützend hielt er den Schild vor seinen Körper, während Kele begann, nach ihm zu stochern. Andere Naruna interessierte der Streit nicht. Träge schleppten sie sich an ihnen vorbei. An besseren Tagen hätten die Kameraden beide Kontrahenten noch angefeuert. Nun aber war jeder mit sich und seinem Überleben beschäftigt.

»War nicht so gemeint, Kele. Wir sind doch Freunde«, sagte Hakko eilig. »War nur wegen Esel. Kommt nicht wieder vor! Das verspreche ich.«

Kele ließ sich nicht beruhigen. »Das sagst du jedes Mal. Ich habe von dir langsam die Nase voll.«

»Ich von dir auch.« Hakko beäugte die Speerspitze. Sie kam bedrohlich näher. »Du bist immer am motzen. Dadurch wird nichts besser, sondern macht nur meine Laune beschissener.«

»Ist mir egal. Du bist jetzt fällig!«

Dicklippe war in ernster Lage. Es gab nicht viel, was ihn retten würde, denn im Kampf war Kele unschlagbar. Nur einer war willens und fähig, ihn zu bezwingen. Und der war immer noch nicht da. »Gut! Gut! Du kriegst in Gaza eine Essensration von mir«, versuchte Hakko seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

»Ist das nicht ein guter Vorschlag?«

»Nein!«, erwiderte der Schwarze Mann von den Götterquellen hart. »Zwei kriege ich von dir. Dann beruhige ich mich vielleicht und lasse dir dein erbärmliches Leben.«

»Gut, zwei!«, stimmte Hakko hastig zu und pustete vor Erleichterung einmal durch, als Kele seinen Speer senkte.

Gemeinsam, innerlich immer noch recht angespannt, aber mit geschulterten Speeren, setzten sie den mühevollen Weg auf der Heerstraße an der Großen Grünen gen Norden fort. Nach einer Weile sagte Kele: »Schwein gehabt! Ich war nahe dran, dir wirklich das Licht auszustechen.«

»Toll, dass du so verdammt menschlich bist. An dir wäre ein verdammt guter Amunpriester verlorengegangen«, kam es von Dicklippe grimmig zurück.

Wieder schwiegen sie eine geraume Weile und schwitzten in der brennenden Sonne. Keles Wasserbeutel war längst leer und in dem von Hakko nur ein winziger Rest. Neues Wasser ließ noch lange auf sich warten.

»Scheiß Wetter! Scheiß Hitze! Scheiß Sonne! Wo sind diese verdammten Wolken? Jemand hatte doch erzählt, es würde hier viele Wolken ...«

»Geht das schon wieder los!«, zischte Hakko rüde dazwischen.

»Erzähl endlich etwas Neues, wenn du deine verdammte Klappe nicht halten kannst. Die Sonne scheint nicht weniger heiß, wenn du ständig über sie schimpfst. Außerdem, was soll Re nur über dich denken? Meinst du etwa, er wird beim Federgericht für dich sprechen? Ich glaube, das kannst du dir abschminken.«

»Ist mir egal!« Kele blieb kühl und gelassen. »Du kannst dir deinen Re dorthin schieben, wo die Sonne niemals scheint. Er hat nie etwas für uns getan. Er könnte Wolken vorbeischicken und es regnen lassen, wenn er wollte. Will er aber nicht, weil er uns wie alle Ägypter nur verachtet. Ist ja auch ein ägyptischer Gott. Was soll man da anderes erwarten.«

»Wenn ich eine Wolke wäre, würde ich bei deinem Anblick ebenfalls das Weite suchen. Deshalb sind nämlich keine hier«, frotzelte Hakko. »Vielleicht kann man daraus für dich einen passenden Narunanamen schnitzen. Denn Schwarzer Mann von den Götterquellen ist viel zu lang. Das sagen alle.«

»Mir egal! Hauptsache du nennst mich nicht so, weswegen ich dich vorhin beinahe aufgespießt hätte.« Kele war ein raubeiniger Kerl. Dennoch war für beide dünnes Geschwafel eine gute Ablenkung, um die Strapazen des Marsches leichter ertragen zu können.

»Gut! Dann lass mich mal überlegen. Wie wäre es mit Grantiger Wolkenvertreiber oder, äh, vielleicht Gedrungener Sonnenmotzer?«

»Nein! Lass dir etwas Besseres einfallen«, schnauzte Kele.

»Häh! Du hast doch gerade gesagt, es sei dir egal!« Hakko verstand die Welt nicht mehr und besonders seinen Freund nicht.

Unbeeindruckt stampfte Kele durch den Sand weiter. Er, genau wie Hakko und alle Naruna ebenso, war mit Speer, einem mit Kuhleder bespannten Rechteckholzschild sowie einem Dolch am Ledergürtel bewaffnet. An ihm hing auf der anderen Seite ein Wasserbeutel. Der war, wie bei den meisten, seit Mittag leer. Bis zum Abend mussten sie ohne Wasser auskommen. Auf dem Rücken trugen die Naruna einen Sack mit ihren Habseligkeiten. Und die Kleidung? Nun, sie war hell, einfach, mittlerweile schmutzig vom Schweiß, Wüstenstaub und Fliegenkot: Nemes als Kopfbedeckung, Leinenhemd und Schurz. Die meisten quälten sich barfuß durch den heißen Wüstensand, weil die Sandalen längst verschlissen waren. Ihre Offiziere machten sich darüber lustig. Je heißer der Wüstensand, desto schneller die Naruna. Mittlerweile waren heiße Füße das geringere Übel. Hakko hatte wenigstens noch eine Sandale an.

