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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literaturagentur Lesen & Hören.

Redaktion: Sandra Lode

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Menschen, die wir lieben, bleiben für immer, denn sie hinterlassen Spuren in unseren Herzen.

(anonym)

 

1. Heimreise

Zwischen Borbetomagus und dem Donnersberg, 95 v. Chr.

Ein leichtes Kitzeln an ihrem Hals ließ Rowan zu sich kommen. Es dauerte einen Moment, bis ihre Sinne vollständig erwachten. Der gleichmäßige, langsame Gang des Pferdes, auf dem sie saß, wollte sie immer wieder in den Schlaf wiegen. Der herbe Geruch des Tieres stieg ihr in die Nase, doch da war noch etwas anderes – ein vertrauter Geruch, den sie lange Zeit vermisst hatte. Ein warmes Gefühl breitete sich in Rowan aus. Sie drehte den Kopf zur Seite und spürte die breite Brust eines Mannes an ihrer Wange. Ein gleichmäßiger, starker Herzschlag drang an ihr Ohr.

War es wirklich wahr oder hatte sie geträumt?

Vorsichtig öffnete sie die Augen und spähte nach oben. Ein kantiges Kinn mit blonden Bartstoppeln war das Erste, was sie sah. Bei ihrer Bewegung blickte der große Krieger nach unten. Tiefblaue Augen sahen sie liebevoll an.

»Drystan«, flüsterte Rowan glücklich.

Der Häuptlingssohn neigte sich nach vorne und küsste sie zärtlich auf die Stirn. Lange blonde Haare kitzelten sie abermals am Hals. Sie sehnte sich danach, seine Lippen auf ihren zu spüren. Der Krieger richtete sich jedoch wieder auf und seinen Blick nach vorne. Er hielt sie fest umfangen und lächelte, während er gleichzeitig geschickt das Pferd um einen Busch lenkte, der weit in den Weg hineinragte.

Abermals schmiegte sie ihre Wange an das rote Gewand, das die Brust des Mannes bedeckte, und seufzte wohlig. Das eintönige Klappern der Hufe und das behaglich warme Gefühl in Drystans Armen hatte sie vorhin wohl einnicken lassen. Sie wusste nicht, wie weit sie bereits geritten waren, doch das war ihr im Moment auch einerlei. Das Einzige, was zählte, war, dass er bei ihr war.

Die vielen Jahre, in denen sie sich nach ihm gesehnt hatte, gingen ihr durch den Kopf. Nie hätte sie damit gerechnet, dass er sie all die Zeit gesucht hatte, um sie nach Hause in die kleine keltische Siedlung auf dem Donnersberg zu holen. Schließlich war er es gewesen, der weggeritten war, als ihre Eltern sie mit dem brutalen Morcant verheiraten wollten.

Rowan zog die Stirn kraus. Eine rote Locke stahl sich unter ihrem Schleier hervor und hüpfte vorwitzig vor ihren Augen. Ihre Gedanken wanderten zurück zum letzten Mal, als sie Drystan gesehen hatte. Sie wusste, dass die Liebe zwischen ihnen nicht standesgemäß gewesen war, da sie nur eine einfache Bauerntochter und er der Sohn des Häuptlings Cadan war. Dennoch hatte sie geglaubt, dass er sie genauso liebte wie sie ihn, als sie sich zwei Nächte vor ihrer Hochzeit mit Morcant hinter ihrem Elternhaus geküsst hatten.

Rowan spürte, wie ihr Herzschlag schneller wurde. Ein beklemmendes Gefühl legte sich wie ein eisernes Band über ihre Brust. Da war er wieder, dieser alte Schmerz, genau wie damals, als Drystan sie unvermittelt von sich geschoben hatte.

Nie würde sie die harten Worte vergessen, mit denen er sie verlassen hatte.

Eine Träne lief über ihre Wange. Sie konnte nicht sagen, ob aus Freude über ihr Wiedersehen mit dem Häuptlingssohn oder aus Entsetzen, weil er sie damals allein gelassen hatte.

Plötzlich zog Drystan an den Zügeln und das Pferd blieb abrupt stehen. Seine großen Hände umfassten Rowans Leib fest von hinten und pressten sie an ihn. Sie musste leicht nach Luft schnappen, so fest hielt er sie umschlungen. Hatte er ihre Verzweiflung gespürt?

»Rowan.« Sein Mund war so nah an ihrem Ohr, dass sich eine Gänsehaut auf ihren Armen ausbreitete, während er sprach. »Ich habe dich immer geliebt, das musst du mir glauben. Ich erkläre dir alles später, wenn wir unter uns sind.«

Ein Ruck ging durch die Zügel, als er diese wieder ergriff, und sie ritten weiter. Erst jetzt wurde Rowan bewusst, dass sie nicht allein waren. Sie konnte ihn zwar nicht sehen, da Drystans Körper den Blick versperrte, aber sie hörte das Klacken von Hufen hinter sich.

ging es ihr durch den Kopf. Ihr Milchbruder war nach ihrer erzwungenen Hochzeit mit seinem Vater Morcant mit ihr aus der Siedlung geflohen. Ihre Wege hatten sich getrennt, als sie in römische Gefangenschaft gerieten. Über Umwege war er jedoch schließlich wieder zu ihr gelangt, auf Quintus’ Weingut, wo er wie sie als Sklave arbeitete. Wären ihr unbändiger Freiheitsdurst und die Sehnsucht nach Drystan nicht gewesen, sie hätte sich bei Quintus, dessen Tochter Aurelia und Caius, der das Weingut mitleitete, wohlfühlen können.