»Ist mir egal, was ich gerade gesagt habe. Ich habe nur Durst.«

»Na wunderbar! Jetzt habe ich auch Durst. Nur deinetwegen, weil du das gerade gesagt hast.« Hakko war angepisst, ohne Zweifel. Er spürte die trockene, staubige Kehle. Kaum noch schlucken konnte er. Und nun musste er wieder an eine Schale mit kaltem, klarem Wasser denken. An einen Eimer, wo er seinen überhitzen Kopf eintauchen konnte. Am besten ein kalter See. Darin würde er baden und ihn dann leer trinken. Aber das war jetzt unmöglich. Darum musste er die Zeit totschlagen. »Wie wäre es mit Schmalzauge? Das wäre der perfekte Narunaname für dich.«

Kele guckte grimmig zur Seite. »Wie kommst du denn darauf?«

»Hast du es nicht gemerkt?«

»Was gemerkt?«

Hakko lächelte. Aber auch eine Portion Sorge war in seinen Zügen zu erkennen. »Dein linkes Auge ist geschwollen und es trieft.«

Kele blieb stehen, berührte sein Auge, ging dann sogleich weiter. Seine Mundwinkel zuckten, verrieten den Schmerz. »Geht schon!«

»Geht gar nicht! Dein Auge muss behandelt werden«, bestand Hakko darauf. Seine Besorgnis hatte einen triftigen Grund. Seit einigen Tagen war Keles Auge bereits entzündet und es wurde immer schlimmer. Ständig musste sich der Schwarze Mann von den Götterquellen daran reiben. Es tränte unablässig und das stete Reiben machte es nicht besser. Schuld war der Wüstenstaub, welcher diese Entzündungen hervorrufen konnte. Bei den meisten verschwand die Entzündung nach kurzer Zeit.

Kele fing plötzlich an zu schreien. »Deines ist gleich blau, wenn du dich nicht um deinen eigenen Scheiß kümmerst!«

»Haltet mal eure dämlichen Schwatzmäuler!«, stöhnte Ellan mit trockener, heiserer Kehle. Auf einmal war er hinter ihnen. Besorgt schauten sich Kele und Hakko um, denn er war ganz und gar nicht mehr der Alte. Angegriffen und übel schaute er drein, ließ sich immer wieder zurückfallen. Soeben hatte er aufgeholt. Doch das raubte ihm Kraft. Die Spitze seines großen grauen Schwertes, dessen obere Klingenhälfte sichelförmig gebogen war, schleifte mit kraftloser Hand im Wüstensand.

»Was sollen wir sonst machen außer dummes Zeug zu quatschen? Wir krepieren vor Durst«, rechtfertigte sich Hakko.

»Ja, wir krepieren vor Durst. Und du siehst auch nicht besser aus, Sichelnarbe«, stimmte Kele zu.

Ellan wusste, dass ihnen, außer dummes Zeug zu quatschen, kaum etwas anderes übrig blieb. Sie alle wollten nur irgendwie diesen Tag überstehen, bis es abends die Wasserration aus den Fässern der mitgeführten Fuhrwerke gab.

Normalerweise befanden sich an der Heerstraße Richtung Sinai alle halbe Tagesmärsche große Depots, um die ägyptischen Divisionen ausreichend mit Wasser zu versorgen. Doch die Amphoren waren alle ausgebuddelt und zerschlagen, das Wasser im Wüstensand versickert und die Depotwächter obendrein niedergemetzelt worden.

»Wenn wir das überleben, könnt ihr euch an den kanaanitischen Rebellen rächen! Aber jetzt haltet euch im Zaum. Ich kann keine weiteren toten Kameraden gebrauchen. Singt Marschlieder! Hauptsache ihr streitet nicht und bringt euch nicht gegenseitig um.« Ellan musste auf einmal stark husten. Hakko wollte ihm zur Hilfe eilen. Doch jener wehrte mit harter Hand ab. »Geht weiter!«

»Komm, Kele!« Achselzuckend ging Dicklippe mit dem Mann von den Götterquellen voran. »Schmalzauge als dein neuer wahrer Name wäre doch keine so üble Idee. Oder was meinst du?«

Kopfschüttelnd und schwer angeschlagen trottete Ellan hinterher, der den Narunanamen Sichelnarbe trug.

Ellan und Hakko stammten beide aus Kusch. Diese Region war von den Ägyptern im Laufe der Jahrhunderte immer wieder aufgegeben und zurückerobert worden. Die letzte Eroberung fand unter Ramses’ Vater Sethos statt. Hakko hatte selbst für einen Kuschiten zu wulstig geratene Lippen. Deshalb nannten ihn die Kameraden Dicklippe. Ansonsten war er äußerlich wie innerlich ein waschechter Kuschit getreu der Weisheit: Kennst du einen, kennst du alle! Langes Kraushaar, braune Haut und immer die Neigung zur Widerspenstigkeit. Kein Kuschit wollte sich gerne etwas von den nördlichen Langnasen sagen lassen und erst recht keine Steuern zahlen. Als Konsequenz wurden sie von den Ägyptern überfallen und einige zur Abschreckung versklavt, damit die Zurückgebliebenen brav ihr Getreide an den ägyptischen Staat ablieferten. So schufteten viele kuschitische Sklaven in den Goldminen oder auf den Baustellen des Pharaos. Jungen hingegen zwangsrekrutierte man damals als Sklavensoldaten. Die knapp eintausend Naruna, welche jetzt noch dienen mussten, waren die letzten ihrer Art. Heutzutage wurden keine Jungen mehr geraubt und als Sklavensoldaten ausgebildet. Der Dienst an der Waffe sollte nach derzeitiger Auffassung ausschließlich freiwillig sein, um den Göttern zu gefallen und Pharao und Land Ehre zu bringen. Obwohl die Naruna geächtet waren, stießen manchmal Freiwillige zu ihnen. Vielleicht, weil sie ein geheimnisvoller Ruf umwehte.