Caius … Beim Gedanken an den dunkelhaarigen Römer mit dem eindringlichen Blick durchflutete sie ein Gefühl der Dankbarkeit. Nie hatte er sie herablassend behandelt oder gar misshandelt, wie sie es bei ihrer ersten Herrschaft erlebt hatte. Caius ging gut mit den Sklaven um. Sie hatten eine warme Unterkunft, bekamen ausreichend zu essen und konnten die Arbeit beenden, sobald die Sonne unterging. Sie würde es dem jungen Römer nie vergessen, dass er ihr und Johs die Freiheit geschenkt hatte, obwohl Drystans Krieger das Weingut überfallen hatten. Quintus war dabei ums Leben gekommen, doch der Häuptlingssohn hatte verhindert, dass auch Caius und Aurelia starben. Aus Dankbarkeit hatte dieser Rowan und Johs ziehen lassen. Ihre Hand umschloss einen prall gefüllten Lederbeutel, der an ihrem Gürtel hing. Zum Abschied hatte sie diesen von dem Römer bekommen, um ihr einen Neuanfang zu ermöglichen.

Ein Neuanfang … Wie sah der wohl aus? Konnten Johs und sie in ihr Heimatdorf zurückkehren? Damals hatten sie in Rowans Hochzeitsnacht fliehen müssen, weil Johs seinen brutalen Vater niedergeschlagen hatte, als sich dieser an ihr vergehen wollte. Wären sie geschnappt worden, hätte man sie beide hingerichtet, daran bestand für die junge Keltin kein Zweifel. Die ganze Siedlung hätte zugesehen, während sie der Druide Haerviu, der für Opfergaben zuständig war, qualvoll langsam getötet hätte …

Rowan schüttelte den Kopf bei dem schrecklichen Gedanken. Drystan würde sie beschützen, dessen war sie sich sicher. Er hätte sie nie so lange gesucht, nur um sie zu Hause dieser Gefahr auszusetzen. Sie musste Geduld haben, er würde ihnen bei der ersten Rast bestimmt erklären, was er vorhatte.

Ein kleiner Wald tat sich vor ihnen auf. Drystan zügelte abermals sein Pferd.

»Das Lager, das meine Krieger vorbereitet haben, ist nicht mehr weit«, erklärte er. »Es wird bald dunkel werden und wir werden hier die Nacht verbringen.«

Rowan wunderte sich kurz darüber, dass Drystan von Kriegern redete. Sicherlich hatte er sich versprochen, denn es war immer noch der Häuptling, der die Kriegertruppen befehligte. Aber wo war Cadan? Wartete er bei den vorausgerittenen Kelten im Lager? Ein mulmiges Gefühl machte sich abermals in Rowan breit, als sie an den Häuptling dachte. Er war es gewesen, der ihre Verbindung mit Drystan nicht gut geheißen und sogar verboten hatte. Dass dieser allerdings einfach dem Befehl seines Vaters gefolgt war, hatte Rowan tief getroffen. Das war auch der Grund, warum sie die ganzen langen Jahre der Trennung nicht daran geglaubt hatte, dass er sie noch liebte oder gar nach ihr suchte.

Ein lautes, grölendes Lachen unterbrach ihre Gedanken. Die Krieger mussten ganz in der Nähe sein. Kurz darauf erreichten sie eine kleine Lichtung und die Kriegertruppe kam in Sicht. Gut zwanzig Mann hatten mehrere kleine Feuer entfacht. An einem besonders großen in der Mitte hing ein Wildschwein an einem dicken Spieß, den ein Jüngling immer wieder drehte. Der Geruch von gebratenem Fleisch ließ Rowan das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie hungrig sie war.

Es war seltsam, aus allen Mündern die kehligen Laute ihrer Heimatsprache zu hören, so sehr hatte sie sich an das Latein in Quintus’ Haus gewöhnt. Es war üblich, dass sich die Sklaven auch untereinander auf Latein verständigten. Einerseits, um verbotene Gespräche über Flucht oder Aufstand zu verhindern, andererseits, weil die Sklaven aus den unterschiedlichsten Gebieten und Ländern stammten und nicht dieselbe Muttersprache hatten. Wenn sie allerdings abends allein entlang der Weinfelder von Quintus’ Weingut spaziert waren, hatten sich Rowan und Johs ungestört auf Keltisch unterhalten können.

Die Krieger sahen auf, als sie ihren Anführer bemerkten. Rowan spürte, wie sie einige neugierige Blicke streiften. Ein Jüngling sprang herbei und ergriff die Zügel, während ein größerer Krieger herantrat, um Rowan aus dem Sattel zu heben. Eine Handbewegung des Häuptlingssohnes ließ diesen jedoch innehalten.

»Fass sie nicht an. Das mache ich selbst«, knurrte er und glitt behände hinter Rowan vom Pferd. Seine großen Hände umfassten ihre schmale Taille und hoben sie sanft von dem breiten Pferderücken. Er setzte sie nicht direkt auf dem Boden ab, sondern verharrte in seiner Bewegung, als ihr Gesicht auf seiner Höhe war. Ein lausbübisches Grinsen stahl sich auf seine Lippen und Rowans Herz klopfte wild. In Erwartung eines Kusses schloss sie die Augen.

»Noch nicht, mein ungeduldiger kleiner Rotschopf«, wisperte Drystan und schon spürte sie den festen Waldboden unter ihren Füßen.

»Willkommen, Häuptling!« Wildes Johlen erklang, als sich Drystan dem Hauptfeuer näherte. »Den Römern haben wir’s gezeigt!«

»Sie sollen verrecken, das elende Pack!«

Immer lauter wurden die Rufe und Rowan wurde elend zumute. Quintus und all diejenigen, die am letzten Abend ihr Leben hatten lassen müssen, waren keine schlechten Menschen gewesen.

Mit einer Handbewegung brachte Drystan die Meute zum Schweigen. »Es reicht! Wir haben bekommen, was wir gesucht haben. Das ist alles, was zählt.« Sein Blick ging zu Rowan.

Unverhohlen starrten die Männer die rothaarige Frau an. Sie wussten, dass sie eine der ihren suchten, doch viele von ihnen kannten die junge Keltin nicht. Krieger und Bauern verkehrten schließlich nicht in denselben Kreisen.

Drystan spürte, wie sich Rowans schmaler Körper hinter ihn schob, wohl um sich vor den Blicken zu verbergen. »Warum habe ich keine Wachen im Wald gesehen?«, brüllte er seine Männer wütend an. »Trahern, es ist deine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das Lager bewacht wird!« Drystans Augen, deren Blau einen eisigen Schimmer angenommen hatte, fixierte einen älteren Mann, der ihm ruhig entgegensah.

»Herr, Ihr wisst, dass ich immer dafür Sorge trage, dass das Lager gut bewacht wird. Es befinden sich drei Bewachungsringe um das Lager. Dass Ihr die Wachen nicht bemerkt habt, spricht für die Männer.«

Drystan nickte. Er wusste, dass er Trahern vertrauen konnte. Der kleine, gedrungene Krieger hatte schon unter seinem Vater gedient und er kannte ihn von Kindesbeinen an. Es war nicht gerecht, ihn zu rügen, doch ihm lag das kommende Gespräch mit Rowan im Magen, das er unweigerlich führen musste.

Es hatte ihm fast das Herz zerrissen, als er gespürt hatte, wie ihre schmalen Schultern bebten, als sie vor ihm auf seinem Pferd saß. Er bereute seine Entscheidung von damals zutiefst. Lieber hätte er den Zorn seines Vaters auf sich ziehen sollen. Aber niemals hätte er zulassen dürfen, dass Rowan mit Morcant verheiratet wurde. Er hätte mit ihr fliehen müssen. Doch hätte sie ihm je verziehen, dass deshalb ihre Familie in den fast sicheren Tod hätte gehen müssen? Sein Vater hatte ihm angedroht, dass er Rowans gesamte Verwandtschaft in die Verbannung schicken würde, sollte er sich seinem Willen nicht beugen. Drystan kannte Cadan gut genug, um zu wissen, dass dieser seiner Drohung Taten folgen lassen würde.

Er drehte sich um und blickte auf Rowan hinab. Endlich hatte er sie wieder … Trotz ihrer hochgewachsenen Gestalt wirkte sie winzig und verloren zwischen den muskelbepackten Hünen, die sie umringten. Mehr als fünf Jahre waren vergangen, seit er Rowan das letzte Mal gesehen hatte. Fünf lange Jahresläufe, in denen er unermüdlich nach ihr gesucht hatte. Ihr Gesicht war reifer geworden und hatte mit Anfang Zwanzig die letzten Reste der kindlichen Züge verloren. Vor ihm stand eine atemberaubend schöne Frau, der man die Mühen der letzten Jahre nicht ansah. Einzig ihr Gesicht war blasser als sonst, die rote Locke, die ihr in die Stirn hing, betonte den Kontrast noch mehr. Dunkle Schatten unter ihren Augen verrieten die Strapazen der letzten Nacht.