Die Naruna waren von Kindesbeinen an ausgebildet worden, um die Linien in der Schlacht zu halten. Als Frontfutter sozusagen, damit die kostbaren ägyptischen Divisionen geschont wurden. Gefangen zwischen Feinden und den pharaonischen Kriegern gab es für sie kein Entrinnen. Wie zwischen zwei Mühlsteinen eingezwängt, bedeutete eine Flucht daraus den sicheren Tod eines Sklavensoldaten. Falls es doch einer der Naruna schaffen sollte, dem mörderischen Kampf zu entfliehen, wurde er auf der Flucht von messerscharfen Radklingen ägyptischer Streitwagen niedergemäht. Also gab es letztlich für die Naruna nur eine Bestimmung: Tapfer die Linien halten und versuchen, irgendwie zu überleben. Genauso wurde dies ihnen schon als Kinder während der Ausbildung erbarmungslos eingeprügelt. Täglich acht Stunden marschieren, danach bis zum Sonnenuntergang den Kampf mit echten Waffen wie Speer, Schwert, Axt und Dolch trainieren. Viele Kinder überlebten diese harte Ausbildung nicht. Jene aber, die überlebten, waren die Zähsten, die Brutalsten und die Besten in der Schlacht. Als Belohnung versprach man ihnen, beim Erreichen des dreißigsten Lebensjahres in die Freiheit entlassen zu werden. Wie andere reguläre Veteranen sollten sie eine Scholle Land erhalten und eine Familie gründen. Die Sache hatte allerdings zwei Haken. Erstens wusste kaum ein Naruna, wie alt er genau war. Zweitens hatte man noch keinen gesehen, der feierlich verabschiedet wurde. Seltsamerweise rückte das Alter von dreißig Jahren in unerreichbare Ferne, je näher man ihm kam.

Der stämmige, kleinwüchsige Kele, sogar kleiner noch als die meisten Frauen, kam dagegen aus einem Land, welches irgendwo südlich von Kusch und Nubien lag. Welchen Namen dieses Land hatte und ob es überhaupt einen besaß, wusste keiner. Manche argwöhnische Zungen behaupteten, Kele wüsste nicht einmal selbst, wie sein Heimatland hieß. Weil er weder etwas von sich, seiner Familie oder Herkunft noch von seinem Land preisgab, begnügten sich alle damit, ihn Schwarzer Mann von den Götterquellen zu nennen. Denn laut den Schriften der Tempel entsprang der Nil dort aus den Abgründen der Unterwelt. Der große Fluss versorgte über einen langen Weg Nubien, Kusch und schließlich das reiche Ägypten, bis er die Große Grüne speiste und damit die Schifffahrt nach aller Herren Länder ermöglichte.

Jedoch war Kele kein gläubiger Mensch. Gebete, Glaube und Barmherzigkeit waren bei allen Naruna schwach ausgeprägt. Wer keine Hoffnungen hatte, brauchte auch nicht zu glauben. Das Erwartbare eines Sklavensoldaten war nur Entbehrung und Tod. Und was den pechschwarzen kleinen Krieger anbetraf, hatte Kele genauso viel Barmherzigkeit und Humor wie eine ausgehungerte Hyäne. Er war einer der härtesten, widerstandsfähigsten und gefährlichsten Männer unter den Naruna mit einem entsprechenden Hang zur Boshaftigkeit, die sich zum Überleben stets als nützlich erwies. Deshalb gehörte er mit seinen leichten Falten um den Augen zu den ältesten mit vielleicht dreißig Jahren oder darüber. Den wollte man keinesfalls als Veteran in den Ruhestand entlassen.

Ellan hingegen, obwohl ebenfalls wie Hakko gebürtig aus Kusch, war bleich und besaß eine Langnase, also kein typischer Kuschit. Das kam gelegentlich vor, wenn die Vorfahren sich nach Kusch verirrten. Freiwillig konnte man dort nicht wohnen wollen. Es sei denn, die Umstände zwangen einen dazu oder man war ein weniger verdienter Veteran der ägyptischen Armee und kam an die kuschitisch-nubische Grenze. Dahin sollten nach Ellans Auffassung auch die fünf wohlgenährten Offiziere der Naruna gejagt werden, falls sie nicht zuvor eines kriegerischen Todes starben. Allerdings war aufgrund deren Feigheit nicht davon auszugehen. Insgeheim hegte darum Ellan die Hoffnung, dass einer oder am besten alle fünf ihm irgendwann in einem Schlachtgetümmel vor sein Sichelschwert liefen. Die Offiziere, der höchste unter ihnen war der Narunageneral Keeba, ritten bequem auf Pferden, waren durch Lederrüstungen samt Bronzeschuppen sowie mit runden Halbhelmen gut geschützt. Festes Schuhwerk war eine Selbstverständlichkeit. Säufer Ismail, der fette Talli, Grünschnabel Jazid und der rücksichtslose Riskat hatten je eine Kompanie von zweihundertfünfzig Kriegern unter ihren Fittichen. Leider war Ellan als einer von fünf Unteroffizieren ausgerechnet dem Letzteren unterstellt und führte selbst fünfzig Mann einschließlich Hakko und Kele an.

Seit Tagen fühlte sich Ellan oder Sichelnarbe, benannt durch die Naruna wegen seiner sichelförmigen Narbe auf der Wange, ziemlich schlecht. Noch nie hatte er sich so miserabel gefühlt. Es konnte nicht einfach an Wassermangel oder den Strapazen des Marsches liegen. Irgendetwas war faul in seinem Körper und vielleicht hatte das mit der Beule im Nacken zu tun, die immer stärker anschwoll. Ihn beschlich eine dumpfe Ahnung, nicht im Kampf zu sterben, sondern hier irgendwo vor Gaza in der Wüste zu verrecken. Abrupt blieb er stehen und befühlte die harte Schwellung im Nacken. Sie war schon so groß wie ein Hühnerei und schmerzte bei jeder Berührung. Nur was sollte er jetzt tun? Jammern? Von anderen Mitleid erhaschen? Bestimmt nicht! Daher nahm er es hin, es war eben nicht zu ändern. Vielleicht würde das Drecksding einfach von selbst verschwinden, hoffte er und schleppte sich wieder vorwärts.

Erneut kamen die Bilder in ihm hoch, wie sie aus der Festung zu Memphis ausgerückt waren. Zuvor hatten Zehntausende die Amundivision bejubelt und sie mit Blumen beworfen. Sie waren der Stolz der ägyptischen Armee in neuesten Lederrüstungen aus Gaza, durch Bronzeschienen verstärkt. Mit angelegten Speeren, Schwertern, Äxten und Streitkolben sowie Schilden aus Bronze waren sie in langen Kolonnen und im Gleichschritt aus dem Tor marschiert. Angeführt von schillernden Offizieren hochtrabend auf schick gestriegelten Pferden. Ganz vorne wurde die heilige Amunstandarte mit ihrem Widderkopf aus purem Gold stolz zur Schau getragen. Welche junge Frau konnte bei diesem Anblick widerstehen und sich nicht zum Abschied um den Hals eines Amundivisionisten werfen?