Sanft ergriff er ihre feingliedrige Hand und zog sie mit sich an den Rand der Lichtung. Auf seine Anweisung hin hatten seine Männer einen eigenen kleinen Lagerplatz für ihn errichtet. Normalerweise nächtigte er immer inmitten seiner Krieger, doch er wollte ungestört mit Rowan sprechen und so hatte er ein etwas abseits gelegenes Lager bevorzugt. Ein Feuer prasselte mit Knacken und Zischen in der ausgehobenen Feuerstätte und zahlreiche Funken stoben irrwitzig umher. Er spürte die Wärme, die es ausstrahlte, was an diesem kühler werdenden Spätsommertag willkommen war.

Drystan geleitete Rowan an den Rand des Lagerfeuers und half ihr, sich auf einem der Felle niederzulassen, die rings herum ausgebreitet waren. Ein junger Krieger, dessen Aufgabe es war, sie zu umsorgen, drückte ihnen einen Becher aufgewärmten Honigwein in die klammen Hände.

Drystan blickte kurz zurück, um sich zu vergewissern, dass sich seine Männer um Johs kümmerten. Zwei hatten diesen bereits untergehakt und an den lauten Jubelrufen war zu erkennen, dass sich die drei aus früheren Zeiten kannten. Johs’ Vater Morcant war einst ein gefürchteter Krieger gewesen, bevor er sich nach dem Tod seiner Frau um Haus und Kinder kümmern musste. Doch selbst nachdem Morcant das Schwert gegen den Pflug eingetauscht hatte, kannte jeder junge Krieger die grausamen Geschichten, die sich um den Hünen rankten. Drystan schüttelte den Kopf, um die Gedanken an den toten Morcant zu verdrängen.

Rowans blasses Gesicht, das zu ihm aufblickte, riss ihn aus seinen Gedanken. Drystan wandte sich an den Jungen, der bereit stand, um seine Wünsche zu erfüllen: »Du kannst gehen, Phelan. Und richte Trahern aus, dass er die Nachtwache aufstellen soll. Wenn das Essen fertig ist, bringst du uns davon.«

Der junge Kelte, der kaum den Kinderschuhen entwachsen schien, nickte eifrig und stob davon. Drystan schnallte sein langes Schwert ab, ließ sich neben Rowan nieder, legte die Waffe jedoch in Griffweite.

Als er ihren Blick bemerkte, sagte er: »Man weiß nie, wer sich in den Wäldern herumtreibt.«

Sie nickte schlicht. Gedankenverloren blickte sie ins Feuer, doch Drystan spürte ihre Unruhe.

»Rowan«, wisperte er sanft. Seine raue Hand griff nach ihrer und hielt sie fest. Sie legte ihren Kopf an seine Schulter und schmiegte sich an ihn. Sie liebte ihn, dessen war er sich sicher. Trotz all der schrecklichen Dinge, die sie erlebt haben musste, liebte sie ihn.

»Ich habe dich nicht verdient.« Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit und sie sah überrascht auf.

»Was redest du da, Drystan?« Grüne Augen blickten forschend in sein Gesicht, das seine Qual widerspiegelte.

»Ohne mich wäre dir all das Leid erspart geblieben!«, stieß er hervor. Die Wut auf sich selbst nahm ihm beinahe den Atem.

»Drystan.« Ihre Stimme klang sanft, aber fest. »Ohne dich wäre ich immer noch eine Sklavin und Johs ebenfalls. Du hast uns befreit!«

Er schüttelte den Kopf und senkte ihn anschließend niedergeschlagen. Lange, blonde Haare hingen ihm wirr ins Gesicht.

»Drystan, sieh mich an.« Rowans Stimme duldete keinen Widerspruch.

Zögernd blickte er auf. Wieder dachte er, wie schön sie doch war, als er ihr ebenmäßiges Gesicht mit den hohen Wangenknochen und anmutig geschwungenen Lippen erblickte.

»Was auch immer dich quält, Liebster, es ist vorbei. Wir sind zusammen, nichts anderes zählt mehr.«

Er konnte nicht umhin, sie wegen ihrer Stärke zu bewundern. Auf dem Pferd hatte er genau gespürt, dass sie sich gegrämt hatte, und jetzt vergab sie ihm einfach.

»Rowan.« Seine Stimme klang heiser. »Ich musste dich damals gehen lassen. Mein Vater hätte deine gesamte Familie aus der Siedlung verbannt und in den Tod geschickt.«

Entsetzen breitete sich auf Rowans Gesicht aus, dann legte sie ihre freie Hand auf seine stoppelige Wange.

»Mein armer Drystan, vor welche Wahl hat dich dein Vater damals nur gestellt …« Ihre Hand strich sanft über seine Wange, bis sie auf seiner Schulter liegen blieb.

»Du hättest es mir erzählen müssen«, sagte sie nach kurzem Überlegen.

»Nein, Rowan. Vater hätte dich getötet, wenn ich versucht hätte, mit dir zu fliehen. Seine Krieger hatten ihre Augen überall. Das konnte ich nicht wagen.« Seine Stimme zitterte.

Abermals schien sie kurz nachzudenken. »Du hattest keine andere Wahl, als mich Morcant zu überlassen«, sagte sie schließlich leise, aber bestimmt.