Später dann, der Platz vor dem Tor war beinahe verlassen, nur noch zertretene Blumen und Pferdeäpfel lagen ihnen zu Füßen, kamen die Naruna aus dem Tor geschritten. Allerlei zwielichtige Gestalten aus dem Hafenviertel beäugten sie, während Huren in den Reihen der Naruna nach säumigen Freiern Ausschau hielten, die ihre Schuld noch zu begleichen hatten. Keinesfalls wollte jemand aus der gutbürgerlichen Schicht dunklen Kuschiten oder anderen zernarbten Haudegen zu nahe kommen. Gestank und ein Anblick der selbst das Licht der Sonne verschreckte, waren nichts für zarte Gemüter aus der Stadt. Hohn und Spott, aber auch Furcht jagte ihnen besonders die unheimliche Divisionsstandarte der Naruna ein. Ein sitzender Esel aus Bronze, der mit einem gespitzten und einem schlappen Ohr heimtückisch grinste. Die Furcht war nicht unbegründet. Der Esel war einerseits als störrisches Lastentrotteltier verschrien, andererseits galt er am Nil als unheilig, als Bösewicht und Dämon der Unterwelt. Die Naruna fühlten sich vielmehr als die dummen Packesel, auf denen der gesamte Mist des Reiches abgeladen wurde.

Erst nachdem die Naruna den Platz vor der Festung verlassen, schon einen Bogen um Memphis geschlagen hatten, trabten ihre hochmütigen Offiziere durch das Tor hinaus. Sie alle wollten in der Öffentlichkeit nicht mit den geächteten Sklavensoldaten in Verbindung gebracht werden, sich nicht zum Narren machen, obwohl sie deren Befehlshaber waren. Ganz zum Schluss waren noch ein paar Dutzend Ochsenkarren mit Ausrüstung, Proviant und Wasserfässern aus dem Tor gefahren. Alle mit Planen abgedeckt. Nicht viel, trotzdem ausreichend bis zur Festung in Sile östlich des Nildeltas. Auf die Versorgung unterwegs konnte man sich nicht verlassen, weil die Nilschwemme des Vorjahres ausgeblieben war und überall in Ägypten gehungert wurde.

Auf dem letzten Wagen hockte der Medikus Gordan. Der war ausschließlich für die Gesundheit der Offiziere zuständig. Einen wild zerzausten Graubart trug er. Die vertrockneten Essensreste vergangener Mahlzeiten fielen selbst beim kräftigen Schütteln nicht ab. Von seinem Haupt hingen lange fettige Silberhaare, die ebenfalls zerzaust waren. Auffallend war besonders sein Hang zum häufigen Konsum des Weihrauchs, der ihm nur ganz selten Augenblicke ohne Volldröhnung gewährte. Einen Medikus zu haben, war immer gut. Vielleicht war es in diesem speziellen Fall doch besser, dass Gordan lediglich die Offiziere behandelte. Lieber unbehandelt länger krank, als behandelt eine noch längere Zeit tot, fand nicht nur Ellan. Auf tragische Weise passte der gescheiterte Gordan perfekt zu den Naruna.

Ellan keuchte. Unbedingt wollte er vermeiden, sich tragen zu lassen. Er durfte keine Schwäche zeigen. Andernfalls würde darunter der Zusammenhalt der Truppe leiden, was in Rebellion ausarten könnte. Infolge Res Auge auf der Stirn würde man sie letztlich überall erkennen und auf der Stelle pfählen. Immer wenn die Naruna miteinander sprachen oder sich nur ansahen, starrte sie Res Auge des Gegenübers als Warnung an, bloß nicht aufmüpfig zu sein. Die Naruna fühlten sich ständig beobachtet, überwacht und es war gleichbedeutend wie ein Hinweis, keinem zu vertrauen. Doch das Gegenteil traf ein. Gemeinsames Leid, gemeinsamer Kampf und der gemeinsame Wille zu überleben schweißten die Naruna zusammen. Darum schleppte er sich vorwärts, versuchte keine Schwäche zeigen, was aber nicht gut gelang. Das sonnengegerbte, vernarbte Gesicht ließ ihn älter als die meisten anderen Naruna erscheinen. Nicht nur die äußere Erscheinung und seine Härte brachten ihm bei den Kameraden eine Menge Respekt ein. Er wurde auch geschätzt wegen seiner Aufrichtigkeit und Kameradschaftlichkeit. Niemals würde er einen der Männer im Stich lassen. Sein eigenes Leben hatte er oftmals aufs Spiel gesetzt, um einen Naruna aus tödlicher Gefahr herauszuhauen. Selbst wenn die Zukunft für alle düster erschien und man sie letztendlich irgendwann einmal wie verdorbenes Schlachtvieh verscharren würde, waren die Naruna untereinander doch wie Brüder.

Zahlreiche kleine und größere Narben hatte Ellan in seinen Kämpfen überall auf dem Körper erworben. Eine war jedoch besonders. Sie befand sich auf seiner linken Wange. Ihre Form glich einer Sichel, mit der Bauern Getreide ernteten und natürlich der Klinge des Chepesch, eines Sichelschwertes, mit der Ellan ohne Mühe die Köpfe seiner Feinde abschlug. Unweigerlich wurde daraus sein wahrer Narunaname Sichelnarbe geboren. Sein düsterer Blick obendrein verängstigte nicht nur den Feind, sondern gleichfalls Freund und Kamerad, wenn etwas zu seinem Missfallen ausuferte.

Schwerfällig setzte Sichelnarbe einen Fuß vor den anderen. Sein muskelbepackter Körper hing schlaff nach vorne. Dreckig und speckig war sein leichtes Gewand, es stank übelst nach Krankheit, Schweiß und vielleicht nach einem Hauch des Todes. Hakko und Kele warteten immer wieder auf ihn, damit er nicht den Anschluss, sich nicht irgendwo in der endlosen Schlange der Sklavensoldaten verlor. Sie wussten, dass sie ihm niemals beim Laufen unter die Arme greifen durften. Er würde sich bis zum Umfallen allein auf den Beinen halten wollen. Doch jetzt schaute er nur noch trübsinnig aus glasigen Augen. Der Rucksack auf seinen Schultern kam ihm wie ein gewaltiger Felsbrocken vor. Fix und fertig fühlte er sich. Ständig musste er husten, würgen, rotzen und ihm wurde zunehmend schwindlig. Alles drehte sich im Kreis. Seine Kameraden schienen um ihn zu tanzen, ebenso die Wellen der Großen Grünen auf der einen und die Berge des Sinai auf der anderen Seite. Das Meeresrauschen und die kreischenden Seevögel kamen ihm ohrenbetäubend laut vor. Dann hörte das Schwindelsein abrupt auf und er konnte wieder klar sehen, klarer denken. Er wusste, dass er Fieber hatte und Schüttelfrost bekam, obwohl die Sonne unerträglich heiß auf seinen Körper brannte. Vom Gürtel nahm er den schlaffen Wasserbeutel, öffnete den Pfropfen und ließ den letzten Tropfen auf seine aufgeplatzten Lippen fallen. »Leer!«, stöhnte er, schmiss den Beutel arglos in den Sand.

»Warum tust du das?«, fragte Hakko verwundert und hob Ellans Beutel auf, während die letzten Naruna unbeirrt und gleichgültig an ihnen vorbeitrotteten wie Ameisen, denen man mitten in den Weg geschissen hatte. In einiger Entfernung waren die Ochsenwagen zu sehen. Sie hielten wegen Plündergefahr stets Abstand zu den Narunakriegern.

»Warum nicht!«, hüstelte Sichelnarbe und schlug ihn Hakko wieder aus der Hand. »Es hat alles keinen Sinn mehr.«

Diesmal hob Kele den Wasserbeutel auf, steckte ihn an seinen Gürtel. »Wenn du meinst!«, sagte er lapidar und ging mit Hakko weiter. Für Selbstmitleid kannten Naruna keine Antworten. Sie hatten noch nicht einmal ein Wort dafür.

Das Schwindelgefühl kam wieder hoch. Aber nicht ganz so stark wie zuvor. Er fasste sich erneut an den Nacken. Die Beule fühlte sich größer an oder es war eine Sinnestäuschung. Er bekam den unbändigen Willen, dieses verfluchte Ding einfach auszuquetschen. Daumen und Zeigefinger drückte er nur etwas zusammen. Schon flutschte schmieriges Zeug heraus. Eiter, Blut, was auch immer. Jetzt presste er fester zu und schrie laut auf. Höllischer Schmerz durchschoss seinen Nacken, blitzte am Rückenmark bis in die Kniekehlen herunter und donnerte wie ein zweihändiger Kriegshammer in seinen Schädel zurück. Ihm wurde schwarz vor Augen, er konnte sich jedoch gerade noch auf den Beinen halten. Keine gute Idee, fand er und putzte sich die verschmierte Hand am Gewand ab. Dort tummelten sich bereits gleichartige Flecke. Als er nun weitergehen wollte, krachte er unvermittelt auf den Boden.

Pferdehufe scharrten im Sand, gepaart mit einem Schnauben. Er hob den Kopf und blinzelte mit den Augen. Wie lange Ellan ohnmächtig gewesen war, konnte er nicht sagen. Die Naruna am Kolonnenende waren bereits zu winzigen Käfern geschrumpft. Dann blickte er zur anderen Seite. Dort standen seinetwegen die Ochsenkarren in einer Schlange und warteten, dass er endlich weiterging. Nochmals schnaubte es.

»Na prima!«, murmelte Ellan angewidert. Ein Pferd bedeutete immer auch einen Offizier oben drauf und er ahnte schon, wer da auf dem Gaul hockte.

»Es ist für mich das reinste Vergnügen, dich auf dem Bauch winseln zu sehen«, ließ sich Riskat keineswegs lumpen, ihn zu verhöhnen. »Am liebsten würde ich dich ja von meinem Pferde niedertrampeln lassen. Leider geht das nicht so ohne Weiteres. Macht bei den Kameraden keinen passablen Eindruck. Also aufstehen, du faules Schwein!«

Ellan streckte den Hals weiter hoch. Die Sonne blendete ihn. Nur einen Spalt bekam er die Augen auf. Sand klebte im verschwitzten Gesicht und er musste kräftig aus seiner verstaubten Lunge husten.

Da saß dieser skrupellose und großspurige Dreckskerl hoch zu Ross. Angeblich der Sohn eines Großgrundbesitzers aus dem Delta, wie er bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu behaupten pflegte. Aber hinlänglich war bekannt, dass nur Taugenichtse sowie die nachgeborenen Söhne zum Militär gingen. Und ein Offizier bei den Naruna zu sein, bedeutete kompromissloses Scheitern auf ganzer Linie. Und dieser Nichtsnutz war nun Sichelnarbes Vorgesetzter, der Anführer der dritten Kompanie. Nicht ein einziges Mal hatte Ellan ihn kämpfen sehen. Stets stand er abseits der Front und gab dummdreistes Gebell von sich: 'Sie müssten tapfer für Pharao und Reich alles geben und ihr Leben opfern, die Linien halten, niemals fliehen!' Wenn jedoch Offiziere flohen, hieß das taktischer Rückzug. Die Hochgeborenen wurden ja nicht von den Streitwagen niedergemäht. Zu wertvoll seien sie für die ägyptische Gesellschaft, um in einer Schlacht verheizt zu werden, hieß es. Zumindest behaupteten das diese schmarotzenden Offiziere selbst von sich.

Riskat wischte sich den Schweiß aus seinem frisch rasierten, narbenfreien, von jeder Unebenheit verschonten Gesicht. Von solcher Reinheit konnten sich sogar die meisten Frauen etwas abschneiden, wäre da nicht dieser scheußliche Silberblick. Abfällig rümpfte er die Nase. »Na, wird es bald! Sonst habe ich doch noch einen Grund, dich niederzutrampeln, vernarbte Ratte!«

Ellan griff vor Zorn in den Sand, drückte ihn zusammen, bis er aus den Finger rann. »Irgendwann werde ich dir das verfluchte Maul stopfen«, krächzte er leise. »Gib mir Wasser!«, forderte er dann lauter.