Als sie den Namen Morcant aussprach, breitete sich eine Gänsehaut auf seinen Armen aus. Der Gedanke, dass der brutale Krieger sie geschändet hatte, zerriss ihn innerlich. »Ich hätte eine Möglichkeit finden müssen …«

 

Rowan rutschte näher an Drystan heran, der wie ein Häufchen Elend vor ihr saß, und schmiegte sich an ihn. Er legte seine Arme um sie, sein Kinn auf ihren Scheitel.

»Ich verstehe jetzt, warum du mich hast gehen lassen«, sagte sie leise. Sie spürte seinen Herzschlag, der schneller war als sonst.

»Es tut mir so leid, Rowan«, wisperte er und strich mit einer Hand über ihre roten Locken, da ihr Schleier verrutscht war. »Was er dir angetan haben muss … Es tut mir so leid.«

Rowan hielt inne. War es das, was ihn so sehr zu quälen schien?

»Morcant und ich haben die Ehe nie vollzogen.« Sie spürte, wie ein kleines Beben durch seinen Körper ging. »Hörst du mich, Drystan. Das, was du fürchtest, ist niemals passiert.« Ihre Gedanken wanderten zurück zu ihrer Hochzeitsnacht. Dann sagte sie leise: »Es ist wahr, er wollte mich mit Gewalt nehmen.«

Ein erstickter Schluchzer erklang. Den großen, stattlichen Krieger weinen zu sehen, erschütterte sie mehr als alles andere jemals zuvor. Sie rückte ein wenig von ihm ab und nahm sein Gesicht in beide Hände. In seinen Augen schimmerten Tränen.

»Nun höre doch, Drystan. Es ist nichts passiert. Johs kam dazwischen und hat Morcant mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen.« Ihre Stimme zitterte leicht, als sie fortfuhr: »Da war so viel Blut, und wir dachten, er wäre tot. Deshalb sind wir weggelaufen.«

Verblüffung zeichnete sich auf dem Gesicht des Häuptlingssohnes ab. »Als Morcant zu sich kam, hat er etwas ganz anderes erzählt. Fremde Krieger hätten sich in sein Haus geschlichen, ihn im Kampf verwundet und dich aus seinem Bett gezerrt.«

Rowan riss erstaunt die Augen auf. »Das hat er erzählt?«

Drystan nickte. »Dass er Johs begraben hätte, da ihn die Krieger getötet hatten, hat er außerdem behauptet. Und dass er vor dem Überfall einen Riesenspaß mit dir hatte …« Er ließ den Kopf hängen. »Und ich habe ihm geglaubt …«

Rowans rote Locken hüpften, als sie den Kopf schüttelte. »Morcant war ein hinterlistiges Ekel. Er hätte niemals zugegeben, dass ihn sein halbwüchsiger Sohn und sein frisch vermähltes Weib überwältigt haben.«

Drystan nickte. »Ich hätte es wissen müssen. Es tut mir so leid.«

»Nein, du kannst nichts dafür. Ich mache dir keinen Vorwurf, hörst du?« Ihre Lippen streiften sanft seine Wange. Sein vertrauter Geruch ließ ihr Herz schneller schlagen. Jetzt, wo sie wusste, was damals geschehen war, konnte sie sein Handeln verstehen. Es fühlte sich an, als fiele eine zentnerschwere Last von ihr. Der Zweifel um seine Liebe hatte sie die Jahre über schwer belastet. »Wie hast du mich eigentlich gefunden?«

Drystan zuckte mit den Schultern. »Als ich am Tag nach deiner Hochzeit zurückkam und erfuhr, was geschehen war, bin ich sofort losgeritten. Mein Vater war fuchsteufelswild, das kannst du mir glauben. Aber das war mir egal. Ich musste dich finden. Es hat einige Zeit gedauert und wir trafen auf eine kleine Römerpatrouille.« Ein breites Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. »Wir konnten sie überreden, uns von dir zu erzählen.« Seine Finger fuhren über den Rand des Schwertes.

»Aber sie wussten doch von Johs und dass er bei mir war!«, rief Rowan.

Drystan zuckte mit den Schultern. »Die Verständigung war nicht gerade einfach, wie du dir vorstellen kannst. Aber es war ihnen relativ leicht klarzumachen, dass wir nach einem Mädchen suchten.« Seine Hände malten eine kurvige Figur in die Luft. »Wir nahmen einen von ihnen mit und er zeigte uns, wo er dich verkauft hat.« Seine Stimme wurde hart. »Der Ort, an dem er dich als Sklavin verschachert hat, war der letzte, den er in seinem Leben gesehen hat.«

Rowan lauschte Drystans Worten. Nie hätte sie gedacht, dass er sofort nach ihr gesucht hatte. Was wäre geschehen, wenn er sie früher gefunden und mit nach Hause gebracht hätte? Ihre Gedanken schweiften zurück zum Donnersberg. Das wettergegerbte Gesicht ihres Vaters Alan, der sie liebevoll anblickte, tauchte vor ihrem inneren Auge auf.

»Wie geht es meinen Eltern?«, fragte sie leise. Ihr Vater war kein junger Mann mehr gewesen, als sie das Dorf verlassen hatte. Angespannt wartete sie auf die Antwort.

»Deinen Eltern geht es gut. Mach dir keine Sorgen.«

Rowan atmete auf.

»Es hat deinen Vater schwer mitgenommen, als er von deiner angeblichen Verschleppung erfuhr.«

Rowan nickte nachdenklich. Dann fragte sie zögerlich: »Und Mutter?«

Drystan zuckte mit den Schultern. »Du kennst deine Mutter doch. Sie war noch nie besonders herzlich.«

Obwohl Rowan mit dieser Antwort gerechnet hatte, versetzte ihr die Gefühlskälte ihrer Mutter wie immer einen Stich. Sie war nun einmal nicht der lang ersehnte Junge, den sich diese gewünscht hatte, aber sie deshalb direkt nach der Geburt wegzugeben … Sie hatte ihr erstes Lebensjahr bei Johs Mutter verbracht, die genügend Milch für sie beide gehabt hatte. Es war nur ihrem Vater zu verdanken, dass sie überhaupt zurück in ihre Familie kommen konnte. Er hatte Gerda damit gedroht, sie zu verstoßen, sollte sie das nicht zulassen. So wuchs Rowan mit einer Mutter auf, die ihre große Schwester, die Erstgeborene Berit, mit Liebe überschüttete und sie selbst mit Nichtachtung strafte.

Sie seufzte und schloss kurz die Augen.

Drystan, der wohl ahnte, was in ihr vorging, ergriff ihre Hände und drückte sie sanft. »Das Wichtigste ist doch, dass du jetzt bei mir bist.«

Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrer Magengrube aus, als sie seine liebevollen Worte vernahm. Urplötzlich stahl sich ein Gedanke in ihren Kopf. Sie war vorher zu überwältigt gewesen, um darauf einzugehen. »Deine Männer haben dich mit Häuptling angesprochen?«

Drystans blaue Augen nahmen einen dunklen Schimmer an, als er nickte. »Vater ist tot. Ich bin jetzt der Häuptling unseres Stammes.«

Entsetzt schlug Rowan die Hände vor den Mund. »Tot? Was ist geschehen?«

»Das ist eine lange Geschichte, Rowan.« Seine Stimme klang müde. »Lass uns morgen darüber sprechen.«

In dem Moment tauchte Phelan auf und drückte ihnen jeweils einen großen Napf in die Hand. Die gebratenen Wildschweinstücke glänzten fettig in der Holzschüssel und ein Kanten Fladenbrot rundete die Mahlzeit ab.

Auch Rowan fühlte sich müde nach dem langen Ritt. Sie war es nicht gewohnt, auf einem Pferd zu sitzen, und spürte ihre angespannten Muskeln. Auf Drystans Zuspruch aß sie tapfer ein paar Bissen und legte sich dann auf das behelfsmäßige Lager nieder. Trotz der Müdigkeit fragte sie sich, ob sich Drystan zu ihr legen würde und eine leichte Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper aus. Dieser deckte sie jedoch mit einem flauschigen Fell zu, beugte sich über sie und küsste sie zärtlich auf die Wange. Seine langen blonden Haare kitzelten sie im Gesicht. Sie erspähte den silbernen Anhänger, den er um den Hals trug und der dem ihren glich. Er hatte ihn ihr damals geschenkt, kurz bevor sie aus dem Dorf fliehen musste. Das Schmuckstück stellte eine geteilte Sonne dar, die ein Symbol ihrer Liebe sein sollte. Rowan hatte ihren Anhänger die ganzen Jahre über gehütet. Er zählte zu den wenigen Habseligkeiten, die sie noch besaß. Mit diesem Gedanken fiel sie in einen tiefen Schlaf und bemerkte nicht mehr, wie Drystan sich erhob und zu seinen Männern ging.

 

Als sie am nächsten Tag erwachte, hörte sie als Erstes das Zwitschern der Waldvögel, die den frühen Morgen verkündeten. Ein leichter Nebel, der sich wie ein graues Leinentuch über den Waldboden gelegt hatte, verdeckte die schlafenden Gestalten auf der Lichtung. Langsam, ihre schmerzenden Glieder streckend, setzte sich Rowan auf. Sie suchte mit den Augen den Boden rings um das Lager ab und fragte sie sich, wo Drystan geblieben war. Sie hatte sich noch nicht daran gewöhnt, dass er jetzt der Anführer des Stammes war. Sie nahm sich vor, ihn heute noch einmal zu fragen, wie es dazu gekommen war. Immerhin war sein Vater Cadan nicht viel älter gewesen als der ihre.