»Wasser willst du haben?«, spottete Riskat. »Wasser kannst du haben!« Der Kompanieführer rotzte Ellan knapp vors Gesicht. »Da hast du dein Wasser. Schlecke es auf! Sofort! Das ist ein Befehl!«

Jetzt reichte es. Ellan zog grimmig einen seiner Mundwinkel hoch und langte mit seiner großen Pranke nach dem Unterschenkel des Pferdes. Die Fingernägel drückten fest ins Fleisch. Das Tier wieherte, befreite sich vom harten Griff und bäumte sich auf. Nur mit Mühe konnte sich Riskat auf der Schabracke halten. Schließlich bekam er seine graue Stute wieder unter Kontrolle und zog nun sein Schwert aus der Lederscheide.

Ellan spürte plötzlich feste Griffe unter seinen Armen, die ihn mit einem kräftigen Ruck auf die Beine stellten. Es waren Kele und Hakko, die ihn stützten. »Lasst mich sofort los!«, brüllte Sichelnarbe.

Doch seine Freunde ignorierten sein Gebrüll. »Alles in Ordnung! Er wird nicht mehr zusammenbrechen. Schmalzauge und ich werden ihn tragen«, beschwichtigte Hakko mit Unschuldsmiene den verhassten Kompanieführer. »Wir schließen schnell zu den anderen auf, damit die Wagen hinter uns weiterfahren können.« Scheel starrte Riskat auf Kele herab, der jetzt den Narunanamen Schmalzauge trug. Keinesfalls wollte er sich mit diesem grimmigen kleinen Krieger anlegen. Wütend steckte er sein Schwert zurück. »Einmal lass ich dir das noch durchgehen. Aber beim nächsten Mal mache ich mit dir kurzen Prozess, du verfluchtes Narbenschwein!« Hochnäsig zerrte er an den Zügeln und trabte zu den Ochsenkarren zurück.

Während Kele sämtliche Waffen und Ellans Rucksack übernahm, hielt Hakko Ellan auf den Füßen. Dabei kratzte er sich an der Stirn, wo dieses verdammte Auge des Re eingebrannt war. Vielen juckte es dort. Besonders wenn es heiß war und sie schwitzten. Es war wie ein Fluch, es nicht nur sehen, sondern es auch fühlen zu müssen. »Hier! Trink das, Sichelnarbe!« Hakko drückte ihm seinen schlabbrigen Wasserbeutel vor den Mund. Nur wenig war noch drin.

Ellan schob seine Hand beiseite. »Nein, dann hast du nichts mehr! Ich werde es sowieso nicht mehr schaffen. Es reicht, wenn einer krepiert!«

Sein Freund ließ jedoch nicht locker. »Wenn du Arschloch verreckst, wird es hier todlangweilig. Wenn du nichts trinkst und verreckst, dann hält mich gar nichts mehr hier, dann werde ich mich aus dem Staub machen und du weißt genau, was das bedeutet. Also, trink schon! Außerdem wird es abends neues Wasser geben. Ich werde es bis dahin schon aushalten.«

Ellan wusste, dass Hakko es ernst meinte, niemals aufgeben und ihn die ganze Zeit weiter nerven würde. Und wenn Sichelnarbe verreckte, würde sich Dicklippe verpissen. Das stand fest. Wenn er die Wüste überleben würde, fänden die Häscher über kurz oder lang den Fahnenflüchtling. Sein Brandmal auf der Stirn würde ihn schließlich verraten. Was dann passierte, war klar: Folter und Pfahl!

Ellan nahm den verdreckten Nemes von seinem Kopf, putzte sich damit den Sand aus dem Gesicht. Daraufhin trank er hastig den letzten Rest aus Hakkos Wasserbeutel. Es schmeckte nach ranzigem Leder. Aber es war das Beste, was er seit langem getrunken hatte. Kele ging mit den Speeren und Schilden, auch mit Sichelnarbes Chepesch, voran. Hakko schulterte ihn und folgte unverzüglich dem Schwarzen Mann von den Götterquellen. Sie mussten sich beeilen, um sehr schnell zu den Naruna aufzuschließen. Andernfalls hätten sie Riskat erneut auf der Pelle, weil die Wagen sie einholen könnten.

Ellan ging es mit jedem Schritt schlechter und seine Arme und Beine schmerzten unerträglich. Er brauchte Ablenkung. »Erzähl was!«, befahl er keuchend.

»Was?«, fragte Dicklippe.

»Einfach irgendetwas!«

Hakko grübelte, was er Spannendes erzählen könnte. Alles, was sie erlebt hatten, war im Grunde immer das Gleiche. Plötzlich leuchteten seine Augen auf. »Lass uns doch einfach gemeinsam abhauen! Die können ihre Kriege auch ohne uns führen. Wir suchen uns Frauen und bauen irgendwo in Kanaan Bohnen an und verkaufen die dann. Was hältst du davon?«

Ellan hustete noch den Rest Sand aus. Dann antwortete er wie gewohnt. »Du hast nicht mehr alle Körner im Speicher! Blöde Idee und die ist auch nicht neu. Wer von uns bringt die Bohnen auf den Markt? Uns wird man überall erkennen!« Ellan tippte mit dem Finger an Hakkos Stirn. »Welche Frau will uns damit heiraten? Hä? Die einzigen Frauen, die sich für uns erwärmen, sind entweder blind oder es sind Huren. Erzähl mir nichts von Hirngespinsten! Erzähl was Echtes! Was wir erlebt haben, damit wir nichts vergessen.«

Dicklippe schaute Ellan nachdenklich von der Seite an. Dann kam ihm die alte Geschichte in den Sinn, als er die vernarbte Wange seines Freundes betrachtete. »Vielleicht etwas über den Feldzug in der libyschen Wüste?«

»Jau! Diese Geschichte ist gut. Auch wenn du sie schon zehnmal erzählt hast. Aber mach!«, krächzte Ellan. »Vielleicht gibt es ja ein neues Detail.«

»Dann beginn ich mal ...«, zögerte Hakko.