Ein Rascheln am Waldrand ließ sie in diese Richtung blicken. Drystan, endlich! Der großgewachsene Kelte stapfte mit langen, festen Schritten auf sie zu. Er trug eine einfach gewebte Leinenhose mit einer seitlich geschlitzten Kittelbluse. Der raue Stoff spannte sich über muskulöse Oberarme. Die in der Jugend sehnige Figur war zu der eines ausgewachsenen Mannes geworden. Ein bis zum Boden reichender roter Umhang, der mit einer reich verzierten Fibel zusammengehalten wurde, betonte seinen Stand als Anführer.

Ein breites Grinsen zog sich über sein Gesicht, als er Rowan bemerkte, die ihm entgegensah. Sie schlug die Augen nieder, als ihr bewusst wurde, dass sie ihn angestarrt hatte.

»Hast du gut geschlafen, meine Liebe?«, fragte er gut gelaunt. Als sie nickte, ließ er sich vor ihr auf ein Knie sinken und küsste sie, wie am Abend zuvor, zärtlich auf die Wange. Seine Lippen verharrten einen Moment länger als notwendig und das bekannte, warme Gefühl durchlief sie. Wann würde er sie endlich wieder in den Arm nehmen und richtig küssen?

Drystan grinste sie schief an. Er schien ihre Gedanken erraten zu haben, denn er hob mit einem Finger eine ihrer vorwitzigen Locken und strich sie ihr hinters Ohr. Dann flüsterte er: »Lass uns gleich nach dem Morgenmahl in den Wald gehen. Ich möchte mit dir alleine sein.« Seine Stimme klang leicht rau.

Rowan spürte, wie sich die zarte Röte auf ihren Wangen vertiefte. Sie nickte nur, denn sie war sich nicht sicher, ob sie überhaupt ein Wort hätte hervorbringen können.

Drystan erhob sich und ging zum Feuer, wo ein junger Mann, sie meinte Phelan zu erkennen, in einem großen Topf rührte. Zwei randvoll gefüllte Näpfe mit Getreidebrei vorsichtig balancierend, ließ Drystan sich neben Rowan nieder.

Ohne zu sprechen, löffelten die beiden ihr karges Mahl. Rowan spürte seinen Blick auf sich und konnte es kaum abwarten, mit ihm allein zu sein. Zu lange hatten sie einander entbehren müssen … Sie sah sich um. Auch wenn ihr Lager etwas abseits lag, war sie sich der Blicke, die Drystans Krieger in ihre Richtung warfen, durchaus bewusst.

Ungeduldig rührte Rowan in dem dickflüssigen Brei. Appetit verspürte sie keinen, zu sehr waren ihre Gedanken mit dem Kommenden beschäftigt.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ Drystan endlich seinen Holzlöffel klappernd in die Schüssel fallen und grinste sie an. »Ich muss Trahern noch sagen, dass wir einen weiteren Tag hier rasten werden. Du bist zu erschöpft um weiterzureiten, und auch den Männern tut ein zusätzlicher Tag Erholung gut. Außerdem«, Drystans Augen funkelten, »habe ich heute noch etwas Wichtiges zu erledigen. Ich bin gleich wieder da.«

Mit diesen Worten erhob er sich leichtfüßig und spazierte davon. Etwas Wichtiges zu erledigen? Wahrscheinlich musste er sich um seine Männer kümmern. Rowan zuckte mit den Schultern, dann erhob sie sich. Sie nutzte die Zeit, um sich hinter einem Gebüsch zu erleichtern und mit einem Wasserschlauch zu säubern. Das kalte Wasser erfrischte sie. Sie war froh, sich noch einen Tag von den Strapazen des langen Ritts erholen zu können. Mit einem grobzackigen Hornkamm, den sie von Lucrezia auf Quintus’ Weingut bekommen hatte, kämmte sie sich ihre roten Locken. Es ziepte schmerzhaft, aber sie bemerkte es kaum, so sehr waren ihre Gedanken mit dem bevorstehenden Treffen beschäftigt. Mit geübten Händen strich sie ihr Gewand aus, steckte ihr Haar sorgfältig unter den Schleier und lief auf unsicheren Beinen zurück ins Lager. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie Drystan entdeckte, der mit dem Rücken zu ihr stand und Phelan Befehle zu geben schien. Als hätte er ihre Blicke bemerkt, wandte er sich plötzlich um und ein breites Grinsen, das sie so sehr an den jungen Häuptlingssohn erinnerte, breitete sich auf seinem Gesicht aus.

»Rowan, da bist du ja. Können wir los?«

Deutlich mehr Bartstoppeln als am Vortag zierten sein Kinn und straften das jugendliche Grinsen Lügen. Er war älter geworden und Rowan fragte sich jäh, ob sie den Mann, der Drystan geworden war, wirklich kannte. Immerhin waren Jahre vergangen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten.

Seine großen Hände, die sie etwas rau an den Schultern packten und an ihn zogen, unterbrachen ihre Gedanken. Da war er wieder, sein vertrauter, leicht herber Geruch, den sie so sehr vermisst hatte. Gefangen in seiner innigen Umarmung seufzte Rowan wohlig und letzte Zweifel verflogen. Dies war ihr Drystan, mit dem sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hatte und mit dem sie ein unzerstörbares Band vereinte. Sie schmiegte ihre Wange an das raue Leinentuch seines Gewandes und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Sie spürte, wie er einen Kuss auf den Schleier drückte. Dann hörte sie sein leises Lachen.

Verwundert blickte sie auf. Strahlend blaue Augen, an deren Rändern sich kleine Lachfältchen zeigten, sahen sie an.

»Mein kleiner Rotschopf, du musst dich wohl noch ein wenig gedulden.« Mit dem Kinn deutete er zum Hauptlager hinüber und Rowan bemerkte die vielen Blicke und grinsenden Gesichter, die auf sie gerichtet waren.

Eine tiefe Röte überzog ihre Wangen, was Drystan ein weiteres Lachen entlockte. Er bellte ein kurzes »Habt ihr nichts Besseres zu tun?« in Richtung seiner Männer, was mit lautem Gelächter und Feixen quittiert wurde. Dann spürte Rowan, wie seine schwielige Hand fest die ihre umschloss und sie zum Waldrand zog.

Es wurde kühler, als sie in den dichten Laubwald eintauchten, der die Morgensonne verschluckte. Sie gingen eine ganze Weile, bis der Lärm vom Lager endlich nicht mehr zu hören war. Beide schwiegen und hingen ihren Gedanken nach, während sie über den weichen Waldboden liefen. Rowan musste an der einen oder anderen Stelle ihren langen Rock anheben, um ihn vor hervorstehenden Wurzeln zu schützen. Einmal fasste Drystan sie kurzerhand einfach mit beiden Händen um die Taille und hob sie über einen Baumstamm, der ihnen den Weg versperrte.

Rowan spürte, wie ihr durch das Laufen warm wurde. Sie lockerte den Schleier ein wenig, während neben ihr ein vorwitziges Eichhörnchen einen Baum hinaufhuschte, um seine Vorräte für den Winter aufzustocken.

Schließlich tat sich eine kleine Lichtung vor ihnen auf, auf der ein großer roter Sandstein zum Verweilen einlud. Drystan half ihr hinauf und kurze Zeit später standen sie Hand in Hand auf dem großen Felsen, der von der Sonne angenehm aufgewärmt war.

Rowan blickte über die kleine Lichtung. Spätsommerliche Blumen blühten und überzogen den moosigen Boden mit ihrer Farbenpracht. Das Summen von Bienen und das Zwitschern der Vögel erfüllte die friedvolle Stille, als sie plötzlich spürte, wie Drystan ihre Hand losließ. Sie wollte gerade protestieren, als sie seinen Blick bemerkte. Dunkel schimmerten seine Augen und um seinen Mund lag ein ernster Zug, als er auf sie hinabblickte.

»Rowan.« Seine Stimme klang heiser.

Sie versank in seinem Blick. Weder die Geräusche des Waldes noch die Pracht der Blumen nahm sie mehr wahr. Da war nur noch er, Drystan, der Mann, den sie von Herzen liebte.

»Ich habe dich geliebt, seit unserem ersten Kuss damals im Wald, als wir noch Kinder waren. Ich will aller Welt zeigen, dass du zu mir gehörst.«

Rowans Herz schlug schneller.

Zart umfasste Drystan ihr Gesicht mit den Händen. »Rowan, ich gehöre dir mit Leib und Seele. Ich werde dich mit meinem Leben schützen und«, er beugte sich zu ihr hinunter, »ich will, dass du auf ewig mein wirst. Werde meine Frau, Rowan. Vor den Göttern und vor unserem Volk.«

Rowan starrte ihn mit großen Augen an. Sein ebenmäßiges Gesicht war direkt vor ihr, sein vertrauter Geruch überwältigte ihre Sinne. War es wirklich wahr? Nach all diesen Jahren? Eine kleine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel und rann ihre Wange hinab. Mit besorgtem Gesichtsausdruck wischte Drystan sie mit seinem Daumen weg. Rowan schmiegte ihr Gesicht in seine große raue Hand.

»Rowan?«

Jäh wurde ihr bewusst, dass sie seine Frage nicht beantwortet hatte. Sie schlang die Arme um seinen Hals.

»Ja, Drystan. Bei Rigani, ich will für immer dein sein.«

Mit einem glücklichen Seufzen legten sich seine Lippen auf ihre. Die Welt schien für eine Weile still zu stehen, während sie mit dem Kuss das Versprechen besiegelten.

Als sie sich schließlich voneinander lösten, zog Drystan den Umhang aus, breitete ihn über den Felsen und half ihr, sich zu setzen. Er selbst sprang mit einer geschmeidigen Bewegung nach unten, drehte sich um und blickte zu ihr auf.

»Ich weiß, dass du Fragen hast, Rowan.« Seine Stimme klang sanft, aber ernst.

Rowan dachte nach. Wo sollte sie nur beginnen?

»Erzähle mir von deinem Vater«, forderte sie ihn nach kurzer Überlegung auf.