»Ja, beginn mal!«

»Gut, dann beginn ich mal. Es …es war unser … erster Feldzug. Du warst fünfzehn, glaube ich. Ich war vielleicht dreizehn oder vierzehn. Vielleicht auch fünfzehn. Oder vielleicht doch schon sechzehn? Wenn ich nur wüsste, wie alt ich bin.«

Ellan verzog schräg seine Miene. »Und was bringt dir das? Erwartest du von jemandem Blumen zum Geburtstag?«

»Ich erwarte keine Blumen! Wäre halt nur schön zu wissen, wie alt man ist.«

»Für wen?«

Hakko kratzte sich wieder an der Stirn. »Vielleicht für dich?«

Ellan lächelte gequält. »Dein Alter ist mir so egal wie ein toter Fisch im Nil, Dicklippe.«

»Na, dann eben für mich.«

»Und was bringt dir das?«

Hakko überlegte scharf, was er dazu sagen sollte, und schürzte angestrengt die Lippen. »Eigentlich nichts.«

»Siehst du! Zerbreche dir lieber nicht den Kopf und erzähl die libysche Geschichte weiter!«

Sie schlurften weiter im heißen Sand. Die Sonne stand zwar nicht mehr hoch, dennoch brannte sie immer noch heiß. An der Küste gab es nur flaches Wüstenland. Keine Häuser, Palmen oder Ruinen. Einfach nichts, was Schatten spenden könnte. Das Sinaigebirge mit seinen Felsvorsprüngen und Höhlen war zu weit weg. Gerade weil Wasser fehlte, verwirrte die Hitze so manchen kühlen Kopf. Aber Hakko strengte sich an. »Meinetwegen! Nun, es war unser erster Kampfeinsatz. Libysche Wüstenreiter hatten damals die westlichen Oasen geplündert und der Befehl war, sie reif für die Unterwelt zu machen. Wir, die Naruna, hatten ihnen eine Falle gestellt. Blöderweise gerieten wir selbst in die Falle. Unsere Truppe hat mächtig einen auf den Sack bekommen und war über sämtliche Wüstendünen verstreut. Ich suchte dich und sah, wie du zwei Reiter nacheinander mit dem Speer erledigt hattest. Der dritte Drecksack aber wich deinen Angriffen geschickt aus oder du hast daneben gezielt«, frotzelte Hakko. »Ich kann mich leider nicht mehr so genau daran erinnern.« Ellan jedoch verzog keine Miene.

»Dann griff der Drecksack dich wieder an und als du den Speer in den Schenkel des Pferdes gerammt hattest, verpasste dir der Libyer diese schreckliche Wunde auf deiner Wange, und zwar mit dem Chepesch. Seitdem heißt du Sichelnarbe«, kicherte Hakko und fuhr nach einigen Lachaussetzern wieder fort. »Du hast geblutet wie eine geschlachtete Sau und man konnte durch das Loch in deiner Wange gut die Zähne sehen. Ziemlich hässlich war das, würde ich mal sagen. Das Pferd humpelte mit dem Speer davon und der Libyer lag im Sand. Ohne Pferd und Waffe war er nichts, denn er hatte beim Sturz seinen Chepesch verloren und dieser lag nun genau zwischen euch. Ja, ich habe es genau gesehen. War aber noch zu weit weg, um zu helfen. Blutverschmiert und wie ein wilder Stier ranntest du zum Chepesch. Der Libyer auch. Doch du warst schneller. Er schrie irgendetwas, wahrscheinlich bettelte er um sein Leben. Doch wer versteht schon dieses dämliche Wüstenkauderwelsch? Er hielt schützend seine Hände hoch. Er jammerte noch lauter, als du seinen Bauch aufgeschlitzt hattest. Und er schrie wie ein verrückter Pavian, als er seine Innereien zurückdrücken wollte.« Hakko dachte kurz nach, wie er die Geschichte spannend beenden könnte. »Du wolltest ihn aber nicht töten. Du wolltest ihn elendig verrecken lassen. Da habe ich ihm als ein Akt der Gnade die Kehle durchgeschnitten. Bin ja ein netter Kerl.«

»Leider! Ich war nicht sehr begeistert damals...«, flüsterte Ellan schweratmend. »Und bin es auch heute nicht. Mit Gnade kommt man nicht weit. Oder glaubst du etwa, jemand hat Gnade mit dir, … wenn du ihm erzählst, dass du schon mal Gnade hattest? Das glauben nicht einmal Flusspferde.«

»Aber Menschen und Tiere, sogar Feinde verdienen manchmal Gnade«, protestierte Hakko. Dann kam er zur Besinnung. »Ach, was soll es. Jedenfalls hast du seitdem diesen merkwürdigen grauen Chepesch. Obwohl du damit unzählige Feinde niedergemacht hast, ist er nie kaputt gegangen.«

Sie schlurften weiter durch den Sand und Dicklippe sagte nichts mehr. Das war jedoch nicht gut. Denn Ellan wurde sich seiner Übelkeit wieder bewusst. »War das alles?«

»Was war alles?«

»Die Geschichte, du Narr!«, schnauzte Ellan.

»Wieso? Sonst behauptest du immer, ich quatsche zu viel«, entgegnete Hakko aufgebracht.

»Also, hast du nun noch eine andere Geschichte auf Lager?«

»Welche willst du hören? Die mit dem Warzenschwein und der langen Narbe über deinem Bauchnabel, die du von diesem Vieh gekriegt hast? Oder lieber die von unserem letzten Feldzug in Kanaan? Von dort hast du auch einige wunderschöne Andenken auf der Haut.«

Ellans viele Narben zeugten von zahllosen Kämpfen. Und Kanaan war ein besonders hartes Pflaster gewesen. Selbst für Sichelnarbe. Vor zwei Jahren hatten die Naruna mit mehreren Divisionen unter der Führung des alten Feldmarschalls Boduril das Fürstentum Amurru nördlich von Kanaan erobert. Dieser Feldzug gegen den amurritischen Fürsten Bentesina wurde mit der Einnahme der Stadt Kadesh bemerkenswert schnell und ohne nennenswerte Verluste beendet. Aber die rebellischen Kanaaniter hatten ihnen beim Rückmarsch durch Kanaan massive Schwierigkeiten bereitet. Nach unerbittlichen Kämpfen wurden sie in die Berge vertrieben.

Ellan musste sich plötzlich übergeben. Nur zähen grünen Schleim würgte er heraus. Dicklippe hatte erhebliche Mühe, seinen Freund auf den Beinen zu halten. »Heute Abend sollten wir die Versorgungsfestung Scharuhen erreichen. Dann ist es nicht mehr weit bis Gaza. Dort wird hoffentlich alles besser, wenn Schmalzauge recht behält!«

»Hoffentlich, wenn ich es bis dahin schaffe!« Die Beule auf Ellans Nacken spannte sich stärker. Er hatte im Gefühl, es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie platzte. Und was kam dann? Wundbrand? Es juckte zudem, zeitweise ins Unerträgliche. Wieder und wieder wollte er sich dort kratzen. Und wenn er sich dort vorsichtig kratzte, tat es verdammt weh. Also nahm er wohl oder übel das Jucken hin.

Dicklippe blieb stehen, musterte sorgenvoll die Beule, aus der blutiger Eiter triefte. »Sieht nicht gut aus, Sichelnarbe. Sieht sogar sehr böse aus!«

»Unser gesamter Feldzug sieht doch böse aus! Viele der Ochsengespanne sind leer aus Sile herausgefahren. Hast du es nicht mitgekriegt?«, fauchte Ellan unter Mühen. »Unter Boduril war alles besser. Der hatte diesen scheiß Keeba ständig im Auge. Der wusste genau warum. Und jetzt auch noch die zerstörten Wasserdepots. Alles kommt auf einmal. Es ist wie verhext!«

»Dann haben sie ja genug Platz, um dich mitzunehmen. Dann musst du nicht laufen«, fiel Hakko darauf nur ein.

»Glaubst du immer noch, die lassen mich zu den Wagen?« Ellan musste wieder husten. Doch es war keine Erleichterung. Der Schleim blieb an seinen Bronchien kleben.

»Nein«, räumte Hakko ein. »Aber warum haben wir aus Sile nicht genügend für den Weg nach Gaza mitbekommen? Die Speicher dort waren doch prall gefüllt. Warum haben wir nicht das bekommen, was uns zusteht?« Hakko nahm wieder Ellans Arm über seine Schulter und es ging weiter. Kele war schon ein gutes Stück voraus.

»Das fragst du noch!«, brauste Ellan auf. »Weil die Offiziere unseren Proviant verschachert haben. Die selbst haben für sich genug auf den Karren … und sie haben dort bestimmt auch das Gold und Silber, was sie aus den Verkäufen unseres Proviants gerafft hatten. Darauf kannst du Gift nehmen!« Sichelnarbe kochte vor Zorn. Seine sichelförmige Narbe nahm dämonische Züge an.

»Gepökeltes Fleisch, Oliven, getrocknete Datteln und besten Wein haben sie dort sicher auch drauf.« Hakko lief das Wasser im Mund zusammen, obwohl er wie alle dehydriert war.

»Halt die Schnauze!«, unterbrach ihn Ellan noch wütender.

»Na gut! Und was willst du tun?«

»Nichts! Sieh mich doch an! Sehe ich so aus, als könnte ich noch etwas tun?« Stunde um Stunde sah er blasser aus, fast schon wie eine wandelnde Leiche.

»Vielleicht sollte man die Beule aufschneiden?«, schlug jemand von hinten vor. Woher dieser Obae jetzt auftauchte, war Hakko und Ellan schleierhaft. Er aber hatte die Gabe, unbemerkt zu verschwinden und wieder zu erscheinen. Obae oder Hellhaut war einer dieser wenigen idiotischen Freiwilligen. Zwar wurden laut Ramses’ Dekret keine neuen Sklavensoldaten rekrutiert, aber auf eigenen Wunsch konnte man an den Narunafeldzügen teilnehmen. In Memphis war er zu ihnen gestoßen und biederte sich seitdem ständig bei Ellan, Hakko und Kele an.

Er war kein Kuschit wie die meisten der Truppe. Auch keiner wie Kele aus dem Land der Götterquellen. Noch nicht einmal ein Nubier war er. Nein, er war genauso hellhäutig wie die selbstgerechten Offiziere. Eben deshalb verpasste Hakko ihm den Narunanamen Hellhaut, was bestimmt nicht als Kompliment zu verstehen war und tiefes Misstrauen ausdrückte. Er besaß deutlich bessere Zähne als ein gewöhnlicher Naruna und neben seiner hellen Haut war das ein weiteres Merkmal, warum keiner ihm traute. »Hat dich einer gefragt?«

Doch Hakko war anderer Meinung als sein kranker Freund. »Vielleicht hat er aber recht. Mehr als sterben kannst du nicht. Und das wirst du, wenn wir den Eiter nicht herausholen und die Wunde reinigen! Darauf kannst du Gift nehmen, Sichelnarbe!«

Fliegen kreisten über Sichelnarbes Nackenbeule. Gierig schlürften sie den stinkenden Wundsaft. Ellan vertrieb sie nicht mehr. Es hatte keinen Sinn. Sie kamen stets zurück. »Gift wäre vielleicht das Beste.«

Niemand sprach mehr und das war jetzt völlig in Ordnung für Ellan. Die Wagen hinten waren weit weg. Man konnte das Rufen und Peitschen der Kutscher nicht mehr hören. Und von vorne bekam man das Klagen und Gejammer der Naruna nicht mit. Irgendwie lag eine besinnliche Stille in der Luft, abgesehen vom Meeresrauschen und dem gelegentlichen Kreischen der Möwen. »Eigentlich ein schöner Klang zum Abschied, um danach in die Unterwelt zu reisen«, fand Sichelnarbe. Weder Dicklippe noch Hellhaut antworteten darauf